Miklós Bánffy Verschwundene Schätze
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Miklós Bánffy Verschwundene Schätze
Nr. 5 | 26. Mai 2013 John F. Kennedy Unter Deutschen | Miklós Bánffy Verschwundene Schätze | Linn Ullmann Das Verschwiegene | Hedwig Pringsheim Tagebücher und Briefe | Thomas Sprecher Karl Schmid | Peter Rosei Madame Stern | Essay über Georg Büchner | Weitere Rezensionen zu Günter Grass, Willy Brandt, Sigmund Freud, Nicole Niquille u. a. | Charles Lewinsky Zitatenlese Spannend. Fesselnd. Hochklassig. Der neue Krimi aus Donna Leons Kult-Reihe 20%* auf die Neuerscheinung von Donna Leon »Tierische Profite« 20% Gutschein* <wm>10CFWMMQ7CQAwEX-TTrp31JVyJ0kUUKL2biJr_V3B0FNOsZuc4hhp-3PfHuT8HgUXGtdM1tKl5z7G6Nyx9QEwH40aJiuz-5xu4ZSBqOobvnEWZYERBUYxZqPlGtPf1-gBcGK29gAAAAA==</wm> Ihr Gutscheincode: NEULeon So einfach geht‘s: 1. Auf www.buch.ch Artikel auswählen. 2. Code im Warenkorb unter „Gutschein einlösen“ eingeben. 3. 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Auch inhaltlich ist manches am Autor modern: seine heftige Kapitalismuskritik mit einem Schuss Sozialromantik, sein Nihilismus, die innere Zerrissenheit und Inbrunst, mit der er agitierte. Erkennen wir den «Büchner» nicht auch unter uns: im feurigen Jungspund, der für eine Bonzensteuer kämpft? In der morbiden Twitter-Poetin, die eruptiv ihre Tweets absondert? Oder im unrasierten Intellektuellen, der die Niedertracht der Welt und seiner Gegner geisselt? Geben wir's zu – auch uns vermögen Kraftworte und wilde Sozialutopien in schaudernde Erregung zu versetzen. Jedenfalls dann, wenn sie folgenlos bleiben. Weitere Leckerbissen in dieser Ausgabe: Miklós Bánffys neu übersetzte Landes- oder besser Liebesgeschichte (S. 4); zwei obsessive MutterSohn-Bücher von Josef Winkler (S. 9); und JFKs Reisetagebücher aus den 1930er Jahren, in denen der spätere US-Präsident Nazi-Sympathien erkennen liess (S. 19). Starke Literatur auch dies! Urs Rauber Belletristik Kolumne 4 Miklós Bánffy: Verschwundene Schätze 15 Charles Lewinsky 6 Pierre Michon: Die Elf 7 Rajesh Parameswaran: Ich bin Henker Kurzkritiken Sachbuch Claire Krähenbühl: Ailleurs peut-être. Vielleicht anderswo 15 Wolfgang Röd: Heureka! 8 Von Stefana Sabin Von Martin Zingg Von Simone von Büren Von Manfred Papst Linn Ullmann: Das Verschwiegene Von Verena Stössinger Markus Stegmann: Ingmar Alge 9 Von Gerhard Mack Josef Winkler: Mutter und der Bleistift Josef Winkler: Wortschatz der Nacht Von Sandra Leis 10 Peter Rosei: Madame Stern Ein Gespräch zwischen Edgar Degas und Stéphane Mallarmé Von Kathrin Meier-Rust Rupert Gebhard: Alexander der Grosse, Herrscher der Welt Von Geneviève Lüscher David Signer: Weniger Verbote! Mehr Genuss! Von Urs Rauber Margarete Mitscherlich: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht Von Kathrin Meier-Rust Linn Ullmann schreibt über Beziehungstragödien (S. 8). 24 Peter Beinart: Die amerikanischen Juden und Israel Von Bruno Steiger Sachbuch Von Christine Brand 16 Hedwig Pringsheim: Mein Nachrichtendienst Hedwig Pringsheim: Tagebücher 1885–1891 und 1892–1897 25 Willy Brandt, Günter Grass: Der Briefwechsel 18 Sigmund Freud, Martha Bernays: Unser Roman in Fortsetzungen 26 Nicole Niquille: Und plötzlich ... am Himmel ein Berg 11 E-Krimi des Monats Dan Brown: Inferno Kurzkritiken Belletristik 11 Christine Brand: Kalte Seelen Von Regula Freuler Victor Zaslavsky: Der Sprengprofessor Von Manfred Papst Élémir Bourges: Götterdämmerung Von Kirsten Voigt Von Sabine Richebächer Yann Arthus-Bertrand, Brian Skerry: Der Mensch und die Weltmeere Von Malena Ruder Von Manfred Papst 19 John F. Kennedy: Unter Deutschen Alan Posener: John F. Kennedy Von Regula Freuler 20 Thomas Sprecher: Karl Schmid (1907–1974) Delphine de Vigan: Das Lächeln meiner Mutter Reiner Möckelmann: Wartesaal Ankara Von Kathrin Meier-Rust Von Thomas Feitknecht Von Charlotte Jacquemart Das amerikanische Buch Michael Moss: Salt Sugar Fat. How the Food Giants Hooked Us Von Andreas Mink Von Thomas Köster Agenda Von Urs Rauber 27 Ulrich Pohlmann, Dietmar Siegert: Zwischen Biedermeier und Gründerzeit Essay 21 Benoît B. Mandelbrot: Schönes Chaos 12 «Ich komme aus dem Leichendunst» 22 Robert Trivers: Betrug und Selbstbetrug Manfred Koch über das Werk von Georg Büchner (1813–1837), der in Zürich verstorben ist Von Urs Bitterli Von André Behr Von Manfred Papst Bestseller Mai 2013 Von Michael Holmes Belletristik und Sachbuch Von Klara Obermüller Veranstaltungshinweise Josef Hochstrasser: Einwurf Agenda Juni 2013 Chefredaktion Felix E. Müller (fem.) Redaktion Urs Rauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), Geneviève Lüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.) Ständige Mitarbeit Urs Altermatt, Urs Bitterli, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Sandra Leis, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer, Andreas Mink, Klara Obermüller, Angelika Overath, Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Hans Peter Hösli (Art Director), Susanne Meures (Bildredaktion), Manuela Klingler (Layout), Korrektorat St. Galler Tagblatt AG Verlag NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 044 258 11 11, Fax 044 261 70 70, E-Mail: [email protected] 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3 Belletristik Roman In einer aufwühlenden Liebesgeschichte entwarf der ungarische Autor Miklós Bánffy (1873 bis 1950) ein Gesellschaftsbild der politischen Elite in Budapest und des Landadels in Siebenbürgen Ein Graf mit gebroche Miklós Bánffy: Verschwundene Schätze. Zsolnay, München 2013. 576 Seiten, Fr. 37.90, E-Book 29.90. Von Stefana Sabin Es ist eine Entdeckung. Ein grossangelegtes literarisches Projekt – eine Trilogie von fünfzehnhundert Seiten! – über die letzten Jahre der österreichischungarischen Monarchie aus ungarischer Sicht. Denn die Handlung spielt in Budapest und östlich davon auf Schlössern und in Wäldern Siebenbürgens. Siebenbürgen ist jenes Gebiet im südlichen Karpatenbogen, das an der östlichen Peripherie der Donaumonarchie lag, zu Rumänien und dann wieder zu Ungarn gehörte und seit 1944 geografisch das Zentrum und den Nordwesten Rumäniens bildet. Die sieben Burgen, die den deutschen Namen prägen, befinden sich jenseits des Waldes, lateinisch trans silvam – daher die Bezeichnung Transsilvanien, die in mittelalterlichen Dokumenten benutzt wurde. Der deutsche Name Siebenbürgen taucht Ende des 13. Jahrhunderts auf. Auf der literarischen Landkarte Europas ist Siebenbür- Miklós Bánffy Miklós Bánffy (1873–1950) entstammte dem Grossbürgertum und war studierter Jurist. 1912 bis 1918 leitete er die Budapester Oper sowie das Nationaltheater. Er bekleidete verschiedene politische Ämter; 1921/22 war er ungarischer Aussenminister. Neben journalistischen Arbeiten und Bühnenwerken schrieb Bánffy in den 1930er Jahren eine Romantrilogie über seine siebenbürgische Heimat vor dem Ersten Weltkrieg. Deren erste zwei Bände liegen nun in der vorzüglichen Übersetzung des früheren NZZ-Redaktors Andreas Oplatka vor: 2012 erschien «Die Schrift in Flammen», in diesem Jahr der Band «Verschwundene Schätze». 4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 gen nur als Heimat des Urvampirs Dracula eingetragen. Nun erschliesst die «Siebenbürger Geschichte» diese osteuropäische Landschaft, indem sie sie zum Austragungsort rabiater politischer Intrigen und verzweifelter Liebesgeschichten macht. Der Autor dieser «Siebenbürger Geschichte» war ein Graf aus einem alten siebenbürgischen – ungarischen – Geschlecht: Miklós Bánffy von Losoncz, 1873 in Klausenburg (ungarisch Kolozsvár, rumänisch Cluj) geboren. Graf Bánffy war eine schillernde Gestalt: Grossgrundbesitzer mit sozialem Bewusstsein und ökologischen Vorstellungen, liberaler Abgeordneter im Budapester Parlament und Herausgeber einer konservativen Zeitschrift, Präfekt in Klausenburg und Intendant der Budapester Oper (und als solcher Förderer von Béla Bartók), Dramatiker und Romancier. Bánffy trat für die Eingliederung Siebenbürgens in Ungarn ein, aber nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Donaumonarchie wurde er rumänischer Staatsbürger, um seinen Besitz nicht zu verlieren. Als er nach dem Zweiten Weltkrieg doch noch seine Besitztümer verlor, ging er endgültig nach Budapest, wo er 1950 starb. Die «Siebenbürger Geschichte» entstand in den 1930er Jahren, als Bánffy einen nostalgischen und zugleich leicht zornigen Blick auf die politischen Wirrungen zurückwarf, die zum Ersten Weltkrieg und zum Ende der Donaumonarchie führten. Vor dem Hintergrund der gesamteuropäischen Lage im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts beschrieb er die parlamentarischen Debatten in Budapest und die zwischenethnischen Spannungen in der siebenbürgischen Provinz und setzte die ungarischen Interessen in den Gesamtzusammenhang der Politik der Donaumonarchie. Zugleich entwarf Bánffy ein Porträt des Siebenbürger Landadels und spann ein dichtes dramatisches Netz aus politischen Intrigen, Familienfehden und Liebesgeschichten. Den narrativen Faden, der die «Siebenbürger Geschichte» verbindet, bildet die Liebensgeschichte zwischen dem Grafen Abády, einem liberalen Parlamentarier aus Klausenburg, und der verheirateten Gräfin Adrienne Uzdy, einer melancholischen Schönheit. Im ersten Roman, der ursprünglich 1934 und erst im vergangenen Jahr in deutscher Übersetzung unter dem Titel «Die Schrift in Flammen» erschien, erleben Abády und Adrienne eine kurze, leiden- Wochenmarkt im siebenbürgischen Schässburg (heute rumän. Sighişoara). Die osteuropäische Provinz zur Zeit der Donaumonarchie ist Schauplatz des farbenprächtigen Romans von Miklós Bánffy. schaftliche Erfüllung und trennen sich dann doch, weil Adrienne sich weder die Scheidung vorstellen noch den angedachten Selbstmord begehen kann und stattdessen auf die Liebe verzichtet. «Ich will versuchen zu leben … vielleicht gelingt mir das, wenn du mich ... für immer verlässt», sagt sie unter Tränen ihrem Geliebten. Leidenschaftliche Affäre Im zweiten Roman, der 1937 veröffentlicht wurde und unter dem Titel «Verschwundene Schätze» gerade auf Deutsch erschienen ist, kommen Abády und Adrienne doch wieder zusammen. Nach einer zufälligen Begegnung im Wald entflammt die Leidenschaft füreinander erneut; sie treffen sich mehrmals heimlich und flüchten vor der trüben Wirklichkeit in Zukunftsfantasien. Während Abády im politischen Alltag in Budapest, im gesellschaftlichen Treiben in Klausenburg und in der Gebietsreform seiner Forsten Ablenkung von seiner sentimentalen Niedergeschlagenheit findet, ist Adrienne in ihrem Eheunglück wie gefangen. Erst als Abády sie bedrängt, beginnt sie, den Weg zu einer gemeinsamen Zukunft zu ebnen, indem nem Herzen Denn «im Namen unserer Liebe» beschwört sie Abády, zu heiraten, und nennt ihm gleich auch die Frau, die er heiraten soll. Mit gebrochenem Herzen fährt der Graf zu jener Jagdpartie, auf der er die von seiner Geliebten Auserwählte treffen wird. IMAGNO Untergang einer Epoche sie die Scheidung von Graf Uzdy ernsthaft in Betracht zieht – aber es ist zu spät. So endet der Roman mit einer erneuten Trennung zwischen Abády und Adrienne und mit einem noch entschiedeneren Liebesverzicht Adriennes. Das Unglück, das die Figuren meist im Herzen tragen, schwebt über den glamourösen Jagdpartien und Bällen, an denen sie standesgemäss und mit vornehmer Selbstbeherrschung teilnehmen – die Spannung zwischen innerer Traurigkeit und äusserem Glanz ist zugleich ein gesellschaftliches Symptom, das auf das Ende einer Epoche hinweist, nämlich auf den Untergang der Donaumonarchie und ihres Adels. Zwar mag Bánffys epischer Atem und sein erzählerisch geschickter Wechsel zwischen politischer Schilderung, sozialer Beschreibung und sentimentaler Handlung an Tolstoi erinnern, aber sein Romanprojekt ähnelt eher demjenigen Lampedusas. Wie Lampedusa zwanzig Jahre später im «Gattopardo» zeichnete Bánffy in seiner «Siebenbürger Geschichte» das Sittengemälde einer untergehenden Oberschicht, die sich bis zuletzt mit glanzvollen Festen von der sich ankündigenden Katastrophe ablenkte. Aber während Lampedusas literarischer Rückblick zwischen Nostalgie und Zeitkritik pendelte und die Notwendigkeit des immanenten gesellschaftlichen Umbruchs implizierte, war Bánffys Darstellung von umfassender pessimistischer Grundstimmung. Die- ser dunklen Grundfärbung des Gesellschaftsbilds stehen Naturbeschreibungen entgegen, in denen Farben und Nuancen schillern. «Auf dem giftgrünen Hintergrund erschienen die Baumstämme violett; in langen Fransen und Streifen hing ein silberner Moosschleier auf . . . und je länger man den Wald betrachtete, desto verzauberter, desto unwahrscheinlicher wirkte er.» Der Wald ist bei Bánffy nicht nur eine Art locus amoenus, wo die Liebenden zueinander finden, sondern auch ein zentraler Ort, wo Konflikte ausgetragen werden. Die Naturbeschreibungen sind in Bánffys Roman keine bloss erzähltaktischen Verzögerungsmomente, sondern sind handlungstechnisch verankert, denn sie machen die ländliche Bindung des siebenbürgischen Adels deutlich, und sie verleihen dem Geschehen Lokalkolorit. Tatsächlich bezieht Bánffys Roman seinen Reiz nicht nur aus einer üppig verästelten Handlung, sondern auch aus der Vergegenwärtigung einer unheimlichen Landschaft. So kommt der Entdeckung von Bánffys «Siebenbürger Geschichte» auch eine geoliterarische Bedeutung zu, der sie allerdings nur dank der flüssigen Übersetzung von Andreas Oplatka gerecht werden kann. Oplatka hat sowohl für die gekünstelt altmodische Sprache des Erzählers als auch für die antiquierten Redewendungen, durch die der ungarisch-siebenbürgische Adel charakterisiert wird, eine idiomatische deutsche Form gefunden, die die historische Distanz zugleich vergegenwärtigt und überwindet. l Neun Tage verbringen Vincent Balmer, ein französischer Journalist, und der Fotograf António gemeinsam in Lissabon, um über den Prozess gegen einen Serienmörder zu berichten. Doch kreisen ihre Gespräche stets um die Lieben ihres Lebens. Hintergründig erzählt Le Tellier vom Glück und Unglück in der Liebe. Aus dem Französischen von Romy und Jürgen Ritte Deutsche Erstausgabe 280 Seiten sFr 21,90* <wm>10CAsNsjY0MDAx0jUwMDWwMAAAUPTR7g8AAAA=</wm> <wm>10CFWMoQ7DMAxEv8jRnR3HSQOnsmpgGjeZivv_aEvZwCOnd-84phfcPPbne39NAlUFcPTfPrxotMmhJbxNOF1B29ArOXr86QKOZrBcisCFngipkMoMi6StQK4ztFyf8wvMpwKVfwAAAA==</wm> © Cathy Bistour »Ein verdammt gutes Buch!« Lire Auch als erhältlich * Unverbindliche Preisempfehlung Nach ›Kein Wort mehr über Liebe‹ der neue Roman von Hervé Le Tellier _ www.dtv.de premium 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5 Belletristik Erzählung Pierre Michon verwebt Fakten und Fiktion zu einem raffinierten Porträt der französischen Revolution Vexierspiel des Terrors Pierre Michon: Die Elf. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Suhrkamp, Berlin 2013. 