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DIPLOMARBEIT Titel der Diplomarbeit „Die AbfallsammlerInnen von Buenos Aires. Abfallsammeln im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“ Verfasserin Regina Hemetsberger, Bakk.phil. angestrebter akademischer Grad Magistra (Mag.) Wien, 2013 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 057 390 Studienrichtung lt. Studienblatt: Individuelles Diplomstudium Internationale Entwicklung Betreuerin: a.o. Univ.-Prof. Dr. Martina Kaller-Dietrich Ich bedanke mich an dieser Stelle … bei meiner Familie, die mich mit großer Anteilnahme und Unterstützung während meines gesamten Studiums und der Entstehung dieser Diplomarbeit begleitete. bei meiner Betreuerin, a.o. Univ.-Prof. Dr. Martina Kaller-Dietrich, die mich vor neue spannende Herausforderungen stellte und mir stets mit wertvollem Rat zur Seite stand. bei den Mitarbeiterinnen vom Instituto Gino Germani in Buenos Aires und jenen des MTE, die meine zahlreichen Fragen geduldig beantworteten. bei den MitarbeiterInnen von der Kooperative El Ceibo, die mich immer wieder mit Freude empfingen, denen ich zuhören durfte und mir viele unbezahlbare Einblicke in ihre Arbeit ermöglichten. und letzten Endes bei all meinen Verwandten, Freundinnen und Freunden, die begeisterte und verzweifelte Stunden mit mir teilten, mich inspirierten, ermutigten, entspannten, ablenkten, und schließlich meine Arbeit gelesen und korrigiert haben: Philipp, Helene, Marianne, Leni, Stephi, Stephan, Caro, Julia und viele andere! Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 1.1 Forschungsfragen ............................................................................................. 3 1.2 Forschungsstand ............................................................................................... 4 2 Methodik ..................................................................................................................7 3 Theorie....................................................................................................................12 3.1 Konzepte zum informellen Sektor.................................................................. 13 3.1.1 Der Ansatz der urbanen Subsistenz in der informellen Ökonomie .... 20 3.1.2 Formalisierung.................................................................................... 24 3.1.3 Informelle Organisations- und Sicherheitsstrukturen......................... 26 3.2 Konzepte zur Abfallwirtschaft ....................................................................... 31 3.3 Arbeitsspezifische Definitionen ..................................................................... 41 4 Vom cartonero zum recuperador urbano: Formalisierung der Abfallsammlung 45 4.1 Umfeld und Hintergründe .............................................................................. 45 4.1.1 Entwicklungen im 20. Jahrhundert..................................................... 45 4.1.2 Der Beginn des 21. Jahrhunderts: Krise, Armut und Proteste............ 49 4.1.3 Vom ciruja zum cartonero .................................................................. 56 4.1.4 Die formelle Abfallwirtschaft von Buenos Aires ............................... 59 4.2 Formalisierungsprozess .................................................................................. 62 4.3 Analyse der Veränderungen von Arbeits- und Lebensverhältnisse ............... 69 4.3.1 Einkommen......................................................................................... 70 4.3.2 Investitionskosten ............................................................................... 74 4.3.3 Arbeitsorganisation, Regeln und Normen .......................................... 76 4.3.4 Wirtschaftliche Netzwerke ................................................................. 82 4.3.5 Zugang zu öffentlichem Raum, Abfall und Betriebsmittel ................ 87 4.3.6 Identität............................................................................................... 