- Universität Wien

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DIPLOMARBEIT
Titel der Diplomarbeit
„Die AbfallsammlerInnen von Buenos Aires.
Abfallsammeln im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“
Verfasserin
Regina Hemetsberger, Bakk.phil.
angestrebter akademischer Grad
Magistra (Mag.)
Wien, 2013
Studienkennzahl lt. Studienblatt:
A 057 390
Studienrichtung lt. Studienblatt:
Individuelles Diplomstudium Internationale Entwicklung
Betreuerin:
a.o. Univ.-Prof. Dr. Martina Kaller-Dietrich
Ich bedanke mich an dieser Stelle …
bei meiner Familie, die mich mit großer Anteilnahme und Unterstützung während
meines gesamten Studiums und der Entstehung dieser Diplomarbeit begleitete.
bei meiner Betreuerin, a.o. Univ.-Prof. Dr. Martina Kaller-Dietrich, die mich vor
neue spannende Herausforderungen stellte und mir stets mit wertvollem Rat zur
Seite stand.
bei den Mitarbeiterinnen vom Instituto Gino Germani in Buenos Aires und jenen
des MTE, die meine zahlreichen Fragen geduldig beantworteten.
bei den MitarbeiterInnen von der Kooperative El Ceibo, die mich immer wieder
mit Freude empfingen, denen ich zuhören durfte und mir viele unbezahlbare
Einblicke in ihre Arbeit ermöglichten.
und letzten Endes bei all meinen Verwandten, Freundinnen und Freunden, die
begeisterte und verzweifelte Stunden mit mir teilten, mich inspirierten,
ermutigten, entspannten, ablenkten, und schließlich meine Arbeit gelesen und
korrigiert haben: Philipp, Helene, Marianne, Leni, Stephi, Stephan, Caro, Julia
und viele andere!
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1 1.1 Forschungsfragen ............................................................................................. 3 1.2 Forschungsstand ............................................................................................... 4
2 Methodik ..................................................................................................................7
3 Theorie....................................................................................................................12
3.1 Konzepte zum informellen Sektor.................................................................. 13
3.1.1 Der Ansatz der urbanen Subsistenz in der informellen Ökonomie .... 20 3.1.2 Formalisierung.................................................................................... 24
3.1.3 Informelle Organisations- und Sicherheitsstrukturen......................... 26
3.2 Konzepte zur Abfallwirtschaft ....................................................................... 31
3.3 Arbeitsspezifische Definitionen ..................................................................... 41
4 Vom cartonero zum recuperador urbano: Formalisierung der Abfallsammlung 45
4.1 Umfeld und Hintergründe .............................................................................. 45
4.1.1 Entwicklungen im 20. Jahrhundert..................................................... 45
4.1.2 Der Beginn des 21. Jahrhunderts: Krise, Armut und Proteste............ 49
4.1.3 Vom ciruja zum cartonero .................................................................. 56
4.1.4 Die formelle Abfallwirtschaft von Buenos Aires ............................... 59
4.2 Formalisierungsprozess .................................................................................. 62
4.3 Analyse der Veränderungen von Arbeits- und Lebensverhältnisse ............... 69
4.3.1 Einkommen......................................................................................... 70
4.3.2 Investitionskosten ............................................................................... 74
4.3.3 Arbeitsorganisation, Regeln und Normen .......................................... 76
4.3.4 Wirtschaftliche Netzwerke ................................................................. 82
4.3.5 Zugang zu öffentlichem Raum, Abfall und Betriebsmittel ................ 87
4.3.6 Identität............................................................................................... 89
4.3.7 Politische Organisation....................................................................... 92
4.4 Eigene Befragungen und Beobachtungen ...................................................... 93
4.4.1 Interview mit Mercedes Vega Martínez und Julieta Lampasona ....... 94
4.4.2 Interview mit Juan Garbois................................................................. 98
4.4.3 Interview mit der recuperadora María Julia Nevarra........................ 102
4.4.4 Beobachtungen ................................................................................. 104
5 Diskussion der Ergebnisse ...................................................................................109
6 Resultat................................................................................................................. 119
7 Forschungsausblick .............................................................................................121
Bibliografie...........................................................................................................123
Anhang ................................................................................................................ 138
Abbildungsverzeichnis...................................................................................... 138
Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... 138
Glossar .............................................................................................................. 139
Dokumention Feldforschung............................................................................. 141
Interviewleitfaden ............................................................................................. 142
Interviewauszüge............................................................................................... 143
Interview mit Mercedes Vega Martínez und Julieta Lampasona ................. 143
Interview mit Susana und Juan Garbois ...................................................... 147
Interview mit María Julia Nevarra ............................................................... 156
Zusammenfassung............................................................................................. 160
Summary ........................................................................................................... 161
Curriculum Vitae............................................................................................... 162
1
Einleitung
„Abfall ist wertvoll. Abfall ist Energie“ lautete unlängst ein Werbeslogan des städtischen
Entsorgungs- und Recyclingdepartements der Stadt Zürich (ERZ 2011). Ziel dieser
Kampagne war der offene Hinweis auf den ökonomischen Wert von Abfallprodukten. In
anderen Großstädten, Berlin oder London, sind AbfallsammlerInnen mit Einkaufswägen
voller Flaschen und anderen wiederverwertbaren Gütern zum festen Bestandteil des
nächtlichen Stadtbilds geworden (Süddeutsche Zeitung, 25.05.2010). In Ländern des Südens
sind AbfallsammlerInnen ein bekanntes Erscheinungsbild, im hochtechnologisierten Norden
ist das individuelle Sammeln von Abfall erst seit kurzem für einen marginalisierten Teil der
Gesellschaft zur Beschäftigung geworden. In Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Ägypten und
auf den Philippinen recyceln MüllsammlerInnen einen Großteil des weggeworfenen Abfalls
(Medina 2007). In mehr oder weniger organisierten Gruppen sammeln sie den Hausmüll von
Straßen und Müllhalden ein, trennen wertvolle Altstoffe von wertlosen, basteln daraus neue
Gebrauchsgegenstände oder verkaufen den Abfall an ZwischenhändlerInnen oder
industrielle Unternehmen weiter.
Abfall ist ein Objekt, über das ambivalente Gesellschaftsverhältnisse zum Ausdruck
gebracht werden. Abfall ist einerseits Zeichen für Wohlstand, Konsum und Prosperität. Je
höher der Wohlstand einer Gesellschaft ist, umso höher ist der gesellschaftliche Konsum,
und umso mehr Abfall wird produziert (Prischnig 2010: 33). Gleichzeitig ist er die Kehrseite
einer Wegwerfgesellschaft, der lange zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt
wurde. Müll ist ein Produkt, das im Widerspruch zu gesellschaftlich konstruierten Werten
steht. Verliert ein Gegenstand seinen Gebrauchs- oder seinen Tauschwert, wird er von den
meisten Menschen in die Kategorie des Wertlosen, des Störenden oder des Ekelhaften
eingeordnet (Bardmann 1994: 168). Müll stellt eine Provokation, weckt den Wunsch, sich
seiner zu entledigen, gefährdet Umwelt und Gesundheit (Prischnig 2010: 30). Im
Verborgenen ist der Handel mit Abfall aber zu einem höchst brisanten und lukrativen
Geschäft geworden. In Österreich ist die Abfallwirtschaft beispielsweise der am stärksten
regulierte Wirtschaftszweig (Scharff 2010: 67). In Anbetracht der Verknappung natürlicher
Ressourcen ist das Recycling von Abfallprodukten heute oftmals um ein Vielfaches
günstiger als der Abbau von Primärrohstoffen. Abfall ist zu einem Produkt geworden, das, in
wertvolle Rohstoffe umgewandelt, auch ohne technologisch hochentwickelte Hilfsmittel
1
hohe Wertschöpfung bringen kann.
Andererseits sind AbfallsammlerInnen Symptom von krisenhaften Situationen und
Zwangslagen. AbfallsammlerInnen verweisen auf gesellschaftliche Unordnung (Scharff
2010: 71), auf fehlende Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten (Medina 2007: 58).
Das Abfallsammeln ist eine Reaktion auf strukturelle Armut und Stress verursachende
Situationen wie wirtschaftliche Krisen, Kriege, Handelsembargos oder Naturkatastrophen
(Medina 2007: 45-48). Arbeits- und damit Einkommenslosigkeit führt zur Entwicklung von
kreativen Arbeitsstrategien. In vielen Fällen unterscheiden sich die Arbeitsstrategien der von
Armut betroffenen Menschen nicht vom alltäglichen Kampf ums physische Überleben. Mit
mehreren, formellen und /oder informellen Arbeitsstrategien (Köberlein 2003; Wehrli 2009:
30) versuchen Betroffene, ausreichend Geld zu verdienen, um sich das Überleben zu sichern.
Informell zu arbeiten bedeutet für die betroffenen Menschen, mit lokal verfügbaren
Ressourcen zu arbeiten, niedrige Investitionskosten und einfachen Zutritt zum Markt zu
haben (ILO 1972: 6). Gleichzeitig bedeutet es aber, ein Arbeitsverhältnis zu haben, das nicht
oder nur teilweise den Kriterien der geregelten Erwerbsarbeit entspricht, das keine soziale
Absicherung und keinen arbeitsrechtlichen Schutz bietet (Komlosy et al. 1997: 10).
In Argentinien stieg die informelle Abfallsammlung schlagartig an, als die wirtschaftliche
Krise die Arbeitslosenzahlen in gravierende Höhen schnellen ließ. Zudem sahen sich
Fertigungsbetriebe, die dem Unternehmenssterben entgehen konnten, mit rasant steigenden
Rohstoffpreisen konfrontiert. Für Arbeitslose gab es kaum Einkommensmöglichkeiten,
gleichzeitig suchte die Industrie aber nach Zugang zu günstigen Rohstoffen. Die Verzahnung
dieser Umstände brachte eine starke, von den AbfallsammlerInnen angetriebene
Recyclingwirtschaft hervor. Innerhalb von wenigen Monaten verdienten sich viele von
Arbeitslosigkeit und Armut betroffene ArgentinierInnen ihren Lebensunterhalt über das
Abfallsammeln. Einer Untersuchung von Francisco Suárez ist zu entnehmen, dass sich
während der Krisenphase, zwischen Anfang der 1990er und 2002, 100.000 Personen im
Stadtgebiet von Buenos Aires von der Abfallsammlung ernährten. 25.000 und 50.000
Menschen davon waren aktiv in die Straßensammlung involviert (2001: 3)1.
Nachdem die Anzahl der cartoneros in Buenos Aires stark gestiegen war, wurde von Seiten
1 Die ermittelten Zahlen zu den cartoneros weisen unterschiedlich starke Schwankungen auf. Für die unterschiedlichen
Ergebnisse machen Pablo Schamber, Francisco Suarez, Dieter Boris und Anne Tittor verschiedene Einflussgrößen
verantwortlich, die sowohl auf die rasch fluktuierende Anzahl von cartoneros, als auch auf die divergierenden
Schätzungen einwirken: Der lockere Charakter der Arbeitsorganisation, die raschen sozialen Auf- und Abstiege und die
schwankenden Wohnungsgrößen in den villas de emergencia (vgl. Schamber/Suárez 2007; vgl. Boris/Tittor 2006: 95).
2
der Regierung versucht, gegen die prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen der
informellen AbfallsammlerInnen anzukämpfen. In den letzten zehn Jahren wurden mehrere
Gesetze erlassen und Programme eingeführt, welche die informelle Abfallsammlung
formalisieren und in die städtische Abfallwirtschaft integrieren sollten.
Die Literatur zur informellen Abfallsammlung stützt sich zu einem großen Teil auf
Erfahrungen aus Ländern des Südens, deren abfallwirtschaftliche Entwicklungsstandards
weit unter jenen des hochtechnologisierten Nordens liegen. In den letzten Jahren wurden die
Debatten um „Urban Governance“, „Umweltmanagement“ und „städtischer Armut“ immer
lauter (Köberlein 2008: 13). Im Zentrum der Stadtforschung stehen die Fragen um das
Eindämmen der sich ausbreitenden ökologischen Krise. Gängige Konzepte zur
Abfallwirtschaft berücksichtigen Abfallsammelnde nur am Rande und konzentrieren sich
stark auf die Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der kommunalen Abfallwirtschaft (vgl.
Samson 2010: 2). Obwohl Argentinien aufgrund seiner wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklung im letzten Jahrhundert kaum als „low“ oder „lower income country“
klassifiziert werden kann, werden die Modelle zur informellen Abfallsammlung seit der
Krise 2001 auch im Zusammenhang mit Argentinien2 diskutiert (vgl. Medina 2010: 163-178;
Bournay 2006: 25-27; Vaughn 2009: 97-98). In Argentinien war das Aufkommen der
informellen Abfallsammlung eng mit dem Verfall sozialer Sicherheiten und ausbleibenden
Beschäftigungsmöglichkeiten verknüpft. Ab den 1980er Jahren wurde die argentinische
Sozialpolitik vom neoliberalen Regierungskurs geprägt, der für breite Teile der Bevölkerung
Armut und existenzielle Unsicherheit bedeuteten. Der Rückgang der Sozialleistungen und
der Abbau von Arbeitsplätzen bereiteten vor allem für in Städten lebende ArgentinierInnen
den Boden für die Suche nach einkommensschaffenden Beschäftigungsmöglichkeiten.
Abfallsammeln wurde zu einer Überlebensstrategie.
1.1
Forschungsfragen
Die meisten Konzepte zur Abfallwirtschaft erlauben für die theoretischen Debatten über die
informelle Ökonomie kaum relevante Schlüsse. Wichtige Punkte, die bei den Diskussionen
2 Dem Kategorisierungsprinzip der Weltbank zufolge befindet sich Argentinien mit einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt
pro Kopf von 9,740 US-Dollar zusammen mit den meisten anderen südamerikanischen Ländern, Brasilien, Chile,
Kolumbien, Ecuador, Peru, Suriname, Uruguay und Venezuela unter den „upper middle income countries“. Als „upper
middle income countries“ klassifiziert die Weltbank alle ihrer Mitgliedsstaaten, deren Pro-Kopf-BIP im Jahr 2011
zwischen 4.036 und 12.475 US-Dollar (Weltbank 2012).
3
um
die
Abfallwirtschaft
häufig
unberücksichtigt
bleiben,
sind
das
dynamische
Zusammenspiel des formellen und des informellen Sektors und der Blick auf die
wirtschaftlichen, politischen und sozialen Beziehungen, in welche die einzelnen
Komponenten der gesamten Abfallwirtschaft eingebettet sind.
Die vorliegende Arbeit wird sich daher mit den wirtschafts- und sozialgeschichtlichen sowie
politikgeschichtlichen Aspekten in Argentinien auseinandersetzen, die für das Aufkommen
und die Entwicklung der cartoneros von Bedeutung waren. Sie wird sich darüber hinaus mit
dem Zusammenspiel von Formalität, Informalität und Abfallwirtschaft sowie den
Auswirkungen von Formalität und Informalität auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der
cartoneros beschäftigen.
Im Sinne der Entwicklungsforschung soll die Arbeit einen Beitrag zur Diskussion um
informelle Ökonomie und städtische Abfallwirtschaft liefern. Dabei werden Erklärungen für
die Entwicklung des Phänomens sowohl in entwicklungstheoretischen als auch in
anthropologischen Konzepten zum informellen Sektor gesucht. Im Zeichen der
Transdiziplinarität der „Internationalen Entwicklung“ werden historische, politische,
ökonomische und soziologische Perspektiven auf das Forschungsfeld mit qualitativen
Forschungsmethoden kombiniert. Ziel der Arbeit ist, die Auswirkungen von formeller und
informeller Abfallsammlung auf die Lebenswelten der subalternen Gruppe der cartoneros
kritisch zu analysieren. Zudem sollen die Veränderungen von informellen Arbeits- und
Lebensbedingungen der cartoneros durch die Formalisierungsprozesse untersucht und die
Relevanz der Theorien und Konzepte zur Informalität geprüft werden.
Die Untersuchung wird von folgenden Forschungsfragen geleitet:
Wie hat sich das Phänomen der cartoneros im Zeitablauf entwickelt? Welche Rolle spielte
die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes?
Welche Formen von Abfallsammlen gibt es? Welche Motive für das Sammeln gibt es?
Wie haben sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der cartoneros im
Formalisierungsprozess verändert? Welche Einkommensunterschiede, welche
geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt es?
1.2
Forschungsstand
1972 definiert die ILO den informellen Sektor erstmals als einen sozialen Raum mit
4
geringen Eintrittbarrieren, in dem lokal verfügbare Ressourcen verwendet werden, wenig
Technologie verfügbar ist und Wissen außerhalb des formellen Bildungssystems
weitergegeben wird (ILO 1972: 6).
Angestoßen von der modernisierungstheoretischen Auffassung des informellen Sektors
(Lewis 1955; Germani 1973; Santos 1979; Stuckey/Fay 1980) wurden aus anderen
entwicklungstheoretischen Strömungen Konzepte zur Existenz, zur Funktion und zur
Entwicklung des informellen Sektors entworfen. Lateinamerikanische Dependenztheoretiker
erkannten den informellen Sektor als Ergebnis von regionaler Unterentwicklung (Pries 1996:
8), während Neoliberale ihn als Lösung wirtschaftlicher Probleme betrachteten (de Soto
1992). Weltsystemtheoretiker, die sich mit dem informellen Sektor beschäftigten, begreifen
die
unregulierten
Arbeitsverhältnisse
als
Eldorado
für
Kapitalakkumulation
und
Wohlstandssteigerung einer Bevölkerungsminderheit (Werlhof 1985; Portes/Castells/Benton
1989; Bennholdt-Thomsen/Mies 1997). Andrea Komlosy, Christof Panreiter, Irene Stacher
und
Susanne
Zimmermann
stellten
Mitte
der
1990er
diese
zentralen
entwicklungstheoretischen Strömungen im Sammelband „Untergeregelt und Unterbezahlt“
zur Diskussion.
Jenseits der ökonomischen Konzepte entwickelten sich anthropologische Ansätze zum
informellen Sektor. Sie stellen soziale Netzwerke, Beziehungen und Organisationsmuster ins
Zentrum ihrer Analysen. Keith Hart (1973), der vor allem in Afrika forschte, betrachtet den
informellen Sektor als einen alternativen Beschäftigungsbereich zur Lohnarbeit. Andere
anthropologische
Studien
zur
Arbeitsorganisation
des
informellen
Sektors
in
lateinamerikanischen Städten erschienen unter anderen von Larissa Lomnitz (1977), Victor
Tokman (1978), Ray Bromley und Chris Gerry (1979). Spätere Studien zum informellen
Sektor befassten sich mit Informalität als Form der Überlebensstrategie (Moser 1984;
Jenkins 1997; Portes 2010; Chambers 1989, 1992). Bedeutende ethnografische
Untersuchungen im lateinamerikanischen Kontext wurden von James Thomas (1995) und
Viktor Tokman (1995) vorgenommen. Von den beiden EthnologInnen Waltraud Kokot und
Astrid Wonneberger (2006) wurden Untersuchungen in mehrere europäischen und
lateinamerikanischen Hafenstädten gemacht, in deren Zentrum die entwickelten Strategien
zur Reduktion von existenzbedrohenden Unsicherheiten stehen. Dieses Konzept dient neben
dem Sammelband von Komlosy et al. (1997) als wichtige Quelle, um einen weiteren
perspektivischen Zugang zur Konstruktion von Informalität zu erhalten.
Es existiert bereits eine Reihe von anthropologischen Fallstudien zur informellen
5
Abfallsammlung.
Larissa
Lomnitz
führte
1977
eine
Untersuchung
zu
den
AbfallsammlerInnen in Mexiko Stadt durch, Chris Birkbeck beschäftigte sich 1978 mit den
AbfallsammlerInnen in Cali, Daniel Sicular untersuchte 1992 die Abfallsammlung in
Indonesien und Beukering et al. behandelten 1998 die Abfallwirtschaft in Bangalore. Jürgen
Grothues untersuchte 1990 die Wiederverwertungsaktivitäten in afrikanischen Städten,
DiGregorio 1993 die Recyclingwirtschaft in Nordvietnam und Jürgen Köberlein (2003)
selbiges in Delhi. Trotz der unzähligen Fallstudien zur informellen Abfallwirtschaft
erschienen bisher aber nur wenige Werke, die sich mit dem Entwurf universell gültiger
Sammelmustern auseinandersetzen. Erste Annäherungen wurden von Peter Nas und Rikve
Jaffe (2004) unternommen. Martin Medina suchte 2007 in seinem Werk „The World's
Scavengers“ globale Sammelmuster zu finden, und stieß dabei auf unzählige
Gemeinsamkeiten von lateinamerikanischen und asiatischen Recyclingmustern.
Die Integration der informellen Abfallsammlung in die städtische Abfallwirtschaft wird
unter Hervorhebung des umweltpolitischen Aspekts in neueren Konzepten zur städtischen
Abfallwirtschaft besprochen. David Campbell (1999) und Beukering et al. (1998) lieferten
dazu Untersuchungen, die neben technischen Komponenten auch soziale Aspekte der
Integration berücksichtigen. Medina fasste in „The World's Scavengers“ seine früheren
Untersuchungen zu den cartoneros in Buenos Aires zusammen. Weitere zentrale
Untersuchungen zu den cartoneros lieferten auch SoziologInnen und EthnologInnen aus
Buenos Aires. Francisco Suárez, Pablo Schamber (2001; 2007; 2011) und Eduardo Anguitia
(2003) führten für diese Arbeit ethnologische Studien zu den cartoneros durch. Weitere
wichtige Orientierungspunkte dieser Arbeit stellen soziologische Studien zu cartoneros und
Kooperativen von Mariano Perleman (2007) und Veronica Paiva (2008) dar.
Im deutschsprachigen Raum erschien von Laura von Bierbrauer 2011 eine ethnografische
Studie zu den cartoneros, in welcher die Organisationsstrukturen der informellen
AbfallsammlerInnen anhand des Konzepts zur urbanen Subsistenz untersucht werden. Die
vorliegende Arbeit fußt auf einer verwandten Herangehensweise, da sie für die Analyse
ebenfalls das Konzept der urbanen Subsistenz heranzieht, fokussiert aber auf die gesamte
Struktur mit formellen und informellen Ausprägungen und individuellen Beispielen, den
Formalisierungsprozess und die Veränderung des Umgangs mit Unsicherheiten.
6
2
Methodik
Entsprechend dem hermeneutischen Zirkel nach Gadamer ist es sinnvoll, die eine
Literaturstudie mit einer eignen Datenerhebung zu verbinden, um die betreffende Literatur
eingehender verstehen zu können. Die Verschmelzung verschiedener Arbeitstechniken – das
theoretische Erarbeiten eines Textes und das empirische Erheben von eigenen Daten – soll,
so Gadamer, der verstehenden Interpretation des Textes dienen. „Wer einen Text verstehen
will, vollzieht immer ein Entwerfen. Er wirft sich einen Sinn des Ganzen voraus, sobald sich
ein erster Sinn im Text zeigt. Ein solcher zeigt sich wiederum nur, weil man den Text schon
mit gewissen Erwartungen auf einen bestimmten Sinn hin liest“ (Gadamer 2010: 271). Nach
Gadamer resultiert die Konzeption des Vorverständnisses aus dem Verständnis dessen, was
geschrieben ist. Beim weiteren Ergründen des Sinnes wird der Vorentwurf permanent
revidiert und wieder neu entworfen (ebd.: 251). Da Zusammenführen von Theorie und
Empirie verhilft, so Gadamer weiters, dem Forschenden, neue kulturelle Kontexte besser
erfassen und verstehen zu können.
Diesem Postulat Gadamers folgend, setzt sich meine Methode aus theoretischer
Literaturarbeit
und
begleitender
empirischer
Feldforschung
zusammen.
Da
das
Forschungsfeld vor der Untersuchung noch weitgehend unbekannt und die Einarbeitung in
das Thema mangels ausreichender Literatur nur eingeschränkt möglich war, erwies sich eine
mit einer Feldforschung kombinierte Literaturarbeit als konstruktivste Zugangsweise. Die
über das Stipendium für Kurzfristiges Wissenschaftliches Arbeiten (KWA) der Universität
Wien finanzierte Feldforschung fand im Februar 2012 statt und verfolgte den Zweck,
relevante, vor Ort verfügbare Literatur zu sammeln und eigene Daten über Gespräche und
Beobachtungen zu erheben. Vor Antritt des Forschungsaufenthalts erschwerte die räumliche
Distanz die Möglichkeit, die in Buenos Aires verfügbaren Untersuchungen für umfangreiche
Literaturarbeiten zu nutzen.
Während des Aufenthalts suchte ich mehrere Forschungseinrichtungen zur Literaturrecherche auf und realisierte eine auf Gesprächen und Beobachtungen basierende Feldforschung. Die empirische Datengewinnung zur Lebens- und Arbeitswelt der cartoneros
erfolgte über mehrere Kontakte und Verknüpfungspunkte. Über die Verbindung mit dem
Instituto Gino Germani von der Universidad de Buenos Aires, welches breit angelegte
7
soziologische Untersuchungen zum Phänomen der cartoneros vornimmt, gelangte ich an für
meine Forschung zentrale Untersuchungsergebnisse. Die Forscher und Forscherinnen des
Instituts veröffentlichen laufend wissenschaftliche Beiträge und Bücher zum Thema. In
Gesprächen mit den jeweiligen Forschenden wurden zentrale Ergebnisse bereits
abgeschlossener Untersuchungen vorgestellt und mit neuer Information ergänzt. Viele dieser
Ergebnisse resultierten aus Studien, die bis zum Jahre 2005 vollendet und in
Anschlussforschungen wieder neu interpretiert wurden. Über die anthropologische Fakultät
der Universidad de Buenos Aires erhielt ich vorrangig Zugang zu ethnologischen und
ethnografischen Studienergebnissen. Der Ethnologe Raúl Néstor Alvarez eröffnete mir die
Gelegenheit, die größte Mülldeponie des städtischen Abfallbetriebes CEAMSE, den Relleno
Ambiental Norte III, zu besuchen und Gespräche mit AbfallsortiererInnen zu führen. Andere
wichtige Ansprechpartner, die beiden Abfallkooperativen MTE und El Ceibo, ermöglichten
mir Gespräche mit für die Kooperative arbeitenden cartoneros. Ich konnte die cartoneros
während ihrer Sammeltätigkeiten begleiten und Einblicke in die Beziehungen zu den
Müllproduzenten gewinnen. Interviews und Gespräche mit den Mitgliedern der Kooperative
selbst gaben Aufschlüsse über die Organisation der Abfallwirtschaft in Buenos Aires und die
Beziehung der Kooperativen zum Staat und zu anderen involvierten Akteuren.
Neben den bisher genannten Instituten und Organisationen, mit denen ich permanent in
Verbindung stand, konnten mehrere (Kurz-)Gespräche mit straßensammelnden cartoneros
oder mit Abfallsammlung assoziierten Initiativen geführt werden. Das kleine Unternehmen
„Eloisa Cartonera“, welches aus Abfall hergestellte Produkte verkauft, half mir etwa, die
Perspektive der KunsthandwerkerInnen auf die Abfallsammlung kennen zu lernen.
Literaturrecherche
Wie bereits angeführt, stand die intensive Literaturrecherche über die Entstehung der
cartoneros und die Organisation der Abfallsammlung im Mittelpunkt meiner Arbeit.
Herangezogen wurden Veröffentlichungen aus verschiedensten sozialwissenschaftlichen
Disziplinen. Hilfsmittel stellten das Internet und Bibliothekskataloge dar. Die Suchkriterien
für die Recherche von literarischen Quellen wurden über themenzentrierte Schlüsselbegriffe
bestimmt. Für die Literatursuche in Bibliothekskatalogen, Datenbanken und OnlineVerzeichnissen wählte ich verschiedenste Kombinationen aus den Stichworten „cartoneros“,
„basura“, „recuperadores urbanos“, „reciclaje“, „reciclado“, „trabajo“, „mercado“,
8
„desocupación“, „crisis“, “politíca“, „argentinazo“, „Estado“, „Buenos Aires“ und „ciruja“.
Durchsucht
wurden
die
Kataloge
universitärer
und
thematisch
relevanter
Forschungseinrichtungen in Buenos Aires: Universidad de Buenos Aires, Universidad de la
Plata, Universidad de las Madres de Plaza de Mayo und FLACSO. Zudem wurde Literatur
aus den Bibliotheken der Institutionen jener ForscherInnen einbezogen, mit denen ich
Gespräche führte oder über Email in Verbindung stand.
Für die Forschung waren alle Artikel, Bücher oder Beiträge relevant, die sich unmittelbar
mit den cartoneros als Untersuchungssubjekte auseinandersetzten. Die Auswahl des
gesichteten Materials erfolgt nach folgenden Kriterien:
- Thematische Verbundenheit mit der Arbeitsorganisation der cartoneros
- Thematische Verbundenheit mit der Abfallorganisation in Buenos Aires
- Überblicke über Aufgaben und Organisation einzelner Abfallakteure
- Darstellung von judikativen Veränderungen zur Abfallwirtschaft und Implikationen für die
AbfallsammlerInnen (Formalisierungsprozess)
Problemzentrierte Interviews
Für die Gespräche mit ExpertInnen wendete ich eine spefische Form der qualitativen
Interviewführung an. Als Experten definiert Flick Mitarbeiter einer Organisation, die eine
spezifische Funktion ausüben und über einen bestimmten Erfahrungsschatz an
professionellem Wissen verfügen (ebd.: 218). In seiner Eigenschaft als Experte verkörperte
der Gesprächspartner einen „Sachverständigen“, der im Hinblick auf die Interesse
erweckenden Begebenheiten besonders kompetent ist (Deeke 1995: 7-10, zit. nach Flick
2006: 218).
Etwas losere narrative Formen des Interviews, wie ich sie als Befragungsmethode gewählt
habe,
gelten
innerhalb
der
sozialwissenschaftlichen
Befragungsmethoden
als
problemzentrierte Interviews. Problemzentrierte Interviews bieten dem Forschenden den
Vorteil, die Befragung in einer möglichst offenen Form zu vollziehen. Beim
problemzentrierten Interview steht die problemorientierte Lenkung des Gesprächspartners
im Zentrum des Gesprächs. Während dem Interview soll dem Gesprächspartner ein
möglichst offener Gesprächsverlauf geboten werden, um subjektive Bedeutungsinhalte in
Erfahrung zu bringen und Vertrauen zwischen den Gesprächspartnern aufbauen zu können
(Mayring 2002: 70-71). Das Gespräch soll um eine bestimmte Problemstellung herum
9
aufgebaut sein, die der oder die Interviewende bei Bedarf anspricht und auf die er/sie das
Gespräch wieder zurückführt, sollte dies von der Behandlung des Problems abweichen. Um
ein problemzentriertes Interview bestmöglich umsetzen zu können, empfiehlt Mayring dem
Interviewer auf das Gespräch vorbereitet zu sein, das Problem im Vorfeld zu analysieren,
relevante Gesichtspunkte zu erarbeiten und einen Leitfaden zu entwerfen, der im Laufe des
Gesprächs als Orientierungshilfe für ausständige Gesprächsinhalte herangezogen werden
kann (Mayring 2002: 69-70).
Beim problemzentrierten Interview ist nicht nur das Gesprochene von Bedeutung, sondern,
so Flick, auch die begleitende Dokumentation während der Interviewphase (2006: 218). Aus
diesem Grund wurden die Gespräche in der Regel aufgezeichnet. Leitfäden kamen dann zum
Einsatz, wenn es sich um Interviews mit fachkundigen ExpertInnen zu vorgegebenen
Themen handelte und keine sich (spontan) ergebenden Alltagskonversationen geführt
wurden. Die Forschenden der Universitäten oder die Gesprächspartner in leitenden
Positionen von Kooperativen waren etwa solche ExpertInnen. Der Leitfaden diente in
Gesprächen mit den ExpertInnen als Unterstützung, um den Verlauf zwar offen, das
Gespräch aber auf jene Themen gerichtet zu halten, die für die Untersuchung von Relevanz
waren. Da der Leitfaden hauptsächlich als Orientierungshilfe diente, beinhaltete er für die
Forschungsfrage relevante Themenblöcke und übergeordnete Fragestellungen. Manchmal
ergaben sich Gespräche unerwartet und konnten daher nicht aufgezeichnet werden. Von
diesen Gesprächen wurden Kurzfassungen angefertigt, die in die Beschreibung der
Beobachtung mit einflossen.
Teilnehmende Beobachtung
Die Beobachtung kann als zweckorientierte Vorgehensweise verstanden werden, mit welcher
der Beobachtende versucht, die Alltagssituation seines Untersuchungsgegenstandes
analytisch zu erschließen. Der Beobachtende nimmt seinem Beobachtungssubjekt gegenüber
eine Haltung ein, die zwar passiv ist, das Handeln der Gruppe aber nicht beeinflusst. Ohne
Einfluss auf die Situation zu nehmen, versucht der Beobachtende, seine Beobachtungen
systematisch zu erfassen, zu ordnen, zu reflektieren und auf perspektivische Verzerrungen
hin zu prüfen (Mayring 2002: 80-81).
Mithilfe der teilnehmenden Beobachtung wird es möglich, mit der Innenperspektive des
Untersuchungsgegenstandes vertrauter zu werden, Alltägliches zu eruieren, das durch bloße
10
Erzählungen nicht zugänglich wäre, und ein allgemeines Interpretationsmuster aus dem
Beobachteten zu erstellen. Durch die Nähe des Forschenden zum Untersuchungsgegenstand
nimmt er selbst an der sozialen Situation der Untersuchung teil und steht nicht außerhalb des
Untersuchungsvorgangs, wie es bei klassisch empirischen Methoden üblich ist. Im Gegenteil
zu klassischen empirischen Untersuchungsmethoden sollten durch die Nähe zum Feld
zuverlässige Bilder der Untersuchungssubjekte und -objekte geschaffen werden (Mayring
2002: 81-82).
Die Verwendung eines Beobachtungsleitfadens ist dabei optional. Flick betrachtet weniger
strukturierte Beobachtungsbögen, die lediglich Feldnotizen über Handlungen und
Situationsmerkmale beinhalten, als besser geeignete Dokumentationsinstrumente als stark
strukturierte Beobachtungsbögen. Flick ist der Ansicht, dass offene Notizen dem
Beobachtenden die Möglichkeit wahren, stärker an der sozialen Beobachtungssituation
teilzunehmen, nicht Vorgesehenes wahrzunehmen und zu erfassen (Flick 2002: 208). Um
Notizen zu systematisieren, empfiehlt Flick zusammen mit Spradley die Erfassung des
sozialen Umfeldes durch neun Untersuchungsdimensionen (Spradley 1980: 78, zit. nach
Flick 2002: 209):
Raum:
physikalischer Ort
Akteur(e:
beteiligte Personen
Aktivitäten: Handlungen, die von den Personen ausgeführt werden
Gegenstand: physikalische Dinge, die die Person umgeben
Handlung:
Handlungen, die von Menschen ausgeführt werden
Ereignisse: Aktivitäten, die während der Beobachtung stattfinden
Zeit:
der Ablauf, der während der Beobachtung stattfindet
Ziel:
Dinge, die Personen zu erzielen versuchen
Gefühle:
empfundene und ausgedrückte Emotionen
Während der Feldforschung wurden die Dokumentationen in Form von Feldnotizen bei den
Interpretationen der Aussagen von Gesprächspartnern sowie bei der Beschreibung des
Arbeitsumfeldes der cartoneros hinzugezogen. Wie von Flick angedacht, wurden die
Aufzeichnungen über die Beobachtungen, wenn möglich, in die Interpretation des
Gesprochenen miteinbezogen. Beobachtungen während der Gesprächssituation waren vor
allem bei Gesprächen mit cartoneros hilfreich, da daraus neue Eindrücke und Daten
gewonnen werden konnten, die durch das alleinige Aufzeichnen der Gespräche nicht erfasst
werden hätten können.
11
3
Theorie
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden in der Literatur verschiedenste Begriffe verwendet,
um den informellen Sektor als wirtschaftlichen Bereich zu definieren. Obwohl eine Vielzahl
unterschiedlicher Begriffe aufgekommen ist, wurde der informelle Sektor stets als die
Ökonomie der Armen, als Überlebensökonomie oder als Slumökonomie beschrieben, über
welche städtische Arme versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen (Köberlein 2003:
13). In der Wissenschaft herrscht seit den Anfängen in den 1970ern Einigkeit darüber, dass
der informelle Sektor ein unübersehbares Phänomen darstellt, dem die Forschung verstärkte
Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. „Informalität“ als Differenzierungskategorie von
Organisationsformen gab durch die entwicklungsparadigmatischen Phasen hindurch Anlass
für zahlreiche Studien und Projekte in sämtlichen sozialwissenschaftlichen Disziplinen (vgl.
Bromley 1978; Sethuraman 1981; Thomas 1992; de Soto 1989; Santos 1979; Peattie 1987).
Auch heute werden noch zahlreiche Debatten über die Herkunft, die Natur, die Dynamiken
und die Definition der informellen Ökonomie sowie seine Beziehungen zum formellen
Sektor geführt (vgl. Hart 2006; Guha-Kasnobis et al. 2006; Mayer-Ahuja 2012;
Altvater/Mahnkopf 2002). Viele theoretische Ansätze zum informellen Sektor fußten auf der
Idee, diese Wirtschaft in die Weltwirtschaft zu integrieren, um die Arbeitseffizienz zu
steigern, die Armut zu reduzieren und das wirtschaftliche Potenzial auszuschöpfen, das in
der Informalität verborgen ist. Das modernisierungstheoretische Integrationskonzept3 wurde
insbesondere von internationalen Organisationen wie der International Labor Organisation
(ILO) weitgehend angenommen, die Forderungen nach einer Harmonisierung der
vielfältigen Ansätze zum informellen Sektor blieben aber bis heute zumeist unerfüllt.
3
12
Laut der in den 1950er aufgekommenen Modernisierungstheorien liegen die Ursachen für die ausbleibende
Entwicklung bei den sogenannten Entwicklungsländern selbst. Die Theorie geht davon aus, dass innere, wirtschaftliche
Probleme den wirtschaftlichen Fortschritt verhindern und nur durch wirtschafts- und entwicklungspolitische Strategien
und Maßnahmen nach westlichem Vorbild überwunden werden können. Die Modernisierungstheorie nimmt an, dass die
globale Entwicklung einem kongruenten Entwicklungsmuster folgt und die ökonomischen und technologischen
Ungleichheiten aus dem zeitlichen Zurückbleiben der weniger entwickelter Regionen resultiert, ökonomische und
technologische Rückstände bestimmter Länder könnten mit dem zeitlichen Fortschritt aber aufgeholt werden (vgl.
Rostow 1978: 365). Die Modernisierungstheorie ist der Ansicht, dass der Modernisierungsgrad eines Landes seine
global-ökonomische Position bestimme und erklärt den Rückstand der Länder des Südens aus dem hohen Grad an
traditionellen Organisationsformen. Sie versteht die Dichotomie zwischen dem industrialisierten und dem
landwirtschaftlichen Sektor innerhalb eines Landes des Südens beispielsweise als die Hauptursache für Unterernährung
(Komlosy et al. 1997: 14).
3.1
Konzepte zum informellen Sektor
Am Anfang der Debatten um den informellen Sektor in den 1970ern, als sich der moderne
Kapitalismus durch weltweite wirtschaftliche Transformationen zu verändern begann, wurde
von der ILO eine Studie hervorgebracht, die sich mit Einkommen und Gleichberechtigung
im Kontext der Arbeitsverhältnisse auseinandersetzte. In der kenianischen Studie
„Employment, incomes and equity“ von der ILO aus dem Jahre 1972 wurde erstmals das
Phänomen „Informalität“ als Thema diskutiert und der Ausdruck „informeller Sektor“
benutzt, um nicht geregelte und ungesicherte Arbeits- und Lebensverhältnisse zu
beschreiben (Altvater/Mahnkopf 2002: 12). Zu Beginn wurde der Begriff hauptsächlich als
Sammelbegriff für Überlebensstrategien und Tätigkeitsbereiche eingesetzt, die von armen
(migrierten) Menschen am Rande der modernen Ökonomie angewendet, und vom formellen
Arbeitsmarkt nicht absorbiert wurden (Köberlein 2003: 24).
Die Grundidee vom informellen Sektor wurde dabei ursprünglich von Keith Harts (1973)
anthropologischen Anschauungen zu verschiedenartigen Beschäftigungsmöglichkeiten
abgeleitet.
Hart
differenzierte
die
Formen
von
Arbeit
in
informellen
Einkommensmöglichkeiten, über selbstständige Beschäftigung geschaffene, von jenen der
formellen Lohnarbeit. Unter formellen Einkommensmöglichkeiten verstand er Löhne und
Gehälter aus öffentlichem und privatem Sektor sowie Transferleistungen wie Pensionen,
Kranken- oder Arbeitslosengeld. Die informellen Einkommensmöglichkeiten unterteilte er in
erlaubt und nicht erlaubt. Als erlaubte informelle Formen von Einkommensgenerierung
betrachtete er Tätigkeiten aus dem primären und sekundären Sektor, landwirtschaftliche
Arbeit, (kunst)handwerkliche Beschäftigungen sowie Tätigkeiten aus dem tertiären Sektor,
Dienstleistungen und Kleingewerbe. Den unerlaubten Beschäftigungsmöglichkeiten rechnete
er Aktivitäten im Zusammenhang mit Diebstahl, Raub oder dem organisierten Verbrechen zu
(Hart 1973: 69).
Zu jenem Zeitpunkt basierte Harts Konzeption von Beschäftigungsmöglichkeit auf der
Trennung von wirtschaftlichen Bereichen in formell und informell, und damit auf dem
Verständnis
des
in
den
1950ern
und
1960ern
im
Westen
dominierenden
modernisierungstheoretischen Entwicklungsparadigmas. Aus modernisierungstheoretischer
Sicht existieren für nationale Gesellschaften moderne (formelle) und traditionelle
(informelle) Organisationsformen. Gesellschaftliche Organisationsformen gelten für die
Modernisierungstheorie dann als formell, wenn sie über bestimmte Eigenschaften und
13
Merkmale (industrielle Produktion, Arbeitsorganisation und sozialer Absicherung) verfügen.
Die regulierten Organisationsformen des Westens, besonders die Arbeitsorganisation, stellen
für die Modernisierungstheoretiker das Ziel der Entwicklung der gesamten Menschheit dar.
Von
der
Gesellschaft
ungeregelte
Organisationsformen
werden
mit
dem
Modernisierungsfortschritt eines Landes eliminiert und/oder aufgesaugt. Der formelle Sektor
wird als organisierter, moderner und hochproduktiver Sektor verstanden, in dem hohes
Einkommen generiert wird, während der informelle als zurückgebliebener, unorganisierter
Subsistenz-, Basar- und Niedrigeinkommenssektor mit niedriger Produktivität gilt (Delapina
1997: 33).
Trotz der Kritik an der Gültigkeit des theoretischen Fundaments, die in den 1960er und 70er
vor allem vonseiten der Dependenz- und WeltsystemtheoretikerInnen eingebracht wurde,
wurde Harts Verständnis von formellen und informellen Beschäftigungsformen 1972 von
der ILO in ihrem Konzept zum informellen Sektor in kaum modifizierter Form aufgegriffen
und bis heute beibehalten (Bromley 1990: 336).
Von der ILO wurden Harts formelle und informelle Beschäftigungszuschreibungen
grundsätzlich als voneinander abgegrenzte Sektoren gegenüber gestellt und in ihren
Merkmalen erweitert. Im Verständnis der ILO weist der informelle Sektor sieben Grundzüge
auf (1972: 6)
- leichte Zugänglichkeit
- Verwendung von lokal verfügbaren Ressourcen
- Familienunternehmungen
- Kleinbetriebe
- arbeitsintensive Produktionsmethoden und angepasster Einsatz von Technologien
- Kenntnisse über die Arbeitsabläufe werden außerhalb von formellen Institutionen
erworben
- nicht regulierte und konkurrierende Märkte
Der informelle Sektor stand damit gänzlich in Kontrast zum formellen Sektor, der nach der
ILO hohe Eintrittsbarrieren aufwies, großbetrieblich und gemein- oder gesellschaftlich
organisiert war, kapitalintensive Produktionsmethoden und importierte Technologien
anwendete, formelle Ausbildungssysteme besaß und über geschützte und regulierte Märkte
funktionierte (ILO 1972: 5-6).
14
Die Idee vom dualen Wirtschaftssystem fortführend, entwickelte Milton Santos Ende der
1970er Jahre ein Modell zur Funktionsweise der städtischen Ökonomie, welches aus zwei
Kreisläufen bestand – dem unteren und dem oberen. Santos ging davon aus, dass die beiden
ökonomischen Kreisläufe ihre Existenz und ihre Herkunft der technischen Modernisierung
zu verdanken hatten und der untere Kreislauf in einem Abhängigkeitsverhältnis zum oberen
stand. Sein Modell zeigte, dass der obere, formelle Kreislauf die gesamte Ökonomie
dominierte und nach der völligen Eingliederung in den Weltmarkt strebte, während der
untere informelle, kontrolliert und abhängig vom oberen, nach der Integration in die lokale
Wirtschaft suchte. Die permanente Unterordnung des unteren Kreislaufes erklärte sich
Santos aus der Abhängigkeit des Kreislaufes von der lokalen Nachfrage und vom Konsum.
Folgerichtig ergab sich die Überlegenheit der formellen Ökonomie aus der Unabhängigkeit
des oberen Kreislaufes von den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen. Unternehmen des
oberen Kreislaufs konnten zu Werbemaßnahmen greifen, um Produkte zu verkaufen und
expandieren zu können, Unternehmen des unteren waren auf die lokale Nachfrage
angewiesen (Santos 1979: 23-24).
Für lateinamerikanische Gesellschaften wurde das erste dualistische Wirtschaftsmodell im
modernisierungstheoretischen Sinne von Gino Germani (1973, zit. nach Medina 2007: 5)
entworfen, der die informellen Aktivitäten als marginal und vom modernen Sektor getrennt
betrachtete. Sein Modell knüpfte an die Ideen von Arthur Lewis4 und anderen
Modernisierungstheoretikern an und suchte nach einer graduellen Eliminierung der
Marginalität durch ihre Integration in den modernen Sektor. In der lateinamerikanischen
Modernisierung wurden marginale Gruppen als Hindernisse, manchmal auch als Nutznießer
gesehen, die absorbiert werden sollten (ebd.: 5).
Die gleichzeitige Existenz der formellen und der informellen Ökonomien stellt aus der
Perspektive der ModernisierungstheoretikerInnen nicht nur ein Hindernis dar, welches im
Sinne des volkswirtschaftlichen Wachstums überwunden werden müsse, sondern sei auch
die wichtigste Ursache für seine Unterentwicklung. Demnach ist das Eindämmen der
Unterentwicklung im Besonderen durch das sukzessive Zurückdrängen des traditionellen
4
Noch vor Santos und Germani hatte Arthur Lewis in den 1950ern ein dualistisches Interaktionsmodell zwischen dem
modernen und dem traditionellen Sektor in Ländern des Südens angefertigt, in dem er der urbanen, modernen
Marktwirtschaft den ruralen, land- und subsistenzwirtschaftlichen Bereich gegenüberstellte. Er ging davon aus, dass der
traditionelle Sektor über ein unbegrenztes Angebot von Arbeitskräften zum Subsistenzeinkommensniveau verfügte. Die
realen Lohnunterschiede zwischen dem traditionellen Sektor und dem modernen Sektor verursache
Migrationsbewegungen in Richtung Stadt und damit die Integration der verstädterten Landarbeitenden in den modernen
Sektor. Die Einkommensunterschiede im traditionellen und modernen Sektor verhelften dem industriellen Sektor, sich
auszubreiten und die Reallöhne im Gleichgewicht zu halten, während die traditionelle Wirtschaft schließlich abnehme
(Lewis 1956, zit. nach Hosseini 2012: 134).
15
Wirtschaftens, der Institutionen und Ideologien möglich. Als Heilmittel gegen die
herrschende Unterentwicklung in einem Land wird die Lancierung von Kapital, westlicher
Technologien, moderner Institutionen und Organisationsformen gesehen, mit denen das
betreffende Land stärker in die internationale Arbeitsteilung und in das kapitalistische
System integriert werden soll (Delapina 1997: 33).
Auch die neoliberale Theorie5 befasst sich seit den 1980ern mit dem Konzept des
informellen Sektors. Wie die Modernisierungstheorie geht sie davon aus, dass zwischen dem
formellen und informellen Sektor keine innere Kohärenz besteht. Anders als das Bestreben
der Modernisierungstheorie, den informellen Sektor in die formellen Arbeitsverhältnisse zu
integrieren, besteht für die neoliberalen DenkerInnen keine Notwendigkeit, den informellen
in den formellen Sektor zu integrieren. Die deregulierte und informelle Wirtschaft sei ihrer
Ansicht nach kein Übel, das beseitigt werden müsste. Vielmehr wäre die Deregulierung der
formellen Arbeitsverhältnisse erstrebenswert, damit wirtschaftliche Probleme gelöst,
Lohnnebenkosten für die Unternehmen gesenkt und der Zugang zum Markt ungehindert
wachsen kann. Der Neoliberalismus betrachtet die Regulation der Arbeitsverhältnisse als
Blockade für die wirtschaftliche Entfaltung eines Landes und fordert im Sinne des freien
Wettbewerbs den Abbau von Formalität und Sozialleistungen (Komlosy et al. 1997: 16). Der
Peruaner Hernando de Soto sieht im informellen Sektor ein Echo auf ein überregulierendes
Rechtssystem, das den Menschen im informellen Sektor die Vollbringung ihrer
wirtschaftlichen Tätigkeiten verwehrt. Für einen großen Teil der Weltbevölkerung ist der
Zugang zu geregelten und gesicherten Arbeitsverhältnissen nahezu unmöglich, während die
merkantilistischen Strukturen Unternehmen im modernen Sektor monopolitische Freiheiten
zusprechen. De Soto erklärt sich das rechtliche Ungleichgewicht zwischen Unternehmer und
Arbeiter mit der (Un-)Fähigkeit der betreffenden Menschen, Kapital aufzubringen. Er spricht
dem informellen Sektor großes wirtschaftliches Potenzial zu, das nur ausgeschöpft werden
5
16
Institutionalisierten Regulierungen der Arbeitsverhältnisse seien, so der auf der klassischen Theorie nach John Locke,
Adam Smith, Charles-Louis de Montesquieu und Steward Mill fußende Neoliberalismus, für die ungleichen
Entwicklungen im Norden und im Süden verantwortlich. Neoliberale Denker meinen, dass der Markt die Fähigkeit
besäße, sich selbst und alles andere gesellschaftlich-organisatorische, also politische und soziale, über Angebot und
Nachfrage zu regulieren und es folglich weniger staatlicher Eingriffe in die Marktwirtschaft bedürfe. Freier
Wettbewerb, liberalisierter Handel und Freihandelszonen würden zu Wohlfahrtssteigerung und Entwicklung führen.
Ebenso wie die Modernisierungstheorie geht der Neoliberalismus davon aus, dass die Entwicklung eines Landes
vorrangig von landesinternen Regulationen gehemmt wird. Im Neoliberalismus stellt der Markt das effizienteste
Instrument zur Steuerung, Reizung und Sanktionierung des Wirtschaftssystems dar. Individuelle Handlungsspielräume
sollten durch Deregulierung, Flexibilisierung und Entbindung des Marktes ausgedehnt werden (Raffer 2006: 106;
(Dussel-Peters 2006: 126-129; Michalitsch 2004: 147-148). Zu Abgrenzung des Begriffes und Kritik, siehe Naomi
Klein (2007: 29-30).
kann, wenn Arbeits- und Unternehmensrecht vereinfacht, dezentralisiert, dereguliert und
abgeschafft wird: „Die Vermögensgegenstände können weder erfasst und organisiert
werden, noch kann versucht werden, einen Mehrwert zu erzielen, weil der Wert der
Vermögensgegenstände
nicht
eindeutig
festgestellt
werden
kann.
Diese
Vermögensgegenstände sind totes Kapital“ (2002: 43). Entsprechen die Unternehmungen der
Menschen nicht den Maßstäben der rechtlichen Regelungen, werden sie am Rande oder
außerhalb des Gesetzes realisiert.
Die weit reichenden Folgen von Deregulierung wurden durch die aktuelle weltweite
Finanzkrise evident. „Der Neoliberalismus ist mit seiner undifferenzierten Vorstellung, den
Staat auf ein ordnungspolitisches Minimum zur Organisation des freien Wettbewerbs auf
freien Märkten zu reduzieren, grandios gescheitert“, schreibt der Direktor für
Globalisierung und Entwicklung bei den Vereinten Nationen in Genf, Heiner Flassbeck
(2010: 168) als Kritik am neoliberalen Verständnis vom informellen Sektor.
Die Weltsystemtheorie betrachtet den informellen Sektor als systemischen Reflex auf
jahrhundertelange
Ausbeutungsverhältnisse.