120 Seiten, Fr. 27.90 Im Gegensatz zur erfundenen Story in Pierre Michons Buch hat die Exekution Robespierres am 28. Juli 1794 tatsächlich stattgefunden. Drei auf vier Meter misst das Bild. Es wird geschützt von dickem Panzerglas und ist nicht zu übersehen. Im Louvre, wo es hängt, scheint die Architektur dafür zu sorgen, dass die Besucherströme unausweichlich auf dieses Bild zusteuern: «Die Elf». Auf dem Gruppenbild sind elf Männer zu sehen, elf Jakobiner, die 1794, im Jahr zwei der Französischen Revolution, im Comité de salut public sitzen, im Wohlfahrtsausschuss. In jenen Monaten der Grande Terreur hat die Revolution eine äusserst blutige Phase erreicht, das Gemälde zeigt die elf dafür Verantwortlichen. Maximilien Robespierre ist die zentrale Gestalt dieser Runde, die mit ihren zahlreichen Gegnern keineswegs zimperlich umgeht. Fiktiver Künstler Gemalt hat dieses eindrückliche Bild ein gewisser François-Élie Corentin, der «Tiepolo des Schreckens». Corentin ist ein Schüler von Tiepolo und Angestellter des revolutionären Malers David, und sein Werk aus dem Jahr 1794 ist, wie es einmal heisst, «ein unwahrscheinliches Bild, das alles besass, um nicht zu existieren». Es existiert denn auch nicht, dieses Bild. Sowenig wie sein Maler Corentin je gelebt hat: ein Bild mit dem Titel «Die Elf» wird man im Louvre vergeblich suchen. Dafür aber gibt es ein meisterhaftes Prosastück mit diesem Titel, geschrieben von Pierre Michon, dem französischen Autor meist kurzer und ungemein dichter Texte wie etwa «Leben der kleinen Toten» und «Die Grande Beune». Pierre Michon lässt auf knapp 120 Seiten einen Kunsthistoriker auftreten, der einem namenlosen Museumsbesucher Corentins Bild beschreibt und erklärt. Dabei führt die als detaillierte Information kaschierte Erzählung einerseits zurück in die Familiengeschichte des fiktiven Malers, zum andern wird erzählt, wie dieser unter dubiosen Umständen zu seinem Auftrag kommt und welche Absichten die Auftraggeber haben. Und dazwischen wird das Bild beschrieben, auf dem die elf Kommissare des Wohlfahrtsausschusses eine Präsenz markie6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 FOTOFINDER Von Martin Zingg ren, die ihre reale Macht weit hinein in die Sphäre der Kunst verlängert. Die biografische Spurensuche des Kunsthistorikers führt auf verschlungenen Erzählwegen zurück bis zu Corentins Grosseltern. Der eine Grossvater war Ingenieur und baute am französischen Kanalsystem mit. Der andere Grossvater handelte mit Wein und Essig und kam zu Vermögen. Dessen Sohn François mochte nicht in die Fussstapfen treten, er hatte Grösseres vor. Er gab sich einen pompösen Dichternamen und beglückte die interessierte literarische Öffentlichkeit mit anakreontischen Versen. Diese gefielen auch der behüteten Suzanne. Der Ehe der beiden entspross 1730 François-Élie Corentin. Er wird später Künstler werden, er wird sogar eine gewisse Bekanntheit erlangen und immer wieder Aufträge übernehmen. Meist sind es Porträts von Repräsentanten des Ancien Régime, gelegentlich malt er auch Kulissen für Theaterinszenierungen. Michon, der seine Figuren gerne über biografische Erzählungen entwickelt, entwirft auch in «Die Elf» eine Fülle von Details, welche den Künstler Corentin als zeitgenössische Gestalt plausibel machen können. Corentin wird eines Abends, da hat die Revolution längst ihren grausamen Siedepunkt erreicht, in eine nahe Kirche vorgeladen. Er ist, als er sich dorthin begibt, auf alles gefasst. In der konspirativen Dunkelheit der Sakristei wird der «Citoyen Maler» – der den Übergang in die neue Epoche zwar überstanden hat, nun aber, wie alle anderen auch, jederzeit mit seiner Hinrichtung rechnen muss – damit beauf- tragt, die elf Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses zu porträtieren. Die Auftraggeber verfolgen mit dem Bild eine politische Strategie, die zwei mögliche Verläufe im Auge behalten muss: Wenn sich Robespierre an der Macht halten kann, wird das Bild eine andere Bedeutung bekommen, als wenn er von der Macht verdrängt wird. Für beide Möglichkeiten – Glorifizierung oder Demaskierung von Robespierre – soll das Bild den Mitstreitern als Joker dienen. Im Moment, da das Bild in Auftrag gegeben wird, ist alles noch völlig offen. Nur eines steht fest: Die Auftraggeber werden in jedem Fall auf der richtigen Seite stehen. Präzis recherchiert Seine Raffinesse gewinnt Michons Text nicht zuletzt daraus, dass die historischen Fakten präzis recherchiert und allgemein bekannt sind, das Gemälde und dessen Maler hingegen der Fiktion entspringen und sich beide Seiten nahtlos verschränken. Selbst elf Seiten aus Jules Michelets «Histoire de la Révolution française» nennt der parodie- und pastichefreudige Autor als angeblichen Beleg, und eine Ölskizze von Géricault soll Corentin bei der Entgegennahme des Auftrags zeigen. Das Vexierspiel macht nicht allein die Grausamkeit einer historischen Epoche deutlich. Es feiert am Ende auch die Sprache, sie ist kühl, dann wieder berauschend und berauscht, ungemein dicht. Eva Moldenhauer hat Michons syntaktische Unruhe und stilistische Geschmeidigkeit auf höchst bewundernswerte Weise ins Deutsche übersetzt. l Erzählungen Fabelhafte Liebesgeschichten mit tierischen und menschlichen Hauptfiguren Wenn Tiger Elefanten zerfetzen Rajesh Parameswaran: Ich bin Henker. Liebesgeschichten. Aus dem Amerikanischen von Stefanie Jacobs. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 288 Seiten, Fr. 27.50. Von Simone von Büren Mit Liebe im weitesten Sinne haben alle Geschichten des Inders Rajesh Parameswaran zu tun. fantenkuh nehmen die Fussnoten des menschlichen Übersetzers der Tiersprache Englafant überhand, werden aber wieder infiltriert von der Hauptgeschichte, die sich hauptsächlich in den Fussnoten abspielt, wo sie wiederum durchsetzt wird vom legendären Schicksal eines Elefanten, der behauptet, einen menschlichen Vater zu haben. Der Text wird unterbrochen, untergraben, überlagert, in eine unerwartete Richtung gelenkt, von den Figuren übernommen. Diese formalen Experimente veranschaulichen eine Art Kontrollverlust, der auch inhaltlich viele der Geschichten prägt: Parameswarans Figuren handeln anders, als sie möchten. Sie töten, wo sie lieben. Sie lügen, wo sie Anerkennung wollen. Sie werden von ihren Träumen überwältigt. Eine Frau fürchtet die Dämonen, die gemäss einem alten indischen Aberglauben unter bestimmten Umständen Gedanken zu Realität werden lassen. Und die Spionin merkt, dass sie selber bespitzelt wird und die Akten über ihre Person einen ganzen Raum füllen. Im weitesten Sinn haben Parameswarans Texte also vielleicht doch mit Liebe zu tun – mit diesem Gefühl, das uns der Kontrolle berauben, uns aus der Bahn werfen und über uns selber hinauswachsen lassen kann. l MARC LECUREUIL / GALLERY STOCK Ein Tiger tötet seinen Lieblingspfleger, eine Frau lässt ihren eben verstorbenen Mann verdreht im Wohnzimmer liegen und kocht sich Abendessen. Eine alte Elefantenkuh wird von einem Tiger zerfetzt, ein Insektenweibchen in einer futuristischen Galaxie im Flug zermalmt und ein junges Mädchen in einem amerikanischen Gefängnis gesteinigt. In den neun Liebesgeschichten in Rajesh Parameswarans «Ich bin Henker» gibt es keine Romantik, keine Liebeserklärungen, keine Zärtlichkeit. Im Gegenteil, es geht in den meisten von ihnen ganz grausam zu und her. Parameswarans ungewöhnliches Début besticht mit einer enormen Vielfalt verschiedener Inhalte und Formen. Es geht da um einen ebenso ambitiösen wie paranoiden Bahnhofsvorsteher in einem indischen Dorf des frühen zwanzigsten Jahrhunderts; um einen sexuell frustrierten Henker, der in radebrechender Sprache «schreckliche und aufwühlige Pflichten» seiner Arbeit erläutert; und um einen Mann, der sich eigenmächtig als Chirurg ausgibt – mit katastrophalen Konsequenzen. Der zensierte Bericht einer Spionin in einem totalitären Staat steht neben dem wörtlich zähneknirschenden Geständnis eines ausser Kontrolle geratenen Tigers. Unter den vielen Ich-Erzählern gibt es eine Elefantenkuh, die ihre Gefangennahme verarbeitet, und ein Insektenwesen, das in der Andromeda-Galaxie im Jahr 2319 als Leichenbestatter waltet. Der in Indien geborene, in Texas aufgewachsene und heute in New York lebende Autor beweist Mut in diesen Texten mit ihren eigenwilligen Handlungen, ihren tierischen und exzentrischen IchErzählern und kreativen Sprachexperimenten – etwa in den Wortschöpfungen für die Insektenwelt der Zukunft oder den Sprachfehlern des ausländischen Henkers. Vor allem experimentiert Parameswaran, der zurzeit an seinem ersten Roman arbeitet, in mehreren Geschichten mit einer faszinierenden Meta-Ebene, die den Leser ziemlich durcheinanderbringt. In «Stellungsnahme der Agentin 974702» lässt er den Text tun, was die Spionin tut, nämlich alles Interessante zensieren. In «Viermal Rajesh» beginnt die von einem vergilbten Foto eines Brahmanen inspirierte Figur die Erzählung zu kommentieren und sich lautstark von den Darstellungen des Autors abzugrenzen. Am Ende stellen sich diese widerspenstigen Einwürfe aber wieder als vom Autor erfunden heraus – oder doch nicht: «Ich weiss es durchaus zu schätzen, dass du mich wie eine Art Marionette zum Leben erweckst und meine Worte zu Papier bringst, bis hin zu diesen neunmalklugen Einwürfen.» Und in der Autobiographie einer Ele- Lyrik Die Westschweizerin Claire Krähenbühl überzeugt mit musikalischen Texten Den Worten Leben eingehaucht Claire Krähenbühl: Ailleurs peut-être. Vielleicht anderswo. Gedichte. Französisch und deutsch. Übersetzung von Markus Hediger. Wolfbach, Zürich 2013. 116 Seiten, Fr. 30.–. Von Manfred Papst In der welschen Schweiz ist die Lyrikerin und Erzählerin Claire Krähenbühl längst ein Begriff. Neun Gedichtbände hat sie bisher veröffentlicht, dazu vier Bände mit Kurzgeschichten sowie ein Prosawerk, das sie zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Denise Mützenberg verfasst hat. Östlich des Röstigrabens ist die Autorin, die 1942 in Yverdon-lesBains zur Welt kam und an der École des Beaux-Arts in Lausanne studierte, bevor sie sich zur Krankenschwester ausbildete, noch zu entdecken. Eine gute Gelegenheit dazu bietet eine schmale, aber substanzielle Anthologie, die der renommierte Übersetzer Markus Hediger herausgegeben und mit einem kundigen Nachwort versehen hat. Der Band «Ailleurs peut-être / Vielleicht anderswo» versammelt Gedichte von 1991 bis 2010. Sie sind auf den ersten Blick einfach, auf den zweiten aber höchst komplex. Mitunter verraten sie den Blick der bildenden Künstlerin und Collagistin. Meist gehen sie von Alltagsbeobachtungen aus. Pflanzen, Insekten, Vögel, Menschen kommen in unser Blickfeld. Obwohl die Autorin ohne grosse Worte auskommt, bewegen wir uns in einem poetisch aufgeladenen Raum. Die Luft atmet, das Licht schim- mert, das Wasser fliesst, leuchtet und murmelt. Mitunter ereignet sich eine kleine Geschichte. Aber dann steht die Zeit wieder still. Vieles bleibt im Ungewissen, ist mehr zu ahnen als zu sehen. Die französischen Originaltexte von Krähenbühl sind von ganz eigenem Zauber. Aber auch Hedigers Übertragungen haben es in sich. Sie sind mehr als blosse Wort-für-Wort-Übersetzungen. Sie sind dem Ungesagten oder nur unterschwellig Mitgeteilten auf der Spur. Hediger achtet auf die Satzmelodie. Auf Homophone, versteckte Anspielungen, Doppeldeutigkeiten. In seinem Nachwort führt er einige Beispiele an, die belegen, wie exakt und einfühlsam er arbeitet. Fazit: Eine geglückte Kooperation, ein stilles, aber betörendes Buch, dem man viele Leser wünscht. l 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7 Belletristik Roman In ihrem fünften Buch beschwört Linn Ullmann Familiengeheimnisse, hinter denen sich Tragödien verbergen Vordergründig harmonisch Linn Ullmann: Das Verschwiegene. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Luchterhand, München 2013. 352 Seiten, Fr. 28.40. Von Verena Stössinger «Zunächst war ihnen nicht klar, was sie gefunden hatten», den drei Jungen. Der Schatz jedenfalls ist es nicht, eher «das Gegenteil von einem Schatz». Eine Leiche; schon arg zersetzt. Linn Ullmanns Roman beginnt wie ein Krimi. Die Tote, stellt sich heraus, ist Mille, die vor zwei Jahren verschwand, jene Neunzehnjährige, die Siri und Jon angestellt hatten, um in den Sommerwochen bei den Kindern zu sein. Selber hatten sie dafür keine Zeit; Siri führt zwei Restaurants, und Jon will endlich den dritten Band seiner Trilogie zu Papier bringen, auf den schon niemand mehr wartet. Und Jenny, Siris fünfundsiebzigjährige Mutter, der das weisse Haus im Küstenstädtchen gehört, in dem die Familie ihre Sommer verbringt, denkt nicht ans Enkelhüten. Mille verschwindet beim Geburtstagsfest, das Siri unbedingt für ihre Mutter ausrichten will, auch gegen deren Willen. Während die Gäste im Nieselregen um die Tische im Garten herumstehen, schliesst die Mutter sich in ihrem Zimmer ein und trinkt sich voll. Zuvor ist sie zwanzig Jahre lang trocken gewesen; aber in jenem Sommer bricht die sorgfältig behauptete Familienharmonie Malerei Trautes Heim in der Fremde So sehen heute wohl Orte aus, an denen die Sehnsucht nach Vertrautheit sich mit derjenigen nach Fremde verbindet: Ein Wohnwagen steht an einem Strand. Hier ist man weg von Arbeit und Haus und via Satellitenschüssel doch jederzeit mit der ganzen Welt verbunden. Was hinter den Jalousien vor sich geht, wissen wir nicht. Dass es nicht das reine Glück ist, nehmen wir an. Der blaue Himmel schwebt über der bünzlig akkuraten Bleibe wie ein Damoklesschwert. Ingmar Alge kennt die Träume vom trauten Heim seit Kindertagen: Er ist in einer Vorarlberger Baufirma gross geworden. Und er hat sie von Anfang an zum Gegenstand seiner Malerei gemacht. Penibel sind die Bausparerhäuschen im vorarlbergischen Dornbirn auf seinen Bildern von jeder menschlichen Zutat gereinigt, bis sie Chiffren der Unbehaustheit wurden. 8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 Schnell kamen die Ikonen der Befreiungsphantasien hinzu: Wohnwagen, Strände, Strassen und Flughäfen, die wir nutzen, um gesichert auf Abenteuer zu gehen. Seit geraumer Zeit malt der 1971 in Höchst geborene Künstler auch, wie Migranten in die Pseudoidylle eindringen. Ingmar Alge tut das mit derselben sachlichen Unterkühlung, die seine Malerei insgesamt bestimmt. Wer die erste umfangreiche Monografie über den Maler durchblättert – sie wurde von Markus Stegmann herausgegeben –, sieht: Da ist ein wenig Alex Katz, eine deutliche Nähe zum Generationskollegen Tim Eitel und doch eine ganz eigene Fremdheit in der Welt, wie man sie wohl nur in Vorarlberg kennt. Gerhard Mack Markus Stegmann (Hrsg.): Ingmar Alge. Hatje Cantz, Ostfildern 2013. 184 Seiten, 195 Abbildungen, Fr. 57.–. ohnehin in sich zusammen. Nicht nur, weil Mille verschwindet. Davon erzählt dieser dichte, menschenkluge Text, der sich vom Krimigenre nur den Einstieg leiht, Suspensetechniken sowie das analytische Verfahren: von einer Familie, in der jeder mit seinen Schatten kämpft und mit dem anstrengenden Wunsch, eigenen und fremden Ansprüchen (endlich) zu genügen. Der fünfte Roman der nicht mehr nur in Norwegen bekannten Linn Ullmann, der Tochter der Schauspielerin Liv Ullmann und des Regisseurs Ingmar Bergman, zeigt wieder ihre Fähigkeit, kantige und unerlöste Figuren so gegeneinander in Beziehung zu setzen, dass menschliche Tragödien geradezu unausweichlich werden. Die alte Jenny beispielsweise ist nie über den Tod ihres Sohnes Syver hinweggekommen; vom Mann verlassen, überliess sie die Kinder oft genug sich selbst, und der Junge ertrank, während Siri, die grosse Schwester, auf ihn aufpassen sollte. Siri trägt seither an diesem Tod, an dieser Schuld, und kämpft um die Anerkennung der Mutter – und natürlich fällt ihr der Entschluss nicht leicht, die eigenen Kinder der verträumten Mille zu überlassen. Aber was bleibt ihr anderes übrig? Ihre Restaurants sichern der Familie das Auskommen, seit Jon diese «Schreibblockade» hat und sich zwischen halbherzigen Seitensprüngen nur am Schreibtisch festklammert. Es hätte aber trotz allem noch eine Weile gut gehen können, obwohl auch Alma, die ältere ihrer zwei Töchter (und eine der spannendsten Figuren), immer unbegreiflicher wird – aber dann verschwindet Mille, die sich geschworen hatte, «in diesem Sommer eine andere zu werden». Zuletzt gesehen wird sie an Jennys traurigem Fest, in jener Nieselregennacht; da trägt sie ein rotes Kleid, Stöckelschuhe und geht hinunter ins Städtchen. Wir erfahren noch, wie einer aus dem Dorf, den alle nur KB nennen, sie im Splitt neben der Strasse vergewaltigt; alles Weitere müssen wir uns, genau wie die Figuren, vorstellen. Die Autorin Linn Ullmann erzählt – geduldiger und weniger bestürzend befremdlich als etwa noch in «Die Lügnerin» (dt. 1999) – aus verschiedenen Perspektiven, blendet in der Zeit vor und zurück und zieht dabei das Netz, das über den Figuren liegt, mit gleichsam bedauernder Logik langsam zusammen, bis sie schliesslich doch noch Gnade walten lässt. Oder sind bloss alle erschöpft und ergeben sich? Jon und Siri scheinen sich zu arrangieren, Jon sucht sich eine ordentliche Arbeit und Mutter Jenny kann endlich sterben, das weisse Haus wird verkauft. Zuletzt tauchen gar Milles Eltern noch auf, sie haben so viele Fragen – und Siri bittet zu Tisch, obwohl nur noch Reste da sind. l Requiem Der österreichische Büchner-Preisträger Josef Winkler schreibt über das, was ihn verstört Das Schweigen der Mutter Josef Winkler: Mutter und der Bleistift. Suhrkamp, Berlin 2013. 91 Seiten, Fr. 21.90, E-Book 15.90. Josef Winkler: Wortschatz der Nacht. Suhrkamp, Berlin 2013. 