89 4.3.7 Politische Organisation....................................................................... 92 4.4 Eigene Befragungen und Beobachtungen ...................................................... 93 4.4.1 Interview mit Mercedes Vega Martínez und Julieta Lampasona ....... 94 4.4.2 Interview mit Juan Garbois................................................................. 98 4.4.3 Interview mit der recuperadora María Julia Nevarra........................ 102 4.4.4 Beobachtungen ................................................................................. 104 5 Diskussion der Ergebnisse ...................................................................................109 6 Resultat................................................................................................................. 119 7 Forschungsausblick .............................................................................................121 Bibliografie...........................................................................................................123 Anhang ................................................................................................................ 138 Abbildungsverzeichnis...................................................................................... 138 Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... 138 Glossar .............................................................................................................. 139 Dokumention Feldforschung............................................................................. 141 Interviewleitfaden ............................................................................................. 142 Interviewauszüge............................................................................................... 143 Interview mit Mercedes Vega Martínez und Julieta Lampasona ................. 143 Interview mit Susana und Juan Garbois ...................................................... 147 Interview mit María Julia Nevarra ............................................................... 156 Zusammenfassung............................................................................................. 160 Summary ........................................................................................................... 161 Curriculum Vitae............................................................................................... 162 1 Einleitung „Abfall ist wertvoll. Abfall ist Energie“ lautete unlängst ein Werbeslogan des städtischen Entsorgungs- und Recyclingdepartements der Stadt Zürich (ERZ 2011). Ziel dieser Kampagne war der offene Hinweis auf den ökonomischen Wert von Abfallprodukten. In anderen Großstädten, Berlin oder London, sind AbfallsammlerInnen mit Einkaufswägen voller Flaschen und anderen wiederverwertbaren Gütern zum festen Bestandteil des nächtlichen Stadtbilds geworden (Süddeutsche Zeitung, 25.05.2010). In Ländern des Südens sind AbfallsammlerInnen ein bekanntes Erscheinungsbild, im hochtechnologisierten Norden ist das individuelle Sammeln von Abfall erst seit kurzem für einen marginalisierten Teil der Gesellschaft zur Beschäftigung geworden. In Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Ägypten und auf den Philippinen recyceln MüllsammlerInnen einen Großteil des weggeworfenen Abfalls (Medina 2007). In mehr oder weniger organisierten Gruppen sammeln sie den Hausmüll von Straßen und Müllhalden ein, trennen wertvolle Altstoffe von wertlosen, basteln daraus neue Gebrauchsgegenstände oder verkaufen den Abfall an ZwischenhändlerInnen oder industrielle Unternehmen weiter. Abfall ist ein Objekt, über das ambivalente Gesellschaftsverhältnisse zum Ausdruck gebracht werden. Abfall ist einerseits Zeichen für Wohlstand, Konsum und Prosperität. Je höher der Wohlstand einer Gesellschaft ist, umso höher ist der gesellschaftliche Konsum, und umso mehr Abfall wird produziert (Prischnig 2010: 33). Gleichzeitig ist er die Kehrseite einer