In-situ-Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt am Beispiel andiner

Transcripción

In-situ-Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt am Beispiel andiner
In-situ-Erhaltung von
Nutzpflanzenvielfalt
am Beispiel andiner Bauern in Vicos,
Peru
Magisterarbeit
zur Erlangung des Grades einer
Magistra Artium M.A.
vorgelegt der Philosophischen Fakultät
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
zu Bonn
von
Jutta Schmitz *
aus
Mönchengladbach
*
Kontakt: [email protected]
Vorwort
Ich danke Urpichallay und den Bauern von Vicos für die Möglichkeit, die
Lebendigkeit der andinen Welt auf eine Weise zu erfahren, wie sie Bücher nie
hätten vermitteln können.
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung .................................................................................. 7
2
Allgemeiner Rahmen.............................................................. 11
3
2.1
Begriffsklärung: Sortenvielfalt und Erhaltung ...................... 11
2.2
Zusammenhang biologischer und kultureller Vielfalt .......... 13
2.3
Untersuchungsraum ................................................................ 17
2.3.1
Merkmale agrobiologischer und kultureller Vielfalt in den Anden 17
2.3.2
Comunidad Campesina Vicos..................................................... 21
Einflussfaktoren und Projektstrategien für die Erhaltung
von Nutzpflanzenvielfalt............................................................... 27
4
5
3.1
Einflussfaktoren auf Nutzpflanzenvielfalt .............................. 27
3.2
Projektstrategien zur In-situ-Erhaltung.................................. 31
3.3
Alternativansatz PRATEC........................................................ 32
Methode................................................................................... 37
4.1
Vorbereitung ............................................................................. 39
4.2
Durchführung ........................................................................... 40
4.3
Auswertung............................................................................... 42
Ausgewählte Aspekte des Kartoffelanbaus in Vicos .......... 44
5.1
Sorten ........................................................................................ 44
5.1.1
Klassifizierung durch die Bauern................................................. 44
5.1.2
Bewertung und Nutzung ............................................................. 48
5.1.3
Verlust und Erhaltung ................................................................. 51
5.2
5.2.1
Wege der Saatgutbeschaffung.................................................... 53
5.2.2
Eigene Saatgutproduktion, Selektion und Lagerung ................... 58
5.3
6
Saatgutquelle............................................................................ 52
Anbau ........................................................................................ 61
5.3.1
Landbereitung und Saat.............................................................. 63
5.3.2
Pflege.......................................................................................... 67
5.3.3
Ernte ........................................................................................... 69
5.3.4
Organisation der Arbeit ............................................................... 72
Kontinuität und Wandel ......................................................... 76
6.1
Kulturelle Faktoren der Erhaltung .......................................... 76
6.2
Wandel....................................................................................... 78
6.2.1
Schule......................................................................................... 79
6.2.2
Intensivierung der Landwirtschaft ............................................... 81
6.2.3
Konsumwandel ........................................................................... 83
6.2.4
Protestantismus .......................................................................... 85
7
Schlussbetrachtung ............................................................... 86
8
Literatur ................................................................................... 89
Anhang .......................................................................................... 97
A
Interviewleitfaden ........................................................................ 97
B
Interviewsituationen .................................................................... 98
C
Kartoffelsorten in Vicos ............................................................ 101
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Überschneidung biologischer und sprachlicher Vielfalt ...................... 14
Abb. 2: Lage der Comunidad Campesina Vicos............................................. 21
Abb. 3: Anbauprodukte in Vicos nach Höhenstufe ......................................... 24
Abb. 4: Einflussfaktoren auf Nutzpflanzenvielfalt............................................ 27
Abb. 5: Sortenvielfalt in Vicos......................................................................... 45
Abb. 6: Feria de semillas in Vicos .................................................................. 56
Abb. 7: Selektion nach der Familienernte....................................................... 59
Abb. 8: Selektion der faena comunal des Sektors Cachipachán .................... 59
Abb. 9: Lagerung der Kartoffeln ..................................................................... 61
Abb. 10: Agroökologischer Kalender des Kartoffelanbaus in Vicos.................. 62
Abb. 11: Pflügen mit barreta............................................................................. 64
Abb. 12: Pflügen mit yunta ............................................................................... 64
Abb. 13: Chacra mit lluta papa ......................................................................... 66
Abb. 14: Don José mit seinem Sohn bei der Ernte........................................... 70
Abb. 15: Ernte in faena comunal in der Quebrada Honda................................ 71
Abb. 16: Vicosinos beim boleo ......................................................................... 75
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Vielfalt ausgewählter andiner Nutzpflanzen im Überblick................... 19
Tab. 2: Altersstruktur und Geschlecht der Befragten ..................................... 41
Tab. 3: Nutzung
und
Bewertung
lokaler
und
verbesserter
Kartoffelsorten.................................................................................... 49
Tab. 4: Häufigste Wege der Saatgutbeschaffung........................................... 53
7
1 Einleitung
Der
Rückgang
biologischer
Vielfalt
ist
ein
weltweites
Problem
mit
weitreichenden Folgen. Als Reaktion wurde 1992 von den Vereinten Nationen
2
die Konvention über Biologische Vielfalt verabschiedet, die den Anstoß gab für
zahlreiche Programme zur Erhaltung biologischer Vielfalt auf globaler wie auf
regionaler Ebene. In Artikel 8(j) der Konvention zu In-situ-Erhaltung wird
erstmals explizit und offiziell die Bedeutung indigenen und lokalen Wissens für
die Erhaltung von biologischer Vielfalt anerkannt. Während sich auch in der
Literatur immer wieder Hinweise auf die Existenz kultureller Einflussfaktoren
insbesondere auf agrobiologische Vielfalt finden, sind diese Zusammenhänge
selten genauer aufgeschlüsselt. Strategien zur Erhaltung von agrobiologischer
Vielfalt in ihrer natürlichen Umgebung basieren schwerpunktmäßig eher auf
ökonomischen Ansätzen.
Das Ziel meiner Arbeit ist, die Bedeutung kultureller Faktoren für die Erhaltung
von agrobiologischer Vielfalt näher zu beleuchten. Dies soll anhand des
Beispiels peruanischer Bauern in den Anden erfolgen, die über Jahrtausende
eine
große
Vielfalt
an
Kartoffelsorten
hervorgebracht
haben.
Als
Informationsquelle dient neben der Literatur eine eigene empirische Befragung
von Bauern in der Comunidad Campesina Vicos, die mit Hilfe der Organisation
Urpichallay im Mai 2005 durchgeführt wurde.
Im Folgenden soll die Gliederung der Arbeit deutlich gemacht werden. Dazu
werden Inhalt und Funktion der einzelnen Kapitel kurz skizziert.
Nach dieser
Rahmen
der
Einleitung in die Thematik soll in Kapitel 2 der allgemeine
Arbeit
vorgestellt
werden.
Im
Hinblick
auf
die
disziplinenübergreifende Thematik werden zunächst zentrale Begriffe wie
‚Nutzpflanzenvielfalt’, ‚lokale Sorten’ und ‚In-situ-Erhaltung’ erläutert. Danach ist
es wichtig, den allgemeinen Zusammenhang zwischen biologischer und
kultureller Vielfalt zu verdeutlichen und in diesem Kontext die Bedeutung des
lokalen Wissens hervorzuheben.
2
Convention on Biological Diversity (CBD).
8
Es folgt die Vorstellung des Untersuchungsraums. Dazu gehören eine
Einführung in die agrobiologischen und kulturellen Besonderheiten der
Andenregion sowie die Darstellung der Comunidad Campesina Vicos anhand
ihrer Lage, Geschichte, Gesellschaft und Wirtschaftsweise.
Kapitel 3 stellt die Einflussfaktoren auf und die Projektstrategien zur Erhaltung
von Nutzpflanzenvielfalt dar. Es gilt aufzuzeigen, welche direkten und indirekten
Einflussfaktoren sich auf Nutzpflanzenvielfalt auswirken können. Direkte
Faktoren sind in diesem Kontext die Entscheidungen der Bauern, die den
Anbau der Nutzpflanzen betreffen. Alle Faktoren, die den Bauern in seinen
Entscheidungen beeinflussen, tragen indirekt ebenfalls zu Erhalt und Rückgang
von Nutzpflanzenvielfalt bei.
Anschließend werden einige Projektstrategien dargestellt, die zur Förderung der
In-situ-Erhaltung entwickelt wurden. Die Maßnahmen variieren, je nachdem ob
sie darauf abzielen, den ökonomischen Wert von Nutzpflanzen zu steigern oder
ihre ökologische oder kulturelle Wertschätzung zu unterstützen.
Zusätzlich soll ein alternativer Ansatz vorgestellt werden, der von dem Proyecto
Andino de Tecnologías Campesinas – kurz PRATEC – auf regionaler Ebene für
die Anden entwickelt wurde und die kulturelle Komponente von
In-situ-
Erhaltung betont. Die in diesem Zusammenhang dargestellten Kritiken und
Alternativvorschläge eröffnen neue Erklärungsansätze bäuerlichen Handelns,
indem sie die Unterschiede zwischen westlichen und andinen Ontologien
aufzeigen.
Kapitel 4 stellt die empirische Feldstudie vor, welche in Vicos durchgeführt
wurde. Dazu werden zunächst die angewandten Methoden qualitativer
Sozialforschung (teilnehmende Beobachtung, narrative und leitfadenorientierte
Interviews) erläutert.
Es folgt eine Beschreibung der Vorbereitung der Feldstudie, u.a. mit Hilfe des
Interviewleitfadens,
welcher
anhand
ausgewählter
Aspekte
aus
den
vorangehenden Kapiteln erstellt wurde. Anschließend soll die Durchführung der
Feldstudie dargestellt werden, um die Ergebnisse vor dem Hintergrund der
Interviewsituationen bewerten zu können. Zum Abschluss des Kapitels wird das
Auswertungsverfahren beschrieben.
9
Kapitel 5 orientiert sich an den für die Befragung ausgewählten Aspekten des
Kartoffelanbaus in Vicos. Die Ergebnisse der Feldstudie werden durch
zusätzliche Informationen aus der Literatur zu Vicos und anderen Regionen der
Anden ergänzt. Als Einstieg werden einige der Kartoffelsorten vorgestellt, die in
Vicos angebaut werden. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frage, wie die
Bauern die verschiedenen Kartoffelsorten handhaben, d.h. wie werden sie
klassifiziert, genutzt und bewertet. Zu klären ist auch, wie die Bauern den
Verlust von Kartoffelsorten wahrnehmen.
Es folgt eine Beschreibung der unterschiedlichen Saatgutquellen der Bauern.
Hierbei sind sowohl die Art des Erwerbs als auch die Herkunft der angebauten
Kartoffelsorten von Interesse.
Im Anschluss werden die verschiedenen Anbauphasen der Kartoffel dargestellt.
Für das Ziel der Arbeit ist es ist wichtig, nicht nur die jeweiligen Praktiken zu
erläutern, sondern auch zu zeigen, wer am Anbau beteiligt ist und welche
Vorstellungen dem Anbau zu Grunde liegen.
Der letzte Teil des Kapitels befasst sich gezielt mit der Organisation des
gemeinschaftlichen Anbaus als typisches Merkmal der andinen Landwirtschaft.
Kapitel 6 soll dazu dienen, den Einfluss kultureller Faktoren auf die
Nutzpflanzenvielfalt herauszustellen, indem die wichtigsten Ergebnisse des
vorangehenden Kapitels in ihrer Bedeutung für die Erhaltung der Vielfalt an
Kartoffelsorten diskutiert werden. Anschließend soll die Thematik des Wandels
als Gefahr für den Fortbestand lokaler Sortenvielfalt näher beleuchtet werden.
Hervorgehoben
werden
Veränderungen
in
den
Bereichen
Bildung,
Landwirtschaft, Konsumverhalten und Religion.
Kapitel 7 enthält die Schlussbetrachtung, welche die wichtigsten Ergebnisse
der Arbeit zusammenfasst und kommentiert. Darüber hinaus sollen mögliche
Empfehlungen für Projekte zur In-situ-Erhaltung gegeben sowie zukünftiger
Forschungsbedarf aufgezeigt werden.
Die verwendete Literatur lässt sich grob in verschiedene Kategorien einteilen
(die jeweils wichtigsten Beiträge finden sich in Klammern):
10
Ein Teil besteht aus allgemeiner Literatur zur Erhaltung biologischer Vielfalt, die
im Rahmen der internationalen Debatte entstand (Brush 1999, Jarvis et al.
2000, Maffi 2000, Maxted et al. 1997a/b, Posey 1999).
Des Weiteren wird Literatur über die Anden verwendet, die einerseits die
Besonderheiten andiner Landwirtschaft behandelt, andererseits speziell auf die
Erhaltung von Nutzpflanzen eingeht (Brush 2000, Zimmerer 1996 und 2003).
Die Arbeiten von PRATEC bilden eine weitere Untergruppe, da sie sich in ihrer
Herangehensweise an die Thematik von der herkömmlichen Wissenschaft
unterscheiden (Ishizawa 2004, Recknagel 2001, Rengifo 2000).
Die Literatur zu Vicos umfasst aktuelle Berichte und Veröffentlichungen der
Organisation Urpichallay sowie eine Reihe von Beiträgen über das Proyecto
3
Perú-Cornell , welche die Vergangenheit der Comunidad Campesina Vicos
beleuchten (Dobyns et al. 1971, Lynch 1982, Stein 2000, Vázquez 1952).
3
Das Proyecto Perú-Cornell war ein von Anthropologen geleitetes Entwicklungshilfeprojekt in
Vicos, welches in den 50er Jahren startete und mehr als zehn Jahre andauerte.
11
2 Allgemeiner Rahmen
2.1 Begriffsklärung: Sortenvielfalt und Erhaltung
Biologische Vielfalt (auch Biodiversität) umfasst alle Formen des Lebens von
Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen, einschließlich ihrer Ökosysteme. Vielfalt
existiert auf drei Ebenen: Vielfalt der Ökosysteme, der Arten und der Sorten
(CBD 1992, Art. 2). Unter Nutzpflanzenvielfalt versteht man den pflanzlichen
Teil biologischer Vielfalt, der in Ernährung und Landwirtschaft verwendet wird
(Long et al. 2000: 1). Zu ihr zählen neben den domestizierten Pflanzenarten
auch deren halbwilde und wilde Verwandten sowie nichtdomestizierte
Pflanzenarten, beispielsweise die Heilpflanzen (Brush und Orlove 1996: 33940).
Während
die
Artenanzahl
der
weltweit
wichtigsten
Nutzpflanzen
vergleichsweise gering ist, ist die Vielfalt innerhalb der Arten oft sehr groß (FAO
1997: 14). In der botanischen Nomenklatur stehen die Arten über den Sorten.
Arten
entstehen
unter
besonderen
geographischen
und
genetischen
Prozessen, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken, während Sorten
durch einfache genetische Kreuzungen und menschliches Eingreifen in relativ
kurzer Zeit entstehen können. Dieses Kreuzen ist für die Evolution einer Art und
für ihre Anpassung an verschiedene Umweltbedingungen unbedingt notwendig.
Je mehr Sorten innerhalb einer Art existieren, umso größer ist ihre genetische
Vielfalt, während das Verschwinden von Sorten als erstes Anzeichen von
Artensterben gesehen wird (Knodel 1980: 332). Deshalb ist für die Erhaltung
von Nutzpflanzenvielfalt die Berücksichtigung der Sortenvielfalt am wichtigsten
(Cromwell 1999: 6).
Man unterscheidet zwischen verbesserten und lokalen Nutzpflanzensorten.
Erstere sind das Produkt formeller, institutioneller und wissenschaftlicher
Pflanzenzucht. Daher werden sie auch als Hochleistungssorten oder moderne
Sorten bezeichnet.
4
4
Sie zeichnen sich in der Regel durch eine starke
Derartige Bezeichnungen sind nicht unumstritten: „It certainly reflects a good deal of arrogance
towards farmers to denominate new varieties as ‚improved’ varieties. Such a qualification
should be the result of farmers’ evaluation and not an ex-ante assessment by international
research stations themselves“ (Ploeg 1993: 225).
12
Ertragsleistung aus. Allerdings benötigen sie dafür gute Böden und größere
Mengen an Düngemitteln. Zudem weisen sie einen hohen Grad genetischer
Einheitlichkeit auf, der sie gegenüber Pflanzenkrankheiten und Schädlingen
anfälliger werden lässt. Lokale Sorten (auch traditionelle Sorten
5
oder
Bauernsorten) werden von Bauern gezüchtet und selektiert. Diese Sorten sind
zwar weniger ertragreich, weisen jedoch einen hohen Grad an genetischer
Vielfalt und dadurch eine höhere Resistenz gegenüber Schädlingen und
Krankheiten auf
(Long et al. 2000: 1-2). Lokale Sorten finden sich oft in
marginalen Anbauzonen mit sehr heterogenen Umweltbedingungen, wo sie von
traditionellen Kleinbauern in Subsistenzwirtschaft angebaut werden. Im
Gegensatz zu verbesserten Sorten sind sie eher lokal angepasst und werden in
Mischpopulationen angebaut (Brush und Orlove 1996: 340).
Landwirtschaftliche Ökosysteme beruhen zu einem Großteil auf ‚fremden’
Arten. Die Verbreitung der weltweit wichtigsten Nutzpflanzen erfolgte weit über
ihren Ursprungsort hinaus. Daher existiert im Bezug auf genetische Ressourcen
eine große Abhängigkeit zwischen Ländern unterschiedlicher Regionen der
Welt. Die globale Bedeutung lokaler Sorten liegt vor allem darin, dass sie als
pflanzengenetische Ressourcen potenzielle Antworten (z.B. in Form von
Resistenzen)
auf
heutige
und
zukünftige
Herausforderungen
der
Welternährungssituation beinhalten (FAO 1997: 22-23).
Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Kulturwandel, die Ausdehnung der
Marktwirtschaft sowie die zunehmende räumliche Integration haben jedoch mit
der Intensivierung landwirtschaftlicher Strukturen zu einem Rückgang an
Nutzpflanzenvielfalt geführt (Brush und Orlove 1996: 340).
Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt kann auf zwei Arten erfolgen:
1. In situ (lat. vor Ort), z.B. in Hausgärten und Feldern
2. Ex situ (lat. außerhalb), z.B. in Genbanken oder Botanischen Gärten.
5
Die Bezeichnung von Sorten als traditionell darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass
diese kontinuierliche Selektion und Evolution erfahren (Orlove/Brush 1996: 340). Die
Bezeichnungen lokal, traditionell und indigen für bestimmte Bevölkerungen sowie die für sie
typischen Vorstellungen, Praktiken und Anbauprodukten werden in der Literatur oft synonym
verwendet, wobei sie jeweils einen bestimmten Aspekt, sei es den geographischen, den
zeitlichen oder den ethnischen Aspekt hervorheben.
13
In-situ-Erhaltung wird in der CBD (1992, Art. 2) definiert als
[...] the conservation of ecosystems and natural habitats and the maintenance
and recovery of viable populations of species in their natural surroundings and,
in the case of domesticated or cultivated species, in the surroundings where
they have developed their distinctive properties.
Während Ex-situ-Erhaltung es erlaubt, genetisches Material zugänglich und
kontrolliert zu lagern, zeichnet sich In-situ-Erhaltung dadurch aus, dass sie
ganze Ökosysteme mitsamt ihrer evolutionären Prozesse umfasst und
dementsprechend nachhaltiger ist. Heute werden beide Konzepte als
komplementär angesehen und vermehrte Aufmerksamkeit auch auf die
Erforschung der Zusammenhänge in situ gerichtet (Maxted et al. 1997a: 31-33,
Brush 1999: 7-8).
Die im Rahmen dieser Arbeit behandelte In-situ-Erhaltung domestizierter und
gezüchteter Arten wird von Maxted et al. (1997b: 340) als on-farm conservation
genauer definiert:
[...] the sustainable management of genetic diversity of locally developed
traditional crop varieties, with associated wild and weedy species or forms,
by farmers within traditional agricultural, horticultural or agri-silvicultural
cultivation systems.
Die Betonung liegt auf dem nachhaltigen Management genetischer Vielfalt
durch Bauern in traditionellen Anbausystemen. Die hier angedeutete Beziehung
zwischen Mensch und Natur nimmt in dieser Arbeit eine zentrale Rolle ein und
wird im Folgenden näher beleuchtet.
2.2 Zusammenhang biologischer und kultureller Vielfalt
Während sich biologische Vielfalt anhand der Unterteilung in Arten und deren
Untergruppen noch vergleichsweise gut messen lässt, ist der Begriff ‚kulturelle
Vielfalt’ schon aufgrund der Problematik einer allgemeingültigen Definition des
Kulturbegriffs schwieriger zu fassen.
Die Universal Declaration of Cultural Diversity der UNESCO aus dem Jahr 2002
definiert Kultur wie folgt:
the set of distinctive spiritual, material, intellectual and emotional features of
society or a social group, […] encompasses, in addition to art and literature,
lifestyles, ways of living together, value systems, traditions and beliefs.
14
Diese Definition macht deutlich, dass Kultur als ein universaler Bestandteil
menschlicher Gesellschaften gesehen werden kann, der aus interdependenten
Teilbereichen besteht. Die semiotische Kulturdefinition bei Geertz (1987: 9)
erweist sich als kohärenter. Er definiert Kultur als das „selbstgesponnene
Bedeutungsgewebe“ des Menschen. Dieses kann als das Fundament
verstanden werden, das den oben angeführten Komponenten zugrunde liegt
und ihre Erklärung ermöglicht.
Aus Mangel an operationalisierbaren Alternativen wird kulturelle Vielfalt oft
anhand unterschiedlicher Sprachgruppen aufgezeigt. Diese Reduzierung ist
zwar nicht unproblematisch, gibt jedoch einen klaren Hinweis auf die globalen
Zusammenhänge zwischen kultureller und biologischer Vielfalt (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Überschneidung biologischer und sprachlicher Vielfalt
Quelle: UNESCO et al. 2003: 42-43.
Betrachtet man die weltweite Verteilung sprachlicher und biologischer Vielfalt,
lässt sich feststellen, dass die Zentren beider häufig zusammenfallen (siehe
rote Markierung). So weisen Nord- und Mittelamerika, das Anden-AmazonasGebiet, Australien, Indien, China, Südostasien und Zentralafrika nicht nur eine
überdurchschnittliche biologische Vielfalt auf (hier gemessen an der Zahl
endemischer Wirbeltierarten), sondern verfügen zudem über eine sprachlich
höchst heterogene Bevölkerungsstruktur.
15
Schon 1988 betonte die Internationale Gesellschaft für Ethnobiologie in ihrer
Declaration of Belèm die Existenz eines „inextricable link“ zwischen biologischer
und kultureller Vielfalt (ISE 1988). 1992 wurde dieser Gedanke in die
Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen übernommen:
Each Contracting Party shall, as far as possible and as appropriate: […]
Subject to its national legislation, respect, preserve and maintain
knowledge, innovations and practices of indigenous and local communities
embodying traditional lifestyles relevant for the conservation and
sustainable use of biological diversity, […] (CBD 1992, Art. 8j).
Die genaue Ausgestaltung dieses Zusammenhangs ist allerdings umstritten.
Neben der Unsicherheit darüber, welche Handlungen sich wie auf die Natur
auswirken, bestehen auch Zweifel hinsichtlich einer bewussten Erhaltung der
Natur von Seiten indigener und traditioneller Gruppen, wie sie der Begriff des
6
„ecologically noble savage“ impliziert. Verschiedene Autoren weisen jedoch
darauf hin, dass die Konzepte der Erhaltung und Biodiversität, wie sie in Kapitel
2.1 erläutert wurden, in den Vorstellungen indigener Gruppen nicht existieren
(Pierotti und Wildcat 1999: 192-199). Eine Diskussion über die bewusste oder
unbewusste Förderung von Biodiversität verliert somit an Bedeutung (Posey
1999: 7).
Als
allgemein
anerkannt
gilt,
dass
Menschen
ihre
Umwelt
stets
in
unterschiedlichem Maße mitgestaltet haben. Besonders kleinere Gruppen,
welche über einen längeren Zeitraum ein bestimmtes Gebiet bewohnen,
entwickeln ein spezielles Wissen über ihre lokale Umwelt und tendieren dazu,
ihre natürlichen Ressourcen nachhaltig zu verwalten und zu nutzen. Dabei
werden Landschaften nicht nur physisch durch den Menschen beeinflusst,
sondern auch durch die sprachliche Darstellung in Worten, Ausdrücken,
Legenden und Liedern, etc. Denn diese enthalten das Wissen, welches die
Beziehung zwischen Mensch und Umwelt definiert (Maffi 2000: 11-12).
Um den Zusammenhang von kultureller und biologischer Vielfalt zu verstehen,
ist es wichtig das „lokale Wissen“ näher zu beleuchten. Die Fülle an alternativen
bzw. verwandten Bezeichnungen weist bereits auf die verschiedenen Aspekte
6
Dieser Begriff wurde durch Redford (1991) geprägt und danach von weiteren Autoren
übernommen.
16
7
und Einschätzungen dieses Wissens hin. Zu den wesentlichen Merkmalen
lokalen
Wissens
zählen
seine
Entstehung
aus
Beobachtungen
und
Experimenten des praktischen Lebens, seine Verankerung in bestimmten
geographischen und kulturellen Kontexten und seine ganzheitliche Orientierung
nach holistischen Prinzipien. Inhaltlich umfasst es sowohl Sachkenntnisse als
auch Fähigkeiten, die oft unbewusst wahrgenommen und nur teilweise
verbalisiert werden (Antweiler 1995: 28-29).