110 Seiten, Fr. 21.90, E-Book 15.90. Als die 18-jährige Maria Winkler, die spätere Mutter des Ich-Erzählers, eines Tages von der Landfrauenschule ins kleine Kärntner Bauernkaff Kamering zurückkehrt, begrüsst ihre Mutter sie mit den seltsamen Worten: «Mitzele! Der Adam kommt auch heim, aber anders!» Der dritte Bruder ist im Krieg gefallen, die Bauernfamilie igelt sich in ihrem Schmerz ein und spricht kaum mehr ein Wort. Nicht untereinander und auch nicht mit anderen. Ihr Leben lang sei die Mutter, die 87-jährig verstorben ist, eine Schweigende gewesen, schreibt Josef Winkler in seinem Requiem «Mutter und der Bleistift». Über die stille Mutter hatte Winkler bisher nur wenig geschrieben. In Büchern wie «Menschenkind» (1979), «Der Ackermann aus Kärnten» (1980), «Muttersprache» (1982) oder «Roppongi. Requiem für einen Vater» (2007) steht stets der allmächtige Vater im Zentrum. Er, der im biblischen Alter von 99 Jahren verstarb, war der Patriarch und Alleinherrscher über die Familie, ihm hatten sich alle unterworfen. Dagegen halten konnte einzig Sohn Josef, indem er in Literatur verwandelte, was ihn bedrängte und verstörte. Und zwar in einer sprachlichen Präzision, die einem Gänsehaut über die Arme jagt. Winkler leuchtet das katholische Bauernmilieu bis in den hintersten Herrgottswinkel aus, ohne dabei nur Beobachter oder Chronist zu sein. «Wenn einen einmal das Katholische getroffen hat, wenn einem der Kirchturm vorne ins Herz gegangen ist und hinten wieder hinaus, dann wird man das nie wieder los», sagte er einmal im Wissen darum, immer selber auch Teil seiner Bücher zu sein. Doch um überhaupt schreiben zu können, ist er oft unterwegs. Das Requiem auf die Mutter schrieb er auf einer Indien-Reise zwei Jahre nach ihrem Tod. Weihwasser für die Nerven Maria Winkler lebte zeitlebens in Kamering, zog schwanger vom elterlichen Bauernhof auf den Hof ihres fast zwanzig Jahre älteren Mannes, brauchte ihren Nachnamen nicht zu wechseln, weil auch ihr Mann Winkler hiess, und merkte sehr bald, dass sie als junge Bäuerin nichts zu sagen hatte. Sie erduldete ihr Los und begehrte kaum je auf; trank Weihwasser, damit sich ihre Nerven aufhellten, und als das Weihwasser nicht mehr helfen wollte, schluckte sie jahrzehntelang Psychopharmaka. Mit ihrer Schwiegermutter wechselte sie wochenlang kein Wort; als diese schliesslich SUSANNE SCHLEYER Von Sandra Leis Josef Winkler leuchtet das katholische Milieu eines Kärntner Bauerndorfs bis in die hintersten Ecken aus. starb, soll sie hörbar aufgeatmet haben: «Sie sagte kein Wort zu ihrem Mann (…), kein Wort des Mitleids, kein Wort des Beileids kam von ihren Lippen.» Geredet hat sie also kaum – zumindest nicht über das, was sie im Innersten bewegte. Sie war unnahbar und schottete sich ab, gleichzeitig gab es eine Nähe zu ihrem Sohn Josef, der ihr als «Mädchenbub» oft und gerne zur Hand ging. Umgekehrt liess sie ihn gewähren, beispielsweise wenn er am Küchentisch sass und mit dem Bleistift in seine Hefte kritzelte. Er durfte auch schreiben, allerdings nicht mit der linken Hand, das trieb ihm die Mutter aus. Rauschhaftes Frühwerk Peter Handkes Werke «Wunschloses Unglück» (1972) und «Die Geschichte des Bleistifts» (1982) klingen in Winklers Requiem an – er zitiert ausführlich Handke und auch Ilse Aichinger, so wie er in seinem Œuvre immer wieder Passagen von Kolleginnen und Kollegen wiedergibt und beharrlich weiterarbeitet am «österreichischen Herkunftskomplex» (Thomas Bernhard). Eine besondere Faszination üben auf ihn, den einstigen Ministranten, Sterben und Tod aus. Gleichzeitig machte ihm als Bub nichts mehr Angst als die Vorstellung, dass die Mutter eines Tages wegsterben könnte. Monatelang weinte er vor dem Einschlafen heimlich um die Mutter, und am Morgen eilte er in die Frühmesse, um am Altar für sie zu beten. Viele Jahre später, als sie tatsächlich starb, legte er ihr als letzte Gabe eine Glasflasche voll Weihwasser in den Sarg. Neben diesem eindringlichen Requiem auf die Mutter ist heuer ein weiterer Text von Winkler erschienen: Zum 60. Geburtstag des Autors hat der Suhrkamp-Verlag ein Frühwerk von 1979 erstmals als Buch herausgegeben. Damals veröffentlichte die Grazer Avantgarde-Zeitschrift «manuskripte» den Text unter dem Titel «Das lächelnde Gesicht der Totenmaske der Else Lasker-Schüler»; heute ist das Buch überschrieben mit «Wortschatz der Nacht». Satzgirlande reiht sich an Satzgirlande, unterbrochen von nur wenigen Absätzen. Entstanden sind diese hundert Seiten rauschhafter Prosa in einem «Wortanfall» weniger Nächte direkt nach der Niederschrift von Winklers Erstling «Menschenkind». Der Autor, der als 26-jähriger Bauernsohn direkt bei Suhrkamp landete, reagierte auf die heftigen Reaktionen, die sein Buch in Kamering ausgelöst hatte. Er schrieb: «Es erfüllt mich nicht gerade mit Stolz, wenn ich sagen muss, dass mehrere Menschen in diesem Dorf mit meinem Tod spekulieren. Ich weiss, dass ich seit der Veröffentlichung meines ersten Buches zutiefst (. . .) verachtet werde.» Hauptgrund dieser Verachtung ist, dass Winkler es gewagt hatte, über den Liebesdoppelselbstmord zweier 17-jähriger Burschen zu schreiben. Mittlerweile gehört dieses Sujet mitsamt Kalbstrick zu seinem festen literarischen Repertoire, variiert in beinahe jedem neuen Buch. Wo in der Dorfchronik nichts weiter als die Namen und das Todesdatum notiert sind, hakt Winkler nach. Er bannt in Worte, worüber andere schweigen. Josef Winkler schreibt seit seinen Anfängen am gleichen Buch – mit einer Besessenheit und sprachlichen Dringlichkeit, dass der kleine dörfliche Kosmos immer auch Spiegel der ganz grossen Welt ist. l 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9 Belletristik Roman Peter Rosei konfrontiert eine Bankdirektorin mit ihrem bedrückenden Alltag und placiert lustvoll Seitenhiebe gegen seine Hauptfigur Nur die Oper macht sie glücklich Peter Rosei: Madame Stern. Residenz, Salzburg 2013. 153 Seiten, Fr. 28.40. Schon der erste, so pausbäckig leserfreundlich daherkommende Satz in Peter Roseis neuem Roman hat seine – grossartigen – Tücken: «Wie es dazu kam, dass Johann Maiernigg, Vater des nachmalig berühmten Ministers, in die Elektrobranche, in den Handel mit Elektro- und Haushaltsgeräten, einstieg, müssen wir hier offenlassen.» Man fragt sich unwillkürlich: «Elektrobranche?» Geht das? Und wer ist der Fiesling, der «hier» irgend etwas mutmasslich an Banalität nicht zu Überbietendes offenlassen zu müssen meint? Es sind, indem sie im weiteren Verlauf des Buchs in nur gnädig zu nennender Lässigkeit unbeantwortet bleiben, bedenklich müssige Fragen; gleichwohl wird darauf zurückzukommen sein. Vorerst jedoch sei das, was man guten Gewissens Handlung nennen darf, kurz umrissen. Im Zentrum des Geschehens steht Frau Dr. Gisela Stern, vom Autor wie von ihrem Mann Edi gern Gisi genannt. Nach ausführlichen Rückblicken auf ihre Jugend und die Zeit der Ausbildung tritt sie uns als dreissigjährige Bankdirektorin entgegen, bestens aufgehoben in den höheren Kreisen Wiens, umworben von allerlei zwielichtigen Gestalten aus Politik, Wirtschaft, Kunst. Richtig glücklich fühlt sie sich nur in der Oper, am unglücklichsten auf der «Tag und Nacht von Arien durchklungenen» Toilette in einer unweit der Oper gelegenen unterirdischen Fussgängerpassage. Der Anblick des kleinen Hündchens der Klofrau bringt sie derart aus der Fassung, dass ihr beim Verrichten ihres Geschäfts die Tränen kommen. Es ist die einzige echt, ja berührend wirkende Szene in dem Buch. Von boshafter Ironie Der Rest erscheint weitgehend als von einer einigermassen boshaften Ironie imprägniert; auch das Wort Sarkasmus böte sich an. Als Beispiel sei das Resultat der Musterung ihres nackten Körpers im Spiegel genannt: «Was sie sah, war so gar nicht nach ihrem Geschmack, der Anblick ihres Körpers entzückte sie wenig, ja erfüllte sie gelegentlich mit Widerwillen: Was für elende Titten! Die Makel an der Haut ihres Bauches, ihrer Hüften – weil ich als Kind einfach zu viel gefressen hab’! Auch ihr Haar passte ihr nicht, die spitzen Knie noch weniger, die breiten, spatelförmigen Zehen. Der Gesamteindruck war ungünstig. Und doch ging eine Art Wucht, ein deutlich spürbarer Bann von ihrem Spiegelbild aus: Wärme, ja rasch aufsteigende Hitze, die, aufs Erste besehen, sie dann aber wohlig erschauern liess. Das bin ich, 10 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 LAURA LETINSKY / GALLERY STOCK Von Bruno Steiger «Das bin ich und keine andere!», denkt die Protagonistin in Peter Roseis neuem Roman und ist vom Anblick ihres Körpers im Spiegel wenig begeistert. dachte sie etwa, das bin ich und keine andere!» Das kann ja nicht gutgehen, denkt man beim Lesen unwillkürlich, all die Selbstmorde im Buch wie der bedrückende Schluss bestätigen den Verdacht. Auch wo Rosei immer wieder einmal so etwas wie Mitgefühl mit seinen Figuren durchschimmern lässt, ist nicht zu übersehen, dass er sie ausnahmslos für mies und windig hält. Ja, windig. Der Autor selbst nennt das Wort an prominenter Stelle und in einer Beiläufigkeit, die keinen Zweifel daran lässt, dass es für den konzeptuellen Ansatz des ganzen Romans steht. Für den Befund sprechen nicht zuletzt die zahlreichen Einwürfe, in denen dem Leser signalisiert wird, dass alles Vorgebrachte auch ein klein wenig anders sein könnte. Man könnte von Warnungen sprechen, die den Roman wie einen roten Faden durchziehen: «Es wäre nicht ganz falsch zu behaupten, dass …»; «wir tragen das rasch nach»; «wer weiss», oder gar, in Bezug auf einen Strassennamen: «Die Ortsangabe tut freilich wenig zur Sache. Es hätte genauso gut an irgendeiner anderen Stelle der Stadt sein können.» Gänzlich falsch wäre es nun, zu denken, der Autor selbst traue seiner Sache nicht ganz. Diese Seitenhiebe der Erzählerstimme sind als streng formale Massnahmen zu sehen; sie bilden nicht nur im vorliegenden Buch Roseis bevorzugtes, lustvoll zelebriertes Stilmittel. Es drückt sich darin, ähnlich wie etwa bei Jean Echenoz, eine Skepsis gegenüber konventioneller Belletristik im Allgemeinen aus, vielleicht sehr gezielt auch gegenüber der heute marktbestimmenden Erzählseligkeit. Eine Kritik an tumbem Inhaltismus lässt sich daraus nicht ablesen, im Gegenteil. Roseis freudesattes Gespür für Trivialitäten der hübschen wie der weniger hübschen Art tritt in seinem ganzen Werk zutage. Vergnüglich zu lesen Was in «Madame Stern» besonders auffällt, ist eine deutliche Veränderung von Roseis Menschenbild. Im Vergleich etwa zu den traumverlorenen Exponenten seiner zauberhaften Prosa «Die Milchstrasse» aus dem Jahre 1981 ist das Personal seiner letzten Romane schrecklich aufgewacht in eine abgrundtief hässliche, zugleich bedrückend real anmutende Alltagswirklichkeit. In dieser Hinsicht kann «Madame Stern» als geradezu idealtypischer Beleg gelten: als Höhepunkt eines literarischen Unternehmens, das in einem rund 50 Titel umfassenden Werk von poesievoller Wehmut zu einem hoch ernüchterten Realismus vorgestossen ist. Zu hoffen bleibt, dass sich Peter Rosei dem heute fast schon zum Befehl gewordenen Ruf nach einer «Literatur, die etwas taugt» auch fürderhin in derart virtuoser und listiger, vergnüglich zu lesender Weise verschliesst. l E-Krimi des Monats Schnitzeljagd in Dantes Welt Dan Brown: Inferno. Lübbe, Köln 2013. 685 Seiten, Fr. 29.90, E-Book 24.40. Man nehme einen Helden, der die Welt retten muss; einen üblen Bösewicht, der eben diese zerstören will; eine Verfolgungsjagd, die sich über vier Fünftel des gesamten Romans erstreckt; sowie ein paar Rätsel, die der Held erraten muss. Das alles drapiere man vor einem kunsthistorischen Bühnenbild – und fertig ist der neue Dan-Brown-Roman. Brown setzt im neuen Thriller «Inferno» auf sein bewährtes Strickmuster, das zweifelsfrei funktioniert. Sein Held ist erneut der Tweedjacken-Liebhaber Robert Langdon, ein HarvardGelehrter für Symbolik. Dieses Mal findet sich Langdon übel zugerichtet und mit einer Gedächtnislücke in einem Spital in Florenz wieder. Kaum erwacht, beginnt seine Flucht – weil eine Frau mit gezogener Waffe in sein Zimmer stürmt. Ein Umstand, der ihm auch gleich eine Lebensretterin und Komplizin beschert: die hyperintelligente Ärztin Sienna Brooks. Die beiden werden mit einer Verschwörung konfrontiert, die ihre Wurzeln in einem der dunkelsten Meisterwerke der Literatur hat: in Dantes «Göttlicher Komödie». Nach den Kardinälen und Tempelrittern, die in früheren Büchern Geheimwissen vertuschten, ist die Reihe nun an der Wissenschaft; an einer transhumanistischen Geheimloge, die das Überleben der Menschheit auf der überbevölkerten Erde per Gentechnologie steuern will. Ihr Kopf ist der Dante-Fan und Biochemiker Bertrand Zobrist, der zwar nach vier Seiten bereits dahin geht, dessen in Gang gesetzter Plan jedoch die gesamte Mannschaft des Romans über 685 Seiten auf Trab hält. Die Schnitzeljagd führt durch Dantes Florenz, nach Venedig und bis nach Istanbul, wobei Brown zugleich als Kulturführer taugt; seitenweise werden Gebäude, Geschichte und Kunstwerke erläutert. Ansonsten liest sich das Buch wie ein Actionfilm, eine Mischung zwischen Indiana Jones und James Bond. Wobei es sich empfiehlt, nicht immer genau hinzulesen; dann nämlich, wenn die Sätze gespickt sind mit Floskeln und Plattitüden. Doch bei Browns Lesefutter wird der Nährwert aus der Spannung generiert. Jedes Kapitel endet mit einem Cliffhanger; man wird genötigt, weiter zu lesen. Gelungen ist, dass der Held sein Ziel verfehlen mag – und gerade sein Versagen womöglich die Rettung der Menschheit bedeutet. Nett auch, dass der Bösewicht, der so böse gar nicht ist, ein Schweizer ist. Von Christine Brand l Kurzkritiken Belletristik Christine Brand: Kalte Seelen. Kriminalroman. Landverlag, Langnau 2013. 354 Seiten, Fr. 29.-. Victor Zaslavsky: Der Sprengprofessor. Lebensgeschichten. Wagenbach, Berlin 2013. 144 Seiten, Fr. 22.90. 2008 erschien der erste Kriminalroman der «NZZ am Sonntag»-Redaktorin Christine Brand. «Kalte Seelen» ist ihr viertes Buch und der zweite Fall um Milla Nova, Journalistin beim Schweizer Fernsehen mit einem Faible für brisante Geschichten und brenzlige Situationen. So lässt sie sich diesmal für einen TVBeitrag im Frauengefängnis einsperren. Der Krimi beginnt mit dem Prozess gegen jenen Mann, der im letzten Buch versucht hat, Milla Nova zu töten. In einer dramatischen Aktion wird er vor dem Gerichtsgebäude befreit – oder entführt? Im Frauenknast lernt die Journalistin die mutmassliche Mörderin Flor kennen und wird nach und nach mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Wie schon in ihren bisherigen Büchern beeindrucken auch diesmal Brands fundierte Recherche, detailgenaue Schilderungen und starke, differenziert gezeichnete Frauenfiguren. Regula Freuler Bekannt wurde er als Historiker, Politologe und Soziologe. Doch Victor Zaslavsky, der 1937 in Leningrad geboren wurde und 2009 in Rom starb, war auch ein begnadeter Erzähler. 1975 emigrierte er aus der Sowjetunion und unterrichtete fortan als Professor in Kanada, Amerika, Italien. Die hier in einem schönen kleinen Sammelband vorliegenden Erzählungen schrieb er auf Italienisch. Sie sind sehr persönlich gehalten und beleuchten den Stalinismus aus ungewohnter Perspektive. Zaslavsky schildert hier das kommunistische Russland seiner Kindheit, Jugend und Studentenzeit in seiner ganzen Absurdität. In scheinbar lapidaren Erzählungen fasst er den Alltag von damals in eindringliche Bilder. Er beschreibt die Konflikte eines Bürgers jüdischer Herkunft mit dem totalitären Machtapparat aufs Eindringlichste und findet dabei sogar zu entwaffnender Komik. Manfred Papst Élémir Bourges: Götterdämmerung. Roman. Deutsch von Alexandra Beilharz. Manesse, Zürich 2013. 474 Seiten, Fr. 35.40. Delphine de Vigan: Das Lächeln meiner Mutter. Autobiografischer Roman. Droemer, München 2013. 