Die
Ausdehnung
des
kapitalistischen
Weltsystems und die Einführung der Lohnarbeit sind nach der Weltsystemtheorie für die
Ausgrenzung der Mehrheit der Weltbevölkerung aus den stabilen Arbeits- und
Lebensverhältnissen verantwortlich. Sie sieht den sozialen und materiellen Wohlstand einer
Bevölkerungsminderheit in der Marginalisierung der Massen begründet. Der zunehmende
Wohlstand der Minderheit wird über ungleiche und ungleichmäßige Arbeitsverhältnisse
generiert, indem der Mehrwert der Arbeitskraft abgeschöpft wird (Komlosy et al. 1997: 20).
Die Schlechterstellung des informellen Sektors innerhalb des wirtschaftlichen Weltsystems
in Form von Unter- und Nicht-Bezahlung von nicht regulierter Arbeit ist für die
Reproduktion
des
kapitalistischen
Weltsystems
unerlässlich.
Frei
von
jeglichen
Regulierungen kann vom informellen Sektor der größtmögliche Mehrwert abgeschöpft
werden, denn der Arbeitende wird nicht für seine Arbeitszeit, sondern für das Produkt seiner
Arbeitszeit bezahlt. Die unbezahlte und die unregulierte Arbeit im informellen Sektor übt
Druck auf die Lohnarbeitenden aus und macht es dem kapitalistischen Produktionssystem
möglich, Löhne und Arbeitskosten niedrig zu halten. Die Weltsystem- wie auch die
Subsistenztheorie gehen davon aus, dass sich das kapitalistische System darauf verstünde,
die Abhängigkeit des Menschen von Waren und Kapital für sich zu nutzen, die ungeregelten
und unbezahlten Arbeitsverhältnisse als Quelle billigster Arbeitskraft zu gebrauchen und die
Arbeitskraft über die Unterbezahlung seiner Erzeugnisse auszubeuten (Komlosy et al. 1997:
17
21-24).
Veronika Bennholdt-Thomsen und Maria Mies beschreiben die sichtbare formelle Ökonomie
als die Spitze eines kapitalistisch-patriarchalen gesellschaftlichen Eisberges, die an der
Weltwirtschaft gemessen etwa 20% der gesamtwirtschaftlichen Tätigkeiten beträgt. Das
unsichtbare Fundament, die restlichen 80%, sind Arbeitsformen und -verhältnisse der
Subsistenz- und Schöpfungsarbeit, die auf keinen tariflichen Regelungen beruhen und
außerhalb Europas viel eher dem Normalzustand entsprechen als geregelte und gesicherte
Lohnarbeitsverhältnisse.
Bennholdt-Thomsen
und
Mies
legen
der
20-80-Relation
Ausbeutungs- und Aneignungsmechanismen zugrunde, mit denen der Fortbestand des
kapitalistischen Systems gesichert wird (Bennholdt-Thomsen/Mies 1997: 32). Die
Ausbeutung der Arbeitenden erfolgt nicht wie bei der Lohnarbeit über ihre Arbeitskraft,
sondern über die hergestellten Produkte oder erbrachten Leistungen, die am kapitalistischen
Markt in verhältnismäßig kleinen Mengen und unter ihrem Wert angeboten werden
(Bennholdt-Thomsen/Mies 1997: 14).
Das Fehlen von universellen und institutionalisierten Regulierungen von Rechten und
Pflichten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird als die Hauptursache für die
Überausbeutung der Arbeitenden im informellen Sektor erkannt (Komlosy et al. 1997: 2124).
Im Zusammenhang mit Ausbeutung und Marginalisierung wird von Weltsystemtheoretikern
auch die allmähliche Ausgrenzung der Mehrheitsgesellschaft aus den genormten Arbeitsund Lebensverhältnissen als Voraussetzung erkannt, um den materialen und sozialen
Wohlstand einer Minderheit der Weltbevölkerung zu sichern (Armin 1974: 80, zit. nach
Komlosy et al. 1997: 20). In Anbetracht der globalen Rückentwicklung der formellen
Lohnarbeit, der Informalisierungs-, Flexibilisierungs- und Prekarisierungstendenzen und der
Konzentration des Kapitals auf eine globale Elite zeigt sich, dass ihre Kritik an den globalen
Ausbeutungsverhältnissen und an der Marginalisierung der Bevölkerungsmehrheit eine
begründet ist. Diese Arbeit orientiert sich daher an ihrem Blick auf die Welt und so auch auf
das Verständnis von Informalität.
Fazit
Nach der Vorstellung der entwicklungstheoretischen Konzepte zum informellen Sektor zeigt
sich, dass es viele Unterschiede und weniger Gemeinsamkeiten im Entwurf des informellen
18
Sektors gibt. Die Konzepte unterscheiden sich im Verständnis vom Staat als regulierende
Kraft, von Kausalitäten und von Funktionen. Je nach Theorie wird der informelle Sektor als
Raum des unbegrenzten Angebots an billigsten Arbeitskräften, als Bereich mit großem
wirtschaftlichen Potenzial, das nur ausgeschöpft werden kann, wenn Arbeits- und
Unternehmensrecht vereinfacht, dezentralisiert, dereguliert und abgeschafft werden, oder als
ein vom System abhängiges Produkt, von welchem das kapitalistische System
größtmöglichen Mehrwert abschöpfen kann. Die Modernisierungstheorie geht von einer
unerlässlichen Existenz eines formellen Sektors aus und fußt auf der Annahme, dass die
formelle Ökonomie die Regel und die informelle Ökonomie die Ausnahme darstellt.
Rückblickend auf mehrere Dekaden modernisierungstheoretischer Entwicklungsmodelle
zeigte sich, dass die Industrialisierungs- und Formalisierungsversuche in Ländern des
Südens von der Festigung und Ausdehnung des traditionellen Sektors begleitet waren. Reale
Lebenserfahrungen machten die Idee vom informellen Sektor als vorübergehendes
Phänomen, das mit der fortschreitenden Modernisierung vom formellen Sektor verdrängt
und absorbiert wird, unhaltbar (Delapina 1997: 33).
Der informelle Sektor wird im neoliberalen Denken als Reaktion auf zu hohe Besteuerung,
überregulierte Sozial- und Arbeitsniveaus oder zu mächtige Gewerkschaften interpretiert
(Sengenberger 2010: 220; Michalitsch 2004: 147). Würden diese Hindernisse beseitigt
werden, könne das wirtschaftliche Wachstum über den informellen Sektor angekurbelt und
neuer Wohlstand geschaffen werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass Informalität auch in
jenen Ländern hohe Ausmaße angenommen hat, wo Steuern und Sozialstandards niedrig
sind und keine Gewerkschaften existieren. Als Gegenbeispiele können skandinavische
Länder vorgebracht werden. Obwohl Besteuerungen und Sozialstandards in Skandinavien
weltweit am höchsten und der Einfluss von Gewerkschaften am größten sind, ist die
Ausdehnung informeller Aktivitäten am geringsten. Davon abgesehen, ist der Grad der
gewerkschaftlichen Organisation seit Mitte der 1980er, wo Gewerkschaften ihre größte
Intensität erreicht hatten, auf globaler Ebene rückläufig geworden (Sengenberger 2010: 220).
Die Weltsystemtheorie hingegen betrachtet Informalität nicht als etwas, das aufzusaugen
oder anzukurbeln ist. Sie erkennt ihn als Element einer ungleichen und asymmetrischen
Verflechtung von Arbeitsverhältnissen, die Wertschöpfung und Wohlstand auf der einen
Seite und Ausbeutung und Ausgrenzung auf der andern erzeugt. Wie der Neoliberalismus
behandeln viele Theorien über das globale Wirtschaftssystem den Kapitalismus als eine
Produktionsweise,
in
welcher
der
Lohn
dem
Kapital
gegenüber
steht.
Diese
Gegenüberstellung von Lohnarbeitenden (Proletariat) und Kapitalisten (Bourgeoisie)
19
impliziert einen Klassenantagonismus, den die Weltsystemtheorie6 als solchen infrage stellt.
Wie die Dependenztheorie stützt sie sich darauf, dass die globale Arbeitsteilung keine
zufällige ist, und dass die regionale und sektorale Entwicklung den Kräften der
Kapitalakkumulation entsprechend erfolgt. Weltregionen und wirtschaftliche Sektoren
durchlaufen die Prozesse der wirtschaftlichen Expansion, Stagnation oder Krise
ungleichzeitig und ungleichmäßig und führen somit zu ungleichen Entwicklungsstufen in
den miteinander verbundenen Teilen des Weltsystems (Delapina 1997: 34).
Alle Konzepte zum informellen Sektor sind sich aber darin einig, dass es sich dabei um
einen spezifischen Bereich menschlicher Arbeit handelt, der zur Überlebenssicherung dient,
von keiner offiziellen Statistik erfasst wird, der nicht geregelt ist und nur teilweise mit den
herkömmlichen Kategorien von Erwerbsarbeit verstanden werden kann (Komlosy et al.
1997: 10). Während der formelle Sektor geregelte und versteuerte Erwerbsarbeit, Ämter,
Berufe und Handwerke umschließt, wird der informelle Sektor als Bereich charakterisiert,
der sich sämtlichen staatlichen Regulierungs- und Besteuerungsansprüchen entzieht (Evers
1987: 355). Bei den „Informellen“ handelt es sich daher um eine Gruppe von ökonomisch
aktiven Menschen, die eine Form von Beschäftigung ausübt, welche nicht oder nur teilweise
den Kriterien der geregelten Erwerbsarbeit entspricht, ungeregelt und daher arbeitsrechtlich
nicht geschützt ist (Komlosy et al. 1997: 10) und ihre Güter und Dienstleistungen vor allem
in Großstädten produzieren.
3.1.1 Der Ansatz der urbanen Subsistenz in der informellen Ökonomie
Der informelle Sektor beinhaltet über die wirtschaftlichen Verflechtungen hinaus soziale und
6
20
Die Weltsystemtheorie betrachtet den Kapitalismus als ein System der Marktwirtschaft, dessen oberstes Ziel es ist, den
Profit zu maximieren. Die Entstehung des Kapitalismus erkennt sie nicht, wie etwa die klassische Ökonomie mit Adam
Smith und David Ricardo im 18. Jahrhundert, sondern mit der feudalen Krise und der europäischen Expansion im 16.
Jahrhundert (Wallerstein 1984: 14; 35). Seither ist das Weltsystem in geografischer und gesellschaftlichorganisatorischer Hinsicht immer weiter expandiert (Wallerstein 1976: 230). Nach der Weltsystemtheorie umschließt
das kapitalistische Weltsystem heute die ganze Welt, hat sie voneinander abhängig gemacht, das Kapital konzentriert,
und prägt die Organisation aller gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Weltregionen, geteilt in modernisierte Zentren,
weniger entwickelte Semiperipherien und unterentwickelte Peripherien (Wallerstein 1976 : 231), werden über Prozesse
der Kapitalakkumulation und des ungleichen Tausches miteinander verbunden (Wallerstein 1984: 25-28). Die
Weltsystemtheorie betrachtet die gesamte in der globalen Wirtschaft existierenden Arbeitsteilung als vom Weltsystem
beherrscht und erkennt in ihr eine innere Dynamik: „The 'division of labour' [stands for] the forces and relations of
production of the world economy as a whole (...) The central relation of the world-systems perspective is that of core
and periphery, geographically and culturally distinct regions specializing in capital-intensive (core) and laborintensive (periphery) production“ (Goldfrank 2000: 168)
politische Elemente, die bei einer Gleichschaltung der beiden Begriffe unberücksichtigt
bleiben würden. So betrachtet Brigitte Holzer die informelle Ökonomie als Bestandteil des
informellen Sektors, der gesellschaftlich nutzbringende Tätigkeiten, Nachbarschaftshilfe,
Bürgerinitiativen
und
zum
kapitalistischen
System
alternative
Güter-
und
Dienstleistungsproduktionen enthält (Holzer 1997: 118). Diese Arbeit folgt Holzers
begrifflicher Unterscheidung von informellem Sektor und informeller Ökonomie. Die
Differenzierung in Sektor und Ökonomie ist an dieser Stelle deshalb relevant, weil in der
Literatur häufig keine eindeutige Grenzziehung zwischen den beiden Begriffen
vorgenommen wird. Da es an einer einheitlichen Begriffsbestimmung mangelt, wird
Informalität mit „versteckt“, „Untergrund“, „schwarz“, „Schattenwirtschaft (Illich7)“, „nicht
registriert“,
„nicht
aufgezeichnet“,
„unsichtbar“,
„Schwarzarbeit“,
„Unsicherheit“,
„inoffiziell“ oder „cash“ gleichgesetzt, und gelegentlich mit „illegal“ und „nieder“ assoziiert
(Ferman et al. 1987: 157).
Evers beschreibt die informelle Ökonomie als einen Bereich der Schattenwirtschaft, in der
Güter und Dienstleistungen in kleinen Einheiten marktorientiert produziert und angeboten
werden (Evers 1987: 355). Mit Evers kann die informelle Ökonomie als ein Bereich
begriffen werden, der von einer Schicht sozial und ökonomisch ungesicherter Menschen
geprägt ist, die versuchen wirtschaftliche Nischen auszunutzen, indem sie verschiedene
Produktions- und Einkommensquellen miteinander kombinieren. Ziel aller Tätigkeiten ist die
Überlebens- und Reproduktionssicherung der Einzelnen (Evers et al. 1983: 281).
Castells und Portes betrachten die Informalität als etwas Historisches und Relatives und
gehen davon aus, dass keine Beschäftigung von Natur aus informell ist, sondern durch
politische Entscheidungen und Regulierungen zu einer legalen oder nicht-legalen gemacht
wird. Ähnlich wie Castells und Portes grenzt auch de Soto die informelle Ökonomie von
kriminellen Aktivitäten ab. „Informell“ benennt er wirtschaftliche Tätigkeiten, die zwar
extralegalen Normen folgen, aber geordnete Organisationsstrukturen aufweisen, die sich aus
Gewohnheit und formellem Recht entwickelt haben (de Soto 2002: 40-44). Nach Altvater
7
Ivan Illich nahm in der Beschreibung der Subsistenzwirtschaft gar Abstand vom Begriff der Informalität. Er benannte
den informeller Sektor als einen Bereich der Schattenarbeit, der nicht nur von der nicht regulierten und nicht
registrierten Produktion von Waren und Dienstleistungen bestimmt wird, sondern auch von der Überausbeutung der
Haus- und Heimheimat von Frauen geprägt ist. Unter „Schattenwirtschaft“ fasste er die Gesamtheit der verschwiegenen
Wirtschaft, der Eigenarbeit, der Selbsthilfe, des Tauschhandels und der sozialen Reproduktion zusammen, die für die
sichtbaren Wirtschaftsaktivitäten unerlässlich sind, aber von der Gesellschaft nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten
verstanden werden. Schattenwirtschaft bildet demnach eine tariflich nicht geregelte Tätigkeitskategorie, die mit
Gegenständen oder Gunst anstelle von Geld vergolten wird, Tauschhandel oder Schwarzhandel und alle anderen nicht
versteuerten und statisch nicht erfassten Transaktionen einschließt (Illich 1995: 26-27)
21
und Mahnkopf umfasst die informelle Ökonomie auf den lokalen Markt konzentrierte
Tätigkeiten auf eigene Rechnung, die per se legal sind, aber nicht in legale
Produktionsprozesse eingebunden werden (Altvater/Mahnkopf 2002: 15). Innerhalb der
informellen Ökonomie ist, so Chen, die Arbeitsorganisation und Produktionsweise
mehrheitlich illegal, das Gut oder die Dienstleistung der Tätigkeit selbst aber grundsätzlich
legal (Chen 2006: 80).
Demzufolge unterscheiden sich die Tätigkeiten der informellen Ökonomie von der illegalen
dadurch, dass sie nicht gesetzeswidrig und kriminell sind. Auch Portes stellt die Informalität
als ökonomischen Typus nicht nur in Kontrast zur formalen und regulierten Wirtschaft,
sondern grenzt ihn auch von den ökonomischen Aktivitäten des organisierten Verbrechens
ab, bei der sich kriminelle Unternehmer auf die Produktion und den Handel von Gütern und
Dienstleistungen spezialisieren, die sozial nicht geduldet werden. Die informelle Wirtschaft
unterscheidet er vom Schwarzmarkt schließlich dadurch, dass eine Produktion von legalen
Gütern und Dienstleistungen auf unregelmäßiger Produktionsbasis erfolgt (Portes 2010:
135).
Kokot und Wonneberger vertreten die Ansicht, dass sich aus Mangel an ausreichend
verfügbaren Lohnarbeitsplätzen wirtschaftliche Nischen öffneten, in denen sich verwandte
Formen des informellen Wirtschaftens und ähnliche Handlungsstrategien im Umgang mit
unsicheren Existenzbedingungen entwickelten. Waltraud Kokot und Astrid Wonneberger
fassen den Umgang mit Unsicherheiten unter „urbaner Subsistenz“ zusammen und entwerfen
damit ein für mehrere Hafenstädte in Lateinamerika und Europa gültiges Konzept, das
wirtschaftliches Handeln in der informellen Ökonomie nicht im Kontext von FormalitätInformalität behandelt, sondern den Umgang mit Unsicherheiten ins Zentrum stellt
(Kokot/Wonneberger 2006: 2).
Mit Unsicherheiten meinen Kokot und Wonneberger einzelne Unsicherheitsfaktoren in der
Beschäftigung, den sozialen Status der Menschen in ihrem Arbeitsumfeld und/oder die
Beständigkeit ihrer Einkommensquellen. Obwohl der Umgang mit Unsicherheiten von
räumlichen und sozialen Gegebenheiten abhängig ist, die unterschiedliche Praktiken und
Formen für die Überlebenssicherung erfordern, stellen Kokot und Wonnenberger Merkmale
fest, die alle Menschen in der urbanen Subsistenz gemein haben: keine oder nur niedrige
Investitionskosten für Arbeitsgeräte und -umfeld, niedriges Einkommen und keine oder
geringe Chancen zur Akkumulation von Kapital und anderen Ressourcen, learning by doing
22
durch unkonventionelle Aneignung von Kenntnissen, ein hoher Grad an Flexibilität und die
Nutzung vielfacher Ressourcen, eine schwammige Trennung von Arbeit und Freizeit sowie
verschiedene oder mobile Arbeitsorte. Sie gehen davon aus, dass der Alltag zum größten
Teil im öffentlichen Raum stattfindet und betonen deswegen die „enge, wenn auch
widersprüchliche Verflechtung mit dem öffentlichen urbanen Raum“ (Kokot/Wonneberger
2006: 2-6). Obwohl die Menschen in der urbanen Subsistenz, die Straßenhändlerinnen,
AbfallsammlerInnen, Schuhputzende oder Straßenkünstler, große Teile ihres alltäglichen
Lebens im öffentlichen Raum gestalten, bleiben ihre Lebens- und Organisationsweisen vor
der übrigen Gesellschaft großteils verborgen. Kokot und Wonneberger verweisen auf das
spezifische Wissen der urbanen Subsistenzarbeitenden über Wohn- und Arbeitsstrategien im
urbanen Raum, das durch Gentrifizierung und Verdrängung zerstört und unzugänglich
gemacht wird. Sie erkennen die Subsistenzökonomie als wesentliches Charakteristikum für
die urbane Entwicklung in den Städten des globalen Südens, die sich über die Grenzen des
Südens hinaus weiter ausbreiten wird (Kokot/Wonneberger 2006: 4).
Da bis heute kein universelles Konzept zur informellen Ökonomie vorhanden ist, wurden auf
nationaler Ebene unterschiedliche Mechanismen entwickelt, die den Umgang mit der
informellen Ökonomie reglementierten. Während einige Länder intervenieren und
versuchen, die informelle Ökonomie zu unterdrücken, wird sie in anderen Ländern mit mehr
oder weniger schwachen Interventionen hingenommen oder mit Gleichgültigkeit behandelt.
Für Ferman, Henry und Hoyman ist die staatliche Regulierungspolitik die Konstrukteurin
der Informalität, weil über ihre Gesetzgebung das offiziell Gültige festgelegt und vom
Nichtgültigen abgegrenzt wird (1987: 157).
Die Diskussionen um die politische Handhabung des informellen Sektors werden von
Debatten um Regulationen, Verbote, Förderungen und Einschränkungen begleitet. Andere
Auseinandersetzungen mit dem informellen Sektor haben seine Ursprünge aus und
Verbindungen mit dem formellen Sektor berücksichtigt, seine Beiträge zu Umweltfragen
aufgegriffen und seine Bedeutung für die Migrationsbewegungen aufgezeigt, seine Funktion
als Überlebensmechanismus mit dem Kleinunternehmertum in Zusammenhang gebracht
oder moralische Fragen wie Kinderarbeit oder Eigentumsrechte behandelt (Köberlein 2003:
24).
23
3.1.2 Formalisierung
Normen und Formalisierungsprozesse sind als historisch gewachsene Konstrukte zu
verstehen. Das Verhältnis von formell und informell begann sich aufzubauen, als die
Gesellschaft anfing, sich nach formellen Linien zu organisieren und Verwaltungsapparate
einzurichten. Form im Sinne von förmlich, formalisiert ist eine Idee davon, was seit dem 20.
Jahrhundert im sozialen Leben und in der gesellschaftlichen Organisation als universal und
„normal“ gelten sollte. Hart sieht den Grund dafür in der gesellschaftlichen Identifikation
mit dem Nationalstaat als dominierende Organisation zur Gestaltung gesellschaftlicher
Normen und Regeln (Hart 2006: 22).
Formalität sei daher nicht als eine Begebenheit zu verstehen, die seit Urzeiten die
gesellschaftlichen Organisationsformen geprägt hat. Das heutige mit sozialer Sicherheit
verbundene Verständnis von Formalität ist eine Eigenheit, die sich in westlichen
Gesellschaften mit der einsetzenden Industrialisierung und der „freien Lohnarbeit“ im 19.
Jahrhundert auszubreiten begann.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die adeligen, kommunalen und
zünftischen Regulierungen von nicht-zünftischen Betrieben zurückgedrängt, die als Reaktion
auf zünftische Expansions- und Produktionsbeschränkungen gegründet wurden. Der Anstieg
der Manufakturbetriebe und Fabriken hatte die Umstrukturierung des Manufaktur- und
Fabrikwesens zur Folge, im Zuge derer Zunftregeln umgangen bzw. aufgehoben wurden
(Komlosy 1997: 67). Um die Jahrhundertwende war das Manufakturwesen so weit
verbreitet, dass Lohnarbeitsverhältnisse weitgehendst gesellschaftlich normiert wurden.
Mitte des 19. Jahrhunderts war die industrielle Produktion – und damit die Lohnarbeit –
bereits so tief in den gesellschaftlichen Strukturen verankert, dass proto-industrielle
Arbeitsgesetze erlassen wurden. Etwa 30 Jahre später, ab den 1880ern, wurden im Zuge der
ersten Weltwirtschaftskrise erste staatliche Sozialgesetze eingeführt. In den 1920ern, nach
der russischen Revolution erfolgte die zweite Welle staatlicher Sozialgesetzgebungen.
Angetrieben vom starken Weltwirtschaftswachstum kam es in den 1960ern und 1970ern zu
einer weiteren Welle von staatlichen Sozialgesetzgebungen (Komlosy 2011: 144). Aus den
drei Sozialgesetzgebungswellen, die vom Westen ausgingen und auch nur dort in einer stark
ausgeprägten Form existieren, resultieren jene an die Lohnarbeit gekoppelten sozialen
Rechte und Sicherheiten, die heute als „normal“ betrachtet werden: geregelte Arbeitszeiten,
feste Entlohnung, Kündigungsschutz, Arbeitslosen- und Kranken- und Kindergeld. In der
24
Phase der Formalisierung zwischen 1850 und 1990 etablieren sich geregelte und gesicherte
Arbeitsverhältnisse in den westlichen Zentren als „formelle“ Normalarbeitsverhältnisse, die
heute zwar immer noch als Norm verstanden werden, aber von anderen, flexibilierten,
deregulierten,
prekarisierten
Beschäftigungsformen
abgelöst
wurden.
Gesetzliche
Regulierung und soziale Absicherungen als Ziel, wurden alle von der Norm abweichenden
Arbeitsverhältnisse sukzessive als „informell“ kategorisiert (Komlosy 2011: 141). Hierzu ist
anzumerken, dass die Entwicklung der Lohnarbeitsverhältnisse nur sehr vorsichtig auf
andere Gesellschaften außerhalb Europas übertragen werden kann. Viele der globalen
Arbeitsverhältnisse entwickelten sich divergent und ungleich, was mit der fortwährenden
Existenz des informellen Sektors am deutlichsten gezeigt werden kann. Nach Wallerstein
weitet sich das Weltsystem mit ungleicher Verteilung der Anerkennung von Staaten
ökonomisch konstant aus. Die Weltökonomie brachte die Arbeitsteilung, und damit die
Hierarchisierung von Beschäftigungsformen mit sich. Ländern mit höheren Kompetenzen,
hoch qualifizierten Arbeitskräften und stärkerer Kapitalisierung sind höhere Positionen im
System vorbehalten (Wallerstein 1976: 231). Zudem wird der in den Peripherien und
Semiperipherien produzierte Mehrwert in die Zentren transferiert (Skocpol 1977: 1077).
Zentren werden als relativ homogene Machtzentren betrachtet, die das kapitalistische
Weltsystem wirtschaftlich, politisch und kulturell dominieren und steuern und stehen im
Gegensatz zu Peripherien, die wirtschaftlich und politisch von den Zentren abhängig sind
und ihre Wirtschaftsbeziehungen nach den Bedürfnissen des von den Interessen der Zentren
dominierten Weltmarktes ausrichten. Semiperipherien übernehmen eine Puffer- und
Ordnungsfunktion, indem sie Güter- und Kapitalströme konzentrieren und ihrerseits die
Peripherie ausbeuten und damit den Protest gegen die Zentren blockieren (Skopcol 1977:
1077).
Die in der westlichen Hemisphäre üblich gewordenen „normalen“ Lohnarbeitsverhältnisse,
die sich zwischen den 1880er- und 1980er-Jahren entwickelt hatten, sind seit den 1980ern
von permanenter Rückläufigkeit betroffen. Mit von Thatcher und Reagan vorgegebenen
neoliberale Wirtschaftspolitik haben die Staaten des Nordens seither haben begonnen, ihre
wohlfahrtsstaatliche Sozial- und Wirtschaftspolitik so umzustrukturieren, dass sie den
Konkurrenzanforderungen des globalen Marktes folgen können. Die mit der Globalisierung
verbundene
internationale
Arbeitsteilung
schuf
neue
Produktionsmodelle
und
Wettbewerbsbedingungen und führte in den hoch industrialisierten Ländern zu einer
Umorganisation ihrer Arbeitspolitik nach globalen Verhältnissen. Realisiert wurden die
25
westlichen
Umstrukturierungsbestrebungen
mithilfe
von
Deregulierungs-
und
Flexibilisierungsmaßnahmen (Komlosy 2011: 144). Ungesicherte und ungeregelte
Arbeitsformen breiteten sich in Form von atypischen, flexibilisierten und prekären
Arbeitsverhältnissen aus. Hirway und Charmes weisen in Anbetracht der historischen
Entwicklung von Formalität und Informalität darauf hin, dass die Informalisierung der
Arbeitsverhältnisse
als
westliches
Phänomen
zu
betrachten
ist,
durch
das
Entwicklungsländer kaum betroffen wurden, weil normierte Lohnarbeitsplätze eher die
Ausnahme als die Regel darstellen (vgl. Komlosy 2011: 135). Im Gegensatz zu
Industrieländern und postsozialistischen Transformationsländern ist die Informalisierung in
Ländern des Südens eine Folge von der Auflösung traditioneller, ritueller, religiöser und
weniger staatlich regulierter Lebensweisen. Zudem ist sie die Konsequenz aus der
Verflechtung von Formen der Subsistenzökonomie und der prekären Erwerbsökonomie. Mit
der Globalisierung eröffneten sich durch die Vermischung der beiden Wirtschaftsformen
neue Beschäftigungsmöglichkeiten unter prekären Bedingungen, wie etwa in Sweatshops
oder in „freien Exportzonen“ in den Grenzgebieten zu Industrieländern (Kurz-Scherf 2005:
93). In Schwellenländern, so auch in Argentinien unter Menem, wurden im Zuge von
Informalisierungs- und Deregulierungsprozessen häufig die Arbeitsplätze im öffentlichen
Sektor abgebaut, was zu einem Anstieg der Beschäftigungsrate sowohl in der
Privatwirtschaft als auch in der informellen Ökonomie führte (vgl. Hirway/Charmes 2006:
8).
3.1.3 Informelle Organisations- und Sicherheitsstrukturen
Wirtschaftliche Aktivitäten in der informellen Ökonomie seien, so Stark, in keinster Weise
unreguliert. Sie basieren auf kulturellen Gewohnheiten und Regeln, erfolgen über soziale
Beziehungen (Stark 1989: 644), sind historisch gewachsen und variabel (Hart 2006: 31). Je
weiter sich die informellen Aktivitäten von der Subsistenzarbeit entfernen und je stärker ihre
wirtschaftlichen Eigenschaften werden, umso wichtiger werden eigenständige Sozial- und
Austauschbeziehungen, die darauf ausgerichtet sind, das Überleben der betreffenden
Personen zu sichern (Stacher 1997: 165), die aber nicht eingefordert werden können und
keine dauerhaften Verpflichtungen sind.
Soziale
Beziehungen
gestalten
das
Zusammenleben,
das
Arbeitsangebot,
die
Arbeitsnachfrage und die wirtschaftlichen Abläufe. Sie sichern das Funktionieren der
26
informellen Ökonomie jenseits von staatlichen Regulierungen und schaffen soziale
Sicherheiten. Soziale Netzwerke haben nach Stacher die Aufgabe, eine Gemeinschaft
ökonomisch, politisch und kulturell zu unterstützen und beruhen auf Verwandtschaften,
Nachbarschaften, Freundschaften, Religion oder Ethnie (Stacher 1997: 165). Sawyer
betrachtet besonders Unternehmensgründungen, die aus clan-basierter Organisierung
resultieren, als wertvolle, informelle Ressourcen. Derart erweiterte soziale Netzwerke
verhelften zur Lösung von Konflikten, zur Entwicklung von Gemeinschaften und zur
Selbstverwaltung (Sawyer 2006: 243). Gerade bei Großfamilien, Clans, exklusiven Clubs
oder
ethnisch
homogenen
Gruppen
wird
das
ökonomische
Handeln
von
Reziprozitätsbeziehungen dominiert, die die Grenzen zwischen informell und illegal
verschwimmen lassen können. Aus den großfamiliären und exklusiven Beziehungen können
sich mafiös organisierte Gruppen bilden, die den dauerhaft anerkannten moralischen Kodex
der Gesellschaft missachten und manipulieren und eigenen Verhaltensregeln folgen, und von
der Mehrheitsgesellschaft als illegal betrachtet werden. Nach Altvater und Mahnkopf
entwickelt die illegale Ökonomie Formen der Einflussnahme auf die Machtstrukturen,
Druckmittel und Konfliktlösungsstrategien, welche die Regeln der formellen Ökonomie für
ihre Zwecke manipulieren sollte. Im Gegensatz dazu folgt die informelle Selbstorganisation
nach Altvater und Mahnkopf dem dauerhaft anerkannten moralischen Kodex der
Gesellschaft (Altvater/Mahnkopf 2002: 74-75).
Besonders in Städten sind Gemeinschaften nach wie vor ein äußerst wichtiger Punkt, da sie
nicht nur für materielle, sondern auch für psychologische Sicherheiten (besonders von
MigrantInnen) sorgen. Rohregger beschreibt soziale Netzwerke als regionale Vereinigungen,
die psychologische Hilfestellung geben, indem sie identitätsstiftende Leistungen erbringen
und den Mitgliedern Zugehörigkeitsgefühl vermitteln (Rohregger 2006: 179).
Nach Lomnitz, Bromley und Gerry bietet die gegenseitige Abhängigkeit zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Basis für soziale Sicherheit. Arbeitsbeziehungen seien in
der nicht über Rechte und Normen regulierten Wirtschaft persönlich und basierten auf
klientelistischen Grundprinzipien. Informelle Tätigkeiten beruhten demnach überwiegend
auf nicht-marktförmigen Merkmalen und bestehen aus vertikalen (klientelistisch, zwischen
Vorarbeitern
und
Arbeitern,
patronage)
und
horizontalen
(gegenseitigen
und
vertrauensbasierenden) Beziehungen (Lomnitz 1988: 203-205; Bromley/Gerry 1979: 13).
Putnam vertritt dazu die Ansicht, dass in seltenen Fällen innere Netzwerke im
KollegInnenkreis existieren, die über finanzielle Hilfe hinausreichen und persönliche oder
27
politische Unterstützung bieten und vor allem in konfliktären Situationen Ersatz für die
meist fehlende gewerkschaftliche Organisation schaffen könnten. Vertikale und horizontale
Netzwerke beschreibt Putnam als Ressourcenflüsse in Form von Geld, Gegenständen oder
Gefälligkeiten zwischen unterschiedlichen Macht- und Statusgruppen, horizontale als
Ressourcenflüsse auf der gleichen Hierarchieebene zwischen unterschiedlichen Alters-,
Geschlechts- oder anderen Gruppen (Putnam 1993: 173-174). Die Mehrzahl der sozialen
Netzwerke besteht aus einer Mischung von vertikalen und horizontalen Beziehungen.
Horizontalen Beziehungen wohnen vertrauens- und kooperationsfördernde Mechanismen
inne, so Putnam. Deswegen spricht er vorrangig horizontalen Beziehungen einen hohen
Anteil an sozialem Kapital zu (ebd.: 174). Je stärker die sozialen Netzwerke eines
Individuums sind, umso größer sind die emotionalen Stützen. Fehlen einem Individuum
soziale Beziehungen, so wird es als sozial exkludiert betrachtet. Schwache Beziehungen des
Individuums sind, sofern sie als Komplement zu den starken Beziehungen dienen, optimal,
weil diese es ermöglichen, auf unkonventionellem Wege an neue Informationen zu gelangen
(Granovetter 1973: 1364-1367).
In erweitertem Sinne bestehen, so Komlosy et al., soziale Netzwerke aus Freunden oder
Verwandtschaftsangehörigen, über die Unterstützungen und Gefälligkeiten geboten werden.
Zusätzlich zu der gegenseitigen Unterstützung existieren Beziehungen zu politischen und
wirtschaftlichen Akteuren auf unterschiedlichen Ebenen, aus denen die beteiligten Akteure
Nutzen ziehen können. Diese horizontalen Beziehungen zwischen unterschiedlichen
Akteuren fußen in der Regel auf klientelistischen Strukturen (Komlosy et al. 1997: 19) und
zielen darauf ab, den größtmöglichen Nutzen aus der Beziehung zu ziehen. Basierend auf
einer Untersuchung zum informellen Sektor in Malawi beschreibt Rohregger die
nachbarschaftlichen Beziehungen als lose, kühle, komplizierte und dem Westen ähnliche
Verhältnisse, die sich auf kleine Gefälligkeiten, den Austausch von Haushaltsgegenständen
oder auf Gespräche beschränken (Rohregger 2006: 145).
Da informellen Aktivitäten das formelle Regelwerk fehlt, werden sie häufig als völlig
liberalisierter und deregulierter Markt erkannt. Die nicht marktförmige Organisation über
soziale
Netzwerke
bewirkt
aber
eine
Organisierung
ihrer
Tätigkeiten
über
Institutionalisierung, Solidarität und gegenseitige Hilfe, ohne die kein Ressourcenzugang
erreicht werden kann. Stacher betrachtet Solidarität und Unterstützung in jenen Bereichen als
besonders wichtig, in welchen staatliche Kontrolle fehle oder eine übergeordnete Macht den
28
Zugang zu beschränken versuche (Stacher 1997: 165).
Obwohl soziale Beziehungen für das Funktionieren der informellen Ökonomie von
besonderer Bedeutung sind, kommt auch institutionalisierten Organisationsformen und
Verhaltensmustern eine wichtige Rolle zu, die für die Funktionalität der informellen
Wirtschaft ebenso wichtig sind. Wie auch in der formalisierten Welt existieren in der
Informalität aus gesellschaftlicher Selbstorganisation resultierende Normen, welche
Verhaltens- und Funktionsanleitungen an Individuen und andere Institutionen geben.
Institutionen sind Ausdruck von individuell geteilten Ansichten, die auf kollektiver Ebene
eingerichtet werden, um das Verhalten der Individuen in eine gemeinschaftlich anerkannte
Form zu bringen. Sowohl auf informeller als auch auf formeller Ebene existieren
Einrichtungen, die das Ausmaß der gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten über die
Beziehungen zu anderen Institutionen erhalten. Man denke beispielsweise an einen
informellen Kredittransfer von der Verwandtschaft des Vertragspartners, hier nimmt die
Verwandtschaft die Position der anderen Institution ein (Sindzingre 2006: 68).
Genauso wie Gesetze und andere rechtlich bindende Vorschriften erkennt Sindzingre
informelle Regeln als zwingend, mit Gewalt durchsetzbar und strafbar. Informelle
Institutionen und Gewohnheiten regeln auch den Informationsverkehr und koordinieren
Strafen für Regelbrüche. Formelle Konstitutionen, Gesetze oder Eigentumsrechte werden
laut Sindzingre von der informellen Ökonomie besonders in Ländern des Südens mit
weniger institutionalisierten Staaten ignoriert. Gemeinschaftliche Absprachen in der
informellen Ökonomie betrachtet er deshalb als zwingend, weil sie ohne großen Aufwand
Strukturen in unsicheren Umgebungen herstellen. Würde das Vertrauen verletzt, bedeute
dies für den oder die Regelbrechende/n oftmals die Exklusion aus dem Arbeitsnetzwerk.
Folglich seien informelle Institutionen Mechanismen, die ihre Reputation zu verteidigen und
ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten versuchen (Sindzingre 2006: 68-69).
Für Light können soziale Beziehungen und persönliche Kontakte gar effektivere
Mechanismen für die Einhaltung von Regeln darstellen als der formalisierte Zwang zum
gesellschaftlichen Gehorsam. Persönliche Beziehungen könnten nach Light informellen
Kreditnehmern
beispielsweise
dazu
verhelfen,
die
Rückzahlung
der
Kredite
hinauszuschieben. Für Light ist die Existenz von staatlicher Regulierung und Strafe für das
Funktionieren des (informellen) Wirtschaftssystems nicht zentral und liefert keine gültigen
Argumente für die Dichotomisierung zwischen formell und informell. In der unregulierten,
informellen Ökonomie sind soziale Netzwerke für die Verbreitung von Normen,
Schlüsselverbindungen, Sozialkapital und verschiedenste Formen von Kooperationen
29
essenziell. Soziale Netzwerke bilden die Basis für zwingendes Vertrauen und für
Bestrafungen von abweichendem Verhalten. Bestraft würde nach Light mit Isolation,
Exklusion und Gefälligkeitsverweigerungen (Light 2004: 712). Light merkt dazu weiters an,
dass gerade die engen Beziehungen zwischen GeschäftsinhaberInnen/VerkäuferInnen und
KlientInnen zu hochwertigeren Austauschergebnissen führen können. Die informelle
Ökonomie steht im Gegensatz zur neoklassischen Vorstellung von vielen Käufern und vielen
Verkäufern, die zwar keine Verbindung zum Handel haben, diesen aber trotzdem
beeinflussen können. Für die neoklassische Theorie mag, so Light, die Handelsabwicklung
im informellen Sektor ineffizient und von niedrigerem Wert sein, weil der Preisdruck zu
niedrig ist, aber in manchen Fällen geht aus informellen Transaktionen ein höherer Wert
hervor. In der Regel sind die Transaktionskosten um ein Vielfaches geringer, die
Informationen sind vollständiger und genauer als Transaktionen, die über mehrere formelle
Instanzen gehen. Kurzum beinhalten informelle Aktivitäten einen bedeutenden Anteil von
Geschäftspraktiken, die den kommerziellen Geschäftsabschlüssen folgen (Light 2004: 712).
Aus den vorgestellten theoretischen Perspektiven auf informelle Organisations- und
Sicherheitsstrukturen Mechanismen lässt sich nun folgern, dass Normen und Regeln, die auf
Glaubwürdigkeit, Solidarität und Vertrauen basieren, ebenso viel mehr Aussagekraft über
die Effektivität von Regeln haben als die Unterteilung in formell und informell. Sindzingre
(2006: 69) merkt dazu an: „There are, however, no theoretical grounds for such an intrinsic
difference of nature between both categories (…) yet all include both an organization (form)
and implicit, traditional, path- dependent contents and meanings. All institutions are
characterized by their forms – their definitions, names, and modes of organization – and
'contents' – their meanings, functions, relevance, and elements“.
Auf diesen Vorstellungen beruhend sollten informelle von formellen Institutionen nicht über
staatliche Regulation und staatliche Nichtregulation unterschieden werden, sondern über ihre
institutionellen Formen, über ihren Inhalt, über ihre Glaubwürdigkeit und ihr
Durchsetzungsvermögen differenziert werden (Sindzingre 2006: 71).
30
3.2
Konzepte zur Abfallwirtschaft
Sowohl in der formellen als auch in der informellen Abfallsammlung8 existiert aber eine
Bandbreite von verschiedenen Organisationsformen: Individuelle AbfallsammlerInnen,
informelle Recyclingssysteme, halb-formelle Recyclingunternehmen, Abfallkooperativen,
kommunale Sammelbetriebe und formell kommunale Abfallunternehmen. Köberlein (2003:
15) identifiziert eine Vielzahl von Akteursgruppen, die an der städtischen Abfallwirtschaft
insbesondere in Ländern des Südens beteiligt sein können:
1. Abb.: Akteure in der städtischen Abfallwirtschaft in Ländern des
Südens, (Köberlein 2003: 15)
Die Organisationsformen der jeweiligen Akteure in der Abfallwirtschaft sind graduell oder
gemischt, befinden sich zwischen formell und informell, haben unterschiedlichen Umfang,
sind privat oder öffentlich, individuell oder kooperativ und von Organisationen und
Regierungen unterstützt oder nicht unterstützt. Organisationen wiederum können auf lokaler,
regionaler, nationaler oder internationaler Ebene operieren (Nas/Jaffe 2004: 346).
8
In der deutschsprachigen Literatur wird Müll und Abfall voneinander unterschieden. Müll sind dabei Gegenstände, die
nicht mehr verwertet können und beseitigt werden müssen, Abfall hingegen ist der Teil des Mülls, der zur weiteren
Verarbeitung herangezogen werden kann (Bardmann 1994: 177). Ähnliche Differenzier-ungen finden sich auch sowohl
in der englischen als auch in der spanischen Sprache. Für Abfall wird im Englischen „waste“ oder „refuse“, für Müll
hingegen „rubbish“ oder „garbage“. Im Spanischen bezeichnet „basura“ Müll, „residuos“ aber Abfall. Da diese Arbeit
Abfall und nicht Müll zum Thema hat, werden aus Präzisionsgründen ausschließlich die sprachspezifischen Synonyme
für die Bezeichnung von „Abfall“ verwendet.
31
Durch die Vereinnahmung der städtischen Abfallwirtschaft von Ingenieuren und
Wirtschaftsexperten wurde sie zu einem technisierten Bestandteil gesellschaftlicher
Organisation, der über die neuesten technologischen Entwicklungen nach den effizientesten
Wegen zur Entsorgung und Wiederverwertung sucht. Die wichtigsten Akteure dieses
konventionellen Zugangs zur Abfallwirtschaft sind die städtischen Autoritäten, unter deren
Auspizien die Dienstleistungen erbracht werden. In der Sozialwissenschaft ist aber der
institutionalisierte Zugang von Bedeutung, mit dem ein regulativer Rahmen zur
Abfallbeseitigung geschaffen wird. Die administrativen, technischen und finanziellen
Standards der Abfallwirtschaft werden von staatlichen und administrativen Einrichtungen
geschaffen, die die Verantwortung für die Implementierung dieser Standards tragen. In den
letzten Jahren wurden die Entwicklungen der städtischen Abfallwirtschaft von regulativen
Änderungen beeinflusst. Die Privatisierung der Abfalldienstleistungen förderte die
Beteiligung
von
privaten
Abfallunternehmen,
die
Dezentralisierung
und
die
gemeinschaftliche Verwaltung (Köberlein 2003: 18).
Konzepte zur formellen Abfallwirtschaft
Die formelle Abfallwirtschaft wird traditionellerweise aus einem technischen Blickwinkel
betrachtet. Technische Konzepte zur formellen Abfallwirtschaft suchen nach einer
hochtechnologisierten Sammlung, Sortierung und Wiederverwertung von einer ständig
steigenden Abfallmenge (vgl. (Scharff 2010: 75). Studien über die formelle Abfallwirtschaft
beschäftigen sich hauptsächlich damit, die Menge seines Aufkommens zu bemessen, sowie
die Form der Deponierung und die Beschaffenheit des Abfalls festzustellen, um die Abbauund Ablagerungsmöglichkeiten effizienter zu gestalten. Der Fokus der formellen
Abfallsammlung liegt daher in der Ablagerungskette und in der ökonomischen Effizienz der
eingesetzten Technologien zur Abfallablagerung. Die wichtigsten Akteure in der formellen
Abfallwirtschaft stellen die kommunalen Autoritäten dar, die dafür Sorge tragen, dass die
Abfallsammlung und -ablagerung innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches bestmöglich
funktioniert (Köberlein 2003: 18).
In der sozialwissenschaftlichen Forschung zur formellen Abfallwirtschaft wird das
Hauptaugenmerk auf die legalen und administrativen Aspekte der Abfallsammlung gelenkt.
Die Forschenden sehen die Abfallwirtschaft in städtischen Bereichen der Länder des Südens
32
mit mehreren Problemen konfrontiert, für die Lösungsansätze bereitgestellt werden sollten:
Ineffizienz der Abfallsammlung und der Transportsysteme, unkontrollierte und mangelhafte
Lagertätigkeiten,
zu
geringe
Evaluationen
zu
den
einzelnen
Teilbereichen
der
Abfallwirtschaft, unzureichende Aufmerksamkeit für den industriellen Abfall und schadhafte
und umweltbelastende Müllanlagen (Campbell 1999: 1). Campbell und andere
(Bartone/Bernstein 1993; Coffey 1999) sehen die Lösung der Probleme in der Verschärfung
der
institutionellen
Regulierungen.
Festgeschriebene
Normen
sollten
zu
einer
administrativen, technischen und finanziellen Verbesserung der Standards in der
Abfallwirtschaft führen. Dem institutionellen Schwerpunkt folgend, nahmen Regierungen,
Organisationen und Unternehmen in der Forschung zur formellen Abfallwirtschaft
Schlüsselpositionen ein, da sie für die Novellierung und Implementierung der Normen
bedeutsam waren (Köberlein 2003: 18).
Die Konzepte zur formellen Abfallwirtschaft wurden zudem vom Rollenwechsel
verschiedener,
an
Privatisierungsprozesse,
der
Abfallwirtschaft
steigende
öffentliche
beteiligter
Partizipation,
Akteure
beeinflusst.
Dezentralisierung
und
Gemeinschaftsmanagement wirkten auf Entscheidungen in der formellen Abfallwirtschaft
ein und fanden dementsprechend verstärkt Aufmerksamkeit in den jüngeren Konzepten zur
formellen Abfallökonomie (Köberlein 2003: 19). In den letzten Jahren wurde von der
Sichtweise Abstand genommen, dass der Abfallwirtschaft lediglich die Aufgabe zukomme,
die Straßen sauber zu halten und den Abfall an strategisch sorgfältig gewählten Orten
abzulagern. Das Erkennen von Abfall als Sekundärrohstoff brachte alternative Konzepte
hervor, die vorrangig auf die ökologischen Aspekte der Abfallwirtschaft aufmerksam
machen wollen. Die neuen Konzepte zur integrierten Abfallwirtschaft orientierten sich zwar
stark an institutionellen, ökonomischen und ökologischen Ideen, berücksichtigten aber auch
soziale Aspekte wie den Zustand des formellen und des informellen Arbeitsmarktes, die
gesundheitlichen Auswirkungen auf die Beschäftigten und ethische Themen, insbesondere
Kinderarbeit (Beukering et al. 1998: 3). Lardinios und Klundert (1997, zit. nach Beukering
1998: 6) betrachteten die Integration als ein Zusammenwirken der Komponenten auf
mehreren Ebenen, aus dem sich eine breite Palette aus unterschiedlichen Sammel- und
Behandlungsmethoden ergeben kann. Häufig wird dabei der Beteiligungsgrad aller formeller
und informeller Akteure sowie der Grad des Zusammenspiels des Abfallsystems mit anderen
Systemen wie der Industrie berücksichtigt.
Die
integrierten
Abfallwirtschaftskonzepte
zielen
darauf
ab,
die
größtmögliche
Wiederverwertung von Abfallprodukten und die Rückgewinnung von Rohstoffen zu
33
erreichen. Beukering et al. (1998) veranschaulichen in einer Pyramide zur Abfallhierarchie
die wichtigsten Bestandteile der formellen Abfallsammlung. Sie soll auf die veränderten
Aufgaben der Hauptakteure, der kommunalen Regierungen und Autoritäten hinweisen. Die
oberen
Prinzipien
der
neuen
Ideen
zur
Abfallwirtschaft
sind
nun
Vorsorge,
Wiederverwendung und Wiederverwertung, nicht mehr nur Beseitigung und Ablagerung
(Beukering 1998: 6):
2. Abb.: Abfallprinzipien nach Beukering (1998: 6)
Der Paradigmenwechsel in der Abfallpolitik, wie ihn Beukering et al. skizzieren, bewirkt vor
allem im Norden eine Veränderung in der abfallpolitischen Regulierung hin zu einem
ökologischeren Ansatz, der die Ausweitung der Recyclingmethoden impliziert und danach
sucht, jedes Abfallprodukt einer produktiven Behandlung zu unterziehen, um es wieder
verwerten zu können. Auf die Länder des Südens kann diese Abfallhierarchie nur
eingeschränkt übertragen werden, da abfallpolitische Reformen mit hohen Kosten verbunden
sind, die nicht immer aufgewendet werden können.
Beukering et al. sehen die Unterschiede zwischen der Abfallwirtschaft des Südens und des
Nordens in der unterschiedlichen Zusammensetzung der Abfallprodukte, in der Sammlung
und der Lagerung des Abfalls, in der Rückgewinnung und des Recyclings. Im Norden ist die
Zusammensetzung des Abfalls hochwertiger, weil der Konsum von der für die Industrie
wertvolleren Materialien größer ist. Die schärferen Bestimmungen und die höheren
finanziellen Aufwendungen für die Sammlung und Lagerung im Norden führen zu einer fast
flächendeckenden Müllabfuhr. Ebenso begünstige der Einsatz von hochtechnologisierten
Sortier- und Komprimiermaschinen die Rückführung von Abfallprodukten in den
Industriekreislauf (Beukering 1998: 6-9). Die Konzepte zur städtischen Abfallsammlung
berücksichtigen in vielen Fällen auch kulturelle, sozio-historische und religiöse Faktoren, die
34
auf die Abfallwirtschaft in bestimmten Ländern Einfluss nehmen. In manchen Konzepten
werden auch soziale Aspekte wie Einstellungen und Verhalten der Abfallerzeugenden
miteinbezogen. Damit sollen Erklärungen für die Zusammensetzung des Abfalls gefunden
sowie die Höhe des im Abfall verborgenen Sozialkapitals untersuchen werden (Köberlein
2003: 20).
Trotz der immer noch fehlenden theoretischen Verknüpfungen zwischen Abfallsammlung
und informeller Ökonomie werden in diesen Ansätzen Verbindungen mit dem formellen
Sektor diskutiert, die gemäß der vorherrschenden Vorstellungen von der informellen
Ökonomie existieren.
Konzepte zum informellen Abfallsammeln
Während des 20. Jahrhunderts wurde der informellen Abfallsammlung relativ wenig
Beachtung geschenkt. Im Zuge der Studien zu marginalen Gruppen ab den 1960ern,
und1970ern wurden Forschende der Marginalitätstheorie auf die Abfallsammlung als eine
der vielen marginalen Gruppen aufmerksam. In den 1970ern erschienen drei bedeutsame
Schriften zur Abfallsammlung, die erste entstammte der Feder von Larissa Lomnitz. In
ihrem Buch zur Abfallsammlung in Mexiko „Networks and Marginality “ (1977: 9) stellte
sie nicht oder kaum existierende Verbindungen zwischen der informellen Abfallsammlung
und dem formellen Sektor fest. Sie bezeichnete die mexikanischen AbfallsammlerInnen als
„Jäger und Sammler des neuen städtischen Dschungels“ und verstand die Marginalisierten
als menschliches Nebenprodukt des globalen Wirtschaftssystems, die ihr physisches
Überleben mit Nebenprodukten desselben Systems sicherten (Lomnitz 1977: 9-10).
Desgleichen
beschreib
Chris
Gerry
die
Sammel-
und
Reparaturtätigkeit
der
Abfallsammelnden in Dakar als marginalen Rand der Produktionskette (Gerry 1979: 229).
Lomnitz und Gerry entnahmen ihre Beobachtungen spezifischen Einzelfällen. Alle beide
gingen von der Annahme aus, dass die Sammel- und Recyclingaktivitäten auf marginaler
Basis und zum Zwecke des Selbstkonsums erfolgten, und ließen die Verbindung zwischen
dem informellen und der formellen Abfallsammlung außen vor.
