Der Rhein - Zeitschrift DER BÜRGER IM STAAT

Transcripción

Der Rhein - Zeitschrift DER BÜRGER IM STAAT
DER BÜRGER
IM STAAT
50. Jahrgang Heft 2 2000
Der Rhein
Landeszentrale
für politische Bildung
Baden-Württemberg
Herausgegeben von der
Landeszentrale für politische Bildung
Baden-Württemberg
DER BÜRGER
IM STAAT
Schriftleiter
Prof. Dr. Hans-Georg Wehling
Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart
Fax (07 11) 16 40 99-77
[email protected]
50. Jahrgang Heft 2 2000
Inhaltsverzeichnis
Der Rhein
Vorwort
70
Michael Erbe
Der Rhein als Nationalsymbol
71
Christoph Bernhardt
Die Rheinkorrektion
76
Alexander Frisch/Peter Jehle/
Alexander Ostermann
Naturschutz-Projekte an Hochund Oberrhein
106
Roland Hahn
Auf dem Weg zu einem europäischen
Zentralraum
114
Das politische Buch
119
Werner Konold
Die Regulierung des Bodensees:
eine alte Geschichte
82
Paul Engelkamp
Die Rheinschifffahrt
87
Daniel Vischer
Von der Wasserstraße zur Energieachse
93
Impressum: Seite 113
99
Bitte geben Sie bei jedem Schriftwechsel
mit dem Verlag Ihre auf der Adresse aufgedruckte
Kunden-Nr. an.
Volker Späth/Albert Reif
Auenwälder am Oberrhein
Einzelbestellungen und Abonnements bei der
Landeszentrale (bitte schriftlich)
Der Rhein bei Iffezheim, Landkreis Rastatt.
Aufnahme: Manfred Grohe
69
Der Rhein
ist Deutschlands längster und wasserreichster Fluss,
immer schon von großer Bedeutung als Wasserstraße
und von daher auch ein wirtschaftlicher Impulsgeber.
Doch der Fluss ist noch mehr: Der Rhein ist Deutschlands bedeutendster, bekanntester und beliebtester
Fluss, mit dem sich zahllose Sagen, Mythen und auch
Emotionen verbinden. Deutschland und der Rhein:
das gehört zusammen, nicht nur für die Deutschen –
auch wenn der Rhein im schweizerischen Graubünden entspringt, Frankreich seinen Anteil an ihm hat
und der Fluss in den Niederlanden in die Nordsee
mündet.
Unter fünf Blickwinkeln soll im hier vorgelegten Heft
unserer Zeitschrift „Der Bürger im Staat“ der Rhein
betrachtet werden: der Rhein als Nationalsymbol, als
Wasserstraße, als Energieachse, als Ökosystem, als
Dreh- und Angelpunkt europäischer Politik.
Zunächst der Rhein als Nationalsymbol, aktiviert vor
allem nach der Reichsgründung 1871, mit der
Stoßrichtung gegen Frankreich. Zahlreiche Denkmäler legen Zeugnis davon ab, deren bekannteste
das Niederwald-Denkmal bei Rüdesheim und das
Deutsche Eck in Koblenz sind. Als typisch deutsch
mag man das romantische Bild der Mittelrhein-Landschaft betrachten, mit seinen Weinbergen, Burgen,
Städten und Kirchen. Sowohl das nationale Pathos
wie auch die romantische Verklärung finden in zahllosen Gedichten und Liedern ihren Niederschlag.
Immer schon war der Rhein eine Wasserstraße. Flüsse
trennen nicht, sie verbinden: die Ufer miteinander
und vor allem die gesammte Landschaft am Fluss mit
der Ferne, mit dem Meer, mit der weiten Welt. Händler, Soldaten, ganze Völkerscharen ziehen den Fluss
hinauf und hinunter, schaffen Reichtum und Bedrohung, bringen Ideen mit. Ein ganz eigener Menschenschlag entsteht an den Ufern der großen Flüsse,
insbesondere auch am Rhein: aufgeschlossen, gewandt, liberal. Den Umgang mit Fremden und Fremdem haben die Menschen hier gelernt, wenn sie sich
behaupten wollten.
Innerhalb der Europäischen Union stellt der Rhein die
bedeutendste Wasserstraße dar, über die gegenwärtig rund 50% aller Binnenschifffahrtstransporte laufen. Mehr als 30 Häfen liegen in Deutschland am
Rhein, von denen Duisburg, Köln, Mannhein, Ludwigshafen und Karlsruhe die bedeutendsten sind.
Der Rhein ist eine internationale Wasserstraße,
gemäß der Mannheimer Schifffahrtsakte von 1868,
die auch heute noch – nach einer Revision von 1963 –
in Kraft ist. Als gemeinsames Verwaltungsorgan besteht eine Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
(ZKR) mit Sitz in Straßburg. Ihr gehören nicht nur die
Rheinanliegerstaaten Schweiz, Deutschland, Frankreich und die Niederlande an, sondern auch Belgien
und Großbritannien. Politikwissenschaftlich gesprochen haben wir es hier mit einem frühen Beispiel
eines internationalen Regimes zu tun.
Für die moderne Schifffahrt am Rhein waren erhebliche Eingriffe notwendig, um den wilden Hochrhein
zu zähmen und den träge mäandrierenden Oberrhein zu fixieren, vor allem auch den Weg zu verkür70
zen. Berühmt geworden ist die Rheinkorrektion des
badischen Oberstleutnants Johann Gottfried Tulla zu
Beginn des 19. Jahrhunderts, fortgeführt durch Max
Honsell. Damit wurde der Oberrhein nicht nur für
eine moderne Schifffahrt erschlossen. Die Rheinkorrektion bedeutete auch einen erheblichen Landgewinn und einen verbesserten Hochwasserschutz,
wenngleich damit das Hochwasser nur ein Stück weiter rheinabwärts geschoben worden ist – ein Problem, das gerade uns Heutigen zu schaffen macht,
zumal auch anderwärts entsprechende Anstrengungen unternommen worden sind. Das Problem wurde
so lediglich verschoben, mit um so heftigeren Problemen für die zuletzt Bertroffenen. Die Rheinkorrektion fixierte zudem die Grenze zu Frankreich. Nicht zuletzt löste sie für Baden einen gewaltigen Modernisierungsschub aus.
Am Hochrhein zwischen Bodensee und Basel spielt –
trotz aller hochfliegenden Pläne für einen weiteren
Ausbau – der Fluss als Wasserstraße kaum eine Rolle
mehr. Vielmehr ist der Hochrhein hier zu einer Energieachse geworden, an der sich inzwischen elf Flusskraftwerke reihen. Von der Schifffahrt dort wie von
den Kraftwerken hier gingen und gehen immer noch
erhebliche Impulse für die Wirtschaft entlang des
Flusses aus, durchaus auch mit negativen Begleiterscheinungen für die Umwelt.
Der Rhein mit seinen ganz unterschiedlichen Verläufen – vom Hochrhein zwischen Konstanz und Basel,
dem Oberrhein zwischen Basel und Bingen, über den
Mittelrhein zwischen Bingen und Bonn bis hin zum
Niederrhein zwischen Bonn und der niederländischen
Grenze bei Emmerich – bildet eine Vielzahl von Ökosystemen aus, die von menschlichen Eingriffen erheblich beeinträchtigt sind. Immer wieder ist es auch zu
umfassenden Katastrophen gekommen, wie diejenigen, die von Chemiewerken an seinen Ufern ausgelöst worden sind. Die Bevölkerung ist aufgeschreckt und vielleicht auch langfristig sensibilisiert
worden. Umfassende Reparatur- und Schutzmaßnahmen sind in Angriff genommen, neue Modelle und
Programme realisiert worden. Doch bei Reaktionen
und Einzelmaßnahmen darf es nicht bleiben. Langfristig muss umgedacht werden. Das betrifft auch die
Reaktionen auf die immer wiederkehrenden „Jahrhundert-Hochwasser“, die längst nicht mehr ein Jahrhundert auf sich warten lassen. (Vgl. unser Heft:
„Wasser“, 1, 1996)
Schließlich ist der Rhein zu einem Dreh-und Angelpunkt europäischer Politik geworden. Wenn man –
wie Konrad Adenauer und Robert Schuman – das
deutsch-französische Verhältnis zum Kern eines vereinigten Europa macht, dann rückt der Rhein ins Zentrum, wird, wie in der Mittelalterlichen Kaiserzeit, zu
einer europäischen Zentralachse. Auch wer nicht
ständig in solchen Dimensionen denkt, wird die
Chance nutzen, die die Zusammenarbeit über die
Grenzen, über den Rhein hinweg bietet. Damit zeigt
der Rhein wieder einmal seine verbindende Kraft,
verdeutlicht, dass die großen Flüsse mehr verbinden
als dass sie trennen.
Hans-Georg Wehling
„Herzschlagader“ oder „natürliche Grenze“?
Der Rhein als Nationalsymbol
Der Fluss als Bestandteil der Beziehungsgeschichte zwischen Deutschen und Franzosen
Von Michael Erbe
Prof. Dr. Michael Erbe lehrt Neuere Geschichte an der Universität Mannheim.
Wie alle großen Flüsse dieser Erde ist der
Rhein mehr als ein Fluss und eine Lebensader für die Menschen an seinen Ufern: Er
ist ein Symbol. Immer wieder wurde er instrumentalisiert – für die deutsche Einheit, die gegen Frankreich erkämpft und
verteidigt werden musste; für Frankreich,
hinter dessen „natürlicher Grenze“ es
Schutz vor Deutschland erhoffte. Doch
der Rhein ist längst zur Brücke geworden,
Deutsche und Franzosen miteinander verbindend.
Red.
Ein deutsches, aber auch ein
französisches Nationalsymbol
Dass Flüsse für Regionen wie für Staaten
eine besondere Bedeutung haben und
dies immer wieder hervorgehoben wird,
ist kaum überraschend. Zumal wenn sie
schiffbar sind und als Verkehrswege geradezu eine Lebensader darstellen, wird ihre
Bedeutung indes oft übersteigert, so dass
bis in Dichtung und Malerei hinein – von
der hohen Kunst bis hin zum Kitsch – man
bestimmte Gebiete oder deren wichtigste
Städte mit den großen Flussläufen identifiziert. Der Tiber und Rom, die Seine und
Paris, die Themse und London, die Spree
und Berlin, die Moldau und Prag, die
Donau und Wien (wenn auch diese Metropole nicht allein) – dies alles sind Identifikationen, die wir im Kopf fast automatisch vornehmen, da sie durch Gedichtwie Liedgut bis hin zum „Schlager“, durch
Gemälde wie Postkarten usw. seit Generationen im allgemeinen Bewusstsein verankert sind. Einigen Flüssen ist zusätzlich ein
Symbolgehalt zugewachsen, von dem sich
sogar nationale Identifikationen ableiten.
Dies gilt für Wolga und Don im Hinblick
auf Russland, für die Weichsel im Hinblick
auf Polen, für die Donau im Hinblick auf
deren meiste Anrainer. In besonderem
Maße gilt es für den Rhein.
Dieser mit über 1300 km längste Strom im
westlichen Mitteleuropa, dessen Stromgebiet mit mehr als 220 000 qkm fast der
Fläche der alten Bundesrepublik gleichkommt, ist im Laufe der letzten beiden
Jahrhunderte zu einem doppelten Nationalsymbol geworden, zum deutschen wie
zum französischen, beides allerdings in
recht unterschiedlicher Weise und zudem
aus recht verschiedenen Ursachen. Dem
werdenden deutschen Nationalgefühl
galt er gewissermaßen als Herzschlagader,
dem französischen neben Meeresküsten,
Pyrenäen und Alpen als eine der „natürlichen Grenzen“, Vorgeschichte und Entwicklung beider Auffassungen gilt es hier
nachzugehen. Ausgeklammert bleibt dabei die – sicherlich ebenfalls interessante –
Problematik der Bedeutung des Rheins für
die Selbstvergewisserung der beiden übrigen Anrainerländer, der Schweiz und der
Niederlande, die bei der auf die deutschfranzösische Problematik bezogenen Betrachtung des Rheinsymbols fast durchweg vernachlässigt wird. Insbesondere für
die Niederländer besitzt der Rhein eine
ähnlich immense – wirtschaftliche wie
symbolhafte – Bedeutung wie für die
Deutschen, worüber diese sich mit der für
die großen Nationen Europas geradezu
typischen Missachtung ihrer jeweiligen
kleineren Nachbarn immer wieder hinweggesetzt haben. Doch dieses Thema
muss einer anderen Abhandlung vorbehalten bleiben. Da der Rhein aber auch
eine gewisse Symbolkraft für die europäische Bewegung seit dem Zweiten Weltkrieg besitzt, soll hier jedoch wenigstens
kurz darauf hingewiesen werden.
Gebietsansprüche, aus der
Geschichte hergeleitet
„Zweimal schufen die Deutschen den
Rhein: aus dem Dämmer der Vorzeit . . .riss
unser Kampf mit den Römern ihn zum ersten Male ans Licht, in einem Augenblick,
wo die Welt der Götter zu sinken begann
und das Reich des Christus seine frühesten
lieben Schatten warf. Heute, da die tröstliche Flamme langsam erlischt, schafft der
Dichter den Rhein zum zweiten Male und
ballt die jahrhundertelang gesammelten
Kräfte zu neuer Gestalt. Inmitten dieser
Wendepunkte zweier Jahrtausende liegt
die größte staatliche Schöpfung der Deutschen: das Heilige Reich, das vom Rhein
seinen Ursprung nahm, in ihm seine
nährende Mitte hatte, an ihm seinen Untergang fand – wo bleibt da Raum für den
,gallischen‘ Rhein? Die Vergangenheit
kannte ihn nicht, und die Zukunft wird ihn
noch weniger kennen.“ 1
Diese Sätze stehen am Anfang des Vorworts zu einem 1923 erschienenen „Lesebuch“ über Äußerungen aus der Vergangenheit, die die deutsch-französische
Rheinproblematik betreffen. Als sie niedergeschrieben wurden, bestand für die
junge deutsche Republik, die sich nach
wie vor „Deutsches Reich“ nannte, die
Gefahr nicht nur der Abtrennung der
Rheinlande, sondern auch der Unterwerfung des Ruhrgebiets unter die Botmäßigkeit Frankreichs. Bereits kurz nach dem
Ende des Ersten Weltkriegs hatte es so
ausgesehen, als könnte das Gebiet westlich des Rheins von Deutschland abgetrennt und entweder Frankreich zugeschlagen bzw. zwischen Frankreich
und Belgien aufgeteilt oder aber in einen halb selbständigen Pufferstaat zwischen Deutschland und diesen beiden
Nachbarn umgewandelt werden. Im Ver-
sailler Vertrag hatte man dann lediglich
die dauernde Entmilitarisierung und die
zeitweilige Besetzung des Rheinlands
durch fremde Truppen fixiert. Die Gefahr
der Abtrennung wurde erst im Herbst
1925 durch den Vertrag von Locarno gebannt.
In diese Zeit der Ungewissheit fallen weitere Veröffentlichungen von z.T. renommierten Historikern, in denen die Zugehörigkeit des Rheingebiets (einschließlich des rechten Oberrheintals zwischen
Lauterburg-Weißenburg und Mülhausen)
aus der Geschichte hergeleitet wurde.
Dies traf weniger für das von dem Kölner
Archivar herausgegebene Werk „Die
Rheinprovinz 1815–1915. Hundert Jahre
preußischer Herrschaft am Rhein“ 2 zu, das
sich mehr mit dem Verhältnis zwischen
Preußen und dem ihn zugehörigen Teil
des Rheinlands beschäftigte, als für das
von Aloys Schulte betreute Werk „Tausend Jahre deutscher Geschichte und Kultur am Rhein“, das als Begleitband zur
„Jahrtausend-Ausstellung in Köln“ (zum
Gedenken an die Eingliederung Lothringens in das deutsche Königreich durch
Heinrich I. im Jahre 1925) erschien,3 die
Entwicklung seit 1871 allerdings weitgehend ausklammerte. Die Beschäftigung
mit der Vergangenheit dieses Raumes lag
vor allem darin begründet, französische
Gebietsansprüche, die aus der Geschichte
hergeleitet wurden, zu widerlegen bzw.
zurückzuweisen.
Der Mythos von jahrhundertelangem
Streben Frankreichs nach der
Rheingrenze
Bezeichnend hierfür war das zweite Kapitel des Vorworts von „Stimmen des Rheines“ mit dem Titel „Die Ohnmacht und
der Feind“:
„Solange das Heilige Römische Reich
deutscher Nation in der rheinischen Mitte
gefestet war, herrschte Jahrhunderte Frieden an seiner westlichen Grenze .. . Seit
aber die feste rheinische Mitte zu wanken
begonnen, haben unzählige Kriege, Verträge und Friedensschlüsse vergeblich versucht, die Ruhe Europens wiederherzustellen, und Frankreich vor allem stieß
immer von neuem die verteilten Gleichgewichte aus den kaum beruhigten Schalen,
um sich neue Gebiete aus unserem Stromland zuzumessen und über alle die Herrschaft an sich zu reißen.“ 4
In recht problematischer Weise wird hier
eine kontinuierliche Geschichte französischer Rheinpolitik seit dem Untergang der
Staufer postuliert, bei der sich die Deutschen stets in Verteidigungsstellung befunden hätten. Es erübrigt sich, das alles
im Einzelnen darzustellen, da die Forschung über diese Geschichtssicht längst
71
Das Niederwald-Denkmal bei Rüdesheim in Hessen (1883 eingeweiht), gebaut nach Entwürfen des Dresdner Bildhauers
J. Schilling 1874–1883. „Die pathetisch aufgereckte Figur der Germania misst 10 1/2 m in der Höhe, 7 m im Hüftumfang und ist 604 Zentner schwer. Sie, wie auch die 7 m hohen Nebenfiguren Krieg und Friede und die figurenreichen Hochreliefs sind größtenteils aus Kanonenmetall gegossen. Gekostet hat das Denkmal fast 1 200 000 Mark, die zu zwei Dritteln durch Sammlungen aufgebracht wurden.“
(Willi Hermanns: „Der schöne deutsche Rhein“, Berlin o.J., S. 69 f.).
Auf dem Sockel sind die Strophen des Liedes „Die Wacht am Rhein“ angebracht, gedichtet 1840 von Max Schneckenburger
(1819–1849) aus Talheim bei Tuttlingen:
Foto: dpa-Bildarchiv
Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein,
wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
fest steht und treu die Wacht am Rhein.
Durch Hunderttausend zuckt es schnell,
und aller Augen blicken hell:
Der deutsche Jüngling, fromm und stark,
beschirmt die heil’ge Landesmark.
Lieb Vaterland . . .
Auf blickt er, wo der Himmel blaut,
wo Vater Hermann niederschaut,
und schwört mit stolzer Kampfeslust:
„Du Rhein, bleibst deutsch, wie meine Brust!“
Lieb Vaterland . . .
72
Und ob mein Herz im Tode bricht,
wirst du doch drum ein Welscher nicht,
reich wie an Wasser deine Flut,
ist Deutschland ja an Heldenblut.
Lieb Vaterland . . .
Solang ein Tröpfchen Blut noch glüht,
noch eine Faust den Degen zieht,
und noch ein Arm die Büchse spannt,
betritt kein Welscher deinen Strand.
Lieb Vaterland . . .
Der Schwur erschallt, die Woge rinnt,
die Fahnen flattern in dem Wind.
Am Rhein, am Rhein, am deutschen Rhein,
wir alle wollen Hüter sein!
Lieb Vaterland . . .
ihr Urteil gesprochen hat.5 Danach ist die
Politik des französischen Königtums gegenüber dem Römisch-Deutschen Reich
erst mit der Umklammerung durch die
habsburgischen Territorien unter Karl V.
(Niederlande, Elsass, Freigrafschaft Burgund [Franche-Comté], Spanien) in eine
spannungsreiche Phase getreten. Es ging
dabei – wie beim Erwerb der weltlichen
Herrschaftsgebiete der Bischöfe von Metz,
Toul und Verdun (1552) bzw. der kaiserlichen Rechte im Elsass (1648) – um die
Sicherung der französischen Ostgrenze,
wobei man sich aus strategischen Gründen an den größeren Flussläufen (Maas,
Mosel, dann Oberrhein) orientierte.
Diese ursprünglich defensive Politik ging
unter Ludwig XIV. in eine Expansions- und
Eroberungsphase über, die erst mit den
Friedensschlüssen von Rijswijk (1697) und
Utrecht (1713) ein Ende fand. Die 1735
vereinbarte (1768 realisierte) Abtretung
des Herzogtums Lothringen an die Krone
Frankreichs erfolgte gewissermaßen durch
Gebietsaustausch, da der mit der habsburgischen Erbtochter Maria Theresia verheiratete letzte lothringische Herzog dafür
das Großherzogtum Toskana erhielt. Das
gegen Großbritannien und Preußen gerichtete Bündnis zwischen Versailles und
Wien von 1756 leitete sogar eine Phase
ausgesprochen guter Beziehungen zwischen dem Reich und seinem westlichen
Nachbarland ein, was u.a. daran deutlich
wird, dass die im Elsass verbliebenen Rechte deutscher Fürsten nicht angetastet wurden und man sich entlang der recht kompliziert verlaufenden Grenze von Lothringen zum Reich um Begradigungen durch
friedlich ausgehandelten Gebietsaustausch
bemühte. Diese Tradition wurde im Übrigen zwischen Preußen bzw. Bayern einerseits und Frankreich andererseits nach
1815 wieder aufgenommen, als man sich
in gemeinsamen Kommissionen, die jahrelang arbeiteten, über die Festlegung des
genauen Grenzverlaufs einmal von Lauterburg am Rhein bis Ormesheim östlich
von St. Ingbert sowie von Saargemünd
(Sarreguemines) an der Saar bis Perl an
der Mosel verständigte. Ähnliches galt für
den neuen Grenzverlauf zwischen Frankreich und Baden nach den Grenzveränderungen durch die von Tulla initiierte
Rheinkorrektion.
Vorangegangen war eine gewaltige Aufwallung nationaler Emotionen, für die das
berühmte Buch von Ernst Moritz Arndt
„Der Rhein, Teutschlands Strom, aber
nicht Teutschlands Gränze“ von 1813, dessen Titel im 19. Jahrhundert fast ein geflügeltes Wort war, ein gutes Beispiel darstellt. Es ging hier – auf dem Höhepunkt
des Befreiungskriegs gegen Napoleon –
um die künftige Grenzziehung eines wie
immer gearteten neuen deutschen Staatsgebildes zu Frankreich. Nach dem Sieg in
der „Völkerschlacht“ von Leipzig hatte
der österreichische Staatskanzler Metternich dem französischen Kaiser einen ehrenvollen Frieden und die Beibehaltung
der seit 1797 bestehenden Rheingrenze
angeboten, wenn er auf seine Vorherrschaft in Deutschland verzichtete. Den
deutschen Patrioten ging es aber nicht nur
um die Rückgewinnung des seinerzeit an
Frankreich gefallenen linksrheinischen
Gebiets, sondern auch um den Wiedererwerb des Elsasses, vor allem um den der
1681 von Ludwig XIV. gewaltsam annektierten Reichsstadt Straßburg. Jedoch gingen die Siegermächte, die nach Napoleons Abdankung mit dem neuen französischen König Ludwig XVIII. am 30. Mai
1814 den (ersten) Pariser Frieden schlossen, über derartige Forderungen weise
hinweg. Denn nicht nur hatte sich die elsässische Bevölkerung im Laufe der Revolutionszeit und der Herrschaft Napoleons
besonders stark mit der französischen Nation zu identifizieren begonnen, es erschien den Siegern bei der Wiedereinsetzung der Bourbonen auch als dringend
geraten, diese nicht mit unzumutbaren
Gebietseinbußen zu belasten. Daher erhielt Frankreich im Wesentlichen die
Grenzen, die es vor dem Ausbruch der Revolutionskriege besessen hatte (im zweiten Pariser Frieden vom November 1815
nach Napoleons Hundert-Tage-Abenteuer, wurde der Grenzverlauf etwas berichtigt, d.h. z.B. in der Pfalz von der Queich
zur Lauter etwas nach Süden verschoben,
so dass die Stadt Landau an Bayern fiel).
Die Forderung nach der Rheingrenze
ließ sich instrumentalisieren
Für die meisten Franzosen indes galten die
alten/neuen Grenzen fast das gesamte 19.
Jahrhundert hindurch als nationale Schande. Sie zu revidieren, war eines der vordringlichen außenpolitischen Ziele, weniger während der Bourbonenrestauration
als während der Julimonarchie und des
zweiten Kaiserreichs. Die große Krise des
Jahres 1840, die durch gegensätzliche Interessen der europäischen Großmächte im
Vorderen Orient ausgelöst wurde und fast
zum Krieg zwischen ihnen geführt hätte,
brachte denn auch die erste große publizistische Auseinandersetzung um den
„deutschen“ und den „französischen“
Rhein. Darauf ist noch einzugehen. Wie
aber kam es zum französischen Anspruch
auf die Rheingrenze?
Der französische Humanismus mit seiner
Caesar-Rezeption hatte bereits gelegentlich darauf hingewiesen, dass das antike
Gallien im Osten vom Rhein begrenzt gewesen sei, und diese Grenzziehung auch
für Frankreich in Anspruch genommen.
Politisch umgesetzt wurden solche Stimmen kaum. 1648 jedoch hatte die Außenpolitik der beiden großen französischen
Premierminister des 17. Jahrhunderts,
Richelieus und seines Nachfolgers Mazarin, mit dem Erwerb der habsburgischen
Herrschaftsrechte im Elsass den Herrschaftsbereich der französischen Krone
endlich bis zum Oberrhein ausgedehnt,
auch wenn dieses in sich sehr komplizierte
Territoriengeflecht noch anderthalb Jahrhunderte in vielfältiger Weise mit dem Römisch-deutschen Reich verzahnt blieb. Immerhin war es gelungen, sich zwischen die
spanisch beherrschten Territorien zwischen Mittelmeer und Ärmelkanal zu
schieben und die Nachschublinien für die
spanischen Truppen zu blockieren. Weitere Landstriche entlang dieses Flusses zu erwerben misslang in der Folge und wurde
schließlich aufgegeben. Erst ab 1792,
während der Revolutionsjahre, begann
die Rheinproblematik die französische
Öffentlichkeit intensiver zu beschäftigen.
Die spätere Nationalhymne, die Marseillaise hieß ursprünglich Chant de guerre de
l’armée du Rhin und war für die im Elsass
stehenden Truppen gedichtet und komponiert worden. Ging es hierbei noch um
die Verteidigung der elsässischen Rheinlinie, so wurde mit dem Fluss bald wesentlich mehr verbunden, nämlich dass er
ganz zur Grenze des erneuerten Frankreichs werden solle. Jedoch wurde dieser
Gedanke zunächst weniger durch Franzosen vertreten als durch deutsche Emigranten, die sich besonders „national“ gebärdeten und – mit anderen aus dem Ausland
nach Frankreich geeilten Intellektuellen –
die Lehre von den „natürlichen Grenzen
Frankreichs“ kreierten. Als solche wurden
neben den Gestaden von Ärmelkanal, Atlantik und Mittelmeer die Pyrenäen, die
Alpen und der Rhein betrachtet. Während
gemäßigte Politiker auch nach der Eroberung der Rheinlande, Belgiens und Savoyens um die Jahreswende 1792/93 davor
warnten, sich diese Doktrin zu eigen zu
machen, griffen die Girondisten sie auf,
nutzten sie als Mittel zum Aufheizen der
nationalen Stimmung in der zeitweilig
prekären Kriegslage des Jahres 1793 und
setzten sie als außenpolitische Leitlinie
durch. Damit folgten sie einigen übereifrigen Generälen, die sich – hingerissen
von ihren Erfolgen – ganz der Idee einer
Vergrößerung Frankreichs hingaben. Bezeichnend hierfür ist die Haltung des Generals Custine, der sich – vor Mainz stehend – im Dezember 1792 in einem Brief
an den französischen Außenminister
Lebrun zu der Äußerung verstieg:
„Si le Rhin n’est pas la limite de la République, elle périra“ 6.
In der Folge billigte der Nationalkonvent
die Einverleibung der eroberten Gebiete,
von denen das vormals zum Reich gehörige Rheinland neben den österreichischen
Niederlanden (Belgien) den größten Teil
bildete, in das französische Staatsgebiet.
Die Friedensschlüsse von Campo Formio
(1797) und Lunéville (1801) legten die
Rheingrenze schließlich fest. Unter Napoleon gelang die Integration der rheinischen Wirtschaftseliten, die vom großen
französischen Markt profitierten, in das
Empire ziemlich mühelos, und ihre Eingliederung in das preußische, bayerische
und hessen-darmstädtische Staatsgebiet
war in den ersten Jahrzehnten nach 1815
angesichts des vor allem in Berlin und
München vorwaltenden konservativen
Geistes eine überaus schwierige Angelegenheit. Westlich des Rheins begann für
viele fortschrittlich Gesinnte das andere,
nämlich das liberal gesinnte Deutschland,
dessen Führungsschichten sich Frankreich
näher fühlten als den Staaten, denen sie
angehörten. Um so wichtiger war es, den
Rhein zum Nationalsymbol, zur Herzschlagader eines – wie immer gearteten –
Deutschlands emporzustilisieren.
Im Dichterwettstreit,
hüben wie drüben
Eine gute Gelegenheit dazu bot die Krise
des Jahres 1840.7 Die französische Politik
steuerte zeitweilig einen Kriegskurs, und
73
in der Öffentlichkeit wurden Forderungen
nach der Rheingrenze laut. In Deutschland führte das zu äußerst heftigen Reaktionen. Auf poetischem Gebiet waren die
bekanntesten das 1871 vertonte Gedicht
des Württembergers Max Schneckenburger „Die Wacht am Rhein“ und das
„Rheinlied“ des in Bonn tätigen Juristen
Nikolaus Becker:
„Sie sollen ihn nicht haben,
den freien deutschen Rhein,
ob sie auch wie die Raben
sich heiser nach ihm schrein.“
das vier Jahre später von Heinrich Heine in
„Deutschland, ein Wintermärchen“ grausam verspottet wurde; der Rhein spricht
hier (Caput V):
„Wenn ich es höre, das dumme Lied,
dann möchte ich mir zerraufen
den weißen Bart, ich möchte fürwahr
mich in mir selbst ersaufen.“
Dennoch boten die – jedenfalls in der
ersten Strophe – ziemlich eingängigen
Verse national gesinnten Kreisen die Möglichkeit, sich für ein Symbol zu begeistern,
an dem sich der Widerstand gegen französisches Expansionsbestreben und die
Schwärmerei für ein Preußen entzündeten, das auf britisches Verlangen hin 1815
die Aufgabe erhalten hatte, am Rhein
Frankreich mit in Schach zu halten, und
auf das sich mit der Zeit immer mehr nationale Hoffnungen richteten. Bezeichnenderweise erhielt Becker vom preußischen König für sein Gedicht eine Belohnung von immerhin 1000 Talern. Die französische Antwort ließ denn auch nicht auf
sich warten. Alfred de Musset dichtete
1841 provozierend: „Nous l’avons eu,
votre Rhin allemand . . .“ 8, und im poetischen Wettstreit verklangen fast ungehört
die Verse der „Marseillaise de la paix“
Alphonse de Lamartines, die man zum
Motto der deutsch-französischen Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg hätte
erheben können:
„Roule libre et superbe entre tes larges
rives,
Rhin, Nil de l’Occident, coupe des nations!
Et des peuples assis qui boivent tes eaux
vives
emporte les défis et les ambitions!“ 9
Mit diesem Dichterwettstreit war der
Rhein zum doppelten Nationalsymbol geworden: Herzschlagader versus natürliche
Grenze.
„Kölner Dom – der freie Rhein“
Diese Emporstilisierung hatte in Deutschland tiefere, wenn man es so ausdrücken
will „kulturgeschichtliche“ Wurzeln. In
der Sagen- und Mythenwelt spielte der
Rhein vor allem seit der Romantik eine
wichtige Rolle, wenn man nur an die Wiederentdeckung des Nibelungenstoffs oder
an die Volkstümlichkeit von Heines „Loreley“ denkt. Der Rhein galt als Wiege deutscher Größe im Mittelalter, wie sie hinsichtlich der gotischen Architektur 1772
bereits Goethe in seinem kurzen Artikel
„Von deutscher Baukunst“ im Hinblick auf
das Straßburger Münster herausgestellt
hatte. Bedeutsamer war die schließlich
breite Bewegung, die sich für die Vollendung des Kölner Doms einsetzte: er
wurde zum ersten, ja eigentlichen deut74
schen Nationaldenkmal erklärt:
„Deutscher Bau am deutschen Strom,
Großer Vaterlandsgedanke!
Bauen wir den Kölner Dom!
Straßburgs Münster baut der Franke.
Dass man nicht sein Glück vergesse,
müssen Fest und Denkmal sein:
Gutenberg – die freie Presse,
Kölner Dom – der freie Rhein“,
dichtete 1842 Ludwig Uhland, und Georg
Herwegh reimte zur gleichen Zeit:
„Dir, deutscher Strom, den weiten Gruß!
Von freien Alpen kommt der Fluss,
um deutsches Land zu frein;
kann ich sein Rauschen recht verstehn,
so heißt’s: Ich will ihn fertig sehn,
den Dom zu Köln am Rhein.“ 10
Das Dombauwerk wie der größte deutsche Strom als Symbol nicht nur der deutschen Einheit, sondern auch der Freiheit in
Deutschland, die beide nur gegen Frankreich errungen werden könnten, das war
die Botschaft, die diese Gedichte verkündeten. Dazu passte, dass die breit angelegte Darstellung über das deutsche Mittelalter des Berliner Professors Wilhelm
von Giesebrecht „Geschichte der deutschen Kaiserzeit“, deren erster Band 1855
erschien, auch mit Seitenhieben auf die
französische Angriffslust, so in recht anachronistischer Form anlässlich eines Aufstands gegen Otto I. durch fränkische und
lothringische Adlige im Jahre 939, über
die es heißt:
„Sie scheuten sich nicht auch Frankreich,
damals wie immer des deutschen Reichs
schlimmster Feind, in den inneren Zwiespalt mit hineinzuziehen.“ 11
Vom Kölner Dom waren indes auch französische Reisende – erinnert sei nur an
Victor Hugo – beeindruckt, wenn sie auch
die Inanspruchnahme eines im gotischen,
also in Frankreich entwickelten Stils für
ein „deutsches“ Bauwerk befremden
musste.
Hermann der Cherusker und
Vercingetorix
Denn auch in Frankreich beschwor Napoleon III. angesichts der innenpolitischen
Konflikte, die er in den sechziger Jahren
zu meistern hatte, die Geschichtssymbolik.
Dem „Deutschen“ Hermann (= Arminius)
dem Cherusker, für den man sich seit 1838
um ein Riesenmonument im Teutoburger
Wald bemühte (das 1875 vollendet
wurde), entsprach in Frankreich der Gallier Vercingetorix, der auf Betreiben des
Kaisers 1865 auf dem Standort der ehemaligen Festung Alesia (bei Alise SainteReine in der Bourgogne) erhielt, das mit
durch das Hermannsdenkmal inspiriert
war und die Inschrift trug:
„La Gaule unie, formant une seule nation,
animée d’un même esprit, peut défier le
monde.“ 12
Um so mehr wurde die Erinnerung an Vercingetorix angesichts der inneren Zerrissenheit nach 1871 beschworen, und man
verwies auf die Bedeutung Hermanns für
die Deutschen, von dem manche sogar behaupten, sein Denkmal stehe am Rhein.13
Dort aber war inzwischen ein ebenso gewaltiges Monument im Bau, das die nationale Bedeutung des Rheins beschwören
sollte.
Das Niederwald-Denkmal
Bereits während des deutsch-französischen Krieges und dann unmittelbar nach
dem Sieg über Frankreich, der die Reichsgründung bescherte, wurden in breiten
Kreisen darüber nachgedacht, ein Denkmal zu errichten, das nicht nur die Niederlage des „Erbfeindes“, sondern auch die
wiedergewonnene deutsche Einheit versinnbildlichen sollte. Nach anfänglichen
Überlegungen, es an der Nahe oder der
Saar aufzustellen, entschied man sich
dafür, es am Rhein – dem nun wieder zu
seinem größten Teil deutschen Strom – zu
tun, und wählte als Standort den Niederwald gegenüber von Bingen. Das Niederwald-Denkmal14, das 1883 eingeweiht
wurde, trug auf einem gewaltigen Sockel,
den u.a. allegorische Standbilder des Krieges und des Friedens sowie Reliefs über
den Abschied und die Heimkehr der siegreichen Krieger schmückten und auf dem
die fünf Strophen der „Wacht am Rhein“
angebracht waren, ein Kolossalstandbild
der Germania mit dem Schwert in der linken und der Kaiserkrone in der erhobenen rechten Hand. Auf dem in der Mitte
vorspringenden kleineren Sockel saßen
zudem die allegorischen Figuren von
Rhein und Mosel. Die Grundsteinlegung
erfolgte 1877 im Beisein Kaiser Wilhelms I.;
in dem aus diesem Anlass verfassten Festgedicht hieß es u.a.:
„Dort blinkt der Strom, gar oft begehrt
vom Nachbarvolk in tollem Treiben,
doch Antwort gab das deutsche Schwert:
der Rhein soll ewig deutsch verbleiben!
. . . Er (d.h. der Kaiser), der erbaut der Einheit Dom,
er weiht den Stein mit Hammerstreichen
zum Monument am deutschen Strom,
zu Deutschlands stolzem Ehrenzeichen.“15
Ähnliche Tendenzen verkörperten das
1897 enthüllte Standbild Wilhelms I. am
sogenannten Deutschen Eck, der Moselmündung in den Rhein in Koblenz sowie
das Projekt eines Bismarck-Denkmals bei
Bingerbrück. Die trutzigen Monumente
am Rhein symbolisierten die deutsche Einheit und den Willen, den Fluss künftig vor
jeglichen französischen Expansionsbestrebungen zu schützen, wie denn überhaupt
das neue Reich einen wesentlichen Teil
seiner inneren Bindekräfte aus der Gegnerschaft zu Frankreich ableitete, die seit
der Angliederung Elsass-Lothringens unüberbrückbar geworden zu sein schien.
Die Rheinsymbolik schlug sich in zahlreichen Gedichten und Festspielen, Kunstwerken und verkitschten Alltagsgegenständen nieder, die das Bewusstsein, mit
der Wiedergewinnung des ganzen Rheins
sei die deutsche Einheit vollendet, in alle
Köpfe tragen sollten.16
Die Grenze zwischen „Zivilisation“
und „Barbarei“
Französischerseits ging es bis zum Sieg im
Ersten Weltkrieg weniger um die Rheingrenze der Zeit um 1800 als um die Wiedererlangung der 1871 abgetretenen Territorien. Statt des Rheins beschwor man
bei nationalen Anlässen eher die „blaue
Linie des Vogesenkamms (la ligne bleue
des Vosges)“.17 Dennoch schwang bei
allen Verlautbarungen, in denen man die
Rückgliederung von „Elsass-Lothringen“
forderte, die Rheinsymbolik mit, und im
Hochgefühl des Sieges von 1918 dachte
man wiederum an die Grenzen der napoleonischen Zeit. In der französischen
Rheinideologie wurde der Fluss nicht nur
zur Grenze zwischen Frankreich und
Deutschland, sondern auch zu der zwischen dem römisch geprägten „zivilisierten“ Europa unter französischer Führung
und der von Preußen-Deutschland repräsentierten „Barbarei“. Nur die rheinländischen Deutschen waren nach dieser Auffassung Teil des fortgeschrittenen Europas. Dies bildete die ideologische Begründung entweder für eine Angliederung an
Frankreich oder für die Schaffung eines
autonomen, aber faktisch von Paris aus
gelenkten rheinischen Staates, der sich
freilich angesichts des Widerstands im
Rheinland selbst, aber auch angesichts
der divergierenden Auffassungen in London nicht durchsetzen ließ. Dies gilt im
Übrigen auch für ähnliche Bestrebungen
der französischen Politik nach dem Zweiten Weltkrieg, als das neue Land Rheinland-Pfalz zunächst mit der gleichen Absicht aus der Taufe gehoben wurde, sich
aber aus dem nach dem Willen der amerikanischen und der britischen Besatzungsmacht geschaffenen westdeutschen Bundesrepublik nicht herauslösen ließ.
Der Rhein und sein deutsches Flussgebiet
wurden einerseits zur Zentralregion der
neuen Bundesrepublik, die sich durch die
Erfolgsgeschichte im gesamtdeutschen
Bewusstsein als ideales Staatswesen verwurzelte. Damit gewann der Rhein eine
neue Art von nationalem Symbolgehalt,
wenn man etwa die Westwendung der
Bonner Republik kritisierte und sie – auch
wegen des nun gegenüber stärkeren Gewichts des Katholizismus – eher abschätzig als „rheinische Republik“ bezeichnete.
Der Rhein wurde andererseits aber auch
zum Symbol für die deutsch-französische
Annäherung und damit für die Integration innerhalb der durch die römischen
Verträge von 1957 geschaffenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die sich in
ihren Anfangsjahren bewusst in der Tradition des Karolingerreichs sah. Sie beruhte
– vor allem nach dem Elysée-Vertrag von
1963 – auf der Abstimmung der politischen Ziele zwischen Paris und Bonn, so
dass – was „beiderseits des Rheins“ angestrebt wurde – für die gesamte Gemeinschaft verbindlich werden konnte. Mit
den verschiedenen Erweiterungen der Europäischen Gemeinschaft und der Bildung
einer „Europäischen Union“ ist diese Sicht
nicht ganz hinfällig geworden. Der Rhein
ist nach wie vor Symbol, inzwischen aber
für gemeinsames Handeln zweier früher
verfeindeter Nationen, auch wenn dieses
sich nicht immer leicht herstellen lässt.
Zum Symbol der deutsch-französischen Annäherung geworden
Vereinzelt gab es aber bereits in der Zwischenkriegszeit Stimmen, die auf die
Brückenfunktion des Rheins und der
rheinländischen Kultur zwischen den beiden Nationen hinweisen. Hierzu gehörten
vor allem elsässische Schriftsteller, die
geistig im französischen wie im deutschen
Kulturkreis wurzelten. Die politischen
Zwänge des Kalten Krieges und der von
Washington auf Westeuropa ausgeübte
Druck führten schließlich dazu, dass man
sich auf solche Ideen zu berufen begann.
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Literaturhinweise
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6
Friedrich Wolters/Walter Elze, Stimmen des Rheines.
Ein Lesebuch für die Deutschen, Breslau 1923, S. 11.
Erschienen 1917 in Köln.
Düsseldorf 1925. Das Vorwort datiert vom 22. April.
Autoren des Bandes waren neben dem Herausgeber
u.a. Max Braubach, Paul Clemen und Franz Steinbach.
Wolters/Elze, Stimmen . . . (wie Anm. 1), S. 30.
Vgl. dazu den Überblick von Hans Boldt, Deutschlands hochschlagende Pulsader. Zur politischen Funktion des Rheins im Laufe der Geschichte, in: ders. u.a.
(Hg.), Der Rhein. Mythos und Realität eines europäischen Stromes, Köln 1988, S. 27–34.
„Wenn der Rhein nicht die Grenze der Republik wird,
wird sie untergehen.“ Vgl. bei Jacques Godechot, La
Grande Nation. L’expansion révolutionnaire de la
17
France dans le monde de 1789 à 1799, Paris 21983,
S. 72. Die Wurzeln des französischen Grenzdenkens
behandelt Daniel Nordman, Des limites d’Etat aux
frontières nationales, in: Pierre Nora (Hg.), Les lieux
de mémoire, Teil II: La nation, TB-Ausgabe Paris 1997,
Bd. 1, S. 1125–1146.
Zum Gesamtzusammenhang jetzt: Winfried Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung,
1830–1878 (= Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, Bd. 6), Paderborn 1999,
S. 287–301, vor allem auf S. 298f.
„Wir hatten ihn, euren deutschen Rhein . . .“
„Fließe frei und prächtig zwischen deinen weiten
Ufern, Rhein, du Nil des Abendlandes, Trinkkelch der
Nationen! Und von den Menschen, die sich an dir niedergelassen haben und dein lebendiges Wasser trinken. Schwemme die Herausforderungen und den
Ehrgeiz hinweg!“
Vgl. die Anthologie von Markus Klein (Hg.), Der Kölner Dom. Ein literarischer Führer (= Insel TB, Bd.
2226), Frankfurt-Leipzig 1998, S. 86 f. u. 89. Über die
Vollendung des Bauwerks vgl. auch Nicola BorgerKeweloh, Die mittelalterlichen Dome im 19. Jahrhundert, München 1986, passim.
W. von Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, Bd. 1: Gründung des Kaisertums, 5. Aufl., Berlin
1881, S. 264.
„Das vereinte Gallien, das eine einzige Nation bildet,
von einem gleichartigen Geist beseelt ist, kann der
Welt die Stirn bieten“; vgl. Michael Erbe, Der Caesarmythos im Spiegel der Herrschaftsideologie Napoleons I. und Napoleons III., in: Reinhard Stupperich
(Hg.), Lebendige Antike. Rezeptionen der Antike in
Politik, Kunst und Wissenschaft der Neuzeit (= Mannheimer historischen Forschungen, Bd. 6), Mannheim
1995, S. 135–142, auf S. 140. Zu den beiden Monumenten auch Charlotte Tacke, Denkmal im sozialen
Raum. Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 108), Göttingen 1995.
ebd., S. 33.
Dazu Lutz Tittel, Das Niederwalddenkmal 1871–1883,
Hildesheim 1979, sowie Hans Jürgen Wünschel, Die
Wacht am Rhein. Ein Fluss als Politikum, in: Richard
W. Gassen/Bernhard Holeczek (Hg.), Mythos Rhein,
Teil I: Ein Fluss – Bild und Bedeutung, Ludwigshafen
1992, S. 297–319, und Wolfgang Bickel, Die Germania
des Niederwalddenkmals, in ebd., Teil 2: Ein Fluss in
Kitsch und Kommerz, S. 61–75.
Vgl. das Bild bei Tittel, Niederwalddenkmal . . ., S. 186.