Im Zusammenhang mit biologischer Vielfalt findet man in der Literatur häufig
den Begriff „traditional ecological knowledge“ (TEK). Unter ihm versteht man
das Wissen und die Vorstellungen über die Beziehungen der Lebewesen
untereinander und mit ihrer Umwelt, wie sie über Generationen innerhalb einer
Kultur entwickelt und weitergegeben wurden (Berkes 1993: 3). TEK umfasst
somit einen bedeutenden Teil lokalen Wissens, der im Zusammenhang
biologischer
Vielfalt
relevant
ist.
Das
TEK
basiert
auf
symbolischen
Bedeutungen, die in oraler Tradition, Ortsnamen und spirituellen Beziehungen
gespeichert sind, einer eigenen Kosmologie und den auf Reziprozität und
Verpflichtung beruhenden Beziehungen zwischen allen Mitgliedern einer
Gemeinschaft (Berkes 1993: 5).
Lokales Wissen wird oft im Gegensatz zur westlichen Wissenschaft betrachtet.
Dies liegt zum einen an dem dominanten und häufig ignoranten Auftreten der
westlichen
Vertreter
wissenschaftlichen
Wissens
von
der
frühen
Kolonialisierung bis zur heutigen Entwicklungszusammenarbeit (Hobart 1993:
2). Zum anderen lässt sich lokales Wissen nicht ohne weiteres in
wissenschaftliches
Wissen
übertragen.
Schon
bei
der
sprachlichen
Übersetzung lokaler Wissensinhalte kann ein Teil ihrer Bedeutung verloren
gehen (Maffi 2000: 6).
Diverse Fallstudien haben gezeigt, dass ein Biodiversitätsverlust häufig dort
auftritt, wo die Übertragung von Wissen zwischen den Generationen
unterbrochen wird und die Kontexte abnehmen, in denen dieses Wissen
gebraucht wird (Maffi 2000; vgl. auch Kap. 3.1 und 6.2 dieser Arbeit).
7
Einen Überblick über Begriffe und Inhalte bietet Antweiler 1995: 24-25.
17
Es sollte deutlich geworden sein, dass die Beziehung zwischen biologischer
und kultureller Vielfalt durch den lokalen Zusammenhang von Mensch und
Natur geprägt ist und speziell im lokalen Wissen ihren Ausdruck findet. Daher
werden im Folgenden die natürlichen und kulturellen Besonderheiten der
Andenregion sowie die Comunidad Campesina Vicos vorgestellt, die im
Zentrum der Untersuchung stehen.
2.3 Untersuchungsraum
2.3.1 Merkmale agrobiologischer und kultureller Vielfalt in den
Anden 8
Die Zentralanden erstrecken sich über weite Teile Perus, Ecuadors und
Boliviens. Als Kulturraum sind sie keinesfalls auf die physische Gebirgseinheit
der Anden beschränkt, sondern beziehen auch Küsten- und Tieflandregionen
mit ein, die schon seit Jahrtausenden in regem Austausch mit dem Hochland
stehen (Gade 1999: 33-34).
Heute beherbergen die Zentralanden ca. 25 Millionen Menschen (Salman und
Zoomers 2003: 3). Mehr als 3 Millionen Menschen in Peru gehören der
Sprachgruppe der Quechua an. Ca. 56% von ihnen werden dem ländlichen
Raum zugerechnet (INEI 1993). Sie bilden den größeren Teil der Bevölkerung
9
der 5168 comunidades campesinas , die in Peru 37% der landwirtschaftlichen
Nutzfläche – größtenteils Weideland – besitzen (INEI 1994).
Ökologisch weisen die Anden hohe Variationen von Klima, Böden, Flora, Fauna
und Relief auf, die eng mit den teilweise beträchtlichen Höhenunterschieden
zusammenhängen (Brack-Egg 1989: 25-44). Nach Pulgar Vidal (1967) werden
in Peru acht natürliche Regionen von der Küste (chala) über die Gebirgsstufen
8
9
Die hier aufgeführten ökologischen und kulturellen Besonderheiten entstammen überwiegend
aus Literatur zu den peruanischen Anden, lassen sich jedoch auch in den benachbarten
Andenländern aufzeigen.
Die comunidad campesina bezeichnet einen Zusammenschluss verschiedener Produktionszonen sowie die lokale Bevölkerung, die diese Zonen gemeinschaftlich nutzt. Die Kontrolle
und die Koordination von Ressourcen und Arbeitskraft erfolgt durch die Autoritäten der
comunidad. (Mayer und Fonseca 1988: 10). Aufgrund von Unterschieden in der legalen
Anerkennung der comunidades campesinas liegt ihre tatsächliche Zahl noch höher als
angegeben.
18
(yunga, quechua, suni, puna und janca) bis zum Regenwald (rupa rupa und
omagua) unterschieden. Die Ausgestaltung und Benennung der Stufen variiert
auf lokaler Ebene und wird für Vicos in Kapitel 2.3.2 beschrieben.
Peru gehört zu den 17 Ländern, die weltweit über die größte Artenvielfalt
(mega-diversity) verfügen (UNESCO 2003: 16-17, vgl. auch Abb. 1). 1005 der
3104 lokalen Nutzpflanzenarten Perus sind Kulturpflanzen (Salas 1996: 15), die
teilweise
schon
seit
mehreren
Jahrtausenden
angebaut
werden.
Archäologische Funde von Pflanzenresten weisen die Anden als eine Wiege
der Landwirtschaft aus. Zu den ältesten Funden kultivierter Nutzpflanzen
gehören Reste von ají (capsicum chinense) und Bohnen (phaseolus vulgaris),
die aus der Cueva de Guitarrero in Peru stammen und auf ca. 8000 v. Chr.
datiert werden (Smith 1980: 110).
Tab. 1 zeigt eine Auswahl der Nutzpflanzen, die aus der Andenregion stammen
und auch in der untersuchten comunidad Vicos angebaut werden. Die Kartoffel
ist sowohl die vielfältigste als auch die bekannteste unter ihnen. In den Anden
findet man mindestens acht verschieden Kartoffelarten, die sich mit einer
Ausnahme von der in Europa verbreiteten Art unterscheiden (National
Research Council 1989: 96). Die weitaus größere Vielfalt findet sich allerdings
auf der Sortenebene: ca. 3800 Kartoffelsorten allein aus der Andenregion sind
10
beim Centro Internacional de la Papa (CIP) in Lima registriert.
10
11
11
http://www.cipotato.org/potato/potato.htm (gesehen am 20.11.05).
Zum Vergleich: Beim Bundessortenamt in Deutschland sind derzeit 210 Kartoffelsorten
registriert
(http://www.bundessortenamt.de/internet20/Sorteninformation/Kartoffeln/Files/
Kartoffeln.pdf, gesehen am 20.11.05).
19
Tab. 1: Vielfalt ausgewählter andiner Nutzpflanzen im Überblick
Anzahl der Sorten in
Nutzpflanzengruppe/-arten
Knollenfrüchte
Wurzeln
Getreide
Hülsenfrüchte
wissenschaftliche
Bezeichnung
Perua
Vicosb
5000
109
Kartoffel
Solanum sp.
Oca
Oxalis tuberosa
610
49
Mashua
Tropaeolum tuberosum
107
12
Olluco
Ullucus tuberosus
118
19
Yacón
Polymnia sonchifolia
k. A
3
Racacha
Arracaia xanthorriza
k. A
2
Achira
Canna edulis
k. A
k. A.
Maisc
Zea mays
k. A
26
Quinoa
Chenopodium quinoa
1500
6
Kiwicha
Amaranthus caudatus
570
5
Frijol
Phaseolus vulgaris
k. A
30
Tarwi
Lupinus mutabilis
1500
k. A.
a
Die Angaben beziehen sich auf die jeweils größte Sammlung von fünf peruanischen Saatgutbanken.
Die Angaben beruhen auf bäuerlichen Unterscheidungen, eine gentechnische Klassifizierung könnte
möglicherweise eine geringere Sortenzahl ergeben.
c
Mais stammt zwar vermutlich aus Mesoamerika, entwickelte aber schon in vorspanischer Zeit eine hohe
andenspezifische Vielfalt (Zimmerer 1996: 32).
b
Quellen: National Research Council 1989, Urpichallay 1999: 78, Valladolid 2001: 79.
Schon lange vor Ankunft der Spanier bildete sich eine andine Kultur heraus, die
in vielen Elementen bis heute lebendig ist. Die für diese Arbeit wichtigsten
Merkmale der andinen Kultur sollen an dieser Stelle erläutert werden.
Im Mittelpunkt steht die Landwirtschaft. Typisch für die andine Landwirtschaft ist
ihre Vertikalität, d.h. die Bewirtschaftung unterschiedlicher Höhenstufen.
Angestrebt wird eine größtmögliche Nutzung der vorhandenen ökologischen
Vielfalt, welche eine relative Selbstversorgung ermöglicht und Subsistenzrisiken
verringert (Gade 1999: 36).
Die Organisation des menschlichen Zusammenlebens wird durch das ayllu
geprägt. Es bezeichnet eine kollektive Einheit von Menschen, die durch
Verwandtschaftsbeziehungen, Rituale und Feste sowie Subsistenzwirtschaft
20
und soziale Tauschbeziehungen miteinander verbunden sind. Das ayllu hat
seinen
Ursprung
in
vorspanischer
Zeit
und
definierte
sich
als
Verwandtschaftsgruppe mit einem gemeinsamen Vorfahren. In seiner sozialen,
wirtschaftlichen und religiösen Bedeutung ist es bis heute, wenn auch in
veränderter Form, in den comunidades campesinas erhalten geblieben
(Estermann 1998: 203-204).
Die kollektive Landwirtschaft erfolgt nach dem Prinzip der Reziprozität. Dieses
drückt sich etwa in den traditionellen Arbeitstauschregelungen, die als
Entlohnung die Erwiderung gleicher Arbeitsleistungen bzw. die Abgabe eines
Teils der Ernte vorsehen (Estermann 1998: 205). Das Prinzip der Reziprozität
durchzieht den gesamten Lebensbereich in den Anden und prägt auch die
Beziehungen zwischen Mensch, Natur und Gottheiten. Zu letzteren zählen vor
allem die Pachamama (Mutter Erde) und die apus (Schutzgötter der Berge). Vor
diesem Hintergrund wird der Begriff des ayllu auf die drei Einheiten Mensch,
Natur und Gottheiten ausgeweitet (Rengifo 2001a: 57). Die Grundlage hierfür ist
ein holistisches Weltverständnis, nach welchem sich alle Begebenheiten aus
der Beziehung zwischen Mensch, Natur und Gottheit ergeben.
Die Wahrnehmung räumlicher Einheiten basiert in den Anden auf den
Prinzipien der Korrespondenz und der Komplementarität. Korrespondenz
beinhaltet qualitative, symbolische, rituelle und emotionale Beziehungen
zwischen Elementen des Himmels (z.B. Sonne, Mond, Nacht, Tag) und der
Erde (z.B. Frau, Mann, Pflanzen, Boden, Mutter Erde, Berge). Die
Komplementarität resultiert aus der Zusammengehörigkeit des Femininen und
des Maskulinen. Beide lassen sich als Attribute in sämtlichen räumlichen
Elementen wieder finden (Mann-Frau, Sonne-Mond, Pflanzen-Boden). Ihre
Vereinigung ist auch Bestandteil vieler ritueller Zeremonien (Estermann 1998:
155-165).
Es ist notwendig, diese Auffassung vom Leben zu verstehen, da sie sehr
großen Einfluss auf tägliche Handlungen und damit auch auf den Umgang mit
der Natur hat und damit eben auch auf Vielfalt bzw. die Erhaltung von Vielfalt.
Man darf die Anden allerdings nicht als einen homogenen Raum verstehen. Die
Bezeichnung ‚andin’ wurde von außen auferlegt, während Bauern sich
21
tendenziell eher mit ihrem Dorf bzw. ayllu identifizieren (Salman und Zoomers
2003: 7). Die Ausgestaltung von Vertikalität und Reziprozität kann daher
ebenso lokalen Variationen unterliegen, wie beispielsweise traditionelle
Kleidung oder Feste. Ebenso wenig handelt es sich bei andinen Gesellschaften
um statische Gesellschaften. So werden in der Landwirtschaft neben
traditionellen Strategien auch westliche Konzepte aus Wirtschaft, Technologie
und Bildung einbezogen (vgl. Kap. 6).
2.3.2 Comunidad Campesina Vicos
Die Comunidad Campesina Vicos liegt im Callejón de Huaylas, dem Tal des
Río Santa auf der Seite der östlichen Andenkette Cordillera Blanca. Politisch
betrachtet gehört sie zum Distrikt Marcará der Provinz Carhuaz im Department
Ancash.
Abb. 2: Lage der Comunidad Campesina Vicos
Corongo
Macata
Huaylas
Santa
Peru
Huallanca
Pomabamba
Caraz
Chimbote
Yungay
Carhuaz
Marcará
Casma
Vicos
Huari
Huaráz
Chavín
ifis
Lima
Chiquian
r
che
n
n
ea
Oz
ea
Oz
r
he
isc
zif
Pa
Paz
Recuay
Paramonga
Pativilca
Quelle: nach Alers 1965: 7.
Barranca
22
Im Jahr 1998 hatte Vicos 4080 Einwohner, die 680 Familien angehörten
(Ministerio de Agricultura in Urpichallay 1999: 17). Die comunidad gliedert sich
12
in zehn Sektoren , von denen fünf den Status des caserío tragen. Es gibt eine
gemeinsame politische Direktive (junta directiva), die von der Vollversammlung
der comuneros
13
alle zwei Jahre gewählt wird. Sie vertritt die comunidad nach
außen und ist unter anderem für die Verwaltung der Thermalbäder von
Chancos und der Eukalyptusplantagen zuständig (Instituto de Montaña und
Urpichallay 2002: 35). Zudem verfügt jeder Sektor über traditionelle Autoritäten
(varayoq), die nach dem Rotationsprinzip ernannt werden. Sie sind vor allem für
die Organisation gemeinschaftlicher Arbeiten und religiöser Feste zuständig
14
(Casa de los Abuelos, Vicos ).
Die comunidad erstreckt sich über 18759 ha zwischen 2900 m und 5000 m.
Knapp 12% lassen sich für überwiegend bewässerten Ackerbau nutzen, die
restliche Fläche besteht neben natürlichem Weideland zum größten Teil aus
Wald- und Gebirgszonen (Ministerio de Agricultura 1998 in Urpichallay 1999:
17). Die Landschaft ist geprägt von Bächen, Schluchten und Hügeln. Häuser
verteilen sich im unteren und mittleren Teil der comunidad
Siedlungsdichte in der Nähe zu
15
, wobei die
Schulen, Trinkwasser und medizinischer
Versorgung am größten ist (Urpichallay 1999: 12-15). Den obersten Teil der
comunidad bildet die Quebrada Honda, eine lang gezogene Gebirgsschlucht,
die bis zu den Gletschern der Cordillera Blanca reicht. Die landwirtschaftliche
Nutzung dieser Zone erfolgt im Einvernehmen mit dem Parque Nacional del
Huascarán, dem die Quebrada Honda seit seiner Gründung 1975 angehört
(Urpichallay 1999: 11-15; Instituto de Montaña und Urpichallay 2002: 34-35).
12
13
14
15
Die Sektoren sind Cachipachán, Vicospachán, Cullwash, Wiyash, Tambo, Puncocorral,
Paltash, Ucushpampa, Ullmay und Corioshco.
Eingetragenes Mitglied der comunidad, üblicherweise das Familienoberhaupt.
Das Casa de los Abuelos ist ein Informationszentrum für Besucher der comunidad, welches
auf Wandtafeln Geschichte, Organisation und Lebensweisen der Vicosinos erläutert.
Die Einteilung in unteren und mittleren Teil der comunidad deckt sich in etwa mit den ersten
beiden Anbaustufen in Abb. 3.
23
Die Bewohner von Vicos sind fast ohne Ausnahme in der Landwirtschaft tätig.
16
Sie bauen in erster Linie für die Subsistenz an und bieten ihre Produkte
teilweise auch auf lokalen Märkten an. Zusätzliche Einnahmen bringen
Tierzucht und saisonale Arbeitsmigration in die Städte. Kleinbesitz dominiert,
wobei die Besitzverhältnisse je nach Familie recht unterschiedlich ausfallen
können. So ist in der Provinz Carhuaz Landbesitz von 0,5 bis 9,9 ha üblich,
wobei sich dieser auf eine Vielzahl einzelner Felder verteilen kann (Urpichallay
1999: 16-18). Die Landverwaltung ist sowohl privat als auch gemeinschaftlich
organisiert. Ein Teil der landwirtschaftlichen Anbaufläche wird von den
Mitgliedern eines Sektors gemeinschaftlich bewirtschaftet. Darüber hinaus
bekommt jeder comunero von seinem Sektor Parzellen in den verschiedenen
Anbaustufen zugewiesen, die er mit seiner Familie bewirtschaftet. Über die
Zulassung neuer comuneros entscheidet die junta directiva. Aus Gründen des
zunehmenden Bevölkerungsdrucks und Landmangels kann die comunidad
heute allerdings nur noch in begrenztem Maße neue comuneros aufnehmen
(persönliche Mitteilung Urpichallay).
Die Regenzeit (tamia tiempo) dauert in der Regel von Oktober bis März, relative
Trockenheit herrscht dagegen von April bis September (usia tiempo). Während
im unteren Teil der comunidad der Niederschlag im Jahresdurchschnitt bei 259
mm liegt, sind es im oberen Teil 900 mm. Ebenso variieren die jährlichen
Durchschnittstemperaturen mit 14°C unten und 5°C oben (Urpichallay 1999: 1415). Aus der Verbindung von ökologischen Bedingungen und menschlichen
Nutzungsmustern ergeben sich für Vicos die in Abb. 2 dargestellten
agroökologischen Stufen. Der landwirtschaftliche Anbau von Nutzpflanzen
erfolgt in der Quebrada Honda bis zu einer Höhe von 4000 m. Angrenzend
befinden sich weite Flächen natürlichen Weidelands.
16
Einige wenige besitzen Restaurants in Chancos oder arbeiten hauptberuflich in Huaraz.
24
Abb. 3: Anbauprodukte in Vicos nach Höhenstufe
Gebirgs- und Gletscherzone
natürliches Weideland
Anbau lokaler Knollenfrüchte
Kartoffel-, Mais- und
Getreideanbau
bewässerter Maisund Kartoffelanbau
Quelle: Urpichallay 1999: 37-38 (eigene Übersetzung).
Die Herkunft der Ortsbezeichnung Vicos ist nicht geklärt. Es wird vermutet,
dass sie vom Quechuawort für Wind (wicus) abgeleitet wurde (Instituto de
Montaña und Urpichallay 2002: 34). Bekannt ist, dass Vicos zu einer Region
gehört, deren Bewohner schon früh Tiere und Pflanzen domestizierten. Funde
von Steinartifakten in der Quebrada Honda (Quishqui Puncu) zeigen eine
direkte Verbindung zur bereits erwähnten Cueva de Guitarrero auf (Lynch 1980:
176). Die weiteren Entwicklungen wurden im Wesentlichen durch die
nachfolgenden Kulturen von Chavín, Recuay, Huari, lokale Stämme der
Huaylas und die Inka beeinflusst (Casa de los Abuelos).
Von der Kolonialzeit bis weit ins 20. Jahrhundert war Vicos als Hazienda im
Besitz der Beneficiencia Pública de Lima bzw. ab 1928 der Beneficiencia
17
Pública de Huaraz. Land und Bewohner wurden für mehrere Jahre jeweils an
den meistbietenden patrón verpachtet und nach feudalem Vorbild ausgebeutet
(Vázquez 1952: 34-37).
17
Gemeinnützige Gesellschaften zur Förderung öffentlicher Einrichtungen wie Krankenhäuser,
etc.
25
Dies änderte sich, als Vicos 1951 zum Mittelpunkt eines der ersten
Entwicklungsprojekte Lateinamerikas wurde. Im Rahmen des Proyecto PerúCornell pachteten Anthropologen der amerikanischen Universität Cornell sowie
Wissenschaftler des Instituto Indigenista Peruano die Hazienda Vicos für
zunächst fünf Jahre. Ziel war es, die als rückständig eingestufte Bevölkerung
nach modernem Vorbild zu entwickeln, während man den Prozess kulturellen
Wandels von innen heraus erforschte. Veränderungen wurden in drei zentralen
Bereichen angestrebt: Wirtschaft und Technologie, Bildung sowie Ernährung
und Gesundheit.
18
Als einer der größten Erfolge des Projektes wurde das
Kartoffelsaatgutprogramm gewertet, welches durch die Einführung neuer
Sorten, Techniken sowie Dünger und Pflanzenschutzmittel nicht nur zu stark
erhöhten Ernteerträgen führte, sondern auch die Bildung von Kapital
ermöglichte, mit dem es den Vicosinos 1968 noch vor der Durchführung der
peruanischen Landreform gelang, den Haziendabesitzern ihr Land abzukaufen
(Lynch 1982:
31). Auch in den Bereichen Ernährung, Gesundheit und
Alphabetisierung konnten Verbesserungen erreicht werden. Negative Folgen
waren dagegen die Vergrößerung sozio-ökonomischer Unterschiede, die
Schwächung der Stellung der Frau in der Gesellschaft, der sinkende Einfluß
älterer Generationen als Entscheidungsträger und Vermittler gemeinschaftlicher
Tradionen und Werte sowie der Rückgang biologischer Vielfalt (Lynch 1982:
93-96).
Die aktuelle Situation wird durch eine Reihe verschiedener Faktoren bestimmt.
In
der
Landwirtschaft
Ernterückgängen.
Der
führen
Rückgang
Verschmutzung
der
Gletscher
und
Klimawandel
ermöglicht
zwar
zu
eine
Ausdehnung der Anbauflächen, gleichzeitig bedeutet er allerdings eine
Bedrohung der langfristigen Wasserversorgung. Unsicherheiten entstehen auch
aus den zunehmenden Parzellierungsbestrebungen durch den Wunsch nach
individuellem Eigentum. Jugendliche finden schwer Arbeit und die ältere
Generation beklagt immer öfter den Verlust an Respekt
gegenüber
Althergebrachtem. Beeinflusst werden die Entwicklungen in der comunidad
18
Siehe Dobyns et al. 1971 und Holmberg 1966 als Beschreibungen von beteiligten Forschern
sowie Lynch 1982 und Stein 2001 als Bewertungen Außenstehender.
26
durch nationale und regionale Politik sowie von Seiten der Wirtschaft durch
Markt
und
Bergbauaktivitäten
Nichtregierungsorganisationen
der
zählen
Minen.
Zu
den
in
Urpichallay
und
das
Vicos
tätigen
Instituto
de
Montaña. Urpichallay engagiert sich vorrangig in den Bereichen Bildung und
Landwirtschaft für die Stärkung lokaler Vorstellungen und Praktiken. Das
Instituto de Montaña arbeitet für den Schutz der Ökosysteme in Bergregionen
unter Einbindung der lokalen Bevölkerung sowie weiterer regionaler, nationaler
und internationaler Akteure.
19
Durch seine Vergangenheit stellt Vicos einen besonders interessanten
Untersuchungsraum dar. Obwohl es mehr als zehn Jahre im Mittelpunkt eines
groß
angelegten
Modernisierungsprojektes
stand,
welches
traditionelle
Praktiken als entwicklungshemmend ansah, werden viele dieser Praktiken bis
heute ausgeübt. Dazu zählt auch der Anbau vielfältiger lokaler Kartoffelsorten.
19
Gespräch mit Florencia Zapata (Instituto de Montaña) und Beatriz Rojas (Urpichallay),
01.06.05.
27
3 Einflussfaktoren
und
Projektstrategien
für
die
Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt
3.1 Einflussfaktoren auf Nutzpflanzenvielfalt
In diesem Kapitel werden die direkten und indirekten Einflussfaktoren
dargestellt, die entscheidend für die Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt sind.
Wie aus Abb. 4 ersichtlich wird, ergibt sich die Nutzpflanzenvielfalt aus einem
komplexen System unterschiedlicher Einflüsse.
Abb. 4: Einflussfaktoren auf Nutzpflanzenvielfalt
Sozioökonomische und
kulturelle Faktoren
Ökologische und
biologische Faktoren
Bauern entscheiden über
Saatgutquelle
ƒ Herkunft
Herkunft
ƒ Erwerbsart
Saatgutmanagement
management
ƒ Selektion
Selektion
ƒ Lagerung
Sortenwahl
Sortenwahl
ƒ agroökologische
Eigenschaften
ƒ Nutzung
ƒ anbaupraktische
Eigenschaften
Anbau
Anbau
ƒƒ Praktiken
Praktiken
ƒƒ Anbauort
Anbauort
ƒƒ PopulationsPopulationsgröße
größe
Nutzpflanzenvielfalt
Quelle: Eigene Darstellung nach Bellon et al. 1997, Jarvis und Hodgkin 1999, Smale und Bellon
1999.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Entscheidungen der Bauern
hinsichtlich Saatgutquelle, Sortenwahl und Anbau.