Wegwerfgesellschaft, der lange zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Müll ist ein Produkt, das im Widerspruch zu gesellschaftlich konstruierten Werten steht. Verliert ein Gegenstand seinen Gebrauchs- oder seinen Tauschwert, wird er von den meisten Menschen in die Kategorie des Wertlosen, des Störenden oder des Ekelhaften eingeordnet (Bardmann 1994: 168). Müll stellt eine Provokation, weckt den Wunsch, sich seiner zu entledigen, gefährdet Umwelt und Gesundheit (Prischnig 2010: 30). Im Verborgenen ist der Handel mit Abfall aber zu einem höchst brisanten und lukrativen Geschäft geworden. In Österreich ist die Abfallwirtschaft beispielsweise der am stärksten regulierte Wirtschaftszweig (Scharff 2010: 67). In Anbetracht der Verknappung natürlicher Ressourcen ist das Recycling von Abfallprodukten heute oftmals um ein Vielfaches günstiger als der Abbau von Primärrohstoffen. Abfall ist zu einem Produkt geworden, das, in wertvolle Rohstoffe umgewandelt, auch ohne technologisch hochentwickelte Hilfsmittel 1 hohe Wertschöpfung bringen kann. Andererseits sind AbfallsammlerInnen Symptom von krisenhaften Situationen und Zwangslagen. AbfallsammlerInnen verweisen auf gesellschaftliche Unordnung (Scharff 2010: 71), auf fehlende Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten (Medina 2007: 58). Das Abfallsammeln ist eine Reaktion auf strukturelle Armut und Stress verursachende Situationen wie wirtschaftliche Krisen, Kriege, Handelsembargos oder Naturkatastrophen (Medina 2007: 45-48). Arbeits- und damit Einkommenslosigkeit führt zur Entwicklung von kreativen Arbeitsstrategien. In vielen Fällen unterscheiden sich die Arbeitsstrategien der von Armut betroffenen Menschen nicht vom alltäglichen Kampf ums physische Überleben. Mit mehreren, formellen und /oder informellen Arbeitsstrategien (Köberlein 2003; Wehrli 2009: 30) versuchen Betroffene, ausreichend Geld zu verdienen, um sich das Überleben zu sichern. Informell zu arbeiten bedeutet für die betroffenen Menschen, mit lokal verfügbaren Ressourcen zu arbeiten, niedrige Investitionskosten und einfachen Zutritt zum Markt zu haben (ILO 1972: 6). Gleichzeitig bedeutet es aber, ein Arbeitsverhältnis zu haben, das nicht oder nur teilweise den Kriterien der geregelten Erwerbsarbeit entspricht, das keine soziale Absicherung und keinen arbeitsrechtlichen Schutz bietet (Komlosy et al. 1997: 10). In Argentinien stieg die informelle Abfallsammlung schlagartig an, als die wirtschaftliche Krise die Arbeitslosenzahlen in gravierende Höhen schnellen ließ. Zudem sahen sich Fertigungsbetriebe, die dem Unternehmenssterben entgehen konnten, mit rasant steigenden Rohstoffpreisen konfrontiert. Für Arbeitslose gab es kaum Einkommensmöglichkeiten, gleichzeitig suchte die Industrie aber nach Zugang zu günstigen Rohstoffen. Die Verzahnung dieser Umstände brachte eine starke, von den AbfallsammlerInnen angetriebene Recyclingwirtschaft hervor. Innerhalb von wenigen Monaten verdienten sich viele von Arbeitslosigkeit und Armut betroffene ArgentinierInnen ihren Lebensunterhalt über das Abfallsammeln. Einer Untersuchung von Francisco Suárez ist zu entnehmen, dass sich während der Krisenphase, zwischen Anfang der 1990er und 2002, 100.000 Personen im Stadtgebiet von Buenos Aires von der Abfallsammlung ernährten. 25.000 und 50.000 Menschen davon waren aktiv in die Straßensammlung involviert (2001: 3)1. Nachdem die Anzahl der cartoneros in Buenos Aires stark gestiegen war, wurde von Seiten 1 Die ermittelten Zahlen zu den cartoneros weisen unterschiedlich starke Schwankungen auf. Für die unterschiedlichen Ergebnisse machen Pablo Schamber, Francisco Suarez, Dieter Boris und Anne Tittor verschiedene Einflussgrößen verantwortlich, die sowohl auf die rasch fluktuierende Anzahl von cartoneros, als auch auf die divergierenden Schätzungen einwirken: Der lockere Charakter der Arbeitsorganisation, die raschen sozialen Auf- und Abstiege und die schwankenden Wohnungsgrößen in den villas de emergencia (vgl. Schamber/Suárez 2007; vgl. Boris/Tittor 2006: 95). 