Erste theoretisch umsichtigere Untersuchungen zur informellen Abfallarbeit wurden von
Héctor Castillo und William Keyes betrieben. Castillo und Keyes nahmen von der kausalen
Marginalität Abstand und lieferten tiefgehende Untersuchungen zur Abfallsammlung in
Ländern des Südens. Castillo (1983) suchte die theoretischen Perspektiven auf die
35
Abfallsammlung zu erweitern und brachte über seine soziologischen Analysen die bislang
umfangreichste Untersuchung zur informellen Abfallsammlung in Mexiko Stadt hervor.
Ende der 1970er führte er investigative Untersuchungen durch, in der er sich als Mitarbeiter
des städtischen Sammelbetriebs ausgab, um die Organisation der „Müllgesellschaft“
beobachten zu können. Er legte dabei besonderen Wert darauf, die Verbindungen zum
formellen System offenzulegen, Korruptionsfälle und politische Verflechtungen aufzuklären
und klientelistische Beziehungen innerhalb (zwischen den Sammelnden) und außerhalb der
informellen Abfallwirtschaft aufzudecken. Castillo kam zu der Erkenntnis, dass zwischen
der gewerkschaftsähnlichen Organisation der MüllsammlerInnen „La Unión“ unter der
Führung von Rafael Gutiérrez Moreno, der Stadtregierung von Mexiko und der
übermächtigen
Regierungspartei
PRI
(Partido
Revolucionario
Institutional)
enge
Beziehungen bestanden, die darauf hinausliefen, dass vor allem die AbfallsammlerInnen auf
Müllhalden fast gänzlich von der PRI kontrolliert wurden (Castillo 1990: 28-29). Ähnlich
wie Castillo leistet auch Keyes (1974, zit. nach Medina 2007: 14) Pionierarbeit zur
Abfallorganisation im philippinischen Manila. Von seiner christlichen Konfession
beeinflusst wurde sein Interesse auf die städtischen AbfallsammlerInnen gelenkt, die von der
repressiven Regierungspolitik angegriffen wurden. Er untersuchte in Manila wie
Einschränkungen und Feindseligkeiten vonseiten der Regierung und der Autoritäten die
Arbeit der AbfallsammlerInnen beeinträchtigten (ebd.: 14).
Die am weitesten verbreiteten theoretischen Anschauungen der informellen Abfallsammlung
sind jedoch auf Birkbeck und Sinclair zurückzuführen (Medina 2007: 14). Birkbeck
untersuchte in den 1970er Jahren die Sammel- und Recyclingaktivitäten auf der Müllhalde
im kolumbianischen Cali. Birkbeck bezeichnete die Müllhalde als „informelle Fabrik“, die
nach demselben kapitalistischen Prinzip funktioniere wie ein formeller Industriebetrieb.
Birkbeck widersetzte sich der vorherrschenden Auffassung, dass die Abfallsammlung von
einer marginalisierten Gruppe am Rande der Gesellschaft betrieben wird. Er charakterisierte
die AbfallsammlerInnen als selbstständig Arbeitende, die ihre Arbeitskraft ebenso wie
Industriearbeitende
verkauften
und
verwies
auf
ihre
rational
ausgerichteten
Organisationsformen und die Verknüpfungen mit dem formellen Sektor: „The garbage
dump-‘factory’ is but one facet of a larger industrial organization (...) Despite the fact that
there are no written rules, no overseers or supervisors, and that each garbage picker works
independently, there are certain internal and external factors which help to organize and
regulate the work in an informal way“ (Birkbeck 1978: 1174). Er bemerkte, dass die
36
Abfallsammelnden ohne bestehende Verträge mit Recyclingunternehmen kooperieren, die
wiederum
nach
der
Minimierung
von
Produktionskosten
streben
und
daher
AbfallsammlerInnen in Dienst nahmen, welche zeit- und kostengünstig Materialien
bereitstellten. Er stellte zudem fest, dass es Recyclingfabriken waren, welche die Preise für
Abfallprodukte festsetzten. Er erkannte, dass AbfallsammlerInnen denselben Bedingungen
des Kapitalismus unterworfen waren wie die restliche Gesellschaft und deswegen ebenso
wie Industriearbeitende für die Fabriken arbeiten, welche ihre Arbeitskraft in Form von
gesammelten Waren zwar konsumieren, aber keine formellen Bindungen mit ihnen
eingehen. Über den Verkauf ihrer Produkte erhalten die SammlerInnen minimales
Einkommen und verhelfen somit den Fabriken (oder wie später noch gezeigt wird:
Zwischenhändlern) ihre Profitraten zu steigern (Birkbeck 1978: 1174-1177). An Birbeck's
Erkenntnis über die Ausbeutungsverhältnisse ist aber aus heutiger Sicht vorzuwerfen, dass
die Verhältnisse zwischen AbfallsammlerInnen und Zwischenhändler anderer Natur waren
als jene zwischen Industriearbeitenden und FabrikbesitzerInnen. Die Bezahlung der
AbfallarbeiterInnen nach ihre gesammelten Gegenständen verursachte keine Lohnkosten und
erlaubte es dem kapitalistisch organisierten Markt, sie stärker auszubeuten als
LohnarbeiterInnen, indem sie lediglich für ihr Material, nicht aber für ihren tatsächlich
aufgewendeten Arbeitszeit bezahlt wurden (vgl. Bennholdt-Thomsen/Mies 1997: 14).
Daniel Sicular (1992, zit. nach Medina 2007: 15) beschäftigte sich Mitte der 1980er mit den
Sammel- und Recyclingaktivitäten in Indonesien. Ähnlich wie Birkbeck wählte Sicular einen
marxistischen Zugang, verknüpfte ihn aber mit dependenztheoretischen Elementen. Er
kritisierte
Birkbecks
Idee
von
der
Abfallarbeit
als
Teil
des
kapitalistischen
Produktionssystems und vertrat die Meinung, dass die Abfallsammlung kein Teil des
kapitalistischen Produktionssystems sei, sondern nur unter der Einflusssphäre der
kapitalistischen Produktion stehe und damit von ihr abhängig wäre. Er argumentierte, dass
sowohl die Produktions- und Reziprozitätsformen der AbfallsammlerInnen, als auch ihre
Überschussgewinnung und ihre sozialen Beziehungen jener der Bauern und der Wildbeuter
am ähnlichsten wäre. Er meinte, dass sie für ihre Tätigkeit „natürliche“ Ressourcen
verwenden, die weder viel Zeit beanspruchen noch hohe Herstellungskosten verursachen.
Sicular stellte die Abfallsammlung der bäuerlichen Produktion gleich und begriff die
Abfallsammler als Jäger und Sammler, die auf dieselbe ausbeuterische Weise in den
Arbeitsprozess integriert werden wie Bauern und andere Subsistenzwirtschaft betreibende
Menschen (Sicular 1992, zit. nach Medina 2007: 15).
Untersuchungen zur informellen Abfallwirtschaft aus verschiedensten Ländern zeigen, dass
37
die Verbindungen der informellen Tätigkeit zum formellen Sektor vielfältiger und
multidimensional sind, als vor allem von Siculars theoretische Perspektiven auf die
Abfallsammlung angeboten werden. Vor allem in Ländern des Südens, wo die technischen
und regulativen Rahmenbedingungen (noch) nicht den hochtechnologischen Standards der
Industrieländer entsprechen, sorgen die AbfallsammlerInnen auf manuelle Weise für das
Funktionieren des gesellschaftlichen Stoffwechselvorgangs. DiGregorio versteht das
Abfallsammlen daher als einen wirtschaftlichen Prozess, bei dem aus Abfallstoffen neue
Ressourcen gewonnen werden (1993: 1). Dem Industrialisierungsgrad des jeweiligen Landes
entsprechend stellen AbfallsammlerInnen ihr gesammeltes Material entweder der Industrie
oder den Kunsthandwerkern zur Verfügung. In Regionen mit fortgeschrittenem
Entwicklungsstandard ist ersteres die am meisten verbreitete Form. Dabei wird Abfall in
weiteren Verarbeitungsschritten zu neuen (Sekundär)Rohstoffen umgewandelt und dem
industriellen Produktionskreislauf wieder zugeführt. Eine wesentliche Voraussetzung für die
industrielle Wertschöpfung ist die Existenz von relativ breiten Mittelschichten, die über
ausreichend Kaufkraft verfügen, um industriell erzeugte Güter zu konsumieren und
hochwertigeren Abfall zu produzieren. Demnach ist die industrielle Produktion unmittelbar
mit der Abfallentstehung verbunden. Je ausgeprägter die Konsumgewohnheiten in einer
Gesellschaft sind, umso mehr Abfall wird produziert und mehr „reicher“ Abfall entsteht,
umso industrieorientierter werden die Tätigkeiten der Abfallsammelnden (Keller 1998: 13).
Zweiteres, die kunsthandwerkliche Wiederverwertung, tritt nach Grothues eher in Regionen
auf, wo der Konsum von Industriegütern nur geringere Ausmaße angenommen hat.
Untersuchungen zur informellen Abfallwirtschaft aus verschiedensten Ländern zeigen, dass
die Verbindungen der informellen Tätigkeit zum formellen Sektor vielfältiger und
multidimensional sind, als vor allem von Siculars theoretische Perspektiven auf die
Abfallsammlung angeboten werden. Vor allem in Ländern des Südens, wo die technischen
und regulativen Rahmenbedingungen (noch) nicht den hochtechnologischen Standards der
Industrieländer entsprechen, sorgen die AbfallsammlerInnen auf manuelle Weise für das
Funktionieren des gesellschaftlichen Stoffwechselvorgangs. DiGregorio versteht das
Abfallsammlen daher als einen wirtschaftlichen Prozess, bei dem aus Abfallstoffen neue
Ressourcen gewonnen werden (1993: 1). Dem Industrialisierungsgrad des jeweiligen Landes
entsprechend stellen AbfallsammlerInnen ihr gesammeltes Material entweder der Industrie
oder den Kunsthandwerkern zur Verfügung. In Regionen mit fortgeschrittenem
Entwicklungsstandard ist ersteres die am meisten verbreitete Form. Dabei wird Abfall in
38
weiteren Verarbeitungsschritten zu neuen (Sekundär)Rohstoffen umgewandelt und dem
industriellen Produktionskreislauf wieder zugeführt. Eine wesentliche Voraussetzung für die
industrielle Wertschöpfung ist die Existenz von relativ breiten Mittelschichten, die über
ausreichend Kaufkraft verfügen, um industriell erzeugte Güter zu konsumieren und
hochwertigeren Abfall zu produzieren. Demnach ist die industrielle Produktion unmittelbar
3. Abb.: „Erweiterter Recycling-Kreislauf“, (Grothues 1990: 97)
mit der Abfallentstehung verbunden. Je ausgeprägter die Konsumgewohnheiten in einer
Gesellschaft sind, umso mehr Abfall wird produziert und mehr „reicher“ Abfall entsteht,
umso industrieorientierter werden die Tätigkeiten der Abfallsammelnden (Keller 1998: 13).
Zweiteres, die kunsthandwerkliche Wiederverwertung, tritt nach Grothues eher in Regionen
auf, wo der Konsum von Industriegütern nur geringere Ausmaße angenommen hat.
Abfallstoffe werden bei der kunsthandwerklichen Wiederverwertung nicht auf ihre
Grundbestandteile zerlegt und zu völlig neuen Produkten weiterverarbeitet, sondern auf
Basis ihres ursprünglichen Zustandes zu neuen Gütern umgeformt. Hausbau, Spielzeuge,
Schmuck oder Flickwerke sind Beispiele für den handwerklichen Verwertungsprozess.
Grothues nennt diese Form der Weiterverarbeitung einen „erweiterten Kreislauf “ des
Recyclings, der nicht, wie in Industrieländern, linear, sondern zyklisch verläuft (Grothues
1990: 97):
Unabhängig
von
der
Tätigkeitsgruppe
und
der
hierarchischen
Position
der
AbfallsammlerInnen benennt DiGregorio zwei Charakteristika, die auf alle mit dem
Abfallhandel verbundenen Personen zutreffen: Sie erkennen Müll als Ressource an und
39
werden – wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen – für ihre Arbeit mit dem Abfall sozial
herabgewürdigt. Ersteres, so DiGregorio, wird von den informellen AbfallsammlerInnen
stärker wahrgenommen, als von jenen, die formell in der Abfallwirtschaft beschäftigt sind.
Zweiteres trifft auf alle Abfallarbeitenden im gleichen Maße zu (DiGregorio 1993: 1).
DiGregorio geht dabei davon aus, dass die Art der Tätigkeit das gesellschaftliche Ansehen
und den jeweiligen Status bestimmt. Während die formellen Abfallarbeitenden wegen ihrer
geregelten Arbeitsverhältnisse und ihrer Verbindung zum Staat, zu den Autoritäten und der
Technologie von der vollkommenen Stigmatisierung etwas geschützt sind, werden
selbstständig Abfallsammelnde vom Staat nicht geschützt (DiGregorio 1993: 2). Die
Stigmatisierung, unter der die Abfallarbeitenden wegen der informellen Arbeitsverhältnisse
leiden, wird an den verschiedenen geringschätzigen Bezeichnungen für die mehr oder
weniger gleichartige Tätigkeit deutlich: In Mexiko werden sie „pepenadores“ (Durchwühler)
(Lomnitz 1978), in Kolumbien „buitres“ (Geier) (Birkbeck 1978), in Uruguay „hurgadores
(Wühler), in Tokyo „buraku“ (Ameisen) (DiGregorio 1993) genannt.
Während DiGregorio die Unterscheidung der AbfallsammlerInnen auf zwei Kategorien
beschränkte, nennt Medina weitere Charakteristika, die für die Abfallsammlung typisch sind.
Er versteht den Abfall nicht nur als ökonomische Ressource und Form zur sozialen
Stigmatisierung, er betrachtet die Abfallarbeit als Inbegriff des informellen Sektors. Die
Abfallarbeit folgt nach Medina den für den informellen Sektor klassischen Merkmalen, ist
arbeitsintensiv, benötigt wenig Technologie, ist schlecht bezahlt, ungeregelt und ungesichert
(Medina 2007: 64).
Da sich der Verwendungszweck des Abfalls nicht eindeutig der Industrie oder dem
Kunsthandwerk zuordnen lässt und oft aus Mischformen der Verwendung besteht, bietet
Medina vier Unterteilungen an, mit denen er das Motiv der Abfallsammlung um zwei
weitere Komponenten vergrößert: Abfallsammlung für den Eigengebrauch und für die
Landwirtschaft (Medina 2007: 58-59). Abfallsammlung für den Eigenkonsum betrachtet er
als die ursprüngliche Motivation für die Sammlung. Menschen beginnen demnach zu
sammeln, weil sie nicht fähig sind, reguläre Arbeit zu finden und versuchen, dem Hungertod
zu entkommen, neue Kleidung zu erhalten oder Materialien für den Bau und die
Instandhaltung ihrer Unterkünfte zu suchen. In der Abfallsammlung für den Eigengebrauch
ist weder Geld involviert, noch besteht eine direkte Verbindung zur direkten Ökonomie
(Medina 2007: 58). Anfängliche Charakterisierungen der Abfallsammlung (vgl. Lomnitz,
Bromley und Gerry) erkennen diese Form der Abfallsammlung auch als marginal und
40
gesellschaftlich wenig bedeutsam.
Anders als Medina und andere kamen Peter Nas und Rikve Jaffe nach einer Reihe von
Untersuchungen zu dem Schluss, dass die sozialen Hintergründe der AbfallsammlerInnen zu
unterschiedlich sind, um sie allesamt als von der Armut und sozialer Diskriminierung
Betroffene
zu
beschreiben,
deren
einzige
Überlebensmöglichkeit
die
informelle
Abfallsammlung ist. Sie stimmen vielmehr mit DiGregorio's Betrachtungsweise überein, die
Gemeinsamkeiten von Abfallsammelnden auf zwei Charakteristika zu beschränken: „a
recognition of waste as an resource and a varying degree of social opprobrium“
(DiGregorio 1993: 1).
Weil die empirische Basis für eine universelle Charakterisierung sowie für die Verknüpfung
zwischen der formellen und der informellen Abfallsammlung fehlen, schlagen die Nas und
Jaffe vor, die Abfalltätigkeit über den Organisationsgrad auf vier verschiedenen Ebenen zu
bestimmen. Sie sind der Ansicht, dass über die Organisationsform der Wirkungsgrad der
informellen Abfallsammlung bestimmt werden kann (Nas/Jaffe 2004: 340):
1. Über die Aktivitäten der Unternehmen und Fabriken, die einerseits Abfall
produzieren und ihn andererseits wieder als Rohstoff verwenden
2. Über die Aktivitäten der Mittelsmänner und Zwischenhändler, die zwischen
Abfallsammler-Innen, Industrie und Käufer interagieren
3. Über die Aktivitäten der Abfallsammelnden selbst
4. Über das Ausmaß an Interventionen, die von internationalen Organisationen und
/oder den lokalen Regierungen vorgenommen werden.
3.3
Arbeitsspezifische Definitionen
In diesem Abschnitt werden Begriffe definiert, welche für die vorliegende Arbeit von
zentraler Bedeutung sind.
Cartoneros
Vereinfacht ausgedrückt und ausschließlich auf die Tätigkeit reduziert, kann ein cartonero
oder eine cartonera als eine Person bezeichnet werden, die auf Straßen, Plätzen oder
Müllhalden nach wiederverwertbarem Abfall, Karton, Papier, Plastik, Glas, metallischen
41
Stoffen und anderem Gegenständen sucht und diese an Zwischenhändler oder
Recyclingindustrie weiterverkauft, um sich damit sein Überleben sichern zu können. Mit
Athos Espíndola kann der Tätigkeitsbereich in wenige Worte gefasst werden:
„[L]a persona que se dedica a recolectar de las bolsas de residuos domiciliarios
o basurales, trapos, papeles, botellas, vidrios y todo objeto que pueda revender,
así como restos alimenticios que pueden serle de utilidad“9 (Espíndola 2002).
Es gibt verschiedene Formen der Arbeitsorganisation, welche die cartoneros in
“individuales” („selbstständig“) und “en cooperativas” (in Kooperativen organisierte)
unterscheidet. Die Differenzierung der cartoneros nach der Arbeitsorganisation geht
mit der Verwendung unterschiedlicher Termini einher: „Cartoneros individuales“ für
informell,
„selbstständig“
arbeitende
AbfallsammlerInnen
und
„recuperadores
urbanos“ für formell, über Kooperativen organisierte cartoneros.
Paiva stellte beim Bestimmungsversuch des cartonero-Subjekts fest, dass das Abfallsammeln
zwei wesentliche Ursachen zugrunde liegt: Strukturell oder konjunkturell bedingter Armut.
Strukturell von der Armut betroffene cartoneros sind nach Paiva jene AbfallsammlerInnen,
die bereits vor der Krise in die Unterschichten hineingeboren wurden und bereits seit jungen
Jahren Abfallsammeln (Paiva 2008: 93). In Buenos Aires waren dies die früheren cirujas, die
schon seit den 1970ern von der Abfallsammlung lebten. Die Entstehung und Entwicklung
der cirujas wird später eindringlicher behandelt. Konjunkturell bedingte „Krisenopfer“
bestimmte sie als in Folge der wirtschaftlichen Krise verarmte SammlerInnen. Zu den durch
die schlechte Konjunktur bedingten AbfallsammlerInnen zählte Paiva alle Menschen der
Mittel- und Unterschicht, die wegen der Krise Arbeit, Einkommen und Existenz verloren
hatten.
Aus der ständigen Abgrenzung und Ausdifferenzierung der Abfallarbeitenden ist ab 2002
eine offizielle Bezeichnung hervorgegangen, mithilfe der vom cartonero-Begriff Abstand
genommen werden sollte: recuperador urbano/recuperadora urbana. In der offiziellen
Kommunikation wird der neue Begriff zwar eingesetzt, Öffentlichkeit, Medien und
Abfallsammelnde selbst blieben bei der Verwendung des landläufigen cartonero-Begriffs
(Medina 2007: 174).
9
42
„Die Person, die sich der Sammlung von Müllsäcken aus Hausmüll oder Müllhalden widmet, Tücher, Papier, Flaschen,
Glas und alle anderen Objekte sowie Essensreste sammelt, die ihr von Nutzen sein können.“ (R.H.)
Formalisierung
Mit „Formalisierung“ kann der Prozess des formellen Institutionalisierens einer Handlungsund Denkweise verstanden werden. Das Objekt erhält dabei eine festgelegte Erscheinungs-,
Darstellungs-
oder
Abhandlungsform,
die
eingehalten
werden
sollte.
Mit
der
Standardisierung von Aktivitäten werden persönliche und willensgesteuerte Vorgänge
zugunsten von Normen und Formen eingeschränkt. Formell institutionalisierte Normen
gestalten die Spielregeln der Gesellschaft und die Beschränkungen der menschlichen
Interaktionsformen. Formelle Spielregeln gestalten nach Altvater und Mahnkopf den
politischen,
gesellschaftlichen
(Altvater/Mahnkopf
2002:
oder
29).
wirtschaftlichen
Anstöße
dafür
Austausch
können
unter
politischer,
Menschen
rechtlicher,
mathematischer, wirtschaftlicher oder technischer Natur sein und darauf abzielen, etwas zu
rationalisieren
oder
zu
mechanisieren
(vgl.
Bouncken/Jones
2008:
276).
Diese
Regelhaftigkeit der Abläufe und Verhaltensnormen wird durch förmliche Institutionen
gewährleistet, indem verbindliche Vorschriften, Rollenerwartungen, Bewertungsstandards
oder sanktionierbare Verhaltensregelmäßigkeiten festgelegt werden (Altvater/Mahnkopf
2002: 29). In der Geschichte entstandene Riten und sich daraus entwickelnde Gewohnheiten
sind für die Formalisierung von Abläufen von besonderer Bedeutung, weil sie
Zusammengehörigkeitsgefühle erzeugen und affektive Sicherheiten geben (vgl. Bach 2004:
151; Drepper 2003: 97).
Die Institutionalisierung von verbindlichen Verhaltensnormen, Rollenerwartungen und
sanktionierbaren Verhaltensordnungen bewahrt vor willkürlichen Handlungen anderer
Personen und des Staates. Mit der Formalisierung von Handlungs- und Denkweisen
entstehen Ansprüche auf öffentliche Leistungen, die gesetzlich geregelt und einklagbar sind.
Günstigstenfalls wirken sich Formalisierungen von Handlungs- und Denkmustern positiv auf
eine autonome Lebensgestaltung der Einzelnen aus, geben Orientierungssicherheiten und
liefern normierte Strafen für die Überschreitung formell geregelter Handlungsspielräume.
Ziel der Formalisierung von Handlungs- und Denkweisen sollte sein, dass sowohl das Leben
und die Arbeit der Einzelnen als auch das zwischenmenschliche Verhalten in seinen
Ausmaßen berechen- und planbar wird (Altvater/Mahnkopf 2002: 39-40).
Arbeits- und Lebensbedingungen
43
Arbeits- und Lebensbedingungen werden im Kontext der cartoneros im Zusammenhang mit
geringen sozio-ökonomischen Sicherheiten begriffen, die Betroffene aufgrund ihrer nicht
gedeckten Bedürfnisse und ihrer gesellschaftlichen Position anfällig, verwundbar und
unsicher
in
Bezug
auf
Arbeit,
Einkommen
und
Ernährung
werden
lassen
(Altvater/Mahnkopf 2002: 29). Unsichere Arbeits- und Lebensbedingungen im urbanen
öffentlichen Raum erfordern auf die verfügbaren materiellen Ressourcen und soziale
Netzwerke angepasste Strategien, die dem Betroffenen verhelfen, soziale und ökonomische
Verwundbarkeiten zu reduzieren und nicht zuletzt Lebens- und Arbeitsstrategien zu
entwickeln, die ihm/ihr in Schock- und Stresssituationen das Überleben sichern. Nach dem
Konzept der urbanen Subsistenz kann das Überleben dann gesichert werden, wenn
ausreichend materielle Ressourcen und kulturelles Wissen verfügbar und zugänglich sind,
welche für die Entwicklung von Lebensabsicherungsstrategien notwendig erscheinen
(Kokot/Wonneberger 2006). Nachhaltig ist das Überleben dann gesichert, wenn Schock- und
Stresssituationen und gröbere Einschnitte in die Lebensverhältnisse bewältigt werden
können. Außerdem kann von einer gesicherten Existenz gesprochen werden, wenn die
bestehenden Ressourcen beibehalten oder vermehrt werden können, ohne dass die
Überlebensmöglichkeiten der nächsten Generation gefährdet werden (Chambers/Conway
1992: 6).
Lebens- und Arbeitsstrategien beziehen sich daher auf die Formen des Umgangs mit
Unsicherheiten, die an der Beständigkeit der Einkommensquellen, am legalen Status der von
den Unsicherheiten betroffenen Akteure im öffentlichen urbanen Raum gemessen werden
können (Kokot/Wonneberger 2006: 2).
Welche Indikatoren auf unsichere Arbeits- und Lebensbedingungen hinweisen, werden aus
dem Verständnis des Konzepts der urbanen Subsistenz nach Kokot und Wonneberger
entlehnt. Nach dem Konzept der urbanen Subsistenz werden die unsicheren Lebens- und
Arbeitsbedingungen dadurch ersichtlich, ob ausreichend Ressourcen verfügbar sind, die die
ökonomischen Grundlagen sichern, das Einkommen den Erfordernissen zur Lebenssicherung
entspricht, kulturelles Wissen über Arbeitsstrategien und -methoden zugänglich ist,
Flexibilität gegeben ist und Arbeitszeit von Freizeit nicht eindeutig getrennt werden kann
(Kokot/Wonneberger 2006: 3).
44
Forschungsergebnisse
4
Vom cartonero zum recuperador urbano: Formalisierung der
Abfallsammlung
Durch den wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch in Argentinien um 2001
entwickelten sich verschiedene Formen des sozialen Protests, die sich gegen die
gesellschaftlichen
Missstände
zu
wehren
versuchten:
Stadtteilversammlungen,
Menschenrechtsbewegungen, Arbeitslosenbewegungen oder FabrikbesetzerInnen. Außerdem
begannen zahllose cartoneros die Straßen von Buenos Aires und anderen Städten zu füllen.
Zunächst werden jene politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontexte untersucht, welche
für die Entstehung und die Entwicklung des Phänomens von Bedeutung.
4.1
Umfeld und Hintergründe
In diesem Abschnitt werden Einflussgrößen untersucht, welche zentrale Einflüsse auf die
Entstehung und Entwicklung der cartoneros gehabt haben. Bedeutende Einflussgrößen sind
politik- und wirtschaftsgeschichtliche Entwicklungen des Landes und der Stadt sowie die
formelle Organisation der Abfallwirtschaft von Buenos Aires. Zudem lassen sich in der
Geschichte der Abfallsammlung von Buenos Aires Erklärungen für die Entwicklung der
Arbeitsorganisation der cartoneros finden.
4.1.1 Entwicklungen im 20. Jahrhundert
Ab den 1870ern begann in Argentinien der intensive Export von Rohstoffen. Fleisch,
Getreide, Schafwolle, Häute und Mais wurden zu bevorzugten Exportprodukten, über die
Argentinien bis zur ersten Weltwirtschaftskrise in den 1930ern seine Exporterlöse fast
verzehnfachen und den Wohlstand im gesamten Land um ein Vielfaches steigern konnte
(Boris/Tittor 2006: 9-10).
Die wachsende Integration in die globale Wirtschaft, die Argentinien ab dem Ende des 19.
Jahrhunderts
zu
erleben
begann,
erklärte
sich
zudem
aus
den
starken
Immigrationsbewegungen aus Asien und Europa gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Die
vereinfachte
Immigrationspolitik
trieb
das
Wachstum
der
argentinischen
Bevölkerungszahlen voran. Von 1869 bis 1895 verdoppelte sich die Bevölkerung des Landes
von 1,8 auf vier Millionen. Zusammen mit Sao Paulo und Uruguay hatte Buenos Aires um
45
1870 bereits das Potenzial bis zur Jahrhundertwende zu einer der größten Städte der Welt zu
werden (Blum 1998: 176).
Die von der Weltwirtschaftskrise der 1930er hervorgerufenen Abwärtsbewegungen der
argentinischen Wirtschaft konnten erst im Jahre 1943 ausgebremst werden, als Juan
Domingo Perón das Amt des Regierungspräsidenten übernahm. Als Folge ruinöser
Geschäfte von Landbesitzern und sich einer nicht erholenden Wirtschaftsleistung im
Agrarsektor wurden notgedrungen Schutzzölle errichtet und Importrestriktionen erteilt, die
vor allem den Import von europäischen Produkte einzuschränken suchten. Mit
protektionistischen und regulativen Maßnahmen konnten die fehlenden Exporterlöse und
Devisen kompensiert und ein Industrialisierungsschub über Handwerks- und arbeitsintensive
Betriebe erreicht werden. Getragen von der importsubstituierenden Industrialisierung,
dauerte der wirtschaftliche Aufwärtstrend bis Mitte der 1950er an. Perón, der unmittelbar
nach dem Putsch die Leitung des Arbeitsministeriums übernommen hatte, zeigte sich
zunehmend als Patron der Industriearbeitenden und der Unterschichten. Unstimmigkeiten
zwischen Militär und Gewerkschaft hatten im Jahre 1946 freie Wahlen zum Ergebnis, bei
denen Perón erstmals zum Präsidenten der Militärregierung gewählt wurde (KallerDietrich/Mayer 2012c). Als „erster Arbeiter Argentiniens“ versuchte Perón vor seiner
Präsidentschaft als Leiter des Arbeits- und Sozialsekretariats Sympathien außerhalb des
Militärs zu gewinnen, die weder Oberschicht noch traditionell Linke und Teile des Militärs
guthießen. Bei ihrem Versuch, Peróns Aufstieg zum Volkshelden zu verhindern und ihn
unter Arrest zu stellen, setzte eine von Gewerkschaftsverbund CGT10 organisierte
Mobilisation von ArbeiterInnen ein, auf die weitere und größere Demonstrationen folgten.
Es war nicht zuletzt die Demonstration der ArbeiterInnen vom Land, der Hemdlosen
(descamisados), die sich im Oktober 1945 in der Innenstadt von Buenos Aires für Peróns
Freilassung zusammengefunden hatten, mit der das Ausmaß seiner Popularität deutlich
wurde, die Perón wegen seiner sozialen Reformvorhaben in den argentinischen Unter- und
Mittelschichten erreicht hatte. Im Jahre 1946 gelang Perón schließlich der erneute Sieg der
Präsidentschaftswahlen (Werz 2010: 181).
Da die Agrarexporterlöse – und damit die Staatseinnahmen – ab den 1950ern dauerhaft zu
10 Die CGT sollte später zu einem der wichtigsten Instrumente der peronistischen Machtsicherung werden (Werz 2010:
182). Sie verkörperte ein simultanes Vertretungsorgan von städtischer Arbeitnehmerschaft und
Industrieunternehmertum. Mithilfe der CGT sollte ein Klassenbündnis zwischen den neuen IndustrieunternehmerInnen
und der städtischen Arbeitnehmerschaft sowie von anderen Fraktionen der Unter- und Mittelschichten erreicht werden.
Während der ersten beiden Regierungsjahre, zwischen 1943 und 1944, verdoppelte sich die Anzahl der Mitglieder der
CGT auf 1,5 Millionen. Peróns charismatische und volksnahe Ehefrau, Eva Perón, nahm in der peronistischen
Arbeiterpolitik eine wesentliche Brückenfunktion zwischen Volk und Regierung ein (Kaller-Dietrich/Mayer 2012b).
46
sinken begannen, sollten die mit Perón erhöhten Sozialleistungen gekürzt werden. Dass sich
die sozialen Unruhen erst ab den 1970ern ausbreiteten, war vor allem auf die Entwicklung
der CGT zu einer mächtigen Institution zurückzuführen. Ihre wichtigsten Errungenschaften
während den Flaute-Phasen im industriellen Sektor bis zu den 1970ern waren, dass nur
geringfügig Lohnkürzungen vorgenommen wurden (Boris/Tittor 2006: 15). Als die von
Perón betriebene Redistributionspolitik11 wegen der rückläufigen Staatseinnahmen zum
Stillstand zu kommen drohte, machten sich die klassischen Krisenerscheinungen wie
Arbeitslosigkeit und Rückgang des sozialen Wohlstands breit. Die Regierung zeigte
zunehmend weniger Bereitschaft, die Interessen der ArbeiterInnen zu vertreten (Carreras
2010: 211).
Ab den 1950ern stieg das Pro-Kopf-Einkommen nur mehr leicht an, Exporte und die
landwirtschaftliche Produktivität stagnierten und Argentinien begann für den Weltmarkt an
Bedeutung zu verlieren. Die wachsenden Unstimmigkeiten zwischen dem peronistischen
Regime und der Arbeiterbewegung führten 1955 zu einem Militärputsch und zum
vorübergehenden Sturz von Juan Domingo Perón (Kaller-Dietrich/Mayer 2012c). Die
politischen Wechsel zwischen Diktatur und Demokratie, die in der postperonistischen Phase
bis 1976 immer wieder erfolgten, waren von sinkenden Exporterlösen und stagnierenden
ökonomischen Entwicklungen gekennzeichnet (Boris/Tittor 2006: 14). Die 1977
eingerichtete Militärregierung suchte die importsubstituierende Wirtschaftspolitik gegen eine
exportorientierte zu ersetzen. Damit ging eine Verschlechterung der sozialen Lage einher
(Boris/Tittor 2006: 18).
Der inkonsequente Neoliberalismus, den die Regierung verfolgt hatte, versetzte das Land in
eine schwere Krise. Das Bruttoinlandsprodukt nahm stetig ab, die Auslandsverschuldung
stieg an, Investitionen wurden rückläufig, und Reallöhne sanken immer weiter, bis sie 1982
mit 37 % an einen kritischen Tiefpunkt gelangten (Beccaria 2001: 53). Obwohl die
Regierung durch das Anheben der Reallöhne versuchte, den Konsum anzukurbeln und damit
die Binnenwirtschaft wieder zu beleben, konnte kein anhaltendes Wirtschaftswachstum in
Gang gebracht werden. Die Wahl Raúl Alfonsíns im Dezember 1983 zum Präsidenten
bedeutete schließlich das Ende des Militärregimes. Neu im Amt war Alfonsín primär darum
bemüht, die Staatsschulden, die während der Militärdiktatur angehäuft wurden, abzubauen.
Doch die Versuche, die wirtschaftliche Entwicklung durch die Weiterführung von
11 Die Erlöse aus dem Export von landwirtschaftlichen Produkten wurden dabei in den Industrie- und
Dienstleistungssektor umgelenkt (Boris/Tittor 2006: 15).
47
Importsubstitution, Sozialpakte und keynesianische Steuerungsmaßnahmen wieder zu
beleben, blieben erfolglos. Die galoppierende Geldentwertung, mit der Argentinien während
den gesamten 1980er Jahren zu kämpfen hatte, gipfelte 1989 in einer Hyperinflation von
4000 % (Boris/Tittor 2006: 18-24).
Seitdem die konjunkturelle Entwicklung in den 1970ern ihren Zenit erreicht hatte, stieg die
Arbeitslosigkeit sukzessive an, weitete sich die Armutsquote aus und verstärkte sich die
sozioökonomische Polarisierung der Bevölkerung. Mit der Auseinanderentwicklung der
Gesellschaftsschichten entwickelte sich gleichzeitig eine zunehmende Komplexität und
innere Differenzierung der argentinischen Sozialstruktur. Zu erkennen war dies insbesondere
in Buenos Aires, wo sich die Bevölkerung am stärksten konzentrierte. Die argentinische
Mittelschicht, die im Vergleich zu allen anderen lateinamerikanischen Ländern besonders
breit war, durchlief seit den 1970ern entscheidende Differenzierungsprozesse. Mit einer
Erwerbstätigenrate von 40 % besaß Argentinien bereits in den 1940er Jahren das breiteste
Mittelschichtsegment in Lateinamerika. Das Ausbreiten der städtischen Arbeiterklasse als
fast homogenisierte Mittelschicht erreichte zwischen den 1950ern und den 1960ern ihren
Höhepunkt. Zwischen den 1940ern und den 1980ern stieg insbesondere die Anzahl der
lohnabhängigen Mittelschichten (ArbeiterInnen, Angestellte, Beamte, etc) auf 70 % an,
während die selbstständigen Mittelschichten (Kleinunternehmer, Gewerbetreibende,
Freiberufler, Bauern) abnahmen. Die urban-industrielle Arbeiterschaft erreichte Anfang der
1970er Jahre mengenmäßig ihre größte Ausdehnung. Unter den städtischen Lohnabhängigen
betrug die Arbeitnehmerquote um 1971 bereits 74%. Zu erklären ist dies durch den
Rückgang der Landwirtschaft und dem gleichzeitigen Anstieg des tertiären Sektors (Beccaria
2001:
19).
Die
neuen
Mittelschichten
definierten
sich
fortan
vorrangig
über
Dienstleistungsberufe oder über den öffentlichen Sektor. Die Zuordnung einzelner
Bevölkerungsteile zu einer breiten Mittelschicht wurde immer schwieriger. Diese
Polarisierungsprozesse der Mittelschichten wurden seit Mitte der 1970er an verschiedenen
Indikatoren ablesbar: An der wirtschaftlichen Stagnationstendenz, an der ungleich
wachsenden Einkommensverteilung und an der Veränderung ihrer Konsummuster (vgl.
Sommavilla 1996: 220-225). Obwohl die Politisierung der Mittelschichten keine direkten
Auswirkungen auf ihre soziale Situation hatte, fand während dieser Phase der Auf- und
48
Abstiege allmählich wieder eine (Selbst) Integration der Mittelschichten in die Politik12 statt
(Boris/Tittor 2006: 22-23).
1976 erreichten die Reallöhne erstmals ein Tief, welches Einschnitte in die freie
Verfügbarkeit über geregelte und gesicherte Arbeitsstellen nach sich zog. Nach der
Militärdiktatur
konnten
sich
all
jene
Segmente
der
Mittelschichten
zu
den
sozioökonomischen Gewinnern zählen, die in Banken-, Finanz-, Immobilien-, Im- und
Exportsektor beschäftigt waren. Mit der Intensivierung der ausländischen Kapitalflüsse
verloren die selbstständigen ArbeiterInnen in Produktion, Handel und Dienstleistung sowie
die Mittelschichten im öffentlichen Sektor an gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Die
Vergrößerung
des
Industrieproduktion
Dienstleistungssektors
schuf
zwar
neue
als
Gegenreaktion
Arbeitsplätze,
konnte
auf
die
sinkende
aber
die
steigende
Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung nicht verhindern. Selbstständig Arbeitende,
Gewerbetreibende, KleinunternehmerInnern und FreiberuflerInnen, breiteten sich wieder
aus. Ab dem Ende der 1970er begann das Feld der „Arbeiten auf eigene Rechnung“ (cuenta
propismo) stetig zu wachsen. Insbesondere in Buenos Aires schossen ab den 1980ern
Kleinstsupermärkte, GreißlerInnen, Reparatur- und Werkstätten aus dem Boden (Beccaria
2001: 43).
4.1.2 Der Beginn des 21. Jahrhunderts: Krise, Armut und Proteste
Argentinien hatte sich bis zu den 1990ern zu einem Musterschüler des Internationalen
Währungsfonds
(IMF)
entwickelt.
Als
Carlos
Menem
1989
das
Amt
des
Regierungspräsidenten übernahm, radikalisierte er das argentinische Wirtschaftssystem nach
neoliberalem Vorbild. Menem's Regierungsstil machten vor allem die scharfen
Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen aus, mit denen der Staat schlanker werden
sollte. Obwohl er durch die Verkleinerung des Staatsapparates die Anfälligkeiten für
Korruption reduzieren und die Arbeitseffizienz der Beamten steigern konnte, entzog er damit
Tausenden von entlassenen Staatsbeamte gleichzeitig ihre Lebensgrundlage (Vanden/Prevost
2009: 201).
12 Die argentinische Arbeiterklasse musste insbesondere seit der Militärregierung starke Rückschläge hinsichtlich ihrer
Organisations- und Artikulationsmöglichkeiten hinnehmen. Dabei stand die Zerschlagung der peronistischen
Gewerkschaften im Vordergrund, da ihr organisierter Widerstand ein Hindernis für ihr Vorhaben darstellte. Die
Gewerkschaften wurden gewaltsam niedergeschlagen, aktive Gewerkschaftsmitglieder nach und nach bedroht und
ermordet. Gewerkschaftsbefürwortern wurde letztlich ein Versammlungs- und Organisationsverbot erteilt. Darüber
hinaus wurden zukunftsweisende Gesellschaftsmitglieder, Jugendliche, Intellektuelle oder Politiker verfolgt und
umgebracht (Boris/Tittor 2006: 24).
49
Zu Beginn der 1990er wies Argentinien bereits eine Armutsquote von 50 %13 auf, die
zusammen mit der Arbeitslosenrate von ca. 20 % , der starken Auslandsverschuldung und
der Kürzung der Sozialausgaben letztlich eine der schwerwiegenden Gründe für den
Zusammenbruch des Staates ausmachte (Geiger 2010: 201). In vielen europäischen Staaten
besteht das BIP mindestens zur Hälfte aus Steuereinnahmen. Im Vergleich dazu betrug der
Anteil der Einnahmen aus Steuern in Argentinien lediglich 20 %, die übrigen Einnahmen
entstammten zu einem großen Teil aus den Exporterlösen (Jost 2003: 35). Zusätzlich zu den
starken Steuerrückgängen aus Konsum- und Investitionsgütern und den sinkenden
Investitionsraten zu Beginn der 1990er Jahre hinzukommend fielen auch höhere
Exportkosten an, die über die Staatseinnahmen nicht mehr gedeckt werden konnten
(Kronberger 2002: 6-7). Die Hauptverantwortung für die seit 1996 kontinuierlich
ansteigende Verschuldung war in den Ausgaben für den öffentlichen Sektor zu finden. Hinzu
kamen hohe Zinsforderungen aus dem Ausland. Der vollständige Kollaps führte zu neuen
Strukturanpassungen nach Vorgabe des IWF, und damit zur Umsetzung von partiellen
Entschuldungen, Umstrukturierungsmaßnahmen und Umschuldungen (Jost 2003: 59).
Auch der verzweifelte Versuch, den argentinischen Peso an den US-Dollar zu koppeln, hatte
folgenschwere Auswirkungen auf das wirtschaftliche Stabilisierungsstreben. Entgegen dem
Ziel, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Argentiniens zu erhöhen und die Währung zu
stabilisieren, endete die Konversion des überbewerteten Pesos in einer Abwertung von 75%.
Ende der 1990er war die Kaufkraft der Löhne um 60% gesunken und die Investitionsraten
um 40% zurückgegangen (Kaller-Dietrich/Mayer 2012d). Da nun das Geld rapide an Wert
verlor, konnte auch kaum mehr mit einer Erhöhung der Staatseinnahmen gerechnet werden.
Die fehlende Geldzirkulation bewegte die Bevölkerung zum Handeln, denn die konstante
wirtschaftliche und politische Instabilität begann schließlich auch die soziale Situation des
Landes stark zu beeinträchtigen (Sukup 2007: 96). Mit Menem gelang es zwar, die Inflation
zeitweilig einzudämmen und das Wirtschaftswachstum zumindest nominell voranzutreiben.
Die sozialen Probleme, die sich aus der Privatisierung und der Verkleinerung der staatlichen
Strukturen ergaben, konnten aber nicht länger überdeckt werden. Jahrelange Spekulationen,
Kapitalflucht und preisgünstige Privatisierungen bereiteten dem breiten Wohlstand und den
13 Das Ausmaß der gesellschaftlichen Verarmung zwischen den Jahren 1988 und 1989 war selbst für die instabilen, lateinamerikanischen Verhältnisse aufsehenerregend. Die Geschwindigkeit, mit der die Armutsquote in Argentinien nach
oben schnellte, war eine jener sozioökonomischen Entwicklungen, die sogar im von Krisen geprägten Lateinamerika für
Aufsehen sorgte. Anfang der 1990er lebte nahezu die Hälfte der argentinischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze
(Geiger 2010: 121). Obwohl etwa in Bolivien, El Salvador, Honduras, Guatemala, Nicaragua oder Haiti weit höhere
Pro-Kopf-Einkommensverluste hingenommen werden mussten, waren es in Argentinien das Tempo und das Ausmaß,
mit denen sich die Verarmung in der Gesellschaft manifestierte (Sommavilla 1996: 256-257).
50
Überresten der peronistischen Wohlfahrtspolitik ein rasches Ende (Kaller-Dietrich/Mayer
2012a). Im Zuge der neoliberalen Reformen löste sich das peronistische Integrationsmodell
bis zu den 1990ern fast vollständig auf. Ausgelöst von der Flexibilisierung der
Beschäftigungsverhältnisse, der Arbeitslosigkeit und der Prekarisierung stellten sich
Verarmungsprozesse ein, die zunächst nur den geringer qualifizierten Teil der Bevölkerung
betrafen. Mit der Freisetzung der gering Qualifizierten ließ sich in der argentinischen
Gesellschaft der frühen 1990er ein „neoliberaler Konsens“ erreichen (Svampa 2005: 39), mit
dem der soziale Ausschluss einiger Gesellschaftsteile akzeptiert wurde.
Magnani erklärte die Auflösung der breiten Mittelschicht mit der Politik der freien
Marktwirtschaft, die eine gesellschaftliche Polarisierung favorisierte und dadurch
Spannungen und Aggressionen in der Bevölkerung erzeugte. Die anschwellende Masse der
Besitzlosen aus Mittel- und Unterschichten sah sich mit einer kleinen Minderheit
konfrontiert, die sich ihr Vermögen immer noch kontinuierlich vergrößerte. Zunächst ohne
Zugang zu Erwerbsarbeit und geprägt von sozialen Unsicherheiten, mussten insbesondere
die Angehörigen der Unterschichten dabei zusehen, wie sich die soziale Schere innerhalb
kürzester Zeit stark erweiterte. Im Oktober 2002 fielen lediglich 1,4 % aller Einkünfte auf
die ärmsten zehn Prozent der argentinischen Bevölkerung, während zum selben Zeitpunkt
die reichsten 10% der argentinischen Oberschicht 38 % aller Einkünfte erzielten (Magnani
2003: 26). Die argentinische Gesellschaft entwickelte sich zu einer exkludierenden
Gesellschaft, die für ihren makroökonomischen Fortbestand Verarmung und Ausgrenzung
verarmter Teile der Mittel- und Unterschichten in Kauf nahm (Svampa 2005: 48). Anstelle
eines Prozesses der sozialen Integration fand eine „fraktionalen Deskollektivierung“ der
Gesellschaft statt, bei der argentinische Mittelschichten regelrecht zerschlagen wurden. Der
soziale Ausschluss und die Verarmung breiter Teile der Mittelschicht zerstörte die von der
peronistischen Sozialpolitik vertretene Idee einer gemeinsamen Identität der Mittelschichten
fast vollständig.
Das Zusammenwirken der defizitären Entwicklungen führte im Dezember 2001 zur
Ausrufung des Staatsbankrottes und damit zur ersten großen politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Krise des 21. Jahrhunderts. Mit dem „argentinazo“ zeigten sich nicht nur die
sozioökonomischen Implikationen von Krisen in ihren schlimmsten Auswüchsen, es wurden
auch zivilgesellschaftliche Reaktionen darauf sichtbar. Die plötzliche Verarmung, von der
schließlich weite Teile der argentinischen Mittelschicht betroffen waren, rief zivilen
Widerstand hervor, deren Forderungen nach dem Ende neoliberaler Politik und
wirtschaftlicher Gier ein gemeinsames Credo kommunizierten: „¡Que se vayan todos!“. In
51
der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 2001 (cacerolazos) übertönte diese Parole den
Lärm von Kochtöpfen, die von tausenden entmutigten und frustrierten BürgerInnen
geschlagen wurden (Kaller-Dietrich/Mayer 2012d). Über die „Kochtopfdemonstrationen“
(cacerolazos) im Dezember 2001 sollte die Empörung über die zunehmenden sozialen
Asymmetrien in der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht werden, die durch die
jahrzehntelange Politik der modernización excluyente (Svampa 2005: 49) hervorgerufen
wurden.
„Die soziale Basis der cartoneros und der piqueteros bildete sich durch die Massen in
Verfügbarkeit, die durch die Desartikulation des Arbeitsmarktes entstanden sind. Diese
Veränderungen erlebten ebenso die Arbeiter der besetzten Fabriken, die in erster Linie von
der Deindustrialisierung betroffen waren, als einen Prozess, der für die 1990er Jahre
charakteristisch war. Aber die negativen Konsequenzen betrafen auch die Mittelklassen und
zerstörten das Zentrum der sozialen Stratifkation. Von dort aus waren es die so genannten
neuen Armen, die seit Mitte der letzten Dekade den Tausch von Gütern und Dienstleistungen
in Tauschnetzwerken organisierten“, so Hector Palomino (2005: 20, zit. nach Boris/Tittor
2006: 70).
Es war eine neue, soziale Schicht entstanden, in der sich nun all jene Menschen der Mittelund Unterschichten befanden, die strukturell von der Armut betroffen waren. Dieser Schicht
waren all jene angehörig, die instabilen Wohn- und Arbeitssituationen gegenüberstanden
oder sämtliche Möglichkeiten verloren hatten, ihre Existenz zu sichern (Svampa 2005: 48).
María del Carmen Feijoó setzt diese Reduktion der argentinischen Gesellschaft mit dem
Rückschritt einem vorindustriellen Gesellschaftssystem gleich, in dem „StaatsbürgerInnen
der ersten und der zweiten Klasse generiert wurden“. Die Institutionalisierung der neuen
Gegebenheiten verschärfte lediglich die soziale Ausdifferenzierung, besiegelte die Exklusion
des benachteiligten Gesellschaftsstrangs und sprach den Reichen das alleinige Reicht auf
Staatsbürgerschaft zu, anstelle die bevorstehenden Katastrophe durch sozialpolitische
Reformen abzuwehren (Feijoó 2001: 10).
Der Aufschrei der Zivilgesellschaft ließ verhältnismäßig lange auf sich warten. Erst in der
zweiten Hälfte der 1990er, als die Folgen der neoliberalen Politik für die Bevölkerung nicht
mehr beschönigt werden konnten, entwickelte sich ein Widerstandszyklus, der die
vereinzelten ereignis- und gruppenzentrierten Protestaktionen abzulösen begann. Die
Struktur des Protests veränderte sich den sozioökonomischen Verschlechterungen der
52
Mittelschichten entsprechend. Was zu Zeiten der Militärdiktatur über gewerkschaftliche
Kämpfe ausgetragen wurde, verwandelte sich in der Krisenphase ab 2001 in eine Vielzahl
von interessenvertretenden sozialen Bewegungen. Schuster und Pereyra machten in ihrem
Werk über soziale Proteste in Argentinien darauf aufmerksam, dass zwischen 1983 und 1988
soziale Gegenwehr zu 75 % über gewerkschaftliche Organisationen erfolgte. Die
verbleibenden
25
%
verwiesen
auf
Proteste,
die
im
Zusammenhang
mit
Menschenrechtsverletzungen standen. Im Jahre 1994 entfielen nur noch 60 % aller
Protestaktionen
auf
Gewerkschaften
(vgl.
Sommavilla
1996:
214-216).
Gewerkschaftsbewegungen verloren in der fortschreitenden Deindustrialisierung des
Privatsektors gesellschaftlich allmählich an Bedeutung.
Die zunehmende Korruption der „gordos“ – die sich als Gewerkschaftsbosse bereichert
hatten – während knapp die Hälfte der Bevölkerung arm und arbeitslos zurückblieb, war
einer der Auslöser für die vielen Massenproteste der piqueteros (Sukup 2007: 99).
Mit dem Bedeutungsverlust der Gewerkschaften änderte sich schließlich auch die
Protestkultur der Lohnabhängigen im öffentlichen Sektor und in den Provinzen. Die
Auseinandersetzungen
um
Recht
und
Arbeit
wurden
zunehmend
aggressiver,
Sachbeschädigungen und Körperverletzungen wurden zu einem wesentlichen Bestandteil
von Protesten gegen Lohnausfälle und Sparmaßnahmen. Immer mehr Menschen nahmen an
den punktuellen und gering organisierten Protesten teil.
Mit der zunehmenden Vernetzung und Organisation der Proteste, die auch verstärkte
Medienaufmerksamkeit auf sich zog, rückten die Forderungen nach sozialen Rechten immer
weiter in den Mittelpunkt. Von der Politik wurde der verstärkte Protest der Bevölkerung
zunächst als „natürliche“ Reaktion auf die neoliberale Wirtschaftspolitik verstanden, die sich
nach deren Festigung wieder legen würde. Sämtliche Bewegungen, die im Laufe der 1990er
entstanden waren, konnten als Reaktionen auf die soziale Destrukturierung interpretiert
werden, die allesamt neue Formen der Subsistenzwirtschaft mit sich brachten. Die Strategien
und Methoden, die von den verschiedenen Protestgruppen zur Überlebenssicherung
eingesetzt wurden, unterschieden sich in der Form ihrer Organisation aber grundlegend
voneinander (Boris/Tittor 2006: 70).