384 S., Fr. 28.90, E-Book 27.20. Der französische Autor Élémir Bourges (1852–1925) ist im deutschen Sprachraum bisher so gut wie unbekannt. Das dürfte sich jetzt ändern: Zum Wagner-Jahr 2013 hat der Manesse-Verlag erstmals ein Werk des Décadence-Erzählers übersetzen lassen. Der 1884 erschienene Roman «Götterdämmerung» («La Crépuscule des dieux») spielt am Hof des Herzogs von Blankenburg. Dort dirigiert Wagner gerade ein Konzert für Karl von Este, als die Preussen einfallen. Das Fest muss abgebrochen werden, der Komponist und sein Gönner entkommen nach Paris. Bourges’ so schwülstiger wie spannender Roman reflektiert, wie Albert Gier in seinem Nachwort zeigt, den französischen Wagner-Kult aufs Trefflichste; zudem reiht er sich in die Tradition erzählender Prosa von D’Annunzio über Proust bis zu Thomas Mann ein, die vom Komponisten beeinflusst war. Manfred Papst «Du wirst deinen Roman in einem positiven Ton ausklingen lassen», wurde sie von ihrer Tante ermahnt. Delphine de Vigan kam dem Wunsch nach: Am Ende ihrer autobiografischen Spurensuche versöhnt sich de Vigan, die 1966 in Frankreich geborene, in viele Sprachen übersetzte und vielfach preisgekrönte Autorin, mit dem Freitod ihrer Mutter Lucile. Obwohl de Vigan früh merkte, dass es keine abschliessende Wahrheit gab, sprach sie mit allen, «die Lucile gekannt haben und diese vergnügte, vernichtete Familie, die wir bilden». Sie erfährt von heller Zuversicht und dunklen Geheimnissen, von tragischen Unfällen und mutmasslichem Missbrauch, von Verschweigen und Hadern. In die wechselnde Erzählperspektive flicht die Autorin auch die Entstehungsgeschichte dieses Buches ein. Eine bewegende Lektüre, trotz fragwürdiger Übersetzung. Regula Freuler 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11 Essay Georg Büchner (1813-1837), der auch in Zürich gelebt hat, hinterliess ein Werk, das mit seiner Sprachgewalt, der Wucht seiner Dialoge und der Atemlosigkeit seiner Prosa eine Herausforderung für jeden Leser ist. Manfred Koch hat sich mit dem Frühverstorbenen auseinandergesetzt «Ich komme aus dem Leichendunst» Georg Büchner Georg Büchner wird am 17. Oktober 1813 in Goddelau, Hessen, geboren. Für das Studium der Medizin zieht er nach Strassburg und kommt erstmals in Kontakt mit revolutionärem Gedankengut. 1834 beteiligt er sich in Giessen an der Gründung der «Gesellschaft der Menschenrechte». Ein Jahr später entsteht «Dantons Tod», Büchner flieht nach Strassburg und beginnt mit dem Studium der Naturwissenschaften. Es folgen «Lenz» und «Leonce und Lena». 1836 promoviert Büchner in Zürich über das Nervensystem der Fische. Zusammen mit anderen politischen Flüchtlingen aus Deutschland wohnt er in der Spiegelgasse 12. Im Februar 1837 stirbt er an Typhus, wird auf dem Friedhof der Grossmünster-Gemeinde bestattet und später umgebettet. Lesenswerte Neuerscheinungen zu Büchner: • Hermann Kurzke: Georg Büchner. Geschichte eines Genies. C. H. Beck, München 2013. • Jan-Christoph Hauschild: Georg Büchner. Verschwörung für die Freiheit. Hoffmann und Campe, Hamburg 2013. 12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 kann man sich ihnen allerdings kaum entziehen. Denn staunend steht man vor einem Werk, das zwar fraglos der geniale Wurf eines Jünglings ist, zugleich aber wie etwas Letztes, Unüberbietbares – und in diesem Sinn: wie ein abschliessendes Vermächtnis – wirkt. Büchner wollte nicht sterben in jenem Zürcher Halbjahr 1836/37, in dem er nach Erhalt des Doktortitels und der Ernennung zum Universitätsdozenten erstmals berufstätig war (allerdings sass in seinem Kolleg «Zootomische Demonstrationen» am Ende nur ein interessierter Hörer). Er war ein anerkannter Naturwissenschafter, der bald eine Professur bekommen musste. Die Heirat mit seiner Strassburger Verlobten Wilhelmine Jaeglé war in greifbare Nähe gerückt. Sein Vater, der strenge Medizinalrat Ernst Büchner, der den Kontakt abgebrochen hatte, war angesichts der eingeschlagenen akademischen Laufbahn wieder versöhnt. Der Typhus raffte Georg Büchner also in einer Phase dahin, in der sein Leben sich gerade zu konsolidieren begann. Man mag heute erschrocken schmunzeln, wenn man sich Büchner als verheirateten Anatomieprofessor vorstellt, der die Literatur aufgegeben hat oder nur noch in Nebenstunden schreibt (womöglich weniger wilde, «klassische» Dramen). Fest steht indes, dass die wissenschaftliche Karriere zuletzt sein erklärtes Lebensziel war und er für ihr Gelingen mit einer geradezu titanischen Arbeitswut Tag für Tag Legionen von Tierleichen zerlegte. Beschwörung des Todes Auf der anderen Seite kann Büchners Werk als eine einzige Beschwörung des Todes gelesen werden. Schon die Texte des Gymnasiasten handeln von Selbstmord und Heldentod. Sein erstes Drama heisst «Dantons Tod», im Zentrum steht die Hinrichtungsmaschinerie der Französischen Revolution. «Woyzeck», das letzte Drama, bringt einen Mord aus Eifersucht auf die Bühne, «Lenz» ist die Darstellung eines Abgleitens in den Wahnsinn, der vom Helden der Erzählung als Totsein bei lebendigem Leib empfunden wird. Und auch die Komödie «Leonce und Lena» wartet mit bizarren Todesbildern auf: «Adio, adio, meine Liebe, ich will deine Leiche lieben.» Büchner umkreist den Tod in allen seinen Facetten, auch und gerade den krude-körperlichen. Mit Leichen kannte er sich aus. Schon als Schüler durfte er an den öffentlichen Sektionskursen seines Vaters teilnehmen. Als Medizinstudent griff er selbst zum Skalpell. «Ich komme eben», schreibt der 18-Jährige, «aus dem Leichendunst und von der Schädelstätte, wo ich mich täglich wieder einige Stunden selbst kreuzige.» Typisch für Büchner ist die plötzliche, brutale Überblendung von Anatomie und Reli- Büchner ist ein Meister in der Darstellung jener existentiellen Langeweile, die denjenigen befällt, der anfängt, sich die Frage zu stellen: «Wozu eigentlich?» gion, von Gottesbild und «Leichendunst». Was den zeitgenössischen Bürgern heilig war, ihre Ideale, die sie phrasenhaft beschworen, wird in seinem Werk physisch erniedrigt. Danton erklärt in der Sprache der Anatomie die Liebe für eine Illusion. Die Menschen, belehrt er seine Frau, wissen eigentlich nichts voneinander, sie bleiben ihr Leben lang in einer unaufhebbaren Einsamkeit befangen: «Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.» Danton ist Büchners erster nihilistischer Held, ein Revolutionär, der angesichts des fabrikmässigen Mordens in der Phase der Schreckensherrschaft unter Robespierre nicht nur den Glauben an die Politik verloren hat. Ein umfassender Welt- und Daseinsekel lässt ihn am Sinn jeglichen Handelns zweifeln, angefangen vom morgendlichen Aufstehen und Anziehen bis hin zur Liebesumarmung. Büchner ist ein Meister in der Darstellung jener existentiellen Langeweile, die denjenigen befällt, der angefangen hat, sich dauernd die Grundsatzfrage «Wozu eigentlich?» zu stellen. «Ja Herr Pfar- ▼ Sein dickstes Buch, etwas weniger als hundert Seiten, handelt vom Nervensystem der Flussbarbe. Sein literarisches Werk lässt sich in einem Tag lesen: drei Dramen, eine Erzählung, eine politische Kampfschrift. Danach wird einem allerdings der Kopf schwindeln: eine ungeheure Sprachgewalt auf engstem Raum! Georg Büchners schmales Werk ist eine Herausforderung für das Nervensystem des Lesers. Büchner starb am 19. Februar 1837 im Alter von 23 Jahren an Typhus. Wiederholt, zuletzt ein halbes Jahr vor seinem Tod, soll er gesagt haben: «Ich werde nicht alt werden.» Hat die Atemlosigkeit seiner Prosa, die geballte Wucht seiner Dialoge damit zu tun, dass er insgeheim wusste, wie wenig Zeit ihm blieb? Solche Spekulationen sind problematisch, weil sie sich zum einen nicht weiter belegen lassen und zum andern an das «romantische» Klischee vom todessüchtigen Dichter rühren. Im Fall Büchners ULLSTEIN «Ich werde nicht alt werden», sagte Georg Büchner; er starb mit nur 23 Jahren an Typhus. Die Lithografie stammt von 1835 und zeigt den Autor im Alter von gut 21 Jahren. 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13 Essay «Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren», lässt Büchner Danton sagen. 1834 in Giessen eine «Gesellschaft der Menschenrechte» gründete und dann im Sommer mit dem «Hessischen Landboten» die Bauern gegen ihre Unterdrücker auf die Barrikaden treiben wollte. Büchner betrat die literarische Szene als politischer Agitator; er ist der nicht so häufige Fall eines Schriftstellers, der steckbrieflich verfolgt wurde. Seine konspirative Gruppe flog auf, viele ihrer Mitglieder kamen ins Gefängnis. Büchner gelang Anfang März 1835 die Flucht nach Strassburg. In den Wochen zuvor schrieb er, in ständiger Angst vor der Inhaftierung, «Dantons Tod». Marxistische Interpreten haben lange behauptet, das Drama unterstütze die Position der Jakobiner. Das war einigermassen dreist. Der «Blutmessias» Robespierre ist gewiss keine Identifikationsfigur. Wie aber steht es mit seinem Gegenspieler, dem unterlegenen, am Ende geköpften Danton? Ihm hat Büchner immerhin seinen deutschen Vornamen gegeben: «Georg Danton» heisst er im Personenverzeichnis, nicht Georges. Die Versuchung lag nahe, nun in Danton das Sprachrohr des Autors zu erkennen, Dantons Nihilismus als Ausdruck von Büchners totaler Resignation nach dem Scheitern seines hessischen Umsturzversuchs zu verstehen. Dagegen spricht zweierlei. Zum einen hat Büchner nie resigniert in dem Sinn, dass er gänzlich unpolitisch, apathisch geworden wäre. Die Wut über soziale Ungerechtigkeit, das heftige Mitgefühl für die misshandelten Armen blieb seine stärkste Triebkraft. Auch in «Dantons Tod» sind die glaubwürdigsten Figuren die namenlosen Pariser Hungerleider, die nach Brot schreien und von den Jakobinern mit Aristokratenköpfen abgespeist werden. Abgesagt hat Büchner damals allein dem Glauben, zum gegebenen Zeitpunkt durch Agitation und politisches Handeln die Machtverhältnisse ändern zu können. Geplagt von Selbstzweifeln Zum andern erhält Dantons bodenloser Pessimismus im Drama eine zwielichtige Note. Auf dem Gipfel seiner Macht war Danton der Verantwortliche für die Massaker vom September 1792 gewesen. Mit ihnen begann die radikale Phase der Revolution, die ihn mit seinen Anhängern nun selbst in den Abgrund reisst. Diese Schuld des «Septembers» lässt ihn nachts nicht schlafen. Tags aber neigt er dazu, mit zynischer Gebärde die Opfer der Revolution für gleichgültig zu erklären. In der sinnlosen Welt gehe doch sowieso alles einem mehr oder minder hässlichen Ende entgegen: «Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. (. . .) Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben? (. . .) Das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.» Nihilistische Rhetorik kann auch ein Mittel sein, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Der Revolutionär Büchner hat niemanden umgebracht (oder umbringen lassen). Aber auch er litt unter einem Schuldgefühl: dem des Davongekommenen gegenüber den Freunden, die im Gefängnis teilweise fürchterliche Qualen litten. In Danton, dem sprachmächtigen «Georg» des Dramas, der eine revolutionäre Begeisterung entfachen kann, die zuletzt katastrophale Folgen hat, spiegelt er seine Selbstzweifel. Hat er im «Hessischen Landboten» nicht vor allem selbstverliebt seinem rhetorischen Können freien Lauf gelassen? Wofür die, KEYSTONE ▼ rer», spricht der Dichter Lenz, «sehen Sie, die Langeweile! die Langeweile! o! so langweilig, ich weiss gar nicht mehr, was ich sagen soll.» Für den verzweifelten Lenz ist Gott ein illusorischer «Zeitvertreib», ein Sinn-Spielzeug, mit dem die Menschen sich über die Grundlosigkeit ihres Daseins hinwegtäuschen. Büchner ist ungeheuer erfindungsreich in atheistischen Sprachexperimenten. Mal beschwört eine seiner Figuren einen leeren «groben Himmel», der nurmehr dazu tauge, «einen Kloben hineinzuschlagen und sich daran zu hängen» (Woyzeck). Oder es gibt zwar noch «Götter», aber die sind ausgesprochen bösartig: «Sind wir Kinder, die in den glühenden Molochsarmen dieser Welt gebraten und mit Lichtstrahlen gekitzelt werden, damit die Götter sich über ihr Lachen freuen?» (Danton). Die Heftigkeit, mit der hier Gott für seine Abwesenheit bzw. seinen Sadismus angeklagt wird, zeigt allerdings, wie stark die Sehnsucht dieses Autors nach einer höchsten Instanz war, die Sinn und Ordnung des Ganzen verbürgt. Georg Büchner war kein gelassener Atheist. Büchner-Leser fragen sich seit jeher, wie dieser mal düstere, mal spöttische Pessimismus zusammengeht mit der anderen Seite seiner Persönlichkeit: dem Revolutionär, der im März Georg Büchners Grab mit Inschrift von Georg Herwegh, heute am Germaniahügel in Zürich Oberstrass. die ihm folgten, nun büssen müssen? Und ist das Gefühl der universellen Nichtigkeit, dem er sich hingibt, nicht auch eine Ausflucht, um diese Schuld zu verdrängen? Der Schriftsteller Büchner hat seine Aufgabe darin gesehen, das Leiden, das der Politiker Büchner nicht beseitigen konnte, in einer bis dahin ungekannten Eindringlichkeit darzustellen. Wenn es im «Lenz» heisst, der Dichter müsse sich «in das Leben des Geringsten» versenken und es wiedergeben, ganz nah, in seinen «Zuckungen und Andeutungen», dann sind damit auch und vor allem die Zuckungen des Leids, der Schmerzen, der Angst und der Verzweiflung gemeint. Büchners Schreiben zielt auf die Erregung von Mitleid als körperlicher Schockreaktion, einer «zuckenden» Betroffenheit des Lesers bzw. Zuschauers. Wer sich auf «Woyzeck», die Geschichte des Menschen, «auf dem alle rumtrampeln» (Alfred Kerr), einlässt, wird dieses Zucken spüren. Georg Büchner, der Mediziner, der Nervenspezialist, ist ein Autor, der mit Seele und Leib gelesen werden will, mit den Muskeln und Nervenfasern des Körpers so gut wie mit allen von ihm aufgeregten Emotionen und Phantasien. Und mit den wachen Augen des Intellekts. l neue bücher bei hier + jetzt Wie das Rätoromanische zur Landessprache wird Pionier der modernen Schweiz Heinrich Zschokke 1771–1848 Eine Biografie Werner Ort 710 Seiten, 87 Abb., gebunden mit Schutzumschlag Fr. 69.–, € 49.– Weder Italiener noch Deutsche! Die rätoromanische Heimatbewegung 1863–1938 Agrarische Religiosität Landbevölkerung und traditioneller Katholizismus in der voralpinen Schweiz 1945–1960 Rico Valär 432 Seiten, 69 Abb., gebunden, Fr. 59.–, € 46.– Peter Hersche 400 Seiten, 21 Abb., gebunden Fr. 49.–, € 39.– hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH Postfach, ch-5405 Baden, Tel. +41 56 470 03 00 Bestellungen per E-Mail: [email protected] 14 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 Intimer Blick ins katholische Milieu Die Tourismus-Schweiz um 1900 Meine Reise durch die Schweiz – einst und jetzt www.hierundjetzt.ch Hg. Paul Honegger, kommentiert von Roland Flückiger 272 Seiten, 600 Abb. gebunden Fr. 89.–, € 69.– Kolumne GAËTAN BALLY / KEYSTONE Charles Lewinskys Zitatenlese Der Autor Charles Lewinsky arbeitet in den verschiedensten Sparten. Sein neues Buch «Schweizen – vierundzwanzig Zukünfte» ist im Verlag Nagel & Kimche erschienen. – Ich habe meinen ganzen Tag mit einem verdammten Sonett verschwendet, ohne einen Schritt weiterzukommen. Und dabei fehlt es mir nicht an Ideen. Ich bin voll davon. Ich habe zu viele. – Aber, Degas, man macht Verse nicht aus Ideen. Man macht sie aus Worten. Kurzkritiken Sachbuch Wolfgang Röd: Heureka! Philosophische Streifzüge im Licht von Anekdoten. C. H. Beck, München 2013. 260 Seiten, Fr. 24.40. Rupert Gebhard u.a. (Hrsg.): Alexander der Grosse, Herrscher der Welt. Zabern, Darmstadt 2013. 304 Seiten, Fr. 35.40. Descartes entschied sich nach drei Träumen für die Wissenschaft. Archimedes sprang splitternackt aus dem Bad und rief Heureka – ich hab’s gefunden! Wittgenstein ging mit dem Feuerhaken auf Popper los, weil dieser ihn kritisiert hatte. Die berühmten PhilosophenAnekdoten sind zwar nicht unbedingt wahr, doch sie schlagen jeweils ein Thema an. Ausgehend von 32 Anekdoten erklärt und verfolgt der österreichische Philosophieprofessor Wolfgang Röd das philosophische Denken seit der Antike bis heute. Seine Streifzüge sind nicht immer so leicht lesbar wie die Anekdoten, doch erhellen sie oft erstaunliche Verwandtschaften über die Jahrhunderte. Auch einem Galileo, Newton oder Rousseau schienen ihre Erkenntnisse in den Schoss gefallen zu sein wie ein Fund – doch wie schon bei Archimedes war dieser Fund in Wahrheit der Abschluss eines langen Denk- und Suchprozesses. Kathrin Meier-Rust Übermensch oder grausamer Schlächter? Der antike Superstar Alexander der Grosse pendelt zwischen diesen beiden Polen. Seit dem frühen Tod des charismatischen Helden 323 v. Chr. in Babylon, angeblich aufgrund einer Vergiftung, versucht jede Epoche aufs Neue, das rätselhafte Wesen des Makedonenkönigs zu deuten – zurzeit in einer grossen Ausstellung in München (bis 3. November). Das sorgfältig gestaltete Begleitbuch präsentiert den Heros anhand seiner Lebensstationen, seines Umfelds und widmet sich auch seinem postumen Bild in Kunst und Literatur. Unter den von kompetenten Spezialisten verfassten, gut lesbaren Beiträgen ist derjenige von Chrysoula Saatsoglou hervorzuheben: Es ist einer der ersten, wenn auch noch immer sehr rudimentären deutschen Texte über die sensationellen Wandmalereien im Grab von Alexanders Vater Philipp II. in Vergina, Griechenland. Geneviève Lüscher David Signer: Weniger Verbote! Mehr Genuss! Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2013. 95 Seiten, Fr. 8.40 (inkl. E-Book). Margarete Mitscherlich: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2013. 266 Seiten, Fr. 29.90. Getreu dem Motto Epikurs, dass übertriebene Askese ungesund sei, ruft David Signer zu mehr Genuss im Leben auf – zu mehr Spielerei, Kreativität und Freiheit. «Auch Erwachsensein braucht einen Schuss kindlichen Übermuts und Vernunft eine Prise Verrücktheit, um nicht totalitär zu werden.» Fürwahr, der Kollege findet zuhauf Anschauungsmaterial: bei der Skandalisierung jedes abweichenden Verhaltens, bei Rauchverboten, spiessiger Bio-Politik usw. Es drohe die Durchregulierung des Alltags durch Benimm- und Moralapostel, der Maulkorb durch political correctness und das Ende der Privatsphäre durch totale Transparenz. Das Pamphlet beruht u.a. auf Artikeln des Autors in der «NZZ am Sonntag». Wer das Buch kauft, erhält auch das E-Book mit einem Wasserzeichen (um eine unbefugte Weitergabe zu verhindern). Auch das ein Verbot! Urs Rauber Bis zu ihrem Tod vor einem Jahr hat die 95jährige Margarete Mitscherlich an diesem letzten, nun posthum erschienenen Buch gearbeitet. Es vereint bereits veröffentlichte mit unpublizierten Texten, die einmal mehr die typischen Mitscherlich-Themen anschlagen: Die Verstrickung von Schuld, Verdrängung und Trauer, Frauengeschichten und Frauenbewegung sowie Erinnerungen. Ob sie die Liebe von Beauvoir und Sartre analysiert, die Bewegungsfreiheit ihrer Kindheit in Dänemark oder das Bewegungs-Gefängnis im Alter schildert – inhaltlich mögen ihre Gedankengänge für Mitscherlich-Leser nicht neu sein, doch sie sind immer differenziert und klar formuliert. Und wer wissen möchte, worum es dem Ehepaar Mitscherlich damals im Bestseller von der «Unfähigkeit zu Trauern» wirklich ging, der kann es hier zusammengefasst erfahren. Kathrin Meier-Rust Ein Gespräch zwischen Edgar Degas und Stéphane Mallarmé Immer mal wieder liest man ein Buch, dessen Autor so viel zu sagen hat, dass er vor lauter Mitteilungseifer nie dazu gekommen ist, es auch verständlich zu formulieren. Vor lauter Betroffenheit hat er die richtigen Tasten seines Computers nicht mehr getroffen. Die Gewichtigkeit seiner Botschaft hat ihm die Grammatik durchgeschüttelt und den Satzbau durcheinander gebracht. Die Gedanken, an denen ihm so viel liegt, laufen kreuz und quer in alle Richtungen. Und kommen nie beim Leser an. Ich muss bei solchen Büchern immer an einen Koch denken, der das Servieren nicht erwarten kann und deshalb alle Zutaten der geplanten Mahlzeit in einen grossen Eimer schüttet und den – friss oder stirb! – vor seinen Gästen auf den Tisch klatscht. So ungeordnet kippen solche Bücher ihre Überzeugungen und Meinungen über den Leser aus, dass man am liebsten einen Schirm aufspannen möchte, um sich vor dem Wortgewitter zu schützen. «Lies mich! Lies mich! Ich bin wichtig!», schreien sie, und sie tun es so laut, dass man sich gegen den Lärm nur wehren kann, indem man sie ganz schnell zuklappt und auf den Brockenhausstapel bugsiert. Buchdeckel drauf. Die Literaturkritik hat kein Fachwort für diese Art von Überdruck-Literatur. Man muss sich die richtige Bezeichnung aus der Theatersprache borgen, wo solche Text-Eruptionen als «Schwampf» bezeichnet werden. (Die Legende berichtet von einem jungen Schauspieler, dessen allererste Bühnenrolle nur aus dem Satz «Schwarz war der Himmel von der Schiffe Dampf» bestand. Als er dann endlich an der Premiere auf der Bühne stand, drückten ihm Erfolgsgier und Lampenfieber so sehr auf die Stimmbänder, dass er nur noch die Silbe «Schwampf» hervorbrachte.) «Mir fehlen die Worte» sagt man, wenn einen ein Ereignis oder ein Gefühl überwältigt hat. Die Konsequenz daraus müsste eigentlich Schweigen sein. Bei Schwampf-Literaten leider nicht. Sie bringen die Worte, die ihnen fehlen, erbarmungslos zu Papier. Im Irrglauben, das Chaos ihrer Formulierungen würde die Aussage, die ihnen so wichtig ist, authentischer machen. Aber alles, was beim Leser ankommt, ist ein authentisches Durcheinander. Weil man Bücher, genau wie Sonette, eben nicht aus Ideen macht, sondern aus Worten. 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15 Sachbuch Thomas Mann Der Wallstein Verlag macht sich um zwei editorische Grossprojekte verdient: Die Tagebücher und Briefe von Hedwig Pringsheim an ihre Tochter Katia Mann Klatsch und Liebesko Hedwig Pringsheim: Mein Nachrichtendienst. Briefe an Katia Mann 1933-1941. Wallstein, Göttingen 2013. 1700 Seiten, Fr. 118.90. Hedwig Pringsheim: Tagebücher 18851891 (Bd. 1) und 1892-1897 (Bd. 2). Wallstein, Göttingen 2013. 718 und 767 Seiten, je Fr. 66.90. Von Kirsten Voigt Zwei Lesebändchen hat jeder der beiden roten Leinenbände von «Mein Nachrichtendienst», der gewichtigen Gesamtausgabe der zwischen 1933 und 1941 verfassten Briefe Hedwig Pringsheims an ihre Tochter Katia, verheiratete Mann. Dirk Heisserer hat dieses editorische Grossprojekt in Angriff genommen und bravourös in staunenswerter Geschwindigkeit zu Ende geführt. In nur vier Jahren gelang es ihm, den in zwei Schuhschachteln geborgenen Schatz zu heben: die leider nur einseitig erhaltene Korrespondenz der Schwiegermutter Thomas Manns mit ihrer Tochter. Das wäre angesichts der Zahl von 375 Briefen – weitere 63 sind wohl verschollen – vielleicht gar nicht so erstaunlich. Völlig frappierend ist jedoch, dass der Literaturwissenschafter und Vorsitzende des Thomas-Mann-Forums München in dieser Zeit einen Zeilenkommentar zuwege gebracht hat, der schier lückenlos – als handelte es sich um leicht erreichbare Informationen über Zeitgenossen oder Gegenwärtiges – Orientierung schafft: Es werden Identitäten aufgedeckt, Querverbindungen hergestellt, Tagesabläufe rekonstruiert, Anspielungen erklärt, Theater- und Opernaufführungen dokumentiert, Sendezeiten von Radioübertragungen und deren Inhalt verzeichnet. Erläutert werden alle Wehwehchen und Malheurchen der Familienmitglieder, referiert die Lektüren der Schreibenden. Ganz nebenbei erfährt man Biografisches über zahllose Intellektuelle, Künstler und Politiker, um die es in den Schreiben der gesellschaftlich höchst umtriebigen Familie ging. Damit wird schon klar: Ohne das zweite Lesebändchen wäre der Leser inmitten dieser Flut von Leben, Leuten und Kultur, von Gedankengängen, Plänen und Verwicklungen völlig verloren, zumal der humorige Mutter-Tochter16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 Grossfamilien-Geheimcode unter der mutmasslichen Observanz der Nazis immer dezenter und unverständlicher ausfiel. Und so dividieren sich die insgesamt gut 1700 Seiten denn wie folgt auseinander: Die Briefe nehmen wenig mehr als 600 Seiten ein. 1100 Seiten braucht es, um die Mitteilungen der unbeirrbar in Nazideutschland ausharrenden Mutter an die emigrierte Tochter zu entschlüsseln, mit Dokumenten zu flankieren, mit Fotos aus dem Familienalbum zu illustrieren und mit Registern und Literaturangaben zu erschliessen. Die Manns, das ist nichts Neues, sind eine anstrengende Familie. Soviel zur Arithmetik. Nun zur – im Angesicht der Zeitläufe äusserst milden – Tragik der Hedwig Pringsheim. Die Tochter der Autorin Hedwig Dohm und des Redakteurs der Zeitschrift «Kladderadatsch», Ernst Dohm, kurze Zeit Schauspielerin am Meininger Theater, gebildet und bildschön, begabt mit sarkastisch scharfem Humor und einem ausgeprägten Sinn für die Kunst des Wortspiels, zeigt sich auch in diesen Briefen als mondäne Patriarchin und mitunter dünkelhaft irrende, nicht selten selbstgefällige Grossbürgerin. Anders als ihre frauenbewegte Mutter, die auf der Grundlage der von der Tochter aus München empfangenen Briefe 1896 einen Skandalroman veröffentlichte – «Sibilla Dalmar» –, bringt es Hedwig Pringsheim nicht zu einer emanzipierten schöpferischen Eigenständigkeit. All ihre Beobachtungen und ihre Lust am Schreiben fliessen in Tagebücher und die Korrespondenz. Unerhört bildungshungrig Diesen Tagebüchern widmet sich nun ein noch umfassenderes, profundes, im Kommentarsektor aber viel sparsameres Editionsprojekt, um das sich auch der Göttinger Wallstein Verlag verdient macht: Herausgegeben von Cristina Herbst, erschienen jetzt die ersten zwei Bände (1885-1891 und 1892-1897) der Tagebücher Hedwig Pringsheims. Hier begegnet Hedwig dem Leser als Frau von 29 Jahren – also fast ein halbes Jahrhundert früher als in den Briefen an die Tochter. Man wird Zeuge ihrer gesellschaftlichen Etablierung, ihres unerhörten Bildungshungers. Sie verschlingt vor allem französische Literatur, liest Nietzsche, Rousseau und Schopenhauer. Man lernt ahnen, wie und woran sich ihr Kunst- und Musikgeschmack entwickelt – im Dialog etwa mit Hans Thoma, Franz von Lenbach und dem Freundeskreis aus Wagnerianern. Sie begeistert sich für Henrik Ibsen, Eislaufen und Radfahren. Sie führt Buch über ihre Unpässlichkeiten, denen sie gemütliche Lesetage auf dem Sofa abtrotzt und über gelegentliche Szenen einer Ehe. Allerdings bleibt die Schreiberin fast durchweg diskret. Ob Tage- orrespondenz lust, ihren Pazifismus, ihren Eifer, ihr Temperament, ihre Wortschöpfungen wie etwa «schauderös», «abgreulich», «abauteln» (für wegfahren), «Zeitraubtier», oder die «Urgreise». Ihr früher Wunsch, selbst Schriftstellerin zu werden, verebbt im kindergesegneten Eheund Wohlleben, das die Verbindung mit dem aus höchst begütertem Hause stammenden Mathematik-Professor Alfred Pringsheim ihr verschafft. Sie bleibt eine nimmermüde Beobachterin. Aber die Tragweite der politi- schen Entwicklungen verkannte Hedwig Pringsheim lange und hegte als Tochter eines vom Judentum zum Christentum übergetretenen Vaters und als getaufte Protestantin gegen jüdische Mitbürger befremdliche Animositäten. Thomas Mann – den sie in ihren Briefen unter anderem als «Reh», «Rehbein», «Dichterfürsten» und «Paulinchen» codiert – war diese Borniertheit unerträglich: «Meine Gereiztheit und nervöse Belastung durch die Alten, namentlich den albernen und dürren Widerspruchsgeist von K.‘s Mutter, eine Objektivität, die geistige Überlegenheit vorstellen soll, aber nichts als Unwissenheit und dünkelhafter Selbstschutz ist, ist sehr gross.» Familientee im Ferienhaus von Thomas Mann in Nidden am 2. September 1930. Von links: Monika Mann, Hedwig Pringsheim, Thomas und Katia Mann, Alfred Pringsheim. Angetan vom Führer KEYSTONE buch oder Brief: Tiefe Reflexionen darf man von Hedwig Pringsheim nicht erwarten. Sie ist eine Chronistin, vor allem des persönlichen Lebens, der äusseren Ereignisse, in deren Spiegel sich Zeitgeschehen reflektiert. Eine Diagnostikerin ist sie nicht. Aus ihren Aufzeichnungen sprechen Esprit, Wachsamkeit, aber auch ein enervierendes, fast zwanghaftes Bedürfnis, jedes Gegenüber von oben herab zu taxieren. Sympathisch ist Hedwig dem Leser für ihre Munterkeit und Lebens- Für Hitlers Auftritte empfand Hedwig Pringsheim, obschon sie dessen propagandistische Doppelzüngigkeit spürte, zeitweilig leise Sympathie. Die Emigration lehnt sie in ihren Briefen an Katia aus- und nachdrücklich ab – zunächst hält sie den Nationalsozialismus für ignorierbar, später scheint ihr eine Umsiedlung weder angesichts ihres und Alfreds Alter noch mit den verbliebenen finanziellen Mitteln möglich. Nach der Emigration Katia Manns und ihrer Familie wird sie sich allerdings zunehmend schmerzlich ihrer Isolation bewusst. Ihre Zuflucht scheint dann nur noch die «Liebeskorrespondenz» mit ihrer Tochter Katia. In jenen letzten Briefen nach Alfreds Tod, die sie aus Zürich in die USA schickt, ringt die alte Dame um Erzählenswertes, um Erinnerungen, um Gedanken, um Worte, die sich nicht mehr einstellen wollen. Sie, die einst ein lebender Zitatenschatz war, stammelt. Der «Nachrichtendienst» hatte praktische, nicht ästhetische Funktionen – nämlich den Kontakt aufrechtzuerhalten, die Familie und die eigene Psyche zu stabilisieren, im familiären Rahmen, Stellung zu beziehen zu den Vorgängen in Deutschland. Dieser Nachrichtendienst informiert, verrät manches und wird jenen, die der Familie Mann und der Literatur ihrer schreibenden Mitglieder als echte Liebhaber besonders geneigt nahestehen, mehr geben als nüchterneren Betrachtern. Manches bleibt eben in der Familie und eine Frage der Zuneigung. l 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17 Sachbuch Korrespondenz Der zweite Band der Brautbriefe von Sigmund Freud und Martha Bernays porträtiert eine Epoche – und weist gleichzeitig voraus auf die Psychoanalyse Krankengeschichten sind Novellen Sigmund Freud, Martha Bernays: Unser Roman in Fortsetzungen. Die Brautbriefe Bd. 2. Juli bis Dezember 1883. Hrsg. Gerhard Fichtner, Ilse Grubrich-Simitis und Albrecht Hirschmüller. S. Fischer, Frankfurt 2013. 616 Seiten, Fr. 69.90. Von Sabine Richebächer Am 16. Juli 1883 schreibt der 27jährige Assistenzarzt Sigmund Freud an seine 22jährige Braut Martha Bernays im fernen Wandsbek: «Weisst Du, wieviel Briefe Du von mir in einem Jahr bekommen kannst? 360. Und wie viel Jahre das so fortgehen wird? Es können wohl tausend Briefe werden, für die wir dann ein eigenes Zimmer als Archiv bestimmen werden müssen.» Während der Bräutigam sich eine interessierte Nachwelt vorstellen kann und Bewahrungsabsich- ten äussert, liebäugelt die Braut mit einem anderen Ausgang: «Unsern Briefwechsel, mein Schatz, mein ich, verbrennen wir an unserm Hochzeitstag.» Die Trennung der Liebenden währte, mit kurzen Unterbrechungen, von Juni 1882 bis zum September 1886, als Freud, nunmehr Nervenarzt in eigener Praxis, eine Existenzgrundlage geschaffen hatte und sie endlich heiraten konnten. Das Konvolut der Brautbriefe war inzwischen auf über 1500 Dokumente angewachsen. Sie blieben erhalten und reisten 1938 mit dem nun betagten Ehepaar Sigmund und Martha Freud ins Londoner Exil. Mit Gerhard Fichtner, Ilse GrubrichSimitis und Albrecht Hirschmüller hat das auf fünf Bände angelegte, editorische Grossprojekt ein hervorrragendes Team von Herausgebern gefunden. Jeder Band erhält in Gestalt eines Zitats BRIAN SKERRY Mensch und Meer Von oben wie von unten Es ist nicht einfach, auf die vom Menschen ausgehende Bedrohung der Natur aufmerksam zu machen, ohne die Moralkeule zu schwingen. Zwei Fotografen ist es mit «Der Mensch und die Weltmeere» gelungen, mit berückend schönen Bildern gleichsam die Anziehungskraft der Ozeane zu dokumentieren – aber auch ihre Zerstörung durch die Nutzbarmachung darzustellen. Dabei nehmen sie unterschiedliche Perspektiven ein. Yann ArthusBertrands Luftaufnahmen fesseln, bleiben durch die Distanz aber abstrakt. Ihm zur Seite steht der Unterwasserfotograf Brian Skerry, der sich durch 18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 seine Kamera mit Seeanemonen, Riesenmuscheln und Fischen wie dem neuseeländischen «Köhler» (Bild) gemein macht. Die beiden wählten Fotos aus, welche die Schönheit der bedrohten Lebensräume porträtieren, kontrastiert durch nur wenige grausame Eindrücke. Der Dringlichkeit der Anliegen sind die Texte und Interviews von und mit Experten wie Daniel Pauly, Claire Nouvian oder Paul Watson geschuldet. Malena Ruder Yann Arthus-Bertrand, Brian Skerry: Der Mensch und die Weltmeere. Knesebeck, München 2013. 