2 der Regierung versucht, gegen die prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen der informellen AbfallsammlerInnen anzukämpfen. In den letzten zehn Jahren wurden mehrere Gesetze erlassen und Programme eingeführt, welche die informelle Abfallsammlung formalisieren und in die städtische Abfallwirtschaft integrieren sollten. Die Literatur zur informellen Abfallsammlung stützt sich zu einem großen Teil auf Erfahrungen aus Ländern des Südens, deren abfallwirtschaftliche Entwicklungsstandards weit unter jenen des hochtechnologisierten Nordens liegen. In den letzten Jahren wurden die Debatten um „Urban Governance“, „Umweltmanagement“ und „städtischer Armut“ immer lauter (Köberlein 2008: 13). Im Zentrum der Stadtforschung stehen die Fragen um das Eindämmen der sich ausbreitenden ökologischen Krise. Gängige Konzepte zur Abfallwirtschaft berücksichtigen Abfallsammelnde nur am Rande und konzentrieren sich stark auf die Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der kommunalen Abfallwirtschaft (vgl. Samson 2010: 2). Obwohl Argentinien aufgrund seiner wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung im letzten Jahrhundert kaum als „low“ oder „lower income country“ klassifiziert werden kann, werden die Modelle zur informellen Abfallsammlung seit der Krise 2001 auch im Zusammenhang mit Argentinien2 diskutiert (vgl. Medina 2010: 163-178; Bournay 2006: 25-27; Vaughn 2009: 97-98). In Argentinien war das Aufkommen der informellen Abfallsammlung eng mit dem Verfall sozialer Sicherheiten und ausbleibenden Beschäftigungsmöglichkeiten verknüpft. Ab den 1980er Jahren wurde die argentinische Sozialpolitik vom neoliberalen Regierungskurs geprägt, der für breite Teile der Bevölkerung Armut und existenzielle Unsicherheit bedeuteten. Der Rückgang der Sozialleistungen und der Abbau von Arbeitsplätzen bereiteten vor allem für in Städten lebende ArgentinierInnen den Boden für die Suche nach einkommensschaffenden Beschäftigungsmöglichkeiten. Abfallsammeln wurde zu einer Überlebensstrategie. 1.1 Forschungsfragen Die meisten Konzepte zur Abfallwirtschaft erlauben für die theoretischen Debatten über die informelle Ökonomie kaum relevante Schlüsse. Wichtige Punkte, die bei den Diskussionen 2 Dem Kategorisierungsprinzip der Weltbank zufolge befindet sich Argentinien mit einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 9,740 US-Dollar zusammen mit den meisten anderen südamerikanischen Ländern, Brasilien, Chile, Kolumbien, Ecuador, Peru, Suriname, Uruguay und Venezuela unter den „upper middle income countries“. Als „upper middle income countries“ klassifiziert die Weltbank alle ihrer Mitgliedsstaaten, deren Pro-Kopf-BIP im Jahr 2011 zwischen 4.036 und 12.475 US-Dollar (Weltbank 2012). 3 um die Abfallwirtschaft häufig unberücksichtigt bleiben, sind das dynamische Zusammenspiel des formellen und des informellen Sektors und der Blick auf die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Beziehungen, in welche die einzelnen Komponenten der gesamten Abfallwirtschaft eingebettet sind. Die vorliegende Arbeit wird sich daher mit den wirtschafts- und sozialgeschichtlichen sowie politikgeschichtlichen Aspekten in Argentinien auseinandersetzen, die für das Aufkommen und die Entwicklung der cartoneros von Bedeutung waren. Sie wird sich darüber hinaus mit dem Zusammenspiel von Formalität, Informalität und Abfallwirtschaft sowie den Auswirkungen von Formalität und Informalität auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der cartoneros beschäftigen. Im Sinne der Entwicklungsforschung soll die Arbeit einen Beitrag zur Diskussion um informelle Ökonomie und städtische Abfallwirtschaft liefern. Dabei werden Erklärungen für die Entwicklung des Phänomens sowohl in entwicklungstheoretischen als auch in anthropologischen Konzepten zum informellen Sektor gesucht. Im Zeichen der Transdiziplinarität der „Internationalen Entwicklung“ werden historische, politische, ökonomische und soziologische