Dies zeigt eindringlich der Artikel von Wilhelm
Kreutz, Der umkämpfte Rhein. Zur deutschen und
französischen Rheinideologie zwischen 1870 und
1930, in: Mythos Rhein Teil 2 (wie Anm. 12), S. 43–57.
Vgl. auch ders., Französische Rheintheorie und französische Kulturpolitik im besetzten Rheinland nach
dem Ersten Weltkrieg, in: Tilman Koops/Martin Vogt
(Hg.), Das Rheinland in zwei Nachkriegszeiten,
1919–1930 und 1945–1949. Ergebnisse einer Tagung
des Bundesarchivs in der Universität Trier vom 12. bis
14. Oktober 1994, Koblenz 1995, S. 19–37.
Näheres bei: Jean Marie Mayeur, Une mémoire-frontière: L’Alsace, in: Nora (Hg.), Lieux de mémoire (wie
Anm. 6), S. 1147–1169.
Süßwasser ist auf der Erde ein kostbarer
Rohstoff, der nicht für alle Menschen
gleichmäßig verfügbar ist. Zwei Drittel der
Menschheit leben in Gebieten, auf die nur
ein Viertel der globalen Niederschläge
herabregnet. Schon heute leiden etwa
drei Prozent der Weltbevölkerung (170
Millionen Menschen) an Wassermangel
und weitere fünf Prozent an Wasserknappheit. Wassermangel herrscht, wenn
weniger als 1000 Kubikmeter Frischwasser
je Einwohner zur Verfügung stehen; Wasserknappheit besteht, wenn das verfügbare Frischwasser je Einwohner 100 bis 1700
Kubikmeter beträgt. In Zukunft wird sich
die Situation noch weiter verschärfen,
denn Wasser wird aufgrund des Bevölkerungswachstums immer knapper. Im Jahr
2050 werden bereits 18 Prozent der Weltbevölkerung an Wassermangel und 24
Prozent an Wasserknappheit leiden. Die
Folge ist nicht nur Wassernot, sondern
auch die steigende Gefahr, dass wasserarme Länder Kriege um das Lebens-Elixier
entfachen könnten.
Globus
75
Ein Natureingriff ungewöhnlichen Ausmaßes
Die Rheinkorrektion
Die Umgestaltung einer Kulturlandschaft im Übergang zum Industriezeitalter
Von Christoph Bernhardt
Dr. Christoph Bernhardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner bei Berlin und Lehrbeauftragter an
der TU Berlin.
Die Begradigung des Oberrheins durch
den badischen Ingenieur Tulla war ein folgenreiches Unternehmen in mehrfacher
Hinsicht: Sie verkürzte den Schifffahrtsweg, schützte die betroffenen Landstriche
besser vor Hochwasser, führte zu erheblichem Landgewinn und schuf einen dauerhaften Grenzverlauf zu Frankreich und zur
Pfalz. Von Anfang an aber wurde auch
über die nachteiligen Folgen gestritten: die
Verlagerung (und Verschärfung) des Hochwassers rheinabwärts, die Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen ganzer
Dörfer und Städte, die Beeinträchtigung
der Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren.
Ein Markstein war die Rheinkorrektion
aber auch für den Weg Badens in die Moderne: Hier wurde das Know-how gewonnen für das spätere Großunternehmen Eisenbahnbau, zukunftsweisende Ausbildungsgänge (TH Karlsruhe!) und Institutionen wurden geschaffen, zudem ein modernes Enteignungsrecht, das ebenfalls
dem Eisenbahnbau zugute kam.
Red.
Für den Modernisierungsprozess
in Baden war es ein Meilenstein
Die Begradigung des Oberrheins im 19.
Jahrhundert, mit der der Fluss zwischen
Basel und Worms um 81 km verkürzt
wurde, war bereits in den Augen der Zeitgenossen ein Natureingriff ungewöhnlich
großen Ausmaßes. Gerade in jüngerer
Zeit findet er unter Wissenschaftlern und
Praktikern weit über den Wasserbau hinaus wieder vermehrt Interesse. Inzwischen sollen mit dem von der baden-württembergischen Landesregierung 1988 verabschiedeten
Integrierten
Rheinprogramm unter anderem die damals begonnene Trockenlegung der Auen und die
Hochwasserschutzmaßnahmen teilweise
wieder rückgängig gemacht werden. Dies
deutet auf eine kritische Neubewertung
der Oberrheinbegradigung hin.
Unabhängig davon lassen sich an diesem
Wasserbaugroßprojekt aber auch wichtige Stationen auf dem Weg Badens vom
absolutistisch regierten Agrarstaat des
späten 18. Jahrhunderts zum konstitutionell verfassten Industriestaat des frühen
20. Jahrhunderts im Spiegel der Landschafts- und Umweltgeschichte anschaulich nachvollziehen. Die erste Vermessung
des zwischen 1803 und 1815 neu gebildeten Großherzogtums Baden, die dauer76
hafte Festlegung der Landesgrenze mit
Frankreich, die vergleichsweise frühe Abschaffung der feudalen Flussbaufron
schon 1816 und das noch vor dem Beginn
des Eisenbahnbaus 1835 verabschiedete
badische Enteignungsgesetz bildeten nur
einige dieser Stationen. Sie gehörten,
ebenso wie der Aufbau einer staatlichen
Tiefbauverwaltung, die Eröffnung der
Polytechnischen Schule (der späteren TH
Karlsruhe) 1825 und die Ermöglichung der
Großschifffahrt auf dem Oberrhein durch
die sogenannte Niederwasserregulierung
nach 1876 zu den wichtigen Marksteinen
eines grundlegenden gesellschaftlichen
Modernisierungsprozesses in Baden. Die
Begradigung des Rheins trieb diesen Modernisierungsprozess mit voran, wie sie
umgekehrt von ihm gefördert wurde. Die
zahlreichen Widerstände und Hindernisse,
mit denen der unermüdliche Motor des
Vorhabens, der bis heute als „Bändiger
des Rheins“ in Baden weithin bekannte
Oberstleutnant Johann Gottfried Tulla
(1770–1828) und seine Mitstreiter zu
kämpfen hatten, weisen manche Parallele
zu den Kontroversen in späteren gesellschaftlichen Modernisierungsschüben auf.
Wasser
lautet der lapidare Titel von Heft 1,
1996 der Zeitschrift „Der Bürger im
Staat“. Es stellt eine ideale Ergänzung zum Heft „Der Rhein“ dar. Für
die Leser unserer Zeitschrift haben
wir noch einen geringen Vorrat: Sie
können das Heft bei der Landeszentrale noch anfordern
Hochwasserschutz, Landgewinnung,
aber auch feste Grenzen als Ziel
Die Vorgeschichte der Begradigung des
Rheins reicht zurück ins letzte Drittel des
18. Jahrhunderts. Die Markgrafschaft
Baden, im staatsrechtlich zersplitterten
„Flickenteppich“ des deutschen Südwestens gelegen, und Frankreich als die
beiden größten Anliegerstaaten am
Oberrhein sahen seit dieser Zeit vor allem
aus zwei Gründen dringenden Handlungsbedarf für umfassende „Flussbauarbeiten“. Zum einen verschärften sich die
Hochwasserprobleme im Verlauf des 18.
Jahrhunderts insbesondere im mittleren
Teil des Oberrheins zwischen Kehl und
Speyer, wo eine Reihe von Dörfern in den
1750er Jahren von schweren Überschwemmungen heimgesucht wurde und
1778 ein weiteres Hochwasser große Verwüstungen anrichtete.1 Zum anderen rief
die ständige Verlagerung des Flussbettes
permanente Streitigkeiten sowohl zwischen badischen und französischen Gemeinden um das Eigentum an Ufergrundstücken und um die – zu dieser Zeit über
2000! – Rheininseln hervor. Zugleich erwuchsen daraus Konflikte zwischen den
beiden Staaten um den Verlauf der Rheingrenze. Da als Grenze der „Thalweg“, das
heißt die Hauptabflussrinne galt, diese
sich aber laufend änderte, waren regelmäßige „Flussbefahrungen“ von „gemischten Kommissionen“ nötig, um den
Grenzverlauf neu festzulegen.
Grundlegende Rahmenbedingungen für
die Planung und praktische Durchführung
der Begradigung setzten die unterschiedlichen naturräumlichen Gegebenheiten
am südlichen und am nördlichen Teil des
Oberrheins: Während die südliche „Furkationszone“ von Basel bis nördlich von
Straßburg ein etwa zwei bis drei Kilometer breites Abflussgebiet mit zahlreichen
Armen und Inseln aufwies, durchfloss der
Rhein in der nördlichen „Mäanderzone“
zwischen Karlsruhe und Mannheim in
einem geschlossenen Bett, aber in weit
ausholenden Schlingen die Rheinniederung.
In der Übergangszone zwischen diesen
unterschiedlichen naturräumlichen Gebieten, in der Gegend nördlich von Kehl und
Straßburg, unternahmen die beiden Staaten nach dem Hochwasser von 1778 einen
gemeinsamen Anlauf, um wenigstens an
den hauptsächlich gefährdeten Stellen
Flussbaumaßnahmen durchzuführen. Damit sollte ein besserer Hochwasserschutz
erreicht, aber auch die Landgewinnung
gefördert und die Staatsgrenze fixiert
werden. Diese Initiative wurde jedoch
bald, unter anderem durch unterschiedliche Auffassungen über die Finanzierung
und Organisation der Arbeiten, gebremst.
Umstritten blieb unter anderem, ob sie
unter Heranziehung von Fronarbeitern
aus den Gemeinden oder durch staatlich
bezahlte Lohnarbeit erfolgen sollten. Die
Auswirkungen der Französischen Revolution brachten die Pläne dann ganz zum
Stillstand. Der ausgehende Absolutismus
gab dem Rheinbau aber auch zukunftsweisende Impulse: Auf französischer Seite
wurde die für jeden größeren Eingriff unabdingbare Vermessung des Flussgebietes
nach der modernen Methode der Triangulation unter Leitung des Ingenieurs Noblat
vorangetrieben, auf badischer Seite begann der aufgeklärte Markgraf Karl
Friedrich (1718–1811) mit dem Ausbau
einer Straßen- und Wasserbauverwaltung.
Diese sollte unter Ihrem späteren Leiter
Tulla zum Träger und Promotor der Rheinbegradigung im 19. Jahrhundert werden.
Quelle: Gallussen/Schenker: Die Auen am Oberrhein, Basel 1992, S. 5 (Copyright: Novartis International AG)
Abb. 1: Der Verlauf des Rheins zwischen Basel und Mainz um 1800.
Und noch in einer anderen Hinsicht wurzelte die spätere Begradigung im wirtschaftsund
gesellschaftspolitischen
Ideengut des 18. Jahrhunderts: Handelte
es sich doch dabei ganz wesentlich um ein
großes Landgewinnungsvorhaben, eines
der umfangreichsten unter den vielen
zeitgenössischen
„Meliorationsprojekten“, die der den physiokratischen Lehren
anhängende Markgraf Karl Friedrich als
wichtiges „Förderprogramm“ für den
Ackerbau und das Staatswesen insgesamt
betrachtete.
Unter dem Einfluss
des napoleonischen Frankreich
Die politisch so bewegte Zeit zwischen
1800 und 1815 kann in der Rückschau als
die Vorbereitungsphase für das Unterneh-
men gelten, in der die wesentlichen politisch-institutionellen Bedingungen für die
schließlich 1817 begonnene Durchsetzung
gelegt wurden. Alle grundlegenden Entwicklungen standen, im Positiven wie im
Negativen, unter dem Diktat oder zumindest dem beherrschenden Einfluss des napoleonischen Frankreichs. So bestimmte
der Frieden von Lunéville (1801), dass der
Rhein künftig sowohl Staats- wie auch Eigentumsgrenze sein sollte. Diese Regelung führte dazu, dass die betroffenen
Gemeinden sich gegen die geplanten
Rheindurchstiche vehement und letztlich
auch erfolgreich wehrten, da ihnen das infolge der Durchstiche auf die andere Flussseite fallende Gelände ersatzlos verloren
gegangen wäre.
Sehr förderlich hingegen wirkten für den
Rheinbau die von Frankreich dekretierten
bzw. inspirierten Staatsgebiets- und Verwaltungsreformen, aber auch der Wissenstransfer im Wasserbau von den Pariser
Elitehochschulen nach Baden. Die Verwaltungsreformen auf französischer Seite,
wo ab 1808 der Magistrat du Rhin die Alleinzuständigkeit für alle Rheinbauarbeiten besaß, waren dabei weniger umfangreich und bedeutsam als die in Baden
durchgeführten. Dort ging zwischen 1803
und 1815 unter dem Einfluss Napoleons
aus der alten Markgrafschaft, die um zahlreiche kleinere, früher selbständige Territorien ergänzt wurde, das Großherzogtum Baden als neuer Mittelstaat im deutschen Südwesten mit einem geschlossenen Staatsgebiet entlang des Rheins hervor. Zu den zahlreichen für die Förderung
der Staatsintegration notwendigen Maßnahmen gehörte – neben der höchst be77
deutsamen Rechtsvereinheitlichung –
auch die maßgeblich von dem Oberst Tulla
durchgeführte triangulatorische Vermessung des Staatsgebietes. Diese Entwicklungen schufen erst die Voraussetzungen
für Rheinbauarbeiten in großem Stil.
Mit dem parallel dazu vorangetriebenen
Auf- bzw. Ausbau der ab 1823 direkt dem
Finanzministerium unterstellten, zentralisierten „Tiefbau-“Verwaltung, wurde ein
effektiver Apparat wie auch eine einflussreiche Lobby zur Überwindung der zahlreichen Widerstände gegen die Rheinbegradigung geschaffen. Die 1807 von Tulla
gegründete Ingenieursschule in Karlsruhe
lieferte als erste Ausbildungsstätte für den
Ingenieurnachwuchs qualifiziertes Personal.
Das Grundkonzept einer einheitlich
durchgeplanten Begradigung im großem
Stil wurde in dieser Zeit in Kreisen französischer Wasserbauingenieure diskutiert.
Tulla, der für längere Zeit zu Fortbildungsaufenthalten an der Pariser Ecole polytechnique gewesen war, propagierte die
Idee 1809 erstmals öffentlich. Damit
waren konzeptionell und institutionell die
entscheidenden Schritte über die früheren kleinräumigen Einzelmaßnahmen hinaus getan, die immer mit negativen Nebenfolgen für Nachbargemeinden verbunden gewesen waren. Noch allerdings
konnte der „erste Spatenstich“, der 1812
in der Gemeinde Knielingen – heute ein
Stadtteil von Karlsruhe – geplant war,
nicht ausgeführt werden. Zunächst
blockierten die Einwohner der Gemeinde
aus den oben genannten Gründen den
Beginn der Arbeiten, ehe in der Folgezeit
die kriegerischen Auseinandersetzungen
ihre Realisierung verhinderten.
Unter den Bedingungen der
konstitutionellen Monarchie musste
das Parlament gewonnen werden
Die territorialen Veränderungen am Ende
der napoleonischen Zeit führten dazu,
dass das französische Staatsgebiet nur
noch zwischen Lauterburg, südlich von
Karlsruhe, und Basel den Rhein berührte.
Trotz mancher Bemühungen um eine
Fortsetzung der gemeinsamen Arbeiten
an diesem Teil des Flusses stagnierte die
Kooperation mit Frankreich auf längere
Zeit. Die früheren, nicht realisierten Vorhaben für die Korrektionen nördlich von
Karlsruhe wurden dagegen in Zusammenarbeit zwischen Baden und den Behörden
Bayerns, zu dem das dortige linksrheinische Gebiet jetzt gehörte, seit 1817 zügig
realisiert. Die Überschwemmungen und
die europaweite Hungerkatastrophe im
gleichen Jahr verschärften den akuten
Handlungsbedarf, und so wurden auch
die anhaltenden Widerstände der Knielinger Bauern gebrochen, wozu es allerdings
eines Militäreinsatzes bedurfte.
Die Rahmenbedingungen für die Begradigung hatten sich inzwischen nicht nur in
außenpolitischer Hinsicht grundlegend
geändert. Die Abschaffung der Flussbaufron und die Einführung einer Flussbausteuer für die Anliegergemeinden
1816 brachte die Auflösung der feudalen
Arbeitsverfassung beim Rheinbau, der
fortan in Tagelöhnerarbeit durchgeführt
78
wurde. Noch weit bedeutsamer war, dass
die Wasserbaubehörden bzw. das ihnen
vorgesetzte Ministerium seit der Einführung der konstitutionellen Monarchie
in Baden 1818 die geplanten Arbeiten und
die anfallenden erheblichen Kosten fortan
nicht mehr nur verwaltungsintern rechtfertigen mussten, sondern auch in den
Haushaltsberatungen der Zweiten Kammer der Landstände. Unter diesen Umständen musste in ganz anderem Maße als bis
dahin um öffentliche Akzeptanz für die
Rheinbegradigung geworben und ihr
volkswirtschaftlicher Nutzen nachgewiesen werden. Tulla stellte sich dieser Herausforderung, hydrologisches Expertenwissen
mit detaillierten Finanzkalkulationen zu
verbinden, in seiner bekannten Schrift
Über die Retification des Rheins von 1825;
und mehrere seiner Nachfolger, insbesondere der spätere badische Finanzminister
Max Honsell, sollten es ihm nachtun.
1817 erfolgte der erste Durchstich
Ab 1817 wurden innerhalb weniger Jahre
die ersten sechs Durchstiche im Gebiet
nördlich von Karlsruhe ausgeführt. Entscheidend für die zunehmende Akzeptanz
gegenüber der Korrektion und ausschlaggebend für deren Fortsetzung wurde es,
dass beim nächsten großen Hochwasser
von 1824 die Gemeinden im Gebiet der
Durchstiche von Überschwemmungen
weitgehend verschont blieben. Damit verwandelten sich die früheren Widerstände
vor Ort in vorbehaltlose Zustimmung. Ja,
mehr noch: Die Behörden erhielten zahlreiche Bittschriften oder sogar Forderungen anderer Gemeinden, die ebenfalls
entsprechende Durchstiche in ihrem Gebiet durchgeführt wissen wollten. Zum
Teil allerdings mischten sich in diese Forderungen auch Vorwürfe, dass die bis
dahin ausgeführten Durchstiche vermehrt
Erdreich abgeschwemmt und so die 1824
aufgetretenen Überschwemmungen fluss-
abwärts eher noch verschärft hätten. In
der Tat förderte die Entscheidung, zunächst im südlichen Teil des badischenpfälzischen Oberrheins mit den Arbeiten
zu beginnen und nicht, wie es die zeitgenössische Wasserbaulehre empfahl
„von unten her“ in der Gegend zwischen
Speyer und Mannheim mit ihrem zudem
geringeren Gefälle, dort zunächst die
Überschwemmungsgefahr.4
Um einen Durchstich auszuführen und
eine Flussschlinge abzuschneiden, wurde
das betreffende Gebiet vermessen, der geplante neue Flusslauf abgesteckt und ein
Leitgraben ausgehoben, in den man den
Fluss umleitete. Aus diesem Leitgraben
schwemmte er dann mit eigener Kraft so
lange weiteres Erdreich ab, bis das neue
Flussbett ausgebildet war und befestigt
werden konnte. Der für den neuen Flusslauf im Gebiet eines Durchschnittes
benötigte Geländestreifen, der zuvor vielfach als Ackerland genutzt worden war,
konnte ohne weiteres eine Größe von
3 km mal 300 m besitzen.
Der genaue Ablauf der Arbeiten auf den
Großbaustellen an den Durchstichen, wo
zeitweise bis zu 3000 Tagelöhner in Handarbeit gleichzeitig tätig waren, ist noch
kaum erforscht. Die einzelnen Teilabschnitte wurden in einem Versteigerungsverfahren an private Unternehmer vergeben und von diesen unter Aufsicht der
Behörden ausgeführt. Von den Rahmenbedingungen der Durchführung und der
Arbeitsorganisation her erscheint die
Rheinbegradigung rückblickend betrachtet als Probelauf für die Herausforderungen des Eisenbahnbaus gut zwanzig Jahre
später.
Die wirtschaftlichen
Interessen ganzer Dörfer und Städte
waren betroffen
Nachdem die ersten Unruhen um die Korrektion nach einigen Jahren abgeklungen
Tulla, der „Bändiger des wilden Rheins“
Johann Gottfried Tulla (20. 3. 1770 bis
27. 3. 1828) wurde nach einer vielseitigen
ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung
und ausgedehnten Studienreisen, die ihn
u. a. zur Bergakademie Freiberg und nach
Paris führten, 1797 als Ingenieur in den
Dienst des badischen Markgrafen KarlFriedrich übernommen. 1807 gründete er
die Ingenieurschule in Karlsruhe, die 1825
in der Polytechnischen Schule aufging,
dem Vorgänger der TH Karlsruhe. 1817
wurde Tulla zum Ober-Wasser- und
Straßenbaudirektor ernannt, 1823 wurde
ihm die gesamte badische Wasser- und
Straßenbauverwaltung unterstellt. Neben
seinen Arbeiten für die topographische
Vermessung Badens, für die Einrichtung
eines Pegelsystems am Rhein und seinen
Nebenflüssen sowie für den Straßenbau
widmete er sich ganz der Begradigung des
Oberrheins. Mit zwei Denkschriften von
1812 und 1822 sowie der 1825 publizierten Abhandlung Über die Rectification des
Rheins…2 begründete, berechnete und rechtfertigte er das Vorhaben. Dem bald
nach seinem Tod schon legendären „Bändiger des wilden Rheins“ wurden bereits im
19. Jahrhundert zwei Denkmäler errichtet, noch heute tragen zahlreiche Straßen und
öffentliche Gebäude in Baden seinen Namen.3
wären, kam es in den Jahren ab 1825 zu
neuen, heftigen Kontroversen um die von
Baden und Bayern in einer Konvention
vom 14. 11. 1825 vereinbarte Fortsetzung
der Korrektion. Vorgesehen war die Ausführung von 16 weiteren Durchschnitten.
Dass auch jetzt wieder Konflikte um die
Pläne aufbrachen, war insofern nicht
verwunderlich, als ein Natureingriff von
derartiger Dimension die Standorteigenschaften zahlreicher Privatgrundstücke,
aber auch ganzer Dörfer und Städte tiefgreifend veränderte. Damit waren handfeste wirtschaftliche Interessen berührt,
aber auch Grundsatzfragen der Stadtund Regionalentwicklung und natürlich
nicht zuletzt die Hochwasserproblematik.
Während, wie schon angedeutet, die Dörfer am Rhein nach anfänglichen Protesten
die Fortsetzung der Korrektion forderten,
lehnten Mannheim und Speyer sie für das
Gebiet des nördlichen Oberrheins rundweg ab. Insbesondere für Speyer hätte der
geplante Durchschnitt eine Verlagerung
des Rheins von der Stadt weg bedeutet
und damit der Kommune den Status als
Hafenstadt sowie die Vorteile aus der
Schifffahrt und dem Handel genommen.
Dass beide Städte letztlich – im Gegensatz
zu den opponierenden Dorfgemeinden –
ihre Interessen durchsetzen und die Ausführung der Korrektion in ihrem Umkreis
verhindern konnten, kennzeichnet die
unterschiedliche Durchsetzungsfähigkeit
von Städten und Landgemeinden bzw.
von Bauern und Bürgertum gegenüber
den Plänen der Wasserbaubehörden.
Wirtschaftliche Interessen der Städte
konnten die Pläne der Wasserbaubehörden für Flussbegradigungen im 19. Jahrhundert entscheidend beeinflussen, wie
auch spätere Beispiele weiter flussabwärts
zeigen. So hat z.B. Preußen ähnliche Konzepte für den Niederrhein, die um 1850
unter den Wasserbauexperten der Rheinanliegerstaaten diskutiert wurden, auch
mit Blick auf die Interessen seiner Städte
kategorisch abgelehnt.
Ein Enteignungsgesetz zur Konfliktregulierung wurde notwendig
Ein weiteres Motiv für die Widerstände
der Speyrer und Mannheimer Bürger war,
dass sie erhebliche Wertverluste ihrer
Grundstücke befürchteten, was wiederum
auch den beiden Staaten nicht gleichgültig sein konnte. Baden musste schon mit
den Dorfgemeinden im Gebiet der zuerst
ausgeführten Durchschnitte einen langen,
zähen Kampf um Entschädigungszahlungen für solche Werteinbußen von Grundstücken führen. Die gezahlten Summen
waren zunächst relativ großzügig bemessen, unter anderem um die Gemeinden
zur Aufgabe ihres Widerstandes zu bewegen. Ab 1826 wurden sie jedoch aus
Kostengründen erheblich heruntergesetzt. Diese Sparmaßnahme blieb natürlich nicht unwidersprochen, zumal das
Staatsministerium die Höhe der Entschädigungen weitgehend nach eigenem Ermessen festsetzen konnte. Die anhaltenden,
geharnischten Proteste der Gemeinden
gegen die als willkürlich kritisierten Festsetzungen führten schließlich zum Erlass
des badischen Enteignungsgesetzes von
1835, das im Falle der Nichteinigung der
Parteien eine gerichtliche Entscheidung
vorsah.5
Das verstärkte Hochwasserrisiko
flussabwärts führte zu außenpolitischen Verwicklungen mit Preußen
Die stärksten Widerstände gegen die
Fortsetzung der Korrektion nach 1825
resultierten jedoch aus der „Risikodebatte“ um die befürchtete Verschärfung
der
Hochwassergefahr
flussabwärts,
die sich über das ganze 19. Jahrhundert
hinzog. Diese Debatte konzentrierte sich
im Wesentlichen auf Befürchtungen über
eine steigende Hochwassergefahr für
das Gebiet zwischen Mannheim und Köln.
Ihre besondere Brisanz erhielten diese Befürchtungen dadurch, dass sie vor allem
von Preußen, aber auch von den Niederlanden geteilt wurden, die seit 1826
nachdrücklich ein Ende der Korrektion
verlangten. Damit drohten Baden nun
auch unangenehme außenpolitische Verwicklungen. Vor allem, so das Hauptargument Preußens, würden sich die Hochwasserspitzen des Rheins durch ihren
schnelleren Abfluss zeitlich denen der
Nebenflüsse annähern, sich damit quasi
addieren und jedenfalls „Engpassgebiete“ flussabwärts, wie vor allem vor
dem Binger Loch, regelmäßig überfluten. Tulla und seine Mitarbeiter bestritten zwar offiziell diese – von Tulla selbst
im internen Schriftverkehr als teilweise
zutreffend bezeichneten – Prognosen.
Die Widerstände der Bürger vor Ort und
von Seiten Preußens enfalteten jedoch,
so unterschiedlich motiviert sie auch
waren, zusammen genügend politischen
Druck, um noch zu Tullas Lebzeiten 1827
einen vorläufigen Baustop herbeizuführen.
Nach langen, zähen Verhandlungen der
Rheinanliegerstaaten einigte man sich
schließlich 1832 auf einen Kompromiss.
Dieser entsprach den Wünschen Mannheims und Speyers und wurde nach anfänglichem Widerstand auch von Preußen
und Hessen stillschweigend akzeptiert:
Die Flussschlingen im Gebiet dieser beiden
Städte wurden nicht durchschnitten und
damit eine Schädigung der Grundbesitzer
wie auch der Schifffahrts- bzw. Handelsinteressen der Städte vermieden. Preußen
seinerseits erwartete vom Erhalt des alten
Flussverlaufs, dass die gestiegene Hochwassergefahr, von der man weiterhin ausging, im Wesentlichen bereits in diesem
Gebiet vor dem „Engpass“ bei Mannheim
zu Überschwemmungen führen würden,
so dass die Gefahr für die preußischen
Gegenden flussabwärts entschärft wäre.
Baden und Bayern beurteilten diese Zusammenhänge als weniger brisant. Sie
waren im Übrigen gezwungen, eine einvernehmliche Lösung anzustreben. Die
noch zwischen 1825 und 1827 verfolgte
Strategie, Korrektionen auch gegen den
erklärten Willen der anderen Uferstaaten
durchzuführen, war nämlich seit Inkrafttreten der Mannheimer Schifffahrtsakte
von 1831 kaum mehr gangbar. Der Artikel
18 der Schifffahrtsakte verlangte explizit
die Zustimmung der anderen Rheinanliegerstaaten zu Korrektionsmaßnahmen.6
Landgewinne am südlichen Oberrhein förderten dort die Akzeptanz
Die zweite Phase der Rheinbegradigung
auf dem südlichen, dem badisch-französischen Abschnitt begann 1840, gut zwei
Jahrzehnte nach Ausführung der ersten
Durchschnitte. Den Startschuss setzte der
Vertrag zwischen Baden und Frankreich
vom 5. April 1840, der die über 20 Jahre
lang diskutierten und ausgemessenen
Grenzlinien festlegte. Die Staatsgrenze
blieb der Thalweg, der jährlich durch eine
gemischte Kommission festzulegen war,
die Eigentumsgrenzen wurden in einem
ausführlichen Protokoll festgehalten.7
Erstmals verpflichteten sich nun beide
Staaten vertraglich, nur noch Rheinbauarbeiten defensiver Natur durchzuführen.
Vor allem aber wurde ein gemeinsames
Regulierungsprogramm beschlossen. Entscheidend für die Einigung war wohl, dass
nun auch die französische Regierung die
Möglichkeit enormer Landgewinne gerade am südlichen Oberrhein sah. Seit diesem Jahr trat jährlich eine gemischte Kommission von Ingenieuren zusammen, um
über die Ausführung der einzelnen Bauabschnitte zu beraten.
Im Gegensatz zur nördlichen „Mäanderzone“ mussten in der südlichen „Furkationszone“ wegen des gänzlich anderen
Flussprofils kaum Durchstiche angelegt
werden. Zwar kam es dort infolge der Einengung des Flussbetts zur Abschwemmung einer Reihe kleinerer Inseln zwischen den zahlreichen Stromarmen, für
die die Anliegergemeinden als Eigentümer jedoch aus dem Verlandungsgebiet
entschädigt werden konnten. Diese Aussicht auf nicht unerhebliche Landgewinne
hat größere Proteste von Dorfgemeinden
am südlichen Teil des Oberrheins gar nicht
erst aufkommen lassen. Nicht nur, dass
hier kaum Durchschnitte durch wertvolles
Ackerland erfolgen mussten, sondern
auch, dass der Vertrag von 1840 das neu
gewonnene Land grundsätzlich den Uferanliegern, das hieß vor allem den Gemeinden zusprach, förderte die Akzeptanz
nachhaltig. So gewann zum Beispiel die
südbadische Gemeinde Istein, gelegen an
einer der Schifffahrt höchst gefährlichen
Stelle des Rheins, schon zwischen 1852
und 1861 8,7 ha Land, bis 1890 konnten
weitere 36 ha früheres Wiesen- und Waldland für den Ackerbau in Nutzung genommen werden. Die elsässischen Gemeinden, die über einigen Grundbesitz
auch am rechten Rheinufer verfügten, gewannen bis 1883 dort insgesamt über
450 ha Verlandungsfläche aus dem ehemaligen Flussgebiet.8
Negative Folgen für
Artenvielfalt und Fischerei
Im Gegensatz zu den Landgewinnen, die
im Mittelpunkt des Interesses aller Beteiligten standen, wurde der Rückgang und
Wandel in der Artenvielfalt von den Zeitgenossen zwar registriert, aber kaum diskutiert. Dass sich mit der Trockenlegung
der Auenlandschaft, bis dahin eines der
artenreichsten Ökosysteme Mitteleuropas, die Wasser- und Röhrichtvegetation
tiefgreifend veränderte und zahlreiche
79
Tierarten wie z.B. Biber, Schwarzstörche
und Fischadler verschwanden, erregte
noch weniger Aufmerksamkeit als die
Auswirkungen auf die Fischerei. Hier reduzierten natürlich die mit der Korrektion
bewirkten Trockenlegungen die Zahl und
die räumliche Ausdehnung der Laichplätze ganz einschneidend, und die höhere
Abflussgeschwindigkeit beeinträchtigte
die Wanderungs- und Lebensbedingungen der Fische. Vor allem die Bestände
an strömungsliebenden Arten wie Stör,
Meerforelle, Barbe und der begehrte
Lachs gingen in der Folgezeit zurück. Allerdings war die badische Regierung recht
erfolgreich in Ihren Bemühungen zum Erhalt des Lachses für die Fischer am Oberrhein. Seit 1841 schloss sie verschiedene
Verträge mit den anderen Anliegerstaaten zum Schutz der Lachse ab und förderte die Zucht unter anderem in einer staatlichen Zuchtanstalt. Dass die Berufsfischer
zum Teil an den Altrheinarmen sehr ertragreiche neue Standorte fanden und andererseits zeitweise Fischerdörfer in
großem Umfang Lohnarbeiter für die Korrektionsarbeiten am Rhein abstellten und
entsprechende Einnahmen erzielten, hat
die ökonomischen Folgelasten des Landschaftswandels sozusagen sozialverträglich abgefedert.9
In anderer Hinsicht haben die Dörfer am
Rhein noch stärker von den Korrektionen
profitiert. So konnten z.B. einige der als
erste von Durchschnitten betroffenen Gemeinden nach langjährigen Auseinandersetzungen schließlich im Umfeld der Revolution von 1848 die Zahlung erheblicher
Entschädigungssummen durchsetzen. Ein
ausgeprägtes Gewinnstreben verrät auch
die Strategie mancher Ufergemeinden am
südlichen Oberrhein, für ihr durch den
staatlichen Flussbau neu gewonnenes
Land eine besondere Entschädigung zu
verlangen, sobald der Staat es vorübergehend für weitere Flussbauten, z.B. zur
Lagerung von Baumaterialien, nutzen
wollte. Um solchen den Flussbau zusätzlich verteuernden Forderungen einen Riegel vorzuschieben, hat Baden mit einem
Gesetz von 1856 von allen durch Flussbauten erzielten Landgewinnen einen Uferstreifen von 300 Fuß, d.h 100 m Breite
grundsätzlich für sich in Anspruch genommen.10
Das zähe – und aus Sicht der Rheinanwohner recht erfolgreiche – Ringen um das
neugewonnene Land zeigt nur einen von
mehreren Teilaspekten des „Landhungers“
mit dem die Wasserbau-Ingenieure im Verlauf des 19. Jahrhunderts erhebliche Probleme bekamen. Die Behörden waren zunehmend konfrontiert mit „Einschnürungen der Fluthprofile, wie sie sich durch Zufahrten zu den Rheinbrücken, durch Festungswerke und Hafenanlagen ergeben
haben“ sowie mit zahllosen „Wünschen
und Anträgen auf Hinausrücken der Deiche gegen den Rhein, (...) auf Überbauung
der Vorländer u. dgl…“.11 Hatte man früher
das Überschwemmungsgebiet des Rheins
mit erheblichen Mitteln einzugrenzen versucht, sahen sich die badischen Behörden
nach dem Hochwasser von 1882 wieder zu
dessen Ausweitung veranlasst und legten
im Gebiet südlich von Straßburg die Uferbauten wieder niedriger.
80
Den Oberrhein schiffbar gemacht:
Max Honsell (10. 11. 1843– 1. 7. 1910) war
als Wasserbauingenieur, Direktor der badischen Wasser- und Straßenbaudirektion
(ab 1899) und Planer der „Regulierung“
des Oberrheins zwischen Straßburg und
Sondernheim für die Schifffahrt (ausgeführt ab 1907) ein kongenialer Nachfolger
Tullas. 1906 wurde er zum badischen Finanzminister ernannt. Honsell war in den
1860er Jahren noch als junger Ingenieur
bei den abschließenden Korrektionsarbeiten im Mannheimer Raum tätig und verteidigte das Werk Tullas in mehreren Veröffentlichungen gegen die heftige zeitgenössische Kritik. Er war maßgeblich an
der Einrichtung des badischen Zentralbureaus für Meteorologie und Hydrologie
(1883) beteiligt, der Pionierinstitution
der wissenschaftlichen Gewässerkunde in
Deutschland. Die von Honsell entworfene
Niederwasserregulierung verbesserte die
Schiffbarkeit des Oberrheins bis Straßburg entscheidend und machte die Realisierung
von Plänen zum Bau eines Kanals parallel zum Rhein zwischen Straßburg und Speyer
überflüssig. In seine Amtszeit als Finanzminister fallen eine Reform der Beamtenbesoldung und Sparmaßnahmen zur Sanierung des Staatshaushaltes.
Die Neuordnung der
Flussverläufe bescherte Mannheim
den Industriehafen
In den 1860er und 1870er Jahren wurde
die Korrektion mit einer Reihe bedeutender Teilprojekte zum Abschluss gebracht,
die wegen der früheren Kontroversen
teilweise jahrzehntelang aufgeschoben
worden waren. Dazu gehörten vor allem
der Altriper und der Friesenheimer
Durchschnitt südlich und nördlich von
Mannheim. Letzterer war Teil einer umfassenden Neuordnung der Flussverläufe
rund um Mannheim, bei der auch die Einmündung des Neckars in den Rhein verlegt wurde. Die mit dem Friesenheimer
Durchschnitt abgeschnittene Altrheinschlinge wurde in der Folgezeit zum Industriehafen Mannheims ausgebaut, der
den steilen wirtschaftlichen Aufstieg der
Stadt ganz wesentlich beförderte. Etwa
zur gleichen Zeit wie am Rhein kamen
auch die umfangreichen Korrektionsarbeiten an den Nebenflüssen zum Abschluss.
Die Hochwasserdiskussion
flammte nach Ende der Oberrheinkorrektion heftig auf
Exakt im Jahr 1876, als die Oberrheinkorrektion nach insgesamt fast sechzigjähriger Bauzeit mit der Durchführung der
Arbeiten am letzten Teilabschnitt bei
Istein erfolgreich abgeschlossen wurden,
flammten die Diskussionen über ihre
nachteiligen Folgewirkungen erneut auf.
Auslöser war das in diesem Jahr eintretende Hochwasser, dem 1882/83 ein noch
weit verheerenderes „Jahrhunderthochwasser“ am Rhein folgte. Die erregten öffentlichen Debatten, in denen vor allem
die Überschwemmungen am hessischen
Rhein vielfach als eine Folge der Korrektion flussaufwärts bezeichnet wurden, gipfelten in kontroversen Reichstagsdebat-
ten und 1883 in der Einsetzung einer
Kommission des Reichstages, die die
„Stromverhältnisse“ untersuchen und die
Vorwürfe klären sollte. Die führenden
Wasserbauexperten in der Nachfolge
Tullas inner- und außerhalb Badens, unter
ihnen der spätere Direktor der Wasserund Straßenbaudirektion und badische Finanzminister Max Honsell, sahen sich mit
einer weitverbreiteten, grundsätzlichen
Kritik an der Korrektion und am herrschenden System im Wasserbau insgesamt
konfrontiert. Diese Kritik ging so weit,
dass die Kompetenz der Fachleute
grundsätzlich in Zweifel gezogen und die
systematische Einbeziehung von Laien vor
Ort in die Entscheidungen über einzelne
Vorhaben gefordert wurde. Zeitweilig
war viel die Rede vom notwendigen Übergang zu einem neuen, „modernen Wasserbau“, der unter anderem den Verzicht
auf weitere Flussbegradigungen, die Anlage von Rückhaltereservoirs in den Bergen und einen Stopp der Abholzung der
Berghänge umfassen und an die Stelle der
„alten Lehre“ treten solle.12
Die badischen Wasserbaubehörden und
ihre Kollegen in den anderen Rheinanliegerstaaten reagierten auf die Hochwassererscheinungen und die geballte Kritik mit
einem ganzen Bündel an Maßnahmen,
die sich mittel- und langfristig als recht erfolgreich auch bei der Besänftigung der
öffentlichen Meinung erweisen sollten.
Dazu gehörten zunächst die unmittelbar
der Hochwasserprävention dienenden
Maßnahmen eines verstärkten Dammbaus, einer Ausweitung der Überflutungsräume und die Einrichtung eines telegraphischen Hochwassernachrichtendienstes.
Dabei bewährte sich eine kurz vor Eintritt
der wiederholten Hochwasser im Jahr
1875 durchgeführte Reorganisation der
Wasserbaubehörden, die den Flussbau
von den kleinräumigen Wasser- und
Straßeninspektionen abtrennte und drei
große Rheinbauinspektionen einrichtete.
Eine ausgesprochen positive Resonanz in
der Öffentlichkeit fanden die Publikationen über Verlauf und Ursachen der Hochwasser von Max Honsell, der auch als Mitglied der oben genannten Reichstagskommission deren Urteile wesentlich beeinflusste und die Redaktion des Schlussberichts übernahm.
Die bedeutsamste Initiative, die als Reaktion auf die Hochwasser und den Streit um
ihre Ursachen eingeleitet wurde, bildete
die Einrichtung des 1883 gegründeten badischen Zentralbureaus für Meteorologie
und Hydrographie. Das Büro war die erste
wissenschaftliche Zentralbehörde für Gewässerkunde im Deutschen Reich. Sie untersuchte in der Folgezeit grundlegende
hydrographische Fragen und Probleme
weit über Baden hinaus und publizierte
eine lange Reihe von Büchern dazu. Daneben initiierte das Büro unter anderem
eine Reform des Pegelwesens am Rhein,
gab die sehr populären täglichen Wetterberichte heraus und wurde zum Vorbild
ähnlicher Institutionen unter anderem in
Preußen und Österreich.
Von der Korrektion zu Regulierung:
um die Schiffbarkeit des Oberrheins
Bereits bald nach den letzten Arbeiten an
der von Tulla entworfenen Begradigung
begannen die ersten Planungen für eine
„Regulierung“ des Oberrheins, die manche Parallele zu dem Korrektionsvorhaben aufwies und diese in gewisser Hinsicht
vollendete. Die von Max Honsell und dem
elsässischen Wasserbaudirektor Willgerodt projektierte Regulierung setzte an
einem zentralen Problem an, das das Tullasche Projekt nicht gelöst, ja zum Teil
sogar noch verschärft hatte: die mangelnde Schiffbarkeit des Oberrheins für die
Großschifffahrt. Diese blieb oberhalb von
Mannheim aufgrund der zahlreichen, infolge starker Strömung ständig „wandernden“ Kiesbänke einerseits und einer
ungenügenden Tiefe der Fahrrinne bei
Niedrigwasser andererseits sehr gefährlich,
ja praktisch unmöglich. Es gab zwar Vorschläge, eine Vertiefung und Sicherung
der Fahrrinne mit Bauten im Fluss, den sogenannten Buhnen und Grundschwellen,
zu erreichen, die allerdings den wirtschaftspolitischen Zielen der badischen
Regierung entgegenliefen. Diese wollte
die beherrschende und gewinnträchtige
Stellung von Mannheim als Hauptumschlagplatz vom Schiff auf die Eisenbahn
erhalten.
Erst als Alternativpläne zum Bau eines
Kanals zwischen Straßburg und Speyer
bzw. Ludwigshafen, die insbesondere von
Straßburg und einem Speyrer Kanalkomi-
tee propagiert wurden, schon recht weit
gediehen waren, änderte die badische Regierung ihre Haltung. Nicht zuletzt wegen
seiner deutlich geringeren Kosten und
kürzeren Bauzeit wurde die Regulierung
der Kanallösung vorgezogen und schließlich ab 1907 durchgeführt. Sie erwies sich
als voller Erfolg: In der nunmehr tieferen
Fahrrinne verkehrten schon 1913 Schleppzüge nach Straßburg, das vorübergehend
zum neuen Endpunkt der Großschifffahrt
wurde, bevor diese in den folgenden Jahrzehnten weiter flussaufwärts bis Basel
vordrang. „Mit der Oberrheinregulierung
hat Honsell für den Wasserverkehr das geleistet, was Tulla durch seine Rheinkorrektion für die Landeskultur getan“, hob der
Biograph Honsells die beiden großen im
19. Jahrhundert entworfenen Flussbauunternehmen am Rhein und ihre Schöpfer
auf eine Stufe.13
Kernpunkte des Tullaschen Korrektionskonzeptes politisch wieder brisant geworden sind und in manchem eine Umkehr
und Revision seiner Grundintentionen
eingeleitet ist, so lässt sich daraus dennoch nicht automatisch eine uneingeschränkte Negativbilanz des Vorhabens
ableiten. Schon weil, um nur zwei Aspekte
zu benennen, das Projekt in den von Hungerkrisen und Hochwasserkatastrophen
geschüttelten Regionen zweifellos sozialpolitisch erfolgreich wirkte und dabei
dem Fluss noch erheblich größere Überschwemmungsflächen gelassen wurden
als bei den späteren Ausbaumaßnahmen
am Oberrhein – insbesondere beim Bau
des Rheinseitenkanals im 20. Jahrhundert –, scheint die Diskussion um die Bewertung der Oberrheinbegradigung noch
nicht entschieden.
Eine Bilanz
Einige Zahlen, die von Tullas Nachfolgern
nach dem Abschluss der Arbeiten am Ende
des 19. Jahrhunderts zusammengestellt
wurden, können die Größenordnung des
Vorhabens noch einmal summarisch veranschaulichen: Danach betraf die Korrektion von der Schweizer bis zur hessischen
Grenze insgesamt eine Überschwemmungsfläche von über 66 000 ha, von
denen bis 1883 knapp 19 000 ha höherwertig genutzt werden konnten als zuvor
(also z.B. als Ackerland statt als Wald). Von
den etwa 10 000 ha früherer Überflutungsfläche, die trockengelegt werden
sollten, waren bis zu diesem Zeitpunkt
bereits über zwei Drittel verlandet. Die
Wertverbesserung des Bodens wurde auf
34 bis 39 Mio. M. geschätzt. Die Investitionen in den Flussbau am Oberrhein waren
kaum präzise zu erfassen, lagen jedoch
mit Sicherheit deutlich höher als diese
Summe. Sie umfassten allerdings auch
langfristig wirksame Maßnahmen wie
etwa die Steindeckung der Ufer. Ein weiterer, noch weniger zu quantifizierender
Effekt war die unbezweifelbare Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse in den
Uferregionen, wo Malaria und Typhus
deutlich zurückgingen.14
Diese Zahlen wurden von den Zeitgenossen – sicher zu Recht – als Erfolgsbilanz des
Unternehmens interpretiert. Sie stehen in
einem gewissen Kontrast zu Stimmen aus
neuerer Zeit, die andere Aspekte wie
etwa den Rückgang der Artenvielfalt und
die Hochwassergefahr stärker betonen.