Als Menem seinem Versprechen, Armut und Arbeitslosigkeit im Land zu bekämpfen nicht
nachkam, wurden die Proteste um soziale Gerechtigkeit immer lauter (Boris/Tittor 2006:
69). Die aus dem dissidenten, nicht Menem-freundlichen Arm der CGT entstandene CTA
(Central de Trabajadores Argentinos) rief bereits 1993 dazu auf, nun nicht mehr nur
53
ArbeiterInnen zu vertreten, sondern auch die rasant steigende Anzahl der Arbeitslosen und
RenterInnen, deren Überleben kaum mehr gesichert werden konnte (Sukup 2007: 99). Mit
dem Zerfall der Gewerkschaften traten Arbeitslosenbewegungen (MTD) auf das Feld,
welche die Funktion der früheren Gewerkschaftsbewegungen in ähnlicher Weise fortführten
und, wie am Beispiel der MTD Solano im Stadtteil Quilmes, oftmals sogar die Verwaltung
von staatlichen Arbeitsprogrammen selbstständig übernahmen (Colectivo Situaciones 2003:
90). Über die verschiedenen Arbeitslosenbewegungen wurden Kenntnisse und Erfolge geteilt
sowie soziale Netzwerke miteinander verbunden. Ihre internen sowie externen
Organisationsweisen folgen keinem einheitlichen Muster und sind in vielen Fällen eher lose
als eng. Die Arbeitslosenvereinigung Coodinadora de Trabajadores Desocupados Aníbal
(CTD) oder die MTD, aus welchen später die Bewegung der piqueteros hervorgehen sollte,
stellen wichtige Beispiele für so schlecht durchstrukturierte Organisationen dar (Colectivo
Situaciones 2003: 73).
Mit der Bewegung der piqueteros traten auch die städtischen Unterschichten als politische
Akteure auf, die ihre sozialen Rechte ohne unmittelbaren Bezug zur peronistischen
Sozialpolitik einzufordern suchten. Zwischen 2000 und 2001 weitete sich der soziale Protest
auf alle größeren Städte und Provinzen aus, besonders in Buenos Aires war er nicht mehr zu
übersehen. Fortan hatten die piqueteros einen festen Organisationskern vorzuweisen. Die
Anzahl der besetzten Fabriken häufte sich und die öffentlichen Beschäftigten initiierten in
abnehmenden Abständen Streiks von zunehmender Intensität. Nach den Demonstrationen im
Dezember 2001 erschienen immer mehr Organisationen und Aktionen, die die bestehenden
politischen Machtstrukturen offen infrage stellten. Den Kern dieser Protestkultur formten
zweifellos die piqueteros, es gab aber viele andere Initiativen, die sich gegen die
bestehenden Zustände wehrten: Stadtteilversammlungen, Menschenrechtsbewegungen wie
die H.I.J.O.S oder Plaza del Mayo, die Bewegung der ArbeiterInnen oder die
FabrikbesetzerInnen. Über Tauschringe (trueques) wurde solidarökonomisches Wirtschaften
praktiziert, indem Güter oder Dienstleistungen gegen andere Dienstleistungen oder Güter
getauscht wurden. Außerdem begannen zahllose cartoneros die Straßen von Buenos Aires
und anderen Städten zu füllen.
Durch die Mobilisierungen und Straßenblockaden der Arbeiterbewegungen, insbesondere
jener von MTD (Colectivo Situaciones 2003: 90-93), ab der zweiten Hälfte der 1990er
nahmen an der Protestaktionen nicht mehr nur die verarmten Mittelschichten, Erdölarbeiter,
54
Eisenbahner, Textilarbeiterinnen und andere, denen die Existenzgrundlagen durch die
menemsche Deregulierungspolitik entzogen worden waren (Sukup 2007: 98), teil.
Insbesondere die piqueteros kämpften als politische Akteure neben den bekannten
Forderungen nach Arbeit und Recht auch gegen die Individualisierung der sozialen
Probleme und gegen die kapitalistische Wettbewerbskultur (Colectivo Situaciones 2003: 93).
Durch den politischen Zusammenbruch 2001 begegneten breite Teile der Mittel- und
Unterschichten neuen Formen von politischer Partizipation und Entscheidungsfindung. Die
öffentlichen Diskussionen in den Stadtteilversammlungen, bei den piqueteros und in den
Fabriken verschafften von der Armut betroffenen Menschen aus allen sozialen Schichten
vorübergehend Austausch, Solidarität, Beschäftigung und gemeinsame Integration in die
wirtschaftlichen Produktionsbeziehungen (Boris/Tittor 2006: 72). Solange sich alle in der
gleichen misslichen Lage befanden, gelang es zumindest auf einer allgemeinen Ebene,
gemeinsame Forderungen und breite Solidaritätsbekundungen zu formulieren. Obwohl die
Hetereogenität der neuen sozialen Akteure eine gemeinsame Organisation und Artikulation
verhinderte, veranlasste die Krise breite soziale Segmente dazu, sich in existierende Formen
der Subsistenzwirtschaft einzugliedern. Viele von der Armut betroffene Menschen schlossen
sich den piqueteros an, um dadurch Nahrungsmittelpakete oder Unterstützungsgelder zu
erhalten, gingen mit den cartoneros Abfall sammeln oder beteiligten sich an
nachbarschaftlichen Tauschringen (trueques) (Palomino 2005: 22-24., zit. nach Boris/Tittor
2006: 71-72).
Später, unter der Regierung von Néstor Kirchner, sollte jene soziale Heterogenität, die die
argentinischen Widerstandsbewegungen auszeichnete, langsam wieder abnehmen. Seitdem
Kirchner 2003 das politische Ruder übernommen hatte, begannen Wirtschaft und
Arbeitsplätze wieder zu wachsen. Das rasche Wirtschaftswachstum (8,7 % im Jahre 2003)
bewirkte, dass viele hoch und höher qualifizierte ArbeiterInnen der abgestiegenen
Mittelschichten wieder Arbeit fanden und in ihren Alltag zurückkehrten (Boris/Tittor 2006:
72). Mit der Wiederaufnahme der Erwerbsarbeit entsolidarisierten sich breite Teile der
Mittelschichten zunehmend von den sozialen Forderungen der verarmten Unterschicht.
Ebenso wie sich Erwerbstätige von der zurückbleibenden Unterschicht distanzierten, nahmen
sie nach und nach von den Forderungen der Menschenrechts- und der piqueteroOrganisationen Abstand. Zum einen, weil Kirchners anhaltender Populismus für viele
ideologisch vertretbaren Ersatz zu bieten hatte. Zum anderen, weil starke Flügel der
piquetero-Bewegungen Teil der klientelistischen Strukturen des von Kirchner praktizierten
Peronismus wurden. Der regierungskritische Rest der piquetero-Bewegung setzte seine
55
Arbeit gegen Desintegration und soziale Fragmentierung zwar fort, hatte aber erheblich an
Einflussgröße
verloren.
Den
vormals
starken
Stadtteilversammlungen
und
FabrikbesetzerInnen erging es ähnlich. Einzig die cartoneros hatten kaum an kontroverspolitischer Stärke verloren (Boris/Tittor 2006: 72).
4.1.3 Vom ciruja zum cartonero
Die landläufige Entstehungsgeschichte der cartoneros beginnt häufig erst in den 1990er
Jahren, je mancherorts bei 2001. Bei endlosen Schlangen an Menschen vor den
Restmüllcontainern von Restaurants und Supermärkten, die darauf hofften, Küchen- oder
Lebensmittelabfälle erbitten zu können, um sich selbst und seine Familie weiterhin zu
ernähren (vgl. Schamber 2008, vgl. Vega Martínez 2012, vgl. Paiva 2008). Was anfangs auf
das Konsumieren der Abfälle von Supermärkten oder Restaurants beschränkt war, weitete
sich mit der fortschreitenden Arbeitslosigkeit zur massenhaften Sammlung von
Wiederverkaufbarem in Müllcontainern und -säcken auf Straßen oder Müllhalden aus. Dass
die cartoneros in Buenos Aires an die um 1850 aufgekommene Tradition der quemeros und
cirujas anknüpfen, wird oft in den Hintergrund gedrängt. Um das Gebiet der
Müllverbrennungsanlage „La Quema“ lebten bereits Ende des 19. Jahrhunderts um die 3.000
quemeros und raneros, Sie durchsuchten den Müll nach Lumpen, Glas, Papier, Plunder und
Flaschen, um ihn später an Trödler oder Sammler in der Region zu verkaufen oder
Gebrauchsgegenstände daraus zu basteln. Auf diese Weise wurden damals schon viele
Gegenstände wiederverwertet, die bereits als Gerümpel auf dem Müllhaufen lagen
(Schamber/Suárez 2007: 27-26).
Der Begriff ciruja, der etwa ab den 1930er Jahren Verwendung fand, leitete sich aus einer
romantischen Analogie zum Beruf des Chirurgen ab. Cammarota vermutete, dass durch
diesen Verweis dem Schaffen der „cirjuanos de la basura14“ Ästhetik verliehen werden sollte
(Cammarota 1970, zit. nach Schamber 2008: 78). 1926 komponierte Alfredo Marino ein
dazu passendes Volkslied, das die quemeros mit dem cirujeo des Chirurgen
zusammenführte. Ein mit einem Messer hantierender Abfallsammler versuchte, die Plane
eines Müllwagens aufzuschlitzen, damit sie sich öffnete und der Müll herausfallen konnte.
Auf Marinos Mythos basierend blieb die ästhetisierte Idee des chirurgischen Abfallsammlers
bis in die 1990er erhalten (Schamber 2008: 78).
14 „Chirurgen des Abfalls“
56
Bis etwa zur zweiten Hälfte der 1990er blieben die Abfallsammelnden überwiegend mit den
klassischen Stereotypen behaftet, mit denen AbfallsammlerInnen in anderen Ländern,
Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Ägypten, Nigeria und Ghana auch heute noch zu kämpfen
haben. In ihrer sozialen Randständigkeit stigmatisiert, wurden sie von der Mehrheit der
bonaerensischen Stadtbevölkerung als arbeitslose Herumtreiber wahrgenommen, deren
Möglichkeiten zur gesellschaftlichen (Re-)Integration erschöpft waren. Das Hantieren mit
gesellschaftlich entwerteten Gegenständen, Müll, brachte sie in direkten Zusammenhang mit
Ekel, Dreck und Schmutz (vgl. Santisteban 2008) und war oftmals Grund dafür, dass sie
missachtet und gemieden wurden. MüllarbeiterInnen wurden sie mit anderen „dreckigen“,
gesellschaftlich marginalisierten Menschen gleichgesetzt: sin techos, Penner, Vagabunden,
Clochards oder Bettler, die entweder auf Straßen, unter Brücken oder in villas de emergenica
lebten (Schamber 2008: 80). In den 1990ern begann sich das Bild vom ausgestoßenen ciruja
allmählich zu ändern.
Die überwiegende Mehrheit der AbfallsammlerInnen begann ihre Tätigkeit erst in den
1990ern, als sich eine massenhafte Verknappung der Arbeitsplätze zeigte und die Reallöhne
stark zu sinken begannen. Sie durchstöberten den Müll auf den Straßen von Buenos Aires,
um darin etwas zu essen oder Gebrauchsgegenstände für den Eigengebrauch oder den
Verkauf zu suchen. Unter die strukturell von der Armut betroffenen cirujas mischten sich
Personen der Mittelschicht, die im Zuge der Krise ihre Arbeitsplätze verloren. Eine dazu
passende Erhebung im Auftrag des städtischen Programa de Recuperadores Urbanos (PRU),
das vom Sekretariat für Umweltpolitik und Stadtplanung für die Registrierung der cartoneros
beauftragt wurde, erhob 2002, dass über zwei Drittel der 1000 befragten cartoneros erst
zwischen 2000 und 2001 mit der Abfallsammlung begonnen hatten. Außerdem zeigte die
Untersuchung, dass sich sieben von zehn cartoneros in den letzten fünf Jahren vor der
Abfallsammlung in formalen Arbeitsverhältnissen befanden (PRU 2002: 6).
Vor dem Hintergrund der vormaligen Erwerbstätigkeit betrachtete Eduardo Anguita die
cartoneros als eine von sozioökonomischen Transformationen bedingte Erscheinung, die an
steigende Arbeitslosigkeit und Preissteigerung gekoppelt ist (Anguita 2003: 13-14). Wie
Anguita führte Mercedes Vega Martínez die Entstehung der cartoneros hauptsächlich auf das
Ansteigen der Arbeitslosenrate zurück, die bis zum Jahre 2002 eine regelrechte Masse an
Verarmten hervorbrachte, denen die ökonomischen Mittel fehlten, um sich wenigstens das
materielle Überleben zu sichern. Sie führte die steigende Anzahl an cartoneros ab den
1990ern auf die fehlenden Einkommensalternativen zurück: „[A]ltísimos niveles de
desocupación producen que grandes fracciones sociales no tengan ni quisiera como
57
reproducir su propia vida material. No es que [hay] múltiples formas de superar la crisis”15
(Vega Martínez 2012).
Die Gruppe von cirujas, die auf eine lange Sammelerfahrung zurückblicken konnte, hörte
innerhalb kurzer Zeit auf als solche zu existieren. Die steigende Menge an cartoneros als
Reaktion auf die einschneidende Arbeitslosigkeit machte die AbfallsammlerInnen zur
homogenisierten Erscheinungen, die undifferenziert als „neue, soziale Objekte“ (Paiva 2008:
95) wahrgenommen wurden.
Um die neuen AbfallsammlerInnen von den strukturellen cirujas zu unterscheiden, wurde
eine neue Analysekategorie geschaffen, die vorrangig auf ihre kurzzeitige Tätigkeitsdauer
verwies – „cirujas por caída“ („AbfallsammlerInnen durch sozialen Abstieg“) oder „ciruja
por circunstancia“ („umstandsbedingte AbfallsammlerInnen“) (Suárez 2001, zit. nach
Perelman 2007: 250).
Zum „neuen, sozialen Objekt“: Die Geschichten von Noemi und Palacios
Das Pärchen Noemi Preyra und Daniel Palacios, die ihren Abfall in Belgrano sammeln,
repräsentieren die Geschichte vieler „neuer“ cartoneros. Für das Pärchen war das cartoneroWerden
ein
graduell
verlaufender
Prozess,
der
1999
mit
der
Abnahme
des
Familieneinkommens begann. Auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten begleitete
Noemi eine Nachbarin zu den Containern von Restaurants und Supermärkten, um übrige
Lebensmittel zu erbitten. Als wegen zu großer Nachfrage keine Nahrungsmittel mehr
ausgegeben wurden, begann sie mit einem Einkaufswagen regelmäßige Runden zu drehen
und Papier und Karton zu sammeln. Zur Verstärkung der Sammelaktivität nahm sie Leandro,
ihren 8-jährigen Sohn, mit (Palacios 2003, zit. nach Koehs 2007: 189-190).
Ihre ökonomische Situation begann sich erneut zu verschlechtern, als auch Daniel Ende 1999
seine Stelle als Busfahrer verlor. Zuvor war er nach Arbeitsende zuhause geblieben, um auf
ihre zwei weiteren Kinder aufzupassen, während Noemi arbeitete. Ihre finanzielle Lage
zwang
schließlich
die
gesamte
Familie
dazu,
der
Abfallsammlung
regelmäßig
nachzukommen. Bevor Daniel selbst mit dem Sammeln begann, empfand er Verachtung
15 „Enorm hohe Arbeitslosenraten haben zur Folge, dass große soziale Fraktionen nicht einmal ihr eigenes, materiales
Leben reproduzieren können. Es ist nicht so, dass es viele verschiedene Formen gäbe, die Krise zu überstehen“.
58
gegenüber den „negritos de la calle“16. Heute, zehn Jahre später, betrachtet er sich als einer
von „ihnen“ (Palacios 2003, zit. nach Koehs 2007: 189-190):
„Es como todo, te acostumbras a todo esto como un proceso. Primero te daña moralmente, ¿no?
Que contradictorio, de manejar un colectivo a agarrar un carrito. Moralmente un poco te daña
y segundo es custión de adaptarte, de acostumbrarte, como yo siempre digo, mi consuelo – no es
consuelo – pero sé que hay gente que está peor que yo. Y bueno, saber que lo que me está
pasando a mi es una etapa que pronto se va a superar.“ (Palacios 2003, zit. nach Koehs 2007:
190)17.
2003, fünf Jahre später, fuhr die Familie immer noch jeden Abend mit dem Zug nach
Belgrano, um dort den Abfall zu sammeln, der von den Nachbarn bereits getrennt und für sie
aufbewahrt wurde. Mittlerweile war Daniel aber als Abgeordneter des Tren Blanco politisch
aktiv geworden und nahm an Diskussionsrunden des PRU teil (Palacios 2003, zit. nach
Koehs 2007: 190).
4.1.4 Die formelle Abfallwirtschaft von Buenos Aires
Der Großraum von Buenos Aires besteht aus mehreren Zonen – Nord, Süd und Ost – die
sich wiederum in verschieden große Kreise und Gebiete unterteilen lassen. Der Großraum
umfasst die Hauptstadt (Stadt Buenos Aires, Capital Federal) und 24 Landkreise
(Provinzen), die zusammen als bonaerensisches Ballungsgebiet (conurbano bonaerense)
bezeichnet werden. Das Stadtgebiet von Buenos Aires umfasst 48 Stadtviertel (barrios).
Einer Zensuszählung aus dem Jahre 2011 zufolge lebten von 40,1 Millionen Menschen 15,6
im Großraum und 2,9 in der Stadt Buenos Aires. Von 2001 auf 2011 ist die Einwohnerzahl
im Großraum um 1,8 Millionen Menschen gestiegen, um 1,7 Millionen in den Provinzen und
um 100.000 in der Stadt von Buenos Aires (INDEC 2011).
Der Jungfrau der guten Lüfte, der „Virgen de Bonaria von Cagliari“, geweiht, wurde „Buen
Ayre“ 1536 vom spanischen Konquistador Pedro de Mendoza auf der Fläche des heute
denkmalgeschützten Stadtteils San Telmo im innerstädtischen Börsen- und Geschäftsviertel
(landläufig „microcentro“) gegründet. Wegen seines Meereszugangs entwickelte sich
Buenos Aires für die spanische Kolonialmacht rasch zum wichtigsten Handelszentrum
Südamerikas. Als die spanischen Kolonialherren an Einfluss auf das Land verloren, wurde
die Stadt unter Karl III von Spanien zu einem offenen Hafen erklärt. 1776 wurde Buenos
Aires zur Hauptstadt des Vizekönigreichs Río de la Plata ernannt.
16 vgl. „Neger der Straße“
17 „Es ist wie alles andere, man gewöhnt sich an alles. Anfangs trifft es dich moralisch, nicht? Welch Widerspruch, vom
Stadtbusfahren zum Handkarrenschieben. Moralisch trifft es dich ein bisschen, danach ist es eine Anpassungsfrage, eine
Frage der Gewohnheit. Als Trost sage ich mir immer – es ist eigentlich kein Trost – es gibt Menschen, denen es
schlimmer geht wie mir. Und ich weiß, dass das was mir hier passiert nur eine Etappe ist, die bald überstanden ist.“
59
Zwischen 1856 und 1866 wurde das Bahn- und Busnetz der Stadt ausgebaut. Zu jenem
Zeitpunkt wurde auch mit hygienischen und städtebaulichen Vorkehrungen begonnen, um
Seuchen und Krankheiten fernzuhalten. 1860 war eine Geldfieberepidemie ausgebrochen,
die seines dazu beitrug, dass die Stadt 1870 nicht mehr als 270.000 Einwohner zählte
(Levene 1939: 102). Bald darauf, 1880, wurde die Stadt unter dem argentinischen General
Julio Argentino Roca zur Hauptstadt Argentiniens erklärt. Um die Jahrhundertwende hatte
sich Buenos Aires zu einer der größten und wichtigsten Städte Lateinamerikas entwickelt.
Da sich die Modernisierung des Landes vorrangig in Buenos Aires vollzog, ließ sich die
Mehrheit der europäischen Zuwanderer in der Hauptstadt nieder.
So
überschritt
Buenos
Aires
um
die
Jahrhundertwende
als
eine
der
ersten
lateinamerikanischen Städte die Millionengrenze (Blum 1998: 176). Im Laufe des 20.
Jahrhunderts wuchs die Stadt kontinuierlich weiter, bis sie in den 1990ern eine
Urbanisierungsrate aufweisen konnte, die 83 mal höher war als jene der 1930er Jahre.
Politisch ist die Stadt Buenos Aires seit 1994 getrennt von den umliegenden Provinzen
organisiert. Unter der Nationalregierung von Fernando de la Rúa wurde die Stadt Buenos
Aires 1996 zu einer unabhängigen Verwaltungszone („Ciudad Autónoma de Buenos Aires“)
mit eigener Verfassung18 (Buenos Aires Ciudad 2012b).
Buenos Aires besitzt bis heute keine eigenen Recyclinganlagen. Auf die Möglichkeit zur
Wiederverwertung und zur Rückgewinnung von Rohstoffen im Zuge der Abfallsammlung
und -beseitigung wurde bisher verzichtet, weil sich für die CEAMSE zu hohe Kosten für die
Einrichtung und Erhaltung der Aufbereitungsanlagen ergeben hätten (Alvarez 2011: 7). Das
offizielle Recycling erfolgt über die Kooperation des staatlichen Abfallunternehmens
Cinturón Ecológico Área Metropolitana Sociedad del Estado (CEAMSE) mit mehreren
registrierten Abfallkooperativen (= recolección differenciada). Gleichzeitig mit dem Verbot
des individuellen und nicht-konzessierten Abfallsammelns (Municipalidad de la Ciudad de
Buenos Aires 1977) startete die Müllverbrennungs- und Müllentsorgungsanlage CEAMSE
1977 als Zusammenschluss von der Regierung von Buenos Aires und den umliegenden
Provinzen für den Großraum von Buenos Aires zuständiger Endlagerungsbetrieb. Bevor die
18 Zuvor war Buenos Aires als „Capital Federal“ nationales Hoheitsgebiet, das unter der Herrschaftsgewalt des
argentinischen Staates stand. Auch in lokalen verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten waren Gerichte zuständig, die
zwar lokal waren, aber von der Nation unterhalten wurden. Der Verfassungsreform im Jahre 1994 wurde auch eine
Reformierung des bonaerensischen Verwaltungsrechts angeschlossen. Durch die eigene Verfassung gab sich die Stadt
Buenos Aires die gleichen Rechte wie die Provinzen. Die Stadt erhielt die Gerichtshoheit bei Ordnungswidrigkeiten,
lokalen Steuern, Nachbarschaftsrechten und verwaltungsrechtlichen Sachverhalten (Junge 2002: 238).
60
Anlage ihre Tätigkeit aufnahm, war es üblich, den städtischen Hausmüll in privaten
Müllverbrennungen zu entsorgen. 1978 bekam die CEAMSE den alleinigen Auftrag, den
gesamten Müll des Großraums zu beseitigen, zu verdichten und abzulagern (Provincia de
Buenos Aires 1978). 1978 und 1979 wurden in der Stadt Buenos Aires und in der
umliegenden Provinz weitere Müllhalden und Verbrennungsanlagen angelegt, in denen das
Abfallsammeln verboten wurde. Daneben wurde Müll privatisiert. Sobald der Abfall vor die
Tür gestellt oder in Container geworfen wurde, wurde er zum Eigentum der CEAMSE. Die
CEAMSE sollte fortan das Monopol auf den Müll und die Straßenreinigung besitzen. Wegen
der konstanten, finanziellen Engpässe war es der CEAMSE nicht möglich, ihren Fuhrpark
soweit auszuweiten, dass sie das steigende Aufkommen an Müll abtransportieren konnte.
Ohne Zutun der CEAMSE begannen immer mehr private vom Staat beauftragte
Abfallunternehmen
den
Abfallunternehmen
führte
Handel
zu
mit
einer
Rohstoffen.
sukzessiven
Die
Zunahme
Privatisierung
der
der
privaten
städtischen
Mülldienstleistungen, insbesondere aber des Hausmülls (Schamber 2008: 63-67).
Eigene Schätzungen der CEAMSE berichten von einem Zuständigkeitsbereich, in dem sich
ungefähr ein Drittel des gesamten argentinischen Müllaufkommens befindet. Die CEAMSE
lagert mit ungefähr drei Millionen Tonnen (2010) jährlich den Müll von in etwa 40% der
gesamten
argentinischen
Industrie
und
13
Millionen
StadtbewohnerInnen.
Der
firmeneigenen Website war zu entnehmen, dass das Unternehmen zwischen den Jahren 2001
und 2003 Transporteinbrüche verzeichnete, aufgrund derer in etwa 110 bis 120% weniger
Müll transportiert wurden als im Jahre 2010 (CEAMSE 2012).
Die großflächige Sammlung und Entsorgung von Haus-, Handels-, Verwaltungs- und
Industriemüll (Hausmüllerzeuger, „generadores domicilarios“, und große Erzeuger,
„generadores grandes“, „generadores comericales“, ...) erfolgt in Buenos Aires über die
Kollaboration von der CEAMSE und mehreren privaten Abfallunternehmen. Zwischen 1977
und 2012 hat sich die Anzahl von drei auf sieben erhöht. Innerhalb des städtischen Bereiches
werden die Sammlung und der Transport von Müll von Sammelunternehmen vollzogen, die
an sechs Tagen einer Kalenderwoche mit Hausmüll gefüllte Abfallcontainer aus bestimmten
Zonen der Stadt abholen. In Buenos Aires sind gegenwärtig sieben Unternehmen (CLIBA,
AESA de Buenos Aires, UBASUR, NITIDA, EHU, GALU und INTEGRA) für den
Transport von Müll zugelassen, unter denen die Sammelzonen der Stadt aufgeteilt wurden.
Befördert wird der Müll zu mehreren Sammelstellen, die sich im Besitz des staatlich
organisierten Abfallunternehmens CEAMSE befinden (CEAMSE 2012a). Von den
städtischen Sammelstellen wird der Abfall zu drei in den Vierteln Colegiales, Flores und
61
Pompeya angesiedelten Transferzentren und später zu den Endlagerplätzen (rellenos
sanitaros) gebracht.
Im Verzeichnis der Dirección General de Politicas del Reciclado Urbano (DGPRU) befinden
sich 14 registrierte Abfallkooperativen19, welche die Sammlung und Trennung von Abfall in
Zusammenarbeit mit der CEAMSE betreiben. Die CEAMSE transportiert täglich mehrere
Tonnen Abfall zu den Trennungsanlagen (plantas de clasificación) der Kooperativen, welche
sich am Gelände der Mülldeponie Norte III befinden. Die Kooperativen El Ceibo und El
Álamo haben dabei einen Sonderstatus inne, denn ihre Sortieranlagen wurden nicht am
Gelände der Mülldeponie, sondern in der Nähe ihrer Standorte im Stadtzentrum von Buenos
Aires eingerichtet wurde. Der Großteil der gesammelten Abfallprodukte wird zu den rellenos
sanitarios der CEAMSE gebracht, wo er endgelagert wird (disposición final). Alle vier bis
jetzt gegründeten Mülldeponien der CEAMSE (J.L Suárez, Villa Domínico, Punta Lara und
La Matanza) befinden sich außerhalb der Stadt in angrenzenden den Provinzen (Alvarez
2011: 10; 14). Neben der monopolisierten CEAMSE existieren im Großraum Buenos Aires
über 100 nicht genehmigte Mülldeponien, die auf ein mangelhaftes Entsorgungssystem
zurückzuführen sind. Sie sind überwiegend in jenen Vierteln zu finden, wo entweder die
Entsorgung unorganisiert ist oder Entsorgungsunternehmen ihre Transportausgaben gering
halten wollen (Bierbrauer 2011: 33).
4.2
Formalisierungsprozess
Nachdem die Anzahl der cartoneros so rasch gestiegen war, begannen die Medien auf sie
aufmerksam zu werden. Der Kampf um die Legalisierung ihrer Arbeit und die Frage um das
Arbeitsrecht der cartoneros wurden gegen Ende 2002 somit zu einem wichtigen Thema in
der öffentlichen Debatte. Als der Bürgermeister von Buenos Aires Mauricio Macri die
bestehende Abfallpolitik bedroht sah, setzte er auf politische Maßnahmen, mit welchen die
cartoneros aus der Stadt zu vertrieben werden sollten. Die Einrichtung von mehreren über
die Stadt verteilten Sortieranlagen (Centros Verdes) war dabei ein wichtiger Punkt:
19 Cooperativa Ecológica de Recicladores del Bajo Flores (CERBAF), Cooperativa Ecológica Reciclando Sueños,
Cooperativa El Ceibo, Cooperativa El Álamo, Cooperativa del OESTE, Cooperativa La Esperanza, Cooperativa Los
amigos del tren, Asociación El Amanecer de los Cartoneros (MTE), Cooperativa Sud, Cooperativa El Trébol, Esperanza
y Futuro, Ave Fénix (Buenos Aires Ciudad 2012c)
62
„Formar cooperativas no resuelve nada (…) Los vamos a sacar de la calle (…) Tienes que
darles una alternativa, como contratar a unos miles para que hagan la separación de
residuos dentro de los centros de procesamiento [=centros verdes, R.H.], y no en la calle“
(Mauricio Macri, La Nación, 27. 08. 2002)20.
Die Unstimmigkeiten auf Regierungsebene knüpften an jene Streitigkeiten an, die in Bezug
auf die Beschäftigung schon lange stattgefunden hatten. Die Kontroversen in der
Vergangenheit begründeten sich auf die verschiedenen Konzeptualisierungen der
unterschiedlichen Akteure in der Abfallwirtschaft, die sowohl die Interessen, Erfahrungen
als auch die Lebenswege der Sammelnden berücksichtigten. 1977, als von der
Militärregierung das individuelle Sammeln von Abfall verboten wurde (Schamber 2008: 5960), wurde das Konzept zur städtischen Abfallsammlung zugunsten der beauftragten
Sammlerfirmen grundlegend umgestaltet, so dass die Abfallunternehmen begannen, ihre
Preise nach gesammelten Tonnen zu gestalten. Nach der neoliberalen Idee sollten alle
Schranken abgebaut werden, die den freien Wettbewerb unter den Abfallunternehmen
behindern. Zu Zeiten, als Abfallsammeln als eine Tätigkeit der Marginalisierten und als
ökonomisch belanglose Tätigkeit angesehen wurde, versuchte man mit Verboten gegen
individuelles Abfallsammeln vorzugehen. Mit der krisenbedingten Arbeitslosigkeit 2001
wurde
die
hohe
Beteiligung
sichtbar,
welche
die
AbfallsammlerInnen
an
der
Abfallwirtschaft hatten. Die starke öffentliche Erscheinung und der Druck von cartoneros,
Kooperativen und dem peronistischen Abgeordneten Eduardo Valdés bewirkte mehrere
Initiativen, Tagungen und Konferenzen21, auf denen über die Integration der cartoneros in
die formelle Abfallwirtschaft diskutiert wurde. Der Anstoß für das Ley 992 wurde durch
Valdés bekanntester Initiative „El trabajo no es basura“ gegeben, im Zuge derer wichtige
Vertreter der Abfallwirtschaft das Ley 992 ausverhandelten. Valdés versuchte zwischen
2000 und 2002 mit mehreren, darunter auch gescheiterten, Initiativen, die Gesellschaft
darauf aufmerksam zu machen, dass Abfallsammlung ebenso eine Form von Arbeit ist, wie
jede andere auch (Koehls 2007: 200-201).
20 „Die Gründung von Kooperativen ist kein Lösungsansatz. Dies ist ein Millionengeschäft und die cartoneros nehmen
darin eine kriminelle Position ein, weil sie den Müll rauben. Zudem zahlen sie weder Steuern noch kann die Tätigkeit,
die sie ausüben, als human betrachtet werden. Die informellen AbfallsammlerInnen sollen nicht auf den Straßen sein.
Wir werden sie von den Straßen holen. Man muss ihnen dafür eine Alternative bieten, wie zum Beispiel einige Tausend
unter Vertrag zu nehmen, die die Trennung des Abfalls dann in den Verarbeitungszentren („centros verdes“) vollziehen,
und nicht auf der Straße“ (R.H.).
21 „El trabajo no es basura“, „Reciclando valores“ vom Ministerio de Trabajo y Seguridad Social, Comisión Nacional para
la Erradicación de Trabajo Infantil, „I Jornada de Debate Público sobre Reciclaje“ - Fundación Ciudad „Cartoneros por
la vida“ - Centro Cultural Ricardo Rojas (UBA).
63
Von der Erkenntnis geleitet, dass Repression von und Gewalt gegen die zunehmende Menge
von cartoneros weder das Weiterfunktionieren der formalen Abfallwirtschaft sicherzustellen
vermochten, noch die soziale Situation der AbfallsammlerInnen verbessern würde, nahm die
Politik von der Ausgrenzungspolitik Abstand und bemühten sich in Form umweltpolitischer
Recyclingstrategien darum, ein integratives Regelwerk zu schaffen, das sowohl die
recuperadores urbanos als auch die cartoneros in die städtische Abfallwirtschaft miteinbezog
(vgl. Paiva 2008: 51-52). Mit dem Ley 992 sollten einige Verbesserungen an der prekären
Arbeitssituation der cartoneros gemacht werden. Die wichtigste Errungenschaft dieses
Erlasses war zunächst die Aufhebung des Verbots des individuellen Abfallsammlung und die
Legalisierung der cartoneros individuales (Garbois 2012), ohne ihre expliziten
Tätigkeitsfelder genau abzustecken. Mit der Legalisierung wurde auch angedeutet, dass die
Regierung eine Zusammenarbeit des städtischen Abfallunternehmens CEAMSE mit den
privaten Abfallunternehmen und den individuellen Abfallsammlern anstrebte (Reynals 2003:
47). Zusammen mit der Legalisierung im Jahre 2002 wurden Maßnahmen eingeführt, die die
Arbeit erleichtern und systematisieren sollten.
Mit Martin Medina können die wesentlichen legislativen Veränderungen mit dem Ley 992 in
16 Punkten zusammengefasst werden (2007: 173-174):
1. Das Abfallsammeln in der Stadt Buenos Aires wurde zu einer legalen Tätigkeit.
2. Ein neuer Ansatz zur städtischen Abfallwirtschaft wurde vorgestellt, der die
Wiederwertung von Abfallprodukten vorsah.
3. Individuen, Kooperativen und andere Abfallsammelnden wurden als solchen
anerkannt.
4. Die Stadt Buenos Aires erhielt den Auftrag, gemeinsam mit anderen Regierungen
und Organisationen Programme auszuarbeiten, die den Abfallsammelnden
Unterstützungen bieten sollten.
5. Die Ausarbeitung eines Plans zur Trennung von Abfall am Ort seiner Entstehung
wurde angeordnet.
6. Ein Bildungsprogramm wurde gestartet, das über die Bedeutung des Recyclings für
den Umweltschutz informieren sollte.
7. AbfallsammlerInnen können sich als solche registrieren lassen, sie erhalten damit
einen offiziellen Ausweis als Abfallsammelnde und Arbeitskleidung.
8. Ein Beratungsstelle wurde eingerichtet, die Abfallsammelnde Hilfestellungen für
64
Gründungen von Kooperativen und Kleinunternehmen, Marketing und
Gesundheitsschutz gibt.
9. Die Sammlung, der Verkauf und die Verwendung von Lebensmittelabfällen wurden
verboten
10. Das Programa de Recuperadores Urbanos (PRU) wurde eingerichtet.
11. Registrierte AbfallsammlerInnen erhielten die Erlaubnis, Abfall vom den Straßen zu
sammeln und mit Haushalten, Handelsbetrieben und Organisationen das Vorrecht auf
ihren Abfall auszuhandeln.
12. AbfallsammlerInnen wurde es verboten, Abfall aus Krankenhäusern oder anderen
gesundheitsgefährdend Einrichtungen zu sammeln.
13. Neben dem Hauptsitz des PRU wurden auch Bezirksbüros eingerichtet, in denen sich
die cartoneros registrieren können.
14. Der Stadt Buenos Aires wurde das Recht zugesprochen, in bestimmten Bereichen der
Stadt Konzessionen für die Sammlung von Abfall zu vergeben. Das Vorrecht wurde
bereits ansässigen Kooperativen, Mikrounternehmen oder Individuen zugesprochen.
15. Die Bezirksbüros des PRU wurden dazu verpflichtet, das Register der
AbfallsammlerInnen zu warten und ihre Aktivitäten sowie Arbeitsbereiche zu
überwachen.
16. Ein Register für Kooperativen und Mikrounternehmen (Registro Permanente de
Cooperatives y Pequeñas y Medianas Empresas, REPYME) wurde eingerichtet.
Mit der Anerkennung der AbfallsammlerInnen und der Integration der cartoneros in die
Abfallwirtschaft wurden die cartoneros offiziell zu einem Teil der bonaerensischen
Abfallwirtschaft und ihr Tätigkeitsfeld öffentlich benannt.
Trotz des Ley 992 zeigte sich bei der Erneuerung der Konzession zur städtischen Sauberkeit
im Jahre 2003, dass kein entschiedenes Interesse zur Integration der selbstständigen
AbfallsammlerInnen bestand. Die Verträge mit den Abfallunternehmen wurden verlängert.
Die Abfallunternehmen blieben damit weiterhin die wichtigsten Kooperationspartner der
CEAMSE. Den Abfallunternehmen wurde weiter noch die Sammlung von Abfall aus der
Gastronomie und von öffentlichen Einrichtungen zuerkannt, während den cartoneros
weiterhin keine präzise Regulierung ihrer Arbeit, vor allem aber keine Sicherheiten und
Rechte zugesprochen wurden, wenn sie nicht Mitglied einer Kooperative waren (Reynals
2003: 47-48).
Unter dem Druck verschiedener NGOs wurde 2005 schließlich ein Gesetz (Ley 1854 de
65
Gestión Integral de Residuos Sólidos Urbanos, auch Basura Cero genannt) erlassen, das mit
der allgemeinen Absicht, die Mülldeponien in Buenos Aires zu verkleinern und das
Umweltbewusstsein der Stadt zu vergrößern, die Abfallsammlung der cartoneros in
Teilbereichen regulierte. Die zentralen Aspekte der Novellierung des Abfallgesetzes waren
die Abfallvermeidung, seine bewusste Trennung und die Steigerung der Wiederverwertungsund Sammlungsaktivitäten von Abfallprodukten. Das Gesetz sah eine 1,5 Million Dollar
teure Umstrukturierung der Abfallorganisation vor, die alle Bereiche des Müllzyklus, von
der Entstehung, über die Sammlung, das Recycling, bis hin zur Ablagerung, betraf. Mit dem
Gesetz wurde begonnen, Gruppen von Arbeitenden formalisierte Regeln vorzuschreiben. Die
rechtlichen
Veränderungen
im
Gesetz
„Basura
Cero“
stellten
registrierte
AbfallsammlerInnen in den Mittelpunkt der differenzierten Abfallsammlung und leiteten
Initiativen ein, mit denen die Arbeitsbedingungen der recuperadores urbanos verbessert
werden sollten. Damit wurde festgelegt, dass jeder cartonero eine Zone zugewiesen
bekomme, in der er/sie arbeiten darf und staatlich finanzierte Transportmittel (Tren Blanco
und Kleinlaster) eingeführt, die er/sie für den Weg vom Wohn- zum Arbeitsort und zurück
benutzen konnten. Zudem wurde den recuperadores urbanos die Inklusion in die
Sammelwirtschaft und das Vorrecht auf die Sortierung von Müll und Abfall zugesprochen
und Kredite und Substitutionen für Abfallkooperativen und Klein- und Mittelbetriebe in der
Abfallwirtschaft bereitgestellt (Cutina 2011: 108). Mit der deklarierten Integration der
recuperadores urbanos in die formelle Abfallwirtschaft von Buenos Aires wurden die ersten
normativen Schritte ergriffen, um die Vormachtstellung der privaten Abfallunternehmen
anzugreifen.
Mit dem Gesetz Basura Cero wurde ebenfalls festgelegt, dass das Sammeln und
Wiederverwerten durch die cartoneros in speziellen Sortierzentren, den Centros Verdes para
Recuperadores („Grüne Zentren für AbfallsammlerInnen) stattfinden sollte, während die
geregelte, großräumige Sammlung den Abfallunternehmen vorbehalten blieb. Mit dem
Gesetz wurde den Abfallunternehmen auch die Zulieferung zu den Centros Verdes
vorgeschrieben, wo die cartoneros das angelieferte Material anhäufen, bearbeiten, trennen,
lagern und später an den Rohstoffmarkt verkaufen. Das Programa de Gestión de Centros
Verdes (PGCV) sollte die Umsetzung, die Sicherheit, und die Einhaltung von rechtlichen
Rahmen kontrollieren. Mit dem Programm wird den Kooperativen garantiert, dass sie
Centros Verdes erhalten, sie ihnen zu bestimmten Zeiten zugänglich sind. Die Kooperativen
66
sind dazu verpflichtet, einen jährlichen Arbeitsplan aufzustellen, in dem jene Ausgaben
aufgelistet sind, welche von der Regierung finanziert und über einen Fonds vollständig
gedeckt werden. Die Versorgung der Kooperativen mit Abfallprodukten erfolgt nach der
Anzahl der ArbeiterInnen in der entsprechenden Kooperative (Ciudad Buenos Aires 2005:
21). Das Gesetz betrachtete diese Zentren als Zwischenstationen zwischen der
differenzierten Sammlung und Trennung und der Wiedereingliederung des Materials in die
Industrie als Sekundärrohstoff (Cutina 2011: 109). Centros Verdes waren ein wichtiges
Instrument für die Einrichtung eines gemischten formalen Abfallsystems. Die Centros
Verdes
werden
von
der
Stadtregierung
als
Einrichtungen
mit
reduzierten
Interaktionsschritten zwischen Sammlung und Wiederverwertung verstanden. Der
Weiterverkauf von Materialien an Zwischenhändler oder Verwerter wird wiederum von
einer Vereinigung von recuperadores urbanos betrieben. Das Ziel der Einrichtung von
Centros Verdes sollte sein, die Abfallsammlung zu regeln und die Konzentrationszentren des
informellen Abfallhandels zu zerschlagen. Mit der Einrichtung von Centros Verdes suchte
die Regierung die Konflikte in der Abfallwirtschaft zu reduzieren und der Sammlung ein
sozialeres Profil zu geben (Ciudad Buenos Aires 2012e).
Mit der Einrichtung der Centros Verdes wurden die öffentlichen Konflikte um den Abfall
wie erwartet reduziert, die Durchsetzung des Errichtungsvorhabens generierte aber eine neue
Form von Konflikten. StadtbewohnerInnen aus bürgerlichen Vierteln, in welchen ein solches
Zentrum eingerichtet werden sollte, warfen der Idee vor, sie würde das Bild und die
Lebensqualität des betroffenen Stadtviertels schädigen. Die offenen Auseinandersetzungen
um die Eröffnung des ersten Zentrums führten zu einer Umgestaltung der Pläne zur
integrierten Abfallwirtschaft und zur Einrichtung von nur drei Centros Verdes (Cooperativa
El Ceibo, Cooperativa El Álamo und Cooperativa del Oeste y Reciclando Sueños) und einer
Sortieranlage (planta de clasificación de materiales) in der Stadt von Buenos Aires (Cutina
2011: 110).
Da das Basura Cero-Gesetz nur recuperadores urbanos in der integrierten Abfallwirtschaft
berücksichtigte, entstanden zwischen 2005 und 2006 kontroverse Debatten über die
effiziente und effektive Organisation der gesamten Abfallwirtschaft. Die Diskussionen
brachten
25
Organisationen
und
Verbindungen
aus
Akademikern,
Nichtregierungsorganisationen, Regierungsfunktionären, UnternehmerInnen und cartoneros
(INTI, CAI, Greenpeace, AIDIS, FARN, CEAMSE, CEMA, ARS, GAIA, COPAARA,
Cooperativa El Ceibo, Cooperativa CERBAF, Cooperativa El Álamo, Cooperativa Nuevos
67
Rumbos, und andere) hervor, die gemeinsam versuchten, die Abfallpolitik in partizipativer
Form zu gestalten. Am 27. Mai 2007 wurde die erste Plenarsitzung von den jeweiligen
Interessensgruppen abgehalten, in den sich die VertreterInnen zu sechs Subkommissionen
zusammenfanden (Cutina 2011: 114).
Da das Basura Cero – Gesetz die formell beauftragten Abfallunternehmer begünstigte und
die vielen nicht registrierten cartoneros nicht berücksichtigte, wurden 2007 schließlich die
privaten Verträge mit den beauftragten Abfallunternehmen aufgelöst und ein öffentlicher
Vertrag mit den Abfallkooperativen geschlossen (Garbois 2012). Bis zum Jahr 2005 bezahlte
die CEAMSE den beauftragten Abfallunternehmen nach Gewicht. Mit der Zunahme der
cartoneros konnten die Abfallunternehmen immer weniger Abfallprodukte sammeln und
erlitten starke Einkommenseinbußen (Bierbrauer 2011: 33). Statt die formellen-informellen
Konflikte um den Abfall zu lösen, verstärkte die Politik die Konflikte durch neuen
Konzessionen lediglich. Durch das steigende Interesse der Politik, intensiver Umweltpolitik
zu betreiben und die Mülldeponien mengen- und flächenmäßig zu verkleinern, fürchteten
profitorientierte Sammler-, Recycling- und Transportunternehmen Einbußen in ihren
Wirtschaftsbilanzen (The Argentina Independent 2012).
Auf dem Gesetz basierend wurden 2005 vom Ministerium für Umwelt und öffentlichen
Raum mehrere laufende Programme entwickelt, welche für die Formalisierung der Arbeit
der cartoneros, somit auch für ihre soziale Integration bedeutend waren. Es wurde das
„Programa Integral de Logística“ (PIL) gestartet, mit welchem der Transport von Materialien
und Personen zu und von den Zonen oder Kooperativen garantiert wurde. Pro Zone wurde
ein Kleinlastwagen zur Verfügung gestellt. Sollten die bereitgestellten Transportmittel mit
den Arbeitszeiten der in Kooperativen arbeitenden recuperadores urbanos nicht korrelieren,
wurde ihnen die Möglichkeit gegeben, die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos zu
benutzen. Über ein anderes Programm zur Bekämpfung von Kinderarbeit (Programa de
Erradicación del Trabajo Infantil, PETI) wurden Kindergärten in den Centros Verdes
eingerichtet und langfristig finanziert. Mit dem Programm (Programa de Inclusión Social
Integral, PISI) wurden minimale Arbeitsstandards für alle in Kooperativen arbeitenden
recuperadores urbanos festgelegt. Die staatlich finanzierten Unterstützungsleistungen
umfassten über den Erhalt einer vergünstigten Sozialversicherung, eine Versicherung für
Arbeitsunfälle, Arbeitsbekleidung und Arbeits- und Gesundheitsschutzvorkehrungen. Gelten
sollte dies für jedes Mitglied der Kooperative, umgesetzt werden aber von den Kooperativen
selbst (Ciudad Buenos Aires 2005: 20-21).
68
Gegen Ende 2006 wurde ein Plan eingeführt, der Plan der Containerisierung (Plan de
contenerización), der den partizipativen Prozess fördern sollte. Mit der Aufstellung von
Containern in der Stadt von Buenos Aires sollte der Abfall bereits am Ort seiner Entstehung,
vor den Eingangstüren von Wohnhäusern, Geschäften, Hotels und administrativen
Gebäuden, von der Stadtbevölkerung selbst sortiert werden. Mit Ende 2006 wurden ungefähr
25% der Stadt mit Containern versorgt, Ende 2009 waren es bereits 60%. Der Inhalt der
Container für recycelbare Materialien wird von zuständigen Abfallunternehmen an die
Centros Verdes weitergeleitet. Mit der Aufstellung der Container wurde es Sortierenden in
Centros Verdes zum einen möglich, schneller Zugang zu Abfallprodukten zu erhalten. Zum
anderen vereinfachte es zugleich den Zugang zu vorsortiertem Abfall in Containern (Cutina
2011: 115).
4.3
Analyse der Veränderungen von Arbeits- und Lebensverhältnisse
Im folgenden Kapitel werden die Einflüsse der legislativen Veränderungen auf die Arbeitsund Lebensbedingungen der cartoneros und der recuperadores urbanos untersucht. Das
Zentrum der Analyse bilden zum einen aus dem Konzept der urbanen Subsistenz
erschlossene Indikatoren für die Arbeits- und Lebensverhältnisse der cartoneros:
Einkommen, Zugang zum öffentlichen Raum, Abfall und Betriebsmittel, Investitionskosten
und
Kapitalakkumulation,
Arbeitsorganisation.
In
der
breiteren
theoretischen
Auseinandersetzung mit den Organisationsstrukturen der informellen Ökonomie wurden
noch weitere Indikatoren identifiziert, welche nicht implizit in Kokot's und Wonneberger's
Konzept zur urbanen Subsistenz vorkommen, das Indikatorenset zur Betrachtung von
Arbeits- und Lebensverhältnissen aber abrunden werden: wirtschaftliche Netzwerke,
Identität und politische Organisation. Die Indikatoren dienen der systematischen Bearbeitung
der Veränderung der Arbeits- und Lebensbedingungen durch den Formalisierugsprozess.
Systematische Bearbeitung meint die Wiederholung von drei Schritten auf jeden einzelnen
Indikator:
1. Darstellung der Ausprägung des Indikators vor dem Formalisierungsprozess
2. Heranziehung der relevanten Aspekte aus dem Formalisierungsprozesses für den
Indikator
3. Analyse der Veränderung der Indikatorausprägung und Interpretation
Zum anderen erfolgt die Analyse über selbst erhobene Daten aus Befragungen und
Beobachtung im Feld.
69
4.3.1 Einkommen
Vor der Formalisierung war die Höhe des Einkommens aller cartoneros, auch jener in
Kooperativen (vgl. Paiva 2008: 93), von einer Vielzahl von Faktoren abhängig (Górban
2009; Schamber/Suárez 2007: 3). Laura von Bierbrauer ermittelte in ihrer ethnografischen
Untersuchung zu den cartoneros eine Reihe von Faktoren, welche das Einkommen der
cartoneros beeinflussten (2011: 81):
- das Ausmaß der Arbeitstage und Arbeitszeiten
- Zone und Uhrzeit der Sammlung; je später die Sammlung, desto weniger wertvolle
Abfälle waren noch übrig
- die Anzahl der eigenen Klienten
- die Höhe der Rohstoffpreise
- die Auswahl des Zwischenhändlers und/oder des Lagerbetriebs
- die Kosten des Transportmittels
- Wetter und Jahreszeit; Schlechtwetter und Kälte behindert die SammlerInnen in ihrer
Arbeit, im Sommer ist das Müllaufkommen generell geringer
- Gesundheitszustand und Alter; ältere und/oder gesundheitlich beeinträchtige Menschen
arbeiteten langsamer und sammelten daher weniger
- Konflikte mit anderen Unternehmen, Nachbarn, ArbeitskollegInnen oder staatliche
Eingriffe.
Rohstoffpreise sind entscheidende Einflussfaktoren für das Ausmaß der Abfallsammlung.
Die Preise der meisten Rohstoffe für die Industrie werden am Weltmarkt ermittelt und sind
daher in den meisten Ländern einheitlich. Bei global wenig differenzierten Rohstoffpreisen
ist in Ländern mit niedrigem Lohnniveau Recycling eine weitaus profitablere Tätigkeit als in
Ländern mit hohem Lohnniveau (Porter 2002: 131). Nach der Peso-Abwertung 2001 brach
in Argentinien der Import von Primärrohstoffen zusammen und die Preise für
Sekundärrohstoffe aus Abfall begannen rapide zu steigen (Reynals 2003: 45). Nach Suárez
entwickelte sich der Sekundärrohstoffhandel für einige wenige AbfallunternehmerInnen
fortan zu einem lukrativen Geschäftsmodell. Der Kilogrammpreis für gesammeltes Papier
stieg im Jahr 2001 von fünf auf 40 centavos, das Kilogramm Karton von vier auf 57
centavos, Metalle und Legierungen wie Bronze oder Aluminium wurden teilweise um bis zu
160% teurer gehandelt als vor der Krise (Suárez 2001: 10). Aus einem Blog-Eintrag einer
70
Stadtzeitung gingen Schätzungen über die Gewinnverteilung in der Abfallwirtschaft hervor.
Diesen Schätzungen zurfolge beläuft sich das gesamte Abfallgeschäft seit 2001 auf ca. 500
Millionen Pesos (entspricht circa 80 Millionen Euro) pro Jahr. Die cartoneros selbst
verdienten daran nur etwa 80 Millionen Pesos, also rund 13 Millionen Euro. Die
verbleibenden
420
Millionen
Pesos
verteilten
sich
auf
die
Gesamtheit
der
Zwischenhandelsbetriebe (Mi Belgrano 2002).