Perspektiven auf das Forschungsfeld mit qualitativen Forschungsmethoden kombiniert. Ziel der Arbeit ist, die Auswirkungen von formeller und informeller Abfallsammlung auf die Lebenswelten der subalternen Gruppe der cartoneros kritisch zu analysieren. Zudem sollen die Veränderungen von informellen Arbeits- und Lebensbedingungen der cartoneros durch die Formalisierungsprozesse untersucht und die Relevanz der Theorien und Konzepte zur Informalität geprüft werden. Die Untersuchung wird von folgenden Forschungsfragen geleitet: Wie hat sich das Phänomen der cartoneros im Zeitablauf entwickelt? Welche Rolle spielte die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes? Welche Formen von Abfallsammlen gibt es? Welche Motive für das Sammeln gibt es? Wie haben sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der cartoneros im Formalisierungsprozess verändert? Welche Einkommensunterschiede, welche geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt es? 1.2 Forschungsstand 1972 definiert die ILO den informellen Sektor erstmals als einen sozialen Raum mit 4 geringen Eintrittbarrieren, in dem lokal verfügbare Ressourcen verwendet werden, wenig Technologie verfügbar ist und Wissen außerhalb des formellen Bildungssystems weitergegeben wird (ILO 1972: 6). Angestoßen von der modernisierungstheoretischen Auffassung des informellen Sektors (Lewis 1955; Germani 1973; Santos 1979; Stuckey/Fay 1980) wurden aus anderen entwicklungstheoretischen Strömungen Konzepte zur Existenz, zur Funktion und zur Entwicklung des informellen Sektors entworfen. Lateinamerikanische Dependenztheoretiker erkannten den informellen Sektor als Ergebnis von regionaler Unterentwicklung (Pries 1996: 8), während Neoliberale ihn als Lösung wirtschaftlicher Probleme betrachteten (de Soto 1992). Weltsystemtheoretiker, die sich mit dem informellen Sektor beschäftigten, begreifen die unregulierten Arbeitsverhältnisse als Eldorado für Kapitalakkumulation und Wohlstandssteigerung einer Bevölkerungsminderheit (Werlhof 1985; Portes/Castells/Benton 1989; Bennholdt-Thomsen/Mies 1997). Andrea Komlosy, Christof Panreiter, Irene Stacher und Susanne Zimmermann stellten Mitte der 1990er diese zentralen entwicklungstheoretischen Strömungen im Sammelband „Untergeregelt und Unterbezahlt“ zur Diskussion. Jenseits der ökonomischen Konzepte entwickelten sich anthropologische Ansätze zum informellen Sektor. Sie stellen soziale Netzwerke, Beziehungen und Organisationsmuster ins Zentrum ihrer Analysen. Keith Hart (1973), der vor allem in Afrika forschte, betrachtet den informellen Sektor als einen alternativen Beschäftigungsbereich zur Lohnarbeit. Andere anthropologische Studien zur Arbeitsorganisation des informellen Sektors in lateinamerikanischen Städten erschienen unter anderen von Larissa Lomnitz (1977), Victor Tokman (1978), Ray Bromley und Chris Gerry (1979). Spätere Studien zum informellen Sektor befassten sich mit Informalität als Form der Überlebensstrategie (Moser 1984; Jenkins 1997; Portes 2010; Chambers 1989, 1992). Bedeutende ethnografische Untersuchungen im lateinamerikanischen Kontext wurden von James Thomas (1995) und Viktor Tokman (1995) vorgenommen. Von den beiden EthnologInnen Waltraud Kokot und Astrid Wonneberger (2006) wurden Untersuchungen in mehrere europäischen und lateinamerikanischen Hafenstädten gemacht, in deren Zentrum die entwickelten Strategien zur Reduktion von existenzbedrohenden Unsicherheiten stehen. Dieses Konzept dient neben dem Sammelband von Komlosy et al. (1997) als wichtige Quelle, um einen weiteren perspektivischen Zugang zur Konstruktion von Informalität zu erhalten. Es existiert bereits eine Reihe von anthropologischen Fallstudien zur informellen 5 Abfallsammlung. Larissa Lomnitz führte 1977 eine Untersuchung zu den AbfallsammlerInnen in Mexiko Stadt durch, Chris Birkbeck beschäftigte sich 1978 mit den AbfallsammlerInnen in Cali, Daniel Sicular untersuchte 1992 die Abfallsammlung in Indonesien und Beukering et al. behandelten 1998 die Abfallwirtschaft