304 Seiten, Fr. 59.90. eine Art Leitmotiv, mit dem sich der psychische Spannungsbogen der Brautzeit charakterisieren lässt. Nach dem ersten Band «Sei mein, wie ich mir’s denke» ist nun der zweite «Unser ‹Roman in Fortsetzungen›» erschienen, welcher den Zeitraum Juli bis Dezember 1883 umfasst. Freud hatte seinen brotlosen Traum von einer wissenschaftlichen Karriere als Hirnforscher begraben. Um eine Privatpraxis eröffnen zu können, musste er erst praktische medizinische Kenntnisse erwerben. Er wählte das Wiener Allgemeine Krankenhaus als Ausbildungsstätte, wo er ab Mai 1883 in einem Zimmer an Theodor Meynerts Psychiatrischer Klinik wohnte. Die fünf Monate, die Freud bei Meynert verbringt, sind seine einzige psychiatrische Ausbildung. Im Oktober 1883 wechselte er an die Dermatologische Abteilung. Die Brautbriefe bieten Myriaden von Einzelheiten, ein Mosaik, das sich beim Lesen zum Porträt einer Epoche, einer sozialen Gruppe, hier der jüdischen, mitteleuropäischen Mittelschicht, zusammenfügt. Im kontinuierlichen Dialog der Brautleute entfalten sich Präkonzepte, Denkfiguren und Vorformulierungen sehr viel später ausgearbeiteter psychoanalytischer Begrifflichkeiten und Methodik: etwa Freuds unbedingte Forderung, alles absolut offen zu sagen; oder die Beschäftigung mit Träumen und Phantasien; ferner gibt es erste, prägnante Fallvignetten. Freud, dem die klinische Beschäftigung mit Patienten zunächst heftig widerstrebt, schreibt an Martha: «Ich studiere jetzt der Menschen Innerstes; wenn Du daraus einen Roman machen willst, um einen Nebenverdienst zu haben, bist Du willkommen.» Hier durchaus ironisch gemeint, weist diese Äusserung voraus auf das Urbuch der Psychoanalyse, auf Sigmund Freuds und Josef Breuers «Studien über Hysterie» (1895), wo Freud zu seiner Verwunderung feststellen wird, dass seine «Krankengeschichten sich wie Novellen» lesen. Nicht zuletzt ist der Roman in Fortsetzungen auch ein Bildungs«roman». In einer intensiven selbstreflexiven Anstrengung begegnen sich zwei junge Menschen mit zunehmendem Vertrauen und gestärkter Liebesfähigkeit, wobei Martha den zyklischen Rhythmen von Freuds sensitiver Misstrauensbereitschaft und drohenden, verzweifelten Entgleisungen immer umsichtiger begegnen kann. Dabei kommt der Auseinandersetzung um das Judentum ein hoher Stellenwert zu. So fordert Freud hartnäckigst und als nicht verhandelbaren Liebesbeweis von Martha, dass sie, die aus frommer Familie kommt, Fleisch esse, und zwar Schweinefleisch! Aber «zum Christentum überzutreten, sei unmöglich», schreibt Freud. l Sabine Richebächer lebt als Psychoanalytikerin und Autorin in Zürich. Zeitgeschichte Zum 50. Jahrestag seines Besuches in Berlin erscheinen John F. Kennedys Tagebücher über seine frühen Deutschland-Reisen John F. Kennedy: Unter Deutschen. Reisetagebücher und Briefe 1937–1945. Aufbau, Berlin 2013. 256 Seiten, Fr. 34.90. Alan Posener: John F. Kennedy. Biographie. Rowohlt, Reinbek 2013. 200 Seiten, Fr. 27.40. Von Thomas Köster Kaum ein Satz hat sich ins kollektive Bewusstsein der deutschen Bevölkerung derart tief eingebrannt wie John F. Kennedys «Ich bin ein Berliner». Das Identifikationsbekenntnis zum Schicksal der geteilten Stadt vom 26. Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin brachte dem US-Präsidenten den wohl grössten Beifall seiner kurzen Karriere ein und machte ihn in der Bundesrepublik zur Kultfigur. Daran hat sich auch zum 50. Jubiläum des Ausspruchs nichts geändert. Weitgehend unbekannt hingegen ist, dass Kennedy vor 1963 bereits mehrmals nach Deutschland gereist war: 1937 als junger Harvard-Student, zwei Jahre später im Auftrag seines Botschaftervaters und 1945 während der Potsdamer Konferenz als Kriegsheld und Reporter. Welche Bedeutung diese Fahrten auch für sein späteres Berlinbild hatten, macht «Unter Deutschen» deutlich: Die hier teils erstmals veröffentlichen Tagebuchjournale, Briefe, Gesprächsnotizen und Berichte jener Zeit illustrieren, wie sich Kennedy dem Land schon früh touristisch, diplomatisch und journalistisch angenähert hat. Jugendliche Irrungen Tatsächlich bereiste Kennedy mit Köln, Frankfurt und Berlin in den dreissiger und vierziger Jahren gleich drei jener deutschen Städte, die er auch 1963 wieder besuchte. Hier flirtet er mit Mädchen und spricht mit «Nazichefs», feiert in Nachtclubs, hört Wagneropern, geht zum Gottesdienst – und zeigt sich empfänglich für die schönen und hässlichen Seiten Deutschlands zur Zeit des Dritten Reichs. Der praktizierende Katholik ist beeindruckt von der pompösen Architektur des Kölner Doms und der malerischen Romantik des Rheintals, aber auch von Hitlers Schnellbooten und der aufgeladenen nationalsozialistischen Atmosphäre in der «Hauptstadt der Bewegung» München. Er komme zu dem Schluss, «dass der Faschismus das Richtige für Deutschland» sei, resümiert Kennedy 1937 im Gefühl einer «Überlegenheit der nordischen Rasse». Vor und nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ist dann Russland für den späteren Präsidenten die weitaus schlimmere Gefahr. Denn: «Was sind die Übel des Faschismus im Vergleich mit dem Kommunismus?» So präsentiert das Buch die historische Folie, auf deren Grundlage sich 1963 jener «persönliche feste Standpunkt zu Deutschland» bilden konnte, den Egon Bahr, damals Sprecher des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Willy Brandt, im Vorwort des Bandes konstatiert. Durch seinen imposanten Wiederaufbau aus Ruinen ist das seit jeher bewunderte Land 1963 zum Sinnbild der Hoffnung geworden. Wenn er aus dem Weissen Haus ausziehen müsse, sagte Kennedy am Ende seiner Deutschlandreise zu Konrad Adenauer am Berliner Flughafen Tegel, dann werde er seinem Nachfolger einen Umschlag mit dem Rat hinterlassen, ihn bei vollkommener Mutlosigkeit zu öffnen. Dieser werde nur die Worte «Besuche Deutschland!» enthalten. Die frühen Reisen Kennedys nach Deutschland spielen in Alan Poseners Biografie «John F. Kennedy» eine eher untergeordnete Rolle. Zu sehr zielt das Interesse des britisch-deutschen Autors auf ein auch psychologisch stimmiges Gesamtbild des Machtpolitikers, als dass er auf diese Jugendepisoden viel Augenmerk verwenden könnte. Dem wichtigen Besuch von 1963 und seiner Vorgeschichte hingegen widmet der Journalist gleich zwei Kapitel – und fördert dabei durchaus auch Überraschendes zu Tage. Denn bei allen Bekenntnissen Kennedys zu Berlin galt dem US-Präsidenten nicht nur die deutsch-deutsche Teilung als unumstösslich: Auch die Berliner Mauer, die den Status quo der Trennung buchstäblich zementierte, erschien ihm als symbolisches Friedensangebot des unberechenbaren Sowjetchefs Chruschtschow im Kalten Krieg. «Es ist keine besonders schöne Lösung», zitiert Alan Posener Kennedy. «Aber verdammt nochmal: a wall is better than a war.» Ansonsten porträtiert Alan Posener den 35. Präsidenten der USA in seiner ganzen Widersprüchlichkeit. Angefan- EASTBLOCKWORLD JFK zeigte Sympathie für den Faschismus «Ich bin ein Berliner»: John F. Kennedys berühmte Rede am 26. Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg in Westberlin. gen von seiner Kindheit im Bannkreis eines kaltherzigen, antisemitischen und von Ehrgeiz zerfressenen Familienclans über die politischen Lehrjahre im Schatten des Vaters und den scheinbar aussichtslosen, medial gewonnenen Kampf ums Weisse Haus – bis hin zu KubaKrise, Vietnam-Krieg, Rassenunruhen und dem tödlichen Attentat 1963 in Dallas, das die nur 1036 Tage währende Amtszeit beendete. Dabei werden sexuelle Eskapaden ebenso beleuchtet wie Kennedys bedenkliche Medikamentensucht, die den zeit seines Lebens kränkelnden Präsidenten zu einem echten Sicherheitsrisiko werden liess. Schillernde, tragische Figur Der grösste Feind der Wahrheit sei nicht die Lüge, bemerkte Kennedy ein Jahr vor seiner letzten Deutschlandreise: Der grösste Feind der Wahrheit sei «der Mythos – hartnäckig, verführerisch und unrealistisch». Vielleicht hatte der ausgewiesene Demokrat dabei seine eigene, verstörende Bewunderung für Adolf Hitler im Sinn, die er noch 1945 notierte. «Aus dem Hass, der ihn jetzt umgibt, wird Hitler in einigen Jahren hervortreten als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die je gelebt haben», heisst es in «Unter Deutschen». Er sei «aus dem Stoff, aus dem Legenden sind». Tatsächlich ist – glücklicherweise – eher Kennedy zur Legende geworden. Die beiden Kennedy-Bücher bringen das faszinierende Bild einer ebenso schillernden wie tragischen, wohl überschätzten, aber dennoch prägenden Persönlichkeit zum Vorschein – einer Legende. l 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 19 Sachbuch Schweiz Der Publizist und Stabsoffizier Karl Schmid (1907–1974) war eine der interessantesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts – unabhängig im Geist, zerrissen als Person Musterschüler der Demokratie Thomas Sprecher: Karl Schmid (1907−1974). Ein Schweizer Citoyen. NZZ Libro, Zürich 2013. 492 Seiten, Fr. 52.90. Von Urs Rauber PRIVATARCHIV CHRISTOPH SCHMID / SALA CAPRIASCA Der früh verstorbene Karl Schmid (1907−1974) war eine vielseitige Persönlichkeit: Germanist, Historiker, Professor und Rektor der ETH Zürich von 1953 bis 1957, Generalstabsoberst, Schriftsteller, Präsident des Schweizerischen Wissenschaftsrates – und Ehegatte der Kabarettistin Elsie Attenhofer. Ein Mann, dem grosse öffentliche Aufmerksamkeit und Bewunderung zuteil wurde. Nun legt der Jurist und Literaturwissenschafter Thomas Sprecher eine umfassende Monografie über Leben und Werk von Schmid vor, von dem er bereits die Gesammelten Werke und Briefe herausgegeben hat (NZZ Libro 1998 und 2000). Aufklärer und Erzieher Zur Zeit der geistigen Landesverteidigung ab 1936 trat Schmid als Staatsbürger, im Zweiten Weltkrieg als Milizoffizier (der über acht Jahre seines Lebens dem Wehrdienst opfern sollte) für die Stärkung der schweizerischen Neutralität, gegen Anpassertum und für Widerstandswillen ein. Sein Engagement – als Militärpublizist, als Stabschef der Gotthard-Division, als Zürcher Gymnasiallehrer und Germanistikprofessor – war immer gezeichnet von grosser Ernsthaftigkeit. Vom Willen, den Problemen auf den Grund zu gehen, seine Pflichten als Erzieher, Aufklärer und Literaturkritiker gewissenhaft zu erfüllen, seinem Publikum als Vortragsredner praktisches Wissen zu vermitteln. Schmid war «kein wissenschaftlicher Dandy, kein Schöngeist hochelastischen Gemüts, kein Süffisanzenkönig des Feuilletons», wie ihn Sprecher treffend charakterisiert, sondern ein hochbegabter Einsamer. Der Kettenraucher mit strengem Scheitel beschäftigte sich schon früh – seit 1945 – mit Max Frisch, den er sehr schätzte und förderte. In seinem Werk «Unbehagen im Kleinstaat» (1963) stellte er Frisch in eine Reihe mit vier anderen Autoren (C. F. Meyer, Henri-Fréderic Amiel, Jakob Schaffner und Jacob Burckhardt), die aus unterschiedlichen Gründen am Kleinstaat litten. Thomas Sprecher würdigt Karl Schmids berühmtestes Werk differenziert: als originell, in vielem aber auch widersprüchlich, ungenau und verallgemeinernd. Frisch fühlte sich durch Schmids Darstellung zwar ernstgenommen, aber auch zutiefst gekränkt. Was dazu führte, dass der Schriftsteller seinen Mentor später in einer Rede grobschlächtig abkanzelte und damit die Aufkündigung der Freundschaft provozierte. Im «Zürcher Literaturstreit» von 1966 positionierte sich Schmid an der 20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 Karl Schmid und seine Ehefrau, die Kabarettistin Elsie Attenhofer, 1956 auf dem Tennisplatz. Das Lechzen nach öffentlicher und gegenseitiger Anerkennung überschattete diese 34-jährige Beziehung. Seite von Frisch – wenn auch weniger plakativ – und als Gegenspieler zum gleichaltrigen Emil Staiger. Er lehnte dessen werkimmanente Literatur-Interpretationen ausserhalb eines gesellschaftspolitischen Rahmens ab. Für fruchtbar hielt Schmid dagegen den Ansatz von C. G. Jung, dessen «tiefenpsychologische Sonde» er zunehmend selbst als literaturanalytisches Instrument nutzte. Erfüllt von hohem Ethos Karl Schmid war erfüllt von einem hohen staatsbürgerlichen Ethos, das ihn viele Aufgaben übernehmen liess. So prägte der Citoyen als Präsident der Studienkommission für Strategische Fragen (1967-1971) auch den nach ihm benannten «Bericht Schmid», der den Grundstein zur Konzeption der Gesamtverteidigung von 1972/73 legte. So gravitätisch Schmids Persönlichkeit gegen aussen erschien, so zerbrechlich zeigte sie sich in den Tagebüchern und privaten Briefen. Die Belastungen durch rastlose Arbeit und viele Ämter trieben den Workaholic immer wieder an den Rand der Erschöpfung und des Zusammenbruchs. Triebfeder seines Wirkens – so der Biograf – seien nicht nur das staatsbürgerliche Pflichtbewusstsein und der damit verbundene Statusgewinn gewesen, sondern auch eine Art Musterschüler-Syndrom: «Esdem-Lehrer-recht-machen-Wollen» sowie ein «Schutzwall vor dem Abgleiten ins Trübe» – sprich: den Depressionen, die Schmid zeitlebens quälten. Thomas Sprecher gelingt es vorzüglich, der hagiografischen Gefahr zu entgehen und ein menschlich anrührendes Porträt zu zeichnen. Nicht nur indem er Schmids Äusseres schildert, sein Arbeitszimmer und Ferienhaus, von sei- nem Alltag erzählt, seinen Beziehungen zur Ehefrau und den beiden Kindern. Neben den Stärken thematisiert der Biograf auch die Schwächen, unter denen Karl Schmid litt, ohne dass das Buch je voyeuristisch würde: Schwermut, Depressionen, Selbstzweifel, Ängste, auch die fragile Gesundheit – Schmid war ein Nikotinsüchtiger, der sich gegenüber fürsorglichen Vorhaltungen völlig resistent zeigte. Je zerrissener und gefährdeter einem der «grosse» Karl Schmid entgegentritt, desto menschlicher wird er als Person. Erstaunlich offen werden auch die Eheprobleme zwischen Karl Schmid und Elsie Attenhofer thematisiert, die ihre eigene Karriere verfolgte und Fremdbeziehungen pflegte. «Patriarchale Verhaltensweisen und Besitzansprüche, untergründige Rivalität, grosser Ehrgeiz, das Lechzen nach öffentlicher – und gegenseitiger – Anerkennung» haben diese 34-jährige Paarbeziehung überschattet. «Sie flog, er zählte sich zum ‹Bodenpersonal›.» Schmids Frauenbild war konservativ (für Gleichberechtigung, aber gegen Gleichbehandlung), gleichzeitig sorgte er zuhause für die Kinder, während die Ehefrau auf Tournee war, und lebte so seine weibliche Seite aus. Das reichhaltig illustrierte, elegant und unterhaltsam geschriebene Buch stellt einen Beitrag zur Schweizer Mentalitätsgeschichte der 1930er bis in die 1970er Jahre dar. Höchstens die etwas ausführliche Zitierung und Interpretation zahlreicher Schriften von Karl Schmid hätte etwas gestrafft werden können. Dieser kleine Mangel ändert aber nichts am hervorragenden Gesamteindruck, dass hier eine ausserordentliche Biografie einer bedeutenden Persönlichkeit vorliegt. l Mathematik Die Autobiografie von Benoît Mandelbrot ist ein kulturhistorisches Zeitzeugnis Von der Geometrie der Wolken Benoît B. Mandelbrot: Schönes Chaos. Mein wundersames Leben. Piper, München 2013. 470 Seiten, Fr. 42.90, E-Book 28.90. Von André Behr Phasen der Strenge durchziehen die Geschichte der Mathematik wie die der Naturwissenschaften insgesamt. Sie konsolidieren das Wissen, doch bahnbrechend Neues ist auf Tabubruch angewiesen. Ein faszinierendes Beispiel für dieses Wechselspiel aus jüngerer Zeit ist die fraktale Geometrie. Der Mathematiker Benoît Mandelbrot, ihr Erfinder, bewunderte als Jugendlicher in seiner Heimatstadt Warschau Johannes Kepler, der einst die Umlaufbahnen der Planeten als Ellipsen erkannte. Zeitlebens beschäftigten ihn Phänomene der Rauheit in der Natur, wie er es nennt, Formen von Wolken oder die Verteilung von Galaxien, aber auch die Komplexität von Börsenkursen, Musikstücken oder moderner Kunst. Welche Gestalt hat eine Küstenlinie, fragte sich Mandelbrot früh, und wie kann man eine derart gezackte Linie messen, die aufgrund ihrer Feinstruktur immer länger wird, je genauer man hinschaut? Solchen geometrischen Grössen wurden wohl definierte Werte zugeordnet, obwohl sich diese nicht eindeutig bestimmen liessen. Mandelbrots entscheidende Einsicht war, auch infinite Werte zuzulassen. «Die vielleicht durchschlagendste Idee der fraktalen Geometrie ist die besondere Sicht der Dimension», schrieb er 2004. Eine Dimension muss keine ganze Zahl sein wie die 1 bei einer Geraden, die 2 bei einer Ebene oder die 3 beim euklidischen Raum. Die Küstenlinie Englands zum Beispiel hat in Wahrheit die fraktale Dimension 1,25. Diese mathematische Interpretation geometrischer Figuren ist gewöhnungs- bedürftig, und wer sich damit auseinandersetzen möchte, sollte Mandelbrots «Fraktale und Finanzen» zur Hand nehmen sowie «Die fraktale Geometrie der Natur», das Buch, das ihn Ende der Siebzigerjahre über die Fachkreise hinaus vor allem aufgrund der verblüffenden Schönheit von Bildern wie der «Mandelbrotmenge» weltberühmt machte. Das «Apfelmännchen», wie diese Figur auch genannt wird, spielt in der Chaostheorie eine wichtige Rolle, einer Disziplin, die damals en vogue war. Mandelbrots jetzt auf Deutsch erschienene Autobiografie ist kein Lehrbuch. Dafür eine Lebensbeschreibung aus dem von Kriegen geschüttelten «Mandelbrotmenge» nennt sich dieses Muster fraktaler Geometrie. 