Eduardo Anguita (2003: 133) führte in seiner Analyse zur Organisation der cartoneros an,
dass Zwischenhändler eine Vermittlerrolle zwischen den cartoneros und den großen
Industriebetrieben einnehmen, aus der sich hoher Profit schlagen lässt. Sie kaufen das
Material zu billigsten Preisen von den cartoneros ein und verkaufen es für das Doppelte oder
mehr weiter. Er basiert seine Feststellungen auf dem konstanten Vergleich von Ein- und
Verkaufspreisen von Materialen. 2000 betrug der Einkaufspreis für ein Kilo Papier
beispielsweise zwischen fünf und sechs centavos, es für ungefähr zwölf centavos
weiterverkauft wurde. Die Differenz von sechs oder sieben centavos entfiel auf den
jeweiligen Zwischenhändler. Da die Zwischenhändler das Material an die Betriebe in
Tonnen weiterverkaufen, ergab sich für sie schließlich ein Gewinn pro Kilogramm, der das
Einkommen des cartonero um ein Vielfaches überstieg. Je größer das gehandelte
Abfallvolumen
der
Kooperative
im
Allgemeinen
ist,
umso
besser
ist
ihre
Preisverhandlungsbasis gegenüber der Industrie. Auf seine Berechnungen basierend schätzte
Anguita, dass sich die Einkommensunterschiede zwischen cartonero und Zwischenhändler
um bis einem 200-faches unterscheiden können. In Sommermonaten, wenn das Geschäft
weniger gut läuft, ist das Einkommen der cartoneros generell geringer als in Wintermonaten
oder zu Schulbeginn, wenn der Konsum und damit die Abfallmenge höher ist. Er stellte fest,
dass Zwischenhändler auch heute noch bis zu 100.000 Pesos im Monat verdienen können,
während cartoneros im Durchschnitt zwischen 400 und 800 Pesos im Monat erarbeiten
können (Anguita 2003: 133).
In den Gesetzesnovellierungen zur integrierten Abfallwirtschaft wird das Einkommen der
AbfallsammlerInnen ausschließlich im Zusammenhang mit jenen recuperadores urbanos
thematisiert, die Mitglieder einer Kooperative oder zumindest als recuperadores urbanos im
Verzeichnis des PRU registriert sind (vgl. Medina 2007: 173-174; vgl. Koehls 2007: 200201). Das Ley 992 gibt den recuperadores urbanos das Recht, mit Nachbarn oder großen
Erzeugern Sammelprivilegien für ihre Abfallprodukte auszuhandeln. Die Konsequenz daraus
ist die konstante Sicherung einer bestimmten Menge an Materialien und damit an
71
Einkommen.
In Kooperativen ergeben sich für recuperadores urbanos grundsätzlich die Möglichkeiten, in
Sortieranlagen/Centros Verdes oder in der Straßensammlung zu arbeiten. In Sortieranlagen
und Centros Verdes werden recuperadores nach Arbeitszeit bezahlt. Die Schwankungen im
Einkommen in Sortieranlagen sind laut Paiva auf die unterschiedliche Lohnpolitik der
einzelnen Kooperativen zurückzuführen (Paiva 2008: 161-163). Aus eigenen Unterhaltungen
mit recuperadores urbanos in den Sortieranlagen im Relleno Norte III der CEAMSE (siehe
Abfallwirtschaft von Buenos Aires) ging hervor, dass das Einkommen der Sortierenden
monatlich zwischen 1.200 und 1.500 Pesos beträgt.
Je nach Kooperative ergeben sich für die recuperadores in der Straßensammlung auffällige
Ungleichheiten. Die staatlichen Förderungen von Abfallkooperativen sollten zu höherem
Einkommen der recuperadores urbanos führen, Schamber und Suárez führen aber an, dass
Kooperativen ihren Straßensammelnden gegenüber häufig wie Zwischenhandelsbetriebe
auftreten, nicht pauschal sondern nach Mengen verrechnen und Preise für die eingekauften
Materialien niedrig halten (Schamber/Suárez 2007: 41). Wenige andere, wie Gespräche mit
den Straßensammelnden der Kooperative „El Ceibo“ ergaben, bezahlen feste Tages- oder
Wochensätze an ihre cartoneros und gewähren ihnen dieselben Zulagen wie den
Sortierenden in den Anlagen (Lucia und Julio 2012). Es sei aber darauf verwiesen, dass diese
Form von Lohnpolitik die Ausnahme darstellt und nur wenige Kooperativen betrifft (vgl.
Interview mit Lampasona 2012; Paiva 2008: 159-160; Fajn 2002: 20, Interview mit Vega
Martínez 2012).
Sammelabsprachen waren und blieben auch zwischen den „alten“ cirujas und den
Anwohnern in ihren Sammelzonen gängige Praxis und bringen ihnen daher nicht zwingend
Nachteile
gegenüber
an
Kooperativen
beteiligten
cartoneros.
Material-
und
Einkommensnachteile ergeben sich für jene cartoneros, die sich weder in Kooperativen
befinden,
noch
über
längerfristige
Beziehungen
zu
Zwischenhändlern
verfügen.
Einkommensvorteile für cartoneros in Kooperativen entstehen beim Weiterverkauf von
Materialien an die Zwischenhandelsbetriebe oder die Industrie, da die Anzahl der
Zwischenhandelsinstanzen wegen der Größenvorteile der Handelsmengen geringer ist.
Die Veränderung der Kooperationsverträge (2007) hin zu einer Konzessionsvergabe für
Kooperativen und Mikrounternehmen hatte erhebliche Einflüsse auf die Einkommen der
Arbeitenden in einer Kooperative, da die Kooperativen ab 2007 konstanten Zugang zu
Abfallprodukten hatte.
72
Als Mitglieder einer Kooperative steht den cartoneros seit 2001 freier Transport vom und
zum Arbeitsort zu, womit ihr Einkommen mit einer Ausgabe weniger belastet wird.
Cartoneros individuales, die nicht für Kooperativen sammeln, profitieren nicht von den
Transportkostenbefreiungen und müssen je nach Transportmittel zwischen 18 und 50 für den
Transportweg aufbringen (Bierbrauer 2011: 81). Für cartoneros individuales ist das
Einkommen nach wie vor der Formalisierungsphase der von Laura von Bierbrauer
ermittelten Faktoren abhängig (siehe Kapitelanfang).
Die ökonomische Situation des Haushalts bestimmt über die Häufigkeit der Sammlung. Ist
die Abfallsammlung die einzige Einnahmequelle, erfolgt die Sammlung wesentlich öfter als
bei
anderen
cartoneros,
die
in
weniger
regelmäßigen
Abständen
zusätzlichen
Gelegenheitsarbeiten nachgehen und das Abfallsammeln weniger häufig für die Erhaltung
ihrer Existenzen benötigen. In einer Studie der IOM/UNICEF aus dem Jahre 2005 zeigt sich,
dass die Wochentage – darunter vorzugsweise Freitage – die meist frequentierten
Sammeltage sind (IOM/UNICEF 2005: 35). Der Grund dafür liegt in den Geschäfts- und
Handelszeiten, in denen große Mengen an Verpackungsabfällen anfallen. Eigene
Beobachtungen ergaben, dass vor allem in der näheren Umgebung von Handels- und
Geschäftszentren zu Schließzeiten starke Konzentrationen von cartoneros anzutreffen ist. In
der Regel verläuft die Sammlung von Materialien gezielt, bei erhöhtem Einkommensbedarf
wird aber alles eingesammelt, das ökonomischen Wert hat. Bleiben die Rohstoffpreise für
bestimmte
Materialien
über
einen
längeren
Zeitraum
niedrig,
greifen
die
AbfallsammlerInnen oft zu Manipulationsstrategien, die das Gewicht oder die Qualität der
Materialballen höher erscheinen lassen (Schamber 2008: 95). Besteht weniger Dringlichkeit,
das gesammelte Material in Geld umzusetzen, werden die gesammelten Waren häufig zu
einem günstigen Zeitpunkt – wenn die Rohstoffpreise für bestimmte Gegenstände gerade
hoch sind – verkauft (Paiva 2008: 129-130). Mit der Formalisierung wurde an den
bestehenden Strukturen nichts verändert.
Sämtliche Sozial- und Förderleistungen für cartoneros individuales stehen in keiner direkten
Verbindung mit dem Abfallsammeln (Reynals 2003: 46). Unterstützungszahlungen für
cartoneros individuales betragen bis zu 1.500 Pesos im Monat und sind Teil verschiedener
staatlicher und städtischer Förderprogramme für einkommensschwache Bevölkerungsmitglieder, die infolge der Krise eingerichtet wurden: Plan Trabajar (I,II,III), Planes Jefas y
Jefes de Hogar, Barrios Bonaerenses (vgl. Schamber 2008: 21)
73
Eine Untersuchung der IOM und der UNICEF zu den informellen Sammelaktivitäten in
Buenos Aires zeigte, dass Kinder häufig zur Arbeit mitgenommen werden, um so das
Einkommen des Haushalts durch ihre Mitarbeit zu verbessern (IOM/UNICEF 2005: 35). Für
Sortierende recuperadores urbanos in Kooperativen wurden seit 2005 vom Staat finanzierte
Tagesstätten eingerichtet, in denen Kinder während der Arbeitszeit abgegeben werden
können (Cunita 2011: 114).
Zwischen 2001 und 2010 waren die Sekundärrohstoffpreise wieder leicht rückläufig, so auch
die Anzahl der cartoneros. Der Rückgang der cartoneros zwischen 2001 und 2010 lässt sich
aus den fallenden Preisen im Rohstoffsektor erklären, der am Preisverfall von Karton am
deutlichsten abzulesen ist: Während der Kartonpreis 2003 in seinem Zenit den Preis von 30
centavos erreichte, konnte er 2011 zu nur noch sieben centavos gehandelt werden. Silvia
Gómez (2009) führt den rasanten Preisverfall von Sekundärrohstoffen auf die globale
Weltwirtschaftskrise zurück, im Zuge derer auch der hohe Konsum der bonaerensischen
Stadtbevölkerung viele Einschnitte erlitten hatte. Um die Einkommenseinschnitte
geringfügig ausgleichen zu können, versuchten vor allem die cartonero-Kooperativen,
höhere Subventionen einzufordern. Aus Verhandlungen zwischen der Stadtregierung und
Kooperativen wurden Zuwendungen von 200 Pesos für etwa 900 recuperadores urbanos in
der Straßensammlung erreicht (Gómez 2009).
4.3.2 Investitionskosten
Aus der Literatur nicht hervor, ob zum Jahre 2005 Förderprogramme für Abfallkooperativen
oder Mikrounternehmen existierten. Mit dem Ley 992 wurden 2002 lediglich spezielle
Sammelkonzessionen für bereits etablierte Kooperativen vergeben, die im betreffenden
Stadtgebiet bereits ansässig waren. Entsprechende Hinweise darauf gingen aus dem
Gespräch mit María Julia Nevarra von der Kooperative „El Ceibo“ hervor: „Antes [de la
fundación de la cooperativa en 1989, Anm. RH] no teníamos nada y siempre hemos vivido
en casas tomadas (…) Todo cambió en el 2001, fue en ese tiempo de quiebra con esta la
inflación enorme. A nosotros nos favoreció, nos elevaron”22 (Navarro 2012). Seit 2005
22 „Bevor [die Kooperative 1989 gegründet wurde] hatten wir nichts und besetzten Häuser. (…) 2001, zu Zeiten des
Bankrotts und der enormen Inflation, änderte sich alles. Die Krise begünstigte uns, sie [die Regierungen] haben uns
aufgewertet“. (R.H.)
74
werden von der Stadt Buenos Aires für jene Kooperativen die Investitionskosten für die
Einrichtung von Centros Verdes und Sortieranlagen übernommen, welche eine
Recyclingkonzession besitzen (siehe Kapitel Formalisierungsprozess).
Seit demselben Jahr werden für die Gründung von Kooperativen und Mikrounternehmen
Niedrigzinskredite von der argentinischen Credicoop-Bank und Substitutionen vom
staatlichen Instituto Movilizador de Fondos Cooperativas (IMFC) vergeben, mit denen
betriebliche Investitionen finanziert werden können (Medina 2007: 177). Über das Programa
Integral de Logística werden Kooperativen Maschinen und Lagerhallen bezahlt (vgl. Ciudad
Buenos Aires 2005: 20).
“Incluso nos regalaron un galpón”23, berichtete María Julia Nevarro (2012) weiter.
Mikrounternehmen müssen für die Einrichtung ihres Unternehmens selbst aufkommen.
Werden die Recyclingkonzessionen mit den Kooperativen aufgelöst, müssen die über
Programme finanzierten Gegenstände zurückgegeben werden (vgl. Ciudad Buenos Aires
2005: 21).
Die Finanzierung der Investitionskosten bleibt bis heute an die Gründung einer Kooperative
gekoppelt. Recuperadores Urbanos in Kooperativen erhalten darüber hinaus von ihrer
Kooperative Arbeitskleidung. Individuell arbeitende recuperadores urbanos oder cartoneros
müssen für die benötigten Arbeitsutensilien selbst aufkommen. Die Kosten für die
Straßensammlung bewegen sich aber in einem kostengünstigen Rahmen. Eigene
Beobachtungen zu den StraßensammlerInnen zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der
cartoneros weder Arbeitskleidung trägt, noch mit vielen Arbeitsgeräten ausgestattet ist. In
der Regel wird ein großer, weißer Sack für die Aufbewahrung der gesammelten Materialien
von mehreren cartoneros geteilt. Nur sehr selten ist dieser Sack mit einer Schiebevorrichtung
versehen. Der Einsatz von Handkarren, wie er für die cirujas als typisch beschrieben wird
(Schamber 2008: 92), ist im Stadtzentrum kaum zu beobachten.
Häufig kommt es auch vor, dass die cartoneros Arbeitsutensilien, insbesondere Säcke und
Schiebevorrichtungen, von Kooperativen oder Mülldeponien ausleihen. Aus einer
Untersuchung von Anguita ging hervor, dass sich cartoneros mit der Verwendung fremder
Arbeitsutensilien dazu verpflichten, ihre gesammelten Materialien an die VerleiherInnen
oder an vorgegebene Abnehmer weiterzuverkaufen (Anguita 2003: 133).
Die anschließende Nachbehandlung, die Trennung und Aufbewahrung des gesammelten
Materials erfolgt in privaten Räumen der cartoneros und bedarf eigene Lager- und
23 „ (…) sie schenkten uns sogar eine Lagerhalle.“ (R.H.)
75
Sortierstellen. Nach Abduca geschieht dies häufig am Vorplatz des eigenen Heims, innerhalb
des Wohnbereichs oder in von Freunden und Familien gemeinschaftlich genutzten Räumen
(Abduca 2011: 209).
4.3.3 Arbeitsorganisation, Regeln und Normen
Vor der Formalisierung folgte die Abfallorganisation ausschließlich den Normen und
Regeln, die von den cirujas im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aufgestellt wurden. Für die
cirujas war die Arbeit mit dem Abfall etwas Alltägliches und Selbstverständliches, das von
Generation zu Generation weitergegeben wurde. Das für die Sammlung und Trennung
erforderliche Wissen wurde von der Elterngeneration übernommen und in die
Haushaltsstrategien der Nachkommen integriert (Perelman 2007: 248). In einer Studie von
Saravi aus dem Jahre 1992 zeigte sich, dass die Abfallsammlung vor der Krise („cirjueo“
genannt) häufig mit verschiedenen Gelegenheitsarbeiten (Straßenverkauf, Heimarbeiten, …)
kombiniert wurde, welche die Arbeitsbiografie des oder der ciruja erweiterten, sie aber nicht
grundlegend veränderten. Die Gelegenheitsarbeiten wurden also in den üblichen
Reproduktionszyklus inkludiert. Zudem waren die Arbeitsorte der cirujas in der Regel nicht
weit von ihren Wohnorten entfernt (Saravi 1994: 109, zit. nach Perelmann 2007: 248). In
vielen Fällen, wie in Gesprächen mit den Mitgliedern der Kooperative El Ceibo zeigte,
hatten sich Arbeitsgemeinschaften gebildet, um in anderen, häufig reicheren Stadtvierteln
wertvolleren Abfall sammeln zu können. Da sich die „neuen“ cartoneros derselben
Arbeitsstrategien bedienen wie die „alten“ cirujas wird die Organisationsstruktur der
informellen Abfallsammlung im Kapitel im Detail besprochen (Nevarra 2012).
Kooperativen
Nachdem das Gesetz die Formung von Wirtschaftszusammenschlüssen sukzessive förderte
und die Verträge mit privaten Abfallunternehmen nach und nach aufgelöst wurden, wurden
organisatorische und finanzielle Angelegenheiten für die Gründung von Kooperativen und
Mikrounternehmen einfacher. Mit der Gründung einer Kooperative entstand ein formell
geregeltes Umfeld, in welchem Rechte geltend gemacht werden können und Pflichten
eingehalten werden mussten. Eine Pflicht der Kooperative ist das eigenständige Aufzeichnen
von Einnahmen und Ausgaben, um der Steuerpflicht nachzukommen, eine weitere die
Unfallversicherung für Arbeitende. Vor der Formalisierung war die Gründung und
76
Finanzierung einer Kooperative nur mit starkem Kraftaufwand oder gar nicht möglich
gewesen (Nevarra 2012).
Laura von Bierbrauer erfuhr im Gespräch mit einem Mitarbeiter der CEAMSE, dass sich die
Kapazitäten aller vier betriebenen Mülldeponien nahezu erschöpfen und Möglichkeit fehlen,
um neue Deponien in der Umgebung von Buenos Aires zu errichten (ebd.: 34). Aus der
Lagerungsproblematik resultierend, entwickelte die Regierung von Buenos Aires gemeinsam
mit Provinzialregierungen in den letzten zehn Jahren alternative Entsorgungsstrategien,
deren Kernidee die Vermeidung, die Reduktion und die Wiederverwertung von
Abfallprodukten ist (Buenos Aires Ciudad 2012d). Die differenzierte Sammlung der
Kooperativen ist einzige Beitrag öffentlicher Recyclingtätigkeiten zur gesamten
Recyclingwirtschaft. Mit der Förderung von differenzierter Abfallsammlung verstärkte sich
die Gründung von Kooperativen. Im Dezember 2002 wurden bereits vierzehn
Abfallkooperativen gezählt, vor 2001 existierten lediglich die beiden Kooperativen „El
Ceibo“ und „El Álamo“ (Paiva 2003: 190).
Außer den Kooperativen „El Ceibo“ und „El Álamo“ befinden sich alle Sortieranlagen der
Kooperativen auf dem Komplex der CEAMSE Deponie Norte III. Die Arbeitszeiten in den
Sortieranlagen auf dem Gelände der Deponie Norte III orientieren sich an den Betriebszeiten
der CEAMSE. Die Positionierung von Sortieranlagen im Umfeld der Deponie Norte III oder
im Zentrum nimmt den cartoneros zudem Flexibilität und erfordert gegebenenfalls die
Umsiedelung der Wohnorte in die Nähe der Anlagen. Aus den Formalisierungsmaßnahmen
lässt sich schließen, dass sich ein geregeltes Verhältnis zwischen Arbeits- und Freizeit nur
für jene cartoneros ergibt, die in Sortieranlagen und Centros Verdes arbeiten.
In den Anlagen sortieren die recuperadores mehrere Stunden pro Tag zwischen ein und fünf
Lastwagenladungen wiederverwertbaren Abfall nach Materialart und pressen ihn zu
Materialballen. Die Lastwägen bedienen abwechselnd und systematisch alle in Betrieb
genommenen Sortieranlagen, um sicherzustellen, dass alle Anlagen die vorgesehene
Tonnenanzahl pro Tag erhalten. Die Anzahl der Ladungen sollte aus der Anzahl der an der
Sortieranlage arbeitenden MitarbeiterInnen errechnet werden (Ciudad Buenos Aires 2005:
21). Bei meinem Besuch auf dem Komplex Norte III stellte sich heraus, dass die Verteilung
der Ladungen nach anderen Prinzipien erfolgt. Mitarbeiter verschiedener Kooperativen
beschwerten sich darüber, dass der „gute“ Abfall, mit dem sich höhere Preise erzielen lassen,
stets an bestimmte Sortieranlagen geliefert werde. Mitarbeiterinnen konnten keine
stichhaltigen Gründe für die ungleiche Verteilung nennen, mutmaßten aber, dass einzelne
Kooperativen unerlaubte Absprachen mit den Abfallunternehmen oder der CEAMSE
77
getroffen hatten.
Aus dem Programm Programa de Inclusión Social Integral (PISI) ergaben sich für cartoneros
auf den Sortieranlagen zwei maßgebende Veränderungen in Arbeits- und Sozialrecht. Sie
wurden unfallversichert und sollten schützende Arbeitskleidung erhalten. Obwohl über das
Programm ferner die Möglichkeit geboten wird, Sortieranlagen auf Staatskosten mit
Sicherheitsvorkehrungen zu versehen, unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen der
SortiererInnen kaum von jenen cartoneros individuales, welche in der Deponie selbst
sammeln gehen. Eigene Beobachtungen bekundeten fehlende Sicherheitsstandards, die nach
Aussagen der Sortierenden gelegentlich zu Unfällen in den Anlagen führen24. Außerdem
zeigte sich bei dem eigenen Besuch in den Anlagen, dass die Trennung des Abfalls in den
Anlagen auf ähnliche Weise erfolgte wie in der Deponie selbst. Die SortierInnen trennen
ohne jegliche Schutzkleidung und im Akkord den herbeigebrachten Müll, inmitten von
Bergen von Müllsäcken. Die Sortierung findet entweder am Boden oder auf etwas erhöhten
Fließbändern statt, unter welchen Säcke zur Trennung des Materials aufgestellt wurden.
An Kooperativen beteiligte cartoneros in der Straßensammlung sammeln das Material in
Kooperation mit einer Kooperative. Ihre Organisation erfolgt häufig nach denselben
Prinzipien wie bei den cartoneros individuales. Nur in der Kooperative „El Ceibo“ sammeln
die recuperadores nicht auf eigene Rechnung, sondern stehen in einem Lohnarbeitsverhältnis
(vgl. Interviews mit Vega Martínez 2012 und Garbois 2012).
cartoneros individuales
Cartoneros individuales müssen keinen Normen folgen, können durch staatliche Organe
nicht sanktioniert werden und sind in ihrer Organisation flexibel. Laut Juan Garbois (2012),
dem Sprecher der Kooperative Movimiento de Trabajadores Excluidos (MTE), gibt es
innerhalb der cartoneros Gruppen, die sich in ihrer Familie oder Nachbarschaft mehr oder
weniger gut organisieren.
Grundsätzlich existieren zwei verschiedene Organisationsformen des Abfallsammelns: auf
der Straße und in Deponien. Die früheren cirujas entwickelten über die Jahre hinweg
erprobte Arbeitsstrukturen und Organisationsformen, die trotz der Gründung vieler
24 Sortierende einer Kooperative berichteten von einer Arbeitskollegin, die bei der Arbeit tödlich verunglückt ist, weil sie
vom etwas erhöhten Fließband stürzte, an dessen Seite sie stand und Abfall sortierte. Nach den Angaben der
KollegInnen erhielten die Angehörigen über die Unfallversicherung der Kooperative Entschädigungsleistungen vom
Staat.
78
Kooperativen auch heute noch gelten. Die Strecke, die cartoneros während der
Straßensammlung wiederholt zurücklegen, wird als recorrido bezeichnet und bleibt so lange
als ihr, wie es Abduca bezeichnet, „fragiles Eigentum“ (2011: 194), bis sie die Strecke nicht
mehr regelmäßig absammeln. Die Aufteilung der Wegstrecken erfolgt durch Besetzen und
Aneignen von Straßen, die noch von keinem anderen cartonero abgesammelt werden. Wenn
ein
cartonero
nicht
erscheint,
um
die
Materialien
von
seinem
recorrido
zusammenzusammeln, gilt der Abschnitt als frei und wird von einem oder mehreren anderen
cartoneros abgesammelt. Oft entscheidet sich bereits während der Anreise, ob ein recorrido
an einem bestimmten Tag abgesammelt wird oder nicht. Ist der auf der Strecke sammelnde
cartonero oder die sammelnde cartonera im camioneta (Kleinlastwagen) anwesend, behält er
sein Vorrecht auf die entsprechenden Häuserblocks. Sind die betreffenden Personen nicht
anwesend und bleiben sie auch während der Sammelaktivitäten der anderen fern, wird das
Material in der Regel von anderen abgesammelt (Abduca 2011: 194-195). Eine Mitarbeiterin
der Kooperative MTE merkte zur Organisation der Sammelstrecken an, dass Kämpfe um
Territorien und Vorrechte im Vorfeld am Wohnort oder im camioneta stattfinden, kaum aber
auf der Straße selbst (2012). Arbeitszeiten und -orte der individuales richten sich nach den
Abfahrtszeiten und Ankunftsorten der Kleinlastwägen.
Sowohl im Falle der Sammlung auf der Straße als auch in der Deponie müssen die
Abfallprodukte nach der Sammlung von den cartoneros selbstständig sortiert werden. Da
dies, so Abduca, meist nachts und/oder vormittags und zu Hause erfolgt, vermischen sich
Arbeits- und Wohnorte (Abduca 2011: 195).
Das 2002 vom Staat initiierte Dirección General de Politicas de Reciclado Urbano (DGPRU)
ist die einzige Organisation in Argentinien, die kontinuierlich sozio-demografische Daten
über die cartoneros ermittelt. Eine Erhebung aus dem Jahr 2005 zeigte, dass die Mehrheit der
cartoneros nicht älter als 35 Jahre ist; etwa 20% aller Sammelnden haben die Volljährigkeit
noch nicht erreicht. Weitere 30% der AbfallsammlerInnen sind zwischen 19 und 29 Jahre alt.
Die verbleibenden 50 % teilen sich etwa gleichmäßig auf ältere Gruppen auf. Die Anzahl der
Kinder unter 14 Jahren wurde in der betreffenden Untersuchung des DGPRU nicht erhoben
(DGPRU 2006: 10). Unter Berücksichtigung der Altersgruppe der Sieben- bis 14-Jährigen
führte die UNICEF in Zusammenarbeit mit der IOM im selben Jahr eine Analyse der
Altersstruktur durch. Aus dieser Untersuchung ging hervor, dass die Gruppe von Kindern
und Jugendlichen von sieben bis 18 Jahren sich gegenüber dem Vorjahresergebnis
verdoppelt hatte (IOM/UNICEF 2005: 24).
Viele cartoneros sammeln alleine, mit Bekannten oder gemeinsam mit anderen
79
Familienmitgliedern. In sammelnden Familiengruppen ist es gelegentlich üblich, dass Eltern
und jugendliche Kinder den Abfall zusammentragen. Kinder üben in der Straßensammlung
häufig dieselbe Tätigkeit aus wie Jugendliche und Erwachsene, sie trennen das gesammelte
Material, öffnen die Müllbeutel und/oder sammeln das Material ein. In seltenen Fällen sind
Kinder ausschließlich Begleitpersonen, manchmal schieben sie Handkarren oder betteln,
während die Eltern sammeln (IOM/UNICEF 2005: 34-35; Gorbán 2009).
Zurückgelegt wird die Strecke mit Hand- oder Pferdekarren und einem großen weißen Sack,
in dem sie die Materialien sammeln. Die Mehrheit der cartoneros übt die Sammlung in
Alltagskleidung aus. Viele der beobachteten cartoneros im Stadtviertel um den nationalen
Kongress trugen im Sommermonat Februar kurze Kleidung und Sandalen, auch die Kinder
trugen keine besondere Schutzkleidung. Juan Garbois von der Kooperative MTE25 erklärte,
der unvorsichtige Umgang mit Abfall in der Straßensammlung sei mit schwindend geringen
gesundheitlichen Risiken verbunden. Der Abfall wäre in diesem Stadium noch nicht
entsprechend
zersetzt,
um
Infektionen
oder
andere
Krankheiten
hervorzurufen.
Erkrankungen und Infektionen wären laut Garbois nur für jene cartoneros typisch, die ihre
Materialien auf Müllhalden sammeln (Garbois 2012).
Die
Sammlung
in
der
Stadt
unterliegt
einem
zweistufigen
Sammlungs-
und
Sortierungsprozess. Die erste Sammlung findet auf dem Gehsteig oder auf Plätzen in der
Nähe von Containern oder einer Ansammlung von Müllbeutel statt. Dabei bleibt der Kontakt
zwischen den cartoneros und den vecinos schwach. Weder sie selbst noch die PassantInnen
suchen den Blickkontakt zum jeweils anderen. Die Distanz zwischen den SammlerInnen und
den vorbeigehenden FußgängerInnen beträgt im Mittel etwa 1,5 Meter. Innerhalb weniger
Minuten werden mehrere Müllsäcke pro Gebäude geöffnet und durchsucht, für das
Durchsuchen von fünf bis sieben Müllbeuteln werden ungefähr fünf bis zehn Minuten
benötigt. Beim Öffnen der Müllbeutel findet bereits der erste Sammlungsprozess statt. Zu
Beginn werden die sperrigen Gegenstände, große Plastikflaschen, große Verpackungen oder
Karton herausgenommen. Danach wird nach kleineren Gegenständen, Zeitungen,
Zeitschriften, Glasflaschen und anderen Objekten gesucht (Abduca 2012: 205).
Die Sammlung von Materialien erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien. Gesammelt werden
25 Die Kooperative Asociación El Amanecer de los Cartoneros ist gleichzeitig auch eine politisch aktive Bewegung
(Movimiento de Trabajadores Excluidos, MTE), welche zwischen den politischen Akteuren und den cartoneros
vermittelt. Die Bewegung setzt sich auch für die Interessen anderer marginalisierter Beschäftigungsgruppen,
StraßenverkäuferInnen, etc., ein, die sich mit ähnlichen Alltagsproblemen konfrontiert sehen wie die cartoneros
(Garbois 2012).
80
Gegenstände aus Plastik, Glas, eisenhaltigem und nicht-eisenhaltigem Metall, Karton,
Papier, Holz sowie organische Substanzen, die zu Kompost, Dünger oder Biogas
weiterverarbeitet werden können (Perelman/Boy 2010). Welche Materialien eingesammelt
werden, hängt neben den Rohstoffpreisen auch davon ab, wie häufig die Straßensammlung
betrieben wird, ob sich der cartonero/die cartonera innerhalb einer Gruppe oder der Familie
materialbezogen organisiert und ob in Auftrag gearbeitet wird. Selten kommt es vor, dass
sich ein cartonero auf ein bestimmtes Material spezialisiert (Vega Martínez 2012). Alle
gesammelten Objekte werden auf den Karren gepackt und zur jeweiligen Haltestelle
gebracht, wo sie auf die Lastwägen warten, welche sie nach Hause bringen.
Im Anschluss an die Sammlung wird das Material an einem bestimmten Ort (meist die
eigene Wohnstätte) voneinander separiert und so lange angehäuft, bis eine für den Verkauf
ausreichend hohe Menge zusammengekommen ist. Häufig wird das Material erst am
nächsten Vormittag getrennt und zur Mittagszeit zu den Lagerstätten von Zwischenhändlern
im selben oder in einem anderen Viertel gebracht (Abduca 2012: 205).
Eine weitere Möglichkeit zum Sammeln von Abfall bietet sich auf Mülldeponien. In der
Literatur wurde die Sammlung stets im Zusammenhang mit der größten Mülldeponie der
CEAMSE, dem Complejo Ambiental Norte III, beschrieben. Die Deponie befindet sich im
bonaerensischen Vorort José Leon Suárez, umgeben von einkommensschwachen Vierteln
und villas. Pro Tag werden ungefähr 1.000 mit Müll beladene Lastwagen in diese Deponie
gebracht. Die CEAMSE gestattet cartoneros täglich für eine Stunde Eintritt in die
Mülldeponie, um im Abfall des gesamten Großraumes von Buenos Aires Material zu
sammeln (Alvarez 2011: 5). Laut Abduca nutzen täglich zwischen 1.000 und 3.000 Personen
die Gelegenheit, auf mehreren, gesamt 500 Hektar großen Mülltürmen nach verwertbarem
Material zu suchen. Jeden Tag werden von der Deponie Norte III weitere Abschnitte auf
verschiedenen Müllbergen aus der Stadt und der Provinz für die Sammlung freigegeben.
Ohne Karren und mit mehreren Säcken ausgerüstet, wird verwertbares Material in die Säcke
gestopft. Die Auswahl der zu sammelnden Materialien folgt grundsätzlich denselben
Kriterien wie jene in der Straßensammlung (Abduca 2011: 210).
Auf dem Komplex der CEAMSE erfolgt die erste Sortierung bereits auf dem Zufahrtsweg,
nur wenige Meter vom Eingang entfernt. Oft werden mehr Gegenstände zusammengetragen
als von den cartoneros weggeschafft werden kann. Von den zusammengetragenen
Materialien werden die für den Rohstoffmarkt wertvollsten Gegenstände in großen Säcken
geordnet und bis zum Ausgang des Geländes gebracht, wo sie auf ihre Karren verladen und
81
nach Hause gebracht werden. Die meisten cartoneros wohnen unweit von der Deponie und
haben somit kurze Anfahrtswege zur Deponie. Die weitere Klassifikation zu Hause und der
Verkauf an Zwischenhändler folgen dem Schema der Straßensammlung (Abduca 2011:
210).
4.3.4 Wirtschaftliche Netzwerke
Aus der Interpretation der Literatur und eigenen Befragungen ging hervor, dass die
wirtschaftlichen Netzwerke der cartoneros vor der Legalisierung und Förderung von
Kooperativen ausschließlich auf informelle Organisationsstrukturen basierten. Cirujas
sammelten den Abfall von den Produzenten ein und verkauften ihn an kleinere
Zwischenhändler weiter. Von einem kleinen Zwischenhändler wurde das Material an einen
größeren weiterverkauft, bis es schließlich in die Industrie gelangte.
4. Abb.: Netzwerke der cirujas/cartoneros vor der Formalisierung, eigene Darstellung
In der Untersuchung des DGPRU wurde erhoben, dass im Jahr 2006 von den 5.000 Tonnen
Abfall pro Tag 601,8 gesammelt und weitertransportiert wurden. 585 von den 601,8 Tonnen
wurden von den cartoneros recycelt, 12,5 von der Fundación Garrahan für gezielte
Wiederverwertungsprojekte und die verbleibenden 4,3 wurden über sogenanntes
„differenziertes“ Recycling durch Abfallkooperativen gesammelt (DGPRU 2006: 22). Etwa
97% der gesamten Wiederverwertungsaktivitäten werden von cartoneros individuales
geleistet. Rund um die cartoneros wird daher das informelle Netzwerk von ProduzentInnen
und HändlerInnen für den Sammel- und Verkaufsprozess genutzt, das mit der formalisierten
Recyclingwirtschaft häufig erst beim Verkauf an größere Zwischenhändler in Berührung
kommt. Ethnografische Untersuchungen von Pablo Schamber (2007; 2011), Francisco
82
Suaréz (2001; 2007; 2011) und Mariano Perelman (2007) unterscheiden die Beschreibung
der heutigen Arbeitsorganisation der cartoneros nicht grundlegend von jener der früheren
cirujas (Abduca 2011: 201). Es liegt daher nahe, die Netzwerke von cirujas und cartoneros
gemeinsam zu betrachten.
ProduzentInnen
Städtische Nachbarschaften (vecinos), sind die wesentlichen AbfallproduzentInnen, und
damit die wichtigsten Kooperationspartner für die cartoneros. Die Beziehungen der
cartoneros zu den Nachbarn sind ambivalent und entstehen beim Auf- und Ablaufen der
Straßen sowie beim Zurückstellen der aussortierten Müllsäcke. Wie intensiv die
Beziehungen zwischen den Nachbarn und den cartoneros sind, hängt von unterschiedlichen
Faktoren ab, insbesondere aber von der Arbeitszone. Die Perzeption der Nachbarn variiert
zwischen den verschiedenen Arbeitszonen und innerhalb der einzelnen Nachbarschaften
stark, sie reicht von Mitleid bis Empörung und Entrüstung. In manchen Stadtteilen,
Almagro, Caballito, Balvanera, werden die Müllsäcke aufgerissen und offen auf den Straßen
oder Gehsteigen liegen gelassen. Haben die cartoneros ihre Suchaktivitäten beendet, bleiben
in manchen Arbeitszonen verschmutzte Straßen zurück. In diesen Arbeitszonen besteht
wenig nachbarschaftlicher Austausch zwischen vecinos und cartoneros. Neben der
Straßenverschmutzung existieren viele weitere Probleme zwischen den Nachbarn und den
cartoneros, die oftmals damit zusammenhängen, dass sich sowohl Nachbarn als auch
cartoneros vom Gegenüber bedroht und missverstanden fühlen (Perelmann 2007: 261). In
der Regel existieren zwischen vecinos und vormaligen cirujas intensivere Beziehungen als
zwischen vecinos und „neuen“ cartoneros. Gründe für die Unterschiede sind in der
unterschiedlichen Identitätskonstruktionen der AbfallsammlerInnen zu suchen. Abduca kam
in seiner Untersuchung zum Ergebnis, dass der intensivere Kontakt der cirujas zu den
vecinos für die Krise vorteilhaft war, um ihr Vorrecht auf Straßen und vecinos meistens
erfolgreich gegenüber neuen cartoneros zu verteidigen (Abduca 2011: 201). Aus eigenen
Beobachtungen in den „vermüllten“ Stadtteilen Balvanera und Caballito gingen Spannungen
zwischen vecinos und cartoneros hervor, die vereinzelt in offenen Streitgesprächen
mündeten. Andere Beobachtungen auf dem recorrido der Kooperative „El Ceibo“ ließen auf
ein enges Verhältnis zwischen der cartoneros der Kooperative und den vecinos in ihrer
Arbeitszone im Stadtteil Palermo schließen. An den Rundgang anschließende Gespräche mit
den vecinos zeigten, dass der offene Kontakt der vormaligen cirujas mit den vecinos sowie
83
die Hervorhebung des Nutzens der Abfallsammlung für die Umwelt26 Vertrauen und
Anerkennung unter den vecinos in der Arbeitszone schuf. Mit Offenheit und Seriosität
schien sich die Kooperative in den 1980ern eine Sonderstellung innerhalb der cartoneros und
Kooperativen geschaffen zu haben, die sie bis heute innehat. „El Ceibo“ ist das einzige
Vorzeigemodell aller in Buenos Aires existierenden cartonero-Kooperativen (Paiva 2008:
161-163; Schamber 2008).
NachbarInnen, mit denen Absprachen existieren, bezeichnen die cartoneros als KundInnen
(clientes). Die Bezeichnung „clientes“ soll eine Geschäftsbeziehung suggerieren, in welcher
Käufer und Verkäufer einander gegenüberstehen. In der Realität wird der Abfall von den
vecinos lediglich zurückgehalten, nicht aber verkauft; es wird nicht Abfall gegen Geld
getauscht, sondern abgeholt und mit Gefälligkeitsentsorgungen beglichen. Häufige Bitten
der clientes um Gefälligkeitsentsorgungen verstärken den Druck auf die/den betreffende/n
cartonero/a. Versäumt er das regelmäßige Nachkommen der Bitten seiner clientes, eröffnet
sich für andere KollegInnen die Möglichkeit, seine Klienten abzuwerben. Kommt der/die
Arbeitskollege/In den Bitten des vecinos nach, gewinnt er/sie diese Person oder diesen
Haushalt als cliente hinzu (Schamber/Suárez 2007: 35-36). Aus einer Befragung von
Mariano Perelman wurde deutlich, dass die cartoneros die Beziehungen zu den
NachbarInnen bestmöglich zu gestalten suchen, damit mündliche Absprachen über alleinige
Abholerlaubnisse des wiederverwertbaren Abfalls ausgehandelt werden können. In der
Suche nach clientes versucht der cartonero, so Perelman, der sozialen Segregation
entgegenzuarbeiten und sich in der Nachbarschaft bekannt zu machen. Zudem gaben die
cartoneros
Perelman
gegenüber
an,
auf
Sachspenden,
Kleidung,
Lebensmittel,
Gebrauchsgegenstände ihrer clientes zu hoffen. Aus der Befragung ließ sich ableiten, dass
nur wenige cartoneros tatsächlich enge Beziehungen mit Privilegien auf Abfallprodukte mit
den Nachbarn unterhalten (Perelmann 2007: 261).
Zwischenhändler
Andere, wichtige Kooperationspartner sind Zwischenhändler (acopiadores). Neben
formalisierten Lager- und Zwischenhandelsbetrieben (Kooperativen und Mikrounternehmen)
existiert eine Vielzahl informeller Zwischenhändler. Zwischenhändlern kommt die Aufgabe
26 In einem Gespräch erwähnte María Julia Nevarra, eine Begründerinnen der Kooperative, dass sie zur Gründung der
Kooperative (1989) Flugzettel in der Nachbarschaft aufgehängt und verteilt hätten. Auf den Flugzetteln standen Name
und Adresse der cirujas. Spätere Flugzettel beinhalteten bereits Abgabebedingungen (Öffnungszeiten, recycelbares
Material, Tage und Urzeiten des recorrido, ...) (Nevarra 2012).
84
zu, Materialien von cartoneros abzukaufen und an industrielle Verwertungsunternehmen,
meist im Nordosten von Buenos Aires, weiterzugeben. Bierbrauer (2011: 83) stellte im Zuge
ihrer Untersuchungen zu Organisationsstrukturen der cartoneros fest, dass der Handel mit
den Zwischenhändlern für cartoneros unabwendbar ist. Industrielle Verwertungsbetriebe
kaufen den Abfall in großen Mengen zu, welche die cartoneros über die individuelle
Straßensammlung nicht bereitstellen können. Zudem unterliegt der industrielle Ankauf von
Sekundärrohstoffen gesetzlichen Richtlinien, die nur von formalisierten Unternehmen oder
Kooperativen erfüllt werden können.
Informelle Zwischenhändler gehen nach demselben Prinzip wie formalisierte vor, handeln
aber mit kleineren Abfallmengen. Zwischen den informellen Zwischenhändlern und der
Industrie operiert mindestens ein weiterer (formeller) Zwischenhandels- und Lagerbetrieb,
der das Material von einem oder mehreren informellen Zwischenhändlern zukauft und
anhäuft. Die Größe des Zwischenhandelsbetriebes bestimmt über die Höhe des
Weiterverkaufes und schließlich über die Höhe seines Gewinns. Je größer ein
Zwischenhandelsbetrieb ist, desto besser und effizienter ist seine Arbeitsorganisation und
desto höher sind auch Ertrag und Produktivität (Bierbrauer 2011: 83-84).
Informelle Zwischenhändler operieren vorrangig in der Nähe von den Wohngebieten der
cartoneros, wo sie ihnen den gesammelten Abfall auf direktem Wege abkaufen. Nehmen die
acopiadores den cartoneros ihr Material nicht ab, müssen sie sich andere Zwischenhändler
suchen. Die Bezahlung des Materials erfolgt in bar. Die Höhe der Bezahlung ist vorrangig
davon abhängig, an welchen Zwischenhändler die cartoneros ihre gesammelten Abfälle
verkaufen. Zwischenhändler bieten unterschiedliche Preise und Leistungen an, die von
verschiedenen Faktoren abhängen können. Grundsätzlich errechnen Zwischenhändler den
Preis für das Material aber den aktuellen Rohstoffpreisen entsprechend. Weitere
Einflussgrößen auf die Bezahlung sind die Dringlichkeit der Bezahlung sowie die Distanz
zwischen der Lagestätte des cartonero und der Lagerhalle des Zwischenhändlers (Abduca
2011: 205). Zudem existieren Plätze, an denen sich an Waren interessierte Zwischenhändler
verstärkt aufhalten. Beliebte Plätze für das Zusammentreffen von cartoneros und informellen
Zwischenhändlern sind insbesondere vor dem Einkaufszentrum Abaso, der öffentliche Raum
rund um den Bahnhof „11 de Septiembre“ im innerstädtischen Viertel Balvanera oder die
Anfahrtsstraße zur CEAMSE (Abduca 2011: 200-202).
Mit der Einrichtung von Centros Verdes und Sortieranlagen nach dem Ley 992 sollten
Eingriffe in bestehende Organisationsstrukturen der informellen Abfallsammlung vorge85
nommen werden. Die Gesetze sahen eine differenzierte Abfallsammlung (siehe Abfallwirtschaft von Buenos Aires) über Kooperativen vor. Kooperativen sollten die Rolle der
informellen Zwischenhändler übernehmen und die gesammelten Materialien an große,
formelle Zwischenhändler oder direkt an die Industriebetriebe verkaufen (Paiva 2008: 150).
Außerdem sollten sie größere Mengen an Abfall in ihren Sortierzentren trennen, lagern und
in ein oder zwei weitere Instanzen Zwischenhandelsschritten an die Industrie weiterverkaufen (Ciudad de Buenos Aires 2012e).
Sämtliche Teile der Recyclingkette der differenzierten Abfallsammlung sollten aus
registrierten Unternehmen bestehen und daher von Stadt und Staat normierten Prinzipien
folgen. Folgende Grafik soll die geplanten Veränderungen in der Abfallwirtschaft
5. Abb.: Netzwerke der cartoneros/recuperadores nach der Formalisierung, eigene Darstellung
veranschaulichen:
Kooperativen sollten die wirtschaftliche Vernetzung von AbfallsammlerInnen vereinfachen.
Da aber nur fünf Prozent (knapp 1000 Personen) aller cartoneros an Kooperativen
(Schamber 2008: 98; Paiva 2008: 190) beteiligt sind, sind ihre Ausmaße als wirtschaftliche
Netzwerke für die Organisationsformen der Abfallsammlung von relativ geringer
Bedeutung. Lampasona und Fajn führen das fehlende Interesse der cartoneros an der
Teilnahme
an
Kooperativen
hauptsächlich
auf
die
ausbeuterische
Praxis
vieler
Abfallkooperativen zurück. Fajn sieht das mangelhafte Interesse an Kooperativen in der
hierarchischen
86
und
profitorientierten
Ausrichtung
der
neuen,
mit
Kirchners
Förderungspolitik entstandenen Kooperativen begründet (Fajn 2002: 16-19). Die
ideologische Ausrichtung der ab 2001 entstandenen Abfallkooperativen hat sich nach Fajn
stark in Richtung Gewinnmaximierung verändert und von der sozial-synergetischen Idee der
aus „alten cirujas“ bestehenden Kooperativen differenziert. Der große Unterschied zwischen
vielen „neuen“ Kooperativen und klassischen Zwischenhandelsbetrieben besteht nach
Lampasona (2012) hauptsächlich darin, dass die Kooperativen einer Gemeinschaft und nicht
einzelnen Personen oder Familien gehören, ihre eigenen Entscheidungen über die Zukunft
des Unternehmens treffen können.
4.3.5 Zugang zu öffentlichem Raum, Abfall und Betriebsmittel
Die Verfügbarkeit von Ressourcen, Geld, Betriebsmittel, Abfall und öffentlichem Raum ist
die wichtigste Komponente des Abfallsammelns. Vor der Formalisierung waren die
cartoneros beim Zugang zu den Betriebsmitteln auf sich selbst gestellt. Vom Staat wurden
weder Fördergelder noch Räumlichkeiten für Lagerung und Sortierung finanziert oder
subventioniert. Auch der Abfall war Eigentum konzessionierter Abfallunternehmen. Das
Entnehmen des Abfalls von den Müllbeuteln auf der Straße war seit den 1970ern verboten
und wurde bestraft (Schamber 2008: 59-60). Cirujas wurden aus dem Stadtzentrum
vertrieben, inhaftiert oder verwarnt. Gelegentlich wurde der gesammelte Abfall konfisziert,
weil er als gestohlen galt. Als die Abfallsammlung in den 1990ern unüberschaubar hohe
Ausmaße annahm, startete die Stadt Buenos Aires mehrere Delogierungsversuche, bei denen
öffentlich Gewalt gegen die AbfallsammlerInnen angewandt (Lavaca 2008) und ihr
gesammeltes Material beschlagnahmt wurde (MTE 2012). Dies löste mehrere politische
Diskussionen über die öffentliche Abfallorganisation aus. Verhandlungen zwischen
politischen Vertretern, sozialen Bewegungen (vgl. Kapital 21. Jahrhundert), konzessionierten
Abfallunternehmen und den cartoneros selbst setzten ein, die mit der Aufhebung des nichtkonzessionierten Sammelverbots ihren Anfang fanden. Mit dem Ley 992 (2002) wurden den
cartoneros Nutzungsrechte zugesprochen, die Abfallsammlung wurde legal, das Entnehmen
des Abfalls wieder erlaubt und die Bewegungsfreiheit zurückgegeben. Die Eigentumsrechte
blieben bislang aber bei den Abfallunternehmen (Koehls 2007: 197).
Trotz der mehrfachen Gesetzesnovellierung ist die Abfuhr von Haus- und Industriemüll nach
wie vor den Abfallunternehmen vorbehalten. Abfallunternehmen standen in ständigem
Konflikt mit den cartoneros, da die individuelle Abfallsammlung ihre Einnahmen seit 2001
87
stark reduzierte. Abfallunternehmen wurden bis 2007 nach abgeführtem Abfallvolumen
bezahlt. Die verstärkten Sammeltätigkeiten der cartoneros verringerte das Sammelvolumen
der Abfallunternehmen erheblich. Die offenen Konflikte um das Vorrecht auf den Müll
bewirkten Regierungsinitiativen, welche die Abfallsammlung neu regulierten sollten. Die bis
2005 bestehenden Verträge der CEAMSE mit den konzessionierten Abfallunternehmen
wurden gelockert und für Kooperativen geöffnet. Seit 2007 werden konzessionierte
Kooperativen mit Sortieranlagen oder Centros Verdes von den Abfallunternehmen mit
Abfallladungen versorgt (siehe Formalisierungsprozess). Die Abfallunternehmen blieben
weiterhin wichtige Vertragspartner, in einer etwas loseren Form nach neuem Konzept, das
2007 unter dem Programm „Ciudad Limpia“ zu laufen begann. Im Vordergrund des neuen
Sammelkonzepts stand nun nicht mehr die Menge des abtransportierten Abfallvolumens,
sondern die Anzahl der gesäuberten Stadtgebiete. Die Bezahlung der Abfallunternehmen
nach gesäuberten Bereichen sollte zur Effektivitätssteigerung der Abfallentsorgung führen.
Mit dem neuen Konzept wurde der Konflikt zwischen den Abfallunternehmen und den
cartoneros weiter verschärft. Die Abfallunternehmen sahen sich mit einer Menge
aufgerissener Müllbeutel konfrontiert, für deren Beseitigung sie fortan verantwortlich waren
(Cunita 2012: 106). Die Regierung reagierte auf die Einwände der Abfallunternehmen mit
finanziellen Anreizen für recuperadores urbanos. Bis heute wurden die Konflikte um die
verunreinigten Straßen nicht gelöst (Vega Martínez 2012).
Mit dem Plan zur Containerisierung werden seit 2006 im Großraum Buenos Aires Container
aufgestellt, welche die Stadtbewohner zur Trennung des Hausmülls ermuntern sollten. Der
Plan der Containerisierung aus dem Jahre 2006 sah für große Erzeuger, Hotels,
Bürogebäude, Krankenhäuser und Industriebetriebe vor, sich als solche in einem Register
einzutragen und damit die Entsorgungsart des Abfalls festzulegen. Bisher werden Abfälle
von 250 Großerzeugern in die Sortieranlagen der Kooperativen transportiert oder vor Ort
abgeholt (Ciudad Buenos Aires 2012f). Für die Kooperativen ergibt sich daraus ein Zugang
zu wertvolleren Ressourcen als in der Straßensammlung, welche das Öffnen jedes
Müllbeutels impliziert.
2001 wurde eigens für die aus dem Norden der Stadt stammenden cartoneros ein Zug, der
Tren Blanco (der „Weiße Zug“), zwischen der Vorstadt José León Suárez und dem
innerstädtischen Viertel Retiro eingerichtet. Der Zug verkehrte mit demontierten Sitzbänken,
damit die cartoneros ihre Handkarren und Säcke mittransportieren konnten. Im Jahr 2007
88
wurde der Tren Blanco wieder eingestellt. Die Stadtregierung bekundete offiziell, im Zug
und an den Bahnhöfen wären zwischen cartoneros und Stadtbewohnern zu viele Konflikte
ausgefochten worden. Außerdem hätte der Betrieb des Zuges zu starken Verzögerungen
anderer Züge geführt27. Die Abschaffung des Zuges fiel aber mit dem Amtsantritt des neuen
konservativ-liberalen Bürgermeisters Mauricio Macri zusammen. Den Interessen der MacriGruppe28 getreu, sprach sich Macri bereits 2002 gegen die Anerkennung der
Abfallsammlung als Arbeit aus und suchte die cartoneros aus dem Stadtzentrum zu
verbannen: „Este es un negocio millonario y los cartoneros tienen una actitud delictiva
porque se roban la basura (…) Además, no pagan impuestos y la tarea que realizan es
inhumana. Los recolectores informales no pueden estar en la calle. Los vamos a sacar de la
calle“29(Mauricio Macri, La Nación, 27. 08. 2002).
Der Zug wurde durch Kleinlastwägen mit anderen Haltestellen ersetzt. Die Kleinlastwägen
vermochten aber die fehlenden Transportkapazitäten des Zuges nicht im Geringsten
auszugleichen. Viele cartoneros blieben mit ihren Abfallladungen ohne Rückfahrmöglichkeit
in der Innenstadt zurück oder kamen mit großen Verzögerungen bei ihren Wohnungen an.