Die Saatgutquelle beschreibt zunächst, ob das Saatgut aus eigenem Anbau
oder von außen bezogen wird. Wird das Saatgut aus dem eigenem Anbau
bezogen, so erfolgt der Einfluss auf die Nutzpflanzenvielfalt besonders über
Saatgutselektion und Lagerungstechniken. Bei der Selektion wird darüber
entschieden,
welche
Sorten
weiter
angebaut
werden.
Je
nach
Selektionskriterien können bestimmte Sorten anderen vorgezogen werden.
28
Lagerungstechniken wirken sich auf die Qualität des Saatguts und damit auch
auf die Überlebensfähigkeit von Sorten aus (Bellon et al. 1997: 276-277). Zum
Erwerb neuer oder verlorener Sorten von außen verfügen Bauern über
verschiedene
Optionen,
die
sich
je
nach
Herkunft
und
Erwerbsart
unterscheiden. So kann das Saatgut beispielsweise aus dem eigenen Dorf, der
eigenen oder einer anderen Region stammen. Erworben wird es in der Regel
durch Tausch, Kauf oder als Geschenk von anderen Bauern, kommerziellen
Anbietern, Regierungs- oder NGO-Projekten (Bellon et al. 1997: 271). Mit der
Saatgutquelle wählt ein Bauer immer auch die potentielle Nutzpflanzenvielfalt,
die ihm für den Anbau zur Verfügung steht. Beispielsweise findet man auf
Märkten tendenziell eher verbesserte und wenige lokale Nutzpflanzensorten,
auf den Feldern der Bauern dagegen eine Vielzahl lokaler Sorten.
Sortenwahl bezieht sich auf die Entscheidung eine Sorte zu behalten, neu
hinzuzufügen oder wegzulassen. Die Auswahlkriterien lassen sich dabei in drei
Gruppen unterteilen. Die agroökologischen Merkmale einer Sorte beschreiben
ihr Wachstum unter bestimmten agroökologischen Bedingungen (z.B. unter
extremen
Klima-
oder
Bodenbedingungen).
Anbaupraktische
Merkmale
beziehen sich dagegen auf das Wachstum in Abhängigkeit zu bestimmten
Techniken, wie Düngen,
Jäten oder Mischanbau. Ausschlaggebend für die
Wahl einer Sorte sind immer auch nutzungsbezogene Merkmale wie
Geschmack, Textur und Ertrag (Bellon et al. 1997: 272-273). Das jeweilige
Wissen über die relevanten Eigenschaften einer Sorte eignen sich Bauern
durch Experiment, Beobachtung und Informationsaustausch an (Bellon et al.
1997:
275).
Ihre
agromorphologischen
Klassifizierungssysteme
20
beruhen
dabei
meist
auf
Eigenschaften von Sorten wie etwa Farbe, Höhe und
Form (Jarvis und Hodgkin 1999: 270).
Auch im Hinblick auf den Anbau von Nutzpflanzen lassen sich verschiedene
Aspekte hervorheben, die dazu beitragen können, Vielfalt zu fördern oder zu
verringern. Zu ihnen zählen zum einen Anbaupraktiken wie Landbereitung,
Aussaat, Jäten, Düngen, Pflanzenschutz, Bewässerung und Ernte.
Zum
anderen spielt auch die Wahl des Anbauorts eine Rolle, da der Bauer seine
20
D.h. die äußere Form der Nutzpflanze betreffend.
29
Nutzpflanzen auf diese Weise der natürlichen Selektion durch eine spezifische
21
Mikroumwelt aussetzt. Von der Größe der Anbaupopulation hängt ab, wie sich
ihre genetische Vielfalt mit der Zeit entwickelt. Je kleiner eine Population und
damit ihre genetische Vielfalt ist, desto gefährdeter ist ihr dauerhafter Bestand
(Jarvis und Hodgkin 1999: 271-272).
Alle diese Entscheidungen der Bauern erfolgen stets unter bestimmten
sozioökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen, die so indirekt
ebenfalls Einfluss auf die Nutzpflanzenvielfalt nehmen. Ökologische und
biologische Faktoren beeinflussen sowohl das bäuerliche Handeln als auch die
Nutzpflanzenvielfalt
direkt.
Folgende
Ebenen
und
Faktoren
indirekten
Einflusses lassen sich unterscheiden (Smale und Bellon 1999: 389):
ƒ
Individuelle Ebene (Alter, Geschlecht, Bildung, Wissen)
ƒ
Haushaltsebene (Vermögen, sozioökonomischer Status, Zugang zu Land,
Arbeitskraft, Kapital)
ƒ
Institutionen
(Arbeitstauschregelungen,
Landbesitz,
soziale
Pflichten,
ethnische Identität)
ƒ
Regionale/nationale
Ebene
(Infrastruktur,
Marktentwicklung,
Regierungspolitik)
ƒ
Biophysische Ebene (Klima, Boden, Topographie)
Durch die Komplexität der Einflüsse auf Nutzpflanzenvielfalt lässt sich die
spezifische Wirkung einzelner Faktoren nur schwer bestimmen. Im Rahmen
dieser Arbeit können ökologische und biologische Prozesse nur am Rande
erwähnt werden.
Agroökosysteme mit hoher Vielfalt weisen im Allgemeinen eine lange
Kontinuität
landwirtschaftlicher
Praxis,
einen
hohen
Anteil
an
Nicht-
Anbauflächen und eine Vielfalt landschaftlicher Elemente mit jeweils eigener
Fauna
und
Flora
auf.
Traditionell
beinhalten
sie
verschiedene
Produktionselemente mit unterschiedlichen Funktionen, z.B. Felder und
Hausgärten. Der Anbau selbst erfolgt typischerweise unter Einbeziehung
21
Eine Population ist eine Gruppe von Individuen, die auf Grund ihrer Entstehungsprozesse
miteinander verbunden sind und in einem einheitlichen Areal zu finden sind (Knodel 1980:
334).
30
längerer Brachphasen, geringer Nutzung von Pestiziden sowie mäßigem
Einsatz
von
Düngemitteln
(Edwards
et
al.
1999:
197-200).
Weitere
biodiversitätsfördernde Anbaupraktiken sind der Mischanbau verschiedener
Arten und Sorten, Rotation und Brache, Mulchen
22
sowie organische
Düngemittel (Thurston et al. 1999: 218-219). Nutzpflanzenvielfalt wird
besonders in Regionen begünstigt, die über eine heterogene Umwelt mit
Höhenvariationen und vielfältigen Böden und Vegetationen verfügen. Diese
Regionen gelten kulturell und wirtschaftlich meist als autonom, was unter
anderem in der Dominanz lokaler Sprachen und relativer Selbstversorgung
Ausdruck findet (Brush 1999: 13-14).
Insgesamt lässt sich in der Welt jedoch ein Trend der Integration individueller
Sozial- und Produktionssysteme in ein globales System des ökonomischen,
kulturellen und technologischen Austauschs feststellen. Was andernorts als
Entwicklungserfolg
Nutzpflanzenvielfalt
gefeiert
bei,
wird,
wie
trägt
ebenso
zum
Bevölkerungswachstum
Verlust
und
von
moderne
Technologien (Brush 1999: 6). So ist einer der Faktoren, die maßgeblich zum
Rückgang an Nutzpflanzenvielfalt beigetragen haben, die Intensivierung der
Landwirtschaft
23
infolge
von
Marktausdehnung
und
zunehmender
Spezialisierung auf bestimmte Arten und Sorten. Diese hat wesentlich weiter
reichende Folgen als etwa eine Intensivierung infolge lokaler Landknappheit.
Der Wandel von einer Subsistenzwirtschaft zu einer Marktwirtschaft bedeutet,
dass nicht mehr alle Bedürfnisse durch die eigene Produktion abgedeckt
werden
müssen.
Die
Spezialisierung
ergibt
sich
aus
den
relativen
Standortvorteilen, die von den Eigenschaften des Agroökosystems abhängen.
Eine Vielfalt an Mikroumwelten kann dabei von Nachteil sein, was dazu führt,
dass diese verlassen oder durch Maßnahmen der Landverbesserung stark
homogenisiert werden (Edwards et al. 1999: 203).
22
23
Beim Mulchen wird der offene Boden zwischen den Pflanzen mit organischem Material
bedeckt.
Gesteigerter Einsatz natürlicher Ressourcen wie Licht, Wasser, Nährstoffe und Boden zur
Nahrungsmittelproduktion.
31
Die Intensivierung der Landwirtschaft ist häufig verbunden mit einem schnellen
Wandel landwirtschaftlicher Praktiken, welche die Existenzgrundlage vieler
Arten nachhaltig verändern.
The process of adjustment to new conditions has only recently begun and
the numbers of species which have disappeared because they were unable
to adapt to the new conditions far exceeds those which have been able to
colonize the new agricultural landscape or to adapt to it by evolution.
(Edwards et al. 1999: 197).
3.2 Projektstrategien zur In-situ-Erhaltung
Auf internationaler Ebene hat besonders das International Plant Genetic
Resource
Institute
(IPGRI)
die
Entwicklung
von
In-situ-Projekten
vorangetrieben. Anhand verschiedener Strategien soll dem Verlust genetischer
Vielfalt bei Nutzpflanzen entgegengewirkt werden. Die jeweiligen Maßnahmen
basieren sowohl auf der Schaffung positiver Anreize zur Erhaltung lokaler
Nutzpflanzenvielfalt als auch auf dem Abbau negativer Anreize, welche die
Aufgabe lokaler Sorten begünstigen. Dabei betreffen Anreize entweder direkt
die Nutzung und Erhaltung von Vielfalt durch bestimmte Interessengruppen
oder wirken indirekt durch die Veränderung des agroökologischen und
sozioökonomischen Umfelds (Weiskopf et al. 2002: 584-586).
Im Folgenden sollen einige Strategien und Maßnahmen kurz dargestellt
werden, die das Ziel haben, den Wert lokaler Sorten bei Produzenten und
Nutzern zu steigern, um so zu ihrer Erhaltung beizutragen.
Eine Strategie ist die Erschließung neuer Märkte für lokale Nutzpflanzen.
Entsprechende Maßnahmen sind die Verbesserung von Lagerung und
Transport der Produkte sowie die Einführung spezieller Zertifizierungssysteme
und Gütesiegel. Darüber hinaus wird der Verkauf lokaler Sorten als genetische
Ressource
über
Rechtsmechanismen
wie
contracting
oder
geistige
Eigentumsrechte diskutiert. Allerdings sind hier die potenzielle Nachfrage nach
genetischem
Material
durch
einen
weitgehend
offenen
Austausch,
Serviceleistungen öffentlicher Sammlungen und eigene Bezugsquellen der
Unternehmen eher begrenzt (Brush 1999: 17-20).
32
Neben diesen marktbezogenen Maßnahmen gibt es nicht-marktbezogene
Ansätze zur Wertsteigerung lokaler Nutzpflanzenvielfalt. Dazu zählen Bildungsund Förderkampagnen, die beispielsweise über Vorteile kultureller Praktiken
informieren. Ein häufig in diesem Zusammenhang angeführtes Beispiel sind die
so genannten diversity fairs, Veranstaltungen zur Prämierung der Bauern mit
der meisten Vielfalt, die den Austausch von Saatgut und Informationen
anregen. Hier steht weniger der ökonomische Wert lokaler Nutzpflanzenvielfalt
im Vordergrund, sondern vielmehr das mit ihr verbundene soziale Prestige
(Brush 1999: 20).
Eine weitere Strategie zielt auf die Einbindung und Verbesserung lokaler Sorten
in eine formalisierte Kooperation zwischen Bauer und Züchter (partizipative
Pflanzenzucht). Diese Kooperation umfasst Bedarfsfestlegung, Selektion und
Auswertung der Sorten und stellt eine Alternative zu konventionellen
Pflanzenzuchtansätzen dar. Da die Aufwertung lokaler Sorten hier über eine
Ertragssteigerung erfolgen soll, werden leistungsstarke Sorten bevorzugt. Dies
kann letztlich insgesamt zu einem Rückgang genetischer Vielfalt führen (Brush
1999: 20-21).
3.3 Alternativansatz PRATEC
Das Proyecto Andino de Tecnologías Campesinas, kurz PRATEC, entstand
Mitte der achtziger Jahre in Peru. Seine Begründer Grimaldo Rengifo, Eduardo
Grillo und Julio Valladolid stammen aus bäuerlichem Hintergrund und hatten
zunächst
Positionen
in
verschiedenen
wissenschaftlichen
und
entwicklungsorientierten Institutionen inne. Durch die Erfahrung zahlreicher
fehlgeschlagener Entwicklungsprojekte im ländlichen Peru gelangten sie zu der
Erkenntnis, dass nicht die Methodik, sondern das Konzept von Entwicklung
selbst, problematisch ist. Da dieses Entwicklungskonzept mit seinen Praktiken,
Ideen, Epistemologien und Ontologien dem westlichen Hintergrund entstammt,
lässt es sich nicht einfach auf den Andenraum übertragen. In Reaktion auf
diese Erfahrungen versucht PRATEC die andine Realität von innen heraus zu
erklären. Durch die Gegenüberstellung westlicher (moderner) und andiner
Wissenskonzepte wird gezeigt, wie sich die Wahrnehmung der andinen Welt je
nach Perspektive unterscheidet (Apffel-Marglin 2001: 17-20). Bewusst zieht
33
PRATEC die bildhafte und emotionale Sprache der Andenwelt einem
wissenschaftlich-technischen Diskurs vor. Dabei geht es ihnen nicht um die
Überwindung der westlichen Modernität und ihre Ersetzung durch eine andere
Modernität, sondern um deren Relativierung. (Apffel-Marglin 2001: 31-33).
Sein Wissen bezieht PRATEC aus der Begleitung von Bauern in ihrem
Lebensalltag durch ein Netzwerk aus lokalen Partnerorganisationen. Die
Weitervermittlung dieses Wissens erfolgt über den Austausch mit nationalen
und
internationalen
Institutionen,
Publikationen
sowie
über
den
Masterstudiengang Cultura y Agricultura Campesina Andina (Salas 1996: 6869).
Einige Grundmerkmale der andinen Lebenswelt werden von PRATEC
besonders hervorgehoben. So wird die andine Landschaft (pacha) von ihren
Bewohnern als eine lebendige Welt wahrgenommen. Berge und Flüsse sind
ebenso lebendig wie Menschen, Tiere und Pflanzen. Die Bewohner der pacha
lassen sich in drei Gruppen unterscheiden: Natur (sallqa), Menschen (runa) und
Schutzgötter (huacas). Zusammen bilden sie das ayllu, eine Gemeinschaft, in
welcher
der
allgemeine
Verwandtschaftsbegriff
der
Familie
über
die
menschliche Ebene hinausgehend verstanden wird. Sallqa, runa und huacas
stehen in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander. Sie alle sind
gleichwertig und heilig, allerdings auch unvollständig und daher in der
Wiedererschaffung
von
Leben
aufeinander
angewiesen.
Aus
diesem
Verständnis ergibt sich ein System reziproker Beziehungen, welches Götter und
Natur mit einschließt. PRATEC verwendet den bäuerlichen Ausdruck des
gegenseitigen Aufziehens (criar y dejarse criar) als Inbegriff der andinen
Lebensauffassung. Der Prozess des gegenseitigen Aufziehens
manifestiert
sich in der Landwirtschaft. Die chacra ist nicht nur als ein Feld zu verstehen,
sondern auch als der Mittelpunkt des Dialogs zwischen Natur, Schutzgöttern
und Menschen (Rengifo 2001a: 55-57).
PRATECs Vision beinhaltet drei Aspekte: das ökologische Argument zur
Verteidigung der andinen Landwirtschaft, die Stärkung von bäuerlicher Kultur
und Wissen (afirmación cultural) und die Vitalisierung der Interkulturalität zur
Bereicherung der peruanischen Gesellschaft (Salas 1996: 72).
34
Ihre Kritik an den herkömmlichen In-situ-Ansätzen zielt auf den mangelnden
Respekt für die eigentlichen Erhalter von Nutzpflanzenvielfalt. Die Bauern
werden nicht als Experten behandelt, sondern eher wie Informanten, deren
Wissen je nach wissenschaftlicher Relevanz herangezogen werden kann oder
auch nicht. Diese Einstellung führt dazu, dass Projekte von professioneller Seite
geplant und gelenkt werden. Partizipation beinhaltet oft nur die Ausbildung der
Bauern in Techniken und Verfahren zur Überwachung von Vielfalt, deren
Herleitung auf Vorstellungen beruht, die den Bauern fremd sind (Rengifo 2000:
367). Dies lässt sich schon an den Begriffen ‚Biodiversität’ und ‚Erhaltung’
verdeutlichen, die ihren Ursprung in der westlichen Erhaltungsbiologie haben
und außerhalb des Gebrauchskontextes der meisten Bauern liegen. Aus Sicht
vieler Bauern ist biologische Vielfalt Inbegriff der Pachamama. Unter Erhaltung
verstehen sie weniger eine speziell ausgeführte Tätigkeit, sondern vielmehr die
Pflege der Pachamama als Teil ihrer bäuerlichen Lebensweise (Gonzales 2000:
195-196).
Ebenso
zeigt
Machaca
(1998
in
Ishizawa
o.J.:
1-2)
die
Schwierigkeiten auf, die sich bei der Suche nach Bedeutungsequivalenten für
den Begriff ‚Planung’ ergeben können, weil Bauern und Projektkoordinatoren
über ein unterschiedliches Verständnis von Zeit verfügen.
Wenn man die Unterschiede der Weltanschauungen nicht beachtet und die
Bauern nicht als Experten anerkennt, werden die Gründe für Erhaltung
möglicherweise nicht verstanden. Von außen entwickelte Projekte laufen dann
Gefahr sich nach Ende des Finanzierungszeitraums als nicht nachhaltig zu
erweisen (Ishizawa 2004: 5).
Daher wählt PRATEC die Strategie der Erhaltung biologischer Vielfalt im
Rahmen einer afirmación cultural, ausgehend von der Annahme, dass In-Situ
Erhaltung equivalent ist zur andinen Landwirtschaft. Dabei liegen die
Schwerpunkte auf
(1) der Regeneration der lokalen pacha in einem Prozess des gegenseitigen
Aufziehens,
(2) der Stärkung des ayllu als Gemeinschaft aller Bewohner der pacha durch
die Stärkung der traditionellen Autoritäten,
(3) der Regeneration von Ritualen und Festen als Ausdruck der sorgfältigen
Pflege von Pflanzen und Saatgut und
35
(4) der Regeneration der traditionellen Netzwerke zum Austausch von Saatgut
und Wissen (caminos de la semilla).
Die Bauern stehen im Zentrum dieser Aktivitäten und werden dabei von den
lokalen Partnerorganisationen PRATECs unterstützt. Letztere sammeln und
verbreiten Saatgut und Informationen über traditionelle Praktiken, organisieren
Workshops zum Austausch von Saatgut und Wissen unter den comunidades
und begleiten die Bauern bei Test und Integration neuer Sorten. PRATEC
selbst koordiniert, trainiert und begleitet die Partner in ihrer Arbeit, fördert den
Erfahrungsaustausch zwischen verschiedenen Institutionen und veröffentlicht
die Ergebnisse (Ishizawa 2004: 7-9).
Langfristig strebt PRATEC nach der Schaffung eines Raumes für die
Verständigung
unterschiedlicher
Weltanschauungen.
Als
Voraussetzung
postulieren sie den gleichberechtigten Dialog zwischen Wissenschaft und
lokalem Wissen.
Nach technisch-wissenschaftlichem Verständnis resultiert Erkenntnis aus der
Trennung von Mensch und Natur. Die Realität wird objektiviert, indem sich der
Mensch als Beobachter über sie stellt, um so zu einer neutralen Wahrheit zu
gelangen. Der Prozess des Erkennens läuft im Wesentlichen über geistige
Abstraktionsprozesse, während den körperlichen Sinnen eine geringere
Bedeutung zukommt. Subjektive Faktoren wie Emotionen und Empfindungen
werden ausgeklammert. In analytischer Herangehensweise wird die Welt als ein
System begriffen, welches durch die Untersuchung seiner Einzelteile erklärt
werden kann. Dazu wird das jeweilige Untersuchungsobjekt herausgelöst aus
seinem Kontext betrachtet. Quantitative Aussagen werden den qualitativen
vorgezogen. Das aus der Erkenntnis resultierende Wissen soll zu einem
Tatbestand werden, der universell, d.h. überall und jederzeit gültig ist (Rengifo
2001b: 124-126).
In den Andenkulturen 24 ergibt sich Wissen weniger aus geistigen Vorgängen
wie Abstraktion oder Analyse, sondern vielmehr aus dem Dialog mit der Natur.
Dies bedeutet, dass Wissen kein rein menschliches Attribut ist und auch der
Natur
36
zugesprochen wird. Es handelt sich nicht um ein theoretisches, sondern um ein
von
Erlebnissen
geprägtes
Wissen,
das
gleichermaßen
von
Geist,
Empfindungen und Emotionen bestimmt wird (Rengifo 2001b: 129-130). Die
geographischen, klimatischen und kulturellen Unterschiede des Andenraums
lassen die Formulierung einheitlicher Normen nur begrenzt zu. Vielmehr steht
Wissen stets in einem lokalen und zeitlichen Zusammenhang (Rengifo 2001b:
132-133).
Vergleicht man die in Kapitel 3.2 genannten Maßnahmen mit denjenigen, die
PRATEC vorschlägt, so zeigen sich Überschneidungen, besonders im Hinblick
auf Registrierung und Austausch von lokalem Saatgut und Wissen. Allerdings
unterscheiden sie sich hinsichtlich ihres Ausgangspunkts. Die meisten der
allgemeinen Ansätze berücksichtigen Kultur im Zusammenhang mit der
Erhaltung
von
Biodiversität
als
eine
Komponente
von
vielen,
wobei
ökonomische Einflüsse verstärkte Beachtung genießen. Bei PRATEC steht
dagegen die andine Kultur im Vordergrund. Da sie diejenige ist, die Vielfalt
hervorbringt, kann eine erfolgreiche Erhaltung nur aus ihr heraus erfolgen.
24
Rengifo schließt in seine Betrachtung die Amazonasregion mit ein.
37
4 Methode
Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht die Beziehung zwischen
biologischer und kultureller Vielfalt, die als gegeben betrachtet wird und in ihrer
Ausgestaltung näher beleuchtet werden soll. Dazu sollte in einer einmonatigen
Feldforschung der Kartoffelanbau mit Schwerpunkt auf lokalen Sorten in der
Comunidad Campesina Vicos untersucht werden. Die Frage ist, welche
kulturellen Faktoren zur Erhaltung von lokaler Kartoffelsortenvielfalt in Vicos
beitragen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei neben dem Verhalten der
Bauern (wie erfolgen Saatguterwerb, Anbau, etc...) vor allem die jeweiligen
Vorstellungen oder im Sinne Geertz’ das Bedeutungsgewebe, die diesem
Verhalten zugrunde liegen. Beides drückt sich in dem lokalen Wissen einer
Gruppe aus.
Für die Erhebung wurden zwei Methoden der qualitativen Sozialforschung
gewählt: teilnehmende Beobachtung und episodische Interviews. Allgemein
zeichnen sich qualitative Methoden durch Offenheit und Kommunikation aus.
Offenheit bedeutet, dass der Forschungsgegenstand nicht von Anfang an
theoretisch festgelegt wird, sondern die Hypothesen während der Erhebung
modifiziert und erweitert werden können. Dies geschieht in einem Prozess der
Kommunikation zwischen Forscher und der zu erforschenden Gruppe. Diese
Kommunikation findet idealerweise in der natürlichen Umgebung des
Alltagslebens statt (Girtler 1992: 38-39). Im Gegensatz zur quantitativen
Forschung geht es nicht darum, zuvor aufgestellten Hypothesen an der
empirischen Wirklichkeit zu testen, sondern die empirische Wirklichkeit zuerst
zu erfassen, um sie anschließend zu interpretieren und theoretisch einzuordnen
(Girtler 1992: 149).
Unter teilnehmender Beobachtung versteht man die Erfassung sinnlich
wahrnehmbaren Handelns, wobei der Forscher in die alltäglichen Aktivitäten der
von ihm beobachteten Gruppe eingebunden ist. Es gibt eine Reihe von
Abstufungen zwischen den zwei Extremen der vollständigen Teilnahme auf der
einen Seite und der zurückhaltenden Beobachtung auf der anderen. Trotz
seiner eher passiv angelegten Rolle sollte sich der teilnehmende Beobachter
stets seines Einflusses auf den Untersuchungskontext bewusst sein (Girtler
38
1992: 43-49). Idealerweise wird mit der Zeit ein Vertrauensverhältnis zwischen
Forscher und Gruppe aufgebaut, welches den Einfluss des Forschers auf das
Verhalten der Gruppe möglichst gering hält (Bernard 1995: 137).
Die Interviews sollen sowohl narrativ als auch leitfadenorientiert erfolgen.
Narrative Interviews bieten sich in Kombination mit der teilnehmenden
Beobachtung an, da sie durch ihre offene Form den erforschten Personen –
anders als etwa standardisierte Fragebögen – den Freiraum lassen, die für sie
wesentlichen Aspekte der Wirklichkeit hervorzuheben (Girtler 1992: 155). In
Anbetracht
Orientierung
der
kurzen
zusätzlich
Dauer
ein
des
Forschungsaufenthaltes
Interviewleitfaden
vorbereitet,
wurde
zur
der
im
anschließenden Kapitel erläutert wird.