Wenn heute mit der Hochwasser-, aber
auch der Grundwasserfrage und dem
Problem der Überschwemmungsflächen
Literaturhinweise
1)
2)
3)
4)
5)
6)
7)
8)
9)
10)
11)
12)
13)
14)
Heinz Musall: Die Entwicklung der Kulturlandschaft
der Rheinniederung zwischen Karlsruhe und Speyer
vom Ende des 16. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
Heidelberg 1969, S. 151ff.
J. G. Tulla: Über die Rektifikation des Rheins, von seinem Austritt aus der Schweiz bis zu seinem Eintritt in
das Großherzogtum Hessen. Karlsruhe 1825.
Vgl. zur Biographie Tullas Hans Georg Zier: Johann
Gottfried Tulla. Ein Lebensbild, in: Badische Heimat
50, 1970, S. 379–465; Arthur Valdenaire: Das Leben
und Wirken des Johann Gottfried Tulla, in: Zeitschrift
für die Geschichte des Oberrheins N.F. Bd. 42 (1929),
S. 337–364 u. 588–616.
Vgl. Christoph Bernhardt: Zeitgenössische Kontroversen über die Umweltfolgen der Oberrheinkorrektion
im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte
des Oberrheins, 146. Bd. 1998, S. 293–320, hier S. 305f.
Henrik Froriep: Rechtsprobleme der Oberrheinkorrektion im Großherzogtum Baden (Diss. Jur. Mainz
1953, masch.), S.109ff.
Vgl. Bernhardt: Zeitgenössische Kontroversen, S.
306ff.
Max Honsell: Die Korrektion des Oberrheines von der
Schweizer Grenze unterhalb Basel bis zur Großh. Hessischen Grenze unterhalb Mannheim, insbesondere
der badische Anteil an dem Unternehmen, Karlsruhe
1885, S. 17.
Erich Unterseher: Istein – vom Fischerdorf zum Rebbau- und Bergbaudorf, in: Werner A. Gallusser/André
Schenker (Hgg.): Die Auen am Oberrhein. Ausmaß
und Perspektiven des Landschaftswandels am südlichen und mittleren Oberrhein seit 1800. Eine umweltdidaktische Aufarbeitung, Basel/Boston/Berlin 1992, S.
92–102, hier S. 92; Honsell: Die Korrektion, S. 68.
Götz Kuhn: Die Fischerei am Oberrhein. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtiger Stand, Stuttgart
1976, S. 72ff.
Froriep: Rechtsprobleme, S. 125ff.
Der Rheinstrom und seine wichtigsten Nebenflüsse
von den Quellen bis zum Austritt des Stromes aus
dem Deutschen Reich, hg. von dem Centralbureau für
Meteorologie und Hydrographie im Großherzogtum
Baden. Berlin 1892, S. 239.
Vgl. dazu R. Fuchs: Dr. ing. Max Honsell. Groß. Bad.
Baudirektor und Finanzminister, Karlsruhe 1912;
Bernhardt: Zeitgenössische Kontroversen, S. 313ff.
Fuchs: Dr. ing. Max Honsell, S. 66; vgl. auch ebd.,
S. 59ff.
Das Vorstehende nach Honsell: Die Korrektion,
S. 68ff.
81
Nicht nur eine historische Erinnerung
Die Regulierung des Bodensees:
eine alte Geschichte
Alte und aktuelle Probleme mit dem Hochwasser
Von Werner Konold
Prof. Dr. Werner Konold ist Leiter des Instituts für Landespflege an der Universität
Freiburg i. Br.
Das letzte große Hochwasser erlebte die
Bodensee-Landschaft um Pfingsten 1999.
Wochenlang standen weite Teile des
Ufers unter Wasser, Städte und Dörfer
wie auch Verkehrswege waren in Mitleidenschaft gezogen. Immer dann ist die
Versuchung groß, über Mittel und Wege
nachzudenken, den Abfluss in den Rhein
zu beschleunigen, den Bodensee zu „regulieren“, um den Wasserstand in den
Griff zu bekommen. Gleichzeitig könnte
so die Schiffahrt auf den Hochrhein ermöglicht und die Energiegewinnung verbessert werden. Nicht nur die Kosten, vor
allem auch ökologische Belange stehen
solchen ehrgeizigen Plänen entgegen. Die
Pläne sind alt, die Argumente auch. Red.
Nach dem letzten Hochwasser kam
die alte Diskussion wieder auf
„... die Städte und Dörfer an den Ufern
des Bodensees erfreuen sich . . . fast ausnahmslos guten Gedeihens; sie sind durch
Verkehrsmittel aller Art zu Wasser und zu
Land verbunden, Felder, Wiesen und
Weinberge, Gärten und Villenanlagen reichen fast überall bis an das Gestade . . .
Auch die alljährlich sich einstellende Erhebung des Seeniveau’s wird im allgemeinen
kaum als ein belangreicher Nachtheil
empfunden, weil die Ausdehnung der Bodenkultur, wie alle künstlichen Anlagen
an den Ufern durch diese periodischen
Anschwellungen seit Alter’s, ihnen angepasst sind.
Um so empfindlicher aber werden die Folgen, wenn die Anschwellung . . . einen
aussergewöhnlich hohen Stand erreicht.
Dann tritt der See über grosse Strecken
über seine Ufer aus, Gärten, Feld und Wiesen und die niedrigen Riedflächen werden
weithin überfluthet, das Wasser dringt in
die Keller und unteren Geschosse der Gebäude, der Verkehr ist vielfach gestört,
Orts- und Landstrassen kommen unter
Wasser, die Benützung der Hafenanstalten und Landungsplätze wird erschwert,
theilweise unmöglich . . .“.
Mit diesen Sätzen leitet Baurat Max Honsell, Mitglied der Grossherzoglich Badischen Ober-Direction des Wasser- und
Strassen-Baues, im Jahre 1879 seine Studie
„Der Bodensee und die Tieferlegung seiner Hochwasserstände“ ein. Er formulierte damit ein Problem, welches die Bodenseeanwohner seit langer Zeit beschäftigte. Die „lange Dauer solcher hoher See82
stände“ gestalte sich „zu einer für die
wirtschaftlichen und sanitären Verhältnisse der Anwohner . . . drückend fühlbaren
Calamität, deren Beseitigung oder doch
Minderung von ihnen lange ersehnt, nach
jedem bedeutenden Hochwasser von
neuem begehrt wird.“
Längst vergessene Geschichte? Kein
Thema mehr? Keineswegs! Im Jahre 1999
wurde von Pfingsten an die geschilderte
Situation einmal mehr für etliche Wochen
zur bitteren Realität für die Anwohner.
Und prompt wurden Stimmen laut, diesem Missstand ein für alle Mal ein Ende zu
bereiten. Es kamen – allerdings nicht in
der großen Öffentlichkeit diskutiert – zum
alten Problem alte Fragen und Argumente auf. Die Neue Zürcher Zeitung berichtet
am 26. 6. 1999 unter der Überschrift „Die
Bodensee-Regulierung wieder im Gespräch“ über diese „alte Idee“. Der Bodensee sei „der einzige der grossen
Schweizer Seen, der nicht reguliert werden“ könne. Ein im Bericht namentlich genannter „früherer Exponent der Hochrhein-Schiffahrt“ sei „überzeugt, dass es
ein Fehler war, die Idee zu begraben“. Das
„katastrophale Ausmass“ des aktuellen
Hochwassers wäre nicht zustande gekommen. Kantonale Beamte rieten – so der
Bericht –, man könne die Vor- und Nachteile erst durch „entsprechende Detailabklärungen“ einschätzen, andere äußerten
sich grundsätzlich ablehnend: „die Regulierung sei kein ernstzunehmender Hochwasserschutz, sondern nur ein altes Politikum . . .“. Immerhin bekam das „alte Politikum“ dadurch einen aktuellen politischen Anstrich, dass der Nationalrat Hansueli Raggenbass bei der schweizerischen
Bundesregierung eine Anfrage einbrachte, die nach den Möglichkeiten, den Folgen und Kosten einer Bodensee-Regulierung fragte1.
Wie man auch immer eine solche, von jeweils aktuellen Geschehnissen bestimmte
Diskussion einschätzen mag: Sie lenkt den
Blick auf offensichtliche Wiederholungen
in der Geschichte, sie lenkt ihn in jedem
Fall auf ein hochinteressantes Kapitel der
Wasserbaugeschichte und auf die Fragen
nach Kontinuität und Wandel von Wert-
Abbildung 1: Der Seerhein mit Rheinbrücke und Rheinmühle bei Konstanz im
Jahre 1575 vom Oberwasser aus gesehen.
Gut zu erkennen sind die beiden
„Streichwehre“, die das Wasser der Säge
zuführen. Aus Braun/Hogenberg.
vorstellungen und die Gewichtung von
Werten.
Die Meinung der Experten – damals
Für Max Honsell war in der bereits erwähnten Studie die Antwort auf die Frage
nach „Abhülfe des Uebels“ ganz klar
(Honsell 1879): man könne das Problem
nur durch eine „Aenderung des Seeregimes“ lösen. Dies habe schon im Jahre 1847
der sanktgallische Bauinspektor W. Hartmann angeregt, und zwar als Aufgabe
aller Uferstaaten. Etwa um die gleiche Zeit
habe sich auch der Ingenieur-Oberst H. Pestalozzi aus Zürich dazu geäußert. Unter
anderem habe dieser versucht nachzuweisen, dass „die in neuerer Zeit rascheren
Anschwellungen“ Folge der „stets fortschreitenden Verwitterung der Gebirge
. . . (und) . . . der sorglosen Waldwirthschaft im Hochgebirge . . .“ seien. Als ein
„künstlich geschaffenes Hinderniss für
den Seeabfluss“ habe dieser die damaligen (zur Zeit Honsells nicht mehr vorhandenen) Rheinmühlen in Konstanz erkannt. Eine Expertenkommission, bestehend aus dem königlich württembergischen Oberbaurat Etzel, dem graubündischen Oberingenieur La Nicca und dem
grossh. badischen Oberbaurat Sauerbeck,
befürwortete 1852 eine Tieferlegung der
Bodenseewasserstände und eine Rheinkorrektion, wies aber auch auf die Umsetzungsschwierigkeiten hin (Honsell 1879).
Immer stärker geworden war auch der
Druck von Seiten der Seeanwohner, was
1853 zu einer von Baden und vom Thurgau gemeinsam finanzierten Vermessung
des Rheins und des Untersees von Konstanz bis Stein führte.
Verschiedentlich war schon auf mögliche
Ursachen für die sich „rapid verschlimmerten Verhältnisse“ (Miller 1880) hingewiesen worden: Die Intensität der Rheinhochwasser (im Alpenrhein, Anm. d. Verf.) sei
größer geworden, und zwar „in Folge
sorgloser Waldwirthschaft“, was wiederum eine „Verwilderung“ des Rheines und
eine Aufhöhung des Flussbettes nach sich
ziehe. Die geplante Korrektion des Alpenrheins und die damit verbundene Beschleunigung des Zuflusses zum See würden die
Situation weiter verschärfen (Miller 1880).
– Als weiteres großes Problem habe man
früher die Kalktuffbänke am Ausfluss bei
Konstanz angesehen. Mittlerweile wisse
man jedoch, dass diese jeweils im Winter
wieder zerstört werden würden.
Lange waren die Rheinmühlen bei
Konstanz das Problem
Einen wirklichen Staueffekt hatten jedoch
die Brücke und die Rheinmühlen in
Konstanz gehabt. Im Jahre 938 (Honsell
1879; Grim 1995: 923) war eine erste hölzerne Brücke über den Rhein gebaut worden. Der Flussübergang wurde Anfang
des 13. Jahrhundert stromaufwärts verlegt, der dann ab 1418, beziehungsweise
1427/1437 mit einer nun „tauglichen“
Mühle kombiniert war. Die zahlreichen
Brückenpfähle und weitere Anbauten
zwischen den Brückenjochen bewirkten
einen Anstau des Sees, so dass für die
Mühle das nutzbare Gefälle erheblich erhöht wurde. Im Jahre 1540 wurden die
Brücke und die beiden Mühlengebäude
mit vier Rädern wegen Baufälligkeit und
wegen des unwirtschaftlichen Radstillstands sowohl bei Niedrig- als auch bei
Hochwasser abgebrochen. Bereits 1544
hatte man auf 105 Pfeilern eine neue
Brücke errichtet und wohl auch eine neue
Mühle. Nach einem Brand wurde letztere
wieder aufgebaut (Abbildung 1). Brücke
und Mühle brannten 1675 ab und wurden
wieder errichtet. Im Jahre 1856 schließlich
vernichtete ein weiterer Brand den
Mühlenkomplex, der danach nach Übereinkunft der Bodenseeuferstaaten nicht
wieder aufgebaut wurde (Honsell 1879,
Grim 1995).
„Es war ein bedeutendes Bauwerk, das bei
jenem Brande zu Grunde gegangen. Die
Brücke, auf die ganze Länge gedeckt, war
äusserst solide construirt; das an dieselbe
angebaute Mühlwerk enthielt 13 Mahlgänge, eine Stammholzsäge, Schleifmühle, Lohschneide und ein Walkwerk. Die
Wellbäume der mächtigen Wasserräder
waren zum Heben und zum Senken eingerichtet. Der Wasserbau der Mühle bestand aus zwei nahezu 100 m langen aus
Pfahlwerk und Steinpackung construirten
Streichwehren, aus festen Verwendungen
zwischen den Brückenjochen und gewaltigen Ziehschützen, hier Fallen genannt,
welche mittels Ketten und Sattelwellen
von der Brücke aus bewegt wurden.“
(Honsell 1879).
Es handelte sich demnach um einen imposanten gewerblichen Komplex (Abbildung 2), dessen Wasserräder in Anpassung an den Seewasserstand um 2 m aufund abbewegt werden konnten (Grim
1995). Dass der See dadurch gestaut, beziehungsweise der Abfluss gehemmt
wurde, liegt auf der Hand. Durch Ziehen
oder Senken der beweglichen Schütze
konnte der Seespiegel innerhalb von 24
Stunden bis zu 30 cm abgesenkt oder angehoben werden (Honsell 1879):
„Kein Wunder also, wenn der Bestand der
alten Rheinbrücke und noch mehr der
Rheinmühle bei Constanz schon lange ein
Gegenstand des Aergernisses und der
Klage bei den Anwohnern des oberen Bodensee’s war . . .“ (Honsell 1879).
Die Anrainerstaaten einigten sich deshalb
auch sehr schnell darauf, die „abgebrannte Rheinmühle samt Nebenwerken“ nicht
wiederherzustellen (Grim 1995). Nach einigen Jahren konnte man im Rückblick
feststellen, dass der Abfluss aus dem See
gleichmäßiger geworden und die Hochwasserstände um etwa 1 bis 2 Fuß zurückgegangen seien (Miller 1880).
Politischer Druck führte zu konkreten
Planungen
Doch trog die Hoffnung, das Problem
extremer und Schaden bringender Hochwasserstände weitgehend beseitigt zu
haben. Sehr hohe Seespiegel in den
1860er-Jahren, namentlich 1867, richteten
den Blick wieder auf die früheren Pläne
zur Bodensee-Regulierung, beziehungsweise die Regulierung des Untersee-Abflusses, angeregt von den Unterseeanwohnern. Ein entsprechender Notenwechsel zwischen dem Großherzogtum
Baden und dem schweizerischen Bundesrat fand 1871 statt. Im März 1873 kam
eine Kommission nach mehreren Inaugenscheinnahmen und Gesprächen mit Anwohnern zu Auffassung, es könne „. . . die
Frage über die Möglichkeit der Tieferlegung der höchsten Seestände durch Regulirung der Unterseeausmündung in
dem für die Interessen der Seeanwohner
zu wünschendem Maße bejaht und der
Nutzen des Unternehmens als erheblich
anerkannt werden“. Zur Kosten-NutzenRelation wollte sich die Kommission noch
nicht äußern. Die notwendigen technischen Vorarbeiten sollten badische Ingenieure machen (Honsell 1879).
83
Alles in allem gebe es nun wohl niemanden mehr, „der diesem überaus wohlthätigen Werke hinderlich entgegentreten
wollte“ (Miller 1880).
So sah das Projekt Honsells aus
Abbildung 2: Rheinbrücke und Rheinmühle in Konstanz um 1800 vom Unterwasser aus
gesehen. Das am weitesten vorragende Gebäude ist die Säge. Man erkennt an der Strömung sehr gut die stauende Wirkung des Bauwerks (Gouache im Rosengarten-Museum
Konstanz).
Wiederum sehr hohe Wasserstände in den
Jahren 1876 und 1877 verstärkten den politischen Druck, die Planungen voranzutreiben. Doch gleichzeitig kamen auch
Widerstände gegen das Vorhaben generell auf. Und zwar wurden Bedenken von
Seiten der schweizerischen Kantone zwischen Bodensee und Basel, der bairischen
Rheinpfalz und des Großherzogtums Hessen laut. Der Versuch, diese Bedenken
über Informationen durch „Commissäre“
und Vorlage von Plänen und Elaboraten
zu zerstreuen, misslangen, was schließlich
zur Folge hatte, dass der badische Baurat
Max Honsell beauftragt wurde, alle Unterlagen in einer „abgerundeten Darstellung“ zusammenzufassen (Honsell 1879).
Daraus nun das Folgende.
Die Argumente für die Regulierung
Man hatte sich schon 1873 darüber verständigt, dass man das Vorhaben der BodenseeRegulierung bereits als erfolgreich betrachten könne, wenn die bislang bekannten
höchsten Wasserstände um etwa 30 cm gesenkt werden könnten, bei weiterer Senkung bis zu etwa 1 m steigere sich „der Gewinn“. Man wolle jedoch keinesfalls das
Seeniveau auf einer bestimmten Höhe halten, da die Schwankungen des Wasserspiegels in mancher Beziehung von Nutzen
seien, so unter anderem für die gewerbliche Fischerei (Brutplätze im Flachwasserbereich) und insbesondere auch für die „Ertragsfähigkeit jener flachen und niedrigen
Ufergelände“, wie sie beispielsweise bei
Wollmatingen2 und im Mündungsbereich
der Radolfzeller Aach vorkämen und „deren Creszenz in dem landwirthschaftlichen
Betriebe der Seegegend eine nicht unwichtige Rolle spielt“. Der Viehbestand sei
wegen des hohen Bedarfs an „animalischer
Düngung“ für die Weinberge groß und die
Einstreu für die Ställe müsse „mehrentheils
aus dem Erwachs der Rohr- und Binsenfelder und der Riedflächen am Seeufer gedeckt werden“; die zeitweilige Überstauung dieser Flächen sei „Bedingung des
84
Wachsthums“. Der Verkehrswert der am
tiefsten gelegenen Uferabschnitte, die im
Winter trocken und im Sommer zwei bis
drei Monate unter Wasser liegen, stehe
jenem „mittelguten Ackerlandes oder
Wieslandes“ nur wenig nach3. Allerdings
dürfe, um gute Erträge zu bekommen, ein
stärkerer Anstieg des Wasserspiegels nicht
vor der zweiten Maihälfte eintreten, weil es
„sonst den jungen Pflanzen (gemeint ist
Schilf, Anm. d. Verf.) an der zu ihrer kräftigen Entwicklung nöthigen Luft und
Wärme“ gebreche. Jede längere Überstauung bringe sie zum Absterben. – Die Pflanzendecke der nächsten Zone – „Borstenoder Boschenwiesen“ genannt (gemeint
sind wohl bultige Seggenriede) – sei sehr
viel weniger wertvoll, die dritte, nur selten
überfluteten Zone könnte schon kultiviert
werden, auch wenn sie vor Überflutung
nicht sicher sei. – Insgesamt sei deshalb, so
Honsell (1879) in einem Fazit für diesen
Sachverhalt, eine Senkung der niederen
und mittleren Wasserstände zu Lasten der
„werthvollen Streuländer geradezu schädlich“: ein Sachverhalt, der heute nicht einmal mehr ansatzweise verstanden werden
würde.
Gegen eine zu starke Absenkung sprachen auch die Bedürfnisse der Dampf- und
der Segelschifffahrt sowie drohende problematische hygienische Zustände, da
Kloakenmündungen frei zu liegen kämen
und verwesende organische Stoffe „widerliche Ausdünstungen“ von sich gäben
(Miller 1880).
Da der See künftig eine geringere Rückhalteleistung besitze, sei bei Hochwasserabflüssen im Rhein mit höheren Wasserspiegeln zu rechnen. Um speziell die Stadt und
den Kanton Schaffhausen davor zu schützen, müsse – so Miller (1880) in Anlehnung
an Honsell (1879) – bei den geplanten Maßnahmen gewährleistet werden, „dass zur
Zeit der höchsten Seestände nach erfolgter
Tieferlegung der Bodenseehochwasser
keine größere sekundliche Wassermenge
nach Schaffhausen solle gelangen dürfen
als ohnedies dahin gelangt wäre“.
Das von Max Honsell auch auf der Grundlage früherer Ausarbeitungen vorgeschlagene Projekt sah nun verschiedene Eingriffe in den Rhein vor. Wollte man die genannten Ziele erreichen, so musste man
entweder das Abflussprofil erweitern
oder das Gefälle vergrößern, oder beides,
jedoch gewährleisten, dass ein verstärkter
Abfluss erst oberhalb eines definierten
Niedrigwasserspiegels einsetzt und die
Schaffhauser keinen Schaden erleiden.
Dies könne man mit zwei Eingriffen bewerkstelligen (siehe Abbildung 3):
1. mit einer Erweiterung der Engstelle bei
Stiegen und der Herstellung eines
Querprofils mit differenzierten Vorländern und
2. mit der Korrektion einer 5,6 km langen
Flusstrecke unterhalb von Stein, verbunden mit einer Erhöhung des Gefälles, auszuführen in verschiedenen
Querprofilen (in Anpassung an wechselnde Sohlengefälle), die so ausgelegt
sein müssen, dass definierte Abflüsse
bestimmte Wasserspiegellagen nicht
überschreiten. – Wären diese Eingriffe
bei den vorangegangenen Hochwässern schon wirksam gewesen, so wären
die Seeanstiege um bis zu 72 cm niedriger und die Dauer der Hochwässer kürzer gewesen. Die Zeit der Niedrigwasserstände wäre zwar verlängert worden, doch hätte dies, da im Spätjahr
eintretend, „die Einbringung der Streuernte wesentlich erleichtert“ (Honsell
1879, Miller 1880).
Die Kosten des Vorhabens taxierte Max
Honsell auf rund 1,2 Millionen Reichsmark, für damalige Verhältnisse eine gewaltige Summe. Honsell tut sich deshalb
auch schwer, den mutmaßlich zu gewinnenden Nutzen aufzurechnen. Vieles
ließe sich nicht in Geldwert ausdrücken. Er
konzediert auch, dass alleine die Vorteile
für den Untersee die Maßnahmen nicht
rechtfertigen würden. Doch würde man
die Gesundheitsverhältnisse wesentlich
verbessern. Bisher würden bei Hochwasser
die Entwässerungseinrichtungen in den
Städten und Ortschaften aufhören zu
funktionieren, der Inhalt der Latrinen und
Kloaken verbreite sich – gedrückt vom
aufsteigenden Qualmwasser – ins Erdreich, in die Brunnen und in das über die
Ufer getretene Wasser4 . . . Verkehr, Handel und Gewerbe würden profitieren, Gewerbebetriebe und Triebwerke an den Zuflüssen seien weniger eingeschränkt, der
Fremdenverkehr würde nicht mehr so leiden, manche Liegenschaft würde im Wert
steigen, große Agrarflächen könnten sicherer und intensiver genutzt werden. Ein
echter Kosten-Nutzen-Vergleich könne an
Hand der Schäden vergangener Hochwasser angestellt werden. Das 1876er-Hochwasser etwa habe alleine am badischen
Unterseeufer einen Schaden von circa
200 000 Reichsmark angerichtet; unter anderem sei die Straße zur Reichenau etwa
Wochen lang überschwemmt5, die Ernte
Abbildung 3: Der Seerhein in Konstanz, der Untersee sowie der Hochrhein bis Schaffhausen mit den im Text genannten Orten.
fast aller Streuländer sei vernichtet gewesen. Im Kanton Thurgau ergab eine Schätzung einen Schaden von 61 000 Franken
(Honsell 1879).
Alte Pläne, neue Pläne
Die von Max Hosell zu einem Projekt konzipierten Planungen kamen bekanntlich
nicht zur Ausführung. Dafür mögen verschiedene Gründe ausschlaggebend gewesen sein: die letztlich doch zu hohen
Kosten, die nicht ausgeräumten Bedenken der Hochrhein-Anlieger, fehlender
Wille und mangelnde Fähigkeit, ein Problem supranational anzugehen und zu
lösen, und natürlich auch die generellen
Zeitläufte, die es verbaten oder unmöglich machten, überhaupt ein grenzüberschreitendes Thema aufzugreifen.
Doch war das Thema der Bodensee-Regulierung damit keineswegs vom Tisch (man
kennt die Dauerhaftigkeit solcher Planungen; siehe zum Beispiel (Seidelmann
1989). Nur kurz erwähnt seien (Vischer
1989): das „Projekt Legler“ 1891 (Baggerung einer Rinne von Stein bis Schaffhausen, Einbau zweier Regulierwehre), die
Studie von Steiger 1902 (Baggerung einer
Rinne, Wehr bei Eschenz, Bau eines Schifffahrtskanals in Eschenz; siehe Abbildung
3), „Projekt Gebrüder Maier“ 1924 (Ausbaggerung im Seerhein und im Rhein von
Eschenz bis Schaffhausen, Bau eines Regulierwehrs mit Kraftwerk und Schiffschleuse bei Rheinklingen, Regulierwehr bei
Flurlingen; siehe Abbildung 3).
Zu Beginn der 1920er-Jahre beschloss eine
badisch-schweizerische Kommission, die
Frage der Bodensee-Regulierung im Zusammenhang mit dem Ausbau und der
Schiffbarmachung des Hochrheins untersuchen zu lassen. Die daraufhin von Dr.
Karl Kobelt gefertigte Studie bringt
neben den alten Argumenten auch neue
Aspekte und Gewichte (Sattler 1927):
Hauptzweck der Regulierung sei es natürlich, „die hohen Seestände tiefer zu
legen“. Doch könne man auch den Bodensee als Speicher für eine Niedrigwasseraufhöhung des Rheins und damit eine Optimierung der Energiegewinnung nutzen.
In Zeiten des höchsten Strombedarfs seien
die Abflüsse am geringsten. Auch könne
man mit einer Vergleichmäßigung der Abflüsse die Schiffahrt bis Schaffhausen verbessern und die Schiffbarmachung des
Hochrheins insgesamt befördern.
Konkret schlug Kobelt Folgendes vor
(Sattler 1927): Ausbaggerung einer 100 m
breiten Rinne im Trapezprofil oberhalb
der Konstanzer Brücke, um die Abflusskapazität vom Ober- in den Untersee zu erhöhen, Erweiterung und Abkürzung der
Rheinrinne im Untersee von Gottlieben
bis Ermatingen; Tieferlegung der Sohle im
Untersee-Ausfluss,
Baggerungen
bis
Schaffhausen, Bau eines Stauwehrs mit
Schiffschleuse bei Hemishofen (siehe Abbildung 3). Insgesamt würden hierbei 3
Millionen m3 Aushub anfallen. Die Kosten
betrügen etwa 15,5 Millionen Franken.
An Wirkungen und Nutzen nennt Kobelt:
Die Hochwasser würden um 70 bis 80 cm
niedriger liegen (damit sei die Überschwemmungsgefahr praktisch beseitigt),
2100 ha Land würden nie mehr überschwemmt werden, die Niedrigwasserstände lägen weniger tief und seien von
kürzerer Dauer. Darüber hinaus würde die
Niedrigwasserführung wesentlich verbessert (Anhebung des mittleren Niedrigwasserabflusses von 153 auf 188 m3/s und des
niedrigsten von 100 auf 150 m3/s), mit
großem Nutzen für die Kraftwerke am
Hochrhein: Bislang „nutzlos“ abfließendes Wasser werde zu Zeiten höheren Bedarfs aus dem Speicher Bodensee abgelassen. Außerdem würde man zwischen
Obersee und Schaffhausen eine „erstklassige Fahrrinne“ schaffen (Sattler 1927).
Zerstörung der Flusslandschaft nicht hinnehmen wollte (damals stand – nicht zum
letzten Mal – auch die Schiffbarmachung
des ganzen Hochrheins zur Debatte). Zu
Beginn der 1970er-Jahre wurde noch ein
letzter Versuch gemacht, eine Verbesserung der Verhältnisse ohne den Bau von
großen Regulierwehren, insbesondere des
Wehres zwischen Eschenz und Rheinklingen zu erreichen. Hier wären umfangreiche Baggerungen im Raum Konstanz und
im Untersee-Ausfluss, Ausbaggerungen
aller Seehäfen und Anlegestellen und die
Auffüllung von flachen Uferabschnitten
notwendig gewesen. Um alle gewünschten Effekte zu erzielen, speziell die niedrigsten Wasserstände zu verhindern, hätte
man jedoch bei Öhningen zumindest eine
Grundschwelle oder gar eine Grundschwelle mit aufgesetztem Schlauchwehr
bauen müssen (Abbildung 4; Vischer 1989).
Varianten der Hochwasserminderung
ganz anderer Art standen ebenfalls zur
Debatte (Vischer 1989), und zwar zum
einen in Gestalt eines Entlastungsstollens
vom Untersee zur Thur unterhalb von
Frauenfeld, die dort eine sehr große Abflusskapazität besitzt. In dem 8 km langen
Stollen könne man, so die Planung, bis zu
550 m3/s ableiten („. . . er erhielte die Dimension eines Verkehrstunnels“; Vischer
1989). Zum anderen wurde überlegt, ob
man nicht Stein mit einem ebenfalls mehrere Kilometer langen Umleitungsstollen
von Eschenz bis Rheinklingen umgehen
könne, alternativ rechts- oder linksseitig.
Die Geschichte ist noch nicht zu Ende
Soweit die lange Geschichte der
Bemühungen, die Wasserstände des Bodensees zu regulieren. Als roter Faden
zieht sich durch, dass fast zu allen Zeiten
behauptet wird, die Probleme und damit
der Handlungsbedarf seien größer geworden. Stand zu Beginn insbesondere die
Hochwasserminderung im Vordergrund,
kamen später – und immer gewichtiger –
die Wasserkraftnutzung und die Schiffahrt hinzu. Die Bedeutung der Streunutzung spielt in den Planungen des 20. Jahr-
Damit ist die Geschichte der Bodensee-Regulierungen keineswegs beendet. Vischer
(1989) nennt einige weitere Projekte, zu
denen hier nur ein paar Stichworte gesagt
seien: alle waren mit Ausbaggerungen
verbunden, manche sahen Regulierwehre
mit Schiffschleusen vor, andere keine Regulierwehre. Manche Planung wurde, so
geschehen Mitte der 1950er-Jahre, von
großen Protesten begleitet, weil man eine
Doch die Widerstände
sind größer geworden
85
Abbildung 4: Die bei Öhningen projektierte Grundschwelle mit aufgesetztem Schlauchwehr und linksseitig angeordneter Schiffschleuse (rechts zu erkennen); aus Vischer 1989.
hunderts praktisch keine Rolle mehr. Um
so mehr bekamen die Fragen des Naturschutzes im weitesten Sinne mehr Relevanz, so dass Planungen immer weniger
störungsfrei abliefen und ihre „Offensivkraft“, die sie im 19. Jahrhundert zweifellos hatten (es gab eigentlich keine ernsthaften Bedenken), weitgehend verloren.
Der Gegenwind führte im Thurgau dazu,
dass der Kanton sich gesetzlich verpflichtete, sich gegen jede Planung einer Bodensee-Regulierung einzusetzen. Doch
haben Projektplanungen mit einer derart
langen Geschichte eine erstaunliche Virulenz. In manchen Köpfen mögen noch
Pläne und Wünsche schlummern. Aktuelle
Anlässe, sie in die Öffentlichkeit zu bringen, gibt es allemal, wie der oben erwähnte Zeitungsartikel und die Anfrage
des Schweizer Nationalrats beweisen.
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Literaturhinweise
Göriz, K., 1841: Beiträge zur Kenntniß der württembergischen Landwirthschaft. Stuttgart und Tübingen
Grim, J., 1995: Die „alte Rheinmühle“ in Konstanz und
ihre Wirkungen als Regulierwehr. – Schriftenreihe der
Frontinus-Gesellschaft 19: 59-69
Honsell, M., 1879: Der Bodensee und die Tieferlegung
seiner Hochwasserstände. Eine hydrologische Studie.
Stuttgart
Miller, K., 1880: Die Tieferlegung der Hochwasserstände
des Bodensee’s. – Schriften des Vereins für Geschichte
des Bodensee’s und seiner Umgebung 10: 151-158
Sattler, W., 1927: Die Regulierung des Bodensees für
Hochwasserschutz, Kraftnutzung und Schiffahrt. –
Schweizerische Bauzeitung 89(6): 69-73
Seidelmann, W.-I., 1989: Schiffe über den Dächern von
Geislingen. – Beiträge zur Landeskunde 5/89: 1-8
Vischer, D., 1989: Ideen zur Bodenseeregulierung. Ziele,
Altes und Neues. – Vermessung, Photogrammetrie, Kulturtechnik 1/89: 32-37
1)
Schriftliche Mitteilung von Prof. Dr. D. Vischer, Zürich.
2)
Das Wollmatinger Ried ist heute ein Naturschutzgebiet von internationalem Rang.
3)
Es ist anzunehmen, dass die beschriebenen
Streuflächen auf Grund der regelmäßigen winterlichen Mahd und des vergleichsweise lichten Charakters ungleich artenreicher waren als die heute vorhandenen, nicht genutzten, dichten Schilfröhrichte. –
Im Übrigen berichtet Göriz (1841) davon, man sei insbesondere im Bodenseegebiet dazu übergegangen,
Schilf künstlich anzupflanzen, und zwar in Form von
„Schnittlingen“ oder „mit Wurzeln versehenen Ablegern“.
4)
Ein Bild, was mit dem von uns heute retrospektiv konstruierten eines völlig unbelasteten Bodensees nicht
übereinstimmt.
5)
Denke an das Hochwasser 1999!
EU-weit eine Spitzenstellung
Die Rheinschifffahrt
Entwicklung und Bedeutung von Binnen- und Rheinschifffahrt
Von Paul Engelkamp
Prof. Dr. Paul Engelkamp ist Institutsdirektor der „VBD Europäisches Entwicklungszentrum für Binnen- und Küstenschifffahrt“, Duisburg.
Seit eh und je gehört der Rhein zu den
wichtigsten Wasserstraßen Europas. Innerhalb der EU hat der Rhein mit 50 %
aller Binnenschiffstransporte eine Spitzenstellung, in Deutschland mit drei Vierteln noch deutlicher. Sein Vorteil besteht
neben den günstigen Fahrwasserbedingungen darin, dass er die wichtigen Seehäfen Rotterdam und Antwerpen mit den
industriellen Ballungszentren Rhein-Ruhr,
Rhein-Main, Rhein-Neckar, Karlsruhe und
Basel unmittelbar verbindet. Allgemein
liegt die Stärke der Binnenschifffahrt vor
allem im kostengünstigen Transport von
Massengütern; speziell auf dem Rhein hat
sich auch der Containertransport im Hinterlandverkehr der Seehäfen als besonders leistungsfähig erwiesen. Der Transport von Massengütern stagniert jedoch,
während der Stückgutverkehr expandiert. Zu bedenken ist jedoch, dass der
Transport auf den Wasserstraßen umweltfreundlicher ist als auf der Straße.
Zudem sind dem weiteren Ausbau des
Fernstraßennetzes Grenzen gesetzt, so
dass hier der Verkehrsinfarkt droht. Die
Binnenschifffahrt
ist
demgegenüber
längst nicht an ihre Leistungsgrenzen gekommen.
Red.
20 %, das heißt, dass in Deutschland ungefähr jede fünfte Tonne im Güterfernverkehr mit dem Binnenschiff transportiert
wird. Dies entspricht etwa dem Beitrag
der Bahn.
Um ihre Leistungen zu erbringen, steht
der Binnenschifffahrt ein Wasserstraßennetz mit einer Gesamtlänge von rund
7400 km zur Verfügung, wovon knapp
10 % auf den Rhein entfallen. Gleichwohl
werden rund drei Viertel aller Binnenschiffstransporte in Deutschland auf dem
nur etwa 700 km langen Rheinabschnitt
zwischen Basel und der niederländischen
Grenze erbracht, was die herausgehobene
Position der Rheinschifffahrt unterstreicht.
Ein ähnliches Bild ergibt sich auf EUEbene. Zwar relativiert sich hier die Bedeutung der Binnenschifffahrt insgesamt,
da sich der Verkehr auf den Binnenwasserstraßen – vor allem aufgrund der natürlichen Voraussetzungen – im Wesentlichen
auf Deutschland, die Niederlande, Frankreich, Belgien und Österreich konzentriert; mit einem Anteil von rund 50 %
nehmen die Rheinverkehre jedoch auch
EU-weit eine Spitzenstellung ein. Aufgrund dieser Dominanz kann festgehalten
werden, dass nicht nur die deutsche, sondern auch die europäische Binnenschifffahrt in hohem Maße durch die Rheinverkehre geprägt wird.
Schifffahrtsstraße erst ab Basel
Selbst am Niederrhein noch
ein beschauliches Bild
Selbst am Niederrhein, dem am stärksten
befahrenen Abschnitt des Rheins, vermittelt sich dem Betrachter in der Regel ein
recht beschauliches Bild vom Verkehrsgeschehen auf dieser Wasserstraße. Dieser
Eindruck ist insofern richtig, als die Transportkapazitäten, die der Rhein bietet, bei
weitem noch nicht ausgeschöpft werden.
Dennoch aber – und hier verleitet das vermittelte Bild leicht zu einer Unterschätzung der volkswirtschaftlichen Bedeutung
– leistet die Rheinschifffahrt einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung unserer Verkehrsaufgaben.
Insgesamt wurden 1998 auf den Binnenwasserstraßen der Bundesrepublik 236
Mio. t an Ladungsgütern befördert; die
dabei erbrachte Verkehrsleistung, die sich
als Produkt aus Aufkommen (t) und
durchschnittlicher Transportentfernung
(km) errechnet, lag bei 64 Mrd. tkm (Tonnenkilometer). Aussagekräftiger als diese
absoluten Zahlen ist jedoch der Anteil der
Binnenschifffahrt am gesamten Güterfernverkehr. Dieser beläuft sich auf etwa
Der Rhein entspringt in der Schweiz nahe
der italienischen Grenze im GotthardMassiv und trägt zunächst den Namen
Vorderrhein. Bei Reichenau, im Kanton
Graubünden vereinigen sich Vorder- und
Hinterrhein zum Alpenrhein, der entlang
der Grenze zu Liechtenstein und Österreich verläuft und in den Bodensee mündet. In Konstanz, wo der Rhein den Bodensee wieder verlässt, ist der Ausgangspunkt der internationalen Längenzählung
mit Stromkilometer 0. Zunächst durchfließt der Rhein noch den Untersee, bevor
in Stein am Rhein der Hochrhein beginnt,
der bis Basel reicht. Entscheidend für die
Vergrößerung des Stroms ist die Einmündung der Aare, die als zentraler Fluss der
Schweiz mehr Wasser in die Verbindung
einbringt als der Rhein selbst.
Die eigentliche Bedeutung für die Güterschifffahrt erlangt der Rhein aber erst ab
Basel, wobei in Deutschland drei Abschnitte unterschieden werden. Der Oberrhein
zwischen Basel und Bingen weist eine Gesamtlänge von 357 km auf. Bis Iffezheim
(Höhe Baden-Baden) ist der Rhein staugeregelt, so dass im südlichen Teil einige
Schleusen zu passieren sind. Es folgt der
Mittelrhein zwischen Bingen und Bonn,
der insgesamt 127 km lang ist. Wegen seiner romantischen Lage wird dieser Abschnitt auch in erheblichem Umfang touristisch genutzt. Der letzte Abschnitt in
Deutschland schließlich ist der Niederrhein zwischen Bonn und der niederländischen Grenze mit einer Gesamtlänge von
226 km. Im Vergleich zum Ober- und Mittelrhein finden wir in diesem Abschnitt
deutlich günstigere Fahrwasserbedingungen vor, was sich in entsprechend höheren
Aufkommenszahlen niederschlägt.
Kurz hinter der deutsch-niederländischen
Grenze beginnt bei Millingen die Deltabildung, die für das Mündungsgebiet des
Rheins charakteristisch ist. Es gibt einen
nördlichen und einen südlichen Arm, jeweils mit weiteren Verzweigungen. Die
internationale Längenzählung, die dem
nördlichen Arm folgt, endet hinter Rotterdam bei Rheinkilometer 1031,6 bei Hoek
van Holland mit der Mündung in die
Nordsee, der südliche Arm bildet gemeinsam mit Maas und Schelde das große
Mündungsdelta in der Provinz Zeeland.
Um der Bedeutung des Rheins als internationaler Wasserstraße gerecht zu werden,
müssen zugleich die Anbindungen betrachtet werden. So besteht über den
Main, den 1992 fertiggestellten MainDonau-Kanal und die Donau eine durchgehende Wasserstraßenverbindung zwischen Nordsee und Schwarzem Meer, die
bei einer Gesamtlänge von rund 3500 km
insgesamt 11 Staaten verbindet. Der Zufluss der Mosel bei Koblenz stellt die Verbindung nach Luxemburg und Lothringen
her. Vom Niederrhein aus besteht über ein
verzweigtes Kanalsystem unter anderem
eine Anbindung an Weser, Elbe und Oder,
so dass nicht nur eine Verbindung zu den
deutschen Seehäfen, sondern auch nach
Ostdeutschland und zum Teil Osteuropa
vorhanden ist. Und schließlich ist über die
Mündungsarme zugleich der Anschluss an
das belgische und niederländische Wasserstraßennetz gegeben.
Die herrschenden Fahrwasserbedingungen als Grundlage der
Wirtschaftlichkeit
Wie bereits erwähnt, konzentriert sich die
gewerbliche Schifffahrt fast ausschließlich
auf den Rheinabschnitt zwischen Basel
und dem Mündungsgebiet. Welche Schiffe hier eingesetzt werden können – und
davon hängt in entscheidendem Maße die
Wirtschaftlichkeit der Transporte ab –, ergibt sich aus den herrschenden Fahrwasserbedingungen. Entscheidend sind vor
allem Fahrwassertiefe, Brückendurchfahrtshöhen sowie die mögliche beziehungsweise zulässige Länge und Breite
der eingesetzten Fahrzeuge.
Zur Bewertung der Fahrwassertiefe, die
insbesondere für den Transport schwerer
Ladungsgüter wie zum Beispiel Erz oder
Stahl relevant ist, kann der amtlich festgelegte gleichwertige Wasserstand herangezogen werden. Dieser Wasserstand wird
im langfristigen Durchschnitt an lediglich
20 Tagen im Jahr unterschritten, so dass
damit auf eine Untergrenze abgestellt
wird, die im Normalfall nicht zum Tragen
kommt, die aber für die Zuverlässigkeit
87
Mannheim
ist einer der fünf wichtigsten Rheinhäfen in Deutschland. An der Mündung des Neckars in den Rhein gelegen, ist Mannheim planmäßig entwickelt worden: unter wirtschaftlichen und militärischen Gesichtspunkten. Auch der schachbrettartige Grundriss der Stadt
legt Zeugnis von der Planmäßigkeit ab.
Foto: Stadt Mannheim
der Transportdurchführung von großer
Bedeutung ist. Zwischen dem Mündungsgebiet und Köln ist ein gleichwertiger
Wasserstand von mindestens 2,50 m garantiert. Oberhalb von Köln vermindert
sich der gleichwertige Wasserstand um 40
cm auf 2,10 m. Dies stellt insofern eine
deutliche Verschlechterung dar, als viele
Schiffe auf eine Abladetiefe von 2,50 m
ausgelegt sind und bei einer Einschränkung zumindest proportional an Tragfähigkeit verlieren. Den eigentlichen Engpass aber bildet der Abschnitt zwischen St.
Goar und Budenheim-Niederwalluf (Höhe
Mainz) mit einem gleichwertigen Wasserstand von lediglich 1,90 m. Oberhalb von
Budenheim-Niederwalluf werden zwar
wieder 2,10 m und mehr erreicht, dies ist
jedoch nur für Regionalverkehre von Bedeutung.
Während für schwere Transportgüter die
mögliche Abladetiefe von besonderer Bedeutung ist, spielen beim Transport der re88
lativ leichten Container die Brückendurchfahrtshöhen eine zentrale Rolle. Relevantes Maß hierfür sind die lichten Durchfahrtshöhen, die bei dem höchsten schiffbaren Wasserstand zur Verfügung stehen.
Den Engpass auf der Strecke zwischen
dem Mündungsgebiet und Karlsruhe bildet die Düsseldorfer Südbrücke mit 8,74 m,
so dass – lässt man etwaige Beschränkungen in den Häfen außer acht – auf diesem
wichtigen Streckenteil ein durchgängiger
Transport von mindestens vier Containerlagen möglich ist. Oberhalb von Karlsruhe
kann der Containertransport bis Basel
dreilagig durchgeführt werden.
Bezüglich der Breiten- und Längenabmessungen wirken in der Regel die Schleusen
begrenzend. Nicht so auf dem Rhein, da
hier die zwischen Iffezheim und Basel zu
passierenden Schleusen so großzügig bemessen sind, dass sie keine weiteren Einschränkungen gegenüber dem frei
fließenden nördlichen Teil beinhalten.