Als Reaktion auf die fehlenden Rücktransporte legten sie in der Innenstadt nicht genehmigte
Lagerstätten (galpones) an, in denen sie ihre gesammelten Abfallprodukte deponierten
(Lavaca 2008).
4.3.6 Identität
Das Abfallsammeln war für die cirujas eine „normale“ Arbeit, die sie seit Generationen
ausübten, und die auf Gewohnheiten und Traditionen basierte. Cirujas hatten auf
individueller bzw. auf Haushaltsebene Arbeitsdynamiken entwickelt, mit der sie ihren
Fortbestand sichern konnten (Perelman 2007: 260).
Für die vormalige ciruja und heutige Mitarbeiterin der Kooperative „El Ceibo“ Julia Nevarra
ist das Abfallsammeln von Beginn an harte Arbeit gewesen: „Trabajar, trabajar, trabajar es
27 „La suspensión del tren blanco se debió a innumerables quejas de pasajeros, a problemas de mantenimiento y de
demoras de todos los servicios“, äußerte sich der damalige Sprecher von der städtischen Bahngesellschaft Trenes de
Buenos Aires (TBA) Gustavo Gago zur Auflösung der zentralen Errungenschaft der cartoneros (Mi Belgrano 2008)
28 Die argentinische Wirtschaftsgruppe Macri besaß bis 1997 das Abfallunternehmen Manliba. Bis 2002 blieb sie an den
Abfallunternehmen Ecol S.A., Transmetro S.A., Aseo S.A., Lodimet S.A. (ex Manliba) und Saframa S.A. beteiligt.
2002 zog sie sich aus allen zurück und übergab sie der Wirtschaftsgruppe Mauro (Colon Buenos Aires 2005).
29 „Dies [die Abfallwirtschaft] ist ein Millionengeschäft, in welchem die cartoneros eine deliktische Haltung einnehmen;
sie stehlen den Abfall (…) Außerdem bezahlen sie keine Steuern und verrichten eine inhumane Arbeit. Die informellen
AbfallsammlerInnen können nicht auf der Straße sein. Wir werden sie von den Straßen holen.“ (R.H.)
89
lo único que hemos hecho (…)”30 (2012). María Julia begann in den 1970ern als Jugendliche
Abfall zu sammeln. Die finanziellen Ressourcen der Familie reichten nicht aus, um das
Überleben zu sichern. 20 Jahre arbeitete sie alleine, bis sie 1989 mit sechs KollegInnen
begann, eine Kooperative im wohlhabenden Stadtviertel Palermo zu gründen: „Eramos siete
mujeres fundadoras que las siete mujeres éramos cirujas individuales. Y ser individual
significa andar rompiendo bolsas”31. Um den Nachbarn die Angst vor einer
Abfallkooperative in ihrem Viertel zu nehmen und Vertrauen zu gewinnen, hängten sie
Zettel mit ihrer Identität an Bäumen auf und klingelten an den Haustüren der Nachbarn. Mit
dem steigenden Vertrauen der Etablierung der Kooperative als Abfallsammelstelle
veränderte sich ihre eigene Berufszuschreibung von der ciruja hin zur recuperadora urbana:
„Ahora somos unas recuperadoras socio-ambientales [= urbanas, RH]. Agarramos una
logística.“32 (Nevarra 2012). Die Bezeichnung „cartonero“ lehnte Nevarra kategorisch ab.
Die zur Identität der cartoneros forschende Soziologin Mercedes Vega Martínez sieht den
Grund für das Überspringen der cartonero-Identität in der Darstellung des „cartonero“Subjekts als verarmten Mittelschichtsbürger, dessen letzte Überlebensmöglichkeit der Abfall
ist.“[Los cirjuas] se avergonzaban de esa posición [del cartonero] porque era sucio y
desvalorizado socialmente. Creo por eso la gente del Ceibo se llama a si mismo
recuperadores urbanos y no cartoneros; porque eso les daba vergüenza”33 (Vega Martínez
2012).
Ursachen für die verschiedenen Identitätskonstruktionen der AbfallsammlerInnen sind die
verschiedenen Erwerbslaufbahnen der „alten“ cirujas und der „neuen“ cartoneros. Die alten
cirujas hatten meist keine formelle Arbeitserfahrung gemacht und kannten ausschließlich
prekäre und informelle Arbeitsverhältnisse (Lampasona 2012). Aus Untersuchungen von
Perelman und Suárez ging hervor, dass die Gruppe der neuen AbfallsammlerInnen einen
höheren
Bildungsgrad
aufweist
und
längere
formale
Erwerbsbiografien
als
FabrikarbeiterInnen, VerkäuferInnen, Angestellte, KellnerInnen, Tankwarte, PolizistInnen,
Unteroffiziere, LehrerInnen, etc. vorzuweisen hatten. Viele hatten auch Gelegenheitsarbeiten
im Bauwesen oder in der Landwirtschaft ausgeübt beziehungsweise ein Handwerk erlernt.
30 „Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Das ist das einzige, was wir immer gemacht haben.“ (R.H.)
31 Wir waren sieben Gründerfrauen, sieben cirujas individuales. Und indiviual zu sein bedeutete, Müllbeutel zu
durchsuchen“. (R.H.)
32 „Jetzt nicht mehr, jetzt sind wir sozial-ökologische recuperadoras [urbanas], wir sind jetzt organisiert“.
33 „Sie [die cirujas] schämten sich dieser Position [=des cartonero], weil sie als schmutzig galt und sozial abgewertet
wurde. Ich glaube, deshalb nennen sich die Leute von „El Ceibo“ selbst „recuperadores urbanos“ und nicht „cartonero“;
es war ihnen peinlich.“ (R.H.)
90
Eine Untersuchung der IOM/UNICEF aus dem Jahre 2005 zeigte, dass etwa 25% der
befragten cartoneros zuvor eine Form von abhängiger Lohnarbeit ausgeübt hatten. Weitere
40% der cartoneros arbeiteten zuvor auf eigene Rechnung im Bau- und Transportgewerbe
oder übten Haus- und Heimarbeiten aus. 13% der befragten cartoneros arbeiteten im
Handwerk, die übrigen 10% schlugen sich vor der regelmäßigen Sammlung mit
verschiedenen anderen Gelegenheitsarbeiten durch (IOM/UNICEF 2005: 31).
Mit der Entkriminalisierung der cartoneros 2002 entfachte eine länger andauernde
Diskussion darüber, ob das Abfallsammeln Arbeit sei oder nicht. Die vielseitigen Argumente
für die Abfallsammlung als Arbeitsform betonten allesamt den Nutzen der informellen
Recyclingaktivitäten für den städtischen Umweltschutz. Auch die cartoneros sahen sich
selbst eine Tätigkeit verrichten, in der sie ihren Lebensunterhalt mit einer für die
Gesellschaft nützlichen Aktivität verdienen (Perelman 2007: 260).
Trotz der starken Vernetzung der cartoneros mit den Arbeiterbewegungen und der militanten
Befürwortung des Abgeordneten Valdés verkündete der damalige Generalstaatsanwalt
Nicolás Becerra, dass Abfallsammeln weder als Erwerbsarbeit bezeichnet noch den
Arbeitenden nicht derselbe Schutz gewährt werden könne, wie er allen Arbeitenden nach
dem Arbeitsrecht des Artikel 14 der nationalen Konstitution34 zustehen würde. Er stützte
seine Argumente darauf, dass das normative und judikative Verständnis von Arbeit nicht auf
alle in der Soziologie und Anthropologie existenten Konzepte von Arbeit reagieren können.
Zudem wäre es keine „spontane“ und „natürliche“ Form von Arbeit, die von manchen
Gesellschaftsteilen als kriminell betrachtet werden würde. Becerra stieß mit seiner Haltung
der immer größer werdenden Menge von cartoneros gegenüber auf breite Zustimmung in der
Stadtregierung. Allerdings besaß das nationale Amt für Statistik und Zensus (INDEC) die
Beschäftigungskategorie „cartoneros“ (Perelmann 2007: 255-256).
Bevor die cartoneros mit der Abfallsammlung begannen, waren sie vecinos, die die Arbeit
der cirujas verurteilten. Während der oder die AbfallsammlerIn ihre bzw. seine Tätigkeit
selbst als Arbeit betrachtete, erkannten viele Nachbarn die Tätigkeit als bloße Beschäftigung,
um sich dem Abhilfe gegen die Einkommenslosigkeit zu schaffen. Viele der Nachbarn
verstanden das Abfallsammeln als unwürdige Tätigkeit, die sie mit Bettelei und der
Ausnutzung der öffentlichen Wohlfahrt verbanden. Als sie selbst ihre Arbeitsplätze verloren,
wurden sie Teil dieser Gruppe. Für die neuen AbfallsammlerInnen stellte die
34 Der Artikel 14 der Konstitution garantiert das Recht auf Arbeit mit würdevollen gleichen Arbeitsbedingungen, geregelte
Arbeitszeiten und bezahlte Urlaube und Pausen, angemessene und gleiche Entlohnung für die gleiche Arbeit (Senado de
la Nación Argentina o.J.)
91
Abfallsammlung einen Bruch in ihrem beruflichen Leben dar. Die Mehrheit der neuen
cartoneros empfand sich als sozial verelendet und wollte nicht an die traditionelle
Arbeitsethik der „Alten“ anknüpfen. Die cartoneros betrachteten das Abfallsammeln als
kurzfristige Arbeitsmöglichkeit und hatten ihre eigene Identität als vorübergehende
cartoneros klar definiert (Perelman 2007: 250). Die Beziehungen der neuen cartoneros zu
den vecinos wichen von jenen der alten cirujas ab. Sie suchten weniger nach
nachbarschaftlichen Beziehungen als die „Alten“, die mehrheitlich großes Interesse daran
hatten, freundschaftliche Beziehungen zu den vecinos aufzubauen. Von der Arbeitslosigkeit
betroffen, von Scham erfüllt und in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt, zeigten viele neue
cartoneros wenig Interesse an engen nachbarschaftlichen Kontakten (Perelman 2007: 262).
Um diese Diskrepanz zwischen „alten“ und „neuen“ AbfallsammlerInnen zu lösen, wurde
von Seiten der Stadtregierung der neutrale Begriff „recuperador/a urbano/a“ eingeführt, der
frei von negativen Wertzuschreibungen war. Hintergrund dieser terminologischen
Veränderung ist die Akzentuierung der sozialen und ökologischen Nützlichkeit der
cartoneros (Schamber/Suárez 2007: 41). Obwohl mehr als 10.000 Personen als
recuperadores urbanos registriert sind (PRU 2006:3), wurde die gemeinsame Identität der
recuperdores urbanos weder von den AbfallsammlerInnen selbst, noch von Öffentlichkeit
und Medien angenommen (Medina 2007: 174).
4.3.7 Politische Organisation
Vor der Krise lebten die cirujas in der Marginalität (vgl. Lomnitz 1977; Birkbeck 1979). Die
Ausdehnung der Abfallsammlung auf mittelschichtige Gesellschaftsmitglieder veränderte
die Haltung der Stadtbewohner den vormaligen cirujas gegenüber (vgl. Perelman 2007). Sie
wurden in viele Stadtteilinitiativen integriert und permanent in den Medien thematisiert, da
sie plötzlich einen unübersehbaren Bestandteil des öffentlichen Raumes darstellten (vgl.
Colectivo Situaciones 2003: 10). Der cartonero galt plötzlich als Personifikation der
verarmten Mittelschicht, als „neues soziales Objekt“, das zur neuen Identität des Landes
dazugehört. Besonders in den reicheren Stadtteilen Palermo und Belgrano nahmen sich die
asambleístas der stetig steigenden Anzahl der cartoneros an. Dort wurden Treffen organisiert
und kleine private Fonds zur Unterstützung der cartoneros eingerichtet. In anderen Vierteln,
Colegiales und Palermo Viejo, wurden Tetanusimpfungen finanziert, die bei einem regulären
Preis von 50 Pesos von vielen cartoneros hätten nicht bezahlt werden konnten (Koehs 2007:
92
196). Die politische Solidarität der Arbeitslosenbewegungen gegen staatliche Unterdrückung
schloss auch sie als eine Gruppe von Akteuren mit ein. Die direkte Verbindung der
piqueteros zu den Abfallsammelnden bestand im Kampf um Arbeit und soziale
Gerechtigkeit, den die piqueteros stellvertretend für alle Arbeits- und Existenzlosen der
Mittel- und Unterschicht gegen die Obrigkeit führten. Als eigenständige politische Akteure,
wie sie als piqueteros, als asambleístas oder als FabrikbesetzerInnen in Erscheinung traten,
können die cartoneros aber nicht betrachtet werden (Boris/Tittor 2006: 93).
Jessica Koelhs sieht die Verbindung zu politisch aktiven Akteuren als besonders wichtig,
weil damit das soziale Erscheinungsbild der cartoneros aufgewertet wurde. Sie trugen
maßgeblich dazu bei, dass sich das Bild vom cartonero als Verbrecher und Bettler in jenes
des wegen der Krise arbeitslos gewordenen Mitbürgers umwandeln konnte. Die größer
werdende Solidarität, die den cartoneros von den sozialen Bewegungen entgegen gebracht
wurde, war fundamental für den Anstoß des Formalisierungsprozesses (Koehs 2007: 196).
Im Zuge der Formalisierungsmaßnahmen wurden bislang noch keine direkten Maßnahmen
ergriffen, um die politische Organisation der cartoneros zu fördern. Die Kooperativen
vernetzten sich aber und richteten Verbände ein, mit der sie ihre Interessen der städtischen
Politik gegenüber vertreten konnten. Seit 2001 existiert eine verbandsmäßige Organisation
der cartoneros, SUCARA (Sindicato Único de Cartoneros de la República Argentina), die
dem
Gewerkschaftsdachverband
CTA
sehr
nahe
steht.
Problematisch
an
der
Interessensvertretung der cartoneros ist bislang aber noch, dass die für die Gesamtheit der
cartoneros zahlenmäßig relativ unbedeutenden Kooperativen nach einer kollektiven
Interessenvertretung der cartoneros streben und dabei häufig ihre eigenen Interessen in den
Vordergrund stellen (Schamber/Suárez 2007: 42).
4.4
Eigene Befragungen und Beobachtungen
Im Folgenden werden jene relevanten Ergebnisse aus eigenen Befragungen und
Beobachtungen dargestellt, welche im Zuge des Forschungsaufenhaltes geführt wurden. In
den Interviews finden sich zahlreiche Informationen über die Entwicklung des Phänomens
und die Organisation der Abfallsammlung, die in der Literatur wenig detailliert oder nicht
behandelt wurden.
93
4.4.1 Interview mit Mercedes Vega Martínez und Julieta Lampasona
Im Interview mit zwei Soziologinnen, Mercedes Vega Martínez und Julieta Lampasona vom
sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut Gino Germani der Universität von Buenos Aires
(UBA), am 25.02.2012, wurden wesentliche Aspekte zu den Beziehungen zwischen
formeller und informeller Arbeit besprochen. Aus dem Gespräch ging hervor, welche Praxis
in Kooperativen herrscht, welche Konkurrenzverhältnisse zwischen den cartoneros bestehen
und wie komplex die Organisation der Müllabfuhr ist.
Mercedes Vega Martínez machte zu Beginn des Gesprächs deutlich, dass die Krise
unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene soziale Schichten hatte: „Die Krise 2001
war in jeder Hinsicht eine Krise im Endstadium. Individuell und sozial war sie brutal, mit
zweistelliger, äußerst hoher Arbeitslosenrate. Das hat zur Folge, dass große soziale
Fraktionen nicht mehr wussten, wie sie ihr eigenes materielles Leben reproduzieren sollten
(…) Die Krise hat sich ausgebreitet und schließlich alle sozialen Fraktionen erfasst.“ Sie
erklärte, dass jene sozialen Fraktionen am stärksten geschwächt wurden, die ohnehin schon
am schwächsten waren. Das verbleibende symbolische Kapital verteilte sich auf die sozialen
Fraktionen der Mittelschicht. Diesen Fraktionen blieben die Möglichkeiten erhalten, mit
geringfügig veränderten Arbeitsbedingungen weiterzuleben. Besitzloseren Schichten blieben
aber als Alternative zur Kriminalität nicht viele Möglichkeiten: „Sie wissen nicht, wie man
spricht, wie man schreibt, wie man liest, sie haben nichts zu essen, … also versuchen sie die
Krise irgendwie zu überstehen (…) Sie gehen mit dem letzten Element der
Redistributionskette arbeiten, das es gibt – Abfall, was die Menschen wegwerfen. Das ist das
letzte, was sie verwenden können.“
Sie berichtete weiter, dass das Einstiegsmotiv für viele zunächst die Suche nach Essbarem
war: „Es gab endlose Schlangen von Menschen bei Abfallcontainern von Restaurants, die
auf Überreste zum Essen warteten. Das breitete sich aus, wurde zur geläufigen Strategie,
nicht nur bei den Restaurants“. Später wurde von den Menschen erkannt, dass es in den
Containern Dinge gibt, mit denen gearbeitet werden kann, welche verkauft und zu Geld
gemacht werden können. Sie nahmen andere Familienmitglieder mit, die bei der Suche nach
Abfall und damit bei der Suche nach einer Reproduktionsmöglichkeit des materiellen Lebens
helfen konnten. Die Anzahl der sammelnden Familienmitglieder bestimmte bei der Suche
nach Überlebensfähigkeit über die Menge der gesammelten Materialien. Sie nahmen die
94
bekannten Traditionen der formellen Arbeitsverhältnisse wieder auf und gaben das Wissen
über die Arbeit an ihre Kinder weiter. „Wenn die Leute zum Abfallsammeln „informelle
Arbeit“ sagen, meinen sie in diesem Fall eine bestimmte Form informeller Arbeit. Sie trägt
eigene Disziplinen der formellen Arbeit in sich. Sie sammeln um die gleiche Zeit, halten
dieselben sozialen Beziehungen aufrecht und gehen respektvoll mit den Absprachen um, die
sie mit den Leuten aus den Nachbarschaften gemacht haben. Ein Typ, der vor den Augen der
Hausfrau, die täglich den Gehsteig kehrt, auf der Straße Müllbeutel zerreißt und den Inhalt
offen liegen lässt, wird von ihr zurechtgewiesen. Die Frau weiß genau, dass dieser Typ jeden
Abend die Straße verschmutzt. Die Frau bleibt also jeden Abend mit dem Besen versteckt
draußen stehen, um den Typen, der das macht, eins überzuziehen. Das habe ich in meinem
Viertel gesehen. Die Frauen warten mit dem Besen in der Hand darauf, dass die cartoneros
kommen, um ihnen eine Abreibung zu verpassen, weil sie ihnen die Straße verschmutzen.“
Über solche alltäglichen Auseinandersetzungen wurden, so Vega Martínez, Absprachen
zwischen cartoneros und vecinos ausgehandelt, die bis heute Gültigkeit haben. Die
Absprachen sind sehr präzise und betreffen Regelungen über Grenzen von öffentlichem
Raum und persönlichen Bereichen der Nachbarn.
Mercedes Vega Martínez erläuterte weiter, dass mit der Destabilisierung des Landes immer
mehr verarmte Menschen zu sammeln begannen. Die Anzahl der cartoneros stieg und hielt
sich bis heute. Grund dafür ist die schlechte Arbeitssituation in der Stadt. Die Ausbreitung
der cartoneros hatte zur Folge, dass sich die Beschäftigung mit Beginn des 21. Jahrhunderts
institutionalisiert hatte. „Am Anfang hat es Angst verursacht, sehr viel Angst.“ Die hohe
Anzahl an cartoneros führte zu Gegenreaktionen in der Bevölkerung, sie versuchte, die
cartoneros von den Straßen verschwinden zu lassen: „Es gibt Fraktionen, die fanden und
immer noch finden, dass die cartoneros Diebe des Eigentums von für die Straßenreinigung
beauftragte Unternehmen sind.“
Laut Mercedes Vega Martínez ist der Staat als Institution im Zusammenhang mit der
Abfallsammlung schwer zu definieren, da es verschiedene Regierungen, die Stadtregierung,
die Nationalregierung und die Provinzialregierungen gibt, die den cartoneros gegenüber
verschiedene Haltungen einnehmen und unterschiedliche Interessen verfolgen. „Die Stadt
Buenos Aires unterstützt sie. Eigentlich versucht sie auf der einen Seite, ihnen
tröpfchenweise zu helfen, sie zu entflechten. Auf der anderen Seite vergibt sie aber
Konzessionen an Abfallunternehmen“. Diese Abfallunternehmen sammeln ihrerseits
Gegenstände ein, die cartoneros bei ihrer Sammlung zurückgelassen haben und verkaufen
diese selbst an Zwischenhändler weiter. „Es gibt also viele Interessen im Spiel. Das lässt
95
einem die Gültigkeit der bekannten Prozentzahlen noch einmal überdenken, die für die
Recyclingwirtschaft existieren.“
Mercedes Vega Martínez kam im Interview auf die Heterogenität der cartoneros zu
sprechen. Sie erklärte, dass es zwischen cartoneros individuales und cartoneros in
Kooperativen große Unterschiede gibt, die insbesondere auf die unterschiedlichen
Arbeitsverhältnisse zurückzuführen sind. Die Gemeinsamkeit der verschiedenen Fraktionen
lässt sich laut Mercedes Vega Martínez darauf reduzieren, dass sie allesamt im Moment eine
Arbeit mit geringen Qualifikationsanforderungen ausüben. „In den Fraktionen, die ich
gesehen habe, habe ich eine cartonera gesehen, die zuvor Professorin für Philosophie war.
Eine andere war Näherin. Zwischen einer Professorin, einer Näherin und einem Dieb gibt es
einen großen Unterschied. Daneben sammeln auch Drechsler, Maschinenbauer – alles hoch
qualifizierte ArbeiterInnen.“ In der Heterogenität der Gruppe liegt begründet, dass es keine
gemeinsame Identität gibt. Viele der cartoneros sagen, dass sie Abfall sammeln, bezeichnen
sich aber nicht als „cartonero“ oder „cartonera“. Sie waren ihre alte Identität, indem sie ihren
alten Beruf nennen. Für die „neuen“ ist der Begriff „cartonero“ ist mit schmutziger Arbeit
und sozialer Abwertung verbunden. „Deswegen glaube ich, dass sich die Leute von „El
Ceibo“ recuperadores urbanos nennen und nicht cartoneros, weil sie sich des Namens
„cartonero“ schämen.“ Mit dem Ausbreiten der cartoneros auf den Straßen sank die Angst
der Stadtbevölkerung auf der einen Seite. Auf der anderen Seite entwickelte sich das
Abfallsammeln zu einem offenen Geschäftsfeld auf eigene Rechnung, in dem verschiedene
cartonero-Identitäten präsent waren: „Es sammeln die cartoneros, es sammeln die
recuperadores, es ist auch eine kleine Arbeit für absolut marginalisierte Fraktionen, die
manchmal stehlen und manchmal sammeln“. Mit marginalisierten Fraktionen meinte sie jene
cartoneros, die zuvor formelle Arbeitsverhältnisse hatten und in der ersten Generation
sammelten. Jene wurden nach Mercedes Vega Martínez als „Lumpen“ bezeichnet.
Daran
anknüpfend
machte
Julieta
Lampasona
auf
die
Differenzen
in
der
Identitätskonstruktion in Verbindung mit formeller Arbeitserfahrung aufmerksam: „Der
cartonero mit formeller Arbeitserfahrung hat seine Identität in Bezug auf das Abfallsammeln
ziemlich genau konstruiert. Darin gibt es aber mehr Unterschiede. Die absolute
Arbeitslosigkeit und die soziale Exklusion sind gestiegen. In den 1990ern wurden
Jugendliche durch jede Form von edukativer Institution marginalisiert. In dieser Hinsicht
gibt es große Unterschiede in den Formen des Arbeitens zwischen den alten cartoneros und
jenen, die zuvor informelle Arbeitsverhältnisse hatten. Die alten verfolgen ethische Regeln
96
und sie kannten nur prekäre und informelle Arbeitsverhältnisse. Das hat sich nun verändert.
Heute ist der cartonero ein soziales Symbol, aber überhaupt nicht mit der Arbeitsethik der
alten cartoneros verbunden.“
Im Zuge einer Studie über die cartoneros erkannte Julieta Lampasona zudem Veränderungen
in den „alten“ und den „neuen“ Institutionalisierungsformen der cartoneros. Sie merkte an,
dass die neue Form der Institutionalisierung hauptsächlich auf Legalisierung abzielte, aber
keine sozialen Vergünstigungen brachte. „Es war nur, um sich auf irgendeine Weise zu
organisieren, ohne die Schwarzarbeit zu formalisieren“. Subventionen, die cartoneros seit
2009 erhalten sollten, stellte sie in Frage, weil sie nicht glaubte, dass es für das
Abfallsammeln Subventionen gab. Sie fügte hinzu, dass jene cartoneros, die formale
Arbeitserfahrung hatten, staatliche Unterstützung für die Formalisierung der Arbeit
einforderten.
Sie ging darauf ein, dass die Unterschiede zwischen den individuales und den cartoneros in
Kooperativen mit den Arbeitserfahrungen der jeweiligen Fraktionen zusammenhängen. Jede
Fraktion beinhaltet wiederum kleinere Fraktionen, die sozial noch verwundbarer sind als die
gesamte Fraktion selbst, der sie zugeordnet werden. „Generell mussten wir bei den
Individuellen soziale Fraktionen sehen, die viel besitzloser waren als jene, die an
Kooperativen beteiligt waren. Manche von den cartoneros, die an Kooperativen beteiligt
waren, waren zuvor bei anderen Bewegungen (Stadtteilversammlungen oder anderen
militanten Bewegungen) aktiv.“ Sie nannte die Kooperative „El Ceibo“ als Beispiel einer
Organisation, die aufgrund von kommunalen Vorerfahrungen gegründet wurde. Sie erklärte,
dass die Gründerinnen der Kooperative in den 1980ern an Hausbesetzungen beteiligt waren,
in welchen sie kommunale Erfahrungen im Kampf ums Überleben gemacht haben, die
anders waren als die Organisationserfahrungen der „neuen“ cartoneros. Sie meinte, dass die
kollektiven Vorerfahrungen der Gründerinnen von „El Ceibo“ für das Formen einer
kollektiven Identität als Abfallsammlerinnen und das Begreifen von Abfallsammeln als
Arbeit entscheidend waren.
Vega Martínez fügte dem an, dass die Aufgaben der Kooperativen neben des Sammelns und
Ankaufens auch soziale und „natürliche“ umfassen würden, die heute weniger offensiv
verfolgt werden als früher. In der Organisation der heutigen Kooperativen erkennt sie im
Aushandeln von Rechten und Pflichten eine defensive Haltung. Ihrer Meinung nach
existieren diese Kooperativen nur, um bestimmte Formen der Organisation für diese
ArbeiterInnen umsetzen zu können und den cartoneros damit irgendeine Institution für das
cartonero-Sein zu geben. „Ich würde sagen, die Kooperative „El Ceibo“ ist die einzige
97
Kooperative im eigentlichen Sinn, alle anderen sind kleine Zwischenhandelsbetriebe, die den
Namen einer Kooperative tragen.“
Als weiteres positives Beispiel erwähnt sie die Kooperative in Bajo Flores, die für Nachbarn
Workshops zum Abfallsammeln anbietet. Sie zeigt damit eine Präsenz im barrio, die von
vielen anderen Kooperativen nicht gezeigt wird. „Sie hatten mehr interessante Dinge zu
bieten als andere, die kleine Zwischenhandelsbetriebe waren.“ Sie erklärte, dass viele
Kooperativen wie Zwischenhandelsbetriebe auftreten und Arbeitsbedingungen Verhandlungssache zwischen der betreffenden Kooperative und ihren cartoneros sei. Ob die
Arbeitsbedingungen für den cartonero/die cartonera in einer Kooperative günstiger sind,
hängt stark von der Kooperative ab. „Die Arbeitsbedingungen in Kooperativen sind für den
cartonero nicht immer günstiger, als wenn er alleine mit einem Zwischenhändler verhandelt.
Eine Frau kam einst zu mir und erzählte, dass sie mit einem Chef eines Abfallunternehmens
verheiratet sei, der von cartoneros bedroht wurde. In Wirklichkeit war der Chef ein
Hurensohn von Zwischenhändler. Ein Typ, der vom Handel mit den Materialien der
cartoneros reich wurde. Er hatte ein Unternehmen gegründet, das er „Kooperative“ nannte.
Er hatte zwei oder drei Angestellte, die für ihn den Handel auf der Straße betrieben. Und
natürlich hatten die beiden ihn bedroht, weil er nur 20 centavos für das Kilogramm Karton
bezahlte, es aber für 2,50 pesos verkaufte. Er war ein wichtiger Zwischenhändler.“
4.4.2 Interview mit Juan Garbois
Aus dem Interview mit dem Leiter Juan Garbois und der Mitarbeiterin Susana von der
cartonero-Kooperative Movimiento de Trabajadores Excluidos (MTE), am 10.02.2012,
gingen wichtige Informationen über staatliche Unterstützungsleistungen, Organisationsformen und die Effektivität von normativen Regulierungen hervor.
Auf die Einstiegsfrage, welche Funktion die cartoneros ausübten, erklärte Susana, dass die
Arbeit der cartoneros anderen mehr nützte als ihnen selbst: “Die cartoneros machen nicht
mehr oder weniger, als die Aufgabe des Staates zu übernehmen, Abfall zu separieren und
Recyclingprodukte bereitzustellen. Sie machen das, um Arbeit zu haben und ihren Kindern
Essen zu geben. Aber sie nehmen dabei eine Rolle ein, die manchmal privaten Unternehmen
hilft, ein Vermögen zu verdienen. Nicht alle Personen, die sammeln, sind in einem System, in
dem es ihnen gut geht. Im System des MTE sind schon viele, aber es fehlen noch mehr.“
98
Im Hinblick auf den Organisationsgrad der cartoneros fügte Juan Garbois Susana an, dass
dies von der sozialen Organisation der cartoneros abhängig sei: “Welche Arbeitsbedingungen
sie haben, hängt vom Organisationsgrad der einzelnen Gruppen ab. In Argentinien haben
die meisten cartoneros keine Organisation, es sind ArbeiterInnen, die individuell arbeiten,
keine Unterkunft haben und unter extrem prekären Bedingungen in Bezug auf Einkommen,
Gesundheitsversorgung, Arbeit, Transport und Sicherheit leben. (…) In Buenos Aires hat
sich die stärkste Organisation der cartoneros auf der ganzen Welt entwickelt. Die
Entwicklung der cartonero-Organisation fußt auf dem sozialen Überlebenskampf. Er hat
dazu geführt, dass das Recyclingsystem der Stadt Buenos Aires öffentlich geworden ist und
ein Bund zwischen Staat und Kooperativen geschlossen wurde. Es gibt einen Vertrag, der
den Staat dazu verpflichtet, bestimmte Gebäude bereitzustellen und die cartoneros dazu,
bestimmte Leistungen zu erbringen.“
Er erklärte zudem, dass die gesetzlichen Regulierungen kaum etwas an den
Arbeitsbedingungen der cartoneros geändert haben: „2001 war nur eine Legalisierung,
nichts weiter. Von 2002 bis 2007 war eine Periode des Widerstands. Und seit 2007 wurde
erreicht, dass die Verträge mit den Abfallunternehmen aufgelöst und öffentliche Verträge
mit den Kooperativen geschlossen wurden. Das Gesetz aus dem Jahre 2005 bewirkte auch
nicht viel. Es war ein von Greenpeace angestoßenes Gesetz, es ist theoretisch. Es ist kein
Gesetz, das umgesetzt wird. Seit 2007 haben sie begonnen, Regulierungen zu machen, die
die ArbeiterInnen ernsthaft schützen. Dass jeder Arbeiter/jede Arbeiterin eine eigene Zone
hat, ein Transportmittel, etc.“ Er fügte hinzu, dass das Interesse des Staates nicht in der
sozialen Integration von Ausgegrenzten liegt, sondern in einer Verbesserung von
umweltpolitischen Maßnahmen. „Sagen wir, der ökologische Wert der Arbeit der cartoneros
wird anerkannt. Deswegen bezahlt der Staat bestimmte Leistungen (…) Die Plastikindustrie,
die Papierindustrie, … sie tragen nichts zur Formalisierung der cartoneros bei, sie nehmen
nur die Rohstoffen an. Das müsste geändert werden. Es müsste für jede Ware, die aus
recyceltem Material produziert wird, die aus dem informellen Abfallzyklus oder aus dem
Zyklus von Kooperativen stammt, eine Steuer bezahlt werden. Die Industrie müsste dafür
Steuern für Sozialprogramme und die Inklusion der cartoneros bezahlen“.
Garbois erklärte weiter, dass der teuerste Vertrag der Stadt Buenos Aires der Vertrag zur
städtischen Sauberkeit, der sich auf 1,2 Milliarden Pesos im Jahr belaufe, sei. Nach Garbois
gingen von 2005 bis 2007 davon je 100 Millionen Pesos an die Abfallunternehmen für
Recyclingaktivitäten. Die Unternehmen recycelten aber nicht, sondern brachten den Abfall
zusammen mit dem Müll auf die Deponien im Zuständigkeitsbereich: „[D]er Vertrag war
99
ein Betrug (...) Das System bestand im Aufstellen von Containern, einen für
wiederverwertbare Gegenstände, ein anderer für Müll. Derselbe Abfallwagen nahm beide
Container auf einmal mit, warf alles auf den Müll und es wurde endgelagert. Es gab ein
paar Lagerhallen und wenige kleine Kooperativen, die zwei oder drei Tonnen pro Tag
erhielten“. Seit 2007 wurden die Recyclingverträge geändert und mit Kooperativen
abgeschlossen. Zu den heutigen Kosten der Verträge äußerte er sich aber nicht.
Ähnlich wie Mercedes Vega Martínez, führte Garbois das Ausbreiten der cartoneros auf die
Notwendigkeit zur Überlebenssicherung und dem Anstieg der Rohstoffpreise zurück: „Nach
der Abwertung 2001 ist die Anzahl der cartoneros stark gestiegen. Aus zwei Gründen:
Erstens wegen der Notwendigkeit und zweitens wegen dem relativen Preis von Karton,
Papier, Plastik...“ Politik, Kapital und Industrie betrachtet er als weniger bedeutend, denn
“wenn die Preise für Rohstoffe hoch sind, ist es für den cartonero am attraktivsten,
rauszugehen und nach Materialien zu suchen“.
Der relative Preis ist stark gestiegen. Der Markt bezahlte viel für die Ware und erlaubte,
Einkommen zu schaffen, das manchmal höher war als das frühere Gehalt. Mit den 60
centavos, die man 2001 für Karton bezahlte, konnte man sich 2001 viel mehr kaufen als
heute. Die Inflation betraf aber nur Konsumprodukte, es gab keine große Inflation im
Kartonpreis, weil sich der Kartonpreis an internationalen Preisen orientiert. Das teuerste
Material, das recycelt wird ist Kupfer, danach Aluminium. Das billigste ist Zeitungs- und
Zeitschriftenpapier. Dazwischen ist Karton, Papier, Plastik.“
Den Erklärungen zu Materialwert fügte er an, dass die gesammelten Materialien Eigentum
des jeweiligen Sammlers/der jeweiligen Sammlerin wären, der über den Verkauf in der
Regel seiner Materialien selbst bestimmen könne. „In manchen Fällen ist das nicht so, aber
diese Fälle sind sehr gering. Es gab eine Zeit, da gab es Menschen, die die cartoneros dafür
bezahlten, dass sie für den- oder diejenige/n sammelten. Das hat sich aufgehört.“ Einige
cartoneros verkaufen an die eigene Kooperative, andere an illegale Lagerhallen. „Die
Mehrheit des von den cartoneros gesammelten Materials geht an kleine, illegale
Lagerhallen.“ Von der kleinen, illegalen Lagerhalle wird das Material an größere, und
anschließend an die Industrie verkauft. „Die Fabrik kauft große Mengen an und verkauft
diese dann an sehr große multinationale Fabriken (Smurfit, Zucamor). Es gibt verschiedene
Papierfabriken, die von galpones kaufen. Die ganze Kette geht an eine wichtige Fabrik.“
100
Garbois spricht anschließend den Kontrollmechanismus zwischen Kooperativen und
staatlichen Institutionen an: „In unserer Kooperative überprüfen wir die Pflichten des
Staates. Wenn sich der Staat nicht daran hält, entwickeln wir eine direkte oder legale
Aktionsstrategie. Die Verpflichtungen, die die cartoneros haben, werden vom Staat sehr
schlecht kontrolliert. Der Staat hat bis heute nicht viel gemacht, weil er mit der Situation
nicht sehr zufrieden ist. Es gibt eine staatliche Generaldirektion für Recycling, die die
Einhaltung der Verträge mit Kooperativen kontrolliert, mehr aber nicht“. Kontrolle brachte
Garbois auch in Zusammenhang mit Exekutivkräften, die der Kooperative bis 2007 viele
Probleme bereiteten. Diese Probleme, so Garbois, waren nicht auf die Kooperative selbst,
sondern auf die Arbeitsweise der cartoneros auf der Straße zurückzuführen. Um die
Probleme in den Griff zu bekommen, wurde Schmiergeld bezahlt, „damit die cartoneros
arbeiten konnten. Es gab sehr viele Zusammenstöße mit der Polizei. Aber jetzt nicht mehr,
weil die Organisation sehr stark ist, versucht die Probleme zu lösen. Es gibt keine große
Gewalt mehr.”
Spannungen zwischen cartoneros und vecinos führte er auf unterschiedliche Interessen und
Perspektiven zurück: „Das Problem der Mittelschicht ist, dass die cartoneros die Straßen
verunreinigen. Das Problem des villero ist es, nichts zu essen zu haben, nicht
sozialversichert zu sein, keine Wohnung zu haben, weil sein Vater Alkoholiker ist.“ Dabei
erkannte er aber Nachbarschaften und Familien der Mittelschicht als die wichtigste
KlientInnen der cartoneros.
In Verbindung mit Kontrolle und Regeln sprach er auch die in der Kooperative geltenden
Regeln an, „nicht in der Straße zu rauben, keinen Kollegen zu schlagen, kein Material von
großen Erzeugern zu rauben, die Uniform anzuziehen, keine Minderjährigen mitzubringen“,
die einzuhalten seien. Regelbrüche würden zwar ermahnt, aber nicht sanktioniert, obwohl sie
häufig vorkämen. Konflikte, welche in der Organisation auftreten, stehen, so Susana, häufig
in Zusammenhang mit Hierarchie und Macht. „Wenn es nur geringe Machtunterschiede
gibt, kommt es zu Problemen. Wenn einer zum Beispiel der ist, der organisiert. Oder bei der
Aufteilung der Straßen; viele sammeln schon ewig in denselben Straßen. Diese Konflikte
sieht man aber nicht auf der Straße. Außerdem gibt es persönliche Probleme in bestimmten
barrios. Aber in der Straßensammlung werden die in der Regel nicht ausgetragen“. Susana
betonte, dass die Kooperative bei ihren Mitgliedern auf das Tragen von Uniformen großen
Wert lege, weil damit Seriosität und Ordnung ausgedrückt wird. „[Mit den Uniformen] wird
eine minimale Ordnung hergestellt. Die Uniform wird am liebsten von älteren Personen
getragen. Am Anfang war es schwer, dass gerade sie sich diese Uniformen anziehen. Jetzt
101
finden es alle cartoneros gut, weil sie damit zeigen, dass sie erstzunehmende ArbeiterInnen
sind, dass sie arbeiten und ihre Arbeitszeiten einhalten.“
Garbois sprach das fast ausgeglichene Geschlechterverhältnis (50-50) an und hob hervor,
dass Frauen in der Organisation der Arbeit protagonistische Positionen einnehmen. „Die
Mehrheit der Organisationsdelegierten sind Frauen. Sie erfüllen eine sehr wichtige Rolle in
Sachen Widerstand.“
4.4.3 Interview mit der recuperadora María Julia Nevarra
Aus den Interviews mit María Julia Nevarra, einer Mitbegründerin der Kooperative „El
Ceibo“, vom 07. und vom 16.02.2012, gingen Aspekte zur Identität und zum ambivalenten
Verhältnis zwischen Staat und Kooperativen hervor. Zudem gab das Interview mit María
Julia zahlreiche Aufschlüsse über die Organisation der cirujas vor der Krise, und damit vor
der Formalisierung der Kooperativen. Da ihre Erzählform eine narrative ist und subjektive
Bedeutungen beinhaltet, die durch Paraphrasierungen verloren gehen könnten, wird von
Umschreibungen des Inhalts abgesehen.
„Von einem Leben unter der Brücke zur Miete einer Wohnung ist ein großer Unterschied.
Früher haben wir immer in besetzten Häusern gewohnt. Wir waren sieben Gründerfrauen,
die zuvor cirujas individuales waren. Und ‚indiviudal‘ zu sein bedeutete, herumzugehen und
Müllsäcke zu öffnen. Jetzt sind wir recuperadores ‚socio-ambientales‘. Wir sind
rumgelaufen und haben uns vorgestellt, haben Zettel mit unseren Namen in der
Nachbarschaft aufgehängt. So wurden wir unter den Leuten bekannt und heute kommen sie
von weit her, um uns Material zu geben. Wir haben viel geweint, um das zu bekommen, was
wir heute haben. Jetzt haben wir einen Plan mit Zonen. Alles änderte sich mit der
Superinflation von 2001. Uns kam das zugute, sie haben uns sogar einen galpón geschenkt.
(...)
Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Das ist alles, was wir dafür gemacht haben. Es gibt Leute, die
nicht wollen, dass wir arbeiten. Aber, in Wahrheit haben wir vor nichts Angst. Wir haben die
gleichen Subventionen, die sie an andere Kooperativen, die MTE zB., geben. Aber darüber
hinaus haben wird keine Hilfe von der Regierung, wir erhalten nichts.
(...)
102
Die Aktivitäten vom Staat haben unseren Lebensrhythmus nicht verändert. Er behandelt uns
unfair. Früher haben sie uns Wägen mit Materialien gebracht, heute nicht mehr. Der galpón
ist nur eine Kleinigkeit dessen, was früher war. Vor kurzem, im Dezember oder Jänner
haben sie die Menge an Material verringert, aber uns beleidigt das nicht, weil wir immer
Frauen waren, die gekämpft haben. Wir kämpfen, um zu überleben. Wir haben ein Papier
mit der Stadt Buenos Aires unterschrieben. Wir möchten nicht, dass sich der Staat in das
einmischt, was wir erreicht haben. Das bisschen, was wir erreicht haben, wollen wir
steigern. Es fehlt immer noch viel, aber das schulden wir nicht der Regierung. Die, die uns
am Leben erhalten, sind die Nachbarn.
(...)
Was mich betrifft, ist es eine würdevolle Arbeit. Wir geben Leuten Arbeit, die arbeiten
wollen. Was wollen die Jungen sonst machen? Sie gehen raus und rauben oder nehmen
Drogen, wir geben ihnen hingegen eine andere Möglichkeit. Ab 18 können sie bei uns
arbeiten.
(...)
Cristina ist die einzige von uns, die die Volksschule abgeschlossen hatte. Ich habe mit 25 die
Volksschule begonnen und mit 59 beendet. Mein Diplom hat mir Cristina verliehen. Ich hatte
große Probleme mit Orthographie und Mathematik. Jetzt können sie mich nicht mehr für
dumm verkaufen, jetzt habe ich die Logistik in meinem Kopf. Ich möchte, dass meine Kinder
die Sekundärschule abschließen und aufs Kolleg gehen. Mit sieben Jahren habe ich zu
arbeiten begonnen.
(...)
Es sind 1.500 Pesos Miete im Monat, und ich verdiene 300 in der Woche. [Im anderen
Gespräch erzählte sie, dass sie im Monat 1.500 Pesos vom Staat erhält. Auf das
Sozialprogramm, aus dem das Geld kam, wollte sie nicht eingehen.] Der Staat möchte nichts
vom Recycling wissen. Das einzige, das ihn interessiert, ist die Endlagerung.
(…)
'Juga Limpia' ist ein schlechtes Wort für uns. Die kommen von der Regierung und wir sind
nicht an der Regierung beteiligt. Wir sind sieben Frauen, die die Kooperative gegründet
haben. Die vom 'Juga Limpia' reißen selbst die Beutel auf, weil es leichter ist, an das
Material zu kommen. Es gibt tausende Jugendliche, die rumlaufen und die Beutel aufreißen.
(...)
Wir sieben Frauen wollen von niemandem abhängig sein. Die Regierung beleidigen wir,
weil sie ziemlich hohe Leute sind und wir mit der Wahrheit kommen.
103
(...)
Wir haben um einen Lastwagen gekämpft. Wir leben mit etwas Geliehenem. Wir wollen
etwas Eigenes, das uns gehört. Sie haben uns einen Lastwagen geliehen, der kaputt
geworden ist. Wer weiß, wann sie den reparieren. Wir haben einen kleinen neuen
Lastwagen, mit dem wir die ganzen Materialen transportieren. Das ist eine Schande. Sie
sehen in ihre Richtung, aber nicht in die Richtung der Armen.
(...)
Cristina ist die Chefin. Sie ist im galpón und ich bin hier. Ich bin die Chefin der
Straßensammlung. Es gibt unterschiedliche Arbeitskategorien. Die auf der Straße verdienen
am wenigsten.
(...)
Die Nachbarn behandeln uns sehr gut. Viele haben Vertrauen, weil wir Uniformen tragen,
weil wir eine seriöse Kooperative sind. Wir kennen alle Nachbarn. Wohin ich auch gehe,
grüßen sie mich mit 'Hallo María Julia'; 'Hallo', kommt ein anderer Gruß. Wo sie auch sind,
sie grüßen uns.“
4.4.4 Beobachtungen
Beobachtung „El Ceibo“ bei der Arbeit, 13/02/2012:
Raum:
Paraguay Straße im barrio Palermo, Büro der Kooperative „El Ceibo“
Akteur(e:
recuperadores urbanos, Passanten, vecinos, Beobachterin
Aktivitäten: Vorbereitung der Straßensammlung im Büro der Kooperative
Straßensammlung der cartoneros Lucía und Julio
Gegenstand: Straße, Wohnhäuser, Gehsteige, Abfallsäcke
Handlung:
Lucía und Julio sammeln Abfall ein, María Julía Nevarra und Beobachterin
begleiten sie
Ereignisse: Lucía und Julio kommen aus dem Westen der Stadt, verspäten sich um 1
Stunde, weil Transportmittel kaputt ist. María Julia bereitet vor, welche
Straßen an dem Tag abgesammelt werden müssen, erklärt, welche vecinos
Material zurückgehalten haben. María Julia ist ungeduldig, drängt die
beiden, als sie kommen, sich schnell umzuziehen, weil die Zeiten
eingehalten werden müssen. Die beiden machen sich aus, welche Straßen
zuerst abgesammelt werden, machen den Handkarren mit dem Sack bereit
und gehen raus. Sie läuten an den Haustüren und fragen nach Materialen.
104
Sie laden sie ein, währenddessen quatscht María Julia mit den vecinos über
Alltägliches und stellt die Beobachterin vor. Die vecinos grüßen mit der
Hand, sind alle freundlich und reden die cartoneros beim Vornamen an,
fragen gelegentlich nach dem Befinden der cartoneros, helfen ihnen die
Materialien in den Sack zu schlichten. Am Ende der Sammlung werden die
Materialien vor der Kooperative stehen gelassen, Lucía und Julio werden
wieder abgeholt, María Julia durchsucht den Sack noch auf Gegenstände,
die sie selbst verwenden könnte. Sie findet alte Kugelschreiber und eine
Plastikvase, die sie im Büro aufstellt. Danach stellt sie ihn vor der Tür
bereit, damit er vom Lastwagen abgeholt werden kann.
Zeit:
zwischen 8:30 und 11:30 morgens
Ziel:
Material von den bestimmten Straßen zu sammeln
Gefühle:
Nachbarn und María Julia freuen sich, dass sie sich wieder einmal sehen
Ungeduld beim Warten auf die SammlerInnen
Ruhe und Gemütlichkeit beim Sammeln
Empörung, Verwunderung und Erstaunen von María Julia, als sie das
gesammelte Material auf die weggeworfenen Gegenstände hin untersucht:
„¿Viste lo que tiran?“
Beobachtung in den Sortieranlagen am Areal der CEAMSE, gemeinsam mit dem Forscher
Raúl Néstor Alvarez, am 14/02/2012:
Raum:
Vorstadt José León Suárez; Deponie der CEAMSE Norte III, verschiedene
Sortieranlagen am Areal der CEAMSE, sind voneinander getrennt und in
Blockform angeordnet, Tore zu den Anlagen, die an diesem Tag in Betrieb
sind, sind offen. Ummauertes Gebäude der CEAMSE, ca. 1 km langer
Zufahrtsweg zu den Sortieranlagen der Kooperativen. Das Areal ist
umgeben von saftig grünen Hügeln, die nicht als Müllberge zu erkennen
sind, Wasser an den Straßenrändern ist grün und verseucht, auch der Fluss,
der durch die Vorstadt fließt.
Siedlung der cartoneros vor dem Areal der CEAMSE: Straßen sind staubig,
die Oberfläche besteht aus ausgetrocknetem Müll. Das Wohngebiet der
cartoneros wurde oft von ihnen besetzt und durch Proteste in den eigenen
Besitz gebracht.
Akteur(e:
recuperadores, Raúl Néstor Alvarez, Beobachterin
105
Aktivitäten: Besuch der Sortieranlage der Kooperative „Tren Blanco“, Beobachtung des
Sortierens von Abfall, der von den Lastwägen der Abfallunternehmen
abgeladen wird.
Gegenstand: Sortieranlagen, umzäunte Bereiche der Kooperativen, Fließbänder befinden
sich in Lagerhallen, wo auch das Material gelagert wird. Viele der
Fließbänder sind erhöht, mit Stehflächen links und rechts, von den
Stehflächen ist ein Schaft, unter dem ein Sack steht, in dem das Material
eingeworfen werden sollte. Unten sind auch cartoneros, die die Säcke
herumschieben, falsches Material aus den Säcken rausnehmen, Materialen
in Presse geben, Ballen umwickeln.
Handlung:
SortiererInnen trennen den Abfall und pressen ihn in Ballen
Ereignisse: Besuch der Sortieranlage der Kooperative „Tren Blanco“. Leiterin
Kooperative Lidia Quinteros begrüßt uns, sagt, ich dürfe keine Fotos von
den Arbeitenden machen, Anlagenfotos seien erlaubt.
Abfallunternehmen bringen Haushalts- und Geschäftsmüll zu den
Anlagen, laden ihn ab, wo Platz ist. Frauen und Männer stehen dort und
trennen von Fließband oder direkt vom auf dem Boden abgeworfenen
Müllberg aus die Sachen. Manchmal sind Fließbänder nicht in Betrieb.
Raúl erklärt, dass sie kaputt seien. Lidia Quinteros beschwert sich bei Raúl
darüber, dass die Aufteilung der Kipper [ca. zehn pro Tag und Anlage]
unfair sei. Einige bekämen immer die „guten“, andere immer die
„schlechten“ Abfälle. Abfall aus den wohlhabenden barrios sei wertvoller,
weil er aus reichen Haushalten kommt. So auch die Handelsabfälle, weil
viele Karton beinhalten.
Raúl erklärt, dass die auf den Anlagen Arbeitenden erhalten in etwa 1.200
pesos im Monat (+1.500 extra Sozialleistungen vom Staat, als 2.700
gesamt) erhalten.
Niemand trägt Schutzkleidung. Manche haben aber Handschuhe aus Stoff
und manchmal auch feste Schuhe an.
Lidia Quinteros und andere höher positionierte MitarbeiterInnen stehen
neben der Sortieranlage und sehen den SortiererInnen zu. Raul schätzt,
dass in etwa neun bis 18 Prozent vom den Abfall des gesamten Geländes
auf den Anlagen recycelt werden, der Rest wird vergraben.
106
Eine andere Sortieranlage wurde während des Besuchs stillgelegt, weil auf
dem Fließband am Vorabend eine Frau gestorben ist – Schädelbasisbruch.
Die KollegInnen der Anlage erklärten, dass CEAMSE und die Kooperative
den Verbliebenen was zahlen müssten.
Raúl erklärt, dass ein Großteil der cartoneros Verwandte im Gefängnis hat,
das sich daneben befindet. Er sagt, viele der SortierInnen besuchen diese
oft; in der Vorstadt kommt es in fast täglichen Abständen zu Raubmorden
und Raubzügen.