Für die Kombination von narrativem Interview und Leitfadeninterview prägte
Flick (1995) den Begriff des episodischen Interviews. Es zeichnet sich dadurch
aus, dass man die Befragten einerseits erzählen lässt, andererseits aber auch
zielgerichtete Fragen stellt. Im Gegensatz zum narrativen Interview kommt es
beim episodischen Interview weniger auf die abgeschlossene Erzählung von
Erfahrungen an, als vielmehr auf die freie Kombination von einzelnen
Erfahrungsberichten
mit
der
generalisierenden
und
abstrahierenden
Beschreibung von Zusammenhängen. Die Entscheidung, ob erzählt oder
beschrieben wird, liegt dabei ebenso bei dem Befragten selbst, wie die Auswahl
der von ihm geschilderten Episoden. Ein Vorteil des episodischen Interviews
liegt in seiner Form des offenen Dialogs, die es in die Nähe der
Alltagskommunikation rückt (Lamnek 2005: 362-363).
Der Leitfaden soll allerdings nur zur groben Orientierung und Anregung der
Unterhaltung dienen, um der Gefahr vorzubeugen, dass durch eine Art
Tunnelblick wichtige Informationen übergangen werden, weil sie nicht in das
Schema des Leitfadens passen (Girtler 1992: 154-155).
Insgesamt bieten sich die gewählten Methoden an, da sie sich an die natürliche
Alltagssituation anpassen, d.h. sie halten den zeitlichen und arbeitstechnischen
Aufwand für die Bauern so gering wie möglich.
39
4.1 Vorbereitung
Durch ein Praktikum hatte ich den Ort meiner Untersuchung im Jahr 2004
kennen gelernt. Bei verschiedenen Besuchen in Vicos hatte ich bereits ein
Gefühl für den Umgang mit den Menschen entwickeln können. Zudem konnte
ich von den Mitarbeitern Urpichallays profitieren, die zur Hälfte selbst Bauern
aus der comunidad bzw. Region sind und so als Kontaktpersonen in Frage
kamen. Beatriz Rojas, Geschäftsführerin der Organisation, sicherte mir in dieser
Hinsicht volle Unterstützung zu, was mir den Zugang zu der comunidad
erheblich vereinfachte.
Die inhaltliche Vorbereitung der Interviews erfolgte durch die Erstellung eines
Leitfadens (Anhang A). Dieser wurde in Anlehnung an das Modell der
Einflussfaktoren auf Nutzpflanzenvielfalt erstellt (Abb. 1, Kap. 2). Darüber
hinaus sollten die Fragen, wenn möglich, einen praktischen Bezug zur
laufenden Kartoffelernte herstellen, um die Kommunikation mit Hilfe konkreter
Beispiele zu vereinfachen.
Zunächst sollte erfragt werden, wie die Bauern lokale Sorten unterscheiden und
benennen, aber auch wie sie diese im Vergleich mit verbesserten Sorten
wahrnehmen. Von besonderem Interesse waren in diesem Zusammenhang
auch die unterschiedlichen Nutzungsformen. Weitere Fragen betrafen Herkunft
und Erwerbsart des Saatguts sowie die Verfahren bei Selektion und Lagerung.
Im Hinblick auf den Anbau wurden neben den jeweiligen Techniken besonders
die Organisation der Arbeit erfragt, d.h. wer übernimmt welche Aufgaben und
wie erfolgt die Entlohnung.
Der Leitfaden ist sehr allgemein gehalten. Idealerweise sollte im Gespräch mit
den Bauern eine Spezialisierung auf bestimmte Aspekte angestrebt werden,
abhängig davon, zu welchen der Themen die Bauern mehr erzählen wollten.
Aufgrund des kurzen Aufenthalts konnte diese Spezialisierung jedoch nicht
realisiert werden.
Es wurde keine bestimmte Anzahl der zu Befragenden festgelegt, vielmehr ging
es darum, verschiedene Typen einzubeziehen. Diese Typen sollten Vertreter
unterschiedlicher Geschlechts- und Altersgruppen sein, um einerseits der
gesellschaftlichen Heterogenität zu entsprechen, andererseits eventuelle
40
Unterschiede in ihren Aussagen aufzuzeigen. Aus gleichem Grund sollten der
Gruppe der Befragten ebenso Bauern mit hoher Sortenvielfalt, wie Bauern mit
geringer Sortenvielfalt angehören.
Zur
Aufzeichnung
der
Informationen
wurden
Feldnotizen
und
Gedächtnisprotokolle angefertigt.
4.2 Durchführung
Die Feldforschung erfolgte in drei Phasen. Die erste Woche verbrachte ich mit
der Vorbereitung meiner Besuche in der comunidad. Dazu stellte ich den
Mitarbeitern von Urpichallay mein Forschungsvorhaben vor und testete mit
ihnen meinen Fragebogen. Vier von ihnen – Santiago Reyes Tafur, Luis Armas
Sánchez, Luis Loli Sánchez und Valeriano Mendoza Machaca – erklärten sich
bereit, mich an verschiedenen Tagen in die comunidad zu begleiten. Santiago
ist selbst comunero in Vicos, Luis Armas und Luis Loli stammen aus den
Nachbargemeinden Recuayhuanca und Marcará. Alle drei sind gelernte
Agrartechniker und seit mehreren Jahren für Urpichallay tätig. Durch ihre
Herkunft kennen sie Vicos und seine Bewohner sehr gut. Zudem sind sie
aufgrund ihrer Arbeit in der Organisation mit den Methoden der Feldforschung
vertraut. Valeriano kommt ursprünglich aus einer comunidad bei Ayacucho und
hat Anthropologie studiert. Die Tatsache, dass alle vier Quechuasprecher sind
und als Bauern aufwuchsen, zeichnet sie als Kontaktpersonen und Übersetzer
aus. Mit ihrer Hilfe konnte ich schnell herausfinden, wer wann und wo ernten
würde und die Feldbesuche danach ausrichten. Auch im direkten Umgang mit
den Bauern profitierte ich von der Erfahrung meiner Begleiter. Wenn ich bei den
Interviews ins Stocken kam oder längere Notizen machte, stellten sie weitere
Fragen oder lockerten die Situation durch Smalltalk auf, so dass die künstlichen
Aspekte der Gesprächssituationen überspielt wurden.
Die Tatsache, dass ich stets zusammen mit Mitarbeitern von Urpichallay auftrat,
führte sicherlich dazu, dass auch ich mit der Organisation in Verbindung
gebracht wurde und die Bauern möglicherweise ihre Antworten danach
ausrichteten. Bernard (1995: 229-231) spricht in diesem Zusammenhang von
den sogenannten „response effects“, wonach die Eigenschaften von Forscher,
41
Informant und Umfeld wesentlichen Einfluss auf den Interviewverlauf nehmen.
Im vorliegenden Fall wäre vorstellbar, dass die Bauern durch das Interesse
Urpichallays an der Stärkung traditioneller Praktiken und Anschauungen eher
geneigt waren, über diese Auskunft zu geben.
Die Interviews und die teilnehmenden Beobachtungen fanden in der zweiten
25
und dritten Woche statt. Insgesamt ergaben sich 22 Interviewsituationen , von
denen neun im Zusammenhang mit Kartoffelernten in der Quebrada Honda
entstanden. Die restlichen Interviews erfolgten überwiegend bei den Bauern zu
Hause, einige Kurzinterviews wurden spontan am Wegesrand durchgeführt. Die
Anzahl der pro Interview befragten Bauern variierte zwischen einer und fünf
Personen.
Hinzu
kamen
teilnehmende
Beobachtungen
bei
zwei
gemeinschaftlichen Ernten mit jeweils 11 und 72 Bauern.
Tab. 2: Altersstruktur und Geschlecht der Befragten
(ohne Gemeinschaftsernten)
Alter a
-20
20-30
30-40
40-50
50-60
60+
total
männlich
4
2
3
2
5
3
19
weiblich
2
2
2
3
4
3
16
total
6
4
5
5
9
6
35
Geschlecht
a
Angaben beruhen teilweise auf Schätzungen.
In Tab. 2 kann man erkennen, dass bei den Befragungen sämtliche
Altersgruppen beiden Geschlechts vertreten waren, wobei der tatsächliche
Gesprächsanteil der Frauen und Jugendlichen etwas geringer ausfiel, da sie
sich eher zurückhaltend verhielten und nicht immer durch gezielte Fragen
einbezogen werden konnten. Die Kommunikation mit den Frauen wurde durch
mangelnde Quechuakenntnisse meinerseits erschwert. Zwei Drittel der
Interviews erfolgten ganz oder teilweise mit Hilfe der Übersetzung durch meine
Begleiter. Daher ist zu beachten, dass ein Teil der Informationen vorgefiltert
wurde und nicht mehr aus erster Hand stammt. In einzelnen Fällen war es
25
Anhang B enthält eine Übersicht über die verschiedenen Interviewsituationen mit Angaben zu
Personen, Ort, Dauer und Themen der Befragung.
42
durch Übersetzung und Gegenwart von mehreren Befragten nicht möglich
nachzuvollziehen, von wem eine Information stammte.
26
Die Dauer der Interviews war recht unterschiedlich und lag zwischen zehn
Minuten und sieben Stunden, je nachdem in welcher Situation die Bauern
angetroffen wurden und ob sie uns einluden, eine Weile zu bleiben. Als Zeichen
der Höflichkeit nahmen wir stets Gastgeschenke in Form von Kokablättern,
Broten, Obst oder Zucker mit. Im Gegenzug erhielten wir Essen und frisch
geerntete Kartoffeln.
Die letzte Woche nutze ich, um das gesammelte Material zu sichten und offene
Fragen und Zweifel mit meinen Begleitern abzuklären.
4.3 Auswertung
Für die Auswertung wurden die Feldnotizen und Gedächntisprotokolle der
einzelnen Interviewsituationen thematisch kodiert (siehe letzte Tabellenspalte in
Anhang
B).
Oberkategorien
Danach
wurden
Almacenamiento,
die
Informationen
Asemillamiento,
den
thematischen
Costumbres,
Historia,
Organización, Otro, Seleccionamiento, Señas, Técnicas, Uso und Variedades
zugeordnet, die in Kombination mit den Fragenkategorien des Leitfadens die
Struktur der Analyse in Kapitel 5 vorgeben. Da sich Jugendliche und Frauen
weniger an den Gesprächen beteiligten und die in den Interviews behandelten
Themen insgesamt stark variieren, konnte keine Typenbildung vorgenommen
werden.
Die aus den Interviews gewonnenen Aussagen werden durch den Namen des
Interviewpartners und die Interviewnummer aus Anhang B gekennzeichnet.
27
Zur Auswertung der Daten wurden die Ergebnisse weiterer Studien
hinzugezogen. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Perspektive der
Bauern liegt, wurden an verschiedenen Stellen zusätzliche Zitate von Vicosinos
26
27
Aufgrund dieser Tatsachen ist meines Erachtens für eine gute Feldforschung die
Beherrschung der lokalen Sprache unerlässlich.
Aus Rücksicht gegenüber den Befragten werden lediglich Vornamen verwendet. Die Bauern
wurden vor den Interviews über den Zweck der vorliegenden Arbeit aufgeklärt.
43
einbezogen. Sie stammen zum einen von Urpichallay und wurden von den
Mitarbeitern im Rahmen ihrer Projekte bei der Begleitung ausgewählter Bauern
gesammelt. Diese Bauern verfügten in der Regel über eine hohe Sortenvielfalt
und wurden sowohl bei den alltäglichen Aufgaben der Landwirtschaft als auch
zu besonderen Festivitäten begleitet.
Zum anderen werden Zitate angeführt, die 1954 im Rahmen des Proyecto PerúCornell von drei peruanischen Studenten und ihren Übersetzern gesammelt
wurden. Das Hauptinteresse ihrer Untersuchung lag darin herauszufinden, wie
die verbesserten Kartoffeln durch die Vicosinos aufgenommen wurden. Stein
verweist auf die unterschiedlichen Diskurse zwischen Forschern und Bauern,
welche die Interviews beeinflussten. Während erstere die Kartoffel vor dem
Hintergrund von Entwicklung und Fortschritt in erster Linie als Ware
betrachteten, sahen die Bauern in ihr vor allem ein Nahrungsmittel (Stein 2000:
170).
Die Interpretation der Daten erfolgt unter Einbezug weiterer Literatur zu
Landwirtschaft und speziell Kartoffelanbau in den Anden.
44
5 Ausgewählte Aspekte des Kartoffelanbaus in Vicos
5.1 Sorten
Im Folgenden wird zunächst gezeigt, welche Kartoffelsorten in Vicos bekannt
sind und wie sie klassifiziert werden. Dabei richtet sich diese Arbeit
ausschließlich nach den bäuerlichen Klassifizierungen, welche in der Regel
jedoch eine hohe Übereinstimmung mit Genotypen aufweisen (Brush 2000:
288). Anschließend werden Bewertung und Nutzung lokaler und verbesserter
Sorten beschrieben und die Aspekte Verlust und Erhaltung aus Sicht der
Vicosinos beleuchtet.
5.1.1 Klassifizierung durch die Bauern
Abb. 5 und Anhang C zeigen einige der lokalen Sorten, die in Vicos angebaut
werden. Sie sind den verbesserten Sorten zahlenmäßig weit überlegen. Ihre
Anbaufläche ist dagegen weitaus geringer. Die Vicosinos bezeichnen lokale
28
Sorten zusammenfassend als papa nativa oder lluta papa . Die Bezeichnung
lluta papa spiegelt die traditionelle Praktik wieder, lokale Sorten als eine Gruppe
zu handhaben, so dass Lagerung, Anbau und Selektion gemeinsam erfolgen
und die einzelne Sorte nicht gesondert behandelt wird.
Dieses Verfahren erweist sich für die Bauern als einfacher und zeitsparender.
Die geringere Beachtung einzelner Sorten stellt in der Regel kein Risiko für den
Bestand ihrer Vielfalt dar (Zimmerer 1996: 176).
Dennoch wissen die Bauern genau zwischen den einzelnen Sorten zu
unterscheiden, deren Namen ebenso vielfältig sind wie ihre Erscheinung (Abb.
5).
28
Lluta ist ein Wort aus dem Quechua und bedeutet ‚durcheinander’.
45
Abb. 5: Sortenvielfalt in Vicos
1
2
4
3
7
6
5
9
8
14
12
10
17
13
11
15
16
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
nina mancha
wakapa kallun
buen cholo
hallka warmi
isku puru
yana mashkapa
pakllish
puka huayro
yolak waclli
araspa pachan
choloqui
puka wichus
hallku punu kikaq
kondor warmi
soku chincus
lazapa
soku suproq
18
19
20
21
22
23
24
chaucha amarilla
waklli wachukus
llumchi probanan
eliminita/pachako
josé winka
puka huayro
huayro peruanita
25
26
27
28
29
30
31
mono senkan
puka chukula
buen cholo
chinkus ukush
kondor warmi
milagro
yana mashkapa
19
20
18
21
23
22
24
25
28
26
27
29
30
31
Quelle: Eigene Aufnahmen 2005.
46
Wie aus Anhang C ersichtlich wird, beziehen sich viele der Namen auf äußere
Merkmale. So beschreiben puka, yolak und yana die jeweils rote, weiße oder
schwarze Färbung der Schale. Waklli bezeichnet die gebogene Form einer
Kartoffel, die von den Bauern häufig auch mit einem schlafenden Hund oder
einer Mondsichel verglichen wird. Derartige Analogien zu den Phänomenen des
Alltags und der Umwelt finden sich in zahlreichen Sortennamen wieder. Die
Bezeichnung colegiale etwa spielt auf die farbliche Ähnlichkeit mit der Uniform
der Schulkinder an, peruanita wiederum auf die Farben der peruanischen
Flagge. Beispiele für Bezüge zur Tierwelt sind wakapa kallun (Kuhzunge),
mono senkan (Affennase), torupa rurun (Stierhoden) und araspa pachan
(Eidechsenbauch). Einige Namen spiegeln die Verbindung von Saatgut und
Frau wider, auf die in Kapitel 5.2.2 näher eingegangen wird. Zu ihnen zählen
etwa hallka warmi (Frau der oberen Höhenstufe), kondor warmi (Kondorfrau)
und puka china (rotes Mädchen).
Die Vicosinos konnten alle erfragten Sorten benennen, wobei sie ihre Antworten
teils ohne Zögern, teils nach Absprache mit anderen Anwesenden gaben. Ein
Interviewpartner vergewisserte sich mehrfach bei seiner Frau, die sich
offensichtlich
besser
auszukennen
schien.
Oft
entstanden
angeregte
Diskussionen über die Bedeutung des Namens und die Eigenschaften einer
Sorte.
Zimmerer (1996: 203) weist darauf hin, dass die Benennung der Kartoffeln nach
lokaler Natur, Orten und sozialen Phänomenen Ausdruck einer kulturellen und
sozial-geographischen Identität ist. Gleichzeitig erhält die Kartoffel durch ihren
Namen eine Identität, sie wird zum lebendigen Gegenüber in einer Welt, in der
alle Bewohner in einem reziproken Beziehungsverhältnis stehen (Zimmerer
1996: 189-190).
Eine besondere Gruppe der lokalen Sorten bildet die papa koro. Bei ihr handelt
es sich um eine halbwilde Kartoffel, die bevorzugt in Maisfeldern wächst und
offiziell als Unkraut gilt. Die Vicosinos pflegen ihre papa koro in gleicher Weise
wie die gesäten Kartoffeln und nutzen sie, wie das folgende Beispiel zeigt, auch
zum Verzehr (Urpichallay 1999: 123).
47
Desde muy antiguo mis abuelos en Allpamama habían criado el coro papa,
de eso nos alimentaba mi abuela cuando teníamos hambre, lo sacaba del
maíz, iba con su chuso y su canasta y de un rato traía bastante coro,
después lo lavaba y echaba a la olla. Facílmente se cocina, mientras
jugaba ya se cocinaba, al poco rato me servía con su ajicito, era muy rico
nuestro coro (Gaudencio Loli in Urpichallay 1999: 94).
Wilde Kartoffeln werden von den Vicosinos als solche identifiziert und atoqpan
papa
29
genannt. Ihre Blätter werden zur Linderung von Kopfschmerzen
verwendet. Zwar gibt es einzelne Hinweise auf Anbauexperimente, jedoch ist
die Domestizierung wilder Kartoffeln keine allgemein übliche Praxis (Urpichallay
1999: 121-122). Vielmehr wird die Aufzucht der atoqpan papa dem Fuchs
(atoq), teilweise auch den apus selbst zugeschrieben:
Así como nosotros tenemos nuestras papas, también nuestros abuelos o
las deidades, tienen sus plantas aquí en la Quebrada Honda, pues
encontramos al lado de los quenuales y entre las piedras su atocpan papan
(papa silvestre) y su papa coro de los abuelos, que mucho de nuestros
abuelos dicen que son de la siembra del zorro (Manuel Meza Evaristo in
Urpichallay 2001).
Die Wahrnehmung und Nutzung wilder und halbwilder Verwandter von
Nutzpflanzen ist ein wichtiger Bestandteil der In-situ-Erhaltung, da bereits durch
ihre Nähe zum Kartoffelanbau die Möglichkeit der genetischen Auffrischung
durch Introgression gegeben ist.
Die verbesserten Sorten werden allgemein papa mejorada oder papa blanca
genannt. Die ersten verbesserten Sorten tarma und paltaq kamen 1952 mit dem
Proyecto Perú-Cornell nach Vicos. Viele der älteren verbesserten Sorten sind
mit der Zeit in den typischen Mischanbau lokaler Sorten integriert worden. Zu
ihnen zählen etwa tarma, paltaq und mariba. Gegenwärtig wird der
Kartoffelanbau in Vicos von den verbesserten Marktsorten yungay und canchán
dominiert.
29
Atoq bedeutet Fuchs und ist eine gängige Bezeichnung wilder Verwandter von Nutzpflanzen.
48
5.1.2 Bewertung und Nutzung
Wie auch in anderen Andenregionen bewerten und nutzen die Vicosinos lokale
und verbesserte Sorten zum Teil recht unterschiedlich. Folgende Aussagen aus
dem Jahr 1954 zeigen, wie die ersten verbesserten Kartoffeln von den
Vicosinos aufgenommen wurden.
Sé que hace un año la Hacienda trajo la semilla de papas llamado „paltaq“
en castellano. Nosotros le llamamos „marcos“. Esa misma nosotros ya
teníamos desde la época de nuestros abuelos. [...] Como repito es la
misma semilla „paltaq“, pero sí madura más rápido. Parece que es mejor
que la nuestra. Produce mayor cantidad de papas y son más desarrolladas.
Además el gusano no come como hace con las nuestras. (Ambrosio
Evaristo in Stein 2000: 203)
Casi son iguales las dos clases de papas. Sin embargo la papa paltaq
parece mejor que la blanca porque es arenosa, de mejor gusto. En cambio
la papa blanca es toqtu, es decir que tiene un hueco en el corazón, pero sí
son más grandes que las papas marcos y producen bastante. Y
comparando con nuestras propias papas le diré que también son iguales.
Nuestras papas son también agradables y arenosas, sólo que no tenemos
remedios para curar. (Marcelino Cruz in Stein 2000: 210).
Während die paltaq aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit der bekannten lokalen Sorte
marcos schnell Anklang fand, oftmals sogar mit ihr gleichgesetzt wurde,
betrachteten die Bauern die tarma (hier papa blanca) eher kritisch. Zum einen
verfügte sie nicht über den bevorzugten mehligen Geschmack, zum anderen
entsprach ihre Form nicht den ästhetischen Ansprüchen der Bauern. Wenn
auch die geschmackliche und ästhetische Qualität der eigenen Sorten nicht
übertroffen werden konnte, so wurde doch die Widerstandsfähigkeit der neuen
Sorten in Zeiten schwerer Kartoffelplagen als allgemeine Verbesserung
angesehen (Stein 2000: 202-205).
Einige Eindrücke zur Bewertung und Nutzung lokaler und verbesserter Sorten
in der Gegenwart, rund fünfzig Jahre nach Einführung der ersten verbesserten
Kartoffeln, lassen sich Tab. 3 entnehmen.
49
Tab. 3: Nutzung und Bewertung lokaler und verbesserter Kartoffelsorten
papa nativa
30
papa mejorada
Eigenkonsum
- es harinosa, sancocha rápido
- no tiene sabor, demora en sancochar
(Gruppe INT1)
(Gruppe INT1)
- tiene buen sabor, se prepara más
- se usa poco para consumo porque tiene
rápido (Don Juan R. INT5)
mal sabor, canchán peor que yungay
(Don Juan R. INT5)
- se puede comer así nomás (Don
Pablo R. INT9)
- solo se guarda tres meses (Don Octavio
INT4)
- aguanta más, se puede tener en el
almacén durante seis meses (Don
Octavio INT4)
- cosecha de papa mejorada y nativa del sector es más
para consumo porque el precio en el mercado es muy
bajo (Gruppe INT19)
Verkauf
- no vendemos lluta papa porque es
para consumo (Don Pablo T. INT17)
- vendemos papa nativa porque tiene
un precio mayor en los mercados de
Carhuaz y Huaraz (Don Octavio
INT4)
- es más grande y de mejor calidad
(Gruppe INT10)
- vendemos papa mejorada en el mercado
de Huaraz (Don Pablo T. INT17)
- vendemos yungay y canchán en el
mercado (Don Juan C. INT16)
Feste
- antes usaban papa nativa (Don
Octavio INT4)
- se usa más en las fiestas porque se pela
más rápido (Don Octavio INT4)
Geschenk
- se usa papas como regalo cuando llega visita (Don
Manuel INT7)
Medizin
- yana kondor warmi sirve como
medicinal cuando uno está mal de
viento, se pone las rajas encima del
estómago (Don Juan R. INT5)
Brauch
- la papa llumtzhi probanan se usaba
para probar a la nueva nuera que
tenía que pelarla sin cambiar la forma
(Don Julio INT2)
Quelle: Eigene Erhebung 2005.
30
Die in diesem Kapitel aufgeführten Aussagen der Interviewpartner stammen aus eigenen
Feldnotizen und Gedächtnisprotokollen und sind daher teilweise sprachlich verändert bzw.
abgekürzt.
50
So verwenden die Vicosinos beide Sortengruppen, papa nativa und papa
mejorada sowohl zum Verzehr als auch zum Verkauf. Dies geschieht allerdings
aus unterschiedlichen Motivationen. Die Präferenz lokaler Sorten für den
Eigenkonsum wird von den Bauern mit Vorlieben und Praktikabilität begründet.
Sie schätzen die mehlige Konsistenz lokaler Sorten und deren besonderen
Geschmack. Von weiterem Vorteil ist, dass die Kartoffeln länger haltbar sind
und eine geringere Garzeit benötigen. Der Verzehr verbesserter Sorten wurde
dagegen durch eher praktische Gründe erklärt, wie die leichtere Schälbarkeit für
Festspeisenzubereitung und zu niedrige Marktpreise.
Was den Verkauf betrifft, so findet man auf den Märkten in Carhuaz und Huaraz
neben den marktdominierenden Sorten yungay und canchán in kleineren
Mengen auch bestimmte lokale Sorten, welche in der Regel höhere Preise
erzielen. Im Untersuchungszeitraum kosteten lokale Sorten wie colegiale und
huayro 50-75 cént./kg, während der Preis für yungay und canchán bei 30-40
cént./kg lag.