Damit ergeben sich die zu beachtenden
Längen- und Breitenbeschränkungen auf
dem Rhein in erster Linie aus Sicherheitsgründen. Die relevanten Vorschriften erlauben den Einsatz einzeln fahrender
Schiffe bis zu einer Länge von 110 m und
einer Breite von 22,80 m, teilweise sind
sogar Längen bis 135 m zulässig. Bei den
Schubverbänden – diese bestehen aus
einem Schubboot als schiebender Einheit
und sogenannten Leichtern als Transportgefäßen – können im gesamten Fahrtgebiet zwischen dem Mündungsbereich und
Basel
durchgängig
Viererverbände
(Schubboot + 4 Leichter) verkehren. Ein
solcher Verband kann bei einer Länge inklusive Schubboot von etwa 183 m eine
Breite von bis zu 22,80 m aufweisen. Auf
dem Niederrhein bis Duisburg ist sogar der
Einsatz von Sechserverbänden zulässig.
Damit bildet der Rhein hinsichtlich der
Hauptabmessungen der eingesetzten
Schiffseinheiten im Vergleich zu den meis-
ten europäischen Wasserstraßen ausgesprochen günstige Voraussetzungen. Da
die Schifffahrtsunternehmen ihre Schiffe
jedoch in der Regel möglichst flexibel einsetzen möchten, spielen bei der Festlegung der Hauptabmessungen vielfach
auch die Restriktionen anderer Fahrtgebiete eine wichtige Rolle. Dies gilt vor
allem hinsichtlich der Schleusenabmessungen, die eine Begrenzung der Schiffsbreite auf maximal 11,45 m nahelegen. Von
daher weisen die größten einzeln fahrenden Schiffe in der Regel eine Länge von
110 m und eine Breite von 11,40 m auf,
was bei einem Tiefgang von 2,50 m (3,50
m) einer Tragfähigkeit von 1800 t (3 000 t)
entspricht. Containerschiffe dieser Größe
haben bei vierlagigen Verkehren eine Kapazität von gut 200 TEU (Twenty Feet
Equivalent Unit) – ausgedrückt in Einheiten des im Seeverkehr üblichen Standardcontainers mit einer Länge von 20 Fuß.
Auch die Standardleichter im Schubverkehr orientieren sich an den gängigen
Schleusenbreiten. Die größten Abmessungen betragen 76,50 m x 11,40 m, womit je
nach Tiefgang bis zu 2800 t transportiert
werden können, so dass ein Sechserverband auf eine maximale Tragfähigkeit
von bis zu 16 800 t kommt.
Schiffe erheblich zurückging; gleichzeitig
wurden die Neubauten jedoch zunehmend größer, so dass die Gesamtkapazität im Ergebnis annähernd konstant
blieb. Das Ziel eines Abbaus der Überkapazitäten wurde damit zwar sicher nicht
in dem gewünschten Umfang erreicht,
wohl aber hat sich infolge der Größeneffekte die Wirtschaftlichkeit des Transports deutlich erhöht.
Günstig vor allem für Massengüter:
die Struktur des Ladungsaufkommens
Die Größe der Binnenschiffe ist zugleich
ein wesentlicher Faktor, der über die Art
des Ladungsaufkommens entscheidet.
Geht man zum Beispiel von einem Binnenschiff mit einer Tragfähigkeit von 1800 t
aus, so sind alternativ zum Transport der
gleichen Menge entweder 60 LKW zu je
30 t oder 45 Bahnwaggons à 40 t erforderlich. Vor allem im Vergleich zum LKW
resultieren hieraus erhebliche Kostenvorteile des reinen Binnenschiffstransports,
die sich auch in den Frachteinnahmen widerspiegeln. So liegt der Durchschnittserlös der Binnenschifffahrt bei etwa 4 DPf je
tkm, die Vergleichswerte für LKW (Güter-
schifffahrt entgegen, sondern auch der
Umstand, dass die Empfänger beziehungsweise Versender dieser Ladungsgüter aus Kostengründen vielfach einen
Standort mit direktem Wasseranschluss
wählen. Zudem sind Massengüter aufgrund des relativ geringen Warenwertes
sehr transportkostenempfindlich, was insgesamt der Binnenschifffahrt zugute
kommt. Und schließlich sind in diesem
Marktsegment die Transportzeitanforderungen relativ gering, so dass hier die vergleichsweise niedrige Geschwindigkeit
der Binnenschifffahrt kaum ins Gewicht
fällt.
Tabelle 1 zeigt, wie sich die knapp 200
Mio. t, die 1998 auf dem Rhein zwischen
Rheinfelden und der niederländischen
Grenze transportiert wurden, auf die verschiedenen Gütergruppen verteilt haben.
Rund 75 % des Aufkommens sind dem traditionellen Massengutbereich zuzurechnen – es sind dies die in der Tabelle grau
unterlegten Gütergruppen 2, 3, 4, 6 und
7 –, lediglich 25 % entfallen auf die sogenannten Kaufmanns- beziehungsweise
Stückgüter. Hierin enthalten sind auch die
Containerverkehre, die zur Gruppe der
sonstigen Transportgüter zählen. Insge-
Tabelle 1: Ladungsaufkommen im Rheinverkehr 1998 nach Gütergruppen
Die internationale Rheinflotte
Zum 1. 1. 1998 setzte sich die internationale Rheinflotte – dies sind Schiffe mit einer
Zulassung für das Befahren des Rheins –
aus 7663 Motorgüterschiffen und 2061
Schubleichtern zusammen. Dies entspricht
einer Gesamtkapazität von rund 10,5
Mio. t Tragfähigkeit, wovon gut 15 % auf
die Tankschifffahrt entfallen. Mit gut 50 %
verfügen die niederländischen Schiffe
über den größten Anteil an der Gesamtkapazität, gefolgt von der deutschen Flotte mit rund 27 % und der belgischen Flotte mit rund 15 %. Der Rest verteilt sich auf
Schiffe aus Frankreich und der Schweiz.
Bezüglich der durchschnittlichen Tragfähigkeit, die sich bei den Motorgüterschiffen auf knapp 1000 t, bei den Schubleichtern auf rund 1500 t beläuft, sind allerdings erhebliche nationale Unterschiede festzustellen, die in erster Linie auf unterschiedliche Wasserstraßenverhältnisse
zurückzuführen sind. Vor allem aber verdient die zeitliche Entwicklung Beachtung. Diese ist in engem Zusammenhang
zu sehen mit verschiedenen politischen
Maßnahmen zur Strukturbereinigung,
das heißt zum Abbau von Überkapazitäten in der Binnenschifffahrt, die seit 1969
zunächst in Deutschland, seit 1989 EUweit ergriffen wurden. Im Kern zielten
diese Aktionen, die teilweise noch laufen,
darauf ab, die Stillegung von Kapazitäten
durch Prämienzahlung zu fördern und
den Neubau von Schiffen durch Strafzahlungen (Pönalen) zu erschweren, sofern
nicht gleichzeitig entsprechender Schiffsraum aus dem Markt genommen wurde.
Aufgrund der damit verbundenen
Anreizeffekte ergab sich in den letzten
Jahrzehnten eine deutliche Veränderung
der Flottenstruktur. Aus dem Markt genommen wurden vorwiegend kleinere
und ältere Einheiten mit geringer Wirtschaftlichkeit, so dass die Anzahl der
Gütergruppe
0
in %
Nahrungs- und Futtermittel
1,6
1
Land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse
4,6
2
Feste mineralische Brennstoffe
9,9
3
Erdöl, Mineralölerzeugnisse, Gase
17,7
4
Erze und Metallabfälle
18,5
5
Eisen und Stahl
6
Steine und Erden einschließlich Baustoffe
7
Düngemittel
2,0
8
Chemische Erzeugnisse
8,4
9
Sonstige Transportgüter
3,9
fernverkehr) und Bahn betragen rund 25
DPf beziehungsweise 10 DPf.
Allerdings gelten diese ausgesprochen
niedrigen Werte der Binnenschifffahrt nur
für den reinen Schiffstransport auf der
Wasserstraße. Sofern Versender und/oder
Empfänger der Waren nicht über einen eigenen Wasserstraßenanschluß verfügen,
kommen – zumindest im Vergleich zum
LKW-Verkehr – weitere Kosten hinzu, die
aus der Brechung des Transportvorgangs
resultieren. Diese Kosten fallen an für den
Vor- und Nachlauf, das heißt für den
Transport der Waren zwischen Hafen und
Versand- beziehungsweise Empfangsort,
sowie für zusätzliche Umschlagsvorgänge
in den Häfen. Da diese Zusatzkosten bei
einem gebrochenen Verkehr in der Regel
deutlich mehr als die Hälfte der gesamten
Transportkosten im Haus-Haus-Verkehr
ausmachen, beeinträchtigen sie natürlich
in erheblichem Maße die auf dem Wasserwege vorhandenen Kostenvorteile.
Günstige Voraussetzungen bringt die Binnenschifffahrt deshalb für den Transport
von Massengütern, wie zum Beispiel
Kohle, Erz oder Mineralöl, mit sich. Hier
kommen nicht nur die relativ großen Sendungspartien einem Einsatz der Binnen-
5,0
28,4
samt wurden 1998 rund 900 000 TEU auf
dem Rhein befördert, was jedoch gewichtsmäßig lediglich einem Anteil von
etwa 3 % am gesamten Aufkommen entspricht. Dennoch handelt es sich gerade
bei den Containerverkehren, wie wir noch
sehen werden, um ein besonders dynamisches und für die Binnenschifffahrt wichtiges Marktsegment.
Die Häfen am Rhein
Neben dem Wasserweg und den eingesetzten Schiffseinheiten bilden die Häfen
das dritte Element des Systems Binnenschifffahrt. Bei den Häfen ist zu unterscheiden zwischen den privaten Werkshäfen
beziehungsweise Anlegestellen und den
öffentlichen Häfen, die in der Regel von
den Kommunen und/oder teilweise den
Ländern betrieben werden. Entlang des
Rheins gibt es allein in Deutschland mehr
als 30 öffentliche Häfen, die allen Nutzern
offenstehen. Die wichtigsten öffentlichen
Häfen sind Duisburg, Köln, Mannheim,
Ludwigshafen und Karlsruhe mit einem
Jahresumschlag 1998 zwischen 6 und 17
Mio. t. Dabei sind die meisten Häfen längst
nicht mehr allein auf den wasserseitigen
89
Umschlag beschränkt, sondern verstehen
sich zunehmend als trimodaler Verkehrsknotenpunkt, das heißt als Schnittstelle
zwischen Wasserstraße, Straße und Schiene. Außerdem geht das Bestreben dahin,
sich zu Güterverkehrszentren mit multifunktionalem Dienstleistungsangebot zu
entwickeln. Besondere Bedeutung erlangen diese sogenannten logistischen Zusatzleistungen wie zum Beispiel Lagerung,
Weiterverarbeitung und Kommissionierung der Waren für die kombinierten Verkehre, also vor allem für die Containerverkehre, wobei der Duisburger Hafen mit
seinem umfangreichen Angebot als beispielhaft angesehen werden kann.
Da ein Großteil der Rheinverkehre Transporte zwischen den deutschen Binnenhäfen entlang der Rheinschiene und den
niederländischen und belgischen Seehäfen betrifft, seien auch hierzu einige Umschlagszahlen angeführt. So betrug der
Umschlag in Rotterdam, dem mit Abstand
größten europäischen Seehafen, 1997
rund 310 Mio. t, von denen allein rund 90
Mio. t per Binnenschiff weitertransportiert beziehungsweise angeliefert wurden. Antwerpen kam auf rund 110 Mio. t,
was immer noch etwa jener Menge entspricht, die in Hamburg und Bremen/
Bremerhaven gemeinsam umgeschlagen
wird. Auch im Containerverkehr nehmen
beide Häfen eine führende Position ein. In
Rotterdam wurden 1997 rund 5,5 Mio.
TEU, in Antwerpen knapp 3 Mio. TEU umgeschlagen – hier belaufen sich die Vergleichszahlen für Hamburg und Bremen/
Bremerhaven auf 3,3 Mio. beziehungsweise 1,7 Mio. TEU.
Die günstige Verbindung von
leistungsstarken Seehäfen und
leistungsstarker Binnenwasserstraße
Die große Bedeutung, die der Rheinschifffahrt bei den Hinterlandverkehren der
Seehäfen zukommt, hat vor allem zwei
Ursachen. Zum einen steht mit dem Rhein
eine ausgesprochen leistungsfähige Wasserstraße zur Verfügung, über die wichtige Industriezentren (das Rhein-Ruhr-Gebiet, das Rhein-Main-Gebiet, das RheinNeckar-Gebiet sowie die Region Basel) erreicht werden können. Zum anderen weisen Seehafenhinterlandverkehre im Vergleich zu Verkehren zwischen zwei Binnenstandorten insofern kostenmäßige
Vorteile für die Binnenschifffahrt auf, als
die Kosten, die für die Brechung des Transports im Seehafen anfallen, etwa alle Verkehrsträger in gleicher Weise betreffen
und nicht einseitig die Binnenschifffahrt
belasten. Außerdem kommt natürlich das
konzentrierte Aufkommen in den Seehäfen den Größendimensionen der Binnenschifffahrt entgegen.
Damit sind die zentralen Aspekte angesprochen, die für die herausgehobene Position der Rheinschifffahrt verantwortlich
sind, nämlich die leistungsstarke Wasserstraßenverbindung zwischen großen Seehäfen und wichtigen Industriezentren im
Binnenland. Dass dabei Wechselwirkungen nicht von der Hand zu weisen sind,
liegt nahe. So dürften sowohl die Herausbildung der Industriezentren als auch die
Entwicklung der niederländischen und
90
belgischen Seehäfen in erheblichem Umfang von der Leistungsfähigkeit des
Rheins begünstigt worden sein.
Wie sich die Rheinschifffahrt
historisch entwickelt hat
Der Aufschwung der Rheinschifffahrt zur
heutigen Bedeutung hat seinen Ursprung
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wesentlich hierfür waren zunächst
technische Entwicklungen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde noch auf weiten
Teilen des Rheins die sogenannte Treidelschifffahrt betrieben, bei der die Schiffe
stromaufwärts von Pferden gezogen wurden. Erst mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt wurden jedoch die technischen
Voraussetzungen geschaffen, den im Zuge
der einsetzenden Industrialisierung massiv
ansteigenden Transportbedarf zu befriedigen. Damit ist zugleich die zweite wichtige Ursache angesprochen, die zum Aufschwung der Rheinschifffahrt beigetragen
hat, nämlich die Entwicklung der Transportnachfrage. Zu nennen sind hier vor
allem der wachsende Kohleexport und die
Ansiedlung der Stahlindustrie in den Abbaugebieten der Steinkohle. Da nun
große Mengen an Massengütern bewegt
werden mussten, waren die verfügbaren
Rheinschiffe das ideale Transportmittel.
Und ein weiteres kam hinzu, nämlich ein
internationales Abkommen, mit dem die
Freiheit der Schifffahrt auf dem Rhein
und seinen Mündungsarmen garantiert
wurde. Die entscheidende Übereinkunft,
die heute noch im Wesentlichen Bestand
hat, wurde 1868 in Mannheim erzielt. Vor
allem wurde in dieser sogenannten Mannheimer Akte festgelegt, dass der Rhein
zwischen Basel und Mündungsgebiet von
allen Nationen für den Transport von
Waren und Personen genutzt werden darf
(Artikel 1) und dass ferner für die Benutzung des Rheins keine Abgaben erhoben
werden dürfen (Artikel 3).
Natürlich wurden die Transportmöglichkeiten, die der Rhein bietet, auch bereits
in den vorangegangenen Jahrhunderten
genutzt, jedoch hatten Technik und Transportbedarf ein weit geringeres Niveau;
hinzu kamen teilweise erhebliche Belastungen durch Zölle und andere Abgaben.
Die erste systematische Nutzung und Besiedlung geht auf die Römer zurück, für
die der Rhein lange Zeit die Grenze nach
Osten bildete. Auf der linksrheinischen
Seite entstanden deshalb eine Reihe von
Befestigungen, aus denen sich unter anderem die Städte Xanten, Neuss, Dormagen, Köln, Bonn, Koblenz, Mainz, Worms,
Speyer und Straßburg entwickelt haben.
Vor allem wurde der Rhein von den Römern genutzt, um ihre Soldaten zu befördern und Kriegsmaterial und Versorgungsgüter zu transportieren.
Besonders profitiert haben
Köln und Mannheim
Besonders profitiert von ihrer Rheinlage
haben die Städte Köln und Mannheim.
Köln kam dabei zunächst zugute, dass es
bereits frühzeitig im Schnittpunkt zweier
Fernhandelswege lag. Vor allem aber war
es ein Glücksfall für Köln, dass die geringe-
re Wassertiefe stromaufwärts einen Wechsel der Schiffe – seinerzeit vom Niederländerschiff auf das Oberländerschiff – notwendig machte. Hieraus entwickelte sich
das sogenannte Stapelrecht (1259), das
heißt, die Waren mussten beim Umschlag
zunächst drei Tage in sogenannten Stapelhäusern in Köln gelagert werden, bevor sie
weitertransportiert
werden
durften.
Außerdem wurde durchgesetzt, dass zum
Weitertransport ausschließlich Schiffe beziehungsweise Fuhrwerke verwendet werden durften, die aus Köln stammten. Die
Vorteile, die die Stadt Köln aus ihrer besonderen Lage ziehen konnte, gingen erst
verloren, als mit der Entdeckung Amerikas
der Überseehandel an Bedeutung gewann
und die dabei eingesetzten Schiffe zu groß
wurden, um noch den Rhein zu befahren.
Vielmehr erfolgte der Warenumschlag
nun zunehmend in den Seehäfen, denen
dadurch eine besondere Stellung zuwuchs.
Für die Rheinstrecke dagegen wurden
Schiffe eingesetzt, die nun auch den Rhein
über Köln hinaus befahren konnten.
In ähnlicher Weise profitierte die Stadt
Mannheim von ihrer Lage. Diese war dadurch gekennzeichnet, dass an der Einmündung des Neckars ebenfalls ein Wechsel des Schiffs – hier vom Oberländerschiff
auf die kleineren Neckarschiffe – notwendig war, so dass sich auch hier ein Stapelrecht herausbildete, der sogenannte
Neckarstapel. Außerdem war Mannheim
bis zum Ausbau des südlichen Oberrheins,
der erst im Laufe des 20. Jahrhunderts erfolgte, quasi Endpunkt der Rheinschifffahrt. Dies verschaffte der Stadt die Möglichkeit, sich lange Zeit als Verkehrsdrehscheibe für den süddeutschen Raum zu
profilieren.
Seit 30 Jahren jedoch Stagnation
Der gewaltige Aufschwung, den die
Rheinschifffahrt und mit ihr auch die gesamte Binnenschifffahrt im ausgehenden
19., vor allem aber im 20. Jahrhundert erlebt hat, darf jedoch nicht den Blick für
die jüngeren Entwicklungen versperren.
Denn seit etwa 30 Jahren verharrt das Ladungsaufkommen auf etwa gleichem Niveau, und das, obwohl das gesamte Verkehrsaufkommen im Zuge der zunehmenden Arbeitsteilung und des allgemeinen
Wachstums ständig angewachsen ist und
inzwischen zu der bekannten Überlastung
der Straßen geführt hat.
Diese Problematik, der sich Binnen- und
Rheinschifffahrt seit Ende der 60er Jahre
in gleicher Weise gegenübersehen, sei anhand der in Tabelle 2 wiedergegebenen
Zahlenreihen verdeutlicht.
Wie aus den hohen Aufkommenszuwächsen zu ersehen ist, hat die Binnenschifffahrt in den 50er und 60er Jahren vom
Wiederaufbau und dem stark ansteigenden Transportbedarf im Energiesektor,
der Bauwirtschaft und der Eisen- und
Stahlindustrie (Erzimporte) profitieren
können. Seither jedoch stagniert das Aufkommen dieser Bereiche und damit auch
das Ladungsaufkommen der Binnenschifffahrt. Diese Abkopplung von der allgemeinen Verkehrsentwicklung liegt vor
allem darin begründet, dass die Binnenschifffahrt aufgrund ihrer Systemeigen-
Der Rhein als Schifffahrtsstraße
Jenseits aller Rheinromantik ist der Rhein die wichtigste deutsche Wasserstraße, an der die Schweiz, Frankreich und die Niederlande
Anteil haben. Das macht die Rheinlandschaft auch zum begehrten Industriestandort. Hier der Niederrhein unweit von Duisburg.
Foto: Helga Wöstheinrich
Tabelle 2: Aufkommensentwicklung 1950–1990
Aufkommen Binnenschifffahrt in Mio. t
Aufkommen in Rheinschifffahrt in Mio. t
1950
1960
1970
1980
1990
71.9
171.4
240.0
241.0
231.6
55.7
133.0
193.3
198.2
201.8
Anteil Massengut Rheinschifffahrt
83.1 %
81.0 %
81.9 %
78.4 %
77.5 %
Anteil Stückgut Rheinschifffahrt
16.9 %
19.0 %
18.1 %
21.6 %
22.5 %
schaften insbesondere für den Transport
von Massengütern geeignet ist, was sich in
dem mit rund 80 % hohen Anteil dieser
Verkehre widerspiegelt. Im Zuge des sogenannten Güterstruktureffektes hat sich jedoch seit etwa Mitte der 60er Jahre der
Anteil der Massengüter am gesamten Verkehrsaufkommen kontinuierlich vermindert, und zwar von rund 75 % zu Beginn
der 60er Jahre auf nur noch etwa 45 %
1990. Zwar konnte auch die Binnenschifffahrt ihren Anteil an den wachsenden
Stückguttransporten im Betrachtungszeitraum um einige Prozentpunkte auf etwas
über 20 % steigern; Hauptgewinner dieser
Veränderungen in der Güterstruktur war
jedoch der LKW, der aufgrund seiner Flexibilität und Schnelligkeit die Anforderungen in diesem Marktsegment weitaus besser erfüllt als Binnenschifffahrt und Bahn.
Im Containerverkehr hat die
Binnenschifffahrt inzwischen eine
starke Stellung aufbauen können
Eine positive Ausnahme im Bereich der
Stückgutverkehre bilden jedoch die Containertransporte im Zu- und Ablauf der
Seehäfen, bei denen die Binnenschifffahrt
eine starke Stellung hat aufbauen kön-
nen. Mit zunehmender Verwendung der
Container, vor allem im Überseeverkehr,
ist der Umschlag in den Seehäfen zwischen Hamburg und Antwerpen – der sogenannten Hamburg-Antwerpen-Range –
von weniger als 1 Mio. TEU zu Beginn der
70er Jahre auf rund 13 Mio. TEU 1997 angestiegen. Die Binnenschifffahrt hat an
der Entwicklung dieser Verkehre nach anfänglichen Schwierigkeiten vor allem in
den letzten 10 bis 15 Jahren partizipiert.
So hat sich allein zwischen 1991 und 1997
der wasserseitige Containerumschlag in
den öffentlichen Binnenhäfen von
450 000 TEU auf 900 000 TEU verdoppelt,
bis zum Jahre 2010 ist nach einschlägigen
Prognosen mit einer weiteren Verdoppelung zu rechnen. Trotz dieser ausgesprochen dynamischen Entwicklung erfordert
eine realistische Betrachtung jedoch noch
einmal den Hinweis, dass die Containerverkehre – auf das Ladungsgewicht bezogen – heute lediglich rund 3 % zum Aufkommen der Binnenschifffahrt beitragen
und damit die Probleme im Massengutbereich allenfalls abmildern, nicht jedoch
vollständig auffangen können.
In erster Linie, das heißt zu rund 90 %, betreffen die Containerverkehre den Rheinkorridor. Dies ist darauf zurückzuführen,
dass im Hinterlandverkehr der niederländischen und belgischen Seehäfen die
Brückendurchfahrtshöhen einen vierlagigen Transport der Boxen zulassen,
während im Verkehr mit den deutschen
Nordseehäfen nur zwei Lagen gefahren
werden können. Die hieraus resultierenden Kostendifferenzen haben erhebliche
Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem LKW. So reicht im
Hinterlandverkehr von Rotterdam bereits
eine Entfernung von rund 200 km aus, um
Kostengleichheit mit dem LKW zu erreichen, wohingegen Binnenschiffsverkehre
mit den deutschen Nordseehäfen eine
Mindestentfernung von etwa 400 km voraussetzen.
Zudem – dies wurde bereits erwähnt – gelangt der Container fast ausschließlich im
Überseeverkehr zum Einsatz. Bei den innereuropäischen Verkehren dagegen
spielt der Container kaum eine Rolle, da
alternative Transportvarianten in der
Regel Wettbewerbsvorteile aufweisen.
Hier sind selbst auf dem Rhein mit seinen
insgesamt guten Voraussetzungen Mindestentfernungen von gut 400 km erforderlich, so dass sich ein solcher Verkehr
heute in der Regel nicht rechnet. Dies liegt
zunächst daran, dass bei Verkehren zwischen Binnenstandorten an beiden Enden
der Reise die relativ hohen Zusatzkosten
für Umschlag und Vor- beziehungsweise
Nachlauf anfallen. Hinzu kommt, dass die
aufgrund ihrer Abmessungen für den Binnenschiffstransport geeigneten Seecontainer – dies sind sogenannte ISO-I-Container – im Vergleich zum normalen LKWTransport rund 20 % weniger Stauraum
91
beim Beladen mit Euro-Paletten bieten.
Und schließlich ist zu berücksichtigen, dass
für die innereuropäischen Verkehre von
einer insgesamt geringeren Aufkommenskonzentration ausgegangen werden
muss, da der Bündelungseffekt im Seehafen entfällt, woraus sich weitere Kostensteigerungen ergeben.
Neben den Kostennachteilen spielen zugleich auch die Zeitanforderungen der
Verlader eine wesentliche Rolle. Während
bei den Überseecontainern eine Einbindung der Binnenschifffahrt die in der
Regel mehrere Wochen dauernde Seereise nur relativ geringfügig verlängert, bildet bei den innereuropäischen Verkehren
vielfach der LKW die Messlatte für den
Verlader. Bei Verkehren innerhalb
Deutschlands wird eine Zustellung über
die Straße in der Regel innerhalb von 24
Stunden garantiert, im westlichen Europa
sind es im Normalfall 48 beziehungsweise
72 Stunden.
Hemmnisse einer stärkeren
Einbindung der Binnenschifffahrt
Mit diesen Betrachtungen zur schwierigen
Position der Binnenschifffahrt bei den innereuropäischen Behälterverkehren sind
bereits die wesentlichen Hemmnisse angesprochen, die heute einer verstärkten
Einbindung dieses Verkehrsträgers bei
den wachstumsträchtigen Stückgutverkehren entgegenstehen. Neben den
hohen Zeitanforderungen der Verlader,
die nur durch entsprechende Kostenvorteile kompensiert werden können, sind es
vor allem die hohen Zusatzkosten für Umschlag und Vor- und Nachlauf, die die geringen entfernungsabhängigen Fahrtkosten des reinen Binnenschifftransports relativieren und bestimmte Mindestentfernungen voraussetzen. Weiter wirkt sich
für die Binnenschifffahrt nachteilig aus,
dass die Partiegrößen im Stückgutbereich
deutlich geringer sind als bei den Massengutverkehren, so dass in der Regel eine
kostenträchtige Bündelung und Verteilung der Verkehre erforderlich wird. Dieser Nachteil wird verstärkt durch den Faktor, dass bei den Behälterverkehren zur
Zeit eigentlich nur der für den Überseeverkehr entwickelte ISO-I-Container für
einen Transport mit dem Binnenschiff in
Frage kommt, dieser aber Einschränkungen bezüglich der vielfach verwendeten
Euro-Paletten aufweist. Für die innereuropäischen Verkehre steht damit für die
Binnenschifffahrt zur Zeit kein geeigneter
Behälter zur Verfügung, der es erlauben
würde, Kaufmannsgüter unter Verwendung genormter Boxen quasi als massenhaftes Stückgut zu wettbewerbsfähigen
Konditionen zu transportieren.
Hinzu kommt die Bindung an das Wasserstraßennetz, welches selbst in Deutschland mit rund 7400 km Streckenlänge
nicht nur im Vergleich zur Straße (rund
230 000 km Streckenlänge), sondern auch
im Vergleich zur Schiene (rund 40 000 km
Streckenlänge) deutlich grobmaschiger ist
und damit in einer Reihe von Fällen einen
Transport mit dem Binnenschiff aufgrund
von Umwegen wirtschaftlich unrentabel
92
macht beziehungsweise teilweise sogar
ganz ausschließt. Aber auch dort, wo Wasserstraßenverbindungen vorhanden sind,
ist die Infrastruktur – wie im Zusammenhang mit den Brückendurchfahrtshöhen
für den Container-Hinterlandverkehr der
deutschen Seehäfen bereits angesprochen
– vielfach unzureichend, um wettbewerbsfähige Angebote der Binnenschifffahrt zu ermöglichen.
Die Binnenschifffahrt steht damit vor
einer insgesamt schwierigen Situation.
Ihre Stärken – dies sind vor allem die niedrigen Transportkosten beim Direktverkehr
großer Mengen – liegen zweifellos im
Massengutgeschäft, und hier stagniert
seit geraumer Zeit die Nachfrage. Hinzu
kommt die gerade in diesem Marktsegment besonders intensive Konkurrenz zur
Bahn, die sich aus den ähnlichen Systemeigenschaften herleitet. Dabei ist der Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen,
dass die Bahn die ihr gewährten Subventionen nutzt, um sich über eine zum Teil
aggressive Preispolitik Marktanteile auf
Kosten der Binnenschifffahrt zu sichern.
In dem sich dynamisch entwickelnden
Stückgutsegment dagegen besteht lediglich bei den Container-Hinterlandverkehren entlang der Rheinschiene eine gute
Wettbewerbsposition. Ansonsten jedoch
hat die Binnenschifffahrt in diesem Bereich aufgrund ihrer Systemeigenschaften
einen schwierigen Stand. Dies gilt um so
mehr, als die zentralen Entscheidungskriterien der Verlader – dies sind in der Regel
die Transportkosten und die Transportzeit
– eine andere Gewichtung aufweisen als
bei den Massengutverkehren. Denn höhere Anforderungen an die Transportzeit bei
gleichzeitig geringerem Einfluss der Transportkosten infolge des durchschnittlich
höheren Warenwertes erschweren eine
Einbindung der Binnenschifffahrt.
Gesamtwirtschaftliche
Vorteile versus einzelwirtschaftliche
Entscheidungen
Dies ist nicht nur für die Binnenschifffahrt
selbst, sondern auch in gesamtwirtschaftlicher Hinsicht eine in hohem Maße unbefriedigende Situation. Besonders deutlich
kommt dies darin zum Ausdruck, dass auf
der einen Seite die Kapazitäten auf der
Straße und zum Teil auch auf der Schiene
bereits heute an ihre Grenzen stoßen und
ein Ausbau der Verkehrsinfrastruktur angesichts der Engpässe der öffentlichen
Haushalte kaum mit dem auch weiterhin
steigenden Transportbedarf Schritt halten
kann; und auf der anderen Seite sind, wie
einleitend bereits erwähnt, auf den Wasserwegen in großem Umfang freie Kapazitäten vorhanden, die aber nicht genutzt
werden. Hinzu kommen relativ geringe
Infrastrukturkosten bei Nutzung der
natürlichen Wasserwege sowie insgesamt
niedrige Umweltbelastungen als weitere
Argumente zugunsten einer stärkeren
Einbindung der Binnenschifffahrt.
Im Gegensatz zur Kostengunst sind diese
weiteren Vorteile, über die die Binnenschifffahrt im Vergleich zum LKW und teilweise auch zur Bahn verfügt, in erster
Linie jedoch gesamtwirtschaftlicher Natur
und spielen für die Verladerentscheidung
zunächst allenfalls eine untergeordnete
Rolle. Denn der Verlader orientiert sich bei
gegebenem Leistungsprofil der Verkehrsträger an den Preisen und ihren Relationen, und hierin spiegeln sich die unterschiedlichen gesamtwirtschaftlichen Vorund Nachteile nur unzureichend wider.
Von daher ergibt sich die scheinbar paradoxe Situation, dass von politischer Seite
immer wieder die Forderung nach einer
verstärkten Einbindung von Binnenschifffahrt und Bahn erhoben wird, der jedoch
keine entsprechende Marktakzeptanz auf
Seiten der Verlader gegenübersteht.
Vor diesem Hintergrund hat sich die EUKommission gerade in einem Weißbuch
für ein Konzept einer verursachungsgerechten Anlastung der Wegekosten mit
Berücksichtigung der externen Effekte der
einzelnen Verkehrsträger ausgesprochen.
Vom Grundsatz her geht es darum, durch
eine entsprechende Ausgestaltung des
Steuer- und Abgabensystems sicherzustellen, dass sich die einzelwirtschaftlichen
Entscheidungen aufgrund einer vollständigen Internalisierung aller relevanten Effekte an den richtigen Preissignalen orientieren.
Auch wenn derartige Überlegungen nicht
als neu bezeichnet werden können, gewinnen sie doch durch das Weißbuch der
EU an Aktualität. Die Probleme liegen
denn auch weniger in der theoretischen
Begründung als vielmehr in der praktischen Umsetzung, das heißt in der Erfassung und Zurechnung der verschiedenen
Komponenten. Dennoch dürfte allein der
Versuch, sich an einem solchen Konzept
zu orientieren, nach Ansicht des Verfassers eine vernünftige Basis für die Verkehrspolitik darstellen, um den gesamtwirtschaftlichen Belangen besser Rechnung zu tragen als dies heute der Fall ist.
Sollte dies gelingen, so vermittelt sich
dem Betrachter zukünftig vielleicht ein
weniger beschauliches Bild vom Verkehrsgeschehen auf dem Rhein; dafür aber
wäre die Gefahr eines Verkehrsinfarktes
auf unseren Straßen sicherlich abgemildert.
Literaturhinweise
Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (Hg.)
(1999): Ordnungs- und finanzpolitische Rahmenbedingungen für den Wettbewerb zwischen Eisenbahn und
Binnenschifffahrt im Güterverkehr. Studie im Auftrag
des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt
e.V., Duisburg
Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt e.V.
und Bundesverband der Selbständigen, Abt. Binnenschifffahrt e.V (Hg.) (1999): Binnenschifffahrt in Zahlen
1998, Duisburg
Hinz, H.-A. (1995): Historisches vom Strom – Aspekte
eines Flusses (Band Xl), Duisburg
Löber, U. (Hg.) (1991): 2000 Jahre Rheinschifffahrt. Begleitpublikation zur Ausstellung des Landesmuseums
Koblenz und des Rhein-Museums e.V., Koblenz
Statistisches Bundesamt (Hg.) (1999): Fachserie 8, Reihe 4
(Binnenschifffahrt), Wiesbaden
Verein für europäische Binnenschifffahrt und Wasserstraßen e.V. (Hg.) (o.J.): Revidierte Rheinschifffahrtsakte
vom 17. Oktober 1868 – Mannheimer Akte –, Duisburg
Verein zur Wahrung der Rheinschifffahrtsinteressen e.V.
(Hg.) (1977): 100 Jahre Verein zur Wahrung der
Rheinschifffahrtsinteressen e.V., Duisburg
„Der Fluss ist gebändigt, der Mensch bleibt Sieger!“
Von der Wasserstraße zur Energieachse
Geschichte und heutiger Stand der Wasserkraftnutzung am Hochrhein
Von Daniel Vischer
Prof. Dr. Dr. h.c. Daniel Vischer ist emeritierter Direktor der Versuchsanstalt für
Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie
der ETH Zürich.
Stromschnellen und insbesondere der
Rheinfall bei Schaffhausen setzten der
Schifffahrt am Hochrhein zwischen Bodensee und Basel enge Grenzen. Gegenüber der Konkurrenz der Eisenbahn konnte sie unter diesen Bedingungen ebenso
wenig bestehen wie die einst so bedeutende Flößerei. Um so mehr eignete sich
der Hochrhein für die Gewinnung von
Energie, zunächst durch eine Fülle von
Mühlen aller Art genutzt. Mit der Gewinnung von Elektrizität und dann vor allem
seit der Möglichkeit, Elektrizität auch
über große Entfernungen zu transportieren, gewann der Hochrhein seine heutige
Bedeutung als Energieachse – mit insgesamt elf Kraftwerken, deren Erzeugung
die Schweiz und die Bundesrepublik
Deutschland sich teilen.
Red.
Einer nennenswerten Schifffahrt
standen Rheinfall und Stromschnellen
im Wege
Die Rheinstrecke von Konstanz bis Basel
wurde früher zum Oberrhein gezählt. Es
scheint, dass sie die Bezeichnung Hochrhein erst anfangs des 20. Jahrhunderts erhalten hat. Vielleicht war das eine Folge
ihrer neuen Rolle als Energieachse. Denn
vorher lag sie eher abseits des Geschehens.
Wohl hatte sie schon seit der Römerzeit
eine gewisse Bedeutung als Wasserstraße.
Wegen dem Rheinfall und den bis Rheinfelden folgenden Stromschnellen – unter
ihnen der unpassierbare Laufenburger
Laufen – vermochte sich die Schifffahrt allerdings nie stark zu entwickeln. Doch gelangte die Flößerei zu einer gewissen
Blüte. Ihr Aufschwung begann im 15. Jahrhundert und erreichte infolge der Holzausfuhr nach Frankreich und Holland im
18. und 19. Jahrhundert einen Höhepunkt.
Der Niedergang der Schifffahrt begann
sich schon im 18. Jahrhundert abzuzeichnen, als der Ausbau des Straßennetzes
einsetzte. Das Ende brachte dann der Bau
der Eisenbahn ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Dabei gewann gleichsam die
Dampflokomotive die Oberhand über das
Dampfschiff. Letzteres konnte sich nur auf
der Strecke Konstanz-Schaffhausen behaupten. Unterhalb davon trat es kaum in
Erscheinung. Zwar erreichte bereits 1832
das erste, den Oberrhein überwindende
Dampfschiff Basel, fuhr von dort aber
nicht weiter. Dann dauerte es mehr als 70
Jahre, bis ein Schleppdampfer mit einem
Kohleleichter rheinaufwärts nach Basel
gelangte und damit die Basler Rheinschiff-
fahrt begründete. Die Folge war der Bau
der Basler Rheinhäfen und der Anlegestellen bis Rheinfelden in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts. Für eine Fortsetzung
der Schifffahrt weiter rheinaufwärts wurden dann eine Zeit lang sehr konkrete
Pläne ausgearbeitet. Doch schliefen diese
ab 1965 ein. Heute denkt man höchstens
an eine Schiffbarmachung von Rheinfelden bis zur Aaremündung. Ein Freihaltegesetz sorgt dafür, dass diese Möglichkeit
nicht gedankenlos verbaut wird.
Der Bau der Eisenbahn beendete auch die
Flößerei. Die Bahn vermochte ja nicht nur
den Holztransport effizienter zu gestalten, sondern verbreitete auch den alternativen Brennstoff Kohle. Nach dem Rekordjahr von 1856, als über 4200 Flöße von
Laufenburg nach Basel schwammen, sank
die Frequenz stark ab. 1890 waren es nur
noch 500 Flöße und 1905 bloß 30. Schließlich traf 1927 das letzte Floß in Basel ein
(Brogle 1952). Zu diesem Zeitpunkt war
die Umwandlung des Hochrheins von der
Wasserstraße in eine Energieachse bereits
voll in Gang: In den rund 100 Jahren zwischen 1862 und 1966 wurde nämlich eine
fast lückenlose Kette von Hochrheinkraftwerken erstellt (Bild 1).
Schon früh von Wassermühlen
genutzt
Flüsse wie der Hochrhein wurden schon
früh von Wassermühlen genutzt. Spätestens vom Mittelalter an dienten diese aber
nicht bloß dem Mahlen von Getreide, sondern
auch
anderen
gewerblichen
Zwecken. Sie arbeiteten mit unterschlächtigen Wasserrädern in festen oder
schwimmenden Anlagen. Die festen standen am Ufer auf einem Pfahlrost (Pfahlbaute) oder auf einem kurzen, dem Fluss
abgetrotzten Uferkanal. Dabei war es
schwierig, die Höhenlage der Wasserräder
dem schwankenden Flussspiegel anzupassen. Dieses Problem entfiel bei den Schiffsmühlen naturgemäß. Dafür war deren Zugänglichkeit schlecht. Auch bildeten die
notwendigen, weitausgreifenden Verankerungen ein Hindernis für Schifffahrt
und Flößerei.
Dem Verfasser sind die einzelnen Mühlen
am Hochrhein nicht bekannt. In der Blütezeit dürften wohl gegen 100 Wasserräder
in Betrieb gewesen sein. Allerdings hatten
diese eine Konkurrenz. Denn dort, wo der
Rhein zwischen Hügeln eingebettet ist,
ließen sich auch die seitlich einmündenden Bäche und Kanäle (SchwarzwaldWuhren, Basler-Teiche) nutzen. Diese erlaubten teilweise den Einsatz von oberschlächtigen Wasserrädern anstelle der
schwerfälligeren unterschlächtigen. Bei
den Rheinmühlen dürfte es sich wohl
durchwegs um feste Anlagen gehandelt
haben. Ob es daneben überhaupt einzelne schwimmende gab, wie sie etwa für
den Alpenrhein belegt sind, ist fraglich.
Immerhin berichtet Grim (1995) vom Bau
einer Schiffsmühle anfangs des 15. Jahrhunderts in Konstanz. Diese soll aber
nichts getaugt haben.
Die Konstanzer Rheinmühle
In Konstanz entstand in der Folge eine
wichtige feste Anlage: die Konstanzer
Rheinmühle am Ausfluss des BodenseeObersees (Bild 2). Sie wurde dort 1427 in
die Rheinbrücke eingebaut (Grim 1995).
Später wurde sie infolge von Alterserscheinungen, Bränden und kriegerischen Einwirkungen mehrfach erneuert.
Um 1540 bestand sie aus zwei Häusern mit
4 Wasserrädern. Ihre Kraft wurde durch
einen kleinen Aufstau des Sees mittels Einbauten zwischen den Brückenpfeilern erhöht. Bei Nieder- und Hochwasser musste
ihr Betrieb aber eingestellt werden. Eine
Modernisierung 1793 erlaubte dann ein
Heben und Senken der Wasserräder um
2 m und damit eine bessere Anpassung an
die schwankenden Wasserstände. Gleichzeitig erfuhr die Rheinmühle eine Ausweitung auf ein kleines Kraftwerk: Die Getreidemühle erhielt 13 Mahlgänge, von denen jeder durch ein Wasserrad angetrie-
Bild 1: Heutiges Längsprofil des Hochrheins mit den Zuflüssen und elf Kraftwerkstufen.
93
Bild 2: Konstanz 1643, Ausfluss des Bodensees mit Rheinbrücke und Rheinmühle, Zeichnung Merian (aus Grim 1995).
ben wurde; dazu kamen noch besondere
Wasserräder für ein Säge-, ein Schleif- und
ein Walkwerk. Die Brücke übernahm teilweise die Aufgabe eines Wehrs mit Holztafeln, die den See aufstauten und die Beschickung der Wasserräder regulierten.
Dieser Aufstau gab aber mehrfach Anlass
zu Auseinandersetzungen mit den Seeanliegern. Als die Konstanzer Rheinmühle
1856 bis auf den Grund abbrannte, stellten sich die Bodensee-Uferstaaten vehement gegen einen Neubau. Aufgrund
einer
entsprechenden
Vereinbarung
wurde die vollständige Freihaltung des
Seeausflusses besiegelt und Konstanz für
das aufgehobene Wasserrecht entschädigt.
Besonders günstige Bedingungen
für die Wasserkraftnutzung in
Schaffhausen
Neben Konstanz besaßen natürlich auch
die anderen Städte am Hochrhein ihre
Rheinmühlen. Besonders günstige Bedingungen für die Wasserkraftnutzung fanden sich längs den Stromschnellen von
Schaffhausen, den sogenannten Lächen.
Dort arbeiteten schon ab dem Mittelalter
einige am Ufer angeordnete Mühlen. So
zeigt ein Prospekt von 1644 einen langen
und zwei kurze Uferkanäle mit insgesamt
18 unterschlächtigen Wasserrädern. Dann
kamen anfangs des 19. Jahrhunderts die
94
Turbinen auf, die eine noch weitergehende Nutzung der Strömung erlaubten.
1831 und 1850/51 erstellten Industrielle
damit zwei in Ufernähe stehende Kleinkraftwerke.
1864 bis 1866 wurde schließlich fast der
ganze Bereich der Lächen vom ersten eigentlichen Hochrheinkraftwerk in Beschlag genommen (Bild 3). Dieses bestand
aus vier Elementen: einem den ganzen
Fluss querenden Damm (Moserdamm),
einem am linken Ufer stehenden Maschinenhaus, einem im Rheinbett ausgesprengten, gedeckten Unterwasserkanal
und einer fast 500 m langen Seiltransmission. Letztere war nötig, um die von zwei
Turbinen gelieferten 400 kW zu den am
rechten Ufer entstehenden Fabriken zu
übertragen. Eine dritte Turbine von 150
kW Leistung gab ihre Energie mittels einer
120 m langen Transmissionswelle an eine
linksufrige Fabrik ab. Man befand sich
eben noch im Zeitalter des Direktantriebs
von Industrie und Gewerbe und kannte
die entsprechenden Möglichkeiten der
Elektrizität nicht. Dieser neue Energieträger setzte sich erst ab 1882 durch, als im
erwähnten Maschinenhaus eine kleine
Dynamomaschine installiert wurde. Infolge des wachsenden Energiebedarfs wurde
die Kraftwerksanlage 1890/91 durch ein
zweites Maschinenhaus ergänzt. Von den
5 neuen Turbinen mit je 220 kW dienten
bereits 2 Maschinen der elektrischen
Kraftübertragung durch Gleichstrom. Die
andern trieben Seiltransmissionen an, die
erst 1900 nach der vollständigen Elektrifizierung beider Maschinenhäuser abgebrochen wurden (Niederhauser 1983).
Projekte am Rheinfall
Der über 20 m hohe Rheinfall bietet am
Hochrhein die besten natürlichen Voraussetzungen für eine Wasserkraftnutzung.
Dementsprechend wurde er auch schon
früh genutzt. Ab 1111 gab es am rechten
Ufer eine vom Kloster Allerheiligen in
Schaffhausen betriebene Mühle (Ilg 1997).