Zeit:
zwischen 8:30 und 15:30
Ziel:
so viel Abfall wie möglich zu sortieren
Gefühle:
Stress bei den SortiererInnen der Kooperative „Tren Blanco“, wenn
Lastwagen mit
Material kommt,
Desinteresse der SortiererInnen am Besuch
üble Gerüche bei allen Anlagen
Trauer und Betroffenheit bei der Kooperative „Tren Blanco“ und der
anderen
Kooperative wegen Todesfall
Beobachtung der StraßensammlerInnen im Stadtviertel Balvadera, um den Congreso
Nacional, am 06/02/2012 und am 20/02/2012:
Raum:
Balvadera, 3 bis 4 Straßenblöcke um den Congreso Nacional
Akteur(e:
recuperadores urbanos, Passanten, Beobachterin
Aktivitäten: Straßensammlung der cartoneros
Gegenstand: Straße, Wohnhäuser, Gehsteige, große weiße Abfallsäcke, Müllbeutel,
Container
Handlung:
recuperadores sammeln brauchbares Material ein und geben es in Säcke
Ereignisse: Alle 2,3 cuadras ein oder zwei cartoneros. Bei Bürogebäuden oder
Einkaufshäusern manchmal auch drei oder vier, sortieren vor allem aus
Containern vor den Bürogebäuden oder Einkaufshäusern. Großer weißer
Sack bleibt stehen, cartoneros laufen hin und her und tragen die
Materialien zum Sack hin. Gezielte Sammlung, nicht alles Verwertbare
raus, sondern nur bestimmtes Material. Nehmen auch nicht alle Müllsäcke
mit. Stellen sich entweder bei den Containern auf und breiten ihre Säcke
aus, um großflächig zu trennen. In manchen Säcken waren im
Vorbeigehen nur Flaschen, nur Plastik, nur Karton o.ä. zu sehen, in
107
anderen aber alles wieder viele verschiedene Materialien. Sowohl Männer
als auch Frauen verschiedener Altersgruppen, die Müllsäcke und Container
aufreißen und ausräumen. Auch Kinder die Karren schieben, sortieren und
sammeln. Die Säcke werden teilweise verschlossen, teilweise aber offen
liegen gelassen. Manche Straßenteile bleiben äußerst verschmutzt zurück.
An beiden Tagen arbeiteten die beobachteten cartoneros an den gleichen
Stellen und deckten dieselben ein bis drei Straßen ab. Manche tragen
Arbeitstaschen mit sich.
Die Passanten beachten sie nicht. Während des Beobachtungszeitraums
erfolgte kein Austausch zwischen Passanten, Nachbarn oder cartoneros. Es
werden keine Handschuhe getragen, manche tragen Schutzjacken und hosen. Frauen sind mit kurzen Sachen (Trägertops, kurzen Hosen) und
Flip-Flops bekleidet.
Es ist nicht eindeutig ersichtlich, wer welcher Kooperative angehört.
Manche tragen aber T-Shirts und Hosen der Kooperative „MTE“.
108
Zeit:
zwischen 16:30 und 18:00 abends
Ziel:
Material von den bestimmten Straßen zu sammeln
Gefühle:
---
5
Diskussion der Ergebnisse
Einflüsse und Entwicklung des Phänomens
In der Untersuchung der Ursachen, der Einflüsse und der Entwicklung des cartoneroPhänomens, eröffnete sich ein Feld von Einflussfaktoren und Akteuren, das in der Realität
um ein Vielfaches komplexer und heterogener ist, als mit der Theorie erarbeitet werden
konnte. Die Abfallwirtschaft ist in Buenos Aires ein politisch sensibles Thema, das von
vielen Interessen und Entwicklungen geprägt wurde und noch immer geprägt ist. Entgegen
den Konzepten zu informellen AbfallsammlerInnen können die cartoneros nicht einfach als
marginalisierte, unter struktureller Armut leidende Menschen betrachtet werden, welche sich
als „Nebenprodukte“ (Lomnitz 1977: 9-10) des globalen Wirtschaftssystems das Überleben
zu sichern versuchen (Castillo 1990: 28-29; Birkbeck 1978: 1174; Sicular 1992; Grothues
1990: 97). Sie spiegeln die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen des
Landes während der letzten 20 bis 30 Jahre wider. Der cartonero wurde zu einem Symbol für
das Scheitern eines wirtschaftlich und sozialpolitisch erfolgreichen Argentiniens, das im
Zuge radikal-neoliberaler Reformen, Privatisierungen und Deregulierungen den Verlust des
sozialen Wohlstands hinnehmen musste. Der cartonero ist das Sinnbild einer in den 1990ern
Jahren einsetzenden, sozialen Verelendung und Armut, die von Politik und Gesellschaft in
den 1990ern mit defensiver Haltung in Empfang genommen wurde. Der cartonero verkörpert
sozialen Abstieg, verkörpert ein konjunkturelles „Krisenopfer“ (Paiva 2008: 93) und das
„Lumpenproletariat“ (Vega Martínez 2012) und schürt damit die Ängste der Mittelschicht,
selbst von der gesellschaftlichen Exklusion betroffen sein zu können und sich den
Lebensunterhalt wie ein cartonero verdienen zu müssen. In den Interviews und der Literatur
(Svampa 2005: 48; vgl. Interview Vega Martínez; vgl. Interview María Julia Nevarra)
enthüllten sich viele Emotionen, die den cartoneros von der Gesellschaft zu Beginn der Krise
entgegengebracht wurden: Ekel, Scham, Abstoßung, Mitleid, vor allem aber Angst, selbst
dasselbe Schicksal zu erleiden wie die verarmten AbfallsammlerInnen.
Erst 2001, mit einer unübersehbar großen Menge von SammlerInnen auf den Straßen,
wurden sozialpolitische Maßnahmen ergriffen, welche die von der Gesellschaft
ausgegrenzten Armen wieder zu integrieren suchten.
Die Formalisierung der Kooperativen konnte auf Druck von der politisch organisierten
109
Öffentlichkeit angestoßen werden, nicht aber von cartoneros, die seit Jahrzehnten darum
kämpften. Die vormalige ciruja María Julia Nevarra berichtete hierzu von Kämpfen mit der
Stadtregierung um Geld und Subventionen, die lange erfolglos blieben. Erst mit den sozialen
Bewegungen gegen Ende der 1990er änderte sich ihre Situation: „Alles änderte sich mit der
Superinflation von 2001 (…) sie haben uns sogar eine Lagerhalle geschenkt.“ Die Motoren
dieser Bewegungen waren von der Krise betroffene ArbeiterInnen, denen im Zuge der
menemschen Wirtschafts- und Sozialpolitik die Existenzgrundlage entzogen wurde
(Boris/Tittor 2006: Seite). Eine Verbindung zwischen diese ArbeiterInnen und den
marginalisierten cirujas war zuvor nicht gegeben. Die vorzugsweise Gründung von
Kooperativen nach der Verabschiedung des Ley 992 (2001) zeigt in diesem Zusammenhang
auch, dass die politischen Forderungen der Arbeiterschaft nach sozialer Sicherheit und
Ordnung eng mit Kirchners Plan zur Förderung von Kooperativen verknüpft waren. Seit
2003 wurden Kooperativen und Mikrounternehmen besonders gefördert, um durch die Krise
arbeitslos gewordene Menschen der Mittelschichten wieder Möglichkeiten zu geben,
wirtschaftlich und politisch (gewerkschaftlich) aktiv zu bleiben (Geiger 2011: 120). Vor
diesem Hintergrund lässt sich erklären, warum SUCARA, die cartonero-Gewerkschaft, vor
allem die Interessen der aus der Mittelschicht entstandenen Kooperativen vertritt
(Schamber/Suárez 2007: 42). Julieta Lampasona stellte in ihren Untersuchungen zu
cartonero-Kooperativen asymmetrische Machtverhältnisse fest, die sich nicht nur auf die
Interaktion zwischen Staat und Kooperativen beschränken, sondern auch auf der Ebene der
intrakooperativen Organisation zu erkennen sind. Viele Mitglieder von Kooperativen
kommen aus höheren sozialen Schichten und hatten vor dem Beitritt zur Kooperativen
bereits Protest- und Organisationserfahrung gesammelt. Das Interesse an der Organisation
über Kooperativen konnte auf diese Erfahrungen zurückgeführt werden. Zudem führte die
Untersuchung zu dem Ergebnis, dass vor allem Frauen starke Protagonistinnen in der
politischen Organisation von Kooperativen sind (Interview Garbois).
Formen und Motive von AbfallsammlerInnen
Hinter dem Begriff „cartonero“ verbirgt sich eine von Heterogenität, sozialen Differenzen
und unterschiedlichen Identitäten geprägte Gruppe, deren Gemeinsamkeit vor allem darin
besteht, dass sie eine Arbeit mit geringen Qualifikationsanforderungen (Vega Martínez)
ausüben. So können manche von den AbfallsammlerInnen auf Erfahrungen mit kommunalen
110
Aktivitäten und auf symbolisches Kapital zurückgreifen. Cartoneros sammeln individuell, in
Kooperativen oder arbeiten auf Sortieranlagen.
Zum einen umfasst der Begriff „cartonero“ eine Minderheit ehemaliger cirujas, die
jahrelange Sammeltradition besitzt, die das Abfallsammeln als würdevolle Arbeit erkennt,
Arbeitsethiken entwickelt, nachbarschaftliche Netzwerke über Jahrzehnte hinweg aufrecht
erhalten und sich das Überleben mit der Abfallarbeit langfristig gesichert hat. Cirujas sind
häufig AbfallsammlerInnen der zweiten oder dritten Generation, haben das Wissen von ihrer
Familie oder ihrem Bekanntenkreis übernommen und sind Teil einer festen sozialen und
wirtschaftlichen Struktur.
Zum anderen ist der Begriff Ausdruck für die große Mehrheit der „neuen“ cartoneros. Das
Einstiegsmotiv war zunächst, Essen zu finden (Espíndola 2002), später, als erkannt wurde,
dass mit Abfall Geld gemacht werden kann, begannen die Menschen Abfall zu sammeln und
zu verkaufen. Viele der cartoneros haben Erfahrungen mit formellen Arbeitsverhältnissen,
versuchen Elemente daraus auf das Abfallsammeln zu übertragen und sich über die
formellen Arbeitserfahrungen von den „richtigen“ cirujas zu distanzieren. Viele betrachten
sich als schicksalsergebene und umstandsbedingte Opfer („cirujas por caída“ oder „ciruja
por circunstancia“ (Suárez 2001 zit. nach Perelman 2007: 250), schämen sich ihrer neuen
Beschäftigung und halten an alten Berufsidentitäten fest. Sowohl aus der Literatur als auch
aus dem Interview mit Mercedes Vega Martínez drängte sich auf, dass viele die Hoffnung
auf die Rückkehr in ihren alten Beruf noch nicht aufgegeben haben: „Yo no digo que voy a
ser cartonero toda mi vida35“ (Palacios 2003 zit. nach Koehs 2007: 190).
Der offizielle Begriff recuperadores urbanos wird, wie sich in der Untersuchung zeigte,
überwiegend herangezogen, um sich von den negativen Konnotationen zu distanzieren, die
Arbeit aufzuwerten und den sozialen Nutzen der Arbeit und damit Würde und Seriosität zu
betonen. Über den offiziellen Begriff hinaus werden eigene Berufsbezeichnungen, i.e.
„sozio-ambiental“ (Interview María Julia Nevarra) eingesetzt, die darüber hinaus
Unterschiede zu den recuperadores urbanos hervorheben sollten.
Uniformen dienen dabei für cartoneros und Kooperativen als Mittel, die Seriosität und
Würde der Arbeit unterstreichen. Aus den Interviews mit den Vertretern der Kooperativen
wurde deutlich, welchen Stellenwert Uniformen in der Abgrenzungen der „seriösen“
AbfallsammlerInnen zu abgestiegenen Lumpenproletariern gewonnen haben. Sowohl María
Julia Nevarra als auch Juan Garbois betonten die Wichtigkeit von Uniformen als Identitäts-
35 „Ich sage nicht, dass ich mein ganzes Leben lang cartonero sein werde.“ (R.H.)
111
und Differenzierungsmerkmal für ihre Kooperative. Dem entgegen zeigt sich aber aus
eigenen Beobachtungen zur Straßensammlung im zentralen Stadtteil Balvadera, dass
Passanten keine Unterschiede bei SammlerInnen mit und SammlerInnen ohne Uniform
machen.
In allen theoretischen Ansätzen zur informellen Ökonomie und zur städtischen
Abfallwirtschaft wird der Staat als einheitliche Institution dargestellt. Während der
Untersuchung erschloss sich aber eine Vielzahl von politischen Akteuren, die an der
Aushandlung
abfallpolitischer
abfallpolitische
Maßnahmen
Entscheidungen
oftmals
beteiligt
drei
sind.
Es
verschiedene
zeigte
sich,
dass
Regierungen,
die
Nationalregierung, die Stadtregierung und die zuständige Provinzialregierung getroffen
werden, keine allgemeine Gültigkeit besitzen müssen und von den Interessen der einzelnen
Akteure geleitet werden. Mit Valdés (siehe Kapitel zur Abfallwirtschaft in Buenos Aires) als
Abgeordneten wurde ab 2000 eine politische Figur gefunden, mit der cartoneros in die
politische Agenda integriert werden konnten. Der Staat versucht seither sie zu schützen und
zu fördern. Währenddessen hat die Stadtregierung mit Macri einen neoliberalen Akteur im
Feld, der als Funktionär einer bedeutenden Wirtschaftsgruppe selbst in die Abfallwirtschaft
involviert ist und Interessen verfolgt, die im Widerspruch zur Integration der cartoneros in
die formelle Abfallwirtschaft stehen. Das pro-abfallunternehmerische Engagement Macris
hatte 2007 beispielsweise bewirkt, dass das wichtigste Transportmittel der cartoneros, der
Tren Blanco, abgeschafft und gegen Kleinlastwägen ausgetauscht wurde. Für die cartoneros
ergaben sich daraus Transportausfälle und Zugangsbarrieren zu ihren gewohnten
Sammelstrecken in den wohlhabenden Stadtvierteln von Buenos Aires.
Das Feld der wirtschaftlichen Akteure zeigt sich ebenso heterogen wie jenes der Politik.
Kooperativen,
Abfallunternehmen
und
Zwischenhändler
verfolgen
unterschiedliche
wirtschaftliche Interessen und stehen in mehr oder weniger starkem Konkurrenzverhältnis
zueinander. Konzessionen haben im Konkurrenzkampf eine wichtige Schlüsselfunktion, da
die städtischen Verträge zur Sauberkeit die teuersten Verträge der Stadt sind. Die
Umgestaltung der Konzessionsverträge im Jahr 2007 löste zwar Abfallunternehmen als die
wichtigsten Kooperationspartner der Stadt ab und ließ Kooperativen an ihre Stelle treten,
schuf
aber
neue
Konkurrenzverhältnisse
zwischen
den
einzelnen
Kooperativen.
Kooperativen standen nun den Abfallunternehmen nicht mehr als Gemeinschaft gegenüber,
sondern kämpften fortan in direkter Konkurrenz zueinander um den Erhalt rentablerer
112
Konzessionen. Abfallunternehmen blieben weiterhin wichtige Vertragspartner, erhielten aber
keine Recyclingkonzessionen mehr.
Die Mehrheit der theoretischen Ansätze geht davon aus, dass die Organisation in der
informellen Ökonomie einfacher wäre als in der formellen Ökonomie, weil weniger Eintrittsund Geschäftsbarrieren (ILO 1972; Stacher 1997; Rohregger 2006) existieren. Die Literatur
zeigte aber, dass organisatorische und finanzielle Angelegenheiten für Kooperativen
einfacher wurden. Kooperativen gewannen mit der Formalisierung Zugang zu staatlichen
Fördergeldern, zu Recyclingkonzessionen, zu permanentem Nachschub an Abfall, zu
öffentlichem Raum und zu formellen, wirtschaftlichen Netzwerken. Wohingegen die
informelle Abfallsammlung mit vielen Schwierigkeiten, i.e. Zugang zum Abfall, Wert des
gesammelten Abfalls, Kontakte zu „guten“ Zwischenhändlern, Anzahl der sammelfähigen
Familienmitglieder verbunden ist.
Als Reaktion auf die hohe Anzahl von cartoneros wurde eine Reihe neuer Gesetze erlassen,
die eine Vielzahl von Rechten und Pflichten für Kooperativen, aber wenige Verbesserungen
für die Arbeitsbedingungen der cartoneros bereithält. Der überwiegende Teil der staatlichen
Fördermaßnahmen richtet sich auf die Gründung und die Erweiterung von Kooperativen
(siehe Formalisierungsprozess). Mit den Formalisierungsmaßnahmen wurde vorwiegend die
Entstehung einer staatlich kontrollierbaren Instanz der Arbeitsorganisation in Form von
Kooperativen und Mikrounternehmen beabsichtigt. Das Gesetz wird auf den Druck einer
Zivilgesellschaft zurückgeführt, die oftmals nicht die gleichen Interessen verfolgt wie die
cartoneros.
Hier sei als Beispiel der Druck von Greenpeace angeführt, der für die Erlassung des
Gesetzes Basura-Cero (2005) ausschlaggebend war. „Der Staat bezahlt die Leistungen, weil
er den ökologischen Wert [des Recyclings] anerkennt“ (Garbois 2012). Auf den
ökologischen Aspekt wurde mehrmals hingewiesen, es findet sich sogar als Ziel in den
Gesetzen und Programmen zur Formalisierung. Vor dem Hintergrund betrachtet, dass
Buenos Aires bereits mit Deponierungsproblemen zu kämpfen hat (siehe Abfallwirtschaft
von Buenos Aires) und seine Strategien zur Abfallwirtschaft verändern muss, damit die
Deponien nicht übergehen, erscheint die Formalisierung selbst als inzidente Maßnahme zur
Optimierung der Umweltpolitik.
Garbois beschreibt das wichtigste Gesetz (Basura Cero-Gesetz, 2005) für die Veränderung
der Arbeitsbedingungen der cartoneros als ein theoretisches, das nicht umgesetzt wird. Dabei
würde dieses Gesetz als erste konkrete Verbesserungen für die Patron-ArbeiterIn113
Verhältnisse
(Unfallversicherung,
Vorrechte
auf
Abfall,
Festlegung
von
Zonen,
Kindergärten) vorsehen. Erst 2007, auf verstärkten Druck von Kooperativen und
zivilgesellschaftlichen Organisationen, wurde begonnen, konkrete Regulierungen zum
Schutze der cartoneros vorzunehmen. Aber auch die Umsetzung dieses Gesetzes erfolgt
halbherzig und mit wenig staatlicher Überwachung (Cutina 2010: 115).
Die Organisierung von Kooperativen durch den Staat erinnert an Christensens (2006: 37)
Idee vom Staat als Zentrum gesellschaftlicher Organisation. Er erklärt, dass sich das
Verständnis von formell und informell über den Grad der staatlichen Souveränität und von
politischen Akteuren definiert. Über staatlich definierte Normen und Rechte sollte Formalität
und damit ein gesellschaftliches Ordnungsprinzip geschaffen werden. Kooperativen werden
demnach als genormte Einheiten konstruiert, die von formellen Institutionen bestimmten
Abläufen und Verhaltensnormen folgen, vorgeschriebene Rollen und Standards zu erfüllen
haben (Altvater/Mahnkopf 2002: 29) und für das Nichteinhalten der Normen sanktioniert
werden können. Aus der Praxis der Recyclingwirtschaft zeigt sich aber, dass das formelle
Kontrollsystem für Kooperativen nicht funktioniert. In der Literatur und den Befragungen
wird häufig darauf hingewiesen, dass es verschiedene Kontrollinstanzen gibt, die mit der
Kontrolle von Kooperativen sehr locker umgehen.
Veränderungen der Arbeits- und Lebensbedingungen der cartoneros im
Formalisierungsprozess
Die Konzepte von der informellen Ökonomie gehen von einer scharfen Trennung von
Formalität und Informalität aus. „Informalität“ wird dabei als eine Kategorie zur
Differenzierung einer Organisationsform betrachtet (vgl. Bromley 1990: 336; ILO 1972: 5-6;
de
Soto
2002:
Bennholdt-Thomsen/Mies
1997:
32;
Santos
1979:
23-24;
Ferman/Henry/Hoyman 1987: 157), die der formellen Ökonomie diametral gegenübersteht
und eigene Regeln besitzt, die auf anderen Prinzipien basieren, als jene der formellen
Ökonomie (Stark 1989: 644; Stacher 1997: 165; Altvater/Mahnkopf 2002: 74-75; Light
2004: 712). Aus der Analyse der Recyclingwirtschaft ging aber hervor, dass die Arbeitswelt
der cartoneros von einem Nebeneinander formeller und informeller Elemente bestimmt wird.
Sie basieren sowohl auf den von den cirujas erprobten Gewohnheiten, als auch auf Normen
und Regeln, i.e. formell geregelte Zonen. Die Untersuchungsergebnisse bestätigen zwar die
Bedeutung von informellen Netzwerken für an Kooperativen nicht beteiligten Individuen, sie
114
zeigen aber gleichzeitig auch, dass diese informellen Strukturen für cartoneros im formalen
Umfeld ebenso relevant sind wie für informelle, nicht registrierte cartoneros.
An Kooperativen nicht angeschlossene Individuen sind gänzlich von sozialen Beziehungen
und Netzwerken abhängig. Wie sicher oder unsicher ihre Überlebenssicherung ist, hängt
neben den Rohstoffpreisen von der Verlässlichkeit ihrer sozialen Netzwerke und von den
Verhältnissen zu den vecinos oder clientes ab. Viele cartoneros haben zuverlässige
KlientInnen,
feste
Routen
und
beständige
KlientInnen,
damit
berechenbares
Materialvolumen und stabilen Ressourcenzugang. Sie haben zudem Zugang zu Lagerstätten
und wissen von „guten“ Zwischenhändlern und günstigen Preisen. Viele „individuales“
haben ein Netzwerk aus Familienmitgliedern um sich, das sammeln hilft, sortiert, sich um
Kinder und Haushalt kümmert. Kinder und Frauen sind häufig an der Sammlung beteiligt.
Die Untersuchung zeigt, dass der Genderanteil in der informellen Abfallsammlung fast
ausgeglichen ist.
Über
langjährige
Arbeitstraditionen
wurden
von
den
cirujas
beispielsweise
Haushaltsstrategien (Norris 1988: 300) entwickelt, mit welchen Grundanfälligkeiten für
Armut und Ernährungsunsicherheit reduziert werden konnten. Einige dieser Faktoren treffen
auch für cartoneros im formalen Umfeld zu. Beim Verkauf des Materials zum Beispiel,
welche sie als Kooperative gesammelt haben, haben informelle Zwischenhändler immer
noch einen hohen Stellenwert. Die Aushandlung der Sammelstrecken, die Anzahl der
Sammeltage und die Anzahl der an der Sammlung beteiligten Familienmitglieder beruhen
desgleichen auf informellen Absprachen. Gleichzeitig befinden sich die Sammelnden in
formell geregelten Strukturen, müssen die Zuständigkeitsbereiche der Kooperativen
berücksichtigen, müssen Uniformen tragen und Abfahrtszeiten der von der Kooperative
organisierten Transportmittel berücksichtigen.
Um die Beziehungen zwischen Formalität und Informalität theoretisch erklären zu können,
ist es aus der unzureichenden Erklärungsfähigkeit der wirtschaftlichen Konzepte folgernd
weitaus fruchtbarer, das anthropologische Konzept nach Kokot und Wonneberger (2006: 36) heranzuziehen, welches den Umgang mit existenziellen Unsicherheiten ins Zentrum
seiner Analysen stellt. Die Organisation der Abfallsammlung kann über den Umgang mit
unterschiedlichen Formen von Unsicherheit eingängiger erklärt werden. Die Beständigkeit
ihrer Einkommensquellen und ihrer anderen Beschäftigung sowie der soziale Status der
AbfallsammlerInnen
bestimmen
darüber,
wie
oft
sie
sammeln,
wie
hoch
ihr
Organisationsgrad ist und in welchen Arbeits- und Lebensbedingungen sie leben. Der Alltag
der cartoneros in der Straßensammlung findet zu großen Teilen im öffentlichen Raum statt.
115
Diese Verflechtungen mit dem öffentlichen Raum erwiesen sich aufgrund von häufigen
Konflikten der cartoneros mit den vecinos als, wie von Kokot und Wonneberger
angenommen, widersprüchlich. Zudem haben sie niedrige Investitionskosten für ihre
Handkarren und Säcke, sind zeitlich sehr flexibel, eignen sich das Wissen über das Sammeln
über Familie, Freunde, KollegInnen an, trennen zuhause, verkaufen ihr Material an
bestimmten öffentlichen Plätzen und nutzen für Sammlung und Verkauf eine Vielzahl an
lokal verfügbaren Ressourcen. In den Sortieranlagen arbeitende recuperadores sind mit
weniger Einkommens- und Beschäftigungsunsicherheiten konfrontiert, sie halten sich wenig
im öffentlichen Raum auf, sind weder räumlich noch zeitlich flexibel, haben keinen Einfluss
auf den Verkauf ihres getrennten Materials, erlernen den Umgang mit Maschinen und
Geräten in der Kooperative und haben eine klare Trennung von Arbeits- und Freizeit.
Wie die Untersuchung der Gesetzesnovellierungen zeigte, beschränken sich die staatlichen
Formalisierungsmaßnahmen zu großen Teilen auf strukturelle Regelungen und greifen selten
auf die arbeits- und sozialrechtliche Ebene über. Für die AbfallsammlerInnen bedeutete, wie
sich aus Literatur und Interviews bestätigte, die Formalisierung in der Realität nicht viel
mehr als die Abschaffung eines militärdiktatorischen Relikts aus den 1970er Jahren, und
damit die bloße Legalisierung einer bis 2001 verbotenen Tätigkeit (Garbois; Vega Martínez;
Lampasona). Die Legalisierung der AbfallsammlerInnen ist als notwendiger Schritt zu
deuten, der dazu diente, gesetzliche Regelungen in der Recyclingwirtschaft überhaupt erst
vornehmen zu können (Portes 2012: 135; de Soto 2002: 40-44; Evers 1983: 281). Die
Legalisierung bedeutete für die cartoneros, Abfall legal im öffentlichen Raum sammeln und
von der Polizei nicht mehr vertrieben werden zu dürfen. Um sie nun im öffentlichen Raum
unsichtbar zu machen, werden neue und weniger offensive Methoden eingesetzt. Ein gutes
Beispiel dafür stellt die Abschaffung des zentralen Transportmittels Tren Blanco dar, welche
zur Folge hatte, dass viele cartoneros keine Möglichkeit mehr besaßen, in den betroffenen,
wohlhabenden Stadtteilen mit für das Recycling wertvollem Abfall arbeiten zu gehen. Von
der
Legalisierung
abgesehen,
wurden
keine
weiteren
Veränderungen
an
den
Arbeitsbedingungen der cartoneros individuales vorgenommen.
Der Großteil der Maßnahmen, welche cartoneros verhelfen können, ihre Arbeitsbedingungen
zu verbessern und existenzielle Unsicherheiten zu reduzieren, ist an die Mitgliedschaft in
Kooperativen gekoppelt. Am Papier sollte die Formalisierung an Kooperativen beteiligten
recuperadores urbanos die Möglichkeit eröffnen, konstantes Einkommen zu erwirtschaften,
116
transportbefreit und unfallversichert zu sein, in einem festen Arbeitsverhältnis zu stehen (i.e.
die StraßensammlerInnen der Kooperative „El Ceibo“, welche feste Arbeitszeiten haben und
feste Löhne erhalten). Sie gäbe zudem die Möglichkeit, die Straßensammlung innerhalb der
Zone einer Kooperative gerecht und einheitlich aufzuteilen, und damit von sozialen
Spannungen hervorgerufene Konflikte unter den Sammelnden (vgl. Garbois) zu reduzieren.
Viele dieser Faktoren treffen gleicherweise auf die Organisation der Arbeit in Sortieranlagen
zu. Auch wenn der Großteil des Gewinns aus der Sammlung auf den Zwischenhandel
entfällt, brächte die Formalisierung also viele Vorteile für cartoneros in Kooperativen.
Die Umsetzung der arbeits- und sozialrechtlichen Verbesserungen für die Arbeitenden bleibt
den Kooperativen aber selbst überlassen. Wie sich in der gesamten Untersuchung zeigte, ist
die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben wenig konsequent und wird von den Behörden
kaum kontrolliert. Fehlende Arbeitsinspektionen führen zum Missbrauch der Rechtsform
und lassen damit Kooperativen zum Formalisierungsinstrument werden, welches für die
Verbesserung der Arbeitsbedingungen der beteiligten cartoneros wenig effektiv ist (vgl.
Interview mit Garbois).
In der Praxis zeigt sich, dass nur ein geringer Teil der cartoneros formelle
Arbeitsverhältnisse anstrebt, nur fünf Prozent (knapp 1000 Personen) der cartoneros sind
Mitglieder einer Kooperative (Schamber 2008: 98; Paiva 2008: 190). Über die Gründe für
die geringe Beteiligung an Kooperativen liegen keine Ergebnisse vor. Das dürftige Interesse
der cartoneros an einer Mitgliedschaft in Kooperativen weist aber darauf hin, dass
Mitgliedschaften weder Arbeits- oder Einkommensvorteile, noch genügend Anreize für
soziale Sicherheiten bieten. Aus dem Interview mit Garbois ging hervor, dass viele
Kooperativen offen lassen, ob der/die an der Kooperative beteiligte recuperador/a sein/ihr in
den Zonen der Kooperative gesammeltes Material tatsächlich an die Kooperative verkauft.
Da der Großteil des Materials an informelle Zwischenhändler verkauft wird (siehe
Wirtschaftliche Netzwerke), scheinen nur wenige der recuperadores von der Möglichkeit
Gebrauch zu machen. In der Straßensammlung dürften sich den cartoneros also bessere
Einkommensmöglichkeiten bieten, wenn sie ihren Verkauf unabhängig von Kooperativen
und in Kooperation mit informellen Zwischenhändlern betreiben. Zur durchaus positiv zu
bewertenden freien Verfügbarkeit von Material zeigen sich in der Literatur aber auch
widersprüchliche Ergebnisse. Anguita (2003: 133) weist beispielsweise darauf hin, dass in
Kooperativen auch Vereinbarungen zwischen Kooperative und recuperador/a bestehen
können, die Druck auf den/die recuperador/a ausüben, ihr/sein Material an die Kooperative
117
zu verkaufen, welche insbesondere zur Geltung kommen, wenn cartoneros Werkzeug von
den betreffenden Kooperativen ausleihen.
Die niedrigen Mitgliederzahlen in Kooperativen könnten desgleichen damit zu begründen
sein, dass die attraktiven Arbeitsplätze in den Sortieranlagen mit festen Arbeitsverhältnissen
nur begrenzt verfügbar sind. Ein anderer Grund für das fehlende Interesse an
Abfallkooperativen könnte auch der Einschnitt in die Flexibilität und Freiheit der
Arbeitsorganisation
der
cartoneros
sein,
der
sich
aus
kooperativeninternen
Organisationsregelungen (siehe Interview mit Garbois) ergibt und für cartoneros eine
Veränderung von Arbeitstraditionen und -gewohnheiten bedeuten würde.
Die niedrige Beteiligung von straßensammelnden cartoneros in Kooperativen gibt einen
Hinweis darauf, dass die Formalisierung vorrangig für recuperadores auf Sortieranlagen
nutzbringend ist. In der Praxis finden sich viele Kooperativen, die ihrer idealtypischen
Funktion kaum oder gar nicht folgen, als Zwischenhändler, manchmal als gewinnorientierte
Betrüger auftreten (Fajn 2002: 16-19; Interview mit Vega Martínez). Kooperativen, die ihre
cartoneros mit Gleichgültigkeit behandeln oder ausbeuten, stehen einer Minderheit von
Kooperativen gegenüber, die ihre recuperadores mit größtmöglicher Würde behandelt. In der
Literatur und in den Interviews findet sich lediglich eine Kooperative („El Ceibo“), die als
idealtypisch hervorgehoben und damit als Vorzeigemodell herangezogen wird. Die
gewonnenen Eindrücke aus persönlichen Besuchen in der Kooperative spiegeln viele jener
Erkenntnisse wider, die in der Literatur von anderen Forschenden bereits gewonnen wurden:
Die geregelten und gerechten Arbeitsverhältnisse sowie die harmonischen Beziehungen, die
zwischen Mitgliedern der Kooperative und Nachbarn herrschen.
Viele der Kooperativen pflegen aber losere Bindungen zu ihren recuperadores, sorgen sich
nicht um Arbeitsschutz, bezahlen niedrige Preise für das Material, bieten keine weiteren
Leistungen an und haben mehr oder weniger starke/schwache Regeln für die
Arbeitsorganisation.
In Bezug auf Regeln konnten in den Gesprächen mit zwei Vertretenden von Kooperativen
eine Arbeitsethik eruiert werden, die sich an ähnlichen Werten orientieren: die
Arbeitsuniform tragen, keine Diebstähle, keine Kinderarbeit und keine offenen
Auseinandersetzungen auf der Straße. Die sich ähnelnden Regelungen in diesen beiden
Kooperativen sind aber nicht repräsentativ für alle Kooperativen. Es bedeutet also nicht, dass
alle Kooperativen den gleichen Arbeitsethos anstreben.
118
6
Resultat
Aus der gesamten Untersuchung zeigte sich, dass trotz der Permanenz der cartoneros seitens
der Politik wenig Anstrengungen unternommen wurden, der Ausbeutung der cartoneros
durch
Kooperativen
und
Unternehmen
entgegen
zu
arbeiten.
Mit
den
Formalisierungsmaßnahmen wurde für Kooperativen und Abfallunternehmen vielmehr eine
passende rechtliche Hülle für ihre ausbeuterischen Geschäfte konstruiert, als versucht, die
cartoneros als Berufsgruppe zu schützen. Trotz der (bescheidenen) Verbesserung, die
Gesetze und Programme zur Veränderung der Arbeits- und damit der Lebensbedingungen
von cartoneros beinhalten, finden sich mangels ausreichender behördlicher Kontrolle Wege,
die arbeitsrechtlichen Schutzmaßnahmen zu umgehen und die eigenen wirtschaftlichen
Interessen in den Vordergrund zu stellen. Wohingegen die cartoneros selbst in den
Kooperativen zu wenig Anreize für die Organisation des Abfallsammelns finden, sich
größtenteils weiterhin selbst organisieren und von sozialen Beziehungen und informellen
Netzwerken Gebrauch machen, um die Sammlung und den Verkauf von recycelbarem Abfall
zu organisieren.
Obwohl sich die wirtschaftliche Lage Argentiniens bis heute wieder einigermaßen erholt hat
und der Arbeitsmarkt aufnahmefähiger geworden ist, hat sich die Anzahl der cartoneros auch
zehn Jahre nach der Krise kaum verringert. Eine Erhebung der Interamerikanischen
Entwicklungsbank (IDB) über die Abfallwirtschaft in Lateinamerika zeichnete kürzlich
folgendes Bild:
Anzahl der AbfallsammlerInnen in Argentinien
in
auf
in der
auf
an anderen
Organisatione Sortieranla Straßensammlu Mülldeponi
Orten
n
gen
ng
en
14,465
7,176
55,156
11,985
2,67
gesamt
76,985
6. Abb.: Anzahl der AbfallsammlerInnen in Buenos Aires, IDB (2010: 140), eigene Darstellung
In der Statistik der IDB ließen sich keine genauen Zahlen zur Anzahl der cartoneros in
Buenos Aires finden. Da der Großteil der informellen Abfallsammlung ohnedies im
Großraum Buenos Aires getätigt wird (Suárez/Schamber 2011: 10), ist anzunehmen, dass
sich die Statistik zu großen Teilen auf die AbfallsammlerInnen in Buenos Aires bezieht. In
119
der Literatur wird der leichte Rückgang der AbfallsammlerInnen nicht, wie anzunehmen
wäre, auf die gestiegenen Arbeitsmöglichkeiten zurückgeführt, sondern im Zusammenhang
mit der Entwicklung der Rohstoffpreise diskutiert (Gómez 2009; Garbois 2012).
Die Zusammenführung von Rohstoffpreisen und Anzahl der cartoneros ist ein Zeichen dafür,
dass es längst nicht die institutionalisierten Normen von formeller und informeller,
würdevoller und würdeloser, Arbeit sind, die über die Entscheidung zum Abfallsammeln
bestimmen, sondern Geld und Rentabilität. Es ist ein Zeichen dafür, wie paradox und
asymmetrisch die Konstruktionen von Sicherheit, Würde und sozialem Wohlstand in der
Realität sind. Denn je höher der gesellschaftliche Wohlstand und damit die
Konsummöglichkeiten einer Gesellschaft sind, desto mehr Abfall wird produziert. Und je
mehr Abfall produziert wird, desto mehr Möglichkeiten bieten sich für die cartoneros,
recycelbare Abfälle zu sammeln und zu Geld zu machen.
120
7
Forschungsausblick
Im Laufe der Untersuchung tat sich eine Reihe von Fragen auf, deren Beantwortung
interessant und aufschlussreich für die weitere Erforschung des Phänomens wäre. In
manchen Fällen reichten die Ergebnisse der Literatur für die Beantwortung nicht aus, in
anderen Fällen hätte die Vertiefung anderer interessanter Punkte zu weit vom Thema dieser
Arbeit weggeführt.
Während der Untersuchung zeichnete sich ein starker Erklärungsbedarf im Hinblick auf den
geringen Organisationsgrad von cartoneros in Kooperativen ab. Es wäre bedeutend, der
Frage nachzugehen, warum das Interesse seitens der cartoneros so gering ist, sich in
Kooperativen zu organisieren. In dieser Beziehung wäre es interessant zu erfragen, welche
Motive dem geringen Organisationsgrad zugrunde liegen und welche Faktoren für die
Beteiligung an Kooperativen tatsächlich ausschlaggebend sind. In diesem Zusammenhang
wären Fragen nach den Gründen für die inkonsequente Umsetzung, Kontrolle und
Verstärkung der staatlichen und städtischen Reformen aufschlussreich.
Im Zusammenhang mit Kooperativen und politischer Organisation besteht weiterer
Klärungsbedarf in Bezug auf den weiblichen Organisationsprotagonismus. Hier könnte der
Frage nachgegangen werden, weshalb Frauen die stärkeren Organisationskräfte sind und
welche Mechanismen dieser Tatsache zugrunde liegen. Es wäre wichtig, danach zu fragen,
ob eine Verbindung zwischen der weiblichen Organisationskraft und der Abfallarbeit als
Teilbereich domestizierter Arbeitsaufgaben im Sinne von gesellschaftlich institutionalisierten Arbeitsformen besteht. Es könnte beispielsweise der Frage nachgegangen werden, ob
die Abfallarbeit als ein zu weiblich attribuierter Tätigkeitsbereich bewertet wird, um das
politische Organisationsbestreben der Männer zu wecken und zu stärken. Hinweise auf
diesen Ansatz finden sich beispielsweise in den Geschichten von Naomi und Palacios (siehe
„vom ciruja zum cartonero“), die davon berichten, dass der Mann erst zu sammeln und
politisch aktiv zu werden begann, als das Einkommen so niedrig war, dass das Überleben
nicht mehr gesichert werden konnte.
Im Rahmen der Untersuchung konnten desgleichen zu wenig Aufschlüsse darüber erlangt
werden, welchen funktionalen Prinzipien das informelle Netzwerk zwischen cartonero und
Zwischenhändler folgt, welche Strafen für das Verletzen von Absprachen erteilt werden und
121
welche Mechanismen der – wie aus der Untersuchung hervorgeht – durchaus guten
Organisationsstruktur zugrunde liegen. In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu
fragen, ob diese Prinzipien jenen theoretischen Ansätzen zu informellen Organisationsformen von Stacher, Rohregger oder Light entsprechen.
122
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Wirth, Louis (1938): Urbanism as a Way of Life. In: American Journal of Sociology 44(1): 1–24.
Witzel, Andreas (1982): Verfahren der qualitativen Sozialforschung. Überblick und Alternativen.
Frankfurt am Main: Campus
Quellen/Interviews:
Vega Martínez, Prof. Mercedes: Professorin der Soziologie an der UBA, 25.02.2012
Lampasona, Julieta: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Instituto Gino Germani, 25.02.2012
Nevarra, María Julia: Mitarbeiterin der Kooperative „El Ceibo“, 07.02.2012
Garbois, Juan: Sprecher der Kooperative MTE, 10.02.2012
137
Anhang
Abbildungsverzeichnis
1. Abb.: Akteure in der städtischen Abfallwirtschaft in Ländern des Südens, (Köberlein 2003: 15) . 31
2. Abb.: Abfallprinzipien nach Beukering (1998: 6) ........................................................................... 34
3. Abb.: „Erweiterter Recycling-Kreislauf“, (Grothues 1990: 97) ...................................................... 39
4. Abb.: Netzwerke der cirujas/cartoneros vor der Formalisierung, eigene Darstellung..................... 83
5. Abb.: Netzwerke der cartoneros/recuperadores nach der Formalisierung, eigene Darstellung....... 86
6. Abb.: Anzahl der AbfallsammlerInnen in Buenos Aires, IDB (2010: 140), eigene Darstellung .. 119
Abkürzungsverzeichnis
CEAMSE
Cinturón Ecológico Área Metropolitana Sociedad del Estado
CGT
Confederación General del Trabajo
CTA
Central de Trabajadores Argentinos
CTD
Coodinadora de Trabajadores Desocupados Aníbal
DGPRU
Dirección General de Políticas de Reciclado Urbano
IMF
Internationalen Währungsfonds
IMFC
Instituto Movilizador de Fondos Cooperativas
INDEC
Instituto Nacional de Estadística y Censos (Argentina)
IOM
International Organisation for Migration
MTD
Movimiento de Trabajadores Desocupados
MTE
Kooperative Movimientos de Trabajadores Excluidos
PRO
Partei Propuesta Republicana
PRU
Programa para Recuperadores Urbanos
SUCARA
Sindicato Único de Cartoneros de la República Argentina
UNICEF
United Nations Children's Fund
138
Glossar
acopiador/es
Zwischenhändler
asambleístas
Teilnehmer von Stadtteilversammlungen
barrios
Stadtviertel in Buenos Aires
camioneta
Kleinlastwagen, Transportmittel der cartoneros
cartoneros
AbfallsammlerInnen in Buenos Aires
centavos
kleinste Geldeinheit, ähnlich dem europäischem Cent
Centros Verdes
Sortieranlagen von Kooperativen im Stadtzentrum
cirujas
Name der cartoneros vor der Krise
cirujeo
das Abfallsammeln zu Zeiten der cirujas
cliente/s
„Kunden“ der cartoneros, Stadtbewohner, die Material für
bestimmte cartoneros zurückhalten
diposición final
Endlagerung des Abfalls
galpón
großer Schuppen, hier: Lagerhalle für gesammelte Materialen
grandes generadores
große Abfallerzeuger: Handel, Industrie, Bürotürme,
Krankenhäuser,...
La Quema
Name der Abfalldeponie in Buenos Aires bis Mitte des 20.
Jahrhunderts
Norte III (Complejo)
Komplex der größten Mülldeponie der CEAMSE im Norden von
Buenos Aires
pesos
kurz für „pesos argentinos“, argentinische Währung
piqueteros
Bewegung der Arbeitslosen
plantas de clasificación
Sortieranlagen von Kooperativen auf dem Areal der Deponie
Norte III
quemeros
Name der AbfallsammlerInnen, die früher im 19. Jahrhundert in
der Abfalldeponie nach Verwertbarem suchten, abgeleitet von
„quemar“ (=brennen, verbrennen)
raneros
Name der AbfallsammlerInnen, die früher im 19. Jahrhundert in
der Abfalldeponie nach Verwertbarem suchten, abgeleitet von
„rana“ (=Kröte)
recolección diferenicada „differenzierte Abfallsammlung“, Zusammenarbeit der CEAMSE
mit konzessionierten Abfallkooperativen
139
recorrido
Wegstrecke, die der/die Abfallsammelnde in der
Straßensammlung zurücklegt
recuperadores urbanos
offizieller Name der cartoneros und Bezeichnung jener cartoneros,
die bei der Stadt als AbfallsammlerInnen registriert sind
sin techos
Obdachlose
Tren Blanco
„Weißer Zug“, extra eingerichtet für den Transport von cartoneros
vecino/s
StadtbewohnerInnen, NachbarInnen, Gesamtheit der privaten
AbfallerzeugerInnern
villa de emergencia
auch: villa oder villa miseria, Armutsviertel in Buenos Aires
140
Dokumention Feldforschung
Forschungsablauf:
01.02.12
02.02.12
03.02.12
06.02.12
07.02.12
10.02.12
13.02.12
14.02.12
15.02.12
16.02.12
17.02.12
18.02.12
19.02.12
20.02.12
21.02.12
25.02.12
01.03.12
03.03.12
Biblioteca Nacional de Congreso
Kooperative „Eloisa Cartonera“, Gespräch mit Alejandro Mirando Araya
Treffen mit María Maneiro
Biblioteca CLACSO
Ciencias Sociales-Biblioteca/ La Ciruja-Bücherei/ Biblioteca Gino Germani
Ciencias Sociales-Biblioteca/ Economia-Biblioteca – UBA
Gespräch mit Raul Nestor
Kooperative „El Ceibo“, Gespräch mit Julia María Nevarra
Gespräch mit Kooperative MTE, Juan Garbois
Kooperative „El Ceibo“
Mülldeponie in José Leon Suarez mit Raul Nestor
Filosofia y Letras-Biblioteca- UBA
Biblioteca FLACSO
Biblioteca de las Madres de la Plaza de Mayo
Biblioteca Ciencias Sociales - UBA
Gespräch mit María Maneiro, Geografia-Bibloteca - UBA
Ciencias Sociales-Biblioteca - UBA
Kooperative MTE, Kooperative „El Ceibo“
Gespräch mit Martínez Vega, Forscherin von Gino Germani
Gespräch mit Forschergruppe von Gino Germani
Abschlussgespräch mit María Maneiro
Aufgenommene Gespräche:
Prof. Mercedes Vega Martínez: Professorin der Soziologie an der UBA
Julieta Lampasona: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Instituto Gino Germani
María Julia Nevarra: Mitarbeiterin der Kooperative „El Ceibo“
Juan Garbois: Sprecher der Kooperative MTE
141
Interviewleitfaden
1. En qué condiciones trabajan los cartoneros?
2. Bajó la cantidad de cartoneros después de la crisis?
3. Qué factores influyen en el numero de cartoneros?
4. Qué se cambió para los trabajadores después la reglamentación normativa?
5. Donde hay mas necesidades para nuevas reglamentaciones?
6. Como está controlada el cumplimiento de esas reglamentaciones?
7. La cantidad de cartoneros está relacionada con sociales/políticas/económicas de las
personas y/o del país?
8. Cómo es la situación de las mujeres? Hay tantas mujeres como hombres? Cuales son
sus tareas?
9. Que jerarquías hay dentro de la organización del cartoneo? Hay rasas entre los
compañeros?
10. De donde vienen los cartoneros? Como es la estructura de edad de cartoneros? Que
ocupaciones habían tenidos antes de volverse cartoneros?
11. Quienes son los mas importantes clientes? A quién se venden las materias
recuperadas? El Estado/la Cuidad las compra también? Se cambiaron los precios en
relación cuando fue la crisis del 2001?
12. Cómo interactua su organización u con el Gobierno/con la Ciudad?
13. Como interactua su organización con micro-empresas o Centros Verdes?
142
Interviewauszüge
Interview mit Mercedes Vega Martínez (MVM) und Julieta Lampasona (JL),
Gino Germani der Universität von Buenos Aires (UBA), am 25.02.2012
RH: Qué formas de sobrevivir había durante y después de la crisis? Y por qué la basura?
MVM: En realidad te puedo contestar que esas otras formas de resolver la crisis se agotaron.
la crisis de 2001 fue una crisis casi terminal en todos los sentidos. particularmente y
socialmente fue brutal, teniendo dos dígitos de desocupación, altísimos niveles de
desocupación, eso produce que grandes fracciones sociales no tengan ni quisiera como
reproducir su propia vida material. no es hay múltiples formas de balear la crisis. la gente
comenzó, volvió al trueque porque no había ni quisiera dinero circulante (digo porque la
crisis tiene como niveles y va avanzando y expaniéndose según … se encumbre, eso
también) la crisis va expaniéndose como una ola en el agua, va cubriendo absolutamente
todas las fracciones sociales. ahora las fracciones sociales mas abajo son las que mas pierden
en realidad. mientras hay cierto capital simbólico digamos de el que esconda las fracciones
sociales medias mas o menos pueden resolver de algunas determinadas maneras dentro de
esos núcleos de esas fracciones con otras relaciones de trabajo desarrollando tipo de estresar
para los cuales si ellos tienen la posibilidad digamos de alcanzar cosas en la media que
cuentan como capital simbólico para hacerlo. pero las fracciones mas desposeídas no. no
saben hablar, no saben escribir, no saben leer, no tienen de comer, no tienen … entonces
resuelven como pueden, uno puede hacer la del delito, pero no. estas fracciones de clase
media que traían tradiciones de trabajo formal, adiendo, absolutamente desapegadas de todo.
van a trabajar con aquello que es lo ultimo en la cadena de redistribución que la gente tira
que son los desechos. por eso van a la basura. eso es lo ultimo de los elementos de
redistribución, que usan y que no tiran – van a trabajar con eso, porque no tienen otras
formas de acceder a los medios de reproducción de su propia vida material y van a la basura
con la intención de encontrar comida. mira lo que es en realidad lo que ellos llegan a la
basura. no están pensando en encontrar cosas para trabajar y que eso va a ser un trabajo, van
primero buscar de comer. entonces, hay interminables colas de personas a los contenedores
de basura de los restaurantes esperando a los vestigios para ellos encontrar su comida. pero
eso va generalisándose – no solamente los contenedor de los restaurantes – también en otro
tipo de contenedores, o en otro tipo de basureros, de pronto descubren que ademas de
comida pueden encontrar otras cosas. – materias primas que pueden ser reciclados. En este
sentido recurren la basura.
RH: Por favor, me explica un poco como hizo progreso el fenómeno a partir de 2002.
MVM: Cuando comienzan a hurgar la basura y empiezan a encontrar que no tan solo pueden
alimentarse de eso, sino también hay otros materiales que pueden ser recicables, reutilisables
para otro tipo de cosas, empiezan a darse cuenta que ahí hay una posibilidad que es nueva,
ahí empiezan a sumar a los otros de la estructura familiar a esa recurrido en la búsqueda de la
reproducción de la vida material. a mayor cantidades de la gente que trabaja y que recoge y
que hurga en la basura la mayor capacidad y cantidad de los materiales para acopiar de una u
otra cosa. en este sentido comienzan acopiar, comienzan a retomar a tradiciones del trabajo
formal y enseñarle a sus hijos que acompañaban al recorrido. cuando la gente dice 'trabajo
informal' hay que pensar que esto es un trabajo informal muy particular porque trae las
143
disciplinas propias del trabajo formal. pasan a la misma hora, mantienen las mismas
relaciones sociales, son respetuosos de los acuerdos que establecen con la gente. el tipo que
va por la calles rompiendo la bolsa de basura frente a la ama de casa que limpia la vereda
todas las mañanas, esta retado. La ama sabe que este tipo ensucia la vereda todos las noches.
la verdad, las noches se quedaba parado con la escoba para pelearlo eso he visto en mi barrio
porque vivo en un bario de casas. las mujeres esperando que vengan los cartoneros con la
escoba en la mano para que les den palizas porque les ensuciaban la calle. entonces si no hay
demarcación en la vereda entonces no estoy en la vereda, estoy en la calcada, debajo del
cordón, si la rompe la basura y me tira la basura, no dueña, yo no le voy a romper la basura,
solo quiero cargar y entonces en esas peleas cotidianas el cartonero fue estableciendo de
acuerdos que ademas se cumplen al día de hoy. so acuerdos muy precisos, en donde le
cartonero tiene casi diez de centímetros de por a dentro de la vereda y casi 15 centímetros de
la calzada por afuera y la ama de casa lo deja transitar afuera respetuosa. tendríamos como
un montón para hablar de estas cosas. Era trabajo familiar, se llevaban los chicos, se llevaban
las mujeres, en el termino de muy pocos años se lleno la ciudad de b.a. de pobres. al
principio producía miedo, muchísimo miedo. el numero de pobres no bajo porque tampoco
subió la posibilidad de empleo. la destabilización de los noventa se mantuvo durante largo
tiempo. eso llevo un proceso de institución de esa forma particular de hacer. es mas, habré
una rama que era la reciclaje que no nosotros no teníamos – reciclaje de papel, vidrio. hay
una cantidad importante de reciclaje que – por supuesto también – hay intereses que vinieron
a confrontar luego con esos trabajadores entre comillas porque hay fracciones sociales que
consideraban y siguen considerando que esos trabajadores son ladrones de la propiedad de
las empresas encargadas de limpieza.
el estado es difícil de definir en este sentido porque tenemos gobierno de la ciudad por un
lado luego tenemos el estado nacional por el otro y luego tenemos el estado provinciales
cartoneros están en todos lados y crecieron en la década de los noventa y terminaron de
institucionalizarse, de conformar institución entrando 2000. la ciudad de buenos aires lo
sostenía, de hecho, todo lo están tratando de gotearlos, de destrenzarlos por un lado. y por
otro dan concesiones a las empresas basureras (eso lo veo yo cada mañana. salgo a la vereda
y me encuentro con el tipo de la empresa de limpieza del gobierno de la ciudad de buenos
aires, recogiendo los frascos y los papeles que el cartonero no llevó y la empresa lo recoge
para si. pues hay muchos intereses que se pusieron en juego. eso hace que también uno le da
repensar los porcentajes declarados en el reciclaje.
(...)
RH.: Julieta, acaba de terminar una investigación sobre las cooperativas, verdad? Cuales
eran los hallazgos principales?