20. Jahrhundert, die durch die Lust am genauen und reflektierten Erzählen besticht und sowohl mathematikgeschichtlich wie kulturhistorisch als Zeitzeugnis ersten Ranges eingestuft werden darf. Wenige zuvor sind scheinbar abstrusen wissenschaftlichen Fragen so beharrlich nachgegangen wie Mandelbrot. Insofern überrascht es nicht, dass sein Leben ähnlich rau verlief, wie die mathematischen Objekte sind, die er studierte. Geboren 1924 wuchs Benoît Mandelbrot in einer litauisch-jüdischen Familientradition in Warschau auf, in der über viele Generationen hinweg der Gier entsagt, wie er es formuliert, und geistige Tätigkeit vorgezogen wurde. 1936 flieht die Familie nach Paris. Warum mit Ausnahme einer Tante ausgerechnet seine Familie überlebte, während fast alle in Warschau verbliebenen Freunde und Bekannten ermordet wurden, schreibt er der Mutter zu, die während ihres langen Lebens «fünfmal zusehen musste, wie um sie herum die Welt zusammenbrach und gleich mit Volldampf weitermachte», und dem wagemutigen Vater, der immer sein Vorbild blieb. Um seine eigenen Begabungen macht Benoît Mandelbrot wenig Aufhebens. Zwei aussergewöhnliche Talente scheinen jedoch auf. Es gelang ihm problemlos zeichnerisch wiederzugeben, was er sah, weshalb er Orte beschreiben kann, als würde man davor stehen, und er löste von Beginn an mathematische Probleme, in dem er sie innerlich in geometrische Zusammenhänge übersetzte. Trotz glänzender Noten und Angeboten schlug er keinen akademischen Weg ein, sondern arbeitete ab 1958 für 35 Jahre am IBM-Research-Center in New York, ehe er dann doch noch in Yale anheuerte. Verstorben Ende 2010, wurde sein Werk erst spät anerkannt. Doch heute ist es ein fester Bestandteil im mathematischen Werkzeugkasten. l Onlineshop für gebrauchte Bücher Angebot Über 28’000 Bücher aus zweiter Hand Kontakt 071 393 41 71 http://facebook.com/buchplanet.ch http://blog.buchplanet.ch Ein soziales Projekt der Stiftung Tosam www.tosam.ch 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21 Sachbuch Psychologie Die meisten Menschen halten sich für besonders intelligent oder tugendhaft. Denn jeder biegt sich seine Wahrheit zurecht Wir sind doch alle Schauspieler Robert Trivers: Betrug und Selbstbetrug. Wie wir uns selbst und andere erfolgreich belügen. Ullstein, Berlin 2013. 528 Seiten, Fr. 34.90, E-Book 30.20. Alle Menschen sind Werbeprofis. Wir erzählen pausenlos Geschichten, in denen wir selbst, unsere Familien und Freunde, unsere eigene Nation, Religion und Denkschule heldenhaft für das Wahre, Gute und Schöne streiten. Meist basieren diese Geschichten auf wahren Begebenheiten, die wir jedoch unvollständig wiedergeben und kreativ ergänzen. Häufig gehen wir mit so viel Geschick und Einfallsreichtum ans Werk, dass kaum ein Kunde zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden vermag. In seiner fesselnden Abhandlung über Betrug und Selbstbetrug zeigt der Evolutionstheoretiker Robert Trivers anhand zahlreicher Beispiele aus allen Lebensbereichen, dass wir die Glaubwürdigkeit unserer Geschichten erhöhen, indem wir uns diese zunächst selbst glauben machen. Er sieht in den nützlichen Selbsttäuschungen des Menschen das erstaunlichste Resultat des «coevolutionären Kampfes zwischen Täuscher und Getäuschtem», der in der gesamten Natur zu beobachten ist. Gespenstheuschrecken tarnen sich als Stöcke. Affen verstecken Gegenstände hinter dem Rücken. Menschliche Säuglinge täuschen erfolgreich Bedürfnisse vor. Als Erwachsene nutzen wir unsere Intelligenz, um raffinierte Täuschungsmanöver zu entwickeln und zu entlarven. Selbsttäuschung vollendet die Kunst der Täuschung, da selbst meisterhafte Täuscher ungewollt Signale aussenden, die sie zu XPOSURE PHOTO Von Michael Holmes Heiter und verstörend: Die meisten Menschen beschönigen ihr wahres Ich, wie Evolutionstheoretiker Robert Trivers nachweist. verraten drohen, wie etwa eine erhöhte Stimmlage. Umfragen zufolge halten sich die meisten Menschen für überdurchschnittlich klug, attraktiv und tugendhaft. Wir erkennen ein mit Computertechnik geschöntes Bild unseres Selbst schneller als das Original. Ausserdem zeigen Assoziationstests, dass auch tolerante Menschen meist die eigene Gruppe unbewusst mit positiven Eigenschaften in Verbindung bringen. Trivers glaubt, dass wir uns selbst überschätzen, um unseren Ruf zu verbessern, Sexpartner anzulocken und Feinden zu impo- nieren. Wir sind wie Schauspieler, die so sehr in ihrer Rolle aufgehen, dass sie ihr wahres Ich vergessen. Trivers belegt eine «systematische Deformation der Wahrheit in allen Stadien des psychologischen Prozesses». Schwulenfeindliche Männer reagieren mit starker sexueller Erregung auf einen Erotikfilm für Schwule. Wir bevorzugen Buchstaben, die in unserem Namen, und Zahlen, die in unserem Geburtsdatum vorkommen. Das Gedächtnis legt unsere Fehler weiter in die Vergangenheit zurück als unsere guten Taten. Eine zweite Funktion des Selbstbetruges besteht nach Trivers in der Stärkung unserer seelischen und körperlichen Gesundheit. Er lässt uns über die Wunderwelt der Placeboeffekte staunen, zu denen er auch die Wirkungen der Religion zählt. Mit Hilfe von Scheinbehandlungen und Gebeten hilft sich die Seele selbst. Trivers legt ausführlich dar, wie Selbsttäuschung zu Scheidungen, Flugzeugabstürzen und vermeidbaren Kriegen führt. Zudem analysiert er die Tricks, mit denen Nationalisten in Japan, der Türkei, den USA und Israel unliebsame historische Fakten vertuschen. Seine Darstellung des Nahostkonflikts macht jedoch seine eigenen Voreingenommenheiten deutlich, wenn er alle israelischen Kriegsgräuel auf Araberhass, palästinensische Terrorakte aber auf Verzweiflung zurückführt. Dieses brillante Werk eines grossen Wissenschafters ist manchmal düster und verstörend, manchmal heiter und komisch, aber stets faszinierend und lehrreich. Die Konfrontation mit unseren Illusionen ist eine ernste Herausforderung. Trivers ermuntert uns zu einem einzigartigen Abenteuer. l Ökumene Was Jesus und Mohammed verbindet und seine Anhänger trennt Religiöse Verbrüderung am Tresen Josef Hochstrasser: Einwurf. Jesus und Mohammed im Gespräch. Rüegger, Zürich 2013. 112 Seiten, Fr. 24.90. Von Klara Obermüller Bücher über den Konflikt der Kulturen und den Dialog der Religionen haben derzeit Konjunktur. Man geht aufeinander zu, man grenzt sich ab, man versucht sich zu verstehen. Auch Josef Hochstrasser versucht zu verstehen. Die religiösen Auseinandersetzungen in seiner multiethnischen Klasse haben den auch als Religionslehrer tätigen Theologen gewissermassen gezwungen dazu. Herausgekommen ist bei Hochstrasser allerdings keine religionsgeschichtliche Abhandlung und auch keine theo22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 logische Streitschrift, sondern eine Art szenischer Dialog, der Jesus und Mohammed miteinander ins Gespräch bringt. Und dies nicht etwa in einem nüchternen Hörsaal oder auf einem sterilen Podium, sondern im zwanglosen Ambiente einer Bar. Man trinkt Cynar und Tee, man unterhält sich, stellt Fragen, widerspricht sich, stimmt sich gegenseitig zu, und wenn das Gespräch stockt oder auf Abwege gerät, greift der Barkeeper ein und bringt es mit seinen Allerweltsfragen wieder auf Kurs. Die Versuchsanordnung hat durchaus ihren Reiz. Sie birgt aber auch ihre Gefahren. Im lockeren Gespräch lässt sich zwar vieles sagen, was einer wissenschaftlichen Studie verwehrt ist. Es stösst aber dort an seine Grenzen, wo historisches und theologisches Wissen vermittelt werden muss. Und Hochstrasser muss es vermitteln, wenn er seine These untermauern will, wonach der Dissens zwischen den beiden Religionen nicht in den heiligen Büchern angelegt, sondern eine Folge späterer Auslegung ist. Genau daran aber krankt der ganze Text. Das Gespräch zwischen den beiden Religionsstiftern mäandert munter dahin, solange diese sich auf ihre gemeinsamen Anliegen besinnen. Sobald der Autor jedoch seine theologische Bildung bemüht, werden die Ausführungen belehrend und die Dialoge papieren. Schade eigentlich. Denn es täte manch einer der zur Zeit geführten Debatten gut, wenn sie etwas präziser zwischen der Botschaft der Religionen und deren fundamentalistischer Interpretation zu unterscheiden wüsste. l Das neue Augustinum am Bodensee <wm>10CAsNsjY0MDAx0jUwMDUwNQUAkn4VKw8AAAA=</wm> <wm>10CFWMMQ7CQAwEX-TTrp29S3CJ0kUUKL2biJr_V3B0SLPd7BxHquG3-_4492cSWNwAQUptaj56ru4Ny0iIw8G4ESSlVX--gVsPRE3HIOMowr6gl0LFmIWab0R7X68PW1VRJ4AAAAA=</wm> Einzigartige Lage oberhalb von Meersburg, großzügige Architektur, hochwertige Ausstattung und ein Konzept, das Maßstäbe setzt. Erstbezug seit Januar 2013 Machen Sie sich selbst ein Bild – unverbindlich und ohne Anmeldung bei unserer Hausführung, jeden Mittwoch um 14 Uhr und jeden ersten Samstag im Monat um 14 Uhr. Die Seniorenresidenz Kurallee 18 · D-88709 Meersburg Tel. 0049 75 32 / 4426 – 1812 www.augustinum.de Sachbuch Naher Osten Ein amerikanischer Jude kritisiert die israelfreundliche Lobby in den USA Peter Beinart: Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft. C. H. Beck, München 2013. 320 Seiten, Fr. 35.40, E-Book 24.30. Von Urs Bitterli «Dies hier ist ein aufrichtiges Buch, Leser», heisst es zu Beginn von Montaignes «Essais». Derselbe Satz könnte am Anfang von Peter Beinarts Buch über die amerikanischen Juden und Israel stehen. Der Autor ist selbst amerikanischer Jude, etwas mehr als vierzig Jahre alt, Professor für Journalistik und Politologie an der City University in New York. Sein Buch ist beides: Bekenntnis und Anklage. Beinart bekennt sich zum Zionismus, ist aber auch ein amerikanischer Demokrat, erfüllt vom Glauben, dass sich politisches Handeln an den Grundwerten der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung orientieren muss. Zu denselben Grundwerten, stellt der Autor fest, hätten sich auch Theodor Herzl und die Gründungsväter des Staates Israel bekannt. Sie vertraten einen liberalen Zionismus, in dem sich nationale wie liberale Postulate gleichwertig verbanden. Im Geiste dieses liberalen Zionismus sei auch die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel vom Jahre 1948 verfasst, die an der Gleichberechtigung aller seiner Bürger, nicht nur der Juden, ausdrücklich festhalte. Von dieser Prämisse geht Beinart aus, wenn er die israelische Politik seit dem Sechstagekrieg von 1967 einer scharfen Kritik unterzieht. Er stellt fest, dass sich Israel mit der rechtswidrigen Politik ge- genüber den Palästinensern sowohl in Israel selbst als auch in Ostjerusalem und den besetzten Gebieten immer mehr einem Apartheid-Staat nähere, der mit den demokratischen Grundsätzen weder der amerikanischen noch der jüdischen Unabhängigkeitserklärung zu vereinbaren sei. Nur eine Zwei-Staaten-Regelung könne die Lösung bringen, und Friedensgespräche in dieser Richtung seien unverzüglich wieder aufzunehmen, wenn man vermeiden wolle, dass irreversible Tatbestände geschaffen würden. «Auch heute», schreibt Beinart, «hängt Israels physisches Überleben wieder vom Überleben seiner ethischen Werte ab.» Dies sind altbekannte Positionen aktueller Israel-Kritik, von Beinart allerdings mit ungewohntem persönlichem Engagement vorgetragen. Neue Wege geht der Autor, wenn er sein politisches Bekenntnis durch eine scharfe Kritik ergänzt, die sich gegen die Haltung verschiedener amerikanischer Vereinigungen richtet, welche Israel finanziell und politisch unterstützen. Er wirft diesen Vereinigungen vor, den liberalen Zionismus zu verraten, indem sie, statt die israelisch-palästinensische Annäherung zu fördern, die militärische Hochrüstung eines zunehmend undemokratischen Israel unterstützten. Diese Politik werde unter Hinweis auf den «Holocaust» mit der Lebenslüge der «Opferrolle» begründet, während Israel in Wahrheit längst eine Vormachtstellung im Nahen Osten einnehme. Der «Holocaust» werde so in unzulässiger Weise in den Dienst politischer Argumentation gestellt. IMAGO Verrat des liberalen Zionismus Palästinenserinnen protestieren vor einem Gefängnis in Gaza-City, 11. April 2013. Peter Beinarts Buch, das in der amerikanischen Presse sehr kontrovers beurteilt worden ist, besticht durch die Entschiedenheit der Stellungnahme. Es ist keine um Ausgewogenheit und Objektivität bemühte Abhandlung, sondern das Werk eines Idealisten, der sich seine aufrichtige Sorge um die Zukunft Israels von der Seele schreibt. Die innenpolitischen Probleme Israels werden ebenso ausgeblendet wie jene der Palästinenser, und so entsteht der Eindruck, der Konflikt könnte gelöst werden, wenn sich nur Obama und Netanyahu über ihr Demokratieverständnis einigen könnten. Die unselige Blockade des Friedensprozesses wird dieses Buch gewiss nicht beseitigen können. Aber es vertritt Ansichten, die ernst zu nehmen sind. l Urs Bitterli ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Uni Zürich. Emigration Gegen 1000 Auslanddeutsche überlebten die Nazizeit im türkischen Exil Deutsche Professoren am Bosporus Reiner Möckelmann: Wartesaal Ankara. Ernst Reuter – Exil und Rückkehr nach Berlin. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2013. 368 Seiten, Fr. 39.90. Von Kathrin Meier-Rust In der jungen Hauptstadt Ankara gab es während des Zweiten Weltkrieges eine kleine deutsche Kolonie mit einem eigenen, regen Konzert- und Theaterleben. Doch ihre beiden berühmtesten Bewohner sind sich in fünf gemeinsamen Ankara-Jahren nicht ein einziges Mal begegnet: Der Emigrant Ernst Reuter, der als Sozialdemokrat verhaftet und gefoltert worden war, und der damalige Botschafter Deutschlands Franz von Papen, der berüchtigte «Steigbügelhalter» und einstige Vizekanzler Hitlers. Diese Merkwürdigkeit ist charakteristisch für die paradoxe Situation im türkischen Exil während der Nazizeit. 24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 Mit etwa 1000 deutschsprachigen Emigranten ist dieses Exil zahlenmässig so klein, dass es neben den grossen Fluchtländern oft vergessen geht. Doch weil sich darunter fast 100 deutsche Professoren befanden, die an den neugegründeten Universitäten in Istanbul und Ankara lehrten und der türkischen Regierung als Berater dienten, handelt es sich um eine eigentliche Elite-Migration mit besten Beziehungen zum Gastland, die nur mit den jüdischen Einwanderern nach Palästina verglichen werden kann. Gekommen waren diese Professoren – durchaus nicht nur Juden, sondern auch Arier wie Ernst Reuter, der Komponist Paul Hindemith oder der Soziologe Alexander Rüstow – dank dem «deutsch-türkischen Wunder» von 1933: Als nach Hitlers Machtergreifung zahlreiche Professoren ihre Stelle verloren, erkannte Kemal Atatürk sofort die Chance, erstklassiges Personal für seine grosse Bildungsreform zu gewinnen. Diese Vorgänge, die lange Tradition der deutsch-türkischen Freundschaft sowie das gespannte Nebeneinander von Emigranten und «Reichsdeutschen» in einem Land, das dank dieser Tradition bis zum Kriegsende neutral blieb, schildert der Autor in geradezu umfassender Weise. Zwar steht Ernst Reuter im Mittelpunkt. Zunächst als Berater der Regierung, später als Professor für Urbanistik verbrachte er elf Jahre in der Türkei, bevor er 1946 nach Deutschland zurückkehrte und als Bürgermeister während der Blockade von Berlin historischen Ruhm erlangte. Doch mit ebenso viel Sorgfalt und Detailfreude schildert Möckelmann, der als deutscher Diplomat selbst sieben Jahre in der Türkei verbrachte, auch Reuters Schicksalsgenossen und Gegner – kurz die ganze, von der Geschichte zusammengewürfelte Gesellschaft in jenem abgelegenen Wartsaal, den die Türkei darstellte, als die Welt in Gewalt und Krieg versank. l Briefwechsel Während dreier Jahrzehnte unterstützte der Schriftsteller Günter Grass die Politik von Willy Brandt. Nicht immer waren sich die beiden freundschaftlich verbunden Verletzte Eitelkeiten Willy Brandt, Günter Grass: Der Briefwechsel. Hrsg. Martin Kölbel. Steidl, Göttingen 2013. 