Ab 1404 ließen sich am Rheinfallbecken
Schmiede nieder, die sich für ihre Blasbälge und Hämmer der Wasserkraft bedienten. Und im 16. Jahrhundert entstanden
dort eigentliche Eisenwerke, die sogenannten Lauffenwerke, zur Verwertung
eines nahegelegenen Bohnerzvorkommens.
Aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
stammt das Gerücht, die Holländer hätten
die für den Rheinfall so charakteristischen
Felstürme sprengen wollen. Dies sollte allerdings nicht für die Wasserkraftnutzung
geschehen, sondern für die Schifffahrt.
Tatsache ist, dass einige Holländer damals
Pläne hegten, die Stadt Konstanz an die
Rheinwasserstraße anzuschließen. Dabei
dachten diese gestandenen Wasserbauer
keineswegs an eine Beseitigung der Fels-
in Europa – entstand aber trotzdem. Sie
hielt sich an die bestehende Wasserkraftnutzung, modernisierte und elektrifizierte
jedoch die Anlagen. Eine zweite Erneuerung verwandelte 1948 bis 1950 die verschiedenen kleinen Maschinenhäuser und
das Gewirr von Druckleitungen in das
heutige, mit 4400 kW verhältnismäßig
kleine Rheinkraftwerk Neuhausen.
Seit 1891 wird Elektrizität über weite
Entfernungen transportiert
Bild 3: Ehemaliges Kraftwerk Schaffhausen am linken Ufer – mit Moserdamm und Seiltransmissionen, erstellt 1864–1866. Modell im Museum Allerheiligen in Schaffhausen.
türme, sondern an eine kühne Schleusentreppe. Eine solche schlugen sie ja auch
für den 1637 baulich in Angriff genommenen Schifffahrtskanal vom Neuenburger
See zum Genfersee vor. Gleichsam in
Klammern sei noch vermerkt, dass die
Felstürme nicht von Menschen, sondern
von der Natur bedroht werden. Sie unterliegen nämlich der unermüdlichen Erosionskraft des Rheins. Deshalb bedurften
sie Ende des 19. Jahrhunderts und erneut
im Winter 1983/84 einer Verstärkung
durch bauliche Maßnahmen (Härri 1985).
Doch zurück zur Wasserkraftnutzung! Ein
initiativer Industrieller kaufte 1810 die
schon im Zerfall begriffenen Eisenwerke
und baute sie aus (Ilg 1997). Das bedingte
auch eine Intensivierung der Wasserkraftnutzung. Zu dieser Schwerindustrie stieß
1853 eine Maschinenfabrik und baute am
rechten Ufer einen neuen Uferkanal mit
einem eigenen Turbinenhaus. 1860 empfahl das gleiche Unternehmen, wenn auch
vergeblich, dem Schaffhauser Stadtrat ein
Konkurrenzprojekt zum weiter oben beschriebenen Kraftwerk an den Lächen. Es
sollte die Energie des Rheinfalls nicht mittels Seiltransmissionen nach Schaffhausen
führen, sondern als Druckluft in Leitungen
(Stoll 1997). Diese Art der Übertragung
wurde damals auch anderorts für die allgemeine Energieversorgung vorgeschlagen. Sie setzte sich großräumig aber vor
allem im Tunnelbau durch – mit ersten Anwendungen 1857 im Mont-Cenis- und
1872 im Gotthardtunnel.
Der Einzug der Elektrifizierung
Dann hielt auch am Rheinfall die Elektrifizierung Einzug. Infolge des Rückgangs
der Wirtschaftlichkeit der Lauffenwerke
in den 80er Jahren wurde deren Umnutzung in eine Aluminiumhütte auf elektrochemischer Basis erwogen. Dies gab 1886
Anlass zur Einreichung eines Konzessions-
Es wurde bereits geschildert, wie die ersten Kraftwerke ihre Kundschaft mit Seiltransmissionen und Transmissionswellen
direkt bedienten. Das begrenzte die Energieversorgung auf einige hundert Meter.
Eine Alternative in Form der Druckluftversorgung wurde ebenfalls angedeutet. Sie
hätte den Versorgungsbereich auf einige
Kilometer erweitert. Nach einem ähnlichen Prinzip arbeitete die Druckwasserversorgung, wie sie etwa Genf kannte.
Dort betrieb das 1883 bis 1886 erstellte
Rhonekraftwerk Coulouvrenière mehrere
Pumpen, die das städtische Druckwassernetz beschickten. An dieses konnten die
Gewerbetreibenden ihre Wassermotoren
Bild 4: Projektiertes Kraftwerk am Rheinfall, 1886. (aus Schweiz, Bauzeitung vom 12. 3.
1887)
projektes zur intensiveren Nutzung des
Rheinfalls (Bild 4). Mit einem Damm sollte
rechts oberhalb des Rheinfalls ein großer
Uferkanal aus dem Rheinbett ausgespart
werden, um ein stattliches Maschinenhaus
am Rheinfallbecken zu beschicken. Eine
gegenüber früher verdreifachte Nutzwassermenge hätte dort 15 Turbinen mit insgesamt 1100 kW Leistung betrieben. Seit
1800 blühte am Rheinfall aber auch der
Tourismus in all seinen Formen (Ilg 1997).
Deshalb setzte gegen das Projekt ein wahrer Sturmlauf der öffentlichen Meinung
an. In Schaffhausen fürchtete man, dass
keine Fremden mehr den Rheinfall aufsuchen würden, wenn sich dessen Wasser
„statt in Regenbogen in Pferdestärken
auflöste“ (Niederhauser 1983). Die
Schaffhauser Kantonsregierung lehnte
das Konzessionsprojekt jedenfalls aus
Rücksicht auf die Schönheit des Rheinfalls
ab. Die Aluminiumhütte – es war die erste
(Wasserkolben-Maschinen) anschließen.
Und Ende 1889 zählte man mehr als 200
derartige „Hausturbinen“. Aber auch zu
Beginn der Elektrifizierung arbeiteten die
Kraftwerke im sogenannten Inselbetrieb.
Das heißt, sie lieferten den Strom an einen
eigenen Kundenkreis in einer ebenfalls
auf einige Kilometer begrenzten Umgebung. Es gab keine weitreichenden Stromleitungen und kaum eine Vernetzung.
Das änderte sich, als die Starkstromübertragung entwickelt wurde, zuerst für
Gleichstrom, dann für Wechselstrom.
Wegbereitend war unter anderem die
1891 über 175 km erstellte Wechselstromleitung von Lauffen am Neckar nach
Frankfurt am Main. Damit schlug die Geburtsstunde des modernen Kraftwerks als
Stromfabrik, die nicht mit einer bestimmten Industrie oder Stadt verquickt, sondern eigenständig ist. Ihr erstes und stolzes Beispiel am Hochrhein wurde das 1894
95
Bild 5: Kraftwerk Rheinfelden, erstellt 1894–1898. Blick stromaufwärts (heutiger Zustand).
bis 1898 gebaute Kraftwerk Rheinfelden
(Bild 5). Seine Betreibergesellschaft gab
sich denn auch folgerichtig den Namen
Kraftübertragungswerke Rheinfelden. Es
galt mit seinen 20 Turbinenpaaren und
einer Gesamtleistung von 12 000 kW als
europäisches Großkraftwerk.
Von der Bauweise her war das Kraftwerk
Rheinfelden aber bloß eine vergrößerte
Ausführung bisheriger Niederdruckanlagen. Es besteht im Wesentlichen aus
einem, den Fluss querenden Damm, der
das Wasser in einen Uferkanal drängt und
einem entsprechend am Ufer stehenden
Maschinenhaus. Der Damm wurde freilich
1902 mit Schützen zu einem Wehr erweitert. Ähnlich wurde das 1908 bis 1912 erstellte Kraftwerk Augst-Wyhlen konzipiert. Den Rhein durchquert nur das Wehr.
Die beiden Maschinenhäuser befinden
sich mit den zugehörigen kurzen Kanälen
am linken und rechten Ufer. Erst beim
1908 bis 1914 erfolgten Bau des Kraftwerkes Laufenburg wagte man es, das Wehr
und das Maschinenhaus nebeneinander in
den Fluss zu stellen (Bild 6). Vielleicht erinnert darum seine Architektur an eine
Burg. Seine Botschaft wäre dann: „Der
Fluss ist gebändigt, der Mensch bleibt Sieger!“ Vielleicht passt sich diese Architektur aber auch einfach dem trutzigen
Städtchen Laufenburg an.
Schon Ende der 10er Jahre des 20. Jahrhunderts bahnten sich die von Fortschrittsglauben und Entwicklungsdrang
geprägten 20er Jahre an, die roaring
twenties. Einen Eindruck der damals herrschenden Stimmung vermittelt das 1914
bis 1919 erstellte Kraftwerk Eglisau (Bild
7). In technischer Hinsicht folgt es der Anlage Laufenburg. Hinsichtlich seiner architektonischen Gestaltung gleicht es aber
einem Palast. Rot gefärbt überragt es
seine grüne Umgebung und verkündet
den Triumph der Elektrizität. Ein weiterer
Strompalast, wenn auch nicht so auffällig,
wurde mit dem Kraftwerk RyburgSchwörstadt erstellt. Dieses trägt alle
Merkmale eines modernen Flusskraftwerks und ist mit seinen 120 000 kW noch
heute die leistungsstärkste Anlage am
Hochrhein.
Wie ein Kontrapunkt wirken die in den
folgenden Krisen- und Kriegsjahren gebauten Kraftwerke Albbruck-Dogern
(1929–1934) und Reckingen (1939–1948).
Bild 6: Kraftwerk Laufenburg, erstellt 1908–1914. Blick stromaufwärts (heutiger Zustand).
Vom Strompalast zur Stromfabrik
Nun setzte eine Proliferation von Kraftwerkprojekten am Hochrhein und anderswo ein. Ab 1914 zeigten sich die Behörden
besorgt darüber, dass aus der 170 km langen Hochrheinstrecke bloß die wasserwirtschaftlichen Rosinen herausgepickt
werden könnten. Das hätte den von ihnen
gewünschten oder zumindest erwarteten
Vollausbau des Hochrheins erschwert. Sie
strebten deshalb ein Gesamtkonzept an,
über das sich die Uferstaaten 1922 einigten: Man sah die Erstellung von insgesamt
12 zusammenhängenden Stufen von
Hochrheinkraftwerken vor. Dabei wurde
auch der grundsätzlich befürworteten
Hochrheinschifffahrt Rechnung getragen
(Chatelain 1990).
96
Bild 7: Kraftwerk Eglisau, erstellt 1914–1917. Blick stromaufwärts.
Sie sind völlig unpräteniös gestaltet – es
sind nüchterne Stromfabriken. Von irgendeinem Triumph ist da nichts zu
spüren. Das Technische steht im Vordergrund. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte aber wieder ein Stimmungshoch ein.
Das deutsche Wirtschaftswunder ergriff
auch die Schweiz und führte hüben und
drüben zu einem Aufschwung. Am Hochrhein manifestierte sich das 1950 bis 1954
im Bau eines neuen Strompalasts, des
Kraftwerkes Birsfelden (Bild 8). Seine Architektur huldigte zwar weniger der Elektrizität als der wieder selbstbewusst werdenden Gesellschaft. Und diese nahm das
gerne zur Kenntnis, etwa mit dem Prädikat: „Birsfelden, die Miss Europa unter
den Kraftwerken!“
Völlig anders reagierte die Öffentlichkeit
beim Kraftwerk Rheinau (1951–1956).
Nach Ansicht breiter Kreise sollte jenes in
der idyllischen Landschaft des Klosters
Rheinau gar nicht gebaut werden. Im Projektstadium gab es deshalb verschiedene
Protestversammlungen und Protestmärsche. Auch wurde der für den Bau notwendige Staatsvertrag zwischen Deutschland und Schweiz angefochten. Das führte in der Schweiz zu einer Volksabstimmung, die jedoch zu Gunsten des Projekts
ausfiel. Dementsprechend erfolgte die
Verwirklichung zwar zügig, aber mit
großer Rücksichtnahme auf die Umgebung (Bild 9). Man verzichtete auf jegliche
Prunkbauten, ja, man glich das Maschinenhaus äußerlich sozusagen den benachbarten Rebhäuschen an.
Bild 8: Kraftwerk Birsfelden, erstellt 1950–1954. Blick stromaufwärts.
Die Vollendung
der Wasserkraftnutzung
Schließlich wurden am Hochrhein noch
die Kraftwerke Schaffhausen (1960–1963)
und Säckingen (1961–1966) erstellt. In
Schaffhausen ging es darum, die von 1866
stammende alte Anlage mit dem Moserdamm durch eine moderne und stärkere
abzulösen. Die für beide Kraftwerke gewählte Bauweise ist dieselbe (Bild 10). Die
Turbinen mit den zugehörigen Generatoren werden nicht von einem hochaufragenden Maschinenhaus überdacht, sondern nur von einzelnen Deckeln. Diese
werden bei Bedarf von einem großen Portalkran bestrichen. Alles ist sehr sachlich
gestaltet, zweckmäßig und kompakt. Geduckte Kraft wird suggeriert.
Als 12. und letzte Stufe hätte noch jene
von Koblenz-Kadelburg folgen sollen. Allein, der Bauherr stellte 1966 die bereits
begonnenen Arbeiten ein. Er betrachtete
die Energiegestehungskosten gegenüber
jenen eines Kernkraftwerks als zu hoch.
Und solche Kernkraftwerke waren damals
sowohl in Deutschland wie in der Schweiz
schon im Bau. Die entsprechenden Kostenschätzungen waren optimistisch, und
die Entwicklungsszenarien geradezu euphorisch. Die Zukunft sollte der Kernkraft
gehören. Das Zeitalter der Wasserkraft
schien vorbei zu sein.
Modernisierungen
Drei Hochrheinkraftwerke dienen heute
nebenbei als Unterbecken für Pumpspeicherwerke im Schwarzwald. So stellt das
Bild 9: Kraftwerk Rheinau, erstellt 1951–1956. Blick stromaufwärts.
Bild 10: Kraftwerk Säckingen, erstellt 1961–1966. Blick stromaufwärts.
Kraftwerk Albbruck-Dogern seit 1953
einen Teil seines Stauraums und seit 1978
den Inhalt seines Aubeckens – einem eigens zu diesem Zweck errichteten Ausgleichbecken – dem Schluchseewerk zur
Verfügung. Und ebenso bewirtschaften
seit 1966 die Kraftwerke Säckingen und
Ryburg-Schwörstadt ihre Stauräume zu
Gunsten des Hotzenwaldwerkes. Das bedeutet, dass periodisch Rheinwasser in
97
waren bisweilen beträchtlich. Und die
Schweizer besetzten die Grenze und
damit große Teile des Hochrheins militärisch. Das äußerste sich beispielsweise
in ausgedehnten schweizerischen Verteidigungswerken. Doch wurde dadurch der
Kraftwerksbetrieb nirgends gestört. Die
meist aus beiden Ländern stammenden
Belegschaften gingen ihrer Arbeit unbeirrt nach und verteilten ihren Strom
gemäß den Konzessionen nach „links und
rechts“. Die Hochrheinkraftwerke blieben
auch von Bombardierungen und Beschießungen verschont. Eine am Ende des
Zweiten Weltkriegs ausgearbeitete amerikanische Generalstabsstudie sah zwar
eine sukzessive Sprengung der HochrheinStauwerke zwecks Erzeugung einer
großen Schallwelle im umkämpften
Oberrhein vor. Doch blieb diese Studie
glücklicherweise nur ein Planspiel.
Heute produzieren die Hochrheinkraftwerke ohne Neuhausen im Durchschnittsjahr rund 4,5 Milliarden KWh (Tabelle 1).
Entsprechend dem Gefällsanteil gehören
davon 44% Deutschland und 56% der
Schweiz.
Bild 11: Erneuerung des Kraftwerks Laufenburg 1988–1994. Ersatz der alten Turbinen
durch Straflo-Turbinen. Zeichnung Escher-Wyss.
den Schwarzwald gepumpt und anschließend auf dem Rückweg turbiniert wird.
Damit wird die Bandenergie der Rheinkraftwerke auf willkommene Weise durch
Spitzenenergie ergänzt.
Im Verlauf der Jahrzehnte ihres Bestehens
wurden fast alle Hochrheinkraftwerke
teilweise erneuert oder erweitert. Hier
seien nur einige wesentliche Arbeiten erwähnt. Davon, dass das älteste Kraftwerk
Schaffhausen 1960 bis 1963 neu gebaut
wurde, war ja bereits die Rede. Die nächstältesten Kraftwerke Rheinfelden, AugstWyhlen und Laufenburg erhielten in den
80er Jahren neue Konzessionen, die sie zu
einem Höherausbau (höheres Schluckvermögen) verpflichteten. Das führte beim
Kraftwerk Laufenburg 1988 bis 1994 zu
einer Verbesserung der Zuströmungsverhältnisse und dem Ersatz der zehn alten
Turbinen durch ebensoviele neue und leistungsfähigere (Bild 11). Auf ähnliche
Weise wurde im Kraftwerk Augst-Wyhlen
anfangs der 90er Jahre ein Teil der alten
Turbinen ausgewechselt. Im Falle von
Rheinfelden sah man gar einen vollständigen Neubau der ganzen Anlage vor. Doch
folgte die Baubewilligung dafür erst im
September 1998. Es scheint, dass die
hohen Energiegestehungskosten heute –
das heißt im Zeichen der europäischen
Marktöffnung – den Baubeginn verzögern. Zur Zeit läuft die Planung für eine
Erneuerung des Kraftwerkes Eglisau auf
Hochtouren. Die entsprechende Neukonzession wurde im Dezember 1998 erteilt.
Weitere größere Bauarbeiten fanden in
Birsfelden und Säckingen statt. In Birsfelden wurde 1975 bis 1979 die bestehende
Schiffsschleuse durch eine zweite ergänzt.
In Säckingen erfolgten um 1990 Flussbaggerungen, die den Einstau des Oberliegers
Laufenburg verrringerten. Bei verschiede-
98
nen Hochrheinkraftwerken suchte man
mit kleineren Maßnahmen auch ökologische Zielsetzungen zu verwirklichen.
Trotz Erstem und Zweitem Weltkrieg
konnten die Kraftwerke unbeirrt
weiterarbeiten
Erstaunlich und hervorzuheben ist schließlich noch Folgendes: Der Ausbau und der
Betrieb der Hochrheinkraftwerke überdauerte den Ersten Weltkrieg (1914–1918)
wie den Zweiten (1939–1945). Dabei standen die Uferstaaten ja nicht im selben
Lager. Die politischen Spannungen zwischen Deutschland und der Schweiz
Literaturhinweise
Brogle, Fritz, 1952: Die Flößerei der oberrheinischen Gebiete Laufenburg–Basel. Verlag A. Fricker, Frick, 93 S.
Chatelain, Richard, 1990: Die Nutzbarmachung der Wasserkräfte am Hochrhein, Zeitschrift Wasser, Energie,
Luft, Heft 11/12, Baden, S. 336–338.
Grim, Julius, 1995: Die alte Rheinmühle in Konstanz und
ihre Wirkung als Regulierwehr. Schriftenreihe der Frontinus-Gesellschaft, H. 19, Wirtschafts- und Verlagsgesellschaft Gas und Wasser, Bonn, S. 59–69.
Härri, René, 1985: Sanierung der beiden Rheinfallfelsen.
Zeitschrift Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 20,
Zürich, S. 453–457.
Ilg, Anja, 1997: Abenteuer Rheinfall. Verlag am Platz,
Schaffhausen, 47 S.
Niederhauser, P., 1983: Schaffhausen-Moserdamm,
Rheinfallwerke, Pumpspeicher, in „die Geschichte der
Gewässerkorrektionen und der Wasserkraftnutzung in
der Schweiz“, Verlag Pro Aqua AG, Basel, S. 14.1–14.19.
Stoll, Sandro, 1997: Zeit im Strom. Herausgeber: Elektrizitätswerke der Stadt Schaffhausen, Schaffhausen,
168 S.
Tabelle 1: Übersicht über die Hochrheinkraftwerke ohne das Kleinkraftwerk Neuhausen;
heutige Produktionszahlen
Stufe Name
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Schaffhausen
Rheinau
Eglisau
Reckingen
Albbruck-Dogern
Laufenburg
Säckingen
Ryburg-Schwörstadt
Rheinfelden
Augst-Wyhlen
Birsfelden
Bauzeit
Reihenfolge
der Inbetriebnahme
Installierte
Turbinenleistung
(MW)*
Jahresproduktion
im Mittel
(GWh)*
1960–1963
1951–1956
1914–1919
1939–1941
1929–1934
1908–1914
1961–1966
1928–1931
1894–1898
1907–1912
1950–1954
10
9
4
7
6
3
11
5
1
2
8
29
37
34
39
85
110
74
120
26
73
100
168
237
240
234
569
630
492
760
185
405
555
Total 727
4475
*) 1 MW = 1000 kW, 1 GWh = 1 000 000 kWh
Bis ins 19. Jahrhundert geprägt durch periodische Überflutungen
Auenwälder am Oberrhein
Ihre Geschichte, ihre Nutzung, ihre Zukunft
Von Volker Späth und Albert Reif
Dr. Volker Späth leitet das Institut für
Landschaftsökologie und Naturschutz in
Bühl, Prof. Dr. Albert Reif ist Professor am
Waldbau-Institut, Abt. Standorts- und
Vegetationskunde, an der Universität Freiburg i.Br.
Rheinkorrektion und -regulierung haben
im 19. und 20. Jahrhundert tief in die Ökosysteme am Oberrhein eingegriffen. Der
bis dahin typische Auenwald wurde
zurückgedrängt, im ehemaligen Wildwasserbereich des Rheins mit seinen vielen
Armen und dem ständig wechselnden
Flussbett wurde ihm regelrecht das Wasser entzogen. Forstwirtschaftliche Maßnahmen in der Furkationszone blieben
ziemlich erfolgslos. Für die forstliche Nutzung ist der Wald weitgehend ausgefallen. Anders sieht es im Bereich der ehemaligen Mäanderzone des Rheins aus, wo
ackerbauliche Nutzungen den Wald stärker an den Fluss drängten. Bislang kann
von keinem der am Oberrhein anzutreffenden Wälder gesagt werden, dass sie
sich im Gleichgewicht mit den Umweltbedingungen befänden. Eine Neuorientierung beabsichtigt das Integrierte Rheinprogramm der Landesregierung von
Baden-Württemberg.
Red.
Geprägt durch die sommerliche
Schneeschmelze in den Alpen und
den Kalkgehalt der Gesteine
Auenwälder sind spezialisierte Waldbestände in Anpassung an die Gewässerchemie und -physik und an deren zeitliche
Einwirkungsdauer, an das Großklima und
Abb. 2: Die Mäanderzone des Oberrheins zwischen Karlsruhe und Mannheim.
heute auch an menschliche Eingriffe. Die
Auenwälder am Rhein sind insbesondere
durch die sommerliche Schneeschmelze in
den Alpen und den hohen Kalkgehalt der
Gesteine des Einzugsgebiets geprägt. Zwischen Basel und Mainz nimmt das Gefälle
zunehmend ab. Vor den Eingriffen des
Menschen erfolgte hier der Übergang
zwischen einem reißenden Alpenfluss
(Furkationszone; Abb. 1) und einem eher
langsam fließenden Tieflandstrom (Mäanderzone; Abb. 2).
In der Umlagerungszone (= Furkationszone) zwischen Basel und Straßburg ver-
zweigte sich das Wasser in einem Kiesbett
in Haupt- und Seitenrinnen. Das Hochwasser transportierte große Gerölle und Kiese
und lagerte sie um. Jährlich entstanden
neue Kiesbänke, andere wurden in den
Fluten weggespült. Ähnliche Situationen
finden wir noch heute in manchen unregulierten Gebirgsflüssen der Alpen oder
Karpaten.
In der Mäanderzone lagerte der langsamer fließende Strom Sande und
Schwemmlehme um und transportierte
sie talwärts. Entlang der großen Windungen wechselten je nach dem Stromstrich
Erosions- und Sedimentationsprozesse an
Prallufern und Gleithängen ab. Im Laufe
der Jahrhunderte wurden einzelne Flussschlingen abgeschnitten und verlandeten,
während an anderer Stelle neue Windungen entstanden.
Eine wechselvolle
Landschaftsgeschichte
Abb. 1: Die Furkationszone des Oberrheins zwischen Basel und Breisach.
Noch während der Eiszeiten nahmen die
ständig ihren Lauf wechselnden Rheinarme praktisch die gesamte zur Verfügung
stehende Fläche der Rheinebene zwischen
den Vorbergzonen von Schwarzwald und
Vogesen ein. Der Rhein hat hier im Laufe
seiner Flussgeschichte einen großflächigen Geröll-Schwemmkegel aufgeschüttet,
dessen Mächtigkeit und Körnigkeit mit
sinkender Transportkraft des Flusses von
Süd nach Nord abnimmt und der von der
südlichen Oberrheinebene bis nördlich
des Kaiserstuhles reicht.
In der Nacheiszeit (Holozän), also seit
etwa 10 000 Jahren, nahm die Geschiebe99
fracht des Rheins ab. Die neu entstandenen Alpenrandseen wirkten als Sedimentfalle, die sich entwickelnde Vegetationsdecke reduzierte die Erosion. Damit nahm
der Materialeintrag aus dem Oberlauf ab,
während der flussabwärtige Austrag ungebremst weiterging. Folge war eine Tieferlegung des Rheinbettes. Es entstand
die holozäne, am Kaiserstuhl etwa 3 bis
5 m, im Süden bei Neuenburg bis 12 m tiefer gelegene Rheinaue, die durch das steilwandige Hochgestade (Niederterrassenrand) abgegrenzt wird.
Der Grundwasserkörper der Rheinebene
wird in erster Linie durch Versickerungen
der seitlichen Zuflüsse aus dem Bereich
des Schwarzwaldes und der Vogesen gespeist. Erst am Fuße des Hochgestades tritt
das Grundwasser als Quellhorizont zutage, um als „Gießen“ abzufließen.
Der mittlere Abfluss des Rheins beträgt
bei Basel etwa 1000–1200 m3/sec, doch
führen Niedrig- und Hochwässer mit
einem jeweiligen Abfluss von 500 m3
bzw. über 4000 m3/sec zu großen Schwankungen.
Die Wasserversorgung der Rheinaue war
bis ins 19. Jahrhundert hinein geprägt
durch periodische Überflutungen. Hochwässer traten vor allem im Frühsommer
während der Schneeschmelze in den
Alpen auf. Der Rhein verlegte ständig seinen Lauf, verästelte und verzweigte sich
im Bereich einer etwa 500 bis 2000 m breiten Hauptrinne. Altwässer wurden abgeschnürt und verlandeten. Rheininseln
entstanden, bewaldeten sich und verschwanden wieder. Katastrophenhochwässer nagten am Hochgestade und
richteten seit alters her vielerorts schwere
Zerstörungen an. In Neuenburg wurden
1525 etwa 45 ha der bebauten Stadt
einschließlich des halben Münsters vom
Strom weggerissen. Auch der unzureichende Uferschutz durch Weidenholz-Faschinen bot hier keine Abhilfe.
Breisach etwa lag abwechselnd westlich
und östlich des Rheins oder wurde gar zur
Insel.
Der frühere Naturzustand:
Dynamisches Entstehen und
Vergehen von Wäldern
Die natürliche Vegetation am Oberrhein
war maßgeblich durch das Gefälle und die
damit verbundene Strömungsgeschwindigkeit und Korngrößensortierung der Sedimente sowie durch Anzahl und Dauer
der Hochwässer geprägt. Eine Rekonstruktion der früheren Vegetation ist
schwierig. Grundlage sind Analogien mit
der heutigen Vegetation, historischen
Überlieferungen sowie Vergleiche mit
ähnlichen heute noch existierenden naturnäheren Auen.
Im Bereich der ehemaligen Hauptrinne
des Rheins führte die Flussdynamik zu
einem ständigen „Fließgleichgewicht“
von entstehenden und vergehenden
Pflanzengesellschaften. Auf neu entstandenen Mineralböden keimten bereits von
Anfang an auch Gehölzpioniere der Weiden- und Pappelarten. Die massenhaft
produzierten, winzigen Samen werden im
Mai durch den Wind verbreitet. Fallen sie
auf unbesiedelten, neu entstandenen und
100
in den ersten Lebenswochen feuchten Mineralboden, so keimen sie in großer Anzahl und bilden bereits im ersten Jahr
lockere, niedrigwüchsige Gebüschstadien.
Die Weichlaubholzbestände sind durchsetzt mit den Straucharten Deutsche Tamariske und Sanddorn, deren schwimmfähige Samen mit einem der vorangegangenen Hochwässer angelandet wurden.
Welche Arten sich mittelfristig durchsetzen, hängt in erster Linie von der Substratbeschaffenheit und der weiteren Hochwasserdynamik ab. Auf Kiesen und Sanden, die bei jedem Hochwasser umgestaltet werden, finden beispielsweise die
Schwarzpappel und die Lavendelweide als
Licht- und Rohbodenkeimer günstige Ansiedlungsmöglichkeiten. Beide Arten ertragen flussdynamische Störungen besser
als die Silberweide und verweisen diese
auf die weniger dynamischen und feinkörnigen Substrate.
An tiefgelegenen Uferbänken werden die
kommenden Hochwässer die Weidenjungwüchse wieder vernichten. Bleiben
aufgrund von Laufverlagerungen substratverlagernde Hochwässer aus, dann
wachsen die jungen Weichlaubhölzer zu
größeren Bäumen heran und bilden
schließlich Weichholzauenwälder, wie sie
früher auch am Rhein weit verbreitet
waren.
Strukturell hochwüchsige Weidenwälder
sind keine Dauergesellschaft. Schnell entsteht eine dichte Krautschicht, die eine
weitere Verjüngung der Weiden und Pappeln verhindert. In diesem Stadium
kommt den Weiden nach Hochwasser,
Wipfelbrüchen und Übersandung ihr Ausschlagvermögen zugute, wodurch auch
nach Überflutungen und mechanischen
Schäden die Waldstrukturen weitergeführt werden.
Einmal etablierte Weidenbestände verlangsamen die Strömung von Hochwässern. Durch die plötzlich nachlassende
Schleppkraft des Wassers werden mitgeführte Sedimente abgelagert. Besonders
schnell vollzieht sich die Auflandung nahe
den Hauptwasserrinnen. Unterhalb von
Gebüschgruppen können sich im Hochwasserfalle in kurzer Zeit langgestreckte
Uferwälle bilden, hinter denen niedriger
gelegene Randsenken verbleiben. In geschlossenen Weidenwäldern können in
wenigen Jahren mehrere Dezimeter von
Schwemmsand und „Hochflutlehm“ über
Kiesen aufgelandet werden.
Der junge Wald bremst bei Hochwasser
die Strömungsgeschwindigkeit ab, so
dass der zunächst in Schwebe gehaltene
Feinsandteil und später auch Schluffe abgelagert werden. Hierdurch entstehen
junge, gut durchlüftete Schwemmböden
(Auenpararendzinen), die den aufwachsenden Bäumen zügig Nährstoffe und
Wasser nachliefern. So können 20 bis
30 m hohe Silberweiden- und Schwarzpappelwälder heranwachsen. Der hohe
Lichtzutritt lässt eine mastige Krautvegetation aus Wasserkresse, Sumpf-Vergissmeinnicht, Gelber Schwertlilie und
Zweizahn zu.
Im Laufe der Jahrzehnte wächst die Deckschicht durch fortgesetzte Sedimentation
bei Hochwässern um mehrere Dezimeter
an, so dass die ehemals auf Kiesen und
Sanden entstandenen Weichholzauenwälder ein bis zwei Meter hoch einsedimentiert werden. Das höhere Niveau des
Auenwaldes wird immer weniger häufig
überschwemmt, so dass viele Arten der
Hartholzaue gute Entwicklungsbedingungen vorfinden. Durch ihre flugfähigen
Samen gelangen Feld- und Flatterulme,
Esche und Waldrebe auf die Fläche. Durch
Vogeltransport kommen Weißdorn, Hartriegel, Wildobst und Stieleiche hinzu.
Unter dem lichten Schirm der Silberweiden und Pappeln bilden die Bäume und
Sträucher der Hartholzaue die nächste
Waldgeneration. So entsteht ein vielschichtiger Eichen-Ulmenauenwald, in
dem einzelne Weichlaubhölzer wie
Schwarz- und Graupappel als Sukzessionsrelikte noch einige Jahrzehnte erhalten
bleiben können. Aufgrund der hohen Lebenserwartungen der Hartholzarten entstehen somit langlebige und artenreiche
Pflanzengesellschaften und Tiergemeinschaften auf tiefgründigen Braunauenböden.
Unterschiede in Substrat, Auenmorphologie und -vegetation erfordern eine differenzierte Betrachtung der Vegetation der
Furkationszone sowie der Übergangs- und
Mäanderzone (Abb. 3, 4).
Die Weichholzaue
der Umlagerungszone
In der Furkationszone führten regelmäßig reißende Fluten zu einer häufigen
Verlagerung der Gerölle und Kiese. Trotz
dieser lebensfeindlichen Umgebung
konnten sich Pioniergehölze an strömungsgeschützteren Stellen über Jahre
oder gar Jahrzehnte entwickeln. An anderer Stelle jedoch sorgten Flusslaufverlagerungen und Hochwässer für Abtrag
und Zerstörung. In diesem chaotisch-dynamischen System konnten lichtliebende
Pionierarten ständig räumlich wechselnde Nischen finden und besiedeln.
Flussnahe frisch geschüttete Kiesablagerungen am südlichen Oberrhein fielen in
Niedrigwasserzeiten trocken und waren
zunächst unbesiedelt. Vogelarten wie
Flussregenpfeifer und Flussseeschwalbe
fanden hier geeignete Lebensräume.
Nach kurzer Zeit keimten Rohbodenpioniere
wie
Rosmarin-Weidenröschen,
Hunds-Braunwurz, Knorpel-Lattich und
Ufer-Reitgras. Aus den Alpen wurden die
Samen von Gebirgspflanzen herangeschwemmt und wuchsen als „Alpenschwemmlinge“ fernab der Alpen heran,
so die heute am Oberrhein verschollenen
Arten Alpen-Leinkraut, Zwerg-Glockenblume und Gipskraut.
Erste Gebüschstadien auf häufig überfluteten Kiesbänken wurden von konkurrenzschwachen,
regenerationsfähigen
Pioniergehölzen gebildet. Bis vor etwa
150 Jahren war damals die Deutsche Tamariske häufig. Sie bildete auf den etwas
längere Zeit stabilen Kiesbänken das Tamariskengebüsch. Heute ist die Art am
Rhein ausgestorben, sie findet sich sehr
selten in Kiesgruben.
Kaum mehr überschwemmte kiesige
Schotterbänke wurden vom trockenheitsertragenden Sanddorn besiedelt. Der
Strauch besitzt ein weitstreichendes Wur-
gen feinsandig-lehmige Ablagerungen
über Kiesen den Standort. Wir können annehmen, dass Stiel-Eiche, Ulmen und
Esche die bestandsbildenden Arten der
Baumschicht waren. Die heute als Baum
praktisch verschwundene Feldulme erreichte früher oftmals hohe Anteile.
Die Grenzbereiche der Aue
Abb. 3: Biotypen am südlichen Oberrhein: Furkationszone.
Abb. 4: Biotypen am nördlichen Oberrhein: Mäanderzone.
zelsystem mit der Fähigkeit zur vegetativen Regeneration und Ausbreitung. Er
lebt in Symbiose mit stickstofffixierenden
Strahlenpilzen. Diese Eigenschaften prädestinieren ihn zur Bildung von Sanddorn-Gebüschen auf trockenen Kiesrücken („Heißländ“, „-grien“). Diese können für viele Jahrzehnte bestehen bleiben, es entstehen Lebensräume für Arten
trocken-warmer Standorte. In Lücken treten Arten der Halbtrockenrasen hinzu,
und thermophile Insektenarten wandern
ein.
Auch die Weidenarten der kiesigen Furkationszone müssen bei Niedrigwasser längere Trockenperioden ertragen. Dies begünstigt die trockenstresstolerante Lavendelweide, hinzu kommen Purpurweide,
Schwarz- und Silberpappeln. Entsprechende Lavendelweiden-Gebüsche finden sich
noch heute im Uferbereich vieler Alpenflüsse. Im Übergangsbereich zur Hartholzaue hat die heute im Gebiet noch vorkommende Grau-Erle kleinere Bestände gebildet. Lavendelweide und Esche waren vermutlich beigemischt.
Die Weichholzaue der
Übergangs- und Mäanderzone
Im Bereich der Übergangs- und Mäanderzone wurden Auenlehme abgelagert, die
auch bei Niedrigwasser eine kontinuierliche Wasserversorgung der Weidenbäume
ermöglichten. Auch hier waren die leichten Samen der Salicaceen bevorzugte Pioniere. Großflächig vorherrschend im Silberweiden-Wald war die hochwüchsige
Silberweide und die am Oberrhein sehr
häufige Hybride zwischen Silber- und
Bruchweide, die Rötelweide. Hinzu kommen die Purpurweide, sowie an etwas
höher aufgelandeten Stellen die beiden
Pappelarten. In Flussnähe sind Mandelblättrige Weide, Korbweide und Schwarzwerdende Weide als niedrigwüchsiger
Mantel vorgelagert.
Mit Rückgang der Überflutungsdauer
konnten sich Hartholzauen bilden
Folge der Auflandung im Weiden-Auenwald ist ein Rückgang der Überflutungsdauer, weniger überflutungstolerante
Arten können einwandern. Im Unterstand
der hochgewachsenen Weidenwälder
können sich Feldulmen, Stieleichen und
Eschen etablieren. In der Folgezeit wandeln sich diese Bestände sukzessive zu jungen Hartholzauenwäldern um.
Das Vorkommen der Hartholzauenwälder
ist am Oberrhein i.d.R. mit einer mittleren
Überflutungsdauer in der Vegetationszeit
von 2 bis 50 Tage korreliert. Nach mehrtägigen Überflutungen können an Bäumen
Stammschäden auftreten. Der vom Wasser
umschlossene Stammkörper und die darin
eingeschlossenen lebenden Zellen müssen
unter
sauerstoffarmen
Bedingungen
durch alkoholische Gärung „ernährt“ werden. Sowohl die dabei verbrauchte Menge
an Assimilaten als auch die dabei entstehenden Stoffwechselprodukte (Alkohol
und Aldehyde) sind möglicherweise der
begrenzende Faktor für das Überleben der
Zellen. Sterben Kambium- und Leitbastzellen ab, so entstehen Rindenrisse und
Phloemsaft tritt aus. Die Bäume werden
geschwächt und ihr Zuwachs geht zurück.
Je nach Größe der Schäden können sich
Faulstellen oder überwallte Stammbereiche ausbilden. Von besonderer Bedeutung
für die Auslese der nicht überflutungsfesten Baumarten sind außergewöhnlich
lang dauernde Hochwässer. Nicht überflutungstolerante Baumarten wie Rotbuche
oder Kirsche sterben nach einem langen
Hochwasser ab.
Der Eichen-Ulmen-Wald der Hartholzaue
war früher in der Furkationszone wohl
mosaikartig in die Auenbereiche eingestreut oder auf Randbereiche des Wildstromes beschränkt. Am besten entwickelt
waren Hartholzauen auf angelandeten
Auenlehmen der Mäanderzone. Hier prä-
Die frühere Aue endete am Fuß des Hochgestades. Hier trat und tritt bis heute der
unterirdische Grundwasserstrom der Niederterrasse ans Tageslicht. Das Wasser von
klaren Quellen vermischte sich mit abgeschnittenen, peripher gelegenen Flussarmen und strömte als „Gießen“ stromparallel nach Norden, um später dann in den
Rhein zu fließen. In den sommerlich
kühlen, kalkoligotrophen Gewässern gedeihen Arten wie Aufrechter Merk, Tannenwedel, Armleuchteralgen und eine
Reihe weiterer Wasserpflanzen. In den angrenzenden Waldbeständen bildeten
Esche, Traubenkirsche, Schwarzerle und
Weidenarten eigenartige Übergangsbestände zwischen Auen- und Sumpfwald
aus. Bei stagnierender Nässe verhinderte
Sauerstoffarmut die Mineralisierung der
Streu, kleinflächig entstanden Schwarzerlen-Bruchwälder mit teilweise mehrere
Meter mächtigen Torflagen.
Nur mehr schwer rekonstruiert werden
kann der Einfluss des Bibers auf die Vegetation, der noch im 17. Jahrhundert im
ganzen Oberrheingebiet verbreitet war.
Es darf vermutet werden, dass durch ihn
Sumpf- und Bruchwälder stark begünstigt
wurden.
Auf selten und kurzzeitig überfluteten
Standorten mit schluffig-lehmigen Böden
im Grenzbereich der Aue treten Hainbuche und Feld-Ahorn zur Stieleiche hinzu.
Auf Kiesböden sind im Weißseggen-Linden-Wald trockenheitsertragende Gehölze wie Winter-Linde, Elsbeere, Holzapfel
und ganz im Süden Flaumeneichen-Hybriden wichtige Nebenbaumarten. Auf gelegentlich überfluteten Schlufflehmböden
treten im Hainmieren-Hainbuchenwald
Esche sowie frischeliebende Unterwuchsarten hinzu.
Immer auch wurden die Auwälder
vom Menschen genutzt:
Zur Holzgewinnung, als Weide
Alle Wälder im Gebiet des Oberrheins sind
heute stark anthropogen, d. h. durch
menschliche Eingriffe, überformt. Die
Weichholzauenwälder wurden jahrhundertelang intensiv zur Brennholzgewinnung (Reisigwellen) und Faschinengewinnung in 3- bis 4-jährigem Niederwaldbetrieb ohne jede räumliche Ordnung genutzt und übernutzt. Faschinen sind 3 bis
4 m lange Holzstangenbündel, die dienten der Ufersicherung.
Die Bestände der Hartholzaue wurden
ebenfalls als Niederwald oder oberholzarmer Mittelwald bewirtschaftet, die Umtriebszeit des Unterholzes lag bei nur
etwa 8–15 Jahren mit jeweils etwa 30 bis
40 Festmeter (fm) Holzmassenertrag/ha.
Der Unterwuchs dieser Wälder war daher
sehr strauchartenreich und dicht. Auch die
nicht regelmäßig überfluteten Bestände
101
wurden meist als Mittelwälder bewirtschaftet, so die Eichen-Hainbuchen-Wälder der Niederterrasse. Derartige Mittelwälder waren bis vor etwa 200 Jahren von
zentraler Bedeutung für die Schweinemast, damit eine tragende Säule der damals agroforstlichen Landwirtschaft.
Zur Holznutzung hinzu kamen Grasnutzung und auf den Gemeindeweiden Beweidung, so in Istein und Breisach. Starker
Verbiss erfolgte sogar in den jungen Phasen des Wiederaustriebs, die „Huf- und
Rindviecher“ fraßen den „jungen Aufwuchs wie Spargeln zusammen“ (Scheifele 1962). Demnach müssen also Weideflächen mit verbuschten und bewaldeten
Bereichen gewechselt haben. Auch weiter
im Norden spielte Beweidung eine wichtige Rolle. Noch heute erinnern Lokalnamen wie „Sauschollen“ an die frühere
Nutzung, der eine Vielzahl heute stark gefährdeter Arten wie Kleefarn und Gnadenkraut ihre Existenz verdankten.
Vernässte Wiesen mit Pfeifengras und
Seggen dienten nach der Einführung der
Stallhaltung der Tiere im 18. Jahrhundert
der Gewinnung von Einstreu, zumal diese
Arten nur ungern vom Vieh gefressen
wurden. Belege für wechselnasse Pfeifengras-Streuwiesen finden sich in der Petite
Camargue Alsacienne bei Basel mit Arten
wie Pfeifengras, Lungen-Enzian und
Sumpf-Stendelwurz, im Sauschollen und
Sundheimer Grund mit Knolliger Kratzdistel, Prachtnelke, Natternzunge und
Kanten-Lauch.
Einschneidende ökologische Veränderungen brachten Rheinkorrektion
und spätere Ausbaumaßnahmen
Vergleicht man das heutige Aussehen der
Landschaft am Oberrhein mit alten
Gemälden und Schilderungen, so wird das
Ausmaß der umwälzenden ökologischen
Veränderungen nach der Tulla‘schen
Rheinkorrektur im 19. Jahrhundert und
des Ausbaus des Rheins als Wasserstraße
im 20. Jahrhundert deutlich. Das Strombett wurde zwichen den Jahren 1817 und
1876 durch Längsdämme gerade gerichtet
und mit Querbauten eingeengt. Dies führte zwischen Basel und Maxau zu einer
Laufverkürzung des Flusses um 80 km, zu
Tiefenerosion und großräumigem Absinken des Grundwasserspiegels sowie zu
einer Kultivierung von über 70 km2 früheren Wasser- und Sumpflandes (Abb. 5, 6).
Zu Beginn der Rheinkorrektur wurde
zunächst der Weidenwald weitgehend abgeholzt, um ein Arbeitsfeld zu schaffen.
Tausende von Meterwellen Faschinenholz
wurden damals „vorteilhaft“ verkauft. Unmittelbar nach der Rheinkorrektur waren
die Weidenwälder in völlig „devastiertem“
Zustand. Auf den nicht mehr überfluteten
Flächen siedelten sich zunächst Erlen und
Weiden an, die Waldfläche stieg zunächst.
Vielerorts versuchte man gegen Ende des
letzten Jahrhunderts, Mittelwälder zu begründen, indem man Eichen und Edellaubhölzer in größerem Umfang anbaute. Auf
Kiesrücken wurden schon 1860 erste Kiefernbestände gesät.