31
Im Andenraum dienen lokale Kartoffeln häufig als Geschenk zur Aufnahme und
Aufrechterhaltung
sozialer
Beziehungen
und
werden
als
papa
regalo
bezeichnet (Zimmerer 1996: 103, Brush 2000: 300). In Vicos werden diese
Kartoffeln kare genannt. Zudem gibt es den Ausdruck llamitzinaki für den
Brauch sich gegenseitig von den Ernteerträgen probieren zu lassen
(persönliche Mitteilung Urpichallay). Beobachtungen während der Ernte zeigten,
dass Besuchern sowohl verbesserte als auch lokale Sorten geschenkt werden.
Dass lokale Sorten als Geschenk jedoch auch in Vicos einen größeren Wert
besitzen, ist schon aufgrund der geschmacklichen Präferenz vorstellbar und
lässt sich anhand des folgenden Zitats nachvollziehen.
Nosotros siempre nos preparamos nuestra comida en la mañana y en la
noche a mediodía solo calentamos de la mañana, pero cuando llegan
nuestras familias nosotros buscamos las mejores papas para que ellos
prueben y se vayan muy felices, ya que ellos donde viven no prueban
estas papas, ya que estas papas es solo para la familia, esta papa no
31
Die Frage, warum trotz höherer Preise nicht mehr lokale Sorten speziell für den Markt
angebaut werden, lässt sich durch die höhere Arbeitsintensivität und die Erfordernisse langer
Brachzeiten beantworten.
51
vendemos a nadie, solo invitamos o regalamos con cariño (Niña Luzmi
Luzmila Reyes in Urpichallay 2001)
Die Rolle der Kartoffel als Geschenk wird im anschließenden Kapitel 5.1.2
genauer erläutert.
Des Weiteren gibt es traditionelle Nutzungsformen, die an bestimmte lokale
Sorten gebunden sind. So werden die Kartoffelschalen der Sorte hallka warmi
beispielsweise als Heilmittel gegen das mal de viento
32
verwendet. Über die
stark gewölbten Kartoffeln der Sorte llumchi provanan (Abb. 5) ist der Brauch
überliefert, dass sie von der Familie eines Mannes genutzt wurde, um die
Fertigkeiten der neuen Schwiegertochter (in Quechua llumchi) auf die Probe zu
stellen. Dabei musste diese die rohe Kartoffel so schälen, dass die
ursprüngliche Form erhalten bleibt. Heute wird dieser Brauch, der auch in
anderen Regionen der Anden verbreitet ist (Tapia und de la Torre 1998: 24),
vor allem zur Erheiterung in Erinnerung gerufen.
Es lässt sich feststellen, dass die Bauern lokale und verbesserte Sorten
durchaus unterschiedlich bewerten und ihre Nutzung daran orientieren.
Allerdings erweisen sich bei Betrachtung der verschiedenen Nutzungsweisen
die Übergänge zwischen beiden Kategorien als fließend. So werden auf der
einen Seite lokale Sorten zum Teil in Monokulturen für den Markt produziert und
auf der anderen Seite verbesserte Sorten in den traditionellen Mischanbau
übernommen.
5.1.3 Verlust und Erhaltung
In den Interviews wurde der Verlust alter Sorten oft in direktem Zusammenhang
mit dem eigenen Leben erklärt:
32
-
perdí mi semilla nativa con mi accidente (Don Juan C. INT16).
-
muru kaqhqa desapareció cuando se creó la comunidad (Señora mayor
INT12).
-
cuando falleció mi esposo su lluta papa desapareció, tenía buena mano
de criar con cariño, cuando falleció, la semilla sufrió (Señora mayor
INT13).
Mal de viento ist eine Krankheit, die durch den Wind hervorgerufen wird und sich in steifen
Gliedmaßen und Ohrendruck äußert.
52
Das Schicksal der Kartoffel zeigt sich hier eng mit dem des Menschen
verbunden. Diese Verbindung äußert sich besonders in einer Beziehung
gegenseitiger Pflichten und Emotionen. Die Kartoffel kann dabei nicht nur leiden
und verärgert sein wie ein Mensch, sondern auch dementsprechend handeln.
Ihr Verschwinden wird dann, wie im folgenden Beispiel, als Reaktion auf
mangelnde Pflege verstanden:
Son casi 2 años que me ha abandonado. Estoy buscándola, voy a
conseguirla. A esta papa lo quiero mucho, sin embargo me ha abandonado
a pesar que le converso, por algo se ha resentido, tendré que suplicarlo
para que vuelva (María Lázaro über die Sorte yana waclli in Urpichallay
1999: 25).
Zimmerer weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Sprache hin,
die zahlreiche lebendige Ausdrucksformen des Dialogs zwischen Bauer und
Kartoffel bereithält:
Language for handling the floury potatoes and other diverse crops was
salted with metaphors that gave life to the myriad pacts of personal
reciprocity between a care-giving and willful cultivator and a crop plant that
could be capricious (Zimmerer 1996: 189).
Der allgemeine Fortbestand lokaler Kartoffeln wird von den Bauern nicht
angezweifelt. Als Erbe vergangener Generationen werden sie an zukünftige
Generationen weitergegeben:
- siempre habrá papa nativa, la tenemos de los abuelos y la vamos a pasar
a nuestros hijos (Don Felipe INT20).
Die Bauern von Vicos messen dem Bezug zwischen lokalen Sorten und ihren
Vorfahren eine große Bedeutung zu (Urpichallay 1999: 121). Beide sind
wichtiger Bestandteil ihrer kulturellen Identität oder wie es Salas (1996: 142)
ausdrückt: „La población campesina de hoy reconoce en la agricultura de la
papa su pasado cultural“.
5.2 Saatgutquelle
Woher ein Bauer sein Saatgut bezieht, hat wesentlichen Einfluss auf die Vielfalt
der von ihm angebauten Sorten sowie den Grad ihrer Auffrischung. Im
Folgenden wird zunächst dargestellt, welche Quellen die Vicosinos nutzen, um
53
an Saatgut zu gelangen. Anschließend werden die Aspekte der Selektion und
Lagerung von Saatgut näher beleuchtet.
5.2.1 Wege der Saatgutbeschaffung
In Folge von Ernteverlusten, zur Auffrischung ihres Bestandes oder einfach aus
Neugier beziehen die Vicosinos ihr Saatgut auf den unterschiedlichsten Wegen.
Die Aussagen der Vicosinos zu den häufigsten Wegen der Beschaffung sind in
Tab. 4 aufgeführt. Sie betreffen Tausch, Geschenk und Kauf.
Tab. 4: Häufigste Wege der Saatgutbeschaffung
-
si pierdo mi papa a la rancha, me voy a ayudar en la cosecha para llevarme
mi pellé y llevo azúcar para trueque (Gruppe INT1)
-
cuando me falta semilla, hago trueque o compro, más compro papa
mejorada (Don Pedro INT6)
-
tengo mi lluta papa de los abuelos, si me falta papa nativa, hago cambio,
compro o digo ‚regálame’ (Don Juan R. INT5)
-
para probar nueva variedad hago trueque o compro, primero lo pruebo en
una chacra (Don Julio INT2)
-
si veo una nueva variedad que florece de cierto color, voy a preguntar para
hacer cambio (Don Octavio INT4)
-
tengo chaucha desde el año pasado cuando fui a trabajar en la chacra de
mi cuñado y me la llevé como jornal (Doña Juana INT3)
-
esas papas colegialas tengo de una visita a la Cordillera Negra con
Urpichallay, no conocía así me llevé tres papitas, mi amigo que me regaló
me invitó varias veces después, pero no he tenido tiempo para ir otra vez
(Don Manuel INT11)
-
cuando antes había enfermedad de papas, llevaba maíz y humita a Catac
para trueque de papa nativa, donde tenía familiares y amigos, hoy llevo
semilla como pellé o regalo cuando ayudo a familiares, hoy de Quebrada
Honda, ya no de Catac (Gruppe INT1)
-
un vecino fue para trueque a Tinca donde tiene amigos, iba de jornada a
trabajar en la chacra (Don Julio INT2)
-
la gente viene a hacer trueque o comprar de Pariahuanca, Pampamarca,
Pashpa y Huapra porque no tienen QH (piso alto) (Octavia INT15)
-
antes venían de Marcará y Carhuáz a buscar papa nativa, traían fruta
como Lucuma, después del Proyecto Perú-Cornell ya no subían porque
conseguieron su propia papa (Don Manuel INT7)
-
antes Huapra no tenía papa, vinieron a Vicos con calabazas a hacer
trueque (Don Julio INT2)
Quelle: Eigene Erhebung 2005.
54
Tauschhandel ist in Vicos, wie in weiten Teilen der Anden, bis heute weit
verbreitet. Dabei gibt es zwei Formen. Zum einen kann Saatgut im Tausch
gegen Waren (trueque, cambio) erworben werden. Die Vicosinos bieten im
Gegenzug zum Beispiel Zucker, Mais oder humitas. Die andere Möglichkeit ist
die Bereitstellung der eigenen Arbeitskraft im Tausch für einen Teil der Ernte.
Dieser Ernteteil heisst pellé, er entspricht traditionell dem Ertrag einer
Ackerfurche und wird heute meist mit einem Korb bemessen (Urpichallay 1999:
20). Manchmal verwenden die Bauern in diesem Zusammenhang auch den
Begriff jornal, der in seiner ursprünglichen Bedeutung ein als Tageslohn
festgelegter Geldbetrag ist.
Nicht immer muss eine Gegenleistung direkt erbracht werden. Geschenke sind
üblich und werden in der Regel bei anderer Gelegenheit erwidert. Der
Übergang zwischen Geschenk und Tausch ist fließend, wie auch die folgenden
Beispiele von früher und heute belegen.
Acá no compran. La costumbre acá es regalar. Por plata no te dan nada.
Uno si necesita oca hace comprar pan, azúcar, sal, ají y lo lleva de regalo a
un amigo o una amiga. Eso lleva mi hermana o mi mamá a una persona.
Entonces ésta dice, ‚¿Para qué es?’ ‚Es regalo, es para ocas,’ dice.
Entonces da una, dos, tres canastitas (Alejo Valerio in Stein 2000: 185186).
En la comunidad campesina de Vicos todos practicamos hacer este tipo de
regalo, a veces a mí me apoyan en mi trabajo, pero en la cosecha yo
regalo por el trabajo brindado, cuando me ayudan en la cosecha también
les doy su pellé. [...] La cantidad de pellé se mide con una canasta hecha
de chacpa que cotiza una arroba. Los que hacen esta canasta la saben
hacer especialmente para el pellé. Si no hay canasta, se regala con una
mantada de costal de lana, así nos acostumbramos regalar en mi
comunidad, pero este regalo hacemos de corazón, porque si eres
pesimista (tacaño) el próximo año no vas tener cosecha, por eso nos
acostumbramos este tipo de regalo con todo cariño y amor (Víctor Mata
Tadeo in Urpichallay 1999: 20-21).
Obwohl der Tausch manchmal erst durch einen vorangegangenen Kauf
ermöglicht wird, ist er höher angesehen als der einfache Erwerb mit Hilfe von
Geld. Es existiert eine Art kollektiver Moral nach dem Motto ‚wer gibt, der wird
bekommen’, die auch in diversen überlieferten Erzählungen der Vicosinos
vermittelt wird (Urpichallay 1999: 28-29). Tauschregelungen sind ein wichtiger
Bestandteil des reziproken Beziehungsnetzwerks, welches die andine Welt
zusammenhält.
55
Zwei Vicosinos erklärten den Tauschhandel vor einem eher marktorientierten
Hintergrund. Die Betonung lag dabei auf dem finanziellen Nutzen des
Tauschhandels.
-
ya no hacemos tanto trueque, es más barato comprar que hacer
trueque (Don Julio INT2)
-
la gente hace trueque porque no tiene plata (Don Agostín INT22)
Abgesehen von Kauf, Tausch und Geschenk verfügen die Vicosinos über
verschiedene andere Formen der Saatgutbeschaffung. Eine bildet das
üblicherweise von Frauen ausgeführte Absuchen abgeernteter Felder nach
zurückgebliebenen Kartoffeln (rastrojeo). Diese Kartoffeln heißen papa wachka
(verwaiste Kartoffel) oder papa hiwa und werden auf die Launen der
Pachamama zurückgeführt.
-
la pachamama siempre esconde su cría, por eso encontramos hiwa (Don
Victor S. INT21).
Eine durchaus übliche Praxis zur Aneignung neuer Sorten ist das heimliche
Entwenden von Kartoffeln aus einem fremden Feld.
-
cuando veo un color de una papa florecer, pongo una señal, para volver
cuando esté madura y llevarme uno o dos papas a mi chacra (Gruppe
INT1).
Während der gemeinschaftlichen Ernte des Sektors Cachipachán steckte ein
Bauer eines anderen Sektors während seines Besuchs drei frisch geerntete
Kartoffeln in seine Tasche und begründete dies damit, dass er sie noch nicht
besaß. Ein Zeuge bekräftigte diese Handlung, indem er erklärend hinzufügte:
„se enamoró de la semilla“ (Gruppe INT19). Damit war ein Verhältnis zwischen
dem neuen Besitzer und der Kartoffel hergestellt und die Handlung legitimiert.
Auch das Auflesen von Saatgut, das auf dem Weg gefunden wird, beruht auf
einer Interaktion zwischen Bauer und Knolle bzw. Samen, wie die folgenden
Beispiele zeigen.
-
cuando encuentro semilla en el camino que se había caído, me la llevo a
mi almacén para que no sufra [Señora mayor] (Gruppe INT1)
Siempre mi padre me decía, que cuando encuentras semilla de maíz
botado en el camino recógelo, y yo decía: ¿para qué voy a recoger? si yo
tengo mi maíz blanco. Entonces me contestaba: ¿no sabes? la semilla que
encuentras en el camino es tu fortuna porque esa semilla por el maltrato
56
que tiene de su dueño se va alejando a otro lugar donde puedan criarla
mejor. Entonces, un día cuando yo bajaba al pueblo me encuentro con la
semilla de maíz, ya me había pasado, pero me acordé de lo que me dijo mi
padre, entonces regresé y me lo recogí. Esto había sido cierto porque a
esa semilla la cuide mucho y también me produjo buena cosecha (Cipriano
Armas in Urpichallay 1999: 27).
Indem der Bauer die Kartoffel in seine chacra aufnimmt, trägt er dazu bei ihr
Leid zu lindern, im Gegenzug beschert sie ihm eine gute Ernte. Auch hier
handelt es sich um eine Form der Saatgutbeschaffung.
Abb. 6: Feria de semillas in Vicos
Quelle: Urpichallay.
Auch
Urpichallay
fungierte,
wie
die
folgenden
Aussagen
zeigen,
in
verschiedenen Momenten als Saatgutquelle. Im Rahmen einer feria de semillas
(Abb. 6) wurde 1998 interessierten Bauern Zugang zu lokalen Sorten verschafft.
Außerdem erhielten verschiedenen Sektoren, u.a. Wiyash, lokale Sorten als
Saatgut für den gemeinschaftlichen Anbau. Nach der Aufteilung des
Ernteertrags auf alle comuneros des Sektors übernahmen die Bauern die
lokalen Sorten in ihre chacras.
A partir de la feria de semillas, es que hemos recogido en 1998 semillas
nuevas, que ya habíamos perdido muchos en nuestras familias, esta feria
organizó Urpichallay, ahora la mayoría de personas ya comenzó hacer
volver de nuevo las semillas a su chacra, antes solo algunos de los
sectores conservaban su semilla, pero ahora ya todos tienen siquiera
57
alguito para probar en la casa, y para que también nuestros hijos conozcan
y no se olviden de estas semillas (Margarita Lliuya in Urpichallay 2001).
-
el año pasado Urpichallay nos dio semilla de papa nativa al sector de
Wiyash, en la cosecha comunal fue distribuido a todos, ahora todos
tienen en sus chacras (Gruppe INT1).
Betrachtet man die weiteren Bezugsquellen für Saatgut, so wird aus Tab. 4
ersichtlich, dass im Falle von Tausch und Geschenk häufig der Familien- und
Freundeskreis konsultiert wird. Jeder kennt Orte, die bekannt sind für die gute
Qualität ihres Saatguts. Oft handelt es sich um höher gelegene Anbauzonen.
Diese können sowohl innerhalb der comunidad (Quebrada Honda), als auch
außerhalb (Catac, Tinca) liegen. Vicos zählt selbst zu den comunidades, die bis
heute
von
Bewohnern
der
benachbarten
comunidades
(Pariahuanca,
Pampamarca, Pashpa, Huapra) zum Saatguterwerb aufgesucht werden.
Allerdings hat die Nachfrage von außen im Vergleich zu früher nachgelassen,
wie einige ältere Bauern bemerken.
Es bestehen keine festgelegten Saatgutverbindungen zwischen Bauern und
bestimmten
Zentren
der
Vielfalt.
Jedes
Feld
kann
aufgrund
von
Familienbindungen, ökologischen Bedingungen oder Arbeitsangebot zur
Bezugsquelle werden.
33
Allerdings findet bis heute ein traditioneller Austausch
von Kartoffeln der Cordillera Negra und Mais der Cordillera Blanca statt
(Urpichallay 1999: 134).
Wichtige Quellen für den käuflichen Erwerb von Saatgut sind für die Vicosinos
die Märkte (ferias) in Carhuaz (mittwochs und sonntags) und Huaraz (montags
und donnerstags). Nach Huaraz kommen Knollen aus Cajamarca, Huancayo,
Huánuco und Lima, nach Carhuaz v.a. aus der Region und dem benachbarten
Callejón de Conchucos (Urpichallay 1999: 136).
Da lokale Sorten nur zu einem kleineren Anteil auf den Märkten vertreten sind,
kommt den auf sozialen Netzwerken beruhenden Tauschbeziehungen eine
erhöhte Bedeutung als Saatgutquelle zu.
33
Zimmerer (2003: 594) betont die Bedeutung von Netzwerken mehrerer comunidades für die
Saatgutbeschaffung im Gegensatz zu bilateralen Tauschbeziehungen.
58
5.2.2 Eigene Saatgutproduktion, Selektion und Lagerung
Einen Großteil ihres Saatguts gewinnen die Vicosinos durch die eigene Ernte.
Dabei wissen sie genau, wie sie es durch die Rotation zwischen verschiedenen
Höhenstufen auffrischen können.
En esta parte poco ya da esta papa nativa pero siempre sembramos, de
aquí ya saco mi semilla para sembrar en la quebrada y buen resultado ya
me da, con mayor cantidad de tubérculos y de buena calidad y más
harinoso. Ya es pues así que lo tengo mi semilla nativa de la parte alta lo
bajo y de la parte baja ya lo llevo en la parte alta (German Tafur in
Urpichallay 1999: 135).
Auch Selektion und Lagerung entscheiden über die Vielfalt der Saatkartoffeln.
Mit der Wahl des Saatguts bestimmen die Bauern, welche Sorten weiterhin
angebaut werden. Die Technik der Lagerung beeinflusst Qualität und
Lebensfähigkeit der ausgewählten Saatkartoffeln.
Werden die Kartoffeln im Anschluss an die Ernte aufgeteilt, wie etwa bei
gemeinschaftlichen Ernten des Sektors, so kann die Selektion des Saatguts
noch auf der chacra erfolgen, ansonsten wird sie im Haus des Bauern
vorgenommen. Die Vicosinos beschreiben ihre Vorgehensweise bei der
Selektion der Kartoffeln folgendermaßen:
-
las papas grandes son para el mercado, las chicas para semilla, el resto
y las papas muy grandes para consumo (Don Julio INT2).
-
si la papa huayro sale muy grande ya no se usa para semilla sino para
consumo (Doña Juana INT3).
-
la primera es la selección de papa grande para el mercado, en la
segunda escogemos la papa mediana para el mercado, en la tercera
papa chica y sana para semilla (Doña Fana INT18).
Hauptkriterium der Auslese ist die Größe der Kartoffeln. Große Knollen sind für
den Markt, mittlere und einzelne, besonders große Knollen für den Konsum
bestimmt. Als Saatgut bevorzugen die Bauern kleine gesunde Kartoffeln mit
möglichst vielen Augen. Lokale Kartoffeln werden als Mischung selektiert, d.h.
einzelne Sorten werden nicht hervorgehoben oder gesondert behandelt.
Allerdings achten die Bauern darauf, dass ein paar Knollen jeder Sorte für die
59
nächste Saat aussortiert werden.
34
Für die Entwicklung der Sortenvielfalt
bedeutet dies, dass sich die ertragreichen lokalen Sorten natürlich durchsetzen.
Die Bauern erhalten auf diese Weise eine höhere Vielfalt, als es der Fall wäre,
wenn sie bestimmte Sorten nach Kriterien der Resistenz und Risikominimierung
als Saatgut bevorzugen würden (Zimmerer 1996: 200).
Abb. 7: Selektion nach der Familienernte
Quelle: Eigene Aufnahme 2005.
Abb. 8: Selektion der faena comunal des Sektors Cachipachán
Quelle: Eigene Aufnahme 2005.
34
Diese Informationen stützen sich auch auf die Beobachtung und Teilnahme bei vier teils
individuellen, teils gemeinschaftlichen Ernten von verbesserten und lokalen Kartoffeln in der
Quebrada Honda.
60
Wie folgende zwei Zitate andeuten, ist die Saatgutselektion in Vicos traditionell
Aufgabe der Frau (Abb. 7).
-
semilla madre se dice porque las mujeres somos encargadas en
seleccionar las semillas (Gruppe INT1).
-
las mujeres escogen más las papas nativas, para el mercado escogen
todos, antes un varón que escogía era visto como mujer (Don Pablo T.
INT17).
Zwar wird die Auslese heute teilweise auch von Männern ausgeführt – dies
konnte etwa bei der gemeinschaftlichen Ernte des Sektors Cachipachán
beobachtet werden (Abb. 8) – darauf angesprochen betonten die Bauern jedoch
stets die besondere Rolle der Frau und ihr ausführliches Wissen im Umgang mit
Saatgut innerhalb der Familie (I19).
Die Einheit von Frau und Erde durch das Leben, das beide hervorbringen, ist in
den Anden weit verbreitet und äußert sich einerseits in Begriffen wie
Pachamama, mama acshu (Mutter Kartoffel) und mama sara (Mutter Mais),
andererseits in einer Arbeitsteilung, nach der die Frau für die Verwaltung und
Pflege des Saatguts verantwortlich ist (Tapia und de la Torre 1998: 9; Salas
1996: 145).
Für die Lagerung der Saatkartoffeln kennen die Vicosinos verschiedene
Techniken:
-
preparamos el almacén con eucalipto y muña, el piku hacemos con
okosh e ichu (Don Octavio INT4).
-
almacenabamos en puku, hecho de barro, como un hueco en una
esquina, las paredes hacíamos con adobe, piedritas o palos, al fondo
ponía muña, después del año 75 también poníamos eucalipto (Señora
mayor INT12).
-
uchpa es ceniza de la cocina que se echa para prevenir polilla en el
almacén, Cullhuash no tiene polilla porque es pampa y más alto (Don
Pablo T. INT17).
-
se conserva con ichu, a veces se conserva junto semilla y papa para
consumo, antes lo guardaban en una cueva en la Quebrada Honda,
quedaba fresquita la papa, será por la altura (Don Agostin INT22).
-
ya no se hace el almacenamiento con eucalyptus, es costumbre de
antes (Don Julio INT2).
Nach der Ernte werden die Saatkartoffeln zunächst in die Sonne gelegt, damit
sie grün werden (Urpichallay 1999: 50). Je nach Klimaverhältnissen sind
61
bestimmte Lagertechniken erforderlich, um das Saatgut frisch zu halten und vor
Schädlingen (z.B. Motten und Larven) zu schützen. Positiv wirkt sich besonders
das kühle Klima der oberen Höhenstufen (Cullhuash, Quebrada Honda) aus,
allerdings ist die Aufbewahrung des Saatguts in Höhlen nahe der chacra nicht
mehr üblich. Vielmehr erfolgt die Lagerung in einer Mulde oder Ecke innerhalb
des Hauses, manchmal in speziellen Lagern aus Stöcken, adobe oder Steinen.
Der Boden des Lagers wird mit Eukalyptus und muña
35
ausgelegt. Nach
Aufhäufen der Kartoffeln werden diese mit Asche bestreut und anschließend mit
36
Eukalyptus, muña oder ichu abgedeckt. Wie das letzte Zitat und das in diesem
Zusammenhang entstandene Foto in Abb. 9 zeigen, wird diese traditionelle
Technik nicht mehr von allen Vicosinos angewandt.
Abb. 9: Lagerung der Kartoffeln
Quelle: Eigene Aufnahme 2005.
5.3 Anbau
Im kontinuierlichen Anbau verschiedener Kartoffelsorten durch die Bauern
erfolgt die eigentliche Erhaltung biologischer Vielfalt. Hier vollzieht sich der
35
36
Minzpflanze.
Heu, Gras der obersten Höhenstufe.
62
Reproduktionsprozess, der ebenso Grundlage menschlichen, wie pflanzlichen
Lebens ist.
Die folgende Abbildung zeigt, wie sich die verschiedenen Phasen des
Kartoffelanbaus auf den drei Anbaustufen in Vicos über das Jahr verteilen.