in Bangalore. Jürgen Grothues untersuchte 1990 die Wiederverwertungsaktivitäten in afrikanischen Städten, DiGregorio 1993 die Recyclingwirtschaft in Nordvietnam und Jürgen Köberlein (2003) selbiges in Delhi. Trotz der unzähligen Fallstudien zur informellen Abfallwirtschaft erschienen bisher aber nur wenige Werke, die sich mit dem Entwurf universell gültiger Sammelmustern auseinandersetzen. Erste Annäherungen wurden von Peter Nas und Rikve Jaffe (2004) unternommen. Martin Medina suchte 2007 in seinem Werk „The World's Scavengers“ globale Sammelmuster zu finden, und stieß dabei auf unzählige Gemeinsamkeiten von lateinamerikanischen und asiatischen Recyclingmustern. Die Integration der informellen Abfallsammlung in die städtische Abfallwirtschaft wird unter Hervorhebung des umweltpolitischen Aspekts in neueren Konzepten zur städtischen Abfallwirtschaft besprochen. David Campbell (1999) und Beukering et al. (1998) lieferten dazu Untersuchungen, die neben technischen Komponenten auch soziale Aspekte der Integration berücksichtigen. Medina fasste in „The World's Scavengers“ seine früheren Untersuchungen zu den cartoneros in Buenos Aires zusammen. Weitere zentrale Untersuchungen zu den cartoneros lieferten auch SoziologInnen und EthnologInnen aus Buenos Aires. Francisco Suárez, Pablo Schamber (2001; 2007; 2011) und Eduardo Anguitia (2003) führten für diese Arbeit ethnologische Studien zu den cartoneros durch. Weitere wichtige Orientierungspunkte dieser Arbeit stellen soziologische Studien zu cartoneros und Kooperativen von Mariano Perleman (2007) und Veronica Paiva (2008) dar. Im deutschsprachigen Raum erschien von Laura von Bierbrauer 2011 eine ethnografische Studie zu den cartoneros, in welcher die Organisationsstrukturen der informellen AbfallsammlerInnen anhand des Konzepts zur urbanen Subsistenz untersucht werden. Die vorliegende Arbeit fußt auf einer verwandten Herangehensweise, da sie für die Analyse ebenfalls das Konzept der urbanen Subsistenz heranzieht, fokussiert aber auf die gesamte Struktur mit formellen und informellen Ausprägungen und individuellen Beispielen, den Formalisierungsprozess und die Veränderung des Umgangs mit Unsicherheiten. 6 2 Methodik Entsprechend dem hermeneutischen Zirkel nach Gadamer ist es sinnvoll, die eine Literaturstudie mit einer eignen Datenerhebung zu verbinden, um die betreffende Literatur eingehender verstehen zu können. Die Verschmelzung verschiedener Arbeitstechniken – das theoretische Erarbeiten eines Textes und das empirische Erheben von eigenen Daten – soll, so Gadamer, der verstehenden Interpretation des Textes dienen. „Wer einen Text verstehen will, vollzieht immer ein Entwerfen. Er wirft sich einen Sinn des Ganzen voraus, sobald sich ein erster Sinn im Text zeigt. Ein solcher zeigt sich wiederum nur, weil man den Text schon mit gewissen Erwartungen auf einen bestimmten Sinn hin liest“ (Gadamer 2010: 271). Nach Gadamer resultiert die Konzeption des Vorverständnisses aus dem Verständnis dessen, was geschrieben ist. Beim weiteren Ergründen des Sinnes wird der Vorentwurf permanent revidiert und wieder neu entworfen (ebd.: 251). Da Zusammenführen von Theorie und Empirie verhilft, so Gadamer weiters, dem Forschenden, neue kulturelle Kontexte besser erfassen und verstehen zu können. Diesem Postulat Gadamers folgend, setzt sich meine Methode aus theoretischer Literaturarbeit und begleitender empirischer Feldforschung zusammen. Da das Forschungsfeld vor der Untersuchung noch weitgehend unbekannt und die Einarbeitung in das Thema mangels ausreichender Literatur nur eingeschränkt möglich war, erwies sich eine mit einer Feldforschung kombinierte Literaturarbeit als konstruktivste Zugangsweise. Die über das Stipendium für Kurzfristiges Wissenschaftliches Arbeiten (KWA) der Universität Wien finanzierte Feldforschung fand im Februar 2012 statt und verfolgte den Zweck, relevante, vor Ort verfügbare Literatur zu sammeln und eigene Daten über Gespräche und Beobachtungen zu erheben. Vor Antritt