Um den Rhein für die Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Großschifffahrt
zu öffnen, wurde im Tulla‘schen Rheinbett
durch die Anlage von Buhnen ein auch bei
102
Niedrigwasser
durchgängig befahrbares Gerinne geschaffen. Die
Arbeiten hierzu fanden
in den Jahren 1920 bis
1939 statt. Während
sich der Fluss im Niedrigwassergerinne durch
Sohlenerosion
weiter
einteifte, landeten zwischen den Buhnen Sedimente an. Der Grundwasserspiegel
sank
großräumig ab. Nach
dem die Sohlenerosion
im Süden bei Istein das
in der Tiefe anstehende
Kalkgestein
erreicht
hatte („Isteiner Schwellen“), wurde von 1929
bis 1932 für die Schifffahrt und Wasserkraftnutzung der erste Abschnitt des Rheinseitenkanals gebaut.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Frankreich
das Recht der Nutzung
der Wasserkraft zugesprochen. In den 50er
Jahren wurde südlich
von Breisach der Bau
des Rheinseitenkanals
fortgesetzt. Nach dessen Fertigstellung sank
der Wasserspiegel um
weitere 2 bis 3 Meter
ab. Um die negativen
Folgen der Grundwas- Abb. 5: Der Rhein bei Altenheim vor der Korrektion.
serabsenkung zu vermeiden, wurde nördlich
von Breisach die sogenannte
Schlingenlösung durchgeführt (Bau
von vier Staustufen).
Hierbei werden bis zu
1500 m3/s Wasser als
Kanal abgezweigt, um
nach der Staustufe sich
wieder mit dem Wasser
im alten Rheinbett zu
vereinigen. Sohlschwellen im Rhein stützen das
Grundwasser.
Der großflächige Zusammenbruch der
Wälder im Süden
Im Süden wich das
Grundwasser
bereits
gegen Ende des letzten
Jahrhunderts vollständig aus dem Wurzelbereich der Bäume. So
sank der Grundwasserspiegel der Rheinwaldungen bei Neuenburg
bereits 1880–1890 unter
2 m unter Flur. Extreme
Trockenjahre
(1949:
unter 200 mm Niederschlag!), die hohe Sommerwärme sowie die
geringe
Wasserspeicherkapazität der sandig-kiesigen Böden ver- Abb. 6: Der Rhein bei Altenheim nach der Korrektion.
stärken die Auswirkungen. Dies führte
schließlich zu einem großflächigen Zusammenbruch der Rheinauewaldungen.
Am Beispiel der Neuenburger Wälder vollzog sich dies in folgenden Schritten.
(1) Noch 1857 gab das erste Forsteinrichtungswerk ein Holzartenmischungsverhältnis von 2/3 Weiden und 1/3 Erlen, Eichen,
Ulmen und „Dornen“ an.
(2) Noch 1890 wuchsen die Weiden, Erlen
und Pappeln zwar noch „ausgezeichnet“,
doch waren im nördlichen (heute
trockensten) Teil des Gemeindewaldes bereits „Partien trockener Kiesrücken“ sichtbar. Zu diesem Zeitpunkt etwa muss das
Grundwasser aus dem Wurzelbereich der
Waldbäume gewichen sein.
(3) Bei der Forsteinrichtung 1903 ist die
Grundwasserspiegelsenkung spürbar, Versuche einer Verbesserung der Bestockung
der Laubwälder sind gescheitert, und der
Taxator (Forsteinrichter) dämpft forstliche
Erwartungen mit der Vermutung eines
weiteren Rückganges der Standortgüte.
(4) 1913 ist durch die Auskolkung des
Rheinbettes der Grundwasserspiegel so
weit gesunken, „dass der Boden nicht
mehr die natürliche Feuchtigkeit hat“.
Zwischen 1913 und 1923 fielen die Ulmen,
dann die Eschen, Erlen, Eichen und Ahorne der Hartholzaue flächenweise aus, der
Dürrholzanteil diktierte den Hiebsatz.
Gegen Ende des Jahrzehnts waren gegenüber 400 fm zum Hieb freigegebenen
Oberholzes 2450 fm gehauen, nach 30
Jahren erst wirkte sich die Grundwasserspiegelsenkung voll aus. Die ehemals üppigen Auenwälder brachen vollständig
zusammen und machten einem „lichten
Buschwald“ Platz, „fast zwei Wegstunden
von Neuenburg rheinaufwärts und rheinabwärts wächst nichts als Gestrüpp“.
(5) Die „Devastierung“ der Wälder durch
Kahlschlag und Austrocknung setzte sich
weiter fort. Das Forsteinrichtungswerk
von 1931 geht davon aus, dass eine gleichmäßige Behandlung der Standorte nicht
mehr möglich ist. Es unterscheidet zwischen Standorten, Bestandestypen und
Betriebszieltypen:
Standorttyp
besonders trockenen Stellen herrscht das
graugrüne Gestrüpp des Sanddorns vor.
Endlos dehnen sich diese öden Flächen,
und man kann Stunden um Stunden in
dem ehemals üppigen und hochstämmigen Auenwald herumstreifen, ohne auch
nur einmals ein halbwegs erfreuliches
Waldbild zu Gesicht zu bekommen. Alles
in allem ein wahrhaft trostloser Anblick“.
(7) 1948 ist der Waldzerfall weiter fortgeschritten. Die Forsteinrichtung entließ damals den größten Teil der Wirtschaftsfläche wegen völliger Ertragslosigkeit aus
dem forstlichen Verband, es verblieben lediglich 33 % „anbauwürdiger Wirtschaftsfläche“. Der Waldrückgang zeigt sich auch
beim Vergleich ertragskundlicher Daten
zweier Taxationen (Forsteinrichtungen):
1903
1948
16.585 fm
7.630 fm
Holzvorrat je ha
24 fm
13 fm
Jährlicher Zuwachs/ha
4.3 fm
1.8 fm
Jährlicher Hiebsatz/ha
3.9 fm
1.4 fm
Wirkliche Hiebsmasse
3.4 fm
0.9 fm (bis 1948)
Holzvorrat (gesamt)
(8) Auf den frischeren Feinlehmstandorten konnte sich bis in die jüngste Zeit der
Charakter des ehemaligen Hartholz-Auenwaldes in Form von eichen- und edellaubholzreichen Beständen am besten
halten. Im Gebiet von Bremgarten/Hartheim starben jedoch 1975–1980 innerhalb
weniger Jahre praktisch alle Ulmen ab.
Die Ausfälle im Kronendach sind dort
heute noch sichtbar.
Forstwirtschaftliche Antworten im
Bereich der Furkationszone
Aufgrund der zunehmenden Austrocknung der Kiesböden wurde der forstliche
Anbau der Kiefer bereits seit 1903, doch
Bestandestyp
Betriebsziel
Fläche
>50 cm Schlick und Lehm
Gutes Laubholz
Eiche
25 ha
20–50 cm lehmiger Sand
Mäßiges Laubholz
Robinie, Birke
120 ha
Kieferntyp
Kiefer
65 ha
Halbwirtschaftsfläche
Sträucher, Sanddorn
400 ha
>50 cm Sand
Kies, wenig Sand und Lehm
(6) Im Breisacher Gebiet wurden den Beständen bis in die 30er Jahre „ungeheure
Mengen“ an Grasstreu entnommen. Diese
Waldentwicklungen waren für jeden
Forstmann unerträglich, wie folgender
Schilderung von Scheifele (1962) entnommen werden kann: „Heute wird das äußere Bild der Rheinuferlandschaft zum größten Teil von einem lückigen Buschwald geformt. Hier und da überragen noch einzelne Ulmen, Eschen, Eichen und Pappeln das
geringwertige Strauchwerk. Die meisten
Bäume sind aber verkrüppelt, erreichen
höchstens 5 bis 6 m Höhe, viele zeigen
deutliche Anzeichen von Wipfeldürre. An
Danach und vor allem in den 60er Jahren
förderten staatliche Zuschüsse (80 % der
Kosten) weitere Aufforstungen mit Waldkiefern, seltener auch Schwarzkiefern.
Vollumbruch des Bodens, später auch vollflächiges Fräsen, anfänglich Zäunung, Bestandesbegründung durch Pflanzung, intensive Jungwuchspflege zur Goldrutenbekämpfung sowie Vergiften der Engerlinge durch „Hortex“ waren forstübliche
Maßnahmen. Die Kiefernkulturen wurden
damals mit 14 000 bis 18 000 Pflanzen/ha
in übergroßer Dichte begründet. Daher
war das Wachstum der Kiefernkulturen
bereits nach wenigen Jahren stark rückläufig. Schädlingskalamitäten des Kieferntriebwicklers, eines Kleinschmetterlings,
wurden bereits 1965 mit DDT bekämpft.
besonders nach 1923 ausgedehnt. Im südlichen Fortsbezirk Breisach wurden auf
den schwemmlehmvergüteten Böden bereits bis 1938 70 000 2-jährige Kiefern, daneben 40 000 junge Buchen und 30 000
Laubholzheister, darunter Roteichen, gepflanzt. Seit 1931 tritt die Robinie etwas
stärker auf, die zuerst von der Flussbaubehörde am Rhein eingebracht wurde
und teilweise durch Wurzelbrut vordrang.
Eine kurze Episode nahmen 1950–53 die
Versuche einer billigeren Bestandesbegründung mit Trockenpappeln ein, von
denen jedoch bereits in den ersten 4 Jahren zwei Drittel wieder eingingen.
Der versuchte Anbau von Douglasie und
Roteiche scheiterte an dem hohen Kalkgehalt des Bodens. Auf den besseren Böden
entstanden Spitzahorn-Forste. Durch
Laubholzstreifen von Spitzahorn, Linde,
Kirsche, Platane, Birke, Robinie und Hainbuche und starke Untergliederung durch
Wege versuchte man, der Feuersgefahr
entgegenzuwirken. In Abständen wurden
Löschteiche ausgekiest.
Heute versucht man, durch starke Durchforstung und „Z-Baumauswahl“ (= frühzeitige Auswahl der im Endbestand zu
erntenden Wertträger) die Konkurrenz
der Kiefern um das im Mangel befindliche
Wasser zu regulieren, so die Ertragskraft
zu erhöhen und die bestehenden Kulturen zu Ende führen. Dies stößt jedoch
durch die dicht sich entwickelnde Strauchschicht an Grenzen. Nach dem Fehlschlag
der Kiefernwirtschaft wurden die Kieferkulturen mit Sommerlinden, Hainbuchen
und Buchen (erfolglos) unterbaut.
Die kiesigen Altrheinarme bei Breisach
sowie großflächige Kiesstandorte weiter
südlich wurden von Aufforstungen ausgespart und der natürlichen Sukzession
überlassen. Noch lange Zeit dienten sie,
zusammen mit Wegrändern und Rückegassen, der Streugewinnung. Heute sind
sie von Gebüsch- und Rasenstadien bewachsen. Die Goldrute begann vor allem
auf lehmigen Sanden große Flächen zu
erobern. Sie bildet heute auf waldfreien Schwemmlehmen Dominanzbestände
und damit ein ernsthaftes Hindernis
für die Gehölzentwicklung, „manche
Aufforstung wurde zu einem Problem
der
Goldrutenbekämpfung“
(Vogel
1969).
Diese Veränderungen wirken sich bis
heute aus. Von kaum einem der dort anzutreffenden Wälder kann gesagt werden, er befinde sich im Gleichgewicht mit
103
seinen Umweltbedingungen. Diese Sondersituation weckte bereits früh das Interesse vieler Bearbeiter. Während die Aue
des 19. Jahrhunderts trockenfiel und die
Auenwälder großflächig zusammenbrachen, entstand im begradigten Rheinlauf
ein schmales, oftmals unterbrochenes
Band sehr junger Weichholzbestände.
In der Übergangs- und
Mäanderzone Verschiebung der
Wälder in Richtung Rhein
Die Rheinkorrektion brachte mit einer
neuen Rodungswelle in den Randzonen
und der Bewaldung des ehemaligen
Wildstrombereiches eine räumliche Verschiebung der Wälder in Richtung Rhein.
Wo heute der Rheinauenwald und insbesondere die auenähnlichen Hartholzbestände stocken, strömte 1820 noch überwiegend der Fluss, oder ausgedehnte
Kies- und Sandbänke sowie Weidenbestände bestimmten das Landschaftsbild.
Mit den nachlassenden Überflutungen
und dem sinkenden Grundwasserspiegel
nach der Korrektion wurden die alten,
weiter vom Strom entfernt gelegenen
Hartholzauenwälder häufig gerodet und
landwirtschaftlich genutzt, so dass traditionelle, artenreiche Waldstandorte verloren gingen. Auf der anderen Seite
konnten auf den jungen Waldstandorten
im Bereich der ehemaligen Flussgerinne
und Kiesinseln neue, schwarzpappelreiche Eichen-Ulmenwälder entstehen, so
dass sich flächenmäßige Verschiebungen
einstellten. Gemarkungen, in denen damals nahezu alle alten Eichen-Ulmen(Mittel)wälder gerodet wurden, beinhalten heute neu aufgebaute schwarz- und
silberpappelreiche
Bestände
der
Hartholzaue (z.B. Altenheim und Ichenheim). Gemarkungen, in denen vermehrt
alte Waldstandorte erhalten blieben,
zeichnen sich auch heute noch durch eichenreiche Altholzbestände aus (z.B.
Rheinhausen, Weisweil und Lichtenau).
Allerdings wurden Bestandesteile durch
den Bau der Hochwasserdämme am Anfang des Jahrhunderts von den Überflutungen abgeschnitten.
Der Bau von Hochwasserdämmen sowie
die Tiefenerosion des Rheinbettes infolge
der Rheinkorrektion führten zu einer Verkleinerung der Überflutungsaue. Mit dem
Staustufenbau erfolgte eine flächendeckende Veränderung der Standortbedingungen mit einer Segregation in dauernasse Ried-, Sumpf- und Bastardauenstandorte sowie Standorte des EichenHainbuchenwaldes am Rande und außerhalb der Aue.
Die Forstwirtschaft in den Auen
der Übergangs- und Mäanderzone
Die Nutzung der Eichen-Ulmenwälder erfolgte bis in die erste Hälfte unseres Jahrhunderts als Mittel- und Niederwaldwirtschaft mit Nebennutzungen wie Schweinemast, Gras- und Streunutzung. Die über
Jahrhunderte betriebene Mittelwaldnutzung veränderte die natürliche Baumartenzusammensetzung der Eichen-Ulmenwälder zugunsten der Stieleiche und zu
Lasten der Anteile von Feld- und Flatterul104
me. Die durch hohe Hochwassertoleranz,
der Fähigkeit zur Bildung von Wurzelbrut
und durch bessere Schattenverträglichkeit
natürlicherweise konkurrenzkräftige Feldulme wurde durch den Menschen stark
zurückgedrängt. Mit den im Zuge der Niederwaldwirtschaft zur Gewinnung von Faschinen gängigen Großkahlschlägen (von
10 bis 20 ha) wurden stockausschlagfähige Lichtbaumarten wie Weiden, Pappel
und Grauerle auf den höher gelegenen
Standorten der Hartholzaue begünstigt,
so dass vor allem im stromnahen Bereich
auf relativ großer Fläche weichholzreiche
Faschinenwälder mit Arten des Eichen-Ulmenwaldes dominierten.
Mit der Überführung der Mittelwälder in
schlagweise Hochwälder während der
20er und 30er Jahre unseres Jahrhunderts
begann in den Überflutungsbeständen
die systematische Förderung von Esche
und Bergahorn. Auf jungen Waldstandorten erfolgte der bestandsweise Hybridpappelanbau. Von 1950 bis 1990 entstanden nach Kahlschlag weiterhin zahlreiche
Bergahorn- und Eschenbestände.
Die natürlicherseits zu erwartenden
Flächengewinne der Ulmen nach Aufgabe
der Mittelwaldwirtschaft wurde durch
mehrere Wellen des Ulmensterbens verhindert. Ende der 70er Jahre fiel die Feldulme in Altbeständen und Stangenhölzern als Baum nahezu vollständig aus.
Vom Rückgang der Ulmen profitierte in
den alten Mittelwaldbestockungen vor
allem die Esche, die heute die Lücken im
Stangenholzalter ausfüllt, nachdem die
Ulmen als ihre schärfsten Konkurrenten
ausgefallen sind.
Von 1961 bis 1977 gingen durch den Staustufenbau die Überflutungen im Auenwaldgebiet zwischen Breisach und Iffezheim stark zurück oder unterblieben
ganz. Der Rückgang der Überschwemmungen förderte wiederum die weniger
überflutungstolerante Esche und den auenfremden Bergahorn, die heute auf alle
vor langen Überschwemmungen geschützten Standorte durch Naturverjüngung vordringen. Zusätzlich begünstigen
die seit dem Reichsjagdgesetz stark angestiegenen Rehwildbestände indirekt die
beiden Edellaubholzarten. Durch selektiven Verbiss der Rehe können insbesondere junge Stieleichen, Feldahorne und
Wildobstarten außerhalb von Zäunen nur
einzeln an viel begangenen Wegen oder
für das Wild schwer zugänglichen Stellen
aufwachsen (z. B. Reisighaufen, Kronenholz, Sturmwürfe).
Diese Entwicklungen haben die Eichen-Ulmenwälder in ihrer Baumartenzusammensetzung stark verändert und auf wenige Restflächen reduziert. Die aus ihnen
hervorgegangenen oder mit ihnen vergleichbaren Bestockungen sind die auenähnlichen Hartholzbestände (z. B. mit
Esche, Bergahorn, Schwarz- und Silberpappel) und meist edellaubholzreiche
Laubmischbestände. Stärker abgewandelte, an Arten- und Strukturvielfalt verarmte
Bestockungen
der
ehemaligen
Hartholzaue sind jüngere, einschichtige
Edellaubholz- und Hybridpappelforste.
Durch die Einführung der Dauerwaldwirtschaft mit weitgehendem Kahlschlagverzicht und Naturverjüngung werden starre
Bestandesabgrenzungen und Baumartenmischungen im Sinne der Betriebszieltypen zunehmend verschwinden. Pappelund Edellaubforste werden durch Förderung eines artenreichen Unterstandes
oder durch Begründung von PappelHartholztypen zu Mischwäldern umgeformt.
Die Zukunft der Auenwälder
ist ungewiss
Für den Bereich der Oberrheinaue ist die
nähere Zukunft ungewiss. Natürliche Sukzessionen, Immissionen, unkontrollierte
Wildbestände, Klimaänderungen, forstliche und wasserwirtschaftliche Planungen
führen auf vielen Flächen zu heute nicht
absehbaren Entwicklungen. Vor allem die
Ökosysteme, die von langlebigen Arten
aufgebaut werden, konnten sich bislang
nicht auf ein neues Gleichgewicht einstellen, sie befinden sich immer noch in Sukzession.
Rheinausbau
und
Hochwasserschutz
haben die natürliche Dynamik des Rheinstromes oberhalb von Iffezheim weitgehend beseitigt. Lichtliebende Arten, Störzeiger und Pionierarten haben sich aus
der Landschaft zurückgezogen. Fehlende
Substratverlagerungen haben die Verjüngung der Weichlaubhölzer auf kleine
Flächen reduziert. Einst typische Arten wie
Deutsche Tamariske, Ufer-Reitgras, Wilde
Weinrebe, Fischadler, Lachs und Fischotter
sind verschwunden. Land- und Forstwirtschaft wurden intensiviert, Siedlungen,
Straßen und Gewerbegebiete entstanden
in den ausgedeichten Altauen. Auf
trockenen Kiesflächen der Trockenaue im
Süden konnte sich örtlich eine wärmeliebende Flora und Fauna mit seltenen Arten
entfalten. Im Bereich der freien Fließstrecke unterhalb von Iffezheim konnten
bereichsweise naturnahe Auenwälder erhalten werden.
Eine wirtschaftliche Nutzung der
Trockenaue ist kaum mehr möglich
Für die Wälder der Trockenaue ist der
hohe Anteil an Straucharten im Unterwuchs bemerkenswert. Auf kiesigen
Böden verjüngen sich alle Baumarten nur
schlecht. In Lichtungen, an Säumen und
Wegrändern kommt eine Vielzahl seltener
wärmeliebender Arten vor. An vielen Stellen haben sich sehr stabile Gebüsche mit
Liguster, Weißdorn, Hartriegel, Wolligem
Schneeball und lokal Sanddorn herausgebildet, in denen lediglich Feldulme, sehr
zerstreute Individuen der Winterlinde und
Stieleiche, sowie sehr selten, Elsbeere und
Wildbirne hochkommen. Eine wirtschaftliche Nutzung ist kaum mehr möglich, es
sei denn durch die Jagd.
Auf nicht mehr überfluteten Feinsanden
und -lehmen verjüngen sich alle im Altbestand vorkommenden Baumarten. In erster Linie Bergahorn und etwas Esche, an
trockenen Stellen Winterlinde werden
später zu den vermutlich bestandstragenden Baumarten werden. Die Stieleiche besitzt eine viel zu schwache Verjüngung,
um ihren Anteil halten zu können. Das
Überleben ihrer Bestände hängt von forstlichen Pflanzmaßnahmen ab.
Hochwasserschutz und
Auenrenaturierung als Ziele des
Integrierten Rheinprogramms
Eine entscheidende Weichenstellung bezüglich der weiteren Entwicklung des Gebietes ist im Rahmen des Integrierten
Rheinprogrammes (IRP) vorgesehen. In
diesem „Rheinprogramm“ sollen Hochwasserschutz und Auenrenaturierung integriert werden.
● Südlich von Breisach sollen durch die
Tieferlegung von Vorlandflächen neue
Überflutungsgebiete geschaffen werden. Im Bereich des stark eingetieften
Rheinlaufs zwischen Basel und Breisach
kann so eine neue Aue entstehen. Hierzu wird vermutlich bald eine mehrere
Jahre dauernde Abtragung von Vorländern entlang des jetzigen Rheins erfolgen, der heutige Leinpfad wird wohl
tiefergelegt werden oder verschwinden. In dem neuen, stark verbreiterten
Auskiesungsbereich würde dem hier
nicht eingedeichten Rhein die Möglichkeit zu rezenter Auenbildung geboten.
Infolge stark wechselnder Wasserstände kann die Auendynamik wieder ablaufen, könnten Pioniere sich auf Kiesbänken wieder ansiedeln, wird sich
eine neue Weichholzaue ausbilden.
● Oberhalb von Iffezheim, im Staustufenbereich, werden im Auenwaldgebiet
Retentionsräume mit ökologischen Flutungen gebaut (Polder).
● Unterhalb von Iffezheim sollen ausgedeichte Bereiche durch Dammrückverlegungen oder den Bau von Poldern
wieder an das Überflutungsregime des
Rheins angeschlossen werden. In den
bestehenden Auen der freien Fließstrecke werden Querriegel zurückgebaut und Altrheine zur Verbesserung
von Abflussverhältnissen oberstromig
wieder an den Rhein angeschlossen.
Im Bereich der geplanten Polder sollen
Teile der Altaue, die durch den Bau von
Rheinseitendämmen von den Überflutungen des Rheins abgetrennt wurden, wieder an das Abflussregime des Rheins angebunden werden. Polder werden durch
Einlaufbauwerke gezielt geflutet und
durch Auslaufbauwerke entleert. Zur Auenrevitalisierung werden im Schlingenbereich zwischen Breisach und Straßburg in
Abhängigkeit von der Wasserführung des
Rheins ab einem Abfluss von 1550 m3/s
ökologische Flutungen durchgeführt. Die
Überflutung der tief gelegenen Uferbänke, Rinnen und Schluten kann durchschnittlich an 50–60 Tagen, der höher gelegenen Waldflächen im Mittel an 2–15
Tagen erfolgen. Hierdurch ist eine schrittweise Anpassung der Lebensgemeinschaften an Auenbedingungen möglich. Auentypische Pflanzen und Tiere breiten sich
wieder aus. Nicht überflutungstolerante
Arten dagegen werden – je nach Umfang
und Ausmaß der Überflutung – zunehmend verschwinden. An manchen Flussabschnitten können somit bestehende Wälder mit höheren Anteilen überflutungstoleranter Baumarten zu Auenwäldern
„zurücküberführt“ werden.
Durch das Integrierte Rheinprogramm sollen im Zuge der Auenrenaturierung insbesondere die Hart- und Weichholzaue regeneriert werden. Nicht regelmäßig von den
ökologischen Flutungen erreichte Standorte bleiben als Eichen-Hainbuchwälder
oder Laubmischbestände erhalten. Die
Mischung von Baumarten unterschiedlicher Umtriebszeiten, wie Stieleiche und
Esche, ermöglicht auf ökologisch gefluteten Standorten in Abstimmung mit dem
IRP die Entwicklung von Waldbeständen,
die vegetationskundlich als eschenreiche
Eichen-Ulmen-Wälder eingestuft werden
können.
Die Abbildungen wurden uns freundlicherweise vom Ministerium für Umwelt
und Verkehr Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt.
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105
Hochrhein, Trockenaue Südlicher Oberrhein, Elzwiesen
Naturschutz-Projekte an
Hoch- und Oberrhein
Von Alexander Frisch, Peter Jehle und Alexander Ostermann
Der Hochrhein: Naturschutzaspekte einer
Flusslandschaft im Würgegriff
Die Umweltkatastrophe von
Schweizerhalle hatte Folgen
Von Peter Jehle
Alexander Frisch, Peter Jehle und Alexander Ostermann sind Mitarbeiter der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege in Freiburg i. Br.
Mit der Erschließung der Energiequellen
war auch eine rasche Industrialisierung
des Hochrheintales verbunden, in deren
Folge wiederum bis heute andauernde
starke Siedlungsentwicklungen einsetzten. So verdankt z.B. das badische Rheinfelden seine Entstehung dem Bau des erwähnten Laufkraftwerkes. Es ist leicht
nachzuvollziehen, dass heute die „ökologische Bilanz“ des Hochrheines und angrenzender Bereiche negativ ausfällt: So
sind beispielsweise lediglich ca. 40 km des
145 km langen Flusses noch einigermaßen
naturnah erhalten und über 70 km sind
ökologisch stark defizitär!
schiebetransport von Kiesen und Sanden
fast vollständig reduziert und die Durchgängigkeit für Wasserorganismen unterbrochen.
Bezeichnenderweise lenkte erst eine Umweltkatastrophe den Blick der Öffentlichkeit und Politiker auf den seit langem
kranken „Patienten“ Rhein: Wenige Wochen nach der schweren Brandkatastro-
Die Eingriffe der Menschen in den letzten
200 Jahren haben die Landschaft am
Hoch- und Oberrhein tiefgreifend verändert. Katastrophenartige Unfälle wie der
von Schweizerhalle im Jahre 1987 kamen
hinzu. Wertvolle Standorte für Pflanzen
und Tiere gingen verloren, viele Arten
sind akut gefährdet. An drei Beispielen
wird aufgezeigt, wie Maßnahmen der
Natur- und Landschaftspflege ihren Beitrag dazu leisten können, eine möglichst
große Artenvielfalt zu sichern.
Red.
Vom „wilden“ Fluss zur Stauseekette
Zwischen dem Ausfluss aus dem Bodensee
und dem Eintritt in die Oberrheinische
Tiefebene bei Basel durchfließt der Hochrhein auf ca. 145 km eine überwiegend
enge, gefällereiche Talstrecke. Bis Ende
des 19. Jahrhunderts, also noch vor dem
Bau der großen Kraftwerke, war das Befahren des streckenweise „wilden“ Flusses
noch mit vielen Gefahren verbunden und
der Fisch-, insbesondere der Lachsfang,
Lebensgrundlage vieler Rheinanlieger
(Abb. 1). Im Gegensatz zum Oberrhein mit
seiner mitunter kilometerbreiten Überschwemmungsaue drangen Hochwässer
im meist engen und tief eingeschnittenen
Hochrheinbett nur an wenigen Stellen
über die Ufer. Es fehlen daher großflächige Auen, und die intensive Besiedlung des
Rheintales erfolgte meist bis direkt an die
Flussufer.
Dies alles wiederum bot günstige Voraussetzungen für Entwicklungen, die den ursprünglichen Fluss und das gesamte Hochrheintal grundlegend verändern sollten:
Dem Bau des ersten Hochrheinkraftwerkes in Rheinfelden 1895–1898 folgten
noch zehn weitere Großkraftwerke, die
große Teile des Hochrheines in eine Stauseekette verwandelten und in deren Folge
es zu massiven Uferverbauungen kam
(Abb. 2). Es „versanken“ damit nicht nur
die berühmten und gefürchteten Stromschnellen bei Laufenburg, sondern auch
eine Vielzahl natürlicher Flusslebensräume mit ihrer typischen Pflanzen- und Tierwelt. Der Lebensraumfaktor Strömung
wurde weitgehend ausgeschaltet, der Ge106
Abb. 1: Der Fischer Ernst Rueb an der mittleren Reuse im Bereich der Stromschnellen von
Laufenburg, ca. 1910 (Quelle: Barbara Rueb, Laufenburg/Baden).
Abb. 2: Längsprofil des Hochrheines (aus: Gewässerdirektion 1998).
phe in Schweizerhalle bei Basel im Jahr
1987, die das Ökosystem Rhein durch
große Mengen eingeschwemmter giftiger
Chemikalien schwer schädigte, beauftragten die zuständigen Minister der Rheinanliegerstaaten die Internationale Rheinschutzkommssion (IKSR)1, einen umfassenden Sanierungsplan für den Rhein aufzustellen und umzusetzen. Daraus entstanden ist ein Aktionsprogramm Rhein 2000
mit den beiden Hauptzielen:
1. Wiederherstellung des Hauptstromes
als Rückgrat des Ökosystemkomplexes
„Rhein“ mit seinen wichtigsten Nebenflüssen als Lebensraum für LangdistanzWanderfische wie Lachs (daraus abgeleitet das Programm Lachs 2000), Meerforelle, Maifisch, Flussneunauge und Stör. Das
1991 ins Leben gerufene Projekt Lachs
2000 ist das wichtigste Instrument zur Umsetzung dieses Zieles. Geplant war, dass bis
zum Jahr 2000 die Lachse (und weitere
Wanderfische) wieder bis Basel und die
geeigneten Nebengewässer gelangen
können und in einer späteren Phase bis
Rheinfelden. Ganz wurde dieses Ziel nicht
erreicht, aber es darf schon als großer Erfolg gewertet werden, dass 1995 unterhalb der Staustufe Iffezheim der erste gesicherte Nachweis für einen in diesen Flussabschnitt zurückgekehrten Lachs erbracht
wurde!
2. Schutz, Erhaltung und Verbesserung
ökologisch wichtiger Bereiche des Rheins
sowie des Rheintals für die Erhöhung der
dort heimischen Tier- und Pflanzenvielfalt.
Auch am Hochrhein sollen gemäß dem Beschluss der Rheinminister im Rahmen des
Aktionsprogrammes Rhein 2000 Maßnahmen zur Verbesserung des Ökosystems
durchgeführt werden. Im Unterschied zu
den übrigen Rheinstrecken sind jedoch
die Akzente hier anders zu setzen: Nicht
vordringlich der Verbesserung der Wasserqualität und Sicherung wertvollster Auelandschaften (im Verbund mit Hochwasserschutzmaßnahmen) gilt das Hauptaugenmerk, sondern in besonderem
Maße der Frage, wie unter den gegebenen Rahmenbedingungen und Nutzungsansprüchen (Wasserkraftnutzung, Schifffahrt, Siedlungsentwicklung etc.) die ökologische Funktion und Bedeutung des
Hochrheines und angrenzender Gebiete
entscheidend verbessert werden kann.
Entsprechende Konzeptionen entstanden
in den letzten Jahren sowohl auf schweizer wie auf deutscher Seite und werden
derzeit im Rahmen gemeinsamer Projekte
und Projektideen weiterentwickelt und
konkretisiert. Zwei Beispiele sollen dies
verdeutlichen.
Das „Ökologische Gesamtkonzept
Hochrhein“
Das Ökologische Gesamtkonzept Hochrhein (Gewässerdirektion 1998) wurde
Abb. 3: Naturschutzgebiet „Weberalten“ bei Rheinfelden/Herten. Die ehemalige Kiesgrube zählt heute zu den wertvollsten Rückzugsgebieten des Naturraumes für eine Vielzahl seltener und gefährdeter Tier- und Pflanzenarten. Sie ist zudem eine wichtige
Keimzelle, von der aus weitere ähnliche Biotope bei entsprechender Biotoppflege besiedelt werden können.
erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und beinhaltet die erste umfassende Darstellung und Bewertung des
Gesamtökosystems „Hochrhein“ auf
deutscher Seite. Die umfangreiche
Konzeption, an der auch die Bezirksstelle
für Naturschutz und Landschaftspflege
(BNL) Freiburg maßgeblich beteiligt war
(BNL 1997), beinhaltet neben der Formulierung
von
Naturschutz-Leitbildern
einen Katalog von Umsetzungsmaßnahmen in den drei Kategorien Erhalten, Entwickeln und Gestalten. Zusammen mit
der Schweiz, die bereits Jahre zuvor Renaturierungsideen für den Hochrhein entwickelt hatte (BUWAL 1994), wurden auf
der Grundlage der vorliegenden Konzeptionen gemeinsame Pilotstrecken ausgewählt, die exemplarisch länderübergreifende Maßnahmen zur Biotopgestaltung
und -vernetzung aufzeigen sollen. Eine
der Pilotstrecken ist der Abschnitt zwischen Reckingen und Aaremündung bei
Waldshut. Er zählt zu den wenigen noch
verbliebenen freien Fließstrecken des
Hochrheins und besitzt ein hohes ökologisches Aufwertungspotenzial. Die Planung sieht hier vor, bei Rietheim
(Schweiz) und Ettikon (nahe WaldshutTiengen) ehemalige Auen durch die Anbindung von Rheinaltarmen sowie den
Mündungsbereich der Wutach wieder naturnah zu gestalten. Nicht nur der Biber,
der sich hier vor Jahren wieder in stattlicher Zahl angesiedelt hat, würde davon
profitieren, sondern es könnten auch beispielsweise wichtige Laichhabitate für Fische und hochwertige Vogellebensräume
geschaffen werden.
Der „Biotopverbund Hochrhein“
im Landkreis Lörrach
Auf Initiative des Landkreises Lörrach sowie
der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege Freiburg wurde im vergangenen Jahr ein Projekt ins Leben gerufen, das
sich zur Aufgabe gestellt hat, den Talraum
zwischen Schwörstadt und GrenzachWyhlen im Sinne des Aktionsprogrammes
Rhein 2000 zu entwickeln und zu gestalten.
Für dieses Projekt ist eine auf zwei Jahre
befristete Stelle beim Landratsamt Lörrach
eingerichtet sowie ein Projektbetreuer eingesetzt, der unter Fachaufsicht der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege ein Biotopverbundkonzept erstellt. In
einem ersten Schritt sind dabei insbesondere solche (meist sekundären) Biotoptypen
zu erhalten, zu entwickeln und räumlich zu
vernetzen, die eine ökologische Verwandtschaft mit den verschwundenen primären
Biotoptypen der Schotter- und Altwasserzonen der Flußauen aufweisen. Im Projektgebiet sind dies meist nicht mehr bewirtschaftete oder noch in Betrieb befindliche
Abbauflächen, die noch in erstaunlich hoher Anzahl anzutreffen sind (Abb. 3). Sie besitzen eine besonders große Bedeutung als
letzte Refugien der artenreichen Tier- und
Pflanzenwelt ehemals intakter Flußauen.
Parallel dazu wird die Möglichkeit einer
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
mit benachbarten Schweizer Kantonen
insbesondere unter dem Aspekt geprüft,
dass länderübergreifende Entwicklungsprojekte von der Europäischen Gemein107
schaft mitfinanzierbar sind (beispielsweise
das INTERREG-Programm).
In welchem Umfang die oben erwähnten
Projekte und Ideen tatsächlich umgesetzt
werden können ist, wie so oft, ganz entscheidend von den zur Verfügung stehenden Mitteln und der Mitarbeit der
Gemeinden (und Kantone) abhängig. Bei
knapper werdenden öffentlichen Mitteln
und dem ungebremsten Wachstum der
Städte, Gemeinden und Freizeitnutzun-
gen bleiben für den Naturschutz oft nur
noch geringe Spielräume. Dennoch wird
von den zuständigen Fachverwaltungen
versucht, mit den zahlreichen Anliegern
und Nutzern in einen Dialog zu treten
und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die beiden Seiten gerecht werden.
Dass dies nicht immer gelingen wird,
liegt auf der Hand, da oftmals die jeweiligen Interessen zu weit auseinander liegen.
Die „Trockenaue Südlicher Oberrhein“:
Reste einer Flusslandschaft
Von Alexander Frisch
Lebensraum Trockenaue
Die „Trockenaue Südlicher Oberrhein“ ist
eine fast bis zur Unkenntlichkeit veränderte Flusslandschaft, seit der Rhein in ein
schmales
Hochwasserbett
überführt
wurde. Dennoch sind in den angrenzen-
den, bis zum Ende des letzten Jahrhunderts noch überfluteten Gebieten
Reste der früheren Flussaue auch heute
noch vorhanden. Hierzu zählen insbesondere Arten und Lebensgemeinschaften
trocken-warmer Kiesbänke, die für den
Naturschutz von größter Bedeutung sind.
Flussauen sind durch die Dynamik des
Wassers geprägte Lebensräume. In den
Alpen und in Gebieten, die wie die südliche Oberrheinebene den Alpen vorgelagert sind (präalpin), hat das Wasser
eine besondere Aufgabe: Das Wasser
transportiert gewaltige Schuttmassen,
und daher kommen hier zahlreiche
Schotterflächen vor (Abb. 4). In Abhängigkeit von Hochwasserereignissen verändern sich Lage und Form dieser Kiesbänke oft erheblich. Spitzenhochwasser
können Kiesbänke so hoch aufschottern,
dass sie vom normalen Hochwasser nicht
oder nur selten erreicht werden und im
wesentlichen trockene Standortverhältnisse vorliegen. Der Dynamik der Feststoffe kommt damit eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Offene Kiesböden
können sich bei uns im Sommer bis über
70 °C erwärmen, so dass es sich sogar
um besonders trocken-heiße Standorte
handelt. Diese Extremlebensräume werden „Brennen“ genannt. Verschärft werden die Standortverhältnisse durch die
Humus- und Nährstoffarmut der Sedimente alpiner und präalpiner Auen,
während die Schlickablagerungen der
Abb. 5: Natürliche Trockenstandorte von Kalkmagerrasen und Pioniervegetation finden sich sowohl auf Felsen (links: Kalk-Festgestein;
nach Ellenberg 1952, verändert) als auch auf Kiesfluren der Flussauen (rechts: Kalk-Lockergestein). 1: Felsbandfluren und Pioniergesellschaften; 2: Kalkmagerrasen.
Abb. 4: Naturnaher Flussabschnitt an der Oberen Isar zwischen Vorderriß und Wallgau
mit Wechsel von Wasserläufen und Kiesbänken (12. 6. 1999). Bis zur Rheinkorrektion
im 19. Jahrhundert gab es auch im Rhein eine Vielzahl offener und vegetationsarmer
Kiesinseln, die für Auespezialisten und Magerrasenarten Lebensmöglichkeiten boten.
108
Tieflandflüsse ein höheres Nährstoffangebot aufweisen (Müller & Scharm 1996).
Kiesbänke sind als Extremlebensräume
für viele Arten und Lebensgemeinschaften unersetzbar. Wo es anderen zu hell,
zu heiß und zu trocken ist, finden an solche Bedingungen hochgradig angepasste
Arten ihre einzige Nische. Neben ausschließlichen Auespezialisten gehören
auch Magerrasenarten zum Inventar der
Kiesbänke (Abb. 5). Die Dynamik der
Fließgewässer ist heute aber – vor allem
durch den Bau von Staustufen – derart
verändert, dass die typischen Arten ihre
Lebensgrundlagen fast völlig verloren
haben. Sedimentation ausschließlich feiner Substratanteile und ungestörte
Bodenentwicklung führen zu erheblichen
Standortveränderungen. In der Folge
stellen sich Arten ein, die unter sehr verschiedenen Bedingungen leben können,
und die Spezialisten verlieren ihre Lebensräume oder werden verdrängt. Dadurch nehmen häufige Lebensgemeinschaften mitteleuropäischer Fließgewässer und Ruderalflächen zu und dringen
bis in die Oberläufe vor. Naturnahe Flussabschnitte mit großen Schotterflächen
zählen inzwischen zu den am stärksten
gefährdeten Landschaftstypen im Umfeld
der Alpen (Müller 1995).
Wenn aus dem Wildstrom ein
begradigter Schlauch geworden ist
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts existierten im Rhein zwischen Basel und
Breisach Hunderte von Kiesbänken und
-inseln. Waren die einzelnen Kiesinseln der
Dynamik des Rheins unterworfen, so blieb
das Angebot entsprechender Lebensräume bezogen auf den Gesamtraum aber
weitgehend konstant. Infolge der Rheinkorrektion nach Plänen von Tulla sowie
weiterer wasserbaulicher Eingriffe existiert
zwischen Basel und Breisach nur noch ein
begradigter Flussschlauch anstelle des einstigen Wildstromes. Die übrigen Bereiche
der früheren Rheinaue „versteppten“
(Hügin 1962): Das Grundwasser sank mehrere Meter tief ab, Überflutungen blieben
aus. Die trockengefallenen ehemaligen
Bereiche der früheren Rheinaue zwischen
Basel und Breisach – denen die Dynamik
des Wassers fehlt – werden oft vereinfacht
als Trockenaue Südlicher Oberrhein bezeichnet (Abb. 6). In diesem Gebiet verschwanden diejenigen Auenarten großflächig, die an trockene Lebensverhältnisse
nicht ausreichend angepasst sind. Auen-
Abb. 7: Brennenstandort mit einem Kalkmagerrasenbestand (Vordergrund), der randlich
von Sanddornbüschen durchsetzt ist (Mitte). Das lockere Sanddorngebüsch bildet nur
einen schmalen Streifen, dahinter schließt ein lichter, strauchreicher Buschwald mit Stieleichen und Pappeln an (3. 8. 1997).
Abb. 6: Lage der „Trockenaue Südlicher
Oberrhein“ zwischen Basel und Breisach.
Die Kernzone zwischen Hartheim und
Efringen-Kirchen ist abgegrenzt und gepunktet dargestellt.
arten der trockenen Brennenstandorte
breiteten sich dagegen zunächst aus. Aufgrund der Sukzession infolge von Bodenreifung und veränderter oder fehlender
Nutzung (z.B. Aufgabe der Beweidung)
werden jedoch auch diese Arten zusehends zurückgedrängt und drohen unwiederbringlich zu verschwinden. Maßnahmen zum Hochwasserschutz und
Flächenverbrauch für andere Zwecke stellen ein weiteres Gefährdungspotenzial
für die Trockenaue dar.
Reiches Leben auf trockenen
Kiesböden
Ehemalige Brennen sind bis heute an ihrer
charakteristischen Vegetation zu erkennen. Neben Beständen an Kalkmagerrasen zählen hierzu vor allem Sanddorngebüsche, die gemeinsam mit angrenzenden
trockenen Eichenwäldern einen extrem
struktur- und artenreichen Biotopkomplex bilden (Abb. 7); eine erste umfassende vegetationskundliche Beschreibung
109
gibt Witschel (1980). Aufgrund von Biotopausstattung und Arteninventar ist die
Trockenaue eine der wertvollsten Landschaften für den Naturschutz in BadenWürttemberg (Regierungspräsidium Freiburg 1998). So sind für das Gebiet rund
2300 Käferarten nachgewiesen – das entspricht einem Drittel aller Käferarten in
Deutschland (Bense et al., im Druck).
Sanddorngebüsche gehören zu den ausgesprochenen Eigenheiten präalpiner
Auen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
der Sanddorn hier mit einer anderen Unterart als etwa an den norddeutschen Küsten auftritt. Großflächige natürliche Vorkommen des Sanddorns beschränken sich
in Baden-Württemberg auf die Trockenaue (Sebald et al. 1992). Der Strauch mit
den orangefarbenen, Vitamin C-reichen
Früchten hat besondere Anpassungen an
das Leben auf offenen, rasch austrocknenden und nährstoffarmen Kiesböden entwickelt. Hierzu zählt die Symbiose mit bestimmten Mikroorganismen. Diese leben
in kleinen Verdickungen der Wurzeln und
machen den Luftstickstoff pflanzenverfügbar. Mit diesem „Trick“ düngt sich der
Sanddorn sozusagen selbst, was auf
rohem Kies einen wesentlichen Vorteil gegenüber anderen Arten darstellt. In der
Trockenaue ist eine Verjüngung des Sanddorns durch Samen infolge der Grundwasserabsenkung nicht mehr zu beobachten.
Als Pionierart bildet der Sanddorn jedoch
Wurzeltriebe und Stockausschläge und
kann sich im Gebiet auf diese Weise bis
heute halten (Steiner & Bogenrieder
1989). Da das Höchstalter einzelner Stämme allerdings bei nur 30 Jahren liegt und
die Art leicht durch andere Gehölzarten
ausgedunkelt wird, droht der Sanddorn
allmählich zu verschwinden.
Eng verzahnt mit den Sanddorngebüschen sind Bestände blütenbunter und
Abb. 9: Der seltene Rauhe Klee erhebt sich nur wenige Zentimeter über die Blätter des
Frühlings-Fingerkrauts (28. 6. 1997).
Abb. 8: Die Gottesanbeterin ernährt sich
vor allem von Insekten, die sie mit ihren
bedornten Fangbeinen erbeutet. Im Vordergrund sind Blütenstände der Golddistel zu sehen (16. 8. 1987).
110
oft orchideenreicher Kalkmagerrasen.
Die Standorte sind meist mit einer dünnen Schicht sandig-schluffigen Materials
bedeckt, stellenweise liegen die Flusskiesel aber bis heute frei inmitten lückiger,
von Flechten und Moosen geprägter
Vegetation. Aufgrund der extremen
standörtlichen Trockenheit sind viele Magerrasenbestände bislang frei von Verbuschung geblieben – und das trotz fehlender Nutzung oder Pflege über mehrere
Jahrzehnte. Flussbrennen zählen damit
wie Felsen und Schutthalden zu den
Primärstandorten entsprechender Artenverbindungen (Quinger 1994). Je nach
Struktur und Nahrungsangebot der Magerrasenbestände kommen z. B. verschiedene Schmetterlinge und Heuschrecken
vor, darunter viele Arten der Roten Listen.
Die allgemein seltene und gesetzlich
geschützte Gottesanbeterin ist in der
Trockenaue vielerorts anzutreffen (Abb.
8). Zu den floristischen Besonderheiten
zählen unter anderem der Ährige Ehrenpreis, das Alpen-Leinblatt als Alpen-
schwemmling, der Frühblühende Thymian, die hochwüchsige Unterart der Hummel-Ragwurz und der Rauhe Klee
(Abb. 9).