JL: Sabíamos dentro de unos trabajos que realizamos y también de las lineas de
investigación que habíamos pensado que hay grandes diferencias entre cartoneros que
trabajan de manera individual incluso como máximo a través de la estructura familiar dentro
de incorporar la familia en el recorrido y en el posterior acopio y experiencias mas colectivas
que tenían que ver con la conformación de esta cooperativa. de alguna manera lo podíamos
investigar que esas experiencias mas individuales tenían que ver con sectores aún dentro de
esos sectores que son tan vulnerables de cartoneros. en general tenían que ver con fracciones
sociales muchísimo mas desposeídas y aquellos que estaban incorporados en cooperativas
tenían algunas de ellos una ocupación previa en otros tipos de organizaciones barriales o
militancia concreta, por ejemplo la cooperativa “El Ceibo”. Había experiencias de mujeres
que hayan participados en ocupaciones de casas en los años 80. tenían algún tipo de
144
participación y experiencia mas colectiva, intentando pensar justamente – experiencias de
lucha para la supervivencia pero con otros de que manera que el hacer como otra. permitía
también entender cartoneo como trabajo y construir la identidad colectiva.
MVM: La cooperativa tiene mas allá de la recolección y del acopio otro tipo de tareas
también. mas de tipo social y natural. ademas las cooperativas – a la diferencia de las
cooperativas de los anos 70, que eran cooperativas mas bien ofensivas en la intencionalidad
de transformar las relaciones laborales patrón – trabajador. Esas cooperativas (de hoy) de la
manera absolutamente defensivas y yo lo diría solo la cooperativa el Ceibo es una
cooperativa que se ha conformado como una cooperativa, todos los demás son pequeñas
empresitas de acopiadores que tienen el nombre de la cooperativa nada más que para
viabilidad ciertas formas de organización para esos trabajadores para darles una institución
posible de esa forma particular del ser que es el cartonero. pero que incluso que 16: 38
pasaba con de intermediar en el acopio, en la venta, saqueaban el cartonero que estaba suelto
de alguna manera y vendían
Los de bajo flores tienen también una tradición mas de la limpieza del barrio, organizaron
talleres de formación de modifico para gente del barrio incluso los que estaban cercanos.
tenían cosas mucho mas interesante que otras que estaban pequeñas empresitas de acopio, de
reventa.
suben las pequeñas empesitas las condiciones de trabajo de los cartoneros?
si. el cartonero va a ser un empleadito bajo condiciones muy particulares, por eso depende de
que tipo de cooperativa estamos hablando. las condiciones de trabajo mejoran no tanto que
las del cartonero suelto negociando con el acopiador.
Una mujer venia con un custodio donde vivo yo y me contó que estaba casada con un
empresario de la basura y que los cartoneros lo tenían amenazados. el empresario de la
basura en realidad era un acopiador hijo de puta de cartoneros. el tipo se había hecho rico de
acopiar los cartones, de que traían los cartoneros, y había juntado una empresa que llamaba
cooperativa (no estaba dueño, estaba patrón) tenia dos o tres que lo hacían el comercio de la
calle y por supuesto que tenían amenazado porque el tipo era el dueño hijo de puta. le pagaba
20 centavos el kilo de cartón, lo vendía a 2,5 pesos. no me acuerdo como le dan los
porcentajes, era un acopiador importante.
(...)
JL: Hace dos o tres anos hubo un cambio en el gobierno por la organización de Macri. Desde
2005 – registro único, 2006 querían tratarles de absorber de manera muy barata. sin
beneficios sociales, solamente un registro para recuperar, para organizar de alguna manera y
no formalizar el trabajo en negro. Reciben subsidios para no romper las bolsas, pero es algo
reciente. en los momentos de la investigación (entre 2001 y 2005 ) para cartoneros
individuales no había ningunos. lo ubique que había era el registro de recuperadores urbanos.
Ahora hay planes sociales – hay que poner en cuestión estas subsidios porque a mi me cuesta
pensar que hacen subsidios para cartoneros.
RH: Que cambios había para los cartoneros entre 2001 y 2005?
MVM: Hubo cambios porque el gobierno dejo de ser tremendamente hostil. el los finales de
los 90, principios de los 2000, de ser muy hostil, tuvo que legislar para ellos, empezando por
ellos o sea ya en el 2003 (992) tuvo que legislar por ellos porque primero los metió preso, los
encontrando con la basura investigaba y metía preso – luego eran tantos, empezó a no poder
hacerlo – había tantas fuerzas en disecciones en la calle para meterlos presos – a esa masa
145
impresionante de pobres que salía después de las 5 de la tarde. entonces tuvo que a empezar
como iba a hacer para incluir los. entonces legislo para ellos. y al mismo tiempo – para la
basura, porque antes la basura las empresas cobraban por tonelaje de basura que se recogía.
por lo tanto tenían derecho a decir que se lleva la basura y la roba por la parte de ganancia.
derecho entre comida. el jefe de la ciudad de buenos aires era el dueño de las empresas
basureras que decía que eran ladrones. Luego se le obligaba de legislar. una vez que legislo
esa legislación también toco a las empresas recolectores de basura porque ya avisaron de
cobrar por tonelaje al lugar de cobrar por kilo de basura que se llevaban, sino de cobrar por
área limpia. esto no tiene que ver con la cantidad de la basura que se levanta sino con la
cantidad de la superficial que limpian que es distinto. entonces le abría la posibilidad a los
cartoneros de hacer legalmente la comida su trabajo porque le permitía de llevarse las
cartones de vidrio, de plástico y todo esto. sin embargo, rápidamente estas misma empresas
descubrieron que ellas también podrían hacer esto, de hecho los primeros contenedores
fueron de las empresas basureras. Los primeros separadores de vidrio y papel fueron de las
empresas basureras. también el gobierno en esa legislación desarrollo una campana para que
los pobladores la población en general, las amas de casas, repartirán en su casas la basura
orgánica de la inorgánica particularmente del material reciclable. ahora eso no funciono. sin
embargo, fue desarrollando el estado nacional, políticas de inclusión. en la medida en la que
el estado del gobierno de la ciudad fue descomponiéndose en el sentido del neoliberalismo
hecho carne del Marci también fue transformando la política de educación. Les obliga a
gastar. Vuelve a ser posible de caer preso y de ser hostigado quien no cumpla con la
funciones del gobierno de la ciudad a dispuesto de le enjunta. igual no se cumple. Porque
ellos no tienen fuerza real para reprimir ellos.
Ha cambiado también como se ha conformado la institución. ya la gente no tiene tanto miedo
por un lado. y por otro lado como cartonear se ha vuelto una empresa de casi factura.
cartoneen los cartoneros, cartoneen los recolectores (los recuperadores) y también es un
trabajito entre comidas posibles para ciertas fracciones absolutamente marginales que a
veces roban y otras veces cartonean. estos son las que traen la tradición de trabajo formal
que trajeron la primera generación de cartoneros, estos son “Lumpen”.
JL: Había una diferencia muy grande entre ellos que habían tenido un auxilia laboral y
experiencia laboral el marco del estado tiene estar en trabajos formales. tiene bien construido
su propio identidad de la relación en eso y había mas diferencias. había crecido en el marco
de la desocupación absoluta y exclusión absoluta respetan mejor el trabajo laboral. Chicos
que habían tenido adolescencia entre ellos en los 90 y habían sido margino por cualquier tipo
de institución educativa laboral también. en esto sentido había mucha diferencia las formas
de hacer y estos cartoneros mas viejos que habían tenido relaciones laborales informales
tenían esto reproducción carta ética. se movía. de diferencian mucho de estos nuevos porque
no tenían experiencia de ningún tipo de experiencia laboral, solo conocían las relaciones
informales y precarios. y ahora el cartonero parecía como seña social, pero absolutamente
insociada de esta ética laboral mas ningún atrajo de trabajo laboral.
(...)
MVM: Es un grupo muy heterogéneo porque había grandes diferencias entre cartoneros
asociados en cooperativas o con experiencia de trabajos mas colectivas que cartoneros
individuales que a mismo tiempo cartoneros. porque es un trabajo de baja calificación ni otro
modo. hay aquellos que no tenían relaciones laborales formales previas y al largo plazo.
tu piensas también que esta gente va quedando en esta filiada y sin lugar dentro de el
mercado formal de trabajo medio-bajo. entre los sectores yo ha encontrado como la cartonera
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era profesora de filosofía me he encontrado con cartoneras que eran moristas (la gente que
cose la ropa, costuras de ropa). entre una profesora de filosofía y una costurera y un ladrón
sueldo hay una diferencia tan grande. mozos, torneros, obreros de la industria mecánica que
son obreros de alta calificación cartoneando. no hay una construcción de identidad común. se
avergonzaban de esa posición porque era un trabajo sucio e desvalorizado socialmente. creo
por eso la gente del Ceibo se llama a si mismo recuperadores urbanos y no cartoneros porque
eso le daba vergüenza. a nosotros pasaba que en el trabajo de campo preguntamos “usted que
hace?” “yo cartoneo” “aha, y que es?” “y yo soy tornero” Con ese trabajo podía ver hoy esa
experiencia laboral diez años atrás había financiado – “soy profesora de filosofía” “como
profesora?” no, no cartonera, profesora ?” sin hacer una identidad con aquello que hacen.
JL: Y eso también les da espacio de trabajo mas solido y este va a proteger en el largo plazo.
cartoneros que tenían 50 años cantoneando 10 o 15 años han establecido una forma formal y
formatera en la cual también han seguido ciertas formas de formación de oficios y luego tal
vez durante diez años habían empezado esto que esta en 2001 sea rastra del año complejo
económico y de marginalización. de una grande destrucción incluso ahora. quien es
conectado con la actividad.
Interview mit der Mitarbeiterin Susana (S) und Juan Garbois (JG), Kooperative
Movimiento de Trabajadores Excluidos (MTE), am 10.02.2012
S: Son vendedores, algunos artesanos otros no que ponen justamente sus mantas a veces
unos mantelos y venden en la calle. Al fin del año pasado hubo mucho ruido porque había
prohibido entre esas actividades el trabajo en la calle. No les dejaban quedarse ahí sentados
sino que una cosa ridicula. Puden darse vueltas nadamas. Lo hicieron porque los jodía, los
molestaba. También pasa que entre ello siempre hay alguno que tiene un negocio o sea una
persona que le paga a varias personas para que vendan sus productos y esa empresa tiene
mas peso porque va a tener o le paga la policía o sea como esa genera una situación como...
no se como decir lo... le dan más pelota que tiene plata y tiene poder y puede sobornar a la
policía y otros que no. Todavía sigue la lucha, todavía no se termino a finar esta ley que los
quiere sacar. Hoy no se que paso pero hubo una movilización y hay dos personas que los
metieron presos.
Cerca de 2002, 2003 muchas veces pasó que querían confiscar los materiales a los cartoneros
o les cobraban coimas cuando venían con los camiones para parar y querían sacarle el
camión. A poco se pude organizar para que esto no puede ser y se pude movilizar hasta la
comisaría que dejan salir a los compañeros y devolver el material que les han confiscado.
Era al principio. Ahora esta lucha es aprueba.
S: Hacen nada más y nada menos que suplir el rol del Estado de separar los residuos y de
generar reciclable. O sea ellos lo hacen por tener un trabajo y para darle a comer a sus hijos
pero están cumpliendo un rol que a veces sirva una empresa privada saldría fortunas.
RH: tu sabes cuanto sacan estas empresas privadas del trabajo de los cartoneros? compran
los productos primos por muy poco y lo venden por mas de el doble? O donde queda el
beneficio de este negocio?
S: Si, hay como dos o tres instancias. Los compra un galpón que acopia el material y de ahí
se vende a los empresas que utilizan el material para volverlo a cajas o... depende o papelera
147
o embalaje como un proceso mas duro, no tan fino. Y todavía queda un montón de
porcentaje de la basura que los vecinos reciclan baja a la comparación de lo que podría ser
reciclado. No se hace, no todas las personas que van a cartonear están dentro un sistema
porque no están las condiciones dadas todavía para que se pueda reciclar la cantidad que se
debería.
El el sistema (MTE) están incluidos muchos trabajadores pero faltarían muchos mas.
Siempre todos los años se da de discutir la aumenta de los incentivos o los sueldos de las
personas que lo manejan también el tema de la aura social.
RH: Subsidios para los cartoneros?
S: El Estado les dio un incentivo. Es una plata fija y por trabajador. Eso es aparte de la plata
que ellos hacen con su trabajo. Son mas o menos 400 pesos al mes. Por eso tienen que
cumplir ellos con la presencia. Tienen un control ecológica también. Venir a trabajar y
ocupar su puesto porque después hay muchas personas que quieren entrar al sistema y si no
están o se mueven, vienen otras personas y ocupan el lugar.
RH: Se pelean por calles?
S: Si, todo el tiempo. Pero no en la calle. Hay cosas internas de organizativo. En la división
de las calles esta muy claro y aparte tienen recorridos desde hace muchos años, conocen
mucho a la gente. En eso se organizan bien. Bajan y cartonean en la calle. Se generan más
conflictos internos dentro este sistema de trabajo. El delegado, que es una persona esta a
cargo de una ruta sea un micro y que dice quien viaja o no vieja siempre hay un problema,
pero en la calle no. Conflictos de hirarquia. El problema es cuando hay mínimas diferencias
de poder, cuando uno es el que organiza. Pero esos conflictos no se ven en la recolección, en
general digo. Después pueden entrar problemas personales del barrio y se pelean en la calle,
pero por la recolección en general no.
RH: Quien hace la división de las calles? Como se arreglan los sin cooperativas con los que
están en cooperativas?
S: Se sanciona a los trabajadores. No se los deja trabajar mas, no se suma con el incentivo.
RH: Acerca del uniforme de MTE.
S: Son dos piezas: la remera y el pantalón. Algunos usan una sola pieza. Lo cual no esta en
todo bien, pero hay otros que no vienen con nada y los delegados no los dejan subir si no
tienen uniforme. Porque si los mismos trabajadores no traen el uniforme y después desde el
gobierno quieren buscar excusas para ver un barto del sistema lo pueden hacer si los
trabajadores no cumplen las normas. Entonces hay que mantener un orden mínimo para que
funcione todo. Pero no siempre se cumple. Hay también unos chicos adolescentes que pasan
los cancheros, pero solo unos pocos. La gente mas grande lo usa. Al principio fue difícil que
se pongan uniformes pero después son muy buenos porque es una manera de mostrar que
son trabajadores en serio. Que están trabajando y que vienen cumpliendo sus horarios. Con
los horarios se alinean con las viejas. Salen más o menos a las 5, llegan acá. Ese micro que
los trajo vuelve, va buscar otros trabajadores, viene acá y después hace dos viejas de vuelta.
S: Lo que recolectan los trabajadores depende de lo que los compren. Si quieres llevar
148
cartón, porque es lo mejor que se paga, haces espacio en el bolsón para cartón y no llevas
tanto los otros. Pero en general recolectan todo. En general. Raras veces recolectan una sola
cosa, depende a quien la venden.
RH: De donde vienen a trabajar? Vienen de Gran Buenos Aires o de ciertas partes del Sur?
S: La mayoría de las trabajadores de acá, del sistema de cartoneros, viene del Sur del
conurbano de la Ciudad de Buenos Aires. Del barrio de la Luz y lo mas de Zamora – la gran
cantidad.
RH: Y del norte?
S: Los del norte? Esos trabajan en el Norte. En León Suárez, por ejemplo. Y venían en un
tren. Lo remplazaron por unos camiones pero no funcionaba bien. Nunca podían organizarse
bien. Ahora están empezando la organización y van teniendo los uniformes.
RH: En que condiciones trabajan los cartoneros? Hay algunos leyes, pagos o prestaciones
sociales para su protección?
JG: Depende del nivel de organización de los distintos grupos. Dentro de los trabajadores
cartoneros hay grupos, pero la mayoría en la Argentina y en el mundo no tienen
organización, no están organizados, son trabajadores de raíz en su actividad de manera
individual sin alojamiento y en condiciones de extrema precariedad en términos de ingreso,
de cobertura medica, en condiciones de trabajo, de transporte, de seguridad, etc., etc. A
mayor nivel de organización mayores condiciones de trabajo hay. En la Ciudad de Buenos
Aires se produce el desarrollo organizativo más fuerte de los cartoneros en el mundo. El
desarrollo de la organización y la lucha social que se ha desarrollado a partir de las
organizaciones de los cartoneros produce que el sistema de reciclado, del publico, de la
Ciudad de Buenos Aires sea un cintura mixto estatal, cooperativo entre el Gobierno y las
cooperativas de cartoneros. Hay un contrato donde el Gobierno optó a determinados
edificios sociales y a los cartoneros prestan determinados servicio. Digamos se reconoce el
valor ambiental del trabajo de los cartoneros y por esa razón la municipalidad paga en
determinados servicios. Esos servicios en la Ciudad de Buenos Aires en el sector que está
organizado en cooperativas .. a cobertura social, seguro de salud, a elementos higiene de
seguridad laboral (los uniformes, etc.) La cooperativa tiene unos treinta camiones y algunos
colectivos para el transporte de los compañeros.
También aporte a jubilación y un complemento de ingreso es un subsidio para unos
trabajadores que aporta el Estado con lo cual todos los compañeros ganan un salario mínimo.
Como hablando de los compañeros que están organizados en cooperativas. Después los que
están organizados en cooperativas en la Ciudad de Buenos Aires juntan el material y lo
venden y digamos no tienen una forma de trabajo regular incluso a veces – antes sobre todo
– tenían problemas con la policía ahora ya no más tanto. Siguen mas o menos con sus
condiciones de trabajo.
RH: Bajó la cantidad de los cartoneros después de la crisis? Se haya disminuida?
JG: En 2001 después la desvalorización se aumentó mucho la cantidad de los cartoneros por
dos motivos. Primero por la necesidad, digamos. Por el segundo por la onda de
desvalorización el precio relativo del cartón, del papel, del plástico …. son commodities ...
149
en la bolsa de Chicago subió. El precio relativo de materiales primos subió mucho, entonces
era una mercancía que se pagaba bien en el mercado y permitía obtener ingresos a veces
superiores que el salario original. Entonces son dos razones. Después eso fueron mermando
primero los lugares de trabajo y segundo porque el precio relativo bajó o sea con lo mismo
que se compraba... por ejemplo si te pagan por kilo 60, 70 centavos. con esos 60 centavos en
2002 podías comprar muchas más cosas que hoy por la inflación. O sea una inflación en los
productos de consumos pero no hubo una gran inflación del precio del cartón, porque el
precio de cartón se dirige por precios internacionales, como las hojas por ejemplo.
RH: Cuál es la jerarquía de precios?
JG: El material mas caro que se recicla es el cobre, por ejemplo. El aluminio, pero los
precios... digamos... el mas barato es el papel de diario o el papel de revista. Después vienen
el cartón, el papel blanco, después viene el P.E.T, tanto vale como blanco. Después vienen
los metales, el cobre, el aluminio, etc.
RH: Que se cambió para los trabajadores después de la ultima reglamentación normativa en
2006? Y que se había cambiado antes, con las reglamentaciones anteriores?
JG: Hubo varias reglamentaciones. La ultima fue en 2006. La primera fue en 2002. La ley de
la Ciudad de Buenos Aires 992 de la legitimación. La importancia a esa ley es que deroga
una vieja norma de la dictadura militar que prohibía la actividad. Y es simplemente una
legalización del trabajo, nada más. De 2002 hasta el 2007 fue todo un periodo de resistencia
ya y a partir de 2007 se logra de que se anulan los contratos privados y de que se haga este
contrato publico con las cooperativas. Ahí ese contrato se manifestó en 2006, fue con la ley
1854 que tampoco dice demasiado. Digamos es una ley impulsada por Greenpeace que es
una ley teórica, no es una ley que se aplique y a partir del 2007 empiezan a hacer
reglamentaciones que protejan a los trabajadores en serio. Que cada trabajador tenga una
zona, un medio de transporte, etc.
JG: Nunca existió un sistema formal de reciclaje en la Ciudad de Buenos Aires. Existía un
sistema de recolección de la basura. El contrato más caro de la Ciudad de Buenos Aires es el
de la higiene urbana, el de basura. El contrato que vale aproximadamente 1200 millones
Pesos por año. En la Ciudad de Buenos Aires la basura es privado, se ha privatizado entre
distintas empresas. Hasta el 2007 se le pagaba a las empresas unos 100 millones de pesos
para hacer reciclables. Pero no se ha nada reciclado, es un sistema fraudulento, era un fraude.
Como era el sistema? Era un sistema que ha implementada a partir de la ley 1854 de Basura
cero. El sistema existía en poner contenedores, uno para los materiales recicables y otro para
los materiales húmedos, digamos. Que pasaba en la realidad? El mismo camión se llevaba
los dos contenedores y tiraron toda la basura y lo enterraron. Había algunos galpones de
reciclado y algunas cooperativas chicas que recibían dos o tres toneladas por día de
materiales – muy poquito. Todo lo trabajo real lo hacían los cartoneros sin ningún beneficio.
Reciclan en la Ciudad de Buenos Aires 600 toneladas por día, los cartoneros. Esos contratos
son muy difíciles. No sé si son secretos pero son muy difícil a acceder. Cuando nosotros
logramos a ver los contratos iniciamos unas acciones ilegales para denunciar el fraude de
este y plantear que en vez de parar un sistema privado, invierten 100 millones de Pesos por
un sistema privado y que por eso utilizan fondos para hacer un programa de desarrollo social
para los cartoneros.
RH: Porque la entierran?
150
JG: La basura tiene un componente orgánico y un componente inorgánico. Los 100 % de la
basura son reciclable. Ahora lo que se recicla realmente es lo que el mercado compra. Se
recicla una parte pequeña de la basura, por ejemplo el material orgánico que podría hacerse
compost, no es rentable económicamente hacer eso. El cartón y el papel si son rentables,
entonces. En Europa también el nivel de reciclaje tampoco son muy altos, nunca sea mas que
30 – 40 % de los residuos. Ademas no se entierre, se incinera, o se quema o se entierra. Hay
algunas ambientalistas que piensan que enterrar es mas contaminante que quemar y otros
piensan que quemar es mas contaminante que enterrar. Todos dicen que reciclar es mejor
que quemar y enterrar, pero en ningún país del mundo se reciclan los 100 % porque para
poder reciclar el 100 % el Estado tiene que subsidiar el reciclado, porque no tienen salida
comercial como los productos.
JG: Los cartoneros que trabajan en la calle, hacen lo que se llama “una recolección
diferenciada puerta a puerta”. Mancan a la puerta y recogen material de su origen, hacen la
separación de su origen. La cooperativa hace la recolección diferenciada en grande
generadores. Ahora todo lo que sobra va al CEAMSE. En el CEAMSE hay unas plantas
procesadoras en donde trabajan otros cartoneros. Son muy malas las plantas. La tecnología
es muy básica, las condiciones de trabajo son pésimas. Lo que sobra de esas plantas va al
relleno. A dentro del relleno en las montañas también trabajan cartoneros. Los chicos
trabajando a dentro del basural, como se lo puede ver en las fotos de la pagina web, pasa en
todo el mundo subdesarrollado, en Africa, en India, en Brasil, en todos lados pasan
muchismos. No hay programas para resolver ese problema.
RH: Por donde ves mas necesidades para nuevas reglamentaciones?
JG: Fundamente hay algo que todavía … la necesidad sería cambiar el sistema en su
conjunto digamos porque es un sistema que hace que exista gente que tenga que trabajar en
condiciones inhumanas pero saqueando ese tema general, particularmente la industria
papelera, el industria del plástico, el industria del cartón no aportan nada a la formalización
de los cartoneros, que son los que recogen el material prima a ellos. Entonces dos cosas que
tendrían que cambiar rápidamente. Primero por cada mercancía que se produzca con material
reciclado cuya material prima ha venido del circuito informal o el circuito cooperativo de los
cartoneros. la industria debería pagar un impuesto para los programas del desarrollo social,
la inclusión de los cartoneros. Eso es un tema. Y el segundo tema es una ley de envases que
haga que las empresas que ponen envases en el mercado como por ejemplo Coca Cola que
pone mucha cantidad de PET o que ponen cajas etc., materiales que después van a juntar los
cartoneros también pague un impuesto porque los cartoneros terminan hacer trabajo gratis
para ellos. Esas dos cosas son cosas que faltan. Obviamente existen en el primero mundo.
Hay leyes de envases en Europa, pero las leyes de envases en Europa terminan
reglamentando el capital, no son leyes sociales. Esas son las dos principales cosas que faltan.
Y falta que se puede hacer algo parecido a lo que hay en la Ciudad de Buenos Aires en todo
el país. y también que existe una política para los basurales hacia lo abierto. Cuando los
basurales sean abierto sirviese para que la gente salga de los peores condiciones. De todo los
trabajadores cartoneros los que están en los peores condiciones son los que van a los
basurales a trabajar.
RH: Como es regulado el cumplimiento de los regulaciones?
151
JG: Las obligaciones que tiene el Estado los controlamos nosotros. Si el Estado no cumple,
nosotros desarrollamos una estrategia de la acción directa o legales etc. Los obligaciones que
tienen los cartoneros las controla el Estado muy mal. Por ejemplos las obligaciones son muy
básicas, son no ensuciar al propósito o cumplir con las leyes, muy básicas. El Estado mucho
no ha hecho porque no es muy contento de esta situación que hay. Todos se arquearan en la
lucha. Pero hay un sistema de control. Existe una dirección general de reciclado que es un
organismo estatal que esta encargado del control del cumplimiento del contrato que existe
entre las cooperativas y el Estado.
RH: Que factores influyen a la cantidad de los cartoneros?
JG: Depende de la política, de la situación social y también del capital y de la industria.
Porque a mayor cantidad de materia prima mas altos son los precios y mas atractivo es para
el trabajador salir a buscar el cartón. O sea las dos variables que influyen fundamentalmente
es la situación social de los trabajadores y los precios de la materia prima.
RH: Como es la situación de las mujeres? Hay un equilibro?
JG: Bastante parejo. 50 – 50 casi. Las mujeres tienen mucho protagonismo en la
organización. La mayoría de los delegados de la organización son mujeres y cumplen un rol
muy importante en la etapa de la resistencia.
RH: Hacen los mismo trabajos?
JG: Si, completamente.
RH: Porque trabajan sin ningún protección?
JG: Es difícil de explicar. Los materiales secos so son dañinos la salud. Los indices de
enfermedades por contaminación nuestros son muy bajos. no hay prácticamente, no son
existentes. No hay enfermedades infecciosas que se generen. En los basurales si, pero en la
recolección puerta a puerta no se generan enfermedades infecciosas por el contacto con la
basura. No existen, no hay ninguna. En ocho años no hubo un solo caso. Hay accidentes de
transito etc., pero infecciones no hay. O sea es un problema mas estético que científico el
tema de la protección.
RH: Que jeriqua existe dentro de la organización de los cartoneros mismos? Y peleas?
JG: La cooperativa tiene un consejo de administración directiva que se elige por voto de la
totalidad de los asociados cada año. Y ademas cada grupo de sesenta compañeros tiene un
delegado titulario de delegados suplente que se elige por voto de ese grupo una vez por año.
Y existe también digamos un grupo que nosotros llamamos militantes activos, somos
nosotros que ayudamos pero no tenemos incidencia a los acciones organizativas del
movimiento, son decisiones que están en mano de las organismos de la cooperativa. O sea
que lo jerarquías son esas en términos de organización interna. Delegados, comisión
directivo, trabajadores – delegados – comisión directiva. También existen una adición de
trabajo, chóferes, operarios y recuperadores urbanos. Esos son básicamente las divisiones
que hay. Siempre hay muchos peleas internas. Una organización muy grande tiene
aproximadamente 300 miembros y siempre hay muchas peleas internas por el poder dentro
de la organización y también hay a veces discusiones entre distintas cooperativas y a veces
152
entre incluso los trabajadores por el material pero hasta ahora todo viene resolviendo de
manera democrática. y entre compañeros, digamos.
RH: Es decir que todos siguen las reglas?
JG: No todos siguen las reglas. Lo normal es no seguir las reglas. Estamos hablando de
compañeros que están trabajadores que han sido excluido del sistema social dominante y que
no tiene un apego muy grande de normas, digamos. No estamos apegados a las normas.
Entonces las normas se rompen constantemente y la organización no tiene un control de
policía – no somos la policía. La organización lo que tiene que hacer es contener los
compañeros y conseguir los derechos sociales. Entonces el incumplimiento de las normas
dentro de las normas de la organización crea muchos problemas internos, pero la
organización prefiere que existan los problemas internos a expulsar la gente porque no
cumplen con las normas. La organización nunca expulsó ningún miembro. En todos sus años
de su existencia nunca expulso ningún miembro aunque en muchos rompan normas.
RH: Normas de que?
JG: Normas de no robar en la calles, no pegarle a otro compañero, no robar materiales de los
grandes generadores, usar el uniforme, no venir con menores de edad. Para nosotros es una
forma de explotación y la cooperativa tiene guardería para los chicos de los trabajadores. Un
montón de normas de ese tipo se rompe sistemáticamente.
RH: Y no hay problemas con la policía por este desmadre que a veces..?
JG: Si, la organización tuvo muchos problemas con la policía hasta el 2007. El problema de
la policía no era porque la policía controlaba. La policía cobraba una coima, un chantaje para
permitir a los cartoneros a trabajar. Siempre hubo mucho enfrentamiento con la policía. pero
ahora no porque la organización es muy fuerte y digamos cuando algún niño o un chico
joven a veces pasa que rompa algo etc., tratamos que lo devuelva y que no lo haga más y
listo. No hay situaciones de violencia grandes.
RH: Pero las bolsas abiertas con desechos no les molestan a los vecinos? Que no hay algunos
que las abren y las cierren de nuevo y otros que no lo hacen?
JG: Unas de las normas de la organización es que hay que abrir y cerrar. Y que no lo hace
digamos. la mitad lo hace, la otra no. Imaginate vos si hubieses nacido en una villa miseria,
un basural, sin trabajo, sin nada, que te importa ensuciar la calle de la gente tiene plata? Que
te importa? Entonces a mi como militante social que me importa que a un muchacho joven
no le importe que este limpia la calle. No es el problema ese, ese es un problema que tiene
que ver con la banalidad de los problemas de la clase media. El problema de la clase media
es que les ensucian la calle, el problema del compañero de la villa es que no tiene para
comer, no tiene cobertura social, no tiene vivienda, porque su papa es alcohólico.
RH: De donde vienen los cartoneros?
JG: En general los de la organización vienen de Zamora o de la zona sur del conurbano de la
ciudad. Pues hay otro grupo que viene del norte del conurbano, hay otro que viene de la zona
este y hay un grupo que vive en las villas de la Ciudad de Buenos Aires.
153
RH: Y que es la estructura de su edad?
JG: Hay un fuerte componente de pibes entre 16 y 25 años. Hay de todo pero la mas fuerte es
entre 16 y 25. Hay también gente de mas 45, mas de 50, de 60, hay de todas las edades la
mayoría son jóvenes.
RH: Y que hacen después?
JG: Eso no se sabe porque es un fenómeno nuevo de 2001/2002. Ahora no se ha visto lo que
pasa, pero yo conozco a chicos que trabajan desde los 16,17 años y que van trabajando los
últimos 10 años y siguen trabajando en esto. Pero no se visualiza como un trabajo indigno. O
sea nosotros reivindicamos que es un trabajo digno y que es un trabajo útil para la sociedad.
Y que es un trabajo que mientras tenga la protección social necesaria y que es igual que
cualquiera otro trabajo.
RH: Cuales ocupaciones habían tenido antes de la crisis?
JG: Hay de todo. Algunos habían sido obreros, otros no todavía. Hay dos o tres generaciones
de desocupados y otros habían sido delincuentes, eee hay de todo.
RH: Pero la mayoría era de la clase obrera?
JG: La mayoría eran trabajadores, si.
RH: Quienes son las mas importantes clientes?
JG: Los vecinos, la familia clase-media.
RH: Y no hay dificultades con los vecinos?
JG: No, no. Al principio. Pero ahora ya muy poquito. Hay buena relación pero no hay
contacto. No hay conflictos, muy pocos conflictos. Algunos vecinos se paran y se lo dan
directamente al cartonero, los porteros sobretodo. Hay cartoneros que tiene ya sus clientes. Y
otros que abren las bolsas y hay de todo. Pero no hay problemas. La mayor parte de los
vecinos (60, 70 %) no les molestan a los cartoneros. Al principio si, había unas problemas.
Pero tampoco unos demasiado graves, muchas quejas.
RH: A quien se venden los materiales? Se los venden también a una instancia del gobierno?
JG: Los materiales son propiedad de cada trabajador. Cada uno vende a quien quiere, por lo
menos en esta organización y en la mayoría de los casos. Hay algunos casos que no, pero son
muy chiquitos. Hubo una época donde había gente que le pagaba a los cartoneros para juntar
para el. Eso se acabó. Entonces hay algunos cartoneros que venden en la propia cooperativa,
que después vende a la fabrica, hay algunos que venden en galpones ilegales. La mayoría, la
mayor parte del material del circuito cartonero va a un galpón ilegal chiquitito. Es galpón
chiquitito se lo vende a un galpón mas grande y ese galpón mas grande se lo vende a la
fabrica. La fabrica que compra mucho volumen son fabricas muy grandes, multinacionales
(Es Smurfit, Zucamor) varias fabricas de papelera que compran a los galpones que le
compran a los cartoneros. Toda la cadena se va a una fabrica importante.
RH: Estatales también?
154
JG: No, no, no. Todo privado.
RH: Conoces que esta entre Trelles y Chacaritas.
JG: Por allí hay muchos galpones privados.
RH: Ilegales?
JG: No, irregulares. O sea no informales, no que sean ilegales, informales.
RH: Y hay algo como un carel de precios?
JG: Si. Hay una cartelización de los precios.
RH: Que otros estrategias de sobrevivencia había despues de la crisis?
JG: A nosotros no nos gusta el termino de estrategias de sobrevivencia porque todos los
trabajadores del sistema capitalista son supervivientes. Venden su fuerza de trabajo a cambio
de un salario para sobrevivir. Cuando uno usa el termino supervivencia para la de la
economía informal esta haciendo una distinción ficticia entre los trabajadores de la economía
informal y los de la economía formal digamos. que no es la verdadera diferencia. Nosotros
planteamos después de la crisis, los compañeros inventaron su propio trabajo. Perdieron su
propio trabajo y estaban buscando formas de inventar su propio trabajo porque la mayor
parte de los fenómenos que surgen de la crisis, los mas importantes, eran las fabricas
recuperadas, el movimiento de los cartoneros, las cooperativas de micro-movimiento de todo
tipo, las ferias populares, el trueque y después a 2004, 2005 algunos programas sociales que
fueron consiguiendo los piqueteros, el grupo piquetero.
RH: Y cuales todavia siguen viviendo?
JG: Muchos. En el sector muy grande de la clase trabajadora que vive de este tipo de
actividad.
RH: Que influencia tiene la campaña de reciclaje en la Ciudad de Buenos Aires
JG: Ninguna. Los contenedores nueves, los verdes, que hay en el micro y macrocentro. Los
contenedores esos digamos la cooperativa y otra cooperativa mas tienen acceso a esos
contenedores o sea los compañeros tienen acceso a esos contenedores.
Con la Ameda tenemos alianza del planteo de una lucha por una sociedad sin excluidos.
Ellos trabajaron sobre el tema de los clandestinos y empezamos a trabajar sobre la relación
entre la exclusión social y el crimen organizado y las Mafias y la intoxicaciones de la
sobreexplotación. Entonces cuando hay situaciones en donde inconviencen mucho
desarrollamos una estrategia de luchar juntos. Y después también hicimos una alianza mas
grande que la cooperativa de los trabajadores de la economía popular con el movimiento de
las fabricas recuperadas y con los movimiento de las cooperativas de la infraestructura
social. Estamos allí ayudando a los trabajadores de la vida publica, a los que venden,
vendedores circulantes … lo que comunalmente se llama trabajadores informales.
155
Interview mit der recuperadora María Julia Nevarra (MJN), Kooperative „El
Ceibo“, vom 07.02.2012 und vom 16.02.2012
07.02.2012
RH: Cuántos hijos tienes?
MJN: Yo tengo cinco.
RH: De que edad?
MJN: No, ya son grandes. Tengo uno de los cinco con que estoy criando. Lo tengo de bebe,
ahora tiene 17 años. Tengo la tendencia definitiva. Ahora cuando cumpla 18 el, yo me voy a
cambiar mi apellido. Automáticamente mío, Va a cumplir 18 años ahora en junio. Y anoche
vino tarde porque se fue a la murga.
MJN: Yo terminé mi primaria a los 59 años. Pensaba todavía – no puedo pensar mas por el –
tengo los chicos que lo tienen que operar otra vez. Porque me cortaron, sacaron un vaso
Recuperadas …. A veces traen estas bolsas con útiles y ahí sacamos eso (zeigt auf einen
Kugelschreiberhalter auf ihrem Schreibtisch) a veces no compro nada … asi cosas … porque
… esto lo que había la bolsa. ahora no veo nada (in einem anderen Sack)
RH: Pero no comen de la basura?
MJN: No. No.
RH: Porque ya vi gente que se come de la basura
MJN: … y van a los supermercados y a...
RH: los contenedores?
MJN: No, no. a los... como se llama? … las maltonas … en lo que tiran cosas y comida y
van y sacan de ahí. Hay unos que sacan a veces de la gente que
RH: como se organizan?
MJN: Cristina es la jefe [Frau als Chefin] en el galpón y yo soy acá. ella manda allá y yo
mando acá, soy la encargada de la calle. soy la encargada de los recuperadores de la calle.
RH: y como son los horarios?
MJN: de las 8 a la 1.
RH: Como son los pagos?
MJN: semanal acá. Y en el galpón mensual, por mes.
RH: Todos ganan lo mismo?
MJN: No, diferentes categorías de trabajo, los de la calle ganan lo menos. Nosotros somos
recuperadores socio-ambientales, que andamos con los vecinos, nos encargamos de los
vecinos. Nosotros nos encargamos de acá. es decir que
RH: Como se sienten en esta sociedad? como te sientes tratado?
MJN: muy bien. nos tratan así. Muchos tienen confianza, porque nosotros tenemos
uniformes, que somos una cooperativa seria. Conocemos a todos los vecinos. Adonde me
voy, me dicen “hola, Maria Julia.” “Hola”, sale una grita. De donde están, nos saludan.
MJN: Nosotros tenemos prohibido de agarrar los cosas de la calle. Salgo que este suelto que
no es dentro de una bolsa, unas materiales. Si hay cajas sueltas nosotros las levantamos, pero
andar abriendo bolsas no podemos. Ya lo habíamos hecho nosotros y ahora no podemos más
156
andar hurgando bolsas en la calle. A veces sí vemos sueltas las botellas, es como que las
tenemos que levantar para guardar el medio-ambiente. entonces nosotros las levantamos y a
nosotros nos sirve y a la vez estamos cuidando el medio ambiente. Eso es lo que pasa. Pero
trabajamos de día y de noche no. Trabajamos de 8 a 1, 1:30, hasta que viene el camión.
RH: Que hacen los chavos de “Juga Limpio”?
MJN: Juga Limpio es mala palabra para nosotros. Es del gobierno, nosotros no pertenecemos
al gobierno. Nosotras somos siete mujeres fundadoras pero nosotras no tenemos nada que
ver con el gobierno.
Los que andan rompiendo las bolsas cobran subsidios para que no rompan las bolsas. Los
mismos lo hacen porque es más fácil de entrar. Como hay miles de chicos que andan sueltos,
que andan limpiando y por allí se cruzan uno por hacer cosas rápido, rápido, rompen y dejan
todo tirado.
RH: Tienen estrés?
MJ: Estrés para que puedan agarrar el material.
16.02.2012
MJN: Estar debajo de un puente al estar ahora alquilando una pieza es un cambio de vida.
Antes no teníamos nada y siempre hemos vivido en casas tomadas. Eramos siete mujeres
fundadoras que las siete mujeres éramos cirujas individuales. Y ser individual significa andar
rompiendo bolsas. Ahora no, ahora somos unas recuperadoras socio-ambientales. Que es
socio-ambiental? Es agarrar una logística. Con las direcciones pasar por los vecinos tocando
el timbre … y … nos dan los materiales en la mano. Vamos con un carrito y un bolsón y nos
ponen los materiales. Los agarramos, los ponemos en este bolsón y bueno. Antes no
teníamos nada. Era cuando lo hemos iniciado recién en 1989. La gente tenia miedo de tratar
con nosotros o sea no nos conocía. Hemos empezado con el cartelito en los arboles. Son así
un cartel con esa tetragrido plástico de esa de coca para que no se moje. Poníamos la
dirección, el teléfono y el numero de reconocimiento de cada recuperadora que pasaba. Así
fuéramos conociendo de la gente incluso ahora vienen hasta de lejos dejarnos los materiales
para acá para Paraguay.
Acá, donde esta la oficina ahora, vivíamos antes. Acá vivía Cristina (auf eine Ecke zeigend)
Vinieron y dejaran cosas. Faltaba terminar acá. Nos costó bastante lágrimas. Lloramos
mucho para lograr que tenemos ahora. Ahora tenemos un mapa de las zonas. Las dividimos
entre todos las logísticas por al dirección y se fueron los chicos a recuperar. Todo cambió en
el 2001, fue en ese tiempo de quiebra con esta la inflación enorme. A nosotros nos favoreció,
nos elevaron, incluso nos regalaron un galpón.
(…)
Trabajar, trabajar, trabajar es lo único que hemos hecho por eso. No hemos dado gran
importancia a lo que hicieron (sie erzählte zuvor, dass im Galpon einmal Feuer gelegt wurde,
bei dem alles verbrannte). Hay gente que no quiere que trabajemos. Pero la verdad, no le
tenemos miedo de nada. Seguimos para adelante. Nosotros no tenemos ayuda del gobierno,
ni nada. Tenemos subsidios que les dan a todos, a los del MTE, todo eso. No recibimos nada.
Gracias a los vecinos que colaboran con nosotros generamos nuestro sueldo. Nos dan los
materiales y traen los bolsones aca con los materiales y después se los lleva al galpón y en el
galpón hacen la segunda separación para la venta. Entonces ahí se paran y con eso sale a la
venta.
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Los actividades del estado no cambiaron nuestro ritmo de vida. Al contrario. Nos trata
injusto. Antes nos traían los camiones de materiales ahora no están trayendo nada. El galpón
esta pelado por eso en la comparación de lo que era antes. Recién, en diciembre, enero y
febrero bajan los materiales, pero a nosotros eso no nos insulta porque siempre hemos sido
unas mujeres que luchan. Luchamos para sobrevivir. Lo que pasa es que tenemos firmado un
papel entre el gobierno de la ciudad. eso es una cosa. Lo queremos es que no se mete el
gobierno a lo que nosotros hemos logrado a ser. Lo que hemos logrado de poquito vamos
elevando. Todavía nos falta pero no le debemos al gobierno. El no nos da a comer. Los que
nos dan a comer son los vecinos. Y encima nos felicitan por el trabajo que hacemos. Acá
vinieron dos señores grandes ya, un señor y una señora, me felicitaron y sacaron su dirección
para venir acá dejar los materiales. Y entonces ellos saben que nosotros estamos acá y saben
que nosotros ponemos un bolsón y vienen y traen toda las cosas para acá. y todo separado,
en cada bolsa traen un plástico, incluso se fueron al colegio de armonía llevar los materiales.
Pero ahora como el colegio ha cerrado quieren venir a dejar estos materiales.
según yo es un trabajo digno porque damos trabajo a la gente que quiere trabajar. La verdad
que hemos trabajado con chicos que tenían este problema de conducta o que estuvieron preso
o trabajamos con chicos que se endrogaban. El que quiere recibir ese trabajo, puede hacerlo.
pero nadie le quiere reconocer en la sociedad. Y que quieren hacer estos chicos? Salen a
robar y salen a drogarse y en cambio les damos una oportunidad. Eso es una gran ayuda para
los pibes para que se sepa que se sientan aceptados y que sirven para algo. Robando o
drogándose pueden perder la vida. Si van a robar van a perder la vida.
Ahora, menores nosotros no tenemos. De 18 por arriba pueden trabajar con nosotros.
Menores lo que tienen que hacer ir al colegio terminar su clase. Tampoco dan la oportunidad
a esos chicos, son discriminados por la sociedad. Y en cambio nosotros les damos la
oportunidad.
Aparte de Cristina era la única mujer que terminó la primaria. Mi diploma me lo dio
Christina. Empecé la primaria con 25 años y la terminé con 59. Yo tenia hasta el segundo
grado, no me aprobado, y después dije me voy a la nocturna a terminar la primaria. Yo tenia
mucha falta de ortografía, incluso matemática. Ahora no me pueden más tomar así de tonta y
ahora la logística la tengo en mi mente. Es vale mucho. Para estudiar no hay era pero la
situación económica no me da, porque hay que comprar libros. Quiero que mis hijos
terminen la secundaria y siguen al colegio.
Antes cuando era chica no tomaba apuntes, me quedaba lejísimos. Me quedaba en la mitad
del camino a jugar o a andar con la honda. Era peor que muchachos. Ahora tengo 61 años y
sin embargo … a los 7 años empecé a trabajar y sabía lo que era trabajo. Pero me hice cargo
yo desde estoy criando no quiero que labore mi hijo como lo laboré yo de chico. Espero que
termine su colegio.
Son 1500 pesos de alquiler y yo gano 300 pesos por semana. (im selben Gespräch erzählte
sie, dass sie vom Staat 1500 Pesos für die Miete erhält. Auf das Sozialprogramm, aus dem
das Geld kam, wollte sie nicht eingehen.)
Ellos (del Estado) no quieren aprender el reciclaje. Lo único que les interesa es enterrar. No
queremos enterrar los materiales secos, no queremos que entierre toda la basura. Los
materiales secos los queremos para generar nuestros sueldos, eso es lo que pasa. El
gobierno... que haga lo que haga. No me interesa pero lo que si quiero es que sepan valorizar
158
lo que hacemos. Como puede ser que vienen a vernos de otros países y acá en Argentina no
nos tienen en cuenta. El gobierno no le interesa que hacemos. Ellos ganan una fortuna los
limpiadores (de “Juga Limpio”) de la calle que son del gobierno, igual eso de AEFA,
CRIBA ganan una fortuna. El trabajo que estamos haciendo nosotros queremos que sea
valorizado como el trabajo que hacen ellos.
No quiero cambiar nada. Eso me dio vida, me dio todo. Sin embargo, para mi
Los sietes mujeres, no queremos ser dependiente de nadie. Al gobierno el insultamos porque
es la gente bien alta como deshonesta y vamos con la verdad adelante. No nos ataca a nadie.
Porque ellos no me dieron nada.
Hemos luchado para que nos den un camión. vivimos con algo prestado. Lo que queremos es
algo nuestro. Estamos bien agradecidas que se lo prestan. Pero en general queremos algo
propio, no que se los presten. Porque puede ser que se rompe y gastamos más a la cosa
prestada que a las cosas nuestras. Eso es lo que pasa. Nosotros queremos lo nuestro.
Depender de nuestro, no que la gente nos presta, el gobierno nos presta. Nos prestaron un
camión y se rompió. Quien sabe cuando vayan a arreglar. Tenemos una camioneta nueva
para levantar todos los materiales que nosotros reciclamos. Es una vergüenza. Miran para el
lado de ellos no para el lado del pobre.
159
Zusammenfassung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit den AbfallsammlerInnen in Argentinien. Während der
wirtschaftlichen Krise, zwischen den 1990er und 2002, stieg die Anzahl jener Menschen, die
sich ihren Lebensunterhalt über die Sammlung und den Verkauf von Abfall verdienten, von
wenigen Tausend auf 100.000 Menschen im Stadtgebiet von Buenos Aires an. Daneben sahen sich Fertigungsbetriebe, die dem Unternehmenssterben entgehen konnten, mit rasant
steigenden Rohstoffpreisen konfrontiert. Die Verflechtung der steigenden Rohstoffpreise mit
dem massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen brachte eine starke, von den AbfallsammlerInnen angetriebene Recyclingwirtschaft hervor. Nachdem die Anzahl der cartoneros in Buenos
Aires stark gestiegen war, wurde von Seiten der Regierung mit Gesetzen und Programmen
zur Integration der informellen AbfallsammlerInnen versucht, gegen die prekären Lebensund Arbeitsbedingungen anzukämpfen. In den letzten zehn Jahren wurden mehrere Gesetze
erlassen und Programme eingeführt, welche die informelle Abfallsammlung formalisieren
und in die städtische Abfallwirtschaft integrieren sollten.
Die vorliegende Arbeit ging den Fragen nach, welche wirtschafts- und sozialgeschichtlichen
sowie politikgeschichtlichen Aspekte auf das Ausbreiten der Abfallsammlung Einfluss ausübten. Sie beschäftigte sich darüber hinaus mit dem Zusammenspiel von Formalität, Informalität und Abfallwirtschaft und versuchte zu zeigen, welche Auswirkungen der 2001 angekurbelte Formalisierungsprozess auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der cartoneros hatte. Die Untersuchung der von der Formalisierung angestoßenen Veränderung von Einkommen, Arbeitsorganisation und Zugang zum öffentlichen Raum machte deutlich, dass die bisher Formalisierungsmaßnahmen vielmehr einen passenden rechtlichen Rahmen für profitorientierte Kooperativen und Abfallunternehmen schufen, als die cartoneros als neue Berufsgruppe zu schützen. Gesetze und Programme beinhalten nur wenige verpflichtend umzusetzende Maßnahmen, die zu einer maßgeblichen Verbesserung der Arbeits- und damit der Lebensbedingungen von cartoneros führen könnten. Aufgrund fehlender behördlicher Kontrolle
bleiben Kooperativen und Unternehmen Wege offen, die arbeitsrechtlichen Schutzmaßnahmen zu umgehen und die eigenen wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund zu stellen.
Im Gegensatz dazu finden die cartoneros selbst in Kooperativen zu wenig Anreize, um sie
als Organisationsform zu benutzen. Sie organisieren sich größtenteils weiterhin selbst und
machen von bestehenden sozialen Beziehungen und informellen Netzwerken Gebrauch, um
ihren Abfall zu sammeln und damit ihr Überleben zu sichern.
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Summary
The present work takes a closer look at the scavengers – or cartonoers - in Buenos Aires, Argentina. Throughout the economic crisis in Argentina between the nineties and 2002, the
number of scavengers in the city of Buenos Aires increased from a few thousand to a majority of unemployed residents who tried to cover their basic needs by collecting, sorting and,
selling refuse. In addition, a number of production plants faced skyrocketing prices of raw
materials. The interconnection of those two occurrences the rising of prices of raw materials
and the cutback of working places produced a flourishing recycling economy. The government felt compelled to battle the enormously high number of impoverished residents. As a
reply to mass impoverishment a number of laws and programs seeking to formalize and integrate informal scavenging into solid municipal waste management has been issued over the
last 10 years.
This work is taking into account economic, social-historical as well as political-historical
aspects which have had and still have influences on the extend of scavenging in Buenos Aires. Furthermore, this work goes into the interplay between formality, informality, and solid
urban waste management in greater detail. It also focusses on implications of the process of
formalization of the living and working conditions of both, formalized and informal cartoneros, which started in 2001.
The analysis of the transformation of income, work organization and access to the public
sphere showed that most of the measures to formalize scavenging had more positive effects
on refuse-cooperatives and refuse-companies than on protecting scavengers as a new occupational group. Laws and programs only comprise very few obligatory actions to significantly improve scavengers' working and living conditions. Missing control by officials keeps
it very easy for profit-seeking cooperatives and enterprises to give priority to their own interests and ignore governmental regulations on improved working conditions for scavengers.
On the contrary, few cartoneros find incentives for a membership in cooperatives. Most of
the scavengers still organize independently and keep relying on existing social relations and
informal networks to gain most out of selling raw materials to (mostly informal) middlemen.
Norwithstandig government’s regulatory actions informal networks and old habits stay the
most reliable components for assuring one's survival.
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Curriculum Vitae
Regina Hemetsberger, Bakk.phil
Persönliche Daten
Geburtsdatum:
27. August 1985
Geburtsort:
Vöcklabruck
Wohnort:
Wien
Kontakt:
[email protected]
Ausbildung (Auswahl)
1999 – 2005
Handelsakademie Vöcklabruck
2006 – 2010
Bakk. Publizistik und Kommunikationswissenschaft und
Internationale Entwicklung, Uni Wien
seit 2010
Mag.studium Publizistik und Kommunikationswissenschaft und
Internationale Entwicklung, Uni Wien
2009
Studienaufenthalt in Frankreich (Lyon), Stipendium der
Universität Wien (Erasmus)
2010
Studienaufenthalt in Mexiko (Stadt), Stipendium der Universtität
Wien (Joint Study)
2012
Feldforschung in Buenos Aires, Stipendium der Universität Wien
(KWA)
Berufsrelevante Praktika im In- und Ausland (Auswahl)
2008
L&W Marcom Commuications AG Zürich
2009 – 2010
Gemeinnützige Entwicklungszusammenarbeit, Wien
Mai 2011-Juli 2011
Österreichische Botschaft in Hanoi, Vietna
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