des Forschungsaufenthalts erschwerte die räumliche Distanz die Möglichkeit, die in Buenos Aires verfügbaren Untersuchungen für umfangreiche Literaturarbeiten zu nutzen. Während des Aufenthalts suchte ich mehrere Forschungseinrichtungen zur Literaturrecherche auf und realisierte eine auf Gesprächen und Beobachtungen basierende Feldforschung. Die empirische Datengewinnung zur Lebens- und Arbeitswelt der cartoneros erfolgte über mehrere Kontakte und Verknüpfungspunkte. Über die Verbindung mit dem Instituto Gino Germani von der Universidad de Buenos Aires, welches breit angelegte 7 soziologische Untersuchungen zum Phänomen der cartoneros vornimmt, gelangte ich an für meine Forschung zentrale Untersuchungsergebnisse. Die Forscher und Forscherinnen des Instituts veröffentlichen laufend wissenschaftliche Beiträge und Bücher zum Thema. In Gesprächen mit den jeweiligen Forschenden wurden zentrale Ergebnisse bereits abgeschlossener Untersuchungen vorgestellt und mit neuer Information ergänzt. Viele dieser Ergebnisse resultierten aus Studien, die bis zum Jahre 2005 vollendet und in Anschlussforschungen wieder neu interpretiert wurden. Über die anthropologische Fakultät der Universidad de Buenos Aires erhielt ich vorrangig Zugang zu ethnologischen und ethnografischen Studienergebnissen. Der Ethnologe Raúl Néstor Alvarez eröffnete mir die Gelegenheit, die größte Mülldeponie des städtischen Abfallbetriebes CEAMSE, den Relleno Ambiental Norte III, zu besuchen und Gespräche mit AbfallsortiererInnen zu führen. Andere wichtige Ansprechpartner, die beiden Abfallkooperativen MTE und El Ceibo, ermöglichten mir Gespräche mit für die Kooperative arbeitenden cartoneros. Ich konnte die cartoneros während ihrer Sammeltätigkeiten begleiten und Einblicke in die Beziehungen zu den Müllproduzenten gewinnen. Interviews und Gespräche mit den Mitgliedern der Kooperative selbst gaben Aufschlüsse über die Organisation der Abfallwirtschaft in Buenos Aires und die Beziehung der Kooperativen zum Staat und zu anderen involvierten Akteuren. Neben den bisher genannten Instituten und Organisationen, mit denen ich permanent in Verbindung stand, konnten mehrere (Kurz-)Gespräche mit straßensammelnden cartoneros oder mit Abfallsammlung assoziierten Initiativen geführt werden. Das kleine Unternehmen „Eloisa Cartonera“, welches aus Abfall hergestellte Produkte verkauft, half mir etwa, die Perspektive der KunsthandwerkerInnen auf die Abfallsammlung kennen zu lernen. Literaturrecherche Wie bereits angeführt, stand die intensive Literaturrecherche über die Entstehung der cartoneros und die Organisation der Abfallsammlung im Mittelpunkt meiner Arbeit. Herangezogen wurden Veröffentlichungen aus verschiedensten sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Hilfsmittel stellten das Internet und Bibliothekskataloge dar. Die Suchkriterien für die Recherche von literarischen Quellen wurden über themenzentrierte Schlüsselbegriffe bestimmt. Für die Literatursuche in Bibliothekskatalogen, Datenbanken und OnlineVerzeichnissen wählte ich verschiedenste Kombinationen aus den Stichworten „cartoneros“, „basura“, „recuperadores urbanos“, „reciclaje“, „reciclado“, „trabajo“, „mercado“, 8 „desocupación“, „crisis“, “politíca“, „argentinazo“, „Estado“, „Buenos Aires“ und „ciruja“. Durchsucht wurden die Kataloge universitärer und thematisch relevanter Forschungseinrichtungen in Buenos Aires: Universidad de Buenos Aires, Universidad de la Plata, Universidad de las Madres de Plaza de Mayo und FLACSO. Zudem wurde Literatur aus den Bibliotheken der Institutionen jener ForscherInnen einbezogen, mit denen ich Gespräche führte oder über Email in Verbindung stand. Für die Forschung waren alle Artikel, Bücher oder Beiträge relevant, die sich unmittelbar mit den cartoneros als Untersuchungssubjekte auseinandersetzten. Die Auswahl des gesichteten Materials erfolgt nach folgenden Kriterien: - Thematische Verbundenheit mit der Arbeitsorganisation der cartoneros - Thematische Verbundenheit mit der