1230 S., Fr. 44.90. Von Thomas Feitknecht Am Abend der deutschen Bundestagswahlen 1969 liessen die Hochrechnungen einen Wahlsieg der CDU/CSU erwarten, so dass der amerikanische Präsident Richard Nixon dem christlichdemokratischen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger bereits telefonisch zur Wiederwahl gratulierte. Doch es kam anders: Kurz vor Mitternacht kündigte der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Willy Brandt an, er werde mit den Freien Demokraten von Walter Scheel eine sozialliberale «kleine» Koalition bilden. Nach 20 Jahren Regierungsverantwortung wurden die Christlichdemokraten in die Opposition gezwungen. Grass' vergebliche Avancen Einer, der für diesen Machtwechsel getrommelt hatte, war der Schriftsteller Günter Grass, Verfasser des 1959 erschienenen Romans «Die Blechtrommel». Auf einer Wahlkampftour für Willy Brandt und die SPD hatte er 32 000 Kilometer im VW-Bus zurückgelegt und an 60 meist überfüllten Veranstaltungen zu 60 000 Zuhörenden gesprochen. Grass war die treibende Kraft der Sozialdemokratischen Wählerinitiative, eines Kreises von bekannten Schriftstellern, Publizisten und Professoren. Ihr Ziel war keine kritiklose Unterstützung der Sozialdemokraten, sondern vielmehr eine «kritische Sympathie» zwischen Geist und Macht. Es war der erste Wahlkampf, in dem sich Intellektuelle wie Golo Mann, Fernsehstars wie Hans-Joachim Kulenkampff oder Schauspielerinnen wie Inge Meysel politisch engagierten. Nach geschlagener Wahlschlacht zog Grass in einem Brief an Brandt eine Bilanz seiner Unterstützung, die 1961 begonnen hatte und bald einmal zur engen Freundschaft wurde. Diese Tätigkeit sei für ihn, schrieb er am 3. Oktober 1969, «wichtig, weil von Einfluss». Unter Berufung auf den Wunsch von Mitstreitern liess er durchblicken, dass er gerne eine Aufgabe im Rahmen von Brandts Friedenspolitik übernehmen würde. Und nicht ohne Eitelkeit fügte er hinzu: «Mir geht es ähnlich wie Dir: Mein Ansehen im Ausland ist grösser als im Inland.» Auf dieses «Bewerbungsschreiben» (so der Herausgeber Martin Kölbel) und auf ähnliche Avancen von Grass reagierte Brandt hinhaltend. Denn er wusste, dass ihm ein unabhängiger und kritischer Geist ausserhalb des Machtzentrums mehr diente. Unermüdlich schrieb Grass seine «Mahnbriefe» an den Politiker-Freund, in wechselndem Tonfall, aber immer hartnäckig und selbstbewusst: «Deshalb ist es zuerst Deine Aufgabe», «Ich warne noch einmal», «Es wird hohe Zeit», «Du solltest», «Du musst». Einzelne Schreiben wurden als Offene Briefe in der Presse veröffentlicht, so dass die Meinung von Grass weiteren Kreisen bekannt wurde. Grass begleitete Brandt auf offiziellen Reisen und besuchte mit dessen Segen kulturelle Veranstaltungen im Ausland. Wichtig war die Formulierungshilfe bei Reden, und dem Schriftsteller wird denn auch der prägnante Satz in Brandts Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 zugeschrieben: «Wir wollen mehr Demokratie wagen». Der politische Alltag holte Brandt bald ein. Grass fand, der Kanzler vernachlässige die Reformpolitik im Innern zugunsten der Aussenpolitik, und wurde in seiner Regierungskritik immer grundsätzlicher. Brandt betonte zwar 1971, wie wichtig es ihm sei, «dass wir es einander nicht zu leicht machen». Doch als Grass der Regierung im November 1973 im Fernsehen «Schlafmützentrott» und dem Kanzler «Lustlosigkeit» vorwarf, war eine Grenze überschritten. Monate später machte Brandt seiner Verärgerung und Verstimmung Luft, und zwar in den Notizen zu seinem Rücktritt 1974, der durch die Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume im Kanzleramt ausgelöst worden war: «Günter Grass: ‹Denkmal› + andere Klugscheissereien». Solche Krisen in der Korrespondenz gab es bis zuletzt, auch noch kurz vor Brandts Tod 1992 wegen unterschiedlichen Ansichten zur deutschen Wiedervereinigung. Fussnoten ohne Ende Günter Grass und Willy Brandt 1972 an einer Pressekonferenz mit Redaktoren von Schülerzeitungen. Der Literaturwissenschafter Martin Kölbel hat akribisch alle Schreiben von Brandt und Grass aus den Jahren 1964 bis 1992 zusammengetragen, 288 an der Zahl, dazu Beilagen und ergänzende Dokumente. Entstanden ist ein Materialienband, der in hunderten von kleinen Puzzlesteinen die deutsche Nachkriegszeit in Erinnerung ruft. Neben der grossen Weltpolitik spielen dabei auch kleinliche lokale Parteiquerelen eine Rolle. Das schlägt sich im Anmerkungsteil nieder, dessen Umfang zuweilen umgekehrt proportional zur Bedeutung eines Ereignisses ist: Der Berliner Mauerbau 1961 kann mit drei Fussnoten-Zeilen erledigt werden, aber zur Erläuterung des nur noch Spezialisten geläufigen Streits um den 1968 vorübergehend aus der Partei ausgeschlossenen Berliner Politiker Harry Ristock sind zwei Fussnoten mit insgesamt 30 Zeilen erforderlich. Die Lektüre der Briefe ist kein reines intellektuelles Ve r g n ü g e n , sondern zuweilen eine knochenharte zeitge s c h i c h t l i c h e Lektion. l 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25 Sachbuch Alpinismus Die Freiburger Bergsteigerin Nicole Niquille erzählt, wie sie Schicksalsschläge meisterte Was für eine Kraft! Nicole Niquille: Und plötzlich … am Himmel ein Berg. Schicksal einer Unbeugsamen. AS Verlag, Zürich 2013. 240 Seiten, Fr. 47.90. Von Charlotte Jacquemart Eigentlich sagt der Untertitel dieses Werkes schon alles, was die Leser erwartet. Nichts könnte den Inhalt von «Und plötzlich … am Himmel ein Berg» besser auf den Punkt bringen als «Schicksal einer Unbeugsamen». Die Freiburger Bergsteigerin Nicole Niquille beschreibt im Buch ihre verrückte Geschichte. Verrückt ist weniger, was sie in den Bergen erreicht, als was sie am Muttertag im Mai 1994 ereilt hat. Beim Pilzesuchen im Kreise der Familie schlägt ein nussgrosser Kieselstein auf ihren Schädel und verletzt sie dermassen schwer, dass Niquille für den Rest ihres Lebens an den Rollstuhl gefesselt wird. Kann das sein, fragt sich die Leserin. Niquille erzählt in ihrem Buch, das 2009 bereits auf Französisch erschienen ist, wie sie die Zeit nach dem Unfall erlebt und wie sie seither, in den fast 20 Jahren danach, damit zurechtkommt. Das Buch mag literarisch kein Überflieger sein, es enthält auch ein paar Ungenauigkeiten. Lohnenswert ist das Eintauchen in dieses Leben trotzdem. Denn der Wert der Lektüre liegt an einem anderen Ort: Die Schilderungen der Erfahrungen der Freiburgerin gehen unter die Haut. Sie porträtieren eine Frau, die sich durch nichts unterkriegen lässt, die sich ihre Lebensfreude auch nicht dadurch nehmen lässt, dass sie ihre Beine nicht mehr benutzen kann. Es ist ein Buch, das Mut macht, dass vom Unglück Getroffenen Flügel verleihen könnte. Niquille schafft es, bei den Lesern nie Mitleid hervorzurufen – sondern Begeisterung für das, was sie seit dem Unfall erreicht hat. Die Freiburge- rin engagiert sich heute vor allem für ein auf ihre Initiative hin gegründetes Spital in Nepal. Leicht zu verstehen ist dieses Aufbäumen auf den ersten Blick nicht: Nicole Niquille hat als erste Schweizerin überhaupt 1986 das Brevet als Bergführerin erworben. Sie war eine begnadete Bergsteigerin, auch wenn sie nie auf einem 8000er gestanden ist. Beim K2 wie auch beim Everest war sie allerdings nahe dran. Wer auf den ersten Seiten erfährt, dass sie bereits mit 19 Jahren bei einem Motorradunfall zum ersten Mal beinahe das Leben verliert und eine bleibende Behinderung am linken Bein davonträgt, rätselt erst recht über die unbeugsame Natur. Von sich selbst sagt Niquille, dass sie nicht ans Schicksal glaube. «Unfälle stossen nur jenen zu, die sie zu meistern wissen.» Man braucht damit nicht einverstanden zu sein, um für diese Frau nur Bewunderung übrigzuhaben. l Das amerikanische Buch Mit Zucker zur Glückseligkeit Als Harvard-Absolvent mit einem Doktortitel in experimenteller Psychologie heuerte Howard Moskowitz Ende der 1960er Jahre beim Militär an. Er interessierte sich damals schon für das Geschmacksempfinden und den Appetit. Dies kam dem Pentagon entgegen, das Soldaten zur Aufnahme ausreichender Kalorien bewegen wollte. Moskowitz entdeckte, dass der Zusatz von Zucker fade Armeerationen verbessern konnte. So begann eine Karriere, die ihn zu einem der Protagonisten des aktuellen Bestsellers Salt Sugar Moss notiert, halten sich Manager und Wissenschafter jedoch beim Verzehr dieser Produkte zurück. Fat. How the Food Giants Hooked Us Moss gewann 2010 einen Pulitzer-Preis für die Aufdeckung ekelhafter Methoden bei der Herstellung von Rinderhack. Sein Buch enthüllt Zusammenhänge und führt von Forschungszentren bis in die Chefetagen von Weltkonzernen wie Kraft, Coca-Cola oder Nestlé. Gestützt auf zahlreiche Interviews und interne Dokumente, zeigt Moss, wie die Industrie «im ständigen Konkurrenzkampf um Amerikas Mägen» seit den 1970er Jahren die Mechanismen von Hunger und Appetit entschlüsselt hat und hemmungslos für den Absatz gesundheitsschädlicher Fabrikkost ausnutzt. Demnach reagiert das limbische System des Gehirns auf Salz, Zucker und Fett mit «heller Begeisterung» – dies umso mehr, wenn alle drei raffiniert kombiniert werden. So hat Moskowitz als vielgefragter Be26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Mai 2013 UPI PHOTO / EYEVINE (Random House, 446 Seiten) gemacht hat. Darin schildert der «New York Times»-Reporter Michael Moss, wie Salz, Zucker und Fett Grundlage der modernen Nahrungsmittelindustrie wurden und gleichzeitig die nicht nur in Amerika epidemische Zunahme von Übergewicht ausgelöst haben. Die Folgen der absatzgetriebenen Kombination von Salz, Zucker und Fett in Nahrungsmitteln sind unübersehbar. Autor Michael Moss (unten). rater herausgefunden, dass bei der Aufzuckerung ein «Glückseligkeitspunkt» erreicht werden kann, der Saucen, Softdrinks oder Kekse unwiderstehlich macht. Zu viel Süsse mindert die Lust am Verzehr. Kommen dazu jedoch Fett und Salz, kennt der Appetit auf Fertigpizzen oder abgepackte Schulverpflegung kaum noch Grenzen. Da Salz, Zucker und Fett – auch dank staatlicher Subventionen für Milch und Mais – kostengünstig sind und die Haltbarkeit der Endprodukte verlängern, haben frische Lebensmittel gegen die Industrieware zumindest im Preiswettbewerb keine Chance. Deshalb sind von der «Fettleibigkeitsepidemie» in den USA vor allem Minderheiten und ärmere Bürger, speziell aber deren Kinder betroffen. Wie Gleichzeitig zeigt der Autor, dass Entscheidungsträger bei Unilever oder General Foods durchaus Zweifel an der Entwicklung zunehmend kalorienreicher und salziger Nahrungsmittel haben. Dabei spielt die Sorge vor staatlichen Auflagen und Schadenersatzforderungen nach dem Modell der Tabakklagen der 1990er Jahre mit. Aber 1999 scheiterte das bisher geheime Bemühen um eine Art Waffenstillstand bei den Zugaben von Salz, Zucker und Fett am Konkurrenzdruck innerhalb der Branche, so Moss. Stattdessen setzt die Industrie seither effektiv auf Lobbying in Washington und cleveres Marketing: Um Kritik abzufangen, bringen Unternehmen «leichte» oder «gesündere» Varianten von Erfolgsschlagern wie den «Lunchables» (Schulverpflegung mit Keksen, Schmelzkäse und Lyoner) auf den Markt. Doch diese haben den Absatz der salzigen Kalorienbomben bis jetzt nicht gemindert. «Salt Sugar Fat» überzeugt amerikanische Rezensenten durch gründliche Recherche und eine abwägende Haltung. Nur wenn er am Ende mögliche Wege zu einer gesünderen Ernährung diskutiert, geht Michael Moss der Atem aus. Wie die «Washington Post» in einer ansonsten positiven Besprechung moniert, ist Moss zwar eine grundlegende Analyse über die amerikanische Nahrungsmittelindustrie gelungen. Aber wie deren Macht über Amerikas Mägen zu brechen ist, wisse auch Moss kaum zu sagen. Von Andreas Mink l Agenda Fotografie Deutsche Gründerzeit koloriert Agenda Juni 2013 Basel Dienstag, 4. Juni, 19 Uhr Eva Menasse: Quasikristalle. Lesung, Fr. 17.–. Literaturhaus, Barfüssergasse 3, Tel. 061 261 29 50. Mittwoch, 5. Juni, 19.30 Uhr Regula Stämpfli: Die Vermessung der Frau – Von Botox und Hormonen. Lesung, Fr. 15.–. Kulturhaus Bider & Tanner. Aeschenvorstadt 2, Tel. 061 206 99 96. Donnerstag, 6. Juni, 19 Uhr Karl Ove Knausgård: Lieben. Lesung, Fr. 17.–. Literaturhaus (s. oben). Bern Dienstag, 4. Juni, 20 Uhr Arno Gruen: Dem Leben entfremdet. Lesung, Fr. 15.–. Buchhandlung Stauffacher, Neuengasse 25/27, Tel. 031 313 63 63. Dienstag, 11. Juni, 20 Uhr legendären, rund 7000 Bilder umfassenden Sammlung Siegert. Sie zeigen die deutschen Lande vor der nationalen Einigung im Jahr 1871 sowie das frühe Kaiserreich und werden von fachkundigen Essays ergänzt. Ein Fest für den historischen Geist und die ästhetischen Sinne! Manfred Papst Ulrich Pohlmann, Dietmar Siegert (Hrsg.): Zwischen Biedermeier und Gründerzeit. Deutschland in frühen Fotografien, 1840–1890. Schirmer/Mosel, München 2013. 365 Seiten, Fr. 66.60. Belletristik Sachbuch 1 Carl’s Books. 412 Seiten, Fr. 21.90. 2 Kiepenheuer & Witsch. 368 Seiten, Fr. 24.50. 3 Diogenes. 432 Seiten, Fr. 32.90. 4 Kiepenheuer & Witsch. 416 Seiten, Fr. 21.90. 5 Cosmos. 223 Seiten, Fr. 36.–. 6 Limes. 416 Seiten, Fr. 28.40. 7 Blanvalet. 576 Seiten, Fr. 28.40. 8 Wörterseh. 224 Seiten, Fr. 24.90. 9 Kiepenheuer & Witsch. 301 S., Fr. 21.90. 10 Eichborn. 396 Seiten, Fr. 27.90. 1 Nagel & Kimche. 320 Seiten, Fr. 34.90. 2 Goldmann. 240 Seiten, Fr. 28.50. 3 Hanser. 246 Seiten, Fr. 24.90. 4 Arkana. 351 Seiten, Fr. 28.40. 5 Schwarzkopf. 288 Seiten, Fr. 14.90. 6 Fona. 196 Seiten, Fr. 29.90. 7 Hanser. 248 Seiten, Fr. 24.90. 8 Wörterseh. 224 Seiten, Fr. 34.90. 9 Nagel & Kimche. 204 Seiten, Fr. 25.90. 10 S. Fischer. 320 Seiten, Fr. 34.90. Jean-Luc Bannalec: Bretonische Brandung. Martin Walker: Femme fatale. Viveca Sten: Mörderische Schärennächte. Christian Schmid: Blas mer i d Schue. Tess Gerritsen: Abendruh. Nora Roberts: Die letzte Zeugin. Blanca Imboden: Wandern ist doof. Jean-Luc Bannalec: Bretonische Verhältnisse. Timur Vermes: Er ist wieder da. Dominik Flammer, Sylvan Müller: Das kulinarische Erbe der Alpen. Vortrag mit Degustation, Fr. 18.–. Buchhandlung Haupt, Falkenplatz 14. Info: www.haupt.ch. Zürich Dienstag, 4. Juni, 20 Uhr Eveline Hasler: Mit dem letzten Schiff. Lesung. Buchhandlung Hirslanden, Freiestrasse 221. Info: www.buchhandlung-hirslanden.ch. Bestseller Mai 2013 Jonas Jonasson: Der Hundertjährige. Mittwoch, 19. Juni, 19 Uhr Wilfried Meichtry: Mani Matter. Richard D. Precht: Anna, die Schule und der liebe Gott. Rolf Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens. Bronnie Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Lisa Müller: Nimm mich, bezahl mich, zerstör mich! Thomas Renggli: Der Wetterschmöcker. Rolf Dobelli: Die Kunst des klugen Handelns. Sonntag, 9. Juni, 20 Uhr Till Hein: Der Kreuzberg ruft! Gratwanderungen durch Berlin. Lesung, Fr. 25.–. Kaufleuten, Festsaal, Pelikanplatz 1, Tel. 044 225 33 77. Mittwoch, 12. Juni, 20 Uhr Hildegard E. Keller, Thomas Meyer und das Publikum küren aus drei Nachwuchstalenten den Gewinner/die Gewinnerin. Treibhaus, Bogen F, Kulturviadukt 97. Info: www.literarischermonat.ch. Donnerstag, 13. Juni, 19.30 Uhr Lesungen um Beat-Poeten, u.a. Amiri Baraka, Fr. 18.– inkl. Apéro. Literaturhaus, Limmatquai 62, Tel. 044 254 50 00. 18–19 Uhr: Filmpremiere «Beat Generation», gratis. Montag, 24. Juni, 20 Uhr Frank Baumann: Single in 365 Tagen. Arno Camenisch: Fred und Franz. Lesung, Fr. 25.–. Kaufleuten (s. oben). Isabelle Neulinger: Meinen Sohn bekommt ihr nie. Bücher am Sonntag Nr. 6 erscheint am 30.6.2013 Alain de Botton: Religion für Atheisten. Erhebung Media Control im Auftrag des SBVV; 14.5.2013. Preise laut Angaben von www.buch.ch. Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60 oder E-Mail [email protected]. Oder sind – solange Vorrat – beim Kundendienst der NZZ, Falkenstrasse 11, 8001 Zürich, erhältlich. 26. Mai 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27 TAGESSPIEGEL Als die Welt sich noch ausschliesslich in Schwarzweiss ablichten liess, mussten die Koloristen nachhelfen: So in dieser Aufnahme von 1855. Sie zeigt Häuser im Hamburger Stadtteil St. Georg. Die frühe Fotografie ist enthalten im faszinierenden Bildband «Zwischen Biedermeier und Gründerzeit», der das Deutschland der Jahre 1840 bis 1890 in Erinnerung ruft. Wir sehen Stadt- und Landschaftsbilder, Architekturaufnahmen und Porträts von Politikern, Bürgern, Künstlern. Die Aufnahmen stammen aus der Chalid al-Chamissi: Arche Noah. Lesung und Gespräch, Fr. 15.–. ONO Bühne, Kramgasse 6. Info: www.onobern.ch. Damit Ihre Neugierde gestillt wird: Wir unterstützen gute Literatur. <wm>10CAsNsjY0MDAx1TW0NDE2NAUAZ9oKOQ8AAAA=</wm> <wm>10CAsNsjY0MDAx1TW0NDY3MgIAYoydFg8AAAA=</wm> <wm>10CFWMuw7CMBAEv8jW3mMdH1eidFEKRH8Noub_K2I6im1GM3scyY7f7vv53B8pgLNJuAmTwa7byKna4VuCQoXYDQHV4Yw_v0FiGKyW03BhFuZFm7Gcs8TWQ60a2j-v9xcQoaPQgAAAAA==</wm> <wm>10CFWMOw7CMBAFT7TWe_uJvbhE6aIUEf02iJr7V2A6imlGozmOGQ0_7vv52K9JwEOY1lVnZDTt2xyqDd4nnKmg3WieyhH61wuYm8FqNQL_6iLFh_SKGEhE0dak1gDa3s_XB-6dEKuDAAAA</wm> Mehr unter www.zkb.ch/sponsoring Mit einer Karte der Zürcher Kantonalbank erhalten Sie eine Reduktion von 10.– CHF für alle «Kaufleuten Literatur»-Veranstaltungen.