Während die Hunds-Braunwurz als Pionierart auch in Magerrasenbeständen
vorkommt, ist das Rosmarin-Weidenröschen ausschließlich auf offene, konkurrenzarme Kiesböden angewiesen. Das
Rosmarin-Weidenröschen besiedelt heute
meist vom Menschen geschaffene
Ersatzstandorte wie Rheindämme, Kiesgruben und Wegränder (Abb. 10). Diese
zwei licht- und wärmeliebenden krautigen Arten kennzeichnen die Hundsbraunwurz-Gesellschaft, die ihre ursprünglichen Standorte auf den Brennen
verloren hat. Auf beide Arten sind wiederum hochgradig spezialisierte Tierarten
angewiesen. So lebt z.B. die Raupe des
Hundsbraunwurz-Mönchs im Gebiet von
Pflanzenteilen der Hunds-Braunwurz. Die
Schmetterlingsart ist für die Bundesrepublik Deutschland nur aus der Trockenaue
bekannt (Ebert 1997).
Abb. 10: Rosmarin-Weidenröschen in einer aufgelassenen Kiesgrube. Die blühenden
Triebe werden von einem vorjährigen Stengel überragt (1. 7. 1997).
Pflegemaßnahmen
Zur Erhaltung der hochwertigen Lebensräume und der Vielzahl seltener
Arten in der „Trockenaue Südlicher
Oberrhein“ sind verschiedene Pflegemaßnahmen erforderlich, sofern es nicht
gelingt, eine geeignete Nutzung zu etablieren.
Früher wurde das Holz der Sanddorngebüsche zur Brennholzgewinnung benötigt. Neben der natürlichen Verjüngung
in der intakten Rheinaue wurden die Bestände durch die Nutzung stabilisiert,
weil sich der Sanddorn über Stockausschläge wieder regeneriert. Heute müssen die Gebüsche im Rahmen von Pflegemaßnahmen gelegentlich auf den Stock
gesetzt werden. Je nach Standort bilden
sich zunächst Schlagfluren mit verschiedenen Staudenarten oder Kalkmagerrasenbestände. Die Gehölzaustriebe werden durch Rehwild stark verbissen, so
dass die beispielsweise für bestimmte
Schmetterlingsarten wertvollen Entwicklungsstufen zum dichteren Gebüsch einige Jahre lang erhalten bleiben. Die Weibchen der Gottesanbeterin legen an den
jungen Trieben häufig ihre länglichen Eikokons ab, die hier ausreichend belüftet
werden und nicht zu viel Feuchtigkeit erhalten.
Die Kalkmagerrasenbestände wurden
früher ebenfalls von Menschen genutzt.
Sie dienten als Weideflächen für das Vieh,
auch Grasschnitt wurde gewonnen. Liegen die Kalkmagerrasenbestände brach,
verringert sich die Anzahl der Pflanzenarten mehr und mehr. Kleinwüchsige und
konkurrenzschwache Arten verschwinden dabei zuerst. Offenere und kurzrasige Flächen, wie sie durch Beweidung entstehen können, fehlen heute beinahe völlig. Ausgesprochen lichtliebende Arten –
z.B. die vom Aussterben bedrohte Italienische Schönschrecke – kommen deshalb
fast nur noch an lückig bewachsenen
Wegrändern und in geringer Individuenzahl vor. Eine extensiv durchgeführte
Schafbeweidung (Hütehaltung, Pferch
außerhalb der Magerrasenbestände) ist
für viele Bereiche besonders zweckmäßig,
auch weil der Aufwuchs durch die Beweidung sinnvoll verwertet wird. Bei einer
reinen Pflegemahd muss das anfallende
Schnittgut dagegen mühevoll „entsorgt“
werden. Eine jährliche Pflegemahd wird
dennoch für einige Bestände durchgeführt. Einerseits handelt es sich dabei um
orchideenreiche Flächen, andererseits ist
hier eine Beweidung aus verschiedenen
Gründen derzeit nicht überall möglich.
Bei der Mahd bleibt jeweils ein bestimmter Flächenanteil der Bestände stehen,
der dann aber im Folgejahr abgemäht
wird. Durch dieses mosaikartige Verfahren wird eine möglichst hohe Strukturvielfalt erreicht. Davon profitieren Arten,
die zur Eiablage oder zum Überwintern
auf langgrasige Bereiche angewiesen
sind.
Daneben gehören das Auslichten von Eichenwäldern zur Förderung der Eichenverjüngung sowie, in Anlehnung an die
frühere Dynamik der Rheinaue, die Schaffung von Kiesrohböden zu den vordringlichen Pflegearbeiten. Entsprechende
Maßnahmen werden z. T. seit Jahren im
Auftrag der Bezirksstelle für Naturschutz
und Landschaftspflege in Freiburg durchgeführt und teilweise auch durch die Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg finanziert. Die Summe der Maßnahmen dient der Erhaltung einer reich
strukturierten und reich an Arten ausgestatteten Landschaft mit einer außerordentlichen Bedeutung für den Naturschutz.
111
Das LIFE-Natur-Projekt „Wiesenlebensraum
Elzwiesen Rheinhausen“
Von Alexander Ostermann
Die Elzwiesen
35 km nordwestlich von Freiburg, zwischen der A 5 im Osten und den Ortschaften Rheinhausen und Rust im Westen, erstreckt sich beiderseits der „Alten Elz“ die
weiträumige Elzwiesen-Landschaft. Umgeben von intensiv genutzten Ackerflächen liegt hier eine der letzten größeren Grünlandinseln im Oberrheintal.
In der Wiesenvegetation bestimmen Wirtschaftswiesen mittlerer Standorte, vor
allem
Fuchsschwanz-Glatthaferwiesen,
das Bild. Mittels eines im letzten Jahrhundert angelegten Bewässerungssystems aus
Gräben, Wehren und Stellfallen werden
bis heute in einem 300 ha großen Gebiet
noch die traditionellen Wiesenwässerungen durchgeführt. Der Wässerwart leitet
dabei im zeitigen Frühjahr, nach der Heuernte und im Spätjahr über drei Wochen
lang Elzwasser in eine Parzelle nach der
anderen. Es handelt sich hier um das größte noch intakte Wässerungsgebiet Südwestdeutschlands.
Die Wässerungen dienten ursprünglich der
Steigerung der Grünlanderträge. Sie
führen gleichzeitig zu einer Grundwasseranreicherung und damit der Verbesserung der örtlichen Trinkwasserqualität und
sie stellen mit ihren Bewässerungsanlagen
ein kulturhistorisches Zeugnis einer alten,
aussterbenden Wirtschaftsweise dar. Herausragend ist die Bedeutung für den Naturschutz, speziell für den Vogelschutz.
An den während der Wiesenwässerung
über das Gebiet wandernden Wasserflächen finden sich neben Wiesenbrütern
auch viele Nahrungsgäste und rastende
Zugvögel, vor allem Watvögel, in großer
Zahl ein. Weißstörche, Kiebitze, Grünschenkel, Kampfläufer und viele andere
Arten sind hier noch regelmäßig zu be-
obachten. Der vom Aussterben bedrohte
Große Brachvogel hat mit ca. 15 Brutpaaren in den Elzwiesen sein bedeutendstes
Brutgebiet in Baden-Württemberg.
Beispielhaft für die Zukunft erhalten
Der Elzwiesenlandschaft drohte vor 20
Jahren das gleiche Schicksal wie vielen
anderen Grünlandgebieten in der Oberrheinebene. Immer mehr Wiesen wurden
in Äcker umgewandelt, verbleibendes
Grünland wurde einer intensiveren Nutzung zugeführt und die Tage der Wiesenwässerung schienen gezählt zu sein.
Hinzu kamen Störungen der Vogelwelt
durch zunehmenden Freizeitbetrieb,
unter anderem Modellflug oder Hundesport und bauliche Vorhaben.
Eine ganze Reihe von Maßnahmen war
erforderlich, um dieses Grünlandgebiet
beispielhaft für die Zukunft zu erhalten.
Hierzu gehörten eine Flurbereinigung
zur Entflechtung von Acker und Grünland, Grunderwerb durch das Land mit
Rückumwandlungen von Ackerflächen in
Wiesen, die Unterschutzstellung als
Natur- und Landschaftsschutzgebiet, Zuschüsse für die Wiesenwässerung und
Ausgleichszahlungen an Landwirte für
extensive Wiesennutzung. Die Ausweisung als EG-Vogelschutzgebiet ermöglichte 1985 bis 1990 eine Förderung der
entscheidenden Erhaltungsmaßnahmen
durch die EU.
Mit ein Anlass für weitergehende, konzeptionelle Überlegungen waren der
trotz aller Bemühungen seit Jahren geringe Bruterfolg von Großem Brachvogel
und das Verschwinden der Helm-Azurjungfer aus dem Gebiet. Hinzu kommt die
allgemeine Notwendigkeit, den fortlaufenden Biotopverlusten zumindest über
Abb. 11: Frühjahrswässerung im Naturschutzgebiet „Elzwiesen“. Neben zahlreichen
Watvögeln finden sich auch regelmäßig Weißstörche an den Wasserflächen ein.
112
eine Lebensraumoptimierung in einzelnen Schutz- und Projektgebieten etwas
entgegen zu setzen.
Durch eine 50%-Förderung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft im
Rahmen des Programmes LIFE-Natur (über
400 000,– DM) wurde 1997–1999 ein optimierendes Biotopmanagement ermöglicht. LIFE-Natur ist das Förderinstrument
der EU zur Umsetzung von NATURA 2000,
dem europäischen Schutzgebietsverbundsystem zur Erhaltung der biologischen
Vielfalt und der Lebensräume von europaweiter Bedeutung.
Die Projekt-Trägerschaft lag bei der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege Freiburg. Das 640 ha große
Projektgebiet umfasst das Naturschutzgebiet „Elzwiesen“ und angrenzende Flächen. Zentrales Projektziel war die „Erhaltung der autochthonen Populationen
wichtiger Wiesenvögel und Insekten
sowie Steigerung der Attraktivität für
durchziehende Vogelarten“. Im Vordergrund standen dabei „europäische“ Arten
der EG-Vogelschutzrichtlinie und der FFHRichtlinie. Projektspezifische Leitarten
waren neben dem großen Kollektiv rastender Zugvögel unter anderem Weißstorch, Großer Brachvogel, Kiebitz, Großer
Feuerfalter, Dunkler Wiesenknopf-Ameisen-Bläuling und Helm-Azurjungfer.
Ein ganzes Bündel von Maßnahmen
In dem bestehenden Wässerungsgebiet
wurden Unterhaltungsmaßnahmen bezuschusst, für die das begrenzte Budget der
zuständigen Wässerungsgenossenschaft
nicht ausreicht. Beispielsweise sind defekte, noch aus dem letzten Jahrhundert
stammende Schleusenwinden durch neue
Winden ersetzt worden. Darüber hinaus
ist ein seit 20 Jahren aufgegebenes Wässerungsgebiet mit über 50 ha wieder aktiviert worden. Hierfür mussten zugeschüttete Wässerungsgräben wieder angelegt
und neue Stellfallen eingebaut werden.
Zur räumlichen und zeitlichen Ergänzung
der temporären Wasserflächen wurden
vier permanente Flachwasserbereiche angelegt. An der Alten Elz mit ihren Einheitsböschungen wurden differenzierte Böschungsneigungen zur Erhöhung der Biotopvielfalt angelegt, ein Fischteich renaturiert und trockengefallene Begleitgräben
entschlammt. Die Wasserführung in einem
Nebengewässer der Alten Elz wurde im
Hinblick auf die Habitatsansprüche der
Helm-Azurjungfer durch abschnittsweise
Grabenräumungen und Beseitigung von
Abflusshindernissen stabilisiert.
Für den seit Mitte der 80er Jahre im Gebiet beispielhaft praktizierten Vertragsnaturschutz sind neue Vertragsmodalitäten wie z.B. Mahd „von innen nach
außen“, eine Schnitthöhe von mindestens
7 cm oder präzisere Regelungen zur Stickstoffdüngung entwickelt worden. Der
Vertragsnaturschutz umfasste 1999 über
90 ha Wiesenflächen mit einem Kostenvolumen von über 60 000,– DM. Auf den
landeseigenen Flächen des Gebietes mit
ca. 150 ha finden sogar noch weiterreichende Regelungen im Zuge der Pachtverträge Anwendung, wie z.B. Mahd mit Balkenmäher.
Die letzte große Ackerfläche innerhalb
des Wässerungsareals konnte im Rahmen
des Projektes wieder in eine Wiese umgewandelt werden.
Die Mahd nicht mehr genutzter Wiesen
und Elzdämme und die Freihaltung verschiedener Wassergräben zielten beispielsweise auf die Habitatansprüche von
Großem Feuerfalter oder Dunklem Wiesenknopf-Ameisenbläuling.
Der Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit lag im erweiterten Projektgebiet,
dem benachbarten Naturschutzgebiet
„Taubergießen“. Ein neuer Parkplatz vor
dem Schutzgebiet, ein zusätzlicher Rundweg im südlichen Teil, Infotafeln an allen
Hauptzugängen und eine Broschüre über
das Schutzgebiet dienen nun der Besucherinformation und der Besucherlenkung.
Das Projekt wurde von einem Biologenbüro wissenschaftlich begleitet. Die Verbesserung des Wasserangebotes durch
verschiedenste Maßnahmen führte nach
den durchgeführten Erhebungen am
schnellsten zu sichtbaren Erfolgen. Am
eindrücklichsten sind dabei die schnelle
Annahme der angelegten Flachwasserbereiche durch Wiesenvögel, viele Zugvögel
und auch Libellen. Darüber hinaus konnte
die seltene Helm-Azurjungfer 1999 erstmals wieder an einem Wassergraben
nachgewiesen werden. Auch Sumpfschrecke und Grasfrosch wurden durch die
Wasserbeschickung von Gräben gefördert.
Der Große Brachvogel – die Leitart unter
den Wiesenbrütern – bleibt dagegen ein
Sorgenkind des Naturschutzes. Es ist in
den letzten Jahren nicht gelungen, seinen
geringen Bruterfolg zu steigern.
Ein Katalysator für neue konzeptionelle Ansätze im Naturschutz
Neben der Umsetzung konkreter Maßnahmen war das Projekt auch Katalysator
für neue konzeptionelle Naturschutz-
ansätze in den Elzwiesen. Vor 20 Jahren
stand hier der Große Brachvogel noch fast
allein im Vordergrund der Naturschutzbemühungen. Die naturschutzfachliche
Gesamtbetrachtung der Elzwiesen steht
nun auf einer breiteren Artenbasis. Neben
Wiesenbrütern und Durchzüglern werden
nun auch verschiedene Insektenarten,
aber auch z.B. Amphibien verstärkt berücksichtigt.
Die ständige enge Zusammenarbeit der
Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege mit den zuständigen Wässerungsgenossenschaften, Gemeinden, Naturschutzbeauftragten, dem Regierungspräsidium Freiburg, der Staatlichen Liegenschaftsverwaltung und z.B. der Fachschaft für Ornithologie Südlicher Oberrhein hat sich sehr bewährt.
Die neu angelegten Biotopstrukturen wie
z.B. die Flachwasserbereiche werden
künftig regelmäßig zu pflegen sein, der
Vertragsnaturschutz wird natürlich weitergeführt und die Prädatorenproblematik bei den Wiesenbrütern bleibt ein wichtiges Forschungsthema. Die Wiesenwässerungen bedürfen auch zukünftig einer Bezuschussung.
Die Populationsentwicklungen der wertgebenden Arten in den Elzwiesen sind
weiter zu beobachten. Diese regelmäßige
Inventur dient der Qualitätssicherung der
Elzwiesen als Bestandteil des europäischen Netzes „NATURA 2000“.
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113
Brücken bauen und sie begehen
Drei Länder – drei Philosophien
Auf dem Weg zu einem
europäischen Zentralraum
Seit Ende der 70er Jahre ist eine Inflation
grenzüberschreitender Kooperationen in
Deutschland festzustellen. Häufig standen
grenzüberschreitende Raumordnungsaktivitäten dabei Pate. Die Akteure der
Raumordnung sehen nämlich durch ihr
querschnittsorientiertes, integratives Denken deutlicher als in anderen Politikbereichen die trennende Wirkung der Grenzen
und die Potenziale, die sich für die europäischen Räume an nationalstaatlichen
Grenzen dadurch ergeben, die Grenzhindernisse zu mindern bzw. abzubauen.
Trotz bemerkenswerter Fortschritte bei
der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Raumordnungspolitik stehen
auch am Oberrhein einer diesem europäischen Zentralraum adäquaten Raumordnung eine Reihe noch zu überwindender
Probleme entgegen. Zu nennen sind vor
Grenzüberschreitende Raumordnung am Oberrhein
Von Roland Hahn
Dr. Roland Hahn ist Direktor des Regionalverbandes Südlicher Oberrhein in Freiburg i.B.
Die Landschaft des Oberrheins und ihre
Menschen gehören zusammen, ihrem Bewusstsein nach, wie nach gemeinsamen
Potenzialen und gleichen Gefährdungen.
Getrennt werden sie durch die politischen
Grenzen von Deutschland, Frankreich und
der Schweiz. Da diese Grenzen inzwischen zu europäischen Binnengrenzen geworden sind, ist eine gemeinsame Entwicklung mit Hilfe einer gemeinsamen
Raumordnungspolitik nicht nur nötig,
sondern auch möglich und längst in Angriff genommen.
Red.
Gemeinsame Potenziale und
gleiche Gefährdungen im gemeinsamen Raum
Geografisch reicht der Oberrhein von
Basel bis Frankfurt. Den Agglomerationen
Rhein-Neckar und Rhein-Main fehlt jedoch geografisch die typische Begrenzung
durch Schwarzwald und Vogesen, politisch die Grenzsituation zu Frankreich
bzw. zur Schweiz. Wir nehmen als „Oberrhein“ daher hier das Mandatsgebiet
der trinationalen Oberrheinkonferenz
(Abb. 1: Der Oberrhein in Europa). Und in
der Tat sind es geografische und geopolitische Gemeinsamkeiten und deren Auswirkungen auf das Leben der Menschen am
Oberrhein, die ihn zu einem gemeinsamen Raum machen. Links und rechts des
Rheins, zwischen Vogesen und Schwarzwald, gibt es von der Geologie angefangen über Grund- und Hochwasser, Klima
und Bodennutzung bis hin zur Siedlungsstruktur verwandte Verhältnisse. Diese
„Verwandtschaft“ birgt gemeinsame Potenziale, aber auch gleiche Gefährdungen
in sich, wie in einem System kommunizierender Röhren. So ist der Oberrhein einerseits die Verkehrsdrehscheibe Zentraleuropas, könnte aber auch verkehrlich
zum „Stauraum“ in der Mitte Europas
werden. Die nationalstaatlichen Grenzziehungen in Europa haben diese Verflechtungen am Oberrhein ignoriert oder gar
negiert. Alle Grenzregionen und die dort
lebenden Menschen haben dafür – häufig
schmerzlich – mit einem erheblichen Verlust an Lebensqualität bezahlt.
Erstmals seit der Entstehung der Nationalstaaten in Europa sind durch den europäischen Einigungsprozess frühere nationalstaatliche Außengrenzen europäische Binnengrenzen geworden. Und das Oberrheingebiet, das aus der Sicht Deutsch114
lands, Frankreichs und der Schweiz aus
Grenzregionen gebildet wird, wandelt
sich zu einem europäischen Zentralraum.
Wie reagieren die Akteure des Oberrheins
auf diesen tiefgreifenden Wandel? Welche Rolle spielt dabei die Raumordnung?
Und auf welcher Basis werden neue Wege
begangen?
Abb. 1
Raumordnungscharta Oberrhein 21 bedeutet daher eine neue Qualität europäischer, grenzüberschreitender Raumordnungspolitik am Oberrhein.
Die Raumordnungscharta stützt sich auf
vier Prinzipien. Das erste Prinzip bekräftigt eine nachhaltige Entwicklung des
Oberrheinraums: die Verantwortung der
heutigen gegenüber den künftigen Generationen, die gegenseitige Solidarität der
Partner und die Gleichzeitigkeit sozialer,
ökonomischer und umweltpolitischer Gesichtspunkte. Das zweite Prinzip bezieht
sich auf eine grenzüberschreitende, abgestimmte, also koordinierte Raumordnungspolitik, ohne die Entwicklungsziele
der Partner zu verletzen. Dafür wird die
Festlegung prioritärer Maßnahmen und
eine gemeinsame Raumbeobachtung für
unabdingbar erachtet. Als gemeinsame
Referenz und drittes Prinzip gilt die Studie
für einen Raumordnerischen Orientierungsrahmen für das Oberrheingebiet.
Und schließlich soll die Raumordnungspolitik am Oberrhein stärker in das Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK)
eingebettet werden.
Abb. 2
Städtenetz, doch fehlende Metropole
allem der unterschiedliche Aufbau, Wirkungsgrad und die mangelnde Vergleichbarkeit der Pläne und Planungsebenen in
den drei Staaten (Abb. 2: Planungsunterlagen für das Oberrheingebiet). Hinzu
kommt die mangelnde Kenntnis der jeweils anderen Planungssysteme.
Die daraus resultierenden Missverständnisse und Fehleinschätzungen bei einer
gemeinsamen Raumordnungspolitik werden noch verschärft – vor allem was die
deutsche Seite betrifft – durch mangelhafte oder nicht vorhandene Kenntnisse der
Sprache des Nachbarn, ein oft unterschätzter Faktor. Zu all dem kommt, dass
in Deutschland, Frankreich und der
Schweiz den Raumordnungspolitiken sehr
unterschiedliche Planungsphilosophien zu
Grunde liegen, die ihre Wurzeln tief in der
Geschichte und Kultur des jeweiligen Landes haben. Trotz dieser Probleme wurde
seit Mitte der siebziger Jahre die grenzüberschreitende Zusammenarbeit punktuell vorangebracht. Durch die INTERREGProgramme der Europäischen Union
wurde dieser Prozess in den neunziger
Jahren erheblich beschleunigt: es begann
die Phase von der europäischen Rhetorik
zum europäischen Projekt.
Mit der „Raumordnungscharta
Oberrhein 21“ zu einer gemeinsamen
Raumordnungspolitik verpflichtet
Die regionalen Akteure des europäischen
Zentralraums Oberrhein haben mit der
Raumordnungscharta Oberrhein 21 diese
Problemstellung aufgenommen, nämlich
dass diesen vielen Projekten die politische
und strategische Einbindung in eine übergreifende Raumordnungspolitik fehlte.
Die Unterzeichner der Willenserklärung
sind der französische Staat, die Region
und die beiden Departements des Elsass,
die Schweizer Kantone Basel-Stadt, BaselLandschaft und Aargau sowie die deutschen Bundesländer Baden-Württemberg
und Rheinland-Pfalz. In der Willenserklärung vom 26. November 1999 verpflichten
sich die Vertreter der Staaten, Kantone
und Gebietskörperschaften erstmals formell auf eine gemeinsame, grenzüberschreitende Raumordnungspolitik für das
Oberrheingebiet. Sie einigen sich auf Prinzipien und daraus abgeleitete Ziele der
Raumordnung im trinationalen, europäischen Zentralraum. Sie bekräftigen darüber hinaus auch den Willen, die Ziele umzusetzen. Das Zustandekommen der
Von diesen raumordnerischen Prinzipien
werden spezifische Ziele für das Oberrheingebiet abgeleitet. Erstens soll die
Städtelandschaft am Oberrhein erhalten
und gestärkt werden. Es fehlt eine zentrale Metropole. Dafür gliedert sich der
Oberrhein in ein Städtenetz großer, mittlerer und kleinerer Städte. Zusammengenommen hat der Raum durchaus das Potenzial einer europäischen Metropolregion, die gegliederte Städtelandschaft
macht einen erheblichen Teil der Lebensqualität des Oberrheins aus (Abb. 3: Zentralität und Netze). Die Verbesserung, insbesondere die Schließung von (grenzbedingten) Lücken bei der Verkehrs- und
Kommunikationsstruktur ist das zweite
vereinbarte Ziel der Charta. Ziel Nummer
3 ist die Bewahrung und Aufwertung der
Naturräume und Landschaften (Abb. 4:
Städtenetz in einer Gartenlandschaft).
Und schließlich ist ein letztes Ziel die Vertiefung der gegenseitigen Information
und die Intensivierung des Dialogs bei
Raumordnungsaktivitäten.
„Perspektiven ohne Grenzen“
In zweijährigem Turnus veranstaltet die
Oberrheinkonferenz themenorientierte
Dreiländer-Kongresse. Es dauerte immerhin 14 Jahre, bis beim 7. Dreiländer-Kongress in Neustadt a.d. Weinstraße am 26.
November 1999 die Raumordnung zur Debatte stand: „Raumordnung am Oberrhein – Perspektiven ohne Grenzen.“ Auf
dem Kongress wurde nicht nur die Raumordnungscharta feierlich unterzeichnet,
zugleich wurde Bilanz gezogen und wurden gleich erste Impulse gegeben, die von
der Charta ausgehende neue Qualität der
grenzüberschreitenden Raumordnung umzusetzen.
Die Arbeitsgruppe des Kongresses „Der
Oberrhein in Europa“ beantwortete die
zentrale Frage, welche Rolle der Oberrhein künftig in Europa spielen wolle, mit
115
Abb. 3
Abb. 4
116
der Leitvorstellung: Solidarischer Partner
und starker Konkurrent.
Diese Leitvorstellung mündete in drei
Oberziele: innere Kohäsion und Kooperation fördern; Konkurrenzfähigkeit durch
Qualitätsverbesserung steigern; europäische Kooperation und Solidarität praktizieren.
Leitvorstellung und Oberziele endeten
nicht – wie in früheren Zeiten häufig – in
rhetorischen Sackgassen oder in den Registraturen, sondern wurden in Einzelzielen konkretisiert, die ihrerseits zu präzisen
Maßnahmevorschlägen führten. Beispielhaft sollen aus den über 50 Vorschlägen
hier solche genannt werden, welche die
Arbeitsgruppe gleichzeitig prioritär eingestuft und als mögliches Projekt im Rahmen des EU-Programms INTERREG III identifiziert hat. Es wird die Schaffung eines
regionalen Entwicklungsfonds Oberrhein
gefordert, um die bisher nationalen Kofinanzierungen bei INTERREG-Projekten
zu bündeln und zu verstetigen. Ein anderes prioritäres Projekt zielt auf die Ansiedlung strategisch bedeutsamer Aktivitäten
an den Knotenpunkten internationaler
und regionaler Verkehrsnetze. Das Gemeinschaftswerk „Oberrheinlandschaft“
soll dagegen auf der Grundlage des vorliegenden trinationalen Freiraumkonzeptes einen durchgehenden Landschaftspark Oberrhein in Bausteinen entwickeln
und grenzüberschreitend sichern.
Abb. 5
Ein „raumordnerischer Orientierungsrahmen“ ist in Arbeit
1997 gab die Oberrheinkonferenz die Studie zu einem Raumordnerischen Orientierungsrahmen für das Mandatsgebiet der
Oberrheinkonferenz als INTERREG-Projekt
in Auftrag. Ziel war es, Grundlagen für
einen raumordnerischen Orientierungsrahmen für den europäischen Zentralraum Oberrhein zu schaffen. Hier klingt
das Bedürfnis an, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von punktueller zu
strategischer Raumordnungspolitik weiterzuentwickeln. Wie wir gesehen haben,
nahm der Raumordnungskongress 1999
diesen Leitfaden auf und entwickelte ihn
weiter. Die Oberrheinkonferenz hat die
Studie in eine umfassende Anhörung gegeben, an der sich alle Mandatsträger, alle
öffentlichen, sozialen und gesellschaftlichen Akteure und alle Einwohner des
Oberrhein beteiligen sollen. Vorbild dieser
partizipativen Aktion ist die debat national in Frankreich anlässlich des dortigen
neuen Raumordnungsgesetzes der Regierung Chirac. Auch der Raumordnungskongress war Teil dieses Oberrhein-Diskurses.
Eine Arbeitsgruppe des Kongresses nahm
den Referenzrahmen der Studie mit seinen sechs strategischen Schwerpunkten
schon auf und konkretisierte ihn ansatzweise weiter.
Die Studie arbeitet insbesondere, gestützt
auf Schlüsselvariablen der Raumentwicklung am Oberrhein, Szenarien heraus, um
klarzumachen, was eintreffen kann (das
Mögliche), andererseits, was getan werden kann (das Wünschenswerte). Dies wird
dann in drei Teilszenarien abgebildet:
1. Städtenetz und Siedlungsentwicklung
2. Umwelt und nachhaltige Entwicklung
3. Mobilität und Verkehr
Diese Szenarien werden mit zwei Hypothesen durchgespielt: einer defensiven Politik
der bloßen Addition der Teilräume und
einer strategischen Politik der Akteure, die
den Raum als Ganzes begreift (Abb. 5:
Szenario „Mobilität und Verkehr“).
Als Ergebnis werden dann in der Studie
für einen „Raumordnerischen Orientierungsrahmen für den Oberrhein“ sechs
strategische Schwerpunkte abgeleitet:
1. Die Scharnierfunktion des Oberrheins
in den Bereichen Verkehr und Wirt117
2.
3.
4.
5.
6.
schaft sollte gefestigt und auf andere
Felder, wie Kultur, Sprache und Bildung,
ausgedehnt werden.
Das grenzüberschreitende Städtenetz
sollte entwickelt und gestärkt werden
durch „Brückenschläge“ über den
Rhein.
Der Rhein sollte als „Rückgrat“ eines
„metropolitanen, regionalen Parks“
genutzt werden.
Ein wirtschaftliches Gesamtkonzept
unter dem Motto Technology Valley
Oberrhein sollte Bildung, Forschung
und Unternehmen zu gemeinsamen
Aktivitäten zusammenführen.
Eine integrierte, umweltfreundliche
Verkehrspolitik sollte es ermöglichen,
dass in der Euroregion Oberrhein regionale Einrichtungen innerhalb einer
Stunde erreichbar sind.
Die Vielzahl nebeneinander existierender Gremien muss institutionell vernetzt und gebündelt werden.
Die Menschen gewinnen
Der Erfolg einer neuen Qualität der
Raumordnungspolitik
am
Oberrhein
hängt sicherlich mit davon ab, dass der regionale Diskurs darüber vertieft und verbreitert fortgesetzt wird. Wichtig ist auch,
dass die Prinzipien und Ziele der Raumordnungscharta Oberrhein 21 im Sinne
der Beschlüsse des Raumordnungskongresses Schritt für Schritt umgesetzt werden. Unabdingbar für die Zukunft der Euroregion Oberrhein ist es aber, dass nicht
nur die politischen Eliten verstehen, dass
eine gemeinsame Raumentwicklung von
Vorteil für alle (win-win-Spiel) ist.
Alles entscheidend ist jedoch, dass für
diese gemeinsame Raumentwicklung die
Herzen der Menschen am Oberrhein gewonnen werden. Dann können Brücken
nicht nur aus Beton gebaut werden. Dann
können Menschen diese Brücken zur Verbesserung ihrer Lebensqualität begehen.
Und wenn der Oberrhein eine wahrhaft
bilinguale, deutsch-französische Sprachzone wird, kann man sich auch leichter
über weitere gemeinsame Ziele verständigen.
Literaturhinweise
Grundriss der Regional- und Landesplanung, Verlag der
ARL, Hannover 1999.
Lebensraum Oberrhein – eine gemeinsame Zukunft:
Raumordnung für eine nachhaltige Entwicklung ohne
Grenzen; (Studie zu einem Orientierungsrahmen für das
Oberrheingebiet), Deutsch -französisch - schweizerische
Oberrheinkonferenz 1999.
Offizielle Unterlagen zum 7. Dreiländer-Kongress in
Neustadt a. d. Weinstraße, 26. November 1999.
Dreizehn Länder drängen in die EU; sie haben die Mitgliedschaft beantragt. Mit sechs Ländern (Estland,
Polen, Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn und Zypern) gibt er bereits Beitrittsgespräche; mit
sechs weiteren (mit Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und der Slowakischen Republik) sollen
die Gespräche bald beginnen. Die Türkei bleibt zunächst einmal außen vor; ihr ist lediglich der Status
eines Beitrittskandidaten zuerkannt worden; Verhandlungen sind aber vorerst nicht geplant. – Bevölkerungsreichstes Land unter den Kandidaten ist die Türkei mit 63,45 Millionen Einwohnern; es folgen Polen
und Rumänien. Am „reichsten“ ist Zypern. Die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung der Inselrepublik erreicht 78
Prozent der EU-Durchschnittsleistung. Slowenien liegt mit 68 Prozent auf Platz zwei, die Tschechische Republik mit 60 Prozent auf Platz drei. Die höchste Arbeitslosigkeit herrscht in Bulgarien. Die Arbeitslosenquote dort beträgt 16 Prozent. Die geringste Quote hat Zypern mit 3,3 Prozent. Überhaupt schneiden die
Kandidaten bei der Arbeitslosigkeit erstaunlich gut ab. Nur in fünf Beitrittsländern ist die Arbeitslosenquote höher als in der EU. Acht Länder stehen zum Teil erheblich besser da als die EU.
Globus
118
Das politische Buch
Ein Standardwerk zur Geschichte
der Sowjetunion
Manfred Hildermeier
Geschichte der Sowjetunion 1917–1991.
Entstehung und Niedergang des ersten
sozialistischen Staates.
C.H. Beck München 1998
1206 S., 73 Tabellen, 8 Diagramme,
1 Karte, DM 98,–
Im Jahre 1955 erschien von Georg von
Rauch die „Geschichte des bolschewistischen Russland“ als erste deutschsprachige Darstellung; 1970 wurde dieser Titel in
„Geschichte der Sowjetunion“ geändert,
Zeugnis einer Versachlichung der Forschungsdiskussion und ihrer narrativen
Darstellung.
Seit einigen Jahren sind nun kleinere Gesamtdarstellungen erschienen, die zwar
zu dieser Zeit verdienstvoll waren, aber
heute den Anforderungen nicht mehr
genügen. Andererseits wurden in der letzten Zeit Publikationen präsentiert, die
wichtigen punktuellen Ereignissen in epischer Breite gewidmet waren.
Manfred Hildermeier, Ordentlicher Professor für Osteuropäische Geschichte an der
Universität Göttingen, ist schon seit vielen
Jahren ein ausgewiesener Kenner der Materie. Bekannt wurde er durch sein Buch
„Die Russische Revolution 1905–1920“ (2.
Aufl. 1995), das mittlerweile zu einem
Standardwerk geworden ist. Seine neue
Monographie ist nicht nur dem Umfang
nach ein Monumentalwerk, sondern
ebenso im Blick auf seine hohe Qualität.
Wer sich über die neueste internationale
wissenschaftliche Diskussion unterrichten
möchte, findet hier alle relevanten Informationen.
Die Einleitung des Bandes ist ein souveräner Überblick über die Geschichte Russlands seit Peter I. (1672–1725) bis zum
Ende der Sowjetunion, auf den die gesamte narrative Darstellung aufbaut.
Der immense Stoff wird in die folgenden
größeren Abschnitte überzeugend gegliedert: (A) Ursachen und Voraussetzungen
(1861–Oktober 1917), (B) Der Aufbau des
Sowjetstaates (Oktober 1917–1928), (C)
Mobilisierungsdiktatur (1929–1941), (D)
Der Sieg und sein Preis (1941–1953) und
(E) Entwickelter Sozialismus (1953–1996).
Die erste Periode umfasst von den Oktoberereignissen 1917 bis zur Wende 1928
vor allem den Umbau in Politik und Wirtschaft in den sechs Monaten nach dem
Staatsstreich 1917, die Verteidigung dieser Errungenschaften im blutigen Bürgerkrieg und teilweise deren Zurücknahme
während der „Neuen Ökonomischen Politik“ (NÉP). Ein halbes Jahr nach seiner
Rückkehr im April 1917 setzte Lenin den
Übergang des Staates zum Sozialismus auf
die Tagesordnung. Die Räteregierung veränderte grundlegend die Strukturen in
Staat und Wirtschaft. Alle „Überbleibsel
der Vergangenheit“ wurden beseitigt –
die schwache Demokratie wie auch Banken, Unternehmen, Adel und Bürgertum.
Der Bürgerkrieg zementierte diese heftige soziale und politische Umwälzung der
Geschichte und dehnte sie auf die eroberten Gebiete aus. Der Kampf der alten Elite
um ihren Einfluss zerstörte letzten Endes
die Reste der überkommenen Ordnung
und zwang zur Mobilisierung aller Ressourcen. Neue Staatsorgane und die Rote
Armee schufen völlig neue Katalysatoren
des sozialen Aufstiegs. Staat, Wirtschaftsordnung und Gesellschaft waren am Ende
des Bürgerkrieges entstanden und veränderten das Denken und die geistige Welt
tiefgreifend. Zugleich bezeichnete dies
die Partei mehr und mehr als Sozialismus.
Trotz der Erleichterungen der NEP blieb
die politische Verfassung in dieser Zeit unverändert. Die Räte blieben von der wirklichen politischen Macht ausgesperrt. Obwohl nach dem Tode Lenins in den Reihen
der Partei heftige Fehden ausbrachen,
blieb das Monopol der Bolschewiki unangetastet.
Die Opposition (vor allem Trotzki und
seine Anhänger) wurde unterdrückt und
die Meinungsfreiheit beseitigt. Schon
während der NSP bahnte sich der Wandel
in der Partei an, durch den Stalin und
seine Kader an die Schaltstellen der Macht
gelangten. Die Spannungen zwischen
Trotzki und Stalin wurden durch die ambivalente Haltung Lenins gefördert. Die
Überzeugung von der grundsätzlichen
Überlegenheit des Sozialismus berührte
die neue Wirtschaftspolitik kaum und bestimmte die Struktur des neuen und
neuartigen Staates.
Die „Mobilisierungsdiktatur“ umfasste
den Zeitabschnitt der sowjetischen Zwischenkriegszeit, der bis zum deutschen
Überfall am 22. Juni 1941 dauerte; Kennzeichen waren Etablierung und Konsolidierung der Stalinschen Herrschaftsordnung mit dem Merkmal einer „Revolution
von oben“. Umfang und Gewalt prägten
die Säuberungen, die vor niemandem,
auch den ,Altbolschewiken’, haltmachten.
Stalin und seine Genossen wollten mit
weiteren Repressionen der ökonomischen
Rückständigkeit des Landes Herr werden.
Willkürliche Maßnahmen des Staates
stützten die zentrale Planbürokratie und
-wirtschaft mit dem Ziel, innerhalb von
zehn Jahren den „großen Sprung nach
vorn“ zu schaffen und den kapitalistischen Westen nicht nur einzuholen, sondern auch zu überholen.
Mit dem deutschen Überfall begann die
Kriegs- und Nachkriegszeit (1941–1953),
zwei getrennte Perioden in einer Einheit.
Konsequenzen des Überfalls waren die
Evakuierung von Produktionsanlagen und
die Aktivierung von Staat, Wirtschaft und
Gesellschaft; sie waren in den Dienst der
Vaterlandsverteidigung gestellt worden
Heribert Rech
50 Jahre alt
Der Vorsitzende des Kuratoriums der
Landeszentrale für politische Bildung ist
am 25. April 50 Jahre alt geworden.
Heribert Rech hat 1996 den Vorsitz
übernommen und setzt sich engagiert
für die Landeszentrale ein. Das ist bei
seinen vielen Aufgaben nicht selbstverständlich. Er ist rechtspolitischer Sprecher der CDU, kümmert sich für seine
Fraktion um die Polizei im ganzen Land
und leitet schließlich auch noch den Untersuchungsausschuss, der die Subventionen an den Bauernverband überprüft. Der Abgeordnete weiß um die
Bedeutung der politischen Bildung, hat auch Sensibilität für die Überparteilichkeit der Aufgabenstellung und legt großen Wert auf persönlichen Kontakt mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landeszentrale. So war er schon wiederholt im Haus auf der Alb und hat auch
schon die Außenstellen besucht.
Alle Kolleginnen und Kollegen schätzen den Einsatz von Heribert Rech
für die Landeszentrale, gratulieren von Herzen zum runden Geburtstag
und wünschen ihm privat wie politisch eine gute Zukunft. Natürlich hoffen wir, dass er noch lange Freude hat an der Aufgabe des Kuratoriumsvorsitzenden.
Siegfried Schiele
119
und brachten verhältnismäßig viele politische Freiheiten (vor allem der Russischen
Orthodoxen Kirche). Eine weitere Folge
bestand allerdings auch darin, dass die
verwaltungstechnische
Zentralisierung
und die Herausbildung einer entsprechenden „Nomenklatura“ in großem Umfang
gefördert wurden. Die Verschmelzung
von Sozialismus und Patriotismus wie
auch der Sieg über Hitler-Deutschland
machten Stalins Diktatur unangreifbar,
zumal die Hegemonialstellung der Sowjetunion sich auf die innere Situation
stabilisierend auswirkte. Angst und
Schrecken, die auf dem krankhaften Misstrauen Stalins ihre Grundlage hatten, verbreiteten sich über das ganze Land und
lähmten es.
Der vorletzte Zeitabschnitt (1953–1985)
wird von einer Zäsur deutlich geprägt: Bis
zum Sturz Chrustschows wurde wieder
„von oben“ versucht, die Vergangenheit,
vor allem den Stalinismus, aufzuarbeiten;
das „Tauwetter“ beschränkte sich darauf,
die persönliche Diktatur zu geißeln, die in
dieser Form nicht mehr durchgesetzt werden konnte, und die Kultur in neue Bahnen zu lenken. Die Dezentralisierung der
industriellen Entscheidungsmechanismen
stifte aber mehr Verwirrung denn wirtschaftlichen Gewinn. Die Verjüngung und
Selbstreinigung der Partei führte jedoch
nicht dazu, die gesamte politische Elite
wirklich auszutauschen, da sie als alte Vertraute und Schützlinge Stalins im Politbüro und in anderen entscheidenden Gremien den Ton angaben. Der Diktatur Stalins trauerten sie allerdings nicht nach.
Eine wie imme geartete Reformbereitschaft machte vor einer wesentlichen Korrektur der Machtverhältnisse halt, da dies
besonders die eigenen politischen Bedürfnisse in Gefahr gebracht hätte.
Die Ablösung Chrustschows zog weit weniger Veränderungen nach sich als die innenpolitischen Zäsuren der zwanziger
Jahre. Diese neue „Nomenklatura“ besetzte sämtliche Führungspositionen gleichermaßen. Was im bürgerlichen Staat
getrennt war, sollte unter der Führung der
Partei wieder dadurch verbunden werden, dass die Eliten in der Realität vernetzt wurden. Es zeigte sich daher, dass
Herrschaft anders ausgeübt und der Staat
anders organisiert wurde als in den zwanziger Jahren oder unter Stalin. Bis 1985
wurde zunehmend sichtbar, dass ein Funktionsmangel immer häufiger durch informelle Arrangements beigelegt wurde, so
dass Protektion und Korruption („Vetternwirtschaft“) einen innovativen Wettbewerb erstickten.
Nach 1985, dem Amtsantritt Gorbatschows, sollte sich zeigen, dass im Blick auf
die alte Ordnung die Diagnose richtig
war; dass die Krankheit jedoch im System
lag, sollte erst die Therapie zeigen. Gorbatschows Maßnahmen zielten jedoch zuerst auf die „Effektivnost“ (Effektivität)
des alten Systems ab. Dabei ging er davon
aus, es genüge die „Glasnost“ (Transparenz heißt in diesem Zusammenhang, dass
man über etwas sprechen kann, mehr
nicht), um den Druck innerhalb des Landes zu mildern. Die Kombination beider
Konzepte hin zur „Perestrojka“ (Umbau)
entwickelte schon bald eine Eigendyna120
mik, die er nicht mehr steuern konnte und
die letztlich zum Putsch und zum Untergang der Sowjetunion führte. Diese Entwicklung, auch wenn sie im Interesse
Deutschlands lag (Vereinigung 1989),
sorgte dafür, dass seine heimlichen Widersacher – wie Boris Jelzin – an die Macht
kamen. Mithin stellte sich für den Beobachter im westlichen Ausland immer die
Frage, ob denn Russland wirklich schon
auf dem Weg zur Demokratie sei. Manfred Hildermeier stellt die Frage in die andere Richtung, nämlich, warum der Sowjetsozialismus gescheitert sei.
Überblickt man dieses Monumentalwerk,
stellt man sich unwillkürlich die Frage, ob
das Ziel erreicht wurde, das sich der Autor
gesetzt hatte. Einige Fragen könnten artikuliert werden, die weder alle Mängel zur
Sprache bringen können noch diejenigen
Kollegen unterstützen sollen, die diese
Monographie vollständig mit dem Argument ablehnen, der Verfasser habe sich
mit dieser Darstellung hoffnungslos übernommen -– ihnen sei gesagt, dass maßlose
Kritik einer solchen Leistung nicht gerecht
werden kann und zugleich fordert, es besser zu machen. Eine Thematik sei jedoch
genannt: Das Verhältnis von Staat und
Russischer Orthodoxer Kirche beziehungsweise von Russischer Orthodoxer Kirche
und atheistischem Staat. Die Darstellung
dessen ist verhältnismäßig knapp, über
die römisch-katholische Kirche, die protestantischen Kirchen und die Griechisch-Katholische Kirche (Unierte) findet man
keine eigene Darstellung; gerade dies
wäre wichtig gewesen, da ihnen gegenüber eine andere Religionspolitik verfolgt
wurde. Ebenso entsteht der (ungute) Eindruck, dass die Sowjetunion nur aus Russland bestand – stellvertretend seien die
Ukraine, Weißruthenien und die Baltenstaaten genannt.
Wenn auch verständlich, muss doch bedauert werden, dass dem Band keine Literaturliste beigefügt wurde. Dies wird
durch einen umfangreichen Anhang (über
100 S.) aufgewogen. Überhaupt liegt ein
Band vor, der didaktisch hervorragend gestaltet ist und dessen Preis mehr als nur
angemessen ist. Er gehört in jede gute
Schulbibliothek und Handbibliothek vieler interessierter Lehrer und Schüler. Kurzum: Ein Standardwerk! Wolfgang Heller
Lokale Agenda 21
Winfried Hermann/Eva Proschek/Richard
Reschl (Hrsg.)