Abb. 10: Agroökologischer Kalender des Kartoffelanbaus in Vicos
Sep
Aug
Okt
Jul
Jun
Nov
Mai
Dez
<4000
<3700m
Apr
Jan
<3200m
Feb
März
Landbereitung
Saat
Pflege
Ernte
Trockenzeit
Regenzeit
Quelle: Eigene Darstellung nach Urpichallay 1999: 41, 51 und 57.
Während der Trockenzeit beginnt auf der untersten Stufe der bewässerte
37
Anbau der papa miska , deren Aussaat von Mai bis Juli stattfindet und
überwiegend aus den Sorten yungay und canchán besteht. Der Kartoffelanbau
auf den beiden höheren Stufen beginnt kurz vor Einsetzen der Regenzeit, die
Aussaat erfolgt zwischen September und Dezember. So ergibt es sich, dass
fast das ganze Jahr hindurch Kartoffeln geerntet werden.
37
Frühe Kartoffelaussaat in chacras, die nicht vorbereitet werden müssen, da die Aussaat direkt
auf die Ernte folgt.
63
Im Folgenden werden die verschiedenen Anbauphasen von Landbereitung bis
Ernte in Vicos dargestellt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Anbau in der
höher gelegenen Quebrada Honda, wo traditionell die meisten lokalen
Kartoffelsorten angebaut werden.
38
Nach einem verbreiteten Rotationsmuster
säen die Bauern dort im ersten Jahr Kartoffeln, im zweiten Jahr oca, olluco und
mashua, anschließend wird das Feld fünf bis sieben Jahre – teilweise sogar
länger – brachliegen gelassen (Urpichallay 1998: 8). Die jeweiligen Praktiken
und Aufgabenteilungen sollen nun unter besonderer Berücksichtigung des
bäuerlichen Wissens erläutert werden. Zudem werden einige typische
Arbeitstauschregelungen beleuchtet, mit denen die Vicosinos den Anbau
organisieren.
5.3.1 Landbereitung und Saat
Bevor sie die Kartoffeln aussäen, führen die Bauern eine Reihe von Aktivitäten
zur Vorbereitung der chacra aus. Das erste Aufbrechen der chacra – der
chakmeo – erfolgt je nach Bodenbeschaffenheit mit barreta oder yunta (Abb.
11/12). Aus den Felsbrocken und dem Geäst auf den chacras errichten die
Bauern Steinwälle (pircas), welche dem Schutz vor Schäden durch frei
weidende Tiere dienen. Bis zur Ernte wird der Boden mehrmals gepflügt
(barbecho), zuletzt werden größere Erdklumpen mit einer Hacke (pico oder
chuzo) zerschlagen (Urpichallay 1998: 2).
38
Es ist allerdings zu beachten, dass auch die Quebrada Honda keine einheitliche Anbauzone
ist. Die im Flusstal gelegenen chacras sind in der Regel ebener und großflächiger als die
chacras der Berghänge.
64
Abb. 11: Pflügen mit barreta
Abb. 12: Pflügen mit yunta
Quelle: Florencia Zapata.
Quelle: Florencia Zapata.
Die folgenden zwei Aussagen zeigen weitere Aspekte, die bei der
Landbereitung eine Rolle spielen. Die Vicosinos und – wie das erste der
folgenden Zitate zeigt – auch die lokalen Kartoffeln bevorzugen chacras, die
mehrere Jahre brach lagen. Über ihre Vegetation teilt die chacra dem Bauern
mit, wann sie sich hinreichend erholt hat.
Esta mi chacra ha descansado ya 5 años, ahora ya le toca entrar a
trabajar, aquí en la Quebrada Honda, a estas mis papas nativas les gusta
terreno descansado, ya la misma chacra nos avisa cuando debemos entrar
a trabajar, a la vista si crece champa (kikuyo), ya debemos entrar, pero si
crece puka ccora, aun no ya que la chacra pide descanso, aquí trabajamos
con barreta por que la chacra es fuerte después que descansa y todo lo
hacemos en minka, ayudándonos unos a otros (Juan Reyes Mendoza in
Urpichallay 2001).
La yunta también nos ayuda a trabajar la chacra, con ella aramos el suelo
cuando esta húmedo y cuando no hay mucha champa (kikuyo), si no esta
champa no deja avanzar hasta puede romper el arado, para esto antes de
nada pedimos a San Isidro Labrador para que nos ayude a arar la chacra
ya que son sus animales, y así solo con su permiso podemos hacer el
trabajo en la chacra (Víctor Quinto in Urpichallay 2001).
Die Arbeit des chakmeo ist hart, weshalb die Vicosinos ihn oft in gegenseitiger
Hilfe (z.B. minka) verrichteten.
39
Darüber hinaus bitten sie den heiligen San
Isidro Labrador als Herrn der (Pflug-)Tiere um seine Unterstützung. Auch in
anderen Momenten des Anbaus werden Heilige durch Opfergaben, Messen
39
Eine detaillierte Beschreibung der Arbeitsregelungen folgt in Kap. 5.3.4.
65
und Prozessionen um ihren Segen gebeten, so z.B. der heilige San Juan oder
die mama meche, Schutzpatronin von Vicos und lokale Variante der heiligen
Virgen Mercedes (persönliche Mitteilung Urpichallay).
An der Saat ist die ganze Familie beteiligt. Der Mann öffnet die Furchen oder
Saatlöcher mit yunta oder chuzo, während die Frau die Knollen in die Erde gibt.
Weitere Personen, oft auch die Kinder, fügen Dünger hinzu. Wie bei der
Selektion ist auch bei der Ernte der direkte Kontakt mit dem Saatgut der Frau
vorbehalten. Indem sie die Knolle mit dem nackten Fuss in der Erde festigt,
erweist sie ihr Respekt (Urpichallay 1998: 7). Die Aussaat erweist sich als ein
heiliger Akt, den die Bauern mit Ehrfurcht begehen. Dazu suchen sie, wie die
folgenden Zitate zeigen, den Dialog mit den Heiligen und Seelen, den
Schutzbergen, der Pachamama und Gott.
Cuando comienzo a abrir el primer surco lo primerito que hago es
persignarme en nombre de los santos chacareros, las almas, los abuelos
(cerros), la pachamama y también el señor Dios, le digo: en este día
pachamama en tu pacha, en tu corazón, dejo mi semilla y tú ya cuidarás
hasta que llegue la cosecha, ya sabes cómo vas a tener a tu hijo, y criame
para que todo el año no me falte nada (Domingo Colonia Huaman in
Urpichallay 2002: 221).
Todos los años como de costumbre vengo a sembrar papas nativas, aquí a
la Quebrada Honda y como siempre, antes de comenzar la siembra de
papa primero hago mi pago a la Allpamama y a los abuelos quienes
después de la siembra lo van a cuidar, luego todavía comienzo a hacer el
primer surco y de la misma manera mi señora también hace antes de votar
la primera semilla a la Allpamama (Marino Quinto Apeña in Urpichallay
2001).
Durch Opfergaben (pagos) werden die Gottheiten um ihre Unterstützung bei der
Aufzucht der Kartoffeln gebeten. Ein typischer pago an die apus besteht aus
verschiedenen Getreidesorten und soll Kraft für die Arbeit bringen.
- si no estuvieran los cerros no nos cansaríamos, hay que darles su
paguito, su machcay, es harina de 7 o también pueden ser 2-3 cereales,
por ejemplo maíz, habas y cebada (Don Victor S. INT21).
Bei der Festlegung des Zeitpunkts der Aussaat orientieren sich die Vicosinos an
verschiedenen Faktoren, zu denen auch die Mondphase zählt. An Neumond
wird es beispielsweise vermieden zu säen, da sonst die Pflanzen zwar hoch
wachsen, jedoch keine Knollen tragen. Die Saat bei Vollmond verspricht
dagegen eine gute Ernte (Vázquez 1952: 71; Urpichallay 1998: 4). Des
66
Weiteren lassen sich die Bauern in ihren Aktivitäten durch diverse Zeichen in
der Natur leiten, die z.B. die Regenwahrscheinlichkeit vorhersagen. Graue
Wolken über den Lagunen Llacshac und Legia deuten ebenso wie die
Anwesenheit von Glühwürmchen (nina kuro) auf bevorstehende Niederschläge
und eine gute Ernte hin. Taucht dagegen der Käfer toro kuro in den chacras auf
oder hört man die Lagune Warancayoc heulen, dann werden sich die
Niederschläge zurückziehen (Urpichallay 1998: 9).
Die Vicosinos praktizieren verschiedene Formen des kombinierten Anbaus. So
pflanzen sie verbesserte und lokale Sorten in unterschiedlichen Abschnitten
innerhalb einer chacra an (Abb. 13). Während sie erstere in geraden Furchen
säen, werden die lokalen Sorten in geringeren Abständen auch durcheinander
angepflanzt (Urpichallay 1999: 57). Den Vorteil des gemeinsamen Anbaus
verbesserter und lokaler Sorten in einem Feld sehen die Bauern in dem
Wettbewerb, der zwischen beiden entsteht und zu höheren Erträgen führt.
Después de preparar bien el terreno empiezo a surcar para sembrar la
papa nativa mezclado con toda variedad y en la parte baja la papa
yungaina. Lo que siembro de papas nativas son las variedades: condor
warmi, huayro, wilcu, chincus, racta frazada, así varias papas combinando
lo siembro para ver cual de ellos me rinde mejor, pero estas papas tienen
celos con la papa mejorada, resulta pues que ambas tienen buena cosecha
y de competencia producen de cuatro a cinco kilos por mata (Cipriano
Armas Urpichallay 1999: 53).
Abb. 13: Chacra mit lluta papa
Quelle: Urpichallay.
67
Einen weiteren Vorteil der Zuweisung lokaler Sorten auf kleine Abschnitte in
verschiedenen chacras erläuterte Don José (INT8), dessen chacra von
weidenden Tieren, Frost und Schädlingen heimgesucht worden war. Da er auch
an anderer Stelle lluta papa angebaut hatte, zeigte er sich zuversichtlich, dort
bessere Erträge zu erreichen. Die Vicosinos verfügen über eine Vielzahl
risikominimierender Praktiken. So werden Kartoffelfelder oft mit einer Reihe
chocho umgeben, um den Schädlingswurm gorgojo fernzuhalten. Häufig
werden Kartoffeln auch zusammen mit oca, olluco, mashua und quinoa
angepflanzt (Urpichallay 1998:7). Dies kann sich als Vorteil für die Kartoffeln
erweisen, da olluco und mashua weitaus weniger anfällig für Schädlinge und
Pilzkrankheiten sind (Gade 1975: 49).
5.3.2 Pflege
In ihrer Wachstumsphase ist die Kartoffel besonders anfällig für Schäden durch
extreme Wetterlagen, Pflanzenkrankheiten und Plagen. Die Vicosinos verfügen
über verschiedene Strategien, um mit dieser Bedrohung umzugehen.
Ca. zwei Monate nach der Aussaat beginnt der erste aporque (Anhäufeln), bei
dem
die
Kartoffelpflanzen
mit
Erde
aufgehäuft
werden,
um
die
Knollenentwicklung anzuregen. Bei dieser Gelegenheit entfernen die Bauern
Unkraut und wenden, falls nötig und möglich, Dünger und Pflanzenschutzmittel
an. Einen Monat später wird der Vorgang wiederholt (Urpichallay 1999: 58):
El primer aporque se hace en los meses de enero y febrero, también utilizo
un poco de abono químico para hacer reforzamiento de mis cultivos, esto
lo hago cuando tengo plata si no así nomás lo aporco, así mismo hago el
control fitosanitario contra la enfermedad de la rancha, compro Furadán
con adherente.
El segundo aporque lo practico a los fines de enero, o febrero, depende
cómo he puesto mis semillitas, nuevemente hecho el Furadán junto con
abono foliar más adherente, cuando hay mucha lluvia hago el control 5 a 6
veces. De esta manera evito la enfermedad. Así mismo tengo que cuidar
de los daños de los animales (Francisco Evaristo Cruz in Urpichallay 1999:
58).
Die Anwendung von chemischen Düngemitteln fällt in der Quebrada insgesamt
geringer aus als in den unteren Stufen. Dies hängt zum einen damit zusammen,
dass die Böden der höheren Lagen durch lange Brachzeiten weniger
68
beansprucht sind. Oft sind auch die finanziellen Möglichkeiten der Bauern
ausschlaggebend für die verwendeten Mittel. Allgemeine Praxis ist die
Verwendung organischen Düngers aus verwesendem Pflanzenmaterial (abono
foliar) oder Tierdung (guano de corral).
In den unteren Stufen halten die
Bauern nach alter Tradition ihre Tiere einige Zeit in beweglichen Gehegen auf
ihren Feldern (majadeo). Zudem verwenden heute viele vermehrt den an der
Küste produzierten Vogeldung (guano de la isla, guano de gallina).
- antes no curaban la papa nativa, daba bien, hoy ya no, después de
Vázquez empezó el abono con guano de la isla (Don Julio INT2).
- para buena cosecha antes usaba majadeo, hoy el 50% es abono
sintético, hasta los años 65-70 se usaba puro guano de la isla, hoy
venden este guano mezclado con tierra, los Peruanos estamos
malogrados con la plata, ahora se usa más guano de gallina de la costa
(Don Manuel INT7).
Die natürlichen Gefahren für die chacras werden von den Vicosinos teilweise
auf menschliches Fehlverhalten zurückgeführt. Das folgende Zitat beschreibt
die Entstehung des gorgojo-Wurms als Folge mangelnden Respekts eines
Vicosinos gegenüber seiner Mutter:
Mis abuelos cuentan sobre la plaga de gorgojo de los Andes. Dice un señor
de Vicos se fue de yerno a la comunidad Túpac Yupanqui. Se acostumbró
y se dedicó a sembrar papa y logró una buena cosecha. Su mamá – luego
de un largo tiempo – se recordó de su hijo quién no se acordaba de ella.
Cuando su hijo estaba cosechando papa, ella dijo: voy a hacer cambio con
mi trigo estaquilla de 8 kilos. Se fue la señora y cuando se acercaba a la
chacra de cosecha de papa, su hijo se dió cuenta que su mamá estaba
entrando, y le dijo a su esposa: tápame con la hoja de papa para que mi
mamá no me vea. Su esposa lo tapó cumpliendo el mandato de su esposo.
Su mamá llegó a la chacra de cosecha de papa y encontró solamente a los
familiares de su nuera, al no ver a su hijo se regresó con pena llorando. Al
ver que su suegra regresaba, la esposa recién descubrió a su esposo de
las hojas de papa, cuando hizo ésto encontró solamente papa curu,
gorgojo de los Andenes. Desde ese momento el gorgojo empezó a
incrementar, a malograr a las papas (Juan in Urpichallay 1999: 29).
Ähnlich werden auch klimatische Ereignisse gedeutet. So kann Hagel mit der
heimlichen
Abtreibung
eines
Kindes
in
Verbindung
gebracht
werden,
Wirbelwinde wiederum deuten auf einen Fall von Inzest hin (Urpichallay 1998:
9). Um Ernteschäden abzuwenden und die Harmonie in der Gemeinschaft von
Mensch und Natur wieder herzustellen, waren früher die traditionellen
Auroritäten (varayoq) dafür verantwortlich, einem Vergehen nachzugehen und
69
es gegebenenfalls zu bestrafen (Stein 2000: 170-171). Bis heute organisieren
sie Messen, um für Regen zu beten oder achten darauf, dass in der comunidad
keine Frau abtreibt (persönliche Mitteilung Urpichallay).
Durch genaue Beobachtung der Natur lassen sich bestimmte Gefahren
vorhersagen. So haben die Bauern die Möglichkeit, Schutzmaßnahmen zu
treffen:
-
si en las estrellas se ve una barreta que se cae significa helada (Don
Victor S. INT21).
Don Agostín (INT22) beschreibt verschiedene Praktiken zur Vorbeugung von
Frostschäden, indem man zum Beispiel Salz auf der chacra verteilt oder ein
Feuer errichtet. Früher pflegten die varas den Frost auch durch Schläge mit
einer Peitsche von den Feldern zu vertreiben.
Auch Träume werden als Zeichen gedeutet, beispielsweise wenn die chacra in
menschlicher Gestalt auf ihre Bedrohung durch weidende Tiere hinweist:
-
cuando sueño con que yo o un niño está llorando, es mi chacra en la
Quebrada Honda deciendome los animales se me están comiendo
(Gruppe INT1).
All die vorangegangenen Beispiele zeugen von einem Dialog mit der Natur, der
es ermöglicht, Gefahren zu erkennen und abzuwehren.
5.3.3 Ernte
Die Reifezeit der Kartoffel beträgt ca. sechs Monate. Einige Wochen vor der
Ernte
werden
bei
Kurzbesuchen
in
der
Quebrada
die
Blätter
der
Kartoffelpflanzen abgeschnitten und als Tierfutter verwendet (Urpichallay 1999:
58). Außerdem werden einige Kartoffeln zur Probe geerntet. Daran können die
Vicosinos absehen, wann der beste Zeitpunkt für die Ernte ist und so die
entsprechenden Vorbereitungen treffen. Außerdem werden die Kartoffeln durch
die Probe veranlasst, ihren Reifeprozess in einer Art Wettbewerb zu
beschleunigen.
-
Ahora están probando a la chacra cuando será listo para cosechar,
cuando madura las hojas empiezan a amarillarse, éste es el momento
para probar los primeros tubérculos, después de la primera prueba
empieza a madurar más rápido para ganar a las chacras que no están
70
probadas, las papas que no han sido probadas no quieren quedarse en
la chacra, quieren irse al almacén (Gruppe INT1).
In der Quebrada Honda beginnt die Ernte im Mai, wobei die Hauptphase – die
cosecha grande – in die Monate Juni und Juli fällt. Zu diesem Anlass ziehen die
Bauern mit ihren Familien für mehrere Tage in Höhlen und Hütten in die Nähe
ihrer chacras.
Es gibt zwei Arten der Ernte, die Familienernte (cosecha familiar) und die
gemeinschaftliche Ernte des Sektors (cosecha del sector). An erster sind
überwiegend Familienangehörige beteiligt, an zweiter die Mitglieder des
jeweiligen Sektors.
Geerntet wird je nach Größe der chacra mit chuzo und/oder Pflug. Abb. 14 zeigt
Vater und Sohn bei der Ernte mit chuzo. Oft werden bereits die neuen chacras
für die folgende Anbausaison geöffnet. Das folgende Zitat beschreibt den
typischen Handlungsablauf der cosecha familiar :
-
en Junio hay dos actividades en la cosecha familiar: uno, los varones
abren una nueva chacra que anterioramente estaba en descanso y dos,
las mujeres y hijos pequeños cosechan con chuzos, como son chacras
pequeñas no se necesita buye, despues varones llegan para cargar,
siempre tenemos ayuda de familiares como sobrinos, hermanos...
(Gruppe INT1).
Abb. 14: Don José mit seinem Sohn bei der Ernte
Quelle: Eigene Aufnahme 2005.
71
Abb. 15: Ernte in faena comunal in der Quebrada Honda
Quelle: Eigene Aufnahme 2005.
Während bei der Familienernte auch Frauen und Kinder ernten, werden die
großflächigen chacras der Sektoren unter Einsatz des Ochsenpflugs und
überwiegend von männlichen comuneros abgeerntet (Abb. 15). Die Frauen sind
für die Zubereitung des Essens zuständig, darüber hinaus hüten sie Pferde,
Stiere und Esel. Häufig lassen sie diese auf den abgeernteten Feldern weiden,
während sie selbst mit den Kindern beim rastrojeo nach Kartoffeln suchen, die
bei der Ernte übersehen wurden (Abb. 15). Die Männer kümmern sich
schließlich um den Transport der Kartoffelsäcke auf Pferden oder Lastwagen.
Bei der gemeinschaftlichen Ernte wird zuvor das Saatgut für das nächste Jahr
aussortiert und der übrige Ertrag mit Hilfe einer Waage gleichmäßig auf alle
comuneros aufgeteilt. Bei der cosecha familiar erhalten ebenfalls alle Helfer
einen Teil der Ernte (pellé). Eine genauere Erläuterung der traditionellen
Arbeitsregelungen minka und faena comunal erfolgt im anschließenden Kapitel
5.3.4.
Das folgende Zitat zeigt, dass die Ernte mehr beinhaltet als das Einholen der
Kartoffelerträge. Sie ist ein soziales Ereignis, zu dem auch festliche Speisen
und eine ausgelassene Stimmung gehören:
Para la cosecha siempre acostumbramos reunir a nuestras familias para
que vengan en la cosecha y junto con ellos cosechamos con yunta; [...]
Todos en la cosecha sacan su cuwe (papa grande de la cual el cosechador
se enamora) y se llevan como recuerdo de la cosecha. Las señoras se
encargan de cocinar para medio día, hacen papa yanu, tambíen ese día
72
preparan su papa cashqui con su cuy y también su pachamanca que
denominamos huatia, en esta huatia lo ponemos de todo, echamos habas,
choclo, papa.
En la cosecha no falta el ismu ó papa podrida, con esa papa jugamos
todos, niños y adultos, los varones, y así pues cosechamos alegremente
nuestras papitas y las papas también están contentas y más todavía
aumenta la cosecha cuando jugamos así. Luego casi para terminar se le
da su pellé a cada uno (Cipriano Armas in Urpichallay 1999: 49).
Die Kartoffeln sind nicht nur Nahrungsmittel, sondern tragen vielmehr als Teil
der Familie zur allgemeinen Geselligkeit bei.
Im Hinblick auf die Kommunikation unter den Bauern spielt die Ernte eine
wichtige Rolle. Aktuelle Erträge werden im Vergleich mit den Vorjahren
ausgewertet, Darlehen werden verrechnet und Verkauf und Transport mit
verschiedenen Bauern abgestimmt. Anekdoten von vergangenen Ernten
werden in Erinnerung gerufen und verschiedene Nutzungsmöglichkeiten
bestimmter Sorten diskutiert (Salas 1996: 172).
5.3.4 Organisation der Arbeit
In manchen Momenten des Anbaus reicht die Arbeitskraft der Familie nicht aus,
weshalb
die
Vicosinos
sich
in
Solidaritätsgruppen
zur
gegenseitigen
Unterstützung zusammenschließen. Bei der minka erfolgt die Arbeitsleistung im
Austausch gegen Verpflegung sowie einen festgelegten Teil der Ernte (pellé).
Wie bereits im Zusammenhang des Saatguterwerbs dargestellt wurde, ist das
pellé vor dem Hintergrund traditioneller Tauschbeziehungen sowohl Geschenk
als auch Bezahlung.
Beim rantín wird eine Arbeitsleistung zu einem anderen Zeitpunkt erwidert. Die
Vicosinos pflegen in diesem Zusammenhang den Leitspruch „ware qampata,
waratin nokapata" oder „hoy por ti, otro día por mi". Auch hier erfolgt die
Verpflegung der Helfer durch den Besitzer der chacra. Der aporque wird meist
mit Hilfe des rantín erledigt, da er sehr arbeitsaufwendig ist und noch keine
Ernte zu verteilen ist (Gruppe INT10; Don Manuel INT11).
Minka
und
rantín
werden
heute
noch
überwiegend
zwischen
Familienmitgliedern und engen Freunden ausgeübt. Wie man den Aussagen
der Bauern entnehmen kann, hat die minka im Vergleich zu früher an
73
Popularität verloren. Viele bevorzugen es nach jornales, das bedeutet mit 10
soles pro Arbeitstag, entlohnt zu werden. Teilweise hat mit der Verkleinerung
der chacras auch der Bedarf an Hilfskräften abgenommen:
-
ya no trabajan tanto con minka, más con sueldo (Don Pablo R. INT9).
-
ya no practican minka, peones son pagados con jornal porque el
gobierno lo decidió (Gruppe INT10).
-
hoy vienen a pedir jornal que son 10 soles, ya no quieren pellé porque el
precio de papa está muy bajo, pero hay que dar comida al medio día
(Don Manuel INT7)
-
antes se trabajaba en minka, hoy poco porque los terrenos son cada vez
más chicitos y hay cada vez más gente (Don Agostín INT22).
Der Anbau auf den chacras der Sektoren erfolgt in der gemeinschaftlichen
Arbeit aller comuneros (faena comunal).
40
Der Ertrag wird nach Abzug des
Saatguts für das nächste Jahr auf alle verteilt. Die jeweilige Führung des
Sektors ist für die Organisation und Überwachung der Arbeit zuständig. Die
Teilnahme ist für die comuneros verpflichtend. Bei Mißachtung werden Strafen
verteilt in Form eines Tageslohns (jornal oder trimestre), wobei auch von
Ausnahmen berichtet wird:
-
no participo en la faena comunal, mando trimestres (Don Agostín INT22).
-
no voy a participar en la faena comunal de Cachipachan, pero no me
ponen multa, solo te ponen multa si faltas después de participar desde el
principio (Don José INT8).
Im Rahmen aller drei Arbeitsregelungen spielt die Bereitstellung von Essen,
Kokablättern, Zigaretten und Alkohol eine wichtige Rolle. Kommt der Besitzer
der chacra seiner Verpflichtung nicht nach, wird die Arbeit als wertlos
angesehen, wie dieses Zitat aus der Zeit der Hazienda zeigt:
Cuando uno tiene que regar de noche porque el agua no alcanza, la
Hacienda no nos da nada. Nosotros tenemos que amanecer sin alcohol,
sin cigarros y coca. Así no hay valor... (Eugenio Leiva in Stein 2000: 205).
Die folgenden Aussagen geben Hinweise auf die verschiedenen Funktionen der
Koka und ihre Bedeutung für die Arbeit.
40
Zu den weiteren Arbeiten, die in faena comunal erledigt werden, gehören all diejenigen, die
dem Gemeinwohl der Vicosinos dienen, z.B. Wegeausbesserung, Brückenbau,
Kanalreinigung, u.a..
74
-
en la faena comunal tenemos el costumbre del boleo donde nos
sentamos a chacchar, tomar y conversar entre las 10 y 11 de la mañana
(Gruppe INT19).
-
chacchar coca es para devolver a los apus y la chacra, da ánimo se
dice, los jovenes ya no chacchan, solo en la Quebrada Honda chacchan,
abajo no (Don Octavio INT4).
-
la forma de como sale la coca de la boca le dice si va a avanzar en su
trabajo, media hora antes de empezar a trabajar chaccha coca para
perdir ayuda de la pachamama, su primo ya no chaccha, sus abuelos sí
y el también (Don Manuel INT7).
-
cuando llegamos a la chacra chacchamos coca, siempre dejamos un
poco bajo una gran piedra para los apus, jircas y la pachamama (Don
Manuel INT11).
En la tarde ya cuando estamos cansados de cosechar nos ponemos a
catipar o chacchar (masticar coca) en nombre de los abuelos de ambas
cordilleras que tenemos en nuestra Quebrada Honda, lo invocamos
siempre Hatún Senca y cerro Virgen Asunciona, frente a ellos siempre
pedimos a que nos cuide, para que no nos pase nada durante toda la
semana que nos quedamos, solo así dormimos tranquilos (Juan Reyes
Mendoza in Urpichallay 2001).
Der Akt des Kokakauens (chacchar) erfolgt in bestimmten Momenten der Arbeit
(boleo), zum Beispiel eine halbe Stunde vor Arbeitsbeginn, zwischen zehn und
elf Uhr vormittags und nach der Arbeit (Abb. 16). In diesen Momenten wendet
41
sich der Bauer zunächst an die apus, jircas und die Pachamama und bittet sie
um ihre Unterstützung. Üblicherweise werden ihnen auch einige Kokablätter
überlassen, die der Bauer zum Beispiel unter einem Stein auf der chacra
plaziert. Die Koka dient den Vicosinos auch als eine Art Orakel. Je nachdem mit
welchem Ende zuerst ein Kokablatt aus dem Mund kommt, kann der Bauer
erkennen, ob seine Bestrebungen von Erfolg gekrönt sein werden, oder nicht.
Durch das Kokakauen sehen sich die Bauern in einer Linie mit ihren Vorfahren.
Allerdings praktizieren jüngere Vicosinos diesen Brauch nur noch teilweise, am
ehesten in der Quebrada Honda, was sicherlich damit zusammen hängt, dass
dort der Anbau in unmittelbarer Nähe zu den apus und mit eher traditionellen
Praktiken stattfindet.
41
Jircas sind Gottheiten in Felsen.
75
Abb. 16: Vicosinos beim boleo
Quelle: Florencia Zapata.
Wagner beschreibt das Kokakauen treffend als Routine und Ritual (1976: 196),
mit deren Hilfe sich die Bauern zeitlich (Strukturierung des Arbeitstages),
räumlich (Bezug zur lokalen Umwelt) und religiös (Verehrung der lebendigen
Umwelt) orientieren (Wagner 1976: 202-203). Dabei dient Koka nicht nur zur
Festigung der Beziehung zwischen Mensch und Gottheiten, sondern ebenso
zur Besiegelung reziproker Arbeitsregelungen unter den Menschen. „La coca
(junto con el alcohol) es el vehículo cultural adecuado de expresión de dar y
recibir, obligación y contra-obligación, que une la sociedad andina“ (Wagner
1976: 213). Es existiert eine Etikette, wonach festgelegt ist, wer Koka wann und
wie anzubieten hat. In gleicher Weise ist die Verteilung von Essen und Alkohol
von einer Reihe ritualisierter Handlungsschritte geregelt. Eine Einladung zum
Trinken wird stets dankend angenommen und vor Leeren des Bechers mit den
Worten „te invito“ an den nächsten weitergegeben. Das Servieren des Essens
erfolgt durch die Frauen, wobei die angesehensten Personen zuerst bedient
werden. Anschließend laden die Männer ihre Frauen und Kinder ein, indem sie
ihnen einen Teller servieren.
Dies kann erklären, weshalb Eugenio Leiva die Arbeit ohne Koka, Alkohol und
Zigaretten als wertlos bezeichnete. Zum einen können Pachamama und apus
nicht angemessen um Unterstützung gebeten werden, zum anderen bringt eine
Verletzung der Etikette das Gleichgewicht sozialer Beziehungen durcheinander.
76
6 Kontinuität und Wandel
Nachdem im vorherigen Kapitel gezeigt wurde, wie die Vicosinos Vielfalt,
Saatgut und Anbau handhaben, geht es nun darum, die kulturellen Aspekte
hervorzuheben, die dem Umgang mit Kartoffelvielfalt zugrunde liegen.
6.1 Kulturelle Faktoren der Erhaltung
Aus den Aussagen der Bauern und den Beobachtungen vor Ort lassen sich
verschiedene kulturelle Faktoren erkennen, welche die Erhaltung von
Kartoffelsortenvielfalt fördern.
Zunächst kann festgestellt werden, dass die Kartoffelsortenvielfalt an sich für
die Vicosinos einen Wert besitzt. So zeigen die Bauern ein großes Interesse für
die Verschiedenheit von Kartoffeln, zum Beispiel in angeregten Diskussionen
über
Form,
Farbe
u.a.
Die
Erscheinung
der
Pflanzen
wird
genau
wahrgenommen. Entdecken sie eine ihnen unbekannte Blüte, bemühen sie sich
neugierig darum, diese Kartoffel in den eigenen Anbau zu integrieren. Zudem
herrscht bei den Bauern eine allgemeine geschmackliche Vorliebe für lokale
Kartoffelnsorten. Die besondere Wertschätzung der lokalen Sorten äußert sich
darin, dass die Bauern sie gerne mit Familie und Verwandten teilen, gerade
wenn diese nicht über die jeweiligen Sorten verfügen.
Der Anbau der Kartoffel erfolgt in mehrfacher Hinsicht gemeinschaftlich. Zum
einen sind alle Mitglieder einer Familie durch jeweils unterschiedliche Aufgaben
eingebunden. Männer übernehmen eher körperlich schwere Arbeiten wie
Pflügen, Transport der Ernte. Die geschlechterspezifische Arbeitsteilung
spiegelt das Weltbild wider, in dem Frauen eine lebensspendende Rolle
innehaben. Dadurch werden sie mit der Pachamama verbunden, was sie für
den Umgang und die Pflege des Saatguts ‚prädestiniert’. Auch die Kinder sind
von klein auf in die Arbeiten auf dem Feld eingebunden. In gleicher Weise
erfolgt der Anbau auf den gemeinschaftlichen chacras in Zusammenarbeit aller
Mitglieder eines Sektors.
77
Die Erhaltung der Vielfalt ist ein Prozess, an dem nicht nur menschliche
Akteure, sondern auch übernatürliche Wesen
42
beteiligt sind. Letztere reichen
von den apus und der Pachamama über die Heiligen der chacra bis hin zur
Kartoffel selbst. Während apus, Pachamama und die Heiligen durch pagos,
misas und andere Rituale dazu bewegt werden den Anbauprozess zu
unterstützen, ist es bei der Kartoffel die liebevolle Pflege, die mitbestimmt, ob
die Ernte gut oder schlecht verläuft. Hinzu kommen diverse Elemente der Natur
wie Sterne, Mond, wild wachsende Pflanzen und Tiere, die die Anbauphasen
durch ihre Zeichen lenken. Der Dialog mit der Natur ist ebenso wichtig, wie die
einzelnen technischen Anbauschritte.
Besonders in der Sprache der Bauern lässt sich die tiefe persönliche Beziehung
zwischen Bauer und chacra erkennen. Die persönliche Beziehung spiegelt sich
auch in zahlreichen Kartoffelnamen wieder, die oft teils humorvoll, teils liebevoll
Bezug auf verschiedene Aspekte des alltäglichen Lebens nehmen. Bestimmte
Sorten werden auch mit konkreten Ereignissen des eigenen Lebens in
Verbindung gebracht. Allgemein werden die lokalen Sorten als das Erbe der
Großväter wahrgenommen.
Schließlich ist die Rolle der Kartoffel im sozialen Gefüge menschlicher
Beziehungen zu nennen, welches bis heute stark von Reziprozität geprägt ist.
In den ritualisierten Formen
Kartoffeln
gerne
des Tauschens und Schenkens werden lokale
empfangen
und
weitergegeben.
Auf
diese
Weise
zirkulierendes Saatgut führt einerseits zur weiteren Verbreitung von Vielfalt,
andererseits zur Festigung sozialer Beziehungen.
Die
genannten
Faktoren
(geschmackliche
Vorliebe,
Anbau
als
gemeinschaftliche Aktivität, persönliche Beziehung zwischen Bauern und
chacra, reziproke Struktur sozialer Beziehungen) tragen wesentlich dazu bei,
die Vielfalt der lokalen Kartoffelsorten zu erhalten. Sie lassen sich als
Ausdrücke eines eigenen Wohlstandskonzeptes verstehen, welches Bauern in
verschiedenen Teilen Perus als allin kawsay (gutes Leben) oder vivir a gusto,
vivir tranquilo oder vida dulce auf ähnliche Weise beschreiben. Im Mittelpunkt
42
Die Vicosinos selbst nehmen diese Wesen nicht als ‚übernatürlich’ wahr, sondern als aktiven
Teil der realen Welt.
78
steht auch hier die Ackerpflege als gemeinschaftliche Aufgabe von Natur,
Mensch und Göttern in einem Dialog gegenseitigen Respekts (PRATEC 2002).
Zimmerer (1996: 60) betont die Rolle des kawsay als ein Lebenskonzept,
dessen Wurzeln auf die vorspanische Zeit zurückgehen und welches bestimmte
Ernährungsgewohnheiten beinhaltet, die zu einem Großteil auf der Vielfalt
lokaler Nutzpflanzen basieren. Allerdings ist es nicht statisch, sondern seit jeher
offen für Neuerungen.
6.2 Wandel
In den Aussagen einiger Bauern lassen sich Veränderungen erkennen, die aus
Vergleichen der heutigen Situation mit der Vergangenheit abgeleitet werden.
Sie betreffen die Abkehr von traditionellen Lagerungs- und Düngepraktiken, die
Monetarisierung von Arbeits- und Handelbeziehungen und die Abnahme des
Kokakonsums
unter
Kartoffelproduktion
den
wurde
jüngeren
ein
Vicosinos.
Rückgang
der
Im
Hinblick
Produktivität
auf
die
sowie
die
Verdrängung lokaler Sorten durch verbesserte Sorten in höhere Anbauzonen
bemerkt. Diese Entwicklungen sind Hinweise auf die bereits in Kapitel 3
geschilderten Gründe für Rückgang von Nutzpflanzenvielfalt.
Vicos bietet allerdings auch Beispiele für eine Rückbesinnung auf traditionelle
Werte. Zum einen berichteten Bauern von der Wiederaufnahme lokaler Sorten
angeregt durch Maßnahmen von Urpichallay (siehe Kap. 5.2.1). Ein anderer
Bauer berichtete von der Aufwertung der Rolle traditioneller Autoritäten im
Sektor Wiyash, verbunden mit der Begehung diverser Festakte zu Feiertagen
(Don Agostín INT22).
An dieser Stelle sollen einige entscheidende Faktoren näher beleuchtet werden,
welche eine Abkehr vom traditionellen Anbausystem bewirken. Es geht darum
aufzuzeigen, inwiefern sie kulturelle Muster verändern und/oder zum Rückgang
von Nutzpflanzenvielfalt beitragen.
79
6.2.1 Schule
Bildung wird in der modernen Gesellschaft als einer der Grundpfeiler von
Entwicklung betrachtet. Die von außen eingefügte ‚Entwicklung’ verändert die
traditionelle Anbauweise und die damit verbundenen Vorstellungen. Dass diese
Veränderungen für die biologische und kulturelle Vielfalt eine Gefahr darstellen
können, soll im Folgenden aufgezeigt werden.
In der Regel wird Bildung durch die Schule schon an Kinder weitergegeben. Die
Schule ist in erster Linie eine Einrichtung zur Vermittlung technischwissenschaftlichen Wissens. Lokales Wissen wird entweder gar nicht oder nur
als
minderwertig wahrgenommen. Dies liegt in den epistemologischen
Unterschieden beider Wissensformen begründet, die nur selten reflektiert
werden (Rengifo 2001b: 121).
Die Kinder in Vicos lernen in der Praxis des alltäglichen Lebens. Sie
beobachten und hören zu, helfen mit und imitieren dabei die Handlungen ihrer
Eltern (Costilla 2000: 140). Die Eltern fördern dies, indem sie den Kindern
schon früh Verantwortungen übertragen, z. B. durch die Zuteilung kleiner
Feldabschnitte zur selbstständigen Bepflanzung oder der Pflege von Tieren, die
später für den Erwerb der Schulkleidung verkauft werden (Costilla 2000: 137139). Die Kinder verfügen so bereits in jungen Jahren über ein breit angelegtes
Wissen über die Natur, das innerhalb der Schule allerdings keinen Ausdruck
findet, da diese außerhalb seines Anwendungskontextes liegt (Rengifo 2001b:
139).
Die Kinder beginnen ihre formelle Bildung in Vicos im Alter von ca. drei Jahren
mit dem Besuch der Vorschule (PRONOI). Der Unterricht erfolgt auf Quechua.
Da die Lehrer oft nur wenig ausgebildet sind, handelt es sich jedoch mehr um
eine Art der Kinderbetreuung. Viele Eltern schicken ihre Kinder nur wegen der
staatlich geförderten Mahlzeit dorthin (Costilla 2000: 145).
Die Educación Primaria für Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren erfährt die
höchste Beteiligung. Das Verhältnis zwischen Lehrern und Eltern ist allerdings
von gegenseitigen Vorwürfen der mangelnden Unterstützung und des
fehlenden Verständnisses geprägt (Costilla 2000: 146-147).
80
Für die
Bauern stellt die Schule eine Ergänzung, nicht die Grundlage der
Wissensbildung dar. Dies äußert sich darin, dass Kinder, die lernen wollen, von
ihren Eltern nach Kräften unterstützt werden. Letztere sehen in der Schule die
Möglichkeit, elementare Regeln des Stadtlebens zu erlernen. Allerdings wird
der Wunsch eines Kindes, die Schule nicht weiter besuchen zu wollen, ebenso
akzeptiert (Costilla 2000: 149-150).
Die fehlende Verbindung zwischen Schule und comunidad, gepaart mit
unzureichenden Kapazitäten (niedriges Lehrergehalt, Materialmangel, u.a.)
können als ein wesentlicher Faktor dafür angesehen werden, dass sich die
Fundamente der andinen Kultur, trotz einer jahrzehntelangen Schultradition und
ihrem erklärten Ziel moderner Bildung, durchsetzen konnten (Costilla 2000:
151-152).
Etwas
anders
verhält
es
sich
mit
der
Educación
Secundaria,
der
weiterführenden Schule, die außerhalb der comunidad liegt. Von 30
Absolventen der Primaria gehen zehn weiter auf die Secundaria, wobei aber
nur zwei einen Abschluss erreichen. Moderne Lerninhalte und der Einfluss des
Stadtlebens fördern Individualismus und Wettbewerb, was dazu führt, dass sich
junge Vicosinos von ihrem familiären Leben in der comunidad entfremden, oft
geringschätzig über die eigene Kultur urteilen und häufig in die Städte migrieren
(Costilla 2000: 152).
Den Kontrast zwischen Schule und comunidad beschreibt auch einer der
befragten Vicosinos. Er wurde von seinem Vater auf die Secundaria nach
Huaraz geschickt, konnte sich jedoch nicht an das dortige Leben gewöhnen:
„Me chocó, lloré, no quería volver“. Seine Entscheidung, die Schule nicht
weiter zu besuchen, sieht er heute als Fehler: „Fue mi culpa que no haya
podido avanzar“. Um seinen Söhnen diese Erfahrung zu ersparen und ihnen
dennoch eine gute Schulbildung zu ermöglichen, zog er mit seiner Familie nach
Huaraz. Dort arbeitet er als Gärtner, pflegt aber auch weiterhin seine chacras in
der comunidad. Dabei ist es ihm wichtig, dass auch seine Söhne an den
Wochenenden an der Pflege der chacras und dem Leben in der comunidad
teilnehmen.
81
Die Schule wird von den Bauern im Allgemeinen positiv bewertet, da sie die
Möglichkeit bietet die Regeln der städtischen Industriezivilisation zu verstehen,
die mit hegemonialem Anspruch in das bäuerliche Leben einbricht. Dabei
suchen die Bauern den Austausch, nicht die Vermischung lokalen und fremden
Wissens. Sie kennen die Grenzen der Schule und bewegen sich innerhalb
dieser, ohne sich selbst zu entfremden (Rengifo 2001b: 136-137).
6.2.2 Intensivierung der Landwirtschaft
Wie in Kapitel 3 und Kapitel 5 gezeigt, begünstigen traditionelle Anbausweisen
in verschiedener Hinsicht eine hohe agrobiologische Vielfalt. Veränderungen
dieser
Anbauweisen
durch
eine
zunehmende
Marktintegration
und
Intensivierung der Landwirtschaft stellen folglich eine Gefahr für die Vielfalt dar.
Diese Problematik soll im Folgenden näher beleuchtet werden.
Moderne Intensivierungsmaßnahmen beruhen in der Regel auf dem in Kapitel
3.3 beschriebenen technisch-wissenschaftlichen Wissen, nach welchem die
Natur in erster Linie als Ressource betrachtet wird, die zum Nutzen des
Menschen ausgebeutet werden kann. Gerade der Markt betont den materiellen
Wert von Anbauprodukten. Die Kartoffel wird zur Ware, rituelle und soziale
Bedeutungen treten in diesem Zusammenhang in den Hintergrund (Kessel
1992: 202).
Dies lässt sich am Beispiel der Entwicklung neuer Kartoffelsorten durch
Wissenschaft und Unternehmen verdeutlichen. Dabei wird zunächst ein Idealtyp
festgelegt, der den Sorten der traditionellen Landwirtschaft überlegen sein soll.
Ein Hauptkriterium ist dabei häufig der Ertrag. Im zweiten Schritt wird ein
Gentyp geschaffen, der dem gewünschten Ideal weitestgehend entspricht.
Zuletzt werden die phenotypischen Bedingungen abgeleitet und getestet, unter
denen die Vorteile des neuen Gentyps zur Wirkung kommen. Die Folge ist,
dass nicht mehr, wie im traditionellen System, die heterogene Umwelt den
Ausgang aller gentypischen Entwicklungen bildet, sondern der Gentyp die
anzustrebenden phenotypischen Bedingungen vorgibt. Mit der Einführung einer
neuen Kartoffelsorte hängen daher eine ganze Reihe begleitender Maßnahmen
zusammen. Um die idealen Anbaubedingungen zu schaffen, müssen von den
82
Bauern
beispielsweise
zeitlich
klar
festgelegte
Dünge-
und
Wässerungsperioden eingehalten werden. Oft resultieren daraus grundlegende
Veränderungen des traditionellen Anbaurhythmusses (Ploeg 1993: 217-219).
Die Einführung verbesserter Kartoffeln ist mit neuen Produktionsmitteln und
-techniken, der verstärkten Beteiligung an verschiedenen Märkten und dem
Erwerb technisch-wissenschaftlichen Wissens verbunden. Dies führt zu einem
System verstärkter Abhängigkeiten, da die erforderlichen Mittel (Kredit,
Düngemittel, technisches know-how, etc.) nicht von den Bauern selbst
entwickelt oder kontrolliert werden (Ploeg 1993: 220-221).
Brush untersuchte die Auswirkungen von landwirtschaftlicher Intensivierung und
der
Einführung
verbesserter
Sorten
in
zwei
Tälern
(Tulumayo
und
Paucartambo) im zentralen und südlichen Peru. Dabei zeigte sich, dass die
Bauern Tulumayos mit ihrer längeren Modernisierungserfahrung eine geringere
Fläche für den Anbau lokaler Sorten nutzte, die Sortenvielfalt gemessen an der
durchschnittlichen
Sortenzahl
pro
Haushalt
jedoch
höher
lag
als
in
Paucartambo. Die Hypothese ‚Grüne Revolution’ führe zu genetischer Erosion,
konnte damit nicht bestätigt werden. Was allerdings festgestellt wurde, war eine
Änderung in der Populationsstruktur. Zum einen etablierten sich verbesserte
Sorten überwiegend in den unteren Anbaustufen, was zu einer Verdrängung
lokaler Sorten nach oben führte. Zum anderen wurden auch einzelne lokale
Sorten für den Verkauf vermehrt angebaut. Die Tatsache, dass der
kommerzielle Anbau an sich kein neues Phänomen ist, lässt vermuten, dass
eine ausgeglichene Verteilung lokaler Sorten auch früher nicht gegeben war
(Brush 1992:156-159). Die Verdrängung lokaler durch verbesserte Sorten hat
auch in Vicos stattgefunden und wird von den Bauern durchaus kritisch
wahrgenommen. Gleichzeitig zeigen sie sich kreativ in der Erschließung
höherer Anbaugebiete, um ihre lokalen Sorten nicht zu verlieren.
43
Las papas nativas aquí nomás daban antes, pero ahora están subiendo
poco a poco al pie de los cerros, como es Ishpanca, Jallkacancha,
Llamapampa, Ruripaccha, en estas partes nomas ya da estas papas llutas,
porque ellas también se resienten, no ves que todos comenzamos a
sembrar papa mejorada, es por ello que se han ido a partes mas altas,
43
Die Ausdehnung des Kartoffelanbaus nach oben wird auch durch den Klimawandel begünstigt.
83
pero mi esposo sabe donde da esas papas el siempre busca chacras que
le gusta a esta papa nativa, para que no se alejen de mi casa (Maria
Chilena in Urpichallay 2001).
Brush weist darauf hin, dass sich in Handhabung, Selektion und Gebrauch
verbesserter und lokaler Sorten keine einfachen Dichotomien aufzeigen lassen.
Jedes Feld kann Elemente traditioneller und exogener Technologien aufweisen.
Beide Sortentypen werden sowohl zum Eigenkonsum als auch zum Verkauf
verwendet. Die Selektion wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, zu
ihnen zählen kulturelle Identität, Geschmack, Risiko, Ertrag und kommerzielle
Nachfrage (Brush 2000: 297-299). Wie aus Kapitel 5 ersichtlich wurde, lassen
sich in Vicos ähnliche Tendenzen feststellen.
Einige Studien ergaben, dass es nicht unbedingt die reicheren Bauern sind, die
ihren Anbau komplett auf verbesserte Sorten umstellen, sondern eher Bauern
mittleren Wohlstands, denen die Produktionsmittel fehlen, um neben dem
kommerziellen
Anbau
ihre
alten
Sorten
zu
behalten.
Während
die
wohlhabenden Bauern lokale Sorten bewusst zur Pflege sozialer Beziehungen
und im Rahmen traditioneller Feste einsetzen, erfolgt der Anbau lokaler Sorten
bei ärmeren Bauern oft aus Mangel an Alternativen (Ploeg 1993: 223, Zimmerer
1996: 93). Derartige Zusammenhänge konnten für Vicos nicht untersucht
werden.
6.2.3 Konsumwandel
Wandel im Konsumverhalten ist kein neues Phänomen. Schon in vorspanischer
Zeit wurden viele Nutzpflanzen aus anderen Teilen des amerikanischen
Kontinents in den Anden eingeführt, beispielsweise Mais aus Mesoamerika.
Bereits kurz nach der Eroberung forcierten die Spanier den Anbau vieler
Produkte aus Europa und seinen Kolonien. Zunächst bevorzugten die
Andenbewohner allerdings ihre eigenen Anbautechniken und -produkte. Die
Übernahme neuer Nutzpflanzen in den eigenen Konsum erfolgte nach genauer
Abwägung der Vor- und Nachteile und dauerte teilweise mehr als 100 Jahre
(Gade 1975: 62-65). Um 1800 wurden Weizen und Gerste in den andinen
Speiseplan aufgenommen, nach 1826 kamen Ackerbohnen und Erbsen hinzu
84
(Zimmerer 1996: 60).
44
Auch in Vicos bilden Weizen und Gerste die Basis
zahlreicher traditioneller Mahlzeiten.
The willingness of Quechua farmers to adopt the valuable new crops signals
their readiness to test worthy additions. They definitely preferred, however, that
the adoptions serve to complement existing crops rather than replace them
(Zimmerer 1996: 60).
Heute sind es vor allem Marktwaren, wie Nudeln und Reis, die einen Wandel
der Ernährungsgewohnheiten hervorrufen. Tapia und de la Torre (1998: 40)
sehen darin eine Gefahr, da durch den zunehmenden Konsum nährwertarmer
und fremder Nahrungsmittel gerade in armen Haushalten das Wissen über
traditionelle Zubereitungspraktiken und lokale Sorten weniger Anwendung findet
bzw. verschwindet. Eine Gewöhnung an den Konsum teurer und fremder
Nahrungsmittel ist zudem schwierig umzukehren und kann zu einer dauerhaften
Verschlechterung der Ernährungssituation führen.