Lokale Agenda 21
Anstöße zur Zukunftsfähigkeit
Verlag W. Kohlhammer Stuttgart 2000
248 Seiten, DM 39,80
Ökonomische, ökologische und soziale
Zielsetzungen gleichrangig miteinander
zu verbinden, ist der Auftrag der Konferenz der Vereinten Nationen, die im Juni
1992 in Rio de Janeiro zum Thema Umwelt und Entwicklung stattgefunden hat.
In Artikel 28 der dort verabschiedeten
Charta werden insbesondere die Städte
und Gemeinden in die Pflicht genommen.
Sie sollen unter Einbeziehung ihrer Bürge-
rinnen und Bürger ihren Beitrag dazu leisten, diese Ziele in die Realität umzusetzen.
Deutschland ist in Hinblick auf diese Lokale Agenda besonders gefordert, verfügen
doch hierzulande die Kommunen über
einen besonders großen Handlungs- und
Entscheidungsspielraum. Zudem sind die
Menschen hier durchaus partizipationserfahren. Und in der Tat ist das Thema Lokale Agenda 21 kräftig aufgegriffen worden
– allerdings mit einem starken West-OstGefälle. Zudem wächst die Aufgeschlossenheit mit der Gemeindegröße.
Hilfreich für einen solchen lokalen Prozess
ist das soeben erschienene Buch von Winfried Hermann, Eva Proschek und Richard
Reschl, eines engagierten Bundestagsabgeordneten der GRÜNEN, einer Bereichsleiterin der Volkshochschule Stuttgart und
eines Professors der Fachhochschule für
Öffentliche Verwaltung Ludwigsburg, der
zugleich als erfahrener Planer bei der
Kommunalentwicklung Baden-Württemberg (KE) arbeitet. Man merkt dem Buch
an, dass wir es hier mit durchaus erfahrenen Praktikern zu tun haben, eine gewisse
nüchterne Betrachtungsweise zeichnet
dieses Buch aus, am deutlichsten in den
Beiträgen von Richard Reschl. Ganz bewusst versteht sich dieses Buch – so der
Untertitel – als „Handreichung“, das gemeinsame Vorwort spricht von einem
„Buch zur lokalen Agenda vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen.“ Das
trifft es.
„Handreichung“ – das bedeutet: praxisorientiert. Es soll ein hilfreiches Buch sein
vor allem für diejenigen, die sich an Agenda-Prozessen beteiligen (möchten). So
zeigt das Buch nicht nur Möglichkeiten
auf, sondern weist immer auch auf Gefahren und Fehlerquellen hin. Die Beiträge
geben einen Überblick über das, was
(schon) läuft, sie wollen zum Vergleich anregen, und zwar in hilfreicher Absicht. So
listet das Buch die unterschiedlichen Möglichkeiten für die Initiativen zu diesem
Prozess auf, wägt das Für und Wider ab,
verweist auf Chancen und Gefahren. Unüberhörbar die Warnung: „Agenda-Prozesse lassen sich nicht erzwingen, weder mit
guter Vorbereitung noch mit gutem Willen. Das Umfeld muss vorbereitet sein,
und die ´Zeit muss reif sein´.“ (S. 18) Es
macht Vorschläge zum Thema Gruppengröße und -zusammensetzung, Arbeitsweise, Moderation, anfallende Kosten,
aber auch, wie mögliche Themen aussehen könnten. Breiten Raum nehmen die
Beispiele aus den Kommunen ein, „Visionen, Handlungsfelder und Projekte“ werden vorgeführt, „Reflexionen“ angestellt,
beispielsweise zum Verhältnis Bürgerbeteiligung – Gemeinderat. Das Buch enthält einen Dokumentenanhang, selbstverständlich ein Literaturverzeichnis und
„Kontaktadressen“.
Fasst man die Einsichten, die das Buch liefert, zusammen und ergänzt sie durch eigene Erfahrungen, dann lässt sich Folgendes zur Lokalen Agenda 21 anmerken: Erfolgreich kann ein solcher Prozess vor
allem dann sein, wenn die Rathaus-Spitze
erkennen lässt, dass sie voll dahinter steht.
Von der Gemeinde selbst sollten auch alle
Haushaltungen angeschrieben werden;
Gruppen, die sich mit dem Agenda-Prozess schwertun (z. B. die heimische Wirtschaft), bedürfen der eigenen Ansprache.
Spontan sich bildende Agenda-Gruppen
bergen demgegenüber die Gefahr in sich,
dass sich „die üblichen Verdächtigen“ zusammenfinden, die die Problem schon xmal miteinander diskutiert haben. Neu
Hinzukommende – gerade auch junge
Menschen – werden dadurch nur abgeschreckt. Wichtig ist eine exakte Aufgabenstellung für die sich bildenden Gruppen und ein genauer Zeitplan, bis zu dem
Ergebnisse vorzulegen sind. Vielfach war
der Agenda-Prozess bislang viel zu stark
input-orientiert. Es muss aber dabei auch
etwas herauskommen, und zwar mehr als
besagte „Tübinger Stocherstange“ (eine
Dauerwurst aus heimischer ökologischer
Produktion, die in Form und Namen an
die Stocherstangen der Tübinger Neckarboote erinnert). Die output-Orientierung
ist also von zentraler Bedeutung, sonst
schreckt man viele Menschen ab, die mit
ihrer Zeit auch etwas anderes anzufangen
wissen als stundenlang zu diskutieren.
Denn auch Zeit ist eine individuell nicht
erneuerbare Ressource, mit der es pfleglich umzugehen gilt. Hans-Georg Wehling
Zukunftskommission
„Gesellschaft 2000“
Solidarität und Selbstverantwortung.
Von der Risikogesellschaft zur Chancengesellschaft.
Bericht und Empfehlungen der Zukunftskommission Gesellschaft 2000 der Landesregierung Baden-Württemberg.
Hrsg. Von der Zukunftskommission Gesellschaft 2000
Geschäftsstelle Staatsministerium BadenWürttemberg
Richard-Wagner-Straße 15
70184 Stuttgart.
Zu beziehen über den Herausgeber oder
über Internet:
http://www.baden-wuerttemberg.de/zukunftskommission
Ungeachtet der Frage, ob das neue Jahr
tatsächlich ein neues Jahrhundert und
Jahrtausend bedeutet, hat der Jahreswechsel 1999/2000 bereits im Vorfeld eine
Fülle von Standortbestimmungen und Zukunftsvisionen unter dem Titel „2000“
hervorgebracht. Auch die Landesregierung wollte nicht hintan stehen und hat
eine Zukunftskommission einberufen. Das
Ergebnis der Beratungen liegt nun vor.
Unter dem Titel „Solidarität und Selbstverantwortung“ wird der Weg von der Risikogesellschaft zur Chancengesellschaft
untersucht.
Um es gleich vorweg zu sagen: Die Darstellung entspricht voll und ganz dem
Thema. Zum einen liegen Bericht und
Empfehlungen nebst informativem Anhang auf 220 Seiten im DIN-A4-Format gedruckt vor. Zum andern gibt es die Möglichkeit, den gesamten Bericht über Internet abzurufen und außerdem zusätzliche
Hintergrundinformationen über die Entstehung des Berichtes sowie über den Abschlusskongress zum Thema zu bekom-
men (inklusive Anmeldung und Hinweise
auf Anreisemöglichkeiten. Inzwischen ist
der Termin des Kongresses allerdings vorbei.). Zu „Vorschlägen und Anregungen“
wird im Anschluss an das Geleitwort des
Ministerpräsidenten aufgerufen.
Der vorliegende Bericht ist das Ergebnis
mehrjähriger Arbeit. Die Leitfrage eines
Kongresses im Frühjahr 1995, zu dem die
Landesregierung nach Karlsruhe eingeladen hatte, lautete „Was hält die moderne
Gesellschaft zusammen?“ Ziel dieses Kongresses war, nach Wegen für eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen individueller Freiheit und sozialer Verantwortung zu suchen. Die Zukunftskommission
Gesellschaft 2000, die im März 1997 von
der Landesregierung eingesetzt wurde,
knüpfte bei ihrer Arbeit an diese Frage an.
An drei exemplarischen Themenfeldern
wurde untersucht, wie der Zusammenhalt
in unserer Gesellschaft gestärkt werden
kann. Dabei ging es weniger um eine Zukunftsbeschreibung als um die Entwicklung konkreter Empfehlungen und Handlungsvorschläge. Unter Vorsitz von Professor Wolfgang Frühwald haben in der
Kommission Persönlichkeiten aus den verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft mitgearbeitet: Wissenschaftler,
Künstler, Politiker, Vertreter von Kirchen
und Verbänden, Publizisten, junge und
alte Menschen. Sie werden in Kurzbiographien vorgestellt.
Die Empfehlungen sind nicht nur an die
Landesregierung gerichtet, sondern an
Wirtschaft, Verbände, verschiedene gesellschaftliche Gruppen und auch an die
einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Ziel
war, eine breite öffentliche Diskussion
über gesellschaftspolitische Zukunftsfragen anzuregen sowie zu einer Stärkung
der Selbständigkeit der einzelnen Bürgerinnen und Bürger wie auch der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen beizutragen. Die Landesregierung will sich mit
den Empfehlungen sehr genau auseinandersetzen, die Umsetzbarkeit prüfen und
in zwei bis drei Jahren der Kommission berichten, wie sie deren Ideen und Empfehlungen umgesetzt hat.
Der Bericht gibt zunächst „einleitende
Hinweise auf übergreifende Entwicklungen, von denen man annehmen kann,
dass sie innerhalb der nächsten 25 Jahre
die Entwicklung unserer Gesellschaft auf
eine grundlegende Weise bestimmen
werden“. Es wird ausdrücklich betont,
dass die Hinweise auf übergreifende Entwicklungen nur skizzenhaft sein können.
Ansonsten beziehen sich die Analysen des
Berichtes im Wesentlichen auf die Situation in Baden-Württemberg. Im Rahmen
der „Übergreifenden Entwicklungen“
werden Veränderungen im System sozialer Sicherung, vorhersehbare Veränderungen im System der Arbeitswelt, Globalisierung, Digitalisierung sowie demographische Veränderungen und Migration beleuchtet.
Im Themenfeld „Wissen und Kultur als
Faktor der Stabilisierung und der Erneuerung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ befürwortet die Kommission eine
Verkürzung der schulischen Erstausbildung durch stärkere Konzentration auf
die Vermittlung von Schlüsselqualifikatio-
nen. Für das notwendige lebenslange Lernen müssen in der Arbeitswelt und im Sozialsystem neue Strukturen entwickelt
werden. Die Kommission schlägt z.B. vor,
Prüfungsämter einzurichten, in denen
Menschen Wissen, das sie außerhalb der
Schule erworben haben, zertifizieren lassen können. Auch soll eine breite Diskussion über eine Neubestimmung über das
Verhältnis zwischen Arbeitszeit, Sozial-,
Familien- und Freizeit geführt werden.
Die Kultur als wichtiges Bindeglied zwischen Teilen der Gesellschaft darf auch in
Zeiten knapper Kassen nicht geschmälert
werden.
In der Auseinandersetzung mit der „Lage
junger Menschen und mit dem Verhältnis
der Generationen“ tritt die Kommission
dafür ein, kulturelle Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung zu begreifen. In diesem Zusammenhang empfiehlt sie, in Baden-Württemberg ein Modell für einen islamischen Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen zu entwickeln. Auch neue Formen der Konfliktaustragung (etwa durch Mediation)
und der politischen Mitbestimmung (z.B.
durch Bürgerforen) sollen erprobt werden.
Im Rahmen ihrer Beschäftigung mit dem
Thema „Gesellschaftliches Engagement
und Wege der Mitverantwortung“ hat die
Kommission festgestellt, dass die Bereitschaft, sich für Mitmenschen einzusetzen,
immer noch sehr groß ist. Da viele Menschen jedoch wegen der Flexibilitätsanforderungen der Arbeitswelt Probleme
haben, sich längerfristig im Ehrenamt zu
binden, spricht sie sich für neue Formen
projektorientierten Engagements aus. Um
die Gleichwertigkeit freiwilliger Arbeit
mit bezahlter Erwerbsarbeit zu betonen,
verwendet die Kommission die Bezeichnung „Bürgerarbeit“ als Oberbegriff. Sie
schlägt vor, „Börsen für Bürgerarbeit“ einzurichten und Angebote wie Freiwilliges
Soziales und Ökologisches Jahr auch für
andere Altersgruppen zu öffnen.
Die Zahlen zur Bürgerarbeit im Anhang
des Berichtes sind leider nicht ganz vollständig und können somit keinen
Überblick über das tatsächliche ehrenamtliche Engagement geben. Sehr aufschlussreich ist dagegen ein von der Akademie
für Technikfolgenabschätzung abgefasstes Bürgergutachten „Ehrenamt und gesellschaftliches Engagement“, das auch
einen Einblick in die Erwartungen der engagierten Bürgerinnen und Bürger gibt.
Auch die Ergebnisse einer von Arbeitsgruppe III durchgeführten Anhörung über
die „Hemmnisse, die Menschen vom Engagement abhalten und Bürgerarbeit erschweren“ sind sehr interessant. Wenn
man dort z.B. liest, dass der Einsatz von
Medien in der Jugendarbeit Probleme bereitet, weil es schwierig ist, eine Gebührenbefreiung für Radio und Fernsehen zu bekommen, wird man von allen Visionen sehr schnell wieder auf den Boden
der Tatsachen zurückgeholt. Auch die
Überlegungen zur Gewährung von Versicherungsschutz für ehrenamtliche Arbeit
zeigen das Problem realistisch.
Dennoch ist zu hoffen, dass die Visionen
umgesetzt werden können. Schön wäre
es, wenn der von Ministerpräsident Erwin
121
Teufel an den Schluss des Geleitwortes gestellte Satz von Max Frisch „Demokratie
heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen“, wieder häufiger Gültigkeit hätte. Angelika Hauser-Hauswirth
Juden in Creglingen
Hartwig Behr, Horst F. Rupp
Vom Leben und Sterben. Juden in
Creglingen.
Königshausen & Neumann, Würzburg.
1999. 278 Seiten, 56 Abbildungen, 48 DM.
Gerhard Naser
Lebenswege Creglinger Juden –
Das Pogrom von 1933.
Der schwierige Umgang mit der Vergangenheit.
Eppe, Bergatreute. 1999. 320 Seiten,
190 Abbildungen, 34,80 DM.
Creglingen, 25. März 1933, 8 Uhr: ein
Samstag wie viele andere, zu diesem Zeitpunkt zumindest. An Alltagsdinge wird
man sich später erinnern: an die Arbeit im
Friseursalon oder den Schulbesuch. Die
jüdischen Creglinger halten Schabbath
und versammeln sich gerade in der Synagoge zum Gebet. Nur wenig später, zwischen 8 und 9 Uhr, erreicht eine Lastwagenkolonne der SA-Standarte 122, der
sich SA-Männer aus Mergentheim und
Weikersheim angeschlossen haben, den
Ort. Ihr Ziel ist es, die Häuser jüdischer Bürger nach Waffen zu durchsuchen, wie es
ein Erlass des württembergischen Innenministeriums am 17. März verfügt hatte.
Standartenführer Fritz Klein leitet die
Aktion. In Creglingen wird er durch den
NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Stahl unterstützt, der die SA nach erfolglosen
Hausdurchsuchungen zur Synagoge führt.
Das Gebet wird gewaltsam unterbrochen,
16 Männer werden nach Beschimpfungen
und Drohungen anhand einer Namensliste überprüft, ins Rathaus abgeführt,
dann im Notarzimmer einzeln verhört, beschimpft, geknebelt, auf brutalste Weise
verprügelt und durch Abschneiden der
Haare gedemütigt. Zwei Männer sterben
nach diesen Misshandlungen: Hermann
Stern am selben Tag, Arnold Rosenfeld
eine Woche später. Waffen werden nicht
gefunden.
Dieser „Creglinger Samstag“ kann, wie
die beiden neu erschienenen Bücher
von Gerhard Naser bzw. Hartwig Behr und
Horst F. Rupp zeigen, zum Ausgangs- und
Bezugspunkt aller weiteren Fragen über
jüdisches Leben in Creglingen genommen
werden. Wie auf einer Mind map lassen
sich von diesem Zentrum aus verschiedenste Linien und Verästelungen verfolgen:
etwa die Reaktionen Creglinger damals
und heute, die weiteren Lebensläufe der
jüdischen Bürger, der Umgang mit den
Verantwortlichen und Tätern, der politische und gesellschaftliche Kontext, die
„Vor“- und „Nach“-Geschichte im weiteren Sinne oder die Frage nach der Bedeutung dieses Ereignisses aus heutiger Sicht,
um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Autoren haben anhand dieser imaginären Mind map eine je eigene Auswahl
und Schwerpunktsetzung vorgenommen,
122
die im Folgenden vorgestellt werden soll.
Eine Besonderheit ist, dass hier nicht nur
ein wissenschaftliches Forschungsinteresse
allein, sondern auch biographische Beweggründe und eine jeweils „unterschiedliche Betroffenheit“ diesen Veröffentlichungen zugrunde liegen. Horst F.
Rupp, Professor für Evangelische Theologie in Würzburg, ist beispielsweise der
Enkel des NSDAP-Ortsgruppenführers
Stahl, Gerhard Naser, Verwaltungsjurist in
Stuttgart, ist gebürtiger Creglinger. Daraus ergibt sich das Problem des persönlichen Umgangs mit Lokal- und Familiengeschichte, das auch von den Autoren reflektiert wird.
Vom zentralen Ereignis, dem 25. März,
ausgehend, legen Rupp und Behr ihren
Schwerpunkt auf die Darstellung der
Geschichte der jüdischen Gemeinde Creglingens von 1532 bis 1939. Die Chronologie der Epochen wird durch zwei Porträts ergänzt. Am Beispiel des jüdischen
Lehrers und Vorsängers Josef Preßburger
und der christlichen Dienstmagd Anna
Schall wird jüdisches Leben bzw. christlichjüdisches Neben- und Miteinander in
Creglingen veranschaulicht. Ein abschließendes Kapitel befasst sich mit den
Tätern des Pogroms. In gelungener gegenseitiger Ergänzung der Autoren entsteht ein homogener Gedankengang, der
durch Quellen wie Fotos und Zeitungsausschnitten sowie durch Statistiken veranschaulicht und gestützt wird. Der Akzent
liegt, wie schon der maßgebliche Anteil
des Regionalhistorikers und Gymnasiallehrers Hartwig Behr an diesem Buch erkennen lässt, auf einer fundierten historischen Betrachtungsweise. Vorteilhaft für
den Leser ist der angehängte Dokumentarteil, der relevante Quellen zugänglich
macht. Der „unvermittelte“ Orginalton
der amtlichen Untersuchung des Pogroms
sowie die Dokumentationsfotos der körperlichen Misshandlungen entfalten dabei eine Aussagekraft, hinter der die
narrativ angelegten Quellendokumentationen beider Bücher fast zurückstehen.
Die notwendig distanzierte Wissenschaftlichkeit schließt indes die persönliche Stellungnahme nicht aus. Wie auch bei Naser
ist die „ethische Luft“ (Th. Mann) zu
spüren, die alles umgibt. Horst Rupp stellt
sich etwa der schwierigen Aufgabe, über
seinen Großvater, den NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Stahl, zu schreiben und sein
Handeln zu bewerten. Behr und Rupp
geht es, wie es in ihrem Vorwort deutlich
wird, um die „besondere ethisch-moralischen Verpflichtung“, die den „Nachkommen der Täter“ zukommt. Ihre Intention
deutet auch die Einbandgestaltung an:
Zwischen dem Porträt des festtäglich gekleideten Lehrers Preßburger, der zentralen Figur jüdischen Gemeindelebens, und
dem Dokumentarfoto des beim Pogrom
totgeprügelten Hermann Stern entsteht
die Spannung, aus der das Buch entstanden ist und die im klassisch-kargen Titel
„Vom Leben und Sterben. Juden in Creglingen“ – eher „un-historisch“ – über das
Lokale hinaus ins Sinnbildliche erhoben
wird.
Schwierigkeiten mit dem Titel lässt auch
das zweite, von Gerhard Naser herausgegebenen Buch „Lebenswege Creglinger
Juden – Das Pogrom von 1933: Der schwierige Umgang mit der Vergangenheit“ vermuten. Dem disparaten „Dreiteiler“ entsprechend wurde hier die Vielstimmigkeit
eines Sammelbands angezielt. Das Titelfoto, jüdische Kinder unter blühenden
Creglinger Bäumen, verweist schon auf
die dominierende Perspektive des biographischen Rückblicks und lässt etwas von
der entschiedenen lokalen „Verwurzelung“ dieses Buches erahnen. Wie die Galerie der Grußworte erkennen lässt, besteht zudem ein deutlicher Anspruch auf
öffentliche Würdigung. Wieder steht der
Samstags-Pogrom im Zentrum; die Fragerichtung zielt aber stärker auf die „Nach“Geschichte, d.h. auf die Zeit von 1933 bis
1999. Über das Kernereignis hinaus werden Biographien jüdischer Creglinger
sowie thematische Beiträge ergänzt, die
allgemein etwa den christlichen Antijudaismus und jüdisches Leben im Mittelalter darstellen oder über den „Nutzen des
Vergessens“ reflektieren. Gerhard Naser
ist Herausgeber und Hauptautor zugleich.
Als „Historiker im Nebenberuf“ schreibt er
nicht nur über, sondern mit jüdischen
Creglingern und wird dabei von weiteren
Autoren, vor allem Universitätshistorikern, unterstützt. Engagiert hat Naser die
Spuren jüdischer Exilanten in Nord- und
Südamerika, Israel und der Schweiz verfolgt, Interviews geführt und die Oral history der ehemaligen Creglinger transkribiert. Eigenständige Themenblöcke bilden die juristische Aufarbeitung des Pogroms und die lokalen Auseinandersetzungen um ein angemessenes Erinnern
und Gedenken, denn auch in den Verdrängungsbemühungen ist Creglingen,
wie Utz Jeggle nachweist, exemplarisch.
Der Reiz dieses Sammelbands liegt in der
Vielfalt seiner Inhalte und Darstellungsformen. Er ist nicht nur wissenschaftliche
Aufsatzsammlung, sondern auch Familienalbum, Stadtchronik und Dokumentation eines Denk- und Diskussionsprozesses. Letztlich will Nasers Buch Vorurteile
abbauen, die Frage nach der Schuld stellen und – wie der Fettdruck des Glossars
anzeigt – die „Verantwortung aller für
alle“ einklagen. Dass in Creglingen das nationalsozialistische Deutschland schon in
den ersten hundert Tagen seit der „Machtergreifung“ seine brutale und menschenvernichtende Seite zeigte und der „Anfang vom Ende“ jüdischen Lebens schon
fünf Jahre vor der „Reichspogromnacht“
begann, fordert zu Einordnungsversuchen, Deutungen und Schlussfolgerungen
heraus. Den Anfang machte 1933 bereits
Lion Feuchtwanger mit seinem Roman
„Die Geschwister Oppermann“, als Historiker legten Paul Sauer und Saul Friedländer bereits Untersuchungen vor, die jetzt
durch die Neuerscheinungen ergänzt werden. Die „Neuinteressierten“ mögen den
Zugang zu dieser Problematik vielleicht
eher über Nasers Sammelband, die Historiker und Liebhaber wissenschaftlicher
Prosa über Behrs Monographie finden, ein
annähernd vollständiger Blick auf jüdische
Geschichte in Creglingen erschließt sich jedoch nur durch beide Bücher. Die von
Hansjörg Ebert und Stefan Müller festgestellte „Kontinuität des Antisemitismus“
im Creglinger Raum lässt indessen auf
eine neue Privatinitiative hoffen, die sich
eingehender mit dem Antisemitismus in
Württemberg befasst.
Alfred Hagemann
Der Kosovo-Konflikt
Matthias Rüb
Kosovo
Ursachen und Folgen eines Krieges
in Europa
Deutscher Taschenbuch Verlag München,
1999. 192 S. DM 16,90
Stärke und zugleich Schwäche dieses Buches erklären sich aus der journalistischen
Herangehensweise an das Thema. Matthias Rüb ist Balkan-Korrespondent der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung und den
Lesern dieses Blattes durch seine (Hintergrund-)Berichte wohl bekannt. Rüb ist ein
brillianter und engagierter Schreiber, aber
die im Buchklappentext angekündigte
Analyse von Ursachen und Folgen des Kosovo-Konfliktes bleibt überwiegend im
Ansatz stecken. Verantwortlich dafür sind
der Mangel an analytischer Distanz sowie
eine gewisse proalbanische Voreingenommenheit. Die ist spürbar etwa beim bevorzugten Gebrauch albanischer Ortsnamen.
Rübs Schlussfolgerung, „die Einzeltaten
albanischer Gewalttäter“ dürfen nicht
„mit den Massentötungen ganzer kosovoalbanischer Familien“ durch serbische
Polizisten, Soldaten und Freiwillige gleichgesetzt werden (S. 173), ist allerdings
eine befremdliche Verharmlosung des
UCK-Terrors. Diese Verharmlosung ist
genau so unangemessen wie es im
März 1999 Scharpings Enthüllung angeblicher serbischer Konzentrationslager
oder Fischers Ausschwitzvergleiche waren.
So sollte wenigstens zur Kenntnis genommen werden, dass sich die serbische Gesellschaft in der Kosovo-Frage auf einen
Konsens stützt: Kosovo ist Serbien. Nur
schwer ignorieren lässt sich außerdem,
dass die UCK durch ihre Angriffe auf Einrichtungen des Staates und ihre Morde an
serbischen Polizisten und Zivilisten das
brutale Vorgehen jugoslawischer Sicherheitskräfte provoziert hat, um die NATO
(erfolgreich) zu einem „Luftkrieg für die
Menschenrechte“ zu animieren. Dass die
Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien ihre Kosovo-Operationen im Einklang
mit der herrschenden internationalen
Rechtsauffassung als innerstaatliche Terroristenbekämpfung
legitimiert
sah,
rechtfertigt natürlich nicht die unverhältnismäßige Härte ihres Vorgehens.
Rübs Mangel an analytischer Distanz zeigt
sich auch, wenn er in der euphorischen
Sprache eines Kriegsberichterstatters den
Einmarsch der KFOR-Truppen in das Kosovo beschreibt oder in seiner Argumentation manchmal wie ein Doppelgänger des
zu Fernsehberühmtheit gekommenen
NATO-Sprechers Jamie Shea wirkt statt
sich kritisch und differenziert mit den
NATO-Positionen auseinanderzusetzen.
Beispiel dafür ist ein Resümee, der Vertragsentwurf von Rambouillet sei „ein faires Kompromissangebot an Albaner und
Serben“ gewesen. Zweifel an diesem Urteil sind angebracht, denn der Vertragsentwurf hätte eine weitgehende Einschränkung der Souveränitätsrechte Jugoslawiens im Kosovo, die Gefahr eines
späteren Referendums über die Unabhängigkeit der Provinz und völlige Bewegungsfreiheit der NATO-Truppen in ganz
Jugoslawien bedeutet.
In seinem Abriss über die historischen Voraussetzungen des Konfliktes tritt der
Autor sogleich in die Falle mitteleuropäisch-ethnozentrischer
Weltansicht,
wenn er darüber belehrt, dass aus der Geschichte für die Lösung gegenwärtiger
Krisen gar nichts folge (S. 22). Denn heutige Krisen müssten nach heutigen Maßstäben friedlich und auf der Grundlage von
Gleichberechtigung, Selbstbestimmung
und universalen Menschenrechten gelöst
werden. Mag sein, aber wer sich nicht
ernsthaft auf die uns möglicherweise
fremd erscheinenden Sichtweisen der am
Konflikt Beteiligten einlässt, wird die Ereignisse nicht verstehen. Mehr noch: Er
wird außer illusionären Vorstellungen
nichts Wesentliches zur Lösung des Konfliktes beitragen können. Was das Kosovo
angeht, befindet sich die westliche Staatengemeinschaft samt ihren UNMIKund KFOR-Repräsentanten augenblicklich
genau in dieser Lage.
Die historische Darstellung ist, auch wenn
sie nur ein Abriss sein will, an einigen Stellen zu sehr verkürzt. So gehört zur Geschichte des Verhältnisses von Serben und
Albanern im Kosovo z.B. auch das expansive demographische Verhalten der Albaner, das auf die Serben ebenso bedrohlich
wirken musste wie die stetige Abwanderung und die aktive Verdrängung von Kosovo-Serben speziell in den siebziger und
achtziger Jahren. Dass die Diskriminierungserlebnisse von Kosovo-Serben in den
Jahren der Tito-Herrschaft aus Gründen
der ethnischen Balance („Brüderlichkeit
und Einheit“) tabuisiert war, macht die
stetig zunehmende Explosivität der Verhältnisse im Kosovo mit erklärbar und
wird damit zur unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges von 1999. Dieser
Aspekt wird aber in nur zwei Sätzen abgehandelt.
Milosevic spielt eine zentrale Rolle im
Drama um das Kosovo, und umgekehrt
das Kosovo in der Karriere von Milosevic.
Die schon häufig beschriebene Szene in
Kosovo Polje am 24. April 1987, in der Milosevic seinen legendären Satz „Niemand
soll es wagen, Euch zu schlagen!“ sagt, ist
die entscheidende Station seines Weges
an die Spitze Serbiens und Jugoslawiens.
Milosevic, so die These des Autors, hatte
hellsichtig erkannt, dass die Renaissance
des serbischen Nationalismus die Macht
der kommunistischen Partei gefährden
könnte, wenn die Partei die Sache der nationalen Bewegung nicht zu ihrer eigenen
machen würde.
Die nächsten Kapitel schildern das Kosovo
der neunziger Jahre, die politische Pattsituation nach der de-facto-Beseitigung
der Autonomie, die Etablierung einer
albanischen Parallelgesellschaft, die serbische Repression, die Strategie des gewaltfreien Widerstandes der Demokratischen
Liga des Kosovo unter seinem Vorsitzen-
den Ibrahim Rugova sowie ihr allmähliches Scheitern in der zweiten Hälfte der
Dekade. Danach folgen das Entstehen der
UCK und die eskalierende Kampfhandlungen mit den serbischen Sicherheitskräften
im Jahre 1998. Der Beschreibung des
Scheiterns der Friedensverhandlungen
von Rambouillet im Februar und März
1999 hätte eine etwas strukturierende
Darstellung von Inhalt und neuralgischen
Punkten des Vertragsentwurfes gutgetan.
Mit der Verwendung des durch den
Millionenmord des kambodschanischen
Pol-Pot-Regimes unmissverständlich besetzten Begriffes der killing fields gerät der Autor allerdings auf Abwege.
Die Wirklichkeit war gewiss schlimm
genug, als dass sie es nötig hätte, durch
solche Vergleiche übertrieben zu werden.
Die Stärke des Buches liegt in seinen ausdrucksstarken Schilderungen, die sich
beim Lesen wie von selbst zu visualisieren
scheinen. Sie liegt in spannend abgefassten Reportageelementen, mit denen der
Autor nahezu in allen Kapiteln den Verlauf der Ereignisse illustriert oder teilweise exemplarisch beschreibt. Entstanden ist
eine flüssig lesbare und trotz allem lesenswerte Einführung in den Kosovo-Konflikt
und seine Vorgeschichte. Rübs Buch animiert gerade wegen Einseitigkeiten zu
einem vertieften Studium von Ursachen
und Folgen dieses Krieges.
Berthold Löffler
Kriegsgefangene in Stuttgart
Elmar Blessing
Die Kriegsgefangenen in Stuttgart
Das städtische Kriegsgefangenenlager
in der Ulmer Straße und
die „Katastrophe von Gaisburg“
Herausgegeben von MUSE-O, Museumsverein Stuttgart-Ost e. V.
Verlag im Ziegelhaus Ulrich Gohl,
Stuttgart 1999
(Hefte zum Stuttgarter Osten; Band 4)
ISBN 3-925440-23-2
104 Seiten, 40, teils farbige Abbildungen,
DM 24,00
Tausende von Kriegsgefangenen und
Zwangsarbeitern waren gegen Ende des
Zweiten Weltkrieges in Stuttgart eingesetzt: in der Rüstungsindustrie und anderen Firmen, bei den städtischen Eigenbetrieben, beim Luftschutzbau oder bei Aufräumungsarbeiten nach Luftangriffen.
Schon 1940 hatte die Stadt für die Unterbringung von Kriegsgefangenen ein
Lager in Gaisburg errichten lassen. Die
Lage in einem Industriegebiet sollte die
Fremden von der einheimischen Bevölkerung fern halten; und sie war mit verantwortlich für die so genannte „Katastrophe von Gaisburg“ am 15. April 1943, als
bei einem Bombenangriff vierhundert
französische und russische Gefangene
getötet wurden.
Mit Unterstützung des Stadtarchivs Stuttgart und aufbauend auf früheren Studien
von Christian Streit und Ulrich Herbert hat
Elmar Blessing zahlreiche, bisher nicht bekannte Quellen und Erinnerungsstücke
ausgewertet. Interviews mit ehemaligen
123
französischen Kriegsgefangenen und
Stuttgarter Zeitzeugen ergänzen die Darstellung. Der Autor hat mit seinen Forschungen und Kontakten einen Beitrag
dazu geleistet, die das Schicksal der
Kriegsgefangenen während des Zweiten
Weltkrieges historisch aufzuarbeiten. Die
Texte und Abbildungen des Bandes geben
Einblick in den Lageralltag, die Arbeitseinsätze und die Verpflegungssätze oder
die durchaus differenzierten sozialen Beziehungen. Weil Blessing einzelne Menschen zu Wort kommen lässt, trägt er
dazu bei, den Opfern der NS-Diktatur ihre
Würde wiederzugeben.
Elmar Blessings Arbeit ist eine wichtige
Veröffentlichung zur Lokal- und Zeitgeschichte, die auch den Stuttgarter Lokalpolitikern zu empfehlen ist, zumal eine
vergleichbare Studie über die Zwangsarbeiter in Stuttgart noch aussteht. Für den
Unterricht bietet der Band viele anschauliche Materialien; darüber hinaus kann er
Anregungen geben für ähnliche Projekte
in der eigenen Region.
Otto Bauschert
Sehnsucht nach dem alten Dorf
Hans Dieter Eheim
Leben unter Scheunentoren
Begegnungen mit einem Dorf im Hohenlohischen
Hohenloher Druck- und Verlagshaus
Gerabronn und Crailsheim, 1998
96 Seiten, 8 Illustrationen von Wilfried
Richter
DM 19,80
Was macht der Stadtmensch vom Lande,
wenn er auf die sechzig zu geht und an
Weihnachten einmal nicht wie gewohnt
Berlin verlässt, um die Tage zwischen den
Jahren in seinem Heimatdorf bei Öhringen zu verbringen? Er erinnert sich – an
die Tage seiner Kindheit und Jugend in
Windischenbach.
Bei
geschlossenen
Augen tauchen Bilder vergangener Tage
in seinem Kopf auf. Und da er als Wissenschaftler das Schreiben gewohnt ist, hält
er seine Gedanken fest. So könnte Hans
Dieter Eheims Buch entstanden sein, in
dem er Geschichten aus „seinem“ Dorf erzählt.
Vor unseren Augen entsteht ein Bild des
alten Dorfes, das geprägt ist vom Rhythmus des Jahresablaufs – nicht nur in der
Natur, sondern im gesamten Alltag. Wir
erhalten Einblick in eine versunkene Welt
– mit schiefen Fachwerkhäusern, lehmigen Straßen und Wegen, Pferde- und
Kuhgespannen, Groß- und Kleinbauern,
Knechten und Mägden, dem Schmied,
Korbmacher und Schuster, dem Dorfladen
sowie einer Kommunikationskultur zwischen Dorfbüttel, Pferdemarkt und winterlicher „Vorsetz“ (dem regelmäßigen
Treffen reihum). Es ist eine in sich geschlossene Welt, in der auch die Einsamen
und die Armen im Unterdorf ihren fest gefügten Platz haben. Und alles strahlt im
milden Licht der Erinnerung.
Eheims Buch lebt vom Gegensatz zwischen Früher und Heute, aber auch vom
Kontrast zwischen Nähe und Stille des
Landlebens auf der einen sowie der Kälte
und Hektik der Großstadt auf der anderen
Seite. Die Sehnsucht nach der Geborgenheit des alten Dorfes klingt immer wieder
an. Eheims Blick zurück ist ein Buch für
Menschen, die sich in Erinnerung rufen
wollen, wie es damals war. Und es ist eine
lohnende Lektüre, um sich eine unbekannte Welt erst zu erschließen – als Kulturwissenschaftler oder als Städter von
heute.
Wer sich daran stört, dass Eheim die Verhältnisse von damals meist mit dem
Weichzeichner skizziert, dem sei als sinnvolle Ergänzung ein Band von Gottlob
Haag empfohlen: Und manchmal krähte
der Wetterhahn (jetzt in zweiter Auflage
erschienen im Verlag Eppe, Bergatreute).
Hans Dieter Eheims Vorzug ist es, dass er
mit der Distanz des Betrachters schreibt,
der die Verhältnisse zwar kennt, ihren
Zwängen aber entflohen ist. Der ältere
Gottlob Haag ist zeit seines Lebens im Hohenlohischen geblieben; er schildert die
soziale Wirklichkeit des Dorfes aus der
Perspektive von unten. In der Hochsprache schreiben beide Autoren, doch bei
Gottlob Haag finden sich viele wörtliche
Zitate in der Mundart.
Otto Bauschert
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Landeszentrale
für politische Bildung
Baden-Württemberg
124
LpB-Marketing
Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart
Tel. (0711) 16 40 99-65, Fax - 77, http://www.lpb.bwue.de
Neues aus der Landeszentrale
Fit für die Politik: Grundkurs
der Landeszentrale
Die Landeszentrale hat ihren bewährten „Grundkurs Politik“ in einer aktualisierten Fassung neu herausgebracht. Er
besteht aus einem Ordner mit 20 Themenbausteinen aus Politik, Gesellschaft,
Wirtschaft und Recht und kostet 29,50
DM (außerhalb Baden-Württembergs
59,50 DM) zzgl. Versandkosten.
Mit Democards
Bürger-Qualifikationen einüben
„Bürger-Qualifikationen“ sind nicht angeboren, sondern müssen erlernt und
trainiert werden. Die Landeszentrale
hat dazu neue Lernmaterialien entwickelt und herausgebracht, die den
Schwerpunkt auf das Einüben politischen Alltagsverhaltens legen. Die Impuls-Karten-Sammlung
„Democards“
richtet sich an Kursleiterinnen und Kursleiter, die mit ihr einen handlungsorientierten „Aktivkurs Politik“ gestalten
können. Der „Trainer-Koffer“ kostet
44,50 DM (außerhalb Baden-Württembergs 89,50DM) zzgl. Versandkosten.
„Internationale Beziehungen
in der politischen Bildung“
Im Laufe weniger Jahre hat sich das internationale Staatensystem rasant ver-
앻
ändert. Während in Westeuropa eine
neue Friedensordnung entstand, ist die
Lage in Osteuropa instabil. In vielen Regionen ist der Frieden durch ungelöste
Konflikte gefährdet. Dieses neue Koordinatensystem internationaler Politik
stellt auch die politische Bildung vor
neue Herausforderungen. Im neuesten
Band der didaktischen Reihe wird in
einem ersten Schritt der Versuch einer
fachwissenschaftlichen Bilanzierung gewagt. Im Folgenden wird der Frage
nachgegangen, wie denn Internationale Politik für den Unterricht greifbar
werden und wie zu den prägenden Elementen internationaler politischer Prozesse vorgestoßen werden kann.
Das Buch Siegfried Frech/Wolfgang
Hesse/Thomas Schinkel (Hrsg.): „Internationale Beziehungen in der politischen Bildung“ kann kostenlos bei der
Landeszentrale bestellt werden.
Schriftsteller lesen über 10 Jahre
deutsche Einheit
Bei den „Literaturtagen Sachsen-Anhalt“ 1993 haben sie sich kennen gelernt – die Schriftsteller Christoph Kuhn
(Ost) und Kai Engelke (West). Sie treffen
sich im Frühstücksraum einer kleinen
Pension, kommen ins Gespräch, entdecken Gemeinsamkeiten, besuchen zu-
sammen eine Ausstellung der „Beat-Generation“ im berühmten Dessauer Bauhaus. Sie fragen, antworten, reden, erzählen – bis auf den heutigen Tag. Als
„Tandem“ lesen sie vor Schülern aber
auch vor anderen Literatur-Interessierten. Ihr Briefwechsel ist inzwischen als
Buch erschienen (Kai Engelke, Christoph
Kuhn: „Wie gut, dass bei uns alles anders ist!“, Klaus Bielefeld Verlag Friedland 1999, 19,80 DM). Es dokumentiert
die Bemühungen zweier Schriftsteller,
das vermeintlich Fremde zwischen
„Ossi“ und „Wessi“ zu ergründen, die so
unterschiedlichen Einflüsse, denen sie
ausgesetzt waren zu benennen und die
Gegenwart schreibend zu bewältigen.
Ein Stück Zeitgeschichte aus persönlicher Sicht im Dialog – ernst und amüsant. Christoph Kuhn und Kai Engelke
stehen interessierten Gruppen gerne für
Lesungen und Gespräche zur Verfügung.
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politische Bildung Baden-Württemberg, Marketing, Stafflenbergstraße,
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Direktor: Siegfried Schiele . . . . . . . . . . .
Referentin des Direktors: Sabine Keitel . . .
Stabsstelle Marketing:
Leiter: Werner Fichter . . . . . . . .
Öffentlichkeitsarbeit: Joachim Lauk
Durchwahlnummern
. . . . . . . . . . . . . . - 60
. . . . . . . . . . . . . . - 62
. . . . . . . . . . . . . . -63
. . . . . . . . . . . . . - 64
Abteilung I Verwaltung (Günter Georgi)
Fachreferate
I/1
Grundsatzfragen: Günter Georgi . . . . . . . . . . . . . . . - 10
I/2
Haushalt und Organisation: Jörg Harms . . . . . . . . . . - 12
I/3
Personal: Gudrun Gebauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . - 13
I/4
Information und Kommunikation: Wolfgang Herterich . - 14
I/5** Haus auf der Alb: Erika Höhne . . . . . . .(0 71 25) 152 - 109
Abteilung II Adressaten (Karl-Ulrich Templ, stellv. Direktor)
Fachreferate
II/1
Medien: Karl-Ulrich Templ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . - 20
II/2** Frieden und Sicherheit: Wolfgang Hesse .(0 71 25) 152 - 140
II/3
Lehrerfortbildung: Karl-Ulrich Templ . . . . . . . . . . . . . - 20
II/4* Schülerwettbewerb:
Reinhard Gaßmann . . . . - 25, Monika Greiner . . . . . - 26
II/5
Außerschulische Jugendbildung: Wolfgang Berger . . . . - 22
II/6** Öffentlicher Dienst: Eugen Baacke . . . . . (0 71 25)152 - 136
Abteilung III Schwerpunkte (Konrad Pflug)
Fachreferate
III/1** Landeskunde/Landespolitik:
Dr. Angelika Hauser-Hauswirth . . . . . . . .(0 71 25)152 - 134
III/2
Frauenbildung: Christine Herfel . . . . . . . . . . . . . . . . - 32
III/3** Zukunft und Entwicklung:
Gottfried Böttger . . . . . . . . . . . . . . . . .(0 71 25)152 - 139
III/4** Ökologie: Dr. Markus Hug . . . . . . . . . . (0 71 25)152 - 146
III/5* Freiwilliges Ökologisches Jahr: Steffen Vogel . . . . . . . -35
III/6** Europa: Dr. Karlheinz Dürr . . . . . . . . . .(0 71 25)152 - 147
III/7* Gedenkstättenarbeit: Konrad Pflug . . . . . . . . . . . . . . - 31
Abteilung IV Publikationen (Prof. Dr. Hans-Georg Wehling)
Fachreferate
IV/1
Wissenschaftliche Publikationen
Redaktion „Der Bürger im Staat“:
Prof. Dr. Hans-Georg Wehling . . . . . . . . . . . . . - 41, -40
IV/2
Redaktion „Politik und Unterricht“: Otto Bauschert . . . . - 42
IV/3
Redaktion „Deutschland und Europa“:
Dr. Walter-Siegfried Kircher . . . . . . . . . . . . . . . . . . - 43
IV/4
Didaktik politischer Bildung: Siegfried Frech . . . . . . . - 44
Abteilung V Regionale Arbeit (Hans-Joachim Mann)
Fachreferate/Außenstellen
V/1
Freiburg: Dr. Michael Wehner . . . . . . . . .(07 61) 2 07 73 77
V/2
Heidelberg: Dr. Ernst Lüdemann . . . . . . . .(0 62 21) 60 78-14
V/3* Stuttgart: Hans-Joachim Mann . . . . . . .(07 11) 16 40 99-50
V/4
Tübingen: Rolf Müller . . . . . . . . . . . . (0 70 71) 2 00 29 96
Anschriften
Hauptsitz in Stuttgart (s. links)
* 70178 Stuttgart, Sophienstraße 28-30,
Telefax (07 11) 16 40 99-55
** Haus auf der Alb
72574 Bad Urach, Hanner Steige 1,
Tel. (0 71 25) 152- 0, Telefax (0 7125) 152-100
Außenstelle Freiburg
Friedrichring 29, 79098 Freiburg,
Telefon (07 61) 20 77 30, Telefax (07 61) 2 07 73 99
Außenstelle Heidelberg
Friedrich-Ebert-Anlage 22-24, 69117 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 60 78-0, Telefax (0 62 21) 60 78-22
Außenstelle Stuttgart
Sophienstraße 28-30, 70178 Stuttgart,
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Mittwoch
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„Der Bürger im Staat“
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„Deutschland und Europa“
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„Politik und Unterricht“
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Publikationen (außer Zeitschriften)
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schriftlich an die zuständigen Sachbearbeiterinnen (s.o):
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Themen der nächsten Hefte:
Auf dem Weg ins dritte
Jahrtausend:
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Deutschland Ost und
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