Ein allgemeiner Konsumwandel hat auch Einfluss auf den Kartoffelkonsum. Es
gibt allerdings Beispiele die belegen, dass neue Konsummuster die lokalen
Kartoffelsorten nicht komplett vom Speiseplan verdrängen konnten. Dies lässt
sich
sicherlich
auf
die
von
den
Bauern
geäußerte
geschmackliche
Überlegenheit gegenüber den verbesserten Sorten zurückführen. Im Bezug auf
lokale Sorten der Kartoffel und andere andinen Nutzpflanzen ist sogar eine
steigende Wertschätzung festzustellen. Während ihr Anteil am bäuerlichen
Speiseplan abnimmt, steigt ihr Status als Prestige- und Luxusobjekt gerade bei
reicheren Bauern (Zimmerer 1996: 95-96).
Ein weiterer Impuls zur Aufwertung lokaler Sorten geht von den Städten aus, in
denen die neue andine Küche (novoandina) als Gegenbewegung zum Fastfood
eine Rückbesinnung auf den Nährwert andiner Produkte propagiert (Fries 2000:
325).
44
Diese Angaben beziehen sich auf das Paucartambotal im Hochland Südperus. Regionale
Unterschiede in Dauer und Intensität der Verbreitung neuer Konsummuster sind
wahrscheinlich.
85
6.2.4 Protestantismus
Der Einfluss religiöser, insbesondere protestantischer Gruppen wird in der
Literatur über die Anden sowie von lokalen Experten in Vicos als ein weiterer
Faktor dafür angesehen, dass Bauern traditionelle Anbauweisen und damit
auch lokale Sorten aufgeben. Protestantische Missionare untersagen den
Glauben an Naturgottheiten wie Pachamama und apus und boykottieren
religiöse Ämter und Pflichten. So wird beispielsweise die Ausrichtung von
Patronatsfesten
abgelehnt,
welche
von
den
traditionellen
Autoritäten
ausgerichtet werden und in enger Verbindung zum calendario agrofestivo
stehen. Die persönliche Entwicklung durch Arbeit und Disziplin steht für die
protestantischen Gruppen im Vordergrund. Zeremonielle Ausgaben etwa für
Alkohol und die Verpflichtung von Musikgruppen, die bei Festen eine wichtige
Rolle spielen, sind mit der protestantischen Philosophie nur schwer vereinbar.
Oftmals kommt es zu Spannungen zwischen den Mitgliedern einer Familie oder
comunidad, wenn Bauern in Folge des Übertritts zum Protestantismus ihre
reziproken Pflichten in der comunidad vernachlässigen (Zimmerer 1996: 215216; persönliche Mitteilung Beatriz Rojas). Isbell (1978: 240) stellte Anfang der
siebziger Jahre fest, dass vor allem die reichsten und die ärmsten unter den
Bauern
empfänglich
waren
für
die
Übernahme
der
protestantischen
Religionszugehörigkeit.
Dass Konvertieren jedoch nicht unbedingt zur Aufgabe sämtlicher traditioneller
Bräuche und Gewohnheiten führen muss, zeigt sich daran, dass in einigen
Fällen Vielfalt, traditionelles Essen, rituelle Segnungen und Orientierung an
Kalenderheiligen dennoch beibehalten werden (Zimmerer 1996: 216).
86
7 Schlussbetrachtung
Das Thema dieser Arbeit war ‚In-situ-Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt am
Beispiel andiner Bauern in Vicos, Peru’. Ziel der Arbeit war es, die kulturellen
Faktoren zu untersuchen, die eine Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt
begünstigen. Dies geschah am Beispiel des Kartoffelanbaus durch die Bauern
in Vicos.
Im Mittelpunkt der Untersuchung standen die Entscheidungen der Bauern
hinsichtlich der ‚Unterscheidung’, ‚Nutzung’, ‚Saatgutquelle’, ‚Anbaupraktiken’
und ‚Organisation’ der Kartoffeln. Durch die Betrachtung dieser direkten
Einflussfaktoren
auf
die
Vielfalt
von
Kartoffelsorten
konnten
folgende
Ergebnisse gezeigt werden:
ƒ
Unterscheidung: Lokale Sorten (lluta papa) werden als Gruppe
gehandhabt, d.h. Lagerung, Anbau und Selektion erfolgen gemeinsam und
die einzelne Sorte wird nicht gesondert behandelt. Gleichzeitig äußern die
Bauern ein großes Interesse an der Unterschiedlichkeit von Form, Farbe
und Geschmack der Kartoffeln.
ƒ
Nutzung und Bewertung der verschiedenen Kartoffeln zeigen, dass
lokale Sorten im Vergleich zu verbesserten Sorten keineswegs als
minderwertig betrachtet werden. Beide Kartoffeltypen werden für ihre
Vorzüge in bestimmten Momenten geschätzt, können sich in ihren
Nutzungsbereichen – z.B. Marktverkauf – aber durchaus überschneiden.
ƒ
Saatgutquelle:
Der
Bezug
lokaler
Sorten
erfolgt
überwiegend
marktunabhängig aus eigenem Anbau und über soziale Tauschnetzwerke.
ƒ
Anbaupraktiken:
Brachphasen,
Traditionelle
Rotation,
Techniken
organische
Düngung
wie
Mischanbau,
und
spezielle
Lagerungsverfahren begünstigen den Erhalt von Nutzpflanzenvielfalt.
ƒ
Organisation: Die gemeinschaftliche Organisation des Anbaus in
Familie und comunidad trägt mit zur Verbreitung der lokalen Sorten und
des mit ihnen verbundenen Wissens bei.
87
Diese Arbeit hat gezeigt, dass die oben beschriebenen biodiversitätsfördernden
Merkmale des Kartoffelanbaus in Vicos in einen größeren kulturellen
Zusammenhang eingebettet sind.
Landwirtschaft bildet den Mittelpunkt des andinen Lebens. Alle Mitglieder einer
comunidad sind von klein auf in die Feldarbeit eingebunden. Aus den Aussagen
der Bauern lässt sich eine Vielzahl von Analogien des menschlichen und
pflanzlichen Lebens aufzeigen. So weisen bereits die Bezeichnungen der
lokalen Kartoffelsorten auf eine persönliche Beziehung zwischen Bauer und
Kartoffel hin. Ebenso persönlich sind auch die Beziehungen zu den anderen
Elementen der lokalen Lebenswelt wie Pachamama, apus, Tiere, Sterne,
Vorfahren, etc. Sie finden ihren Ausdruck in einem intensiven Dialog mit der
Natur, der grundlegend ist für die als gemeinsame Aufgabe empfundene
Aufzucht der chacra. Neben dieser holistischen Perspektive wirkt sich auch das
Prinzip der Reziprozität auf das Verhalten der Bauern im Umgang mit
Nutzpflanzenvielfalt aus. Es drückt sich in den moralischen Pflichten hinsichtlich
der kollektiven Arbeitsregelungen, Tausch und Geschenk aus. Lokale
Kartoffelsorten sind in diesem Zusammenhang häufig ein Mittel zur Festigung
sozialer Beziehungen.
Allerdings wurden im letzten Kapitel auch Veränderungen in den Handlungsund Bedeutungsmustern der Bauern aufgezeigt. Dieser Wandel kann eine
Gefahr für die Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt bedeuten. Dies zeigt sich zum
Beispiel an der Verdrängung lokaler Sorten in kleinere Felder der oberen
Anbaustufen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass Wandel ein natürlicher
Prozess ist und das Konservieren von Kultur weder wünschenswert noch
realisierbar ist.
Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie sich die Veränderungen
durch Intensivierung, Markteinbindung und einseitige Schulbildung auf die
Wahrnehmung
der
Natur,
die
lokalen
Praktiken
und
schließlich
die
agrobiologische Vielfalt auswirken. Gerade in diesem Bereich kann die
ethnologische Forschung einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie den Blick
auf lokale Bedeutungszusammenhänge lenkt. Weiterer Forschungsbedarf
besteht, weil sich bislang erst wenige Ethnologen diesem interdisziplinären
Themengebiet geöffnet haben. Auch wäre es von besonderem Interesse, die
88
aktuellen Veränderungen im Hinblick auf die Sortenvielfalt weiter zu
untersuchen.
Die Bauern in Vicos und in den Anden haben gezeigt, dass es durchaus
möglich ist, neue Elemente wie verbesserte Kartoffeln in den Anbau zu
integrieren, ohne in der Folge lokale Sorten aufzugeben. Dies kann sicherlich
auf eine Vielzahl von Gründen zurückgeführt werden. Zu ihnen zählen auch die
in dieser Arbeit weniger berücksichtigten ökologischen und ökonomischen
Faktoren, wie schwierige Umweltbedingungen und Risikominimierung. Als
zentrales Ergebnis dieser Arbeit wurde jedoch gezeigt, dass kulturelle Einflüsse
die Erhaltung von Nutzpflanzenvielfalt maßgeblich mitbestimmen. Der Wert
lokaler Kartoffelsorten lässt sich dabei nicht auf eine rein materielle Dimension
reduzieren, sondern basiert ebenso auf den spirituellen Vorstellungen, die den
Alltag der Bauern mitgestalten.
Rein ökonomische Ansätze zur In-situ-Erhaltung sind vor diesem Hintergrund
nicht angebracht. Ebenso wenig reicht die oberflächliche Anerkennung von
Kultur als Einflussfaktor auf biologische Vielfalt. Das Verständnis kultureller
Zusammenhänge sollte die Basis jeglicher Maßnahmen zur Unterstützung von
Bauern in der Erhaltung ihrer lokalen Nutzpflanzen bilden. Hierfür sind Projekte
nach dem Vorbild PRATECs notwendig, welche die Bauern nicht nur als
Akteure, sondern auch als Experten ernst nehmen, um so einen Dialog ‚auf
Augenhöhe’ zu ermöglichen.
Der Dialog des Bauern der mit Natur ist sehr persönlich, aber er ist sichtbar in
vielen Einzelheiten der chacras. Wer ohne Respekt und Gefühl auftritt, wird ihn
nicht wahrnehmen.
89
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Anhang
A Interviewleitfaden
1. Sorten/ Nutzung
¿Qué variedades tiene? ¿Cómo se llaman? ¿Qué significa el nombre?
¿Qué es su papa preferida? ¿Por qué?
¿Cuál le gusta más, papa nativa o papa mejorada? ¿Por qué?
¿Siente que la papa nativa va desapareciendo? ¿Por qué?
¿Qué hace con la cosecha? ¿Es para vender, comer, regalar...?
2. Saatgutquelle
¿De dónde tiene su semilla? ¿Qué hace si falta para sembrar?
¿Dónde se encuentra buena semilla?
3. Saatgutmanagement
¿Cómo se guarda?
¿Cómo se selecciona?
4. Anbau
¿Cómo ha sido la temporada?
¿Qué hacen para tener una buena cosecha?
¿Cómo trabajan en la cosecha? ¿Qué trabajo hay? ¿Quién ayuda? ¿Cómo se
paga?
Casa
Casa
Casa
Casa
Casa
Chacra en Wiyash,
cosechando maíz
Don Julio (65)
Su señora (60)
Sus hijos (18,21,22)
Doña Juana (44)
Don Octavio (32)
Don Juan R. (54)
Su señora (52)
Su hijo (16)
Don Pedro (55)
Su señora (54)
Don Manuel (62)
2
3
4
5
6
7
45 min
45 min
40 min
30 min
15 min
2 horas
1 hora
Dauer
Kursive Altersangaben sind geschätzt, QH = Quebrada Honda.
Escuela de Wiyash,
pelando maíz con
ceniza para preparar
pollada
Doña Rosa (42)
Doña Blanca (23)
Doña Nancy (27)
Doña Maria (36)
Señora mayor (62)
1
Ort
Name
INT
castellano
castellano
más castellano
que quechua
castellano
quechua
más castellano
que quechua
quechua
Sprache
17.05.05
18.05.05
18.05.05
18.05.05
Variedades
Uso (comparar blanca y nativa)
Costumbre (probar a nuera)
Asemillamiento
Variedades
Asemillamiento
Seleccionamiento
Costumbres (coca, comida, fiesta)
Uso (venta, regalo)
Organización de cosecha
Técnicas (abono)
17.05.05
17.05.05
17.05.05
Datum
Costumbres (coca)
Uso (comparar blanca y nativa)
Asemillamiento
Almacenamiento
Almacenamiento
Técnicas (suelo)
Asemillamiento
Costumbres (fiesta, matrimonio)
Variedades
Uso (comparar blanca y nativa)
Seleccionamiento
Variedades
Asemillamiento
Seleccionamiento
Asemillamiento
Uso (comparar blanca y nativa)
Organización de cosecha
Señas (sueño)
Aspekte
98
B Interviewsituationen
20 min
2,5
horas
10 min
10 min
5 min
15 min
QH, cosecha de papa blanca
QH, cosecha de papa nativa
Wiyash, carretera
Wiyash, carretera
Wiyash, carretera
Wiyash, carretera
Faena Comunal (11
personas)
Don Manuel (62)
Su hijo (12)
Señora mayor (80)
Señora mayor (80)
Don Victor R. (53)
Octavia (17)
Norma (19)
10
11
12
13
14
15
Kursive Altersangaben sind geschätzt, QH = Quebrada Honda.
45 min
QH, almorzando después de
cosecha de papa blanca? y
habas
Don Pablo R. (37)
Su señora (32)
9
Dauer
30 min
Don José (51)
8
Ort
QH, cosechando papa blanca
y nativa
Name
INT
castellano
castellano
quechua
quechua
quechua
castellano
castellano
quechua
Sprache
19.05.05
20.05.05
24.05.05
24.05.05
24.05.05
24.05.05
Historia (hacienda)
Organización de trabajo
Variedades
Asemillamiento
Costumbres (coca)
Variedades
Almacenamiento
Variedades
Variedades
Variedades
Asemillamiento
19.05.05
19.05.05
Datum
Organización de trabajo
Uso (comparación blanca y nativa)
Técnicas (abono)
Asemillamiento
Organización de trabajo
Uso
Variedades
Técnicas (siembra)
Aspekte
99
B Interviewsituationen (fortgesetzt)
Chacra en Cullhuash
Chacra en Cullhuash
QH
Faena de Cachipacha
en QH
Cueva en QH
Oficina de Urpichallay
Don Pablo T. (43)
Su señora (43) y
Su hijo (15)
Doña Fana (58)
Faena Comunal
(72 personas)
Don Felipe (57)
Don Victor S. (63)
Don Agostín (40)
17
18
19
20
21
22
45 min
2 horas
5 min
7 horas
30 min
1 hora
15 min
Dauer
Kursive Altersangaben sind geschätzt, QH = Quebrada Honda.
Chancos
Don Juan C. (46)
16
Ort
Name
INT
castellano
quechua
castellano
más castellano
que quechua
quechua
más quechua que
castellano
más quechua que
castellano
Sprache
24.05.05
24.05.05
25.05.05
25.05.05
25.05.05
27.05.05
Seleccionamiento
Variedades
Organización de trabajo
Uso
Uso
Historia (hacienda/PPC)
Señas (estrellas)
Costumbres (pago)
Animales de cerros
Variedades
Almacenamiento
Organización de trabajo
Uso
Costumbres (fiestas)
Técnicas (suelo)
Señas (sueño)
24.05.05
Datum
Uso
Almacenamiento
Asemillamiento
Variedades
Seña (planta)
Organización de trabajo
Variedades
Seña (sueño)
Uso
Aspekte
100
B Interviewsituationen (fortgesetzt)
101
C Kartoffelsorten in Vicos
(verbesserte Sorten grau markiert)
Sorte
amarilla
Bedeutung des Namens
Beschreibung
De color amarillo de forma redonda con ojos semi
profundos alegres, arenosa
Semi seco
Barriga de lagartija
araspa
pachan
Condor papa
Semi seco
blanco
wichu
suktoq
buen cholo Un niño buen alegre y buen mozo Arenosa, de color azulado con ojos de color blanco
Mejorada, color rojo de forma redonda semi
canchán
aplanada, papa precoz
De color amarillo de forma semi cilindrica con ojos
carhuash
semi profundos, arenosa
Madura en 3 meses, cocina rapido, papa antigua
chaucha
de los gentiles, tambien hay de color negro y rojo
amarilla
Ratoncito
Semi seco
chinkus
ukush
Redondo como chote
Arenoso
choloki
papa
Uniforme escolar
Mejorada, papa semi aplanada
colegiale
La papa nativa representa a una Bueno para dolor de cabeza, poner laminas en la
kondor
ave rapaz que da vida a la semilla cabeza
warmi
(mujer)
Papa de los gentiles domesticado por los
koro
campesinos de montes, siempre está, pertenece a
la chacra, nunca se termina, entra la chacra con
maíz
Limeña con cariño/ papa mediana, Agradable con ojos azulados de color amarillo
eliminita/
los que no crecen alto, como
entero y ojos terminales llorosas, de sabor
pachako
enano
agradable con cascarà delgada, muy rico, cuando
uno come con la sopita no nesecita rocoto o
picante, de facil cocción
Como un perro dormido, de color blanco entero,
hallku punu
con ojos superficiales de color azuado tamaño
kikaq
regular, produce grande en forma de o’s
huachona Es de acá, pero viene de huacho Arenosa, de color blanco como cinturón en bandas
en la costa
Es de dos colores de color
Precoz, rica y arenosa con apenas de coccionar
huayro
amarilla y roja, como color de la ya esta lista para comer, se siembra en cualquier
peruanita
bandera peruana
tiempo del año
De color rojo con ojos superficiales el tiempo de la
huayro
cosecha es casi siete meses, se enferma más fácil,
yolak
suceptible a la enfermedad y a humedad
shonku
Es arenosa con ojos semi profundos de tamaño
ichi hallka Una mujer tierna con crias
medianas de color rojo como la
pequeño pero produce más papas.
warmi
flor de rima rima, flor silvestre, que
vive junto con la papa en la
Quebrada Honda
Es de color rojo, redonda, semi aplanada, arenosa
ichik chokoli Se denomina asi porque esta
papa es mediana a chico
facil de cocinar tienen miedo a el agua caliente,
cuando ya esta hirviendo pocos minutos ya esta
reventando su cáscara.
Recipiente de coca
Amarilla
isku puru
102
C Kartoffelsorten in Vicos (fortgesetzt)
(verbesserte Sorten grau markiert)
Sorte
Bedeutung des Namens
Beschreibung
Pecho de hakakapa
Tiene el color de pecho de un ave
hakakapa
kashkun
hallka warmi Mujer de altura que vive sólo en la gustosa, en una mata da bastante y es arenosa
Quebrada
con ojos brillosas casi llorando
De color azulado de forma alargada con ojos
josé winka
superfoiciales de tamaño grande, su sabor es
media amarga de corazón blanca y es aguachenta
Tiene peso
Antigua nativa, es arenosa de color morado
lazapa
plomiso
Probar a la nuera
Parece semilla de pino
llumchi
provanan
Mejorada, llegó primero, continua pero poco. es
marcos
arenosa, color blanco de ojos superficiales, de
(paltaq)
cascarà gruesa y corazón blanco
Mejorada de antes, de color azulado y forma semi
mariba
aplanada con ojos superfiales como de un animal
recien naido negro, arenosa
Que hace aumentar la cosecha
Harinosa, de corazón de dos colores blanco
milagro
"hace bendición"
combinado con rojo indio
Nariz del mono
porque tienen forma de papa similar carateristica
mono
su de nariz del mono. Es de color negro con ojos
senkan
semi profundos de forma casi redondo pero
termina en corvado los ojos de la papa
mula kompa Es porque tiene la papa de color Es arenosa de periodo vegetativo de siete meses
de la mula shocu y la papa es
con ojos superficiales
redonda
colores combinados de rojo y blanco por partes,
muru
desapareció cuando se creó la comunidad, era
kaqhqa
arenosa y muy rica
nina mancha Fuego que va en grupo, cortando Arenosa que apeñas cuando comienza hervir el
hacía arriba y produciendo otro
agua ya esta como rosas por eso dicen que "tiene
fuego en otro lado es similar por miedo a la candela"
eso dicen nina mancha
Color combinado entre rojo y
Es arenoso de forma alargado como semi circulo
pakllish
blanco por eso le dicen pacllish
Es de color amarilla como yema de huevo de la
papa
gallina y es precoz, se cocina facilmente
amarilla
agradable, se puede hacer pure de papas,
sancochado se come más en campo con sopita de
alverja y habas.
Mejorada, se siembra mayormente en tiempo de
perricholi
seca en la parte baja como miska y es arenosa,
dulce cuando comen.
Esta papa se denomina peruanita Es arenosa, precoz, de sólo cuatro a cinco meses
peruanita
porque tiene dos colores
de periodo vegetativo, se come en pure de papas,
resaltantes en su cascará, que
sancochado
también vemos en la bandera
peruana
Es una papa semi arenosa, que solamente se
puka china Por lo general esta papa las
mujeres le llaman así porque esta siembra en la parte media y alta su cascará es
papa es como una mujer joven
grueza con ojos superficiales como alegres
lleno de alegría, bonita cariñosa.
103
C Kartoffelsorten in Vicos (fortgesetzt)
(verbesserte Sorten grau markiert)
Sorte
Bedeutung des Namens
puka chukula
puka huayro
renacimiento
suko chinkus Color de la papa es medio
plomiso como la cana de los
abuelitas o abuelitos por eso
como respeto y cariño a los
abuelos y jirkas han puesto este
nombre
suproq
Beschreibung
Arenosa, de color blanco, con periodo vegetativo
de siete meses, solo produce en la parte alta y
media
Rojo, de corazón con presencia de alos en
circunferencia de color rojo amarillento
Su periodo vegetativo es de 7 meses con flores de
color a la cascara rojiza
Papa mejorada, casi la primera papa hibrida que
vino a Vicos primera que llegó, crecía muy alto, y
con buenos rendimientos en esa epoca de los
años 1950 a 1960 con proyecto cornell, Es de
color blanco entero media aplanada
Ecotipo con ojos profundos, es una papa como
una flor de rosa o una yerba medicinal que lo
llaman rosas
Una papa de color blanco entero hay de diferentes
caracteristicas, unos con ojos rojos, ojos, medio
asulinos, y otros blancos, se caracteriza porque
tiene cascará doble gruesita su sabor es dulce
agradable es semi seco rico cuando se come,
cuando se abre por uno lado ya salta de su
cascará
Una papa que viajó de tarma de Esta papa llego con semillas hibridas hace
tarma
un departamento de perú, y que muchos años, pero ya quedo como una papa
por eso le han puesto su nombre nativa en esta microcuenca de Vicos, a pesar que
tarmeña
es un hibrido.
torupa rurun Todas las papas son nombres que Por lo general esta papa en algunas familias de
han puesto los abuelos, porque
Vicos se ha desparecido, pero en algunas si
cada uno con cariño y respeto de persiste todavía aún después de reemplamiento
sus crianzas han dado su nombre con hibridas, siempre hay personas curiosas que
como que eran muy parecidos
crian la papa nativa.
como de huevo de toro
Cinturón para amarar pantalón de
waklli
bayeta, una vestimenta tipica de
wachukus
esta zona de vicos
Lengua de vaca
wakapa
kallun
wanki suproq Esta papa se entrecrusan entre en Tiene doble cascara igual que papa suproc es de
forma de envolver alguna comida color blanco, se come en sancochado, frituras y
o fiambra para comer por eso le papa picante su color de la flor es blanco a
ponen nombre de wanquish
rosadito conocido en la chacra cuando uno
Tiene diferentes colores como
Es una papa colorida que se cocina rápido
wichus
vestimienta típica de Vicosinas
arenoso se puede comer sin ají muy agradable
104
C Kartoffelsorten in Vicos (fortgesetzt)
(verbesserte Sorten grau markiert)
Sorte
Bedeutung des Namens
Beschreibung
De color negro entero alargado con ojos
superficiales en forma de espinas, cascarà brillosa
como espejo, se caracteriza porque es una papa
agradable de corazón blanca en alos asulados
pequeños hilos, se cocina rapido apenas cuando
hierba unos minutos el agua
Es puro color negro de forma enroscado como
yana waklli
perro dormido, harinosa
Papa de color negro entero como Es arenosa apenas cuando se hierve ya esta listo
yana
gancho de colgar ropa, y su
para comer y si hierve mucho tiempo se vuelve
wiklush
cascará es delgada suave.
como pure de papas.
kapia
yana winkus De color negro como pantalón de Es arenosa su color de flor es morado asulado,
vestimenta tipica de vicos wichu crece regular tamaño en las tierars de color negro
wara
yolac waklli Porque es como una luna en
creciente de dos díaz
Papa de color blanco similar a
Es arenosa su cascará es delgada por lo general,
yolak
cucharón
es agradable cuando se come con sopita de habas
winkush
Es de color blanco, por lo general Mejorada, papa miska, introducido 1980 por el
yungay
esta papa fue mejorado en la
Banco Agrario y generalizada en la zona de
provincia de yungay por los
ancash, arrinconando a los cultivos de papa
investigadores de genetica en
nativa, de fácil perdida de peso cuando se guarda
papa
en almacen
yana
machkapa
Quellen: Erhebung 2005; persönliche Mitteilung Luis Armas Sánchez.

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