Abfallorganisation in Buenos Aires - Überblicke über Aufgaben und Organisation einzelner Abfallakteure - Darstellung von judikativen Veränderungen zur Abfallwirtschaft und Implikationen für die AbfallsammlerInnen (Formalisierungsprozess) Problemzentrierte Interviews Für die Gespräche mit ExpertInnen wendete ich eine spefische Form der qualitativen Interviewführung an. Als Experten definiert Flick Mitarbeiter einer Organisation, die eine spezifische Funktion ausüben und über einen bestimmten Erfahrungsschatz an professionellem Wissen verfügen (ebd.: 218). In seiner Eigenschaft als Experte verkörperte der Gesprächspartner einen „Sachverständigen“, der im Hinblick auf die Interesse erweckenden Begebenheiten besonders kompetent ist (Deeke 1995: 7-10, zit. nach Flick 2006: 218). Etwas losere narrative Formen des Interviews, wie ich sie als Befragungsmethode gewählt habe, gelten innerhalb der sozialwissenschaftlichen Befragungsmethoden als problemzentrierte Interviews. Problemzentrierte Interviews bieten dem Forschenden den Vorteil, die Befragung in einer möglichst offenen Form zu vollziehen. Beim problemzentrierten Interview steht die problemorientierte Lenkung des Gesprächspartners im Zentrum des Gesprächs. Während dem Interview soll dem Gesprächspartner ein möglichst offener Gesprächsverlauf geboten werden, um subjektive Bedeutungsinhalte in Erfahrung zu bringen und Vertrauen zwischen den Gesprächspartnern aufbauen zu können (Mayring 2002: 70-71). Das Gespräch soll um eine bestimmte Problemstellung herum 9 aufgebaut sein, die der oder die Interviewende bei Bedarf anspricht und auf die er/sie das Gespräch wieder zurückführt, sollte dies von der Behandlung des Problems abweichen. Um ein problemzentriertes Interview bestmöglich umsetzen zu können, empfiehlt Mayring dem Interviewer auf das Gespräch vorbereitet zu sein, das Problem im Vorfeld zu analysieren, relevante Gesichtspunkte zu erarbeiten und einen Leitfaden zu entwerfen, der im Laufe des Gesprächs als Orientierungshilfe für ausständige Gesprächsinhalte herangezogen werden kann (Mayring 2002: 69-70). Beim problemzentrierten Interview ist nicht nur das Gesprochene von Bedeutung, sondern, so Flick, auch die begleitende Dokumentation während der Interviewphase (2006: 218). Aus diesem Grund wurden die Gespräche in der Regel aufgezeichnet. Leitfäden kamen dann zum Einsatz, wenn es sich um Interviews mit fachkundigen ExpertInnen zu vorgegebenen Themen handelte und keine sich (spontan) ergebenden Alltagskonversationen geführt wurden. Die Forschenden der Universitäten oder die Gesprächspartner in leitenden Positionen von Kooperativen waren etwa solche ExpertInnen. Der Leitfaden diente in Gesprächen mit den ExpertInnen als Unterstützung, um den Verlauf zwar offen, das Gespräch aber auf jene Themen gerichtet zu halten, die für die Untersuchung von Relevanz waren. Da der Leitfaden hauptsächlich als Orientierungshilfe diente, beinhaltete er für die Forschungsfrage relevante Themenblöcke und übergeordnete Fragestellungen. Manchmal ergaben sich Gespräche unerwartet und konnten daher nicht aufgezeichnet werden. Von diesen Gesprächen wurden Kurzfassungen angefertigt, die in die Beschreibung der Beobachtung mit einflossen. Teilnehmende Beobachtung Die Beobachtung kann als zweckorientierte Vorgehensweise verstanden werden, mit welcher der Beobachtende versucht, die Alltagssituation seines Untersuchungsgegenstandes analytisch zu erschließen. Der Beobachtende nimmt seinem Beobachtungssubjekt gegenüber eine Haltung ein, die zwar passiv ist, das Handeln der Gruppe aber nicht beeinflusst. Ohne Einfluss auf die Situation zu nehmen, versucht der Beobachtende, seine Beobachtungen systematisch zu erfassen, zu ordnen, zu reflektieren und auf perspektivische Verzerrungen hin zu prüfen (Mayring 2002: 80-81). Mithilfe der teilnehmenden Beobachtung wird es möglich, mit der Innenperspektive des Untersuchungsgegenstandes vertrauter zu werden, Alltägliches zu eruieren, das durch bloße 10 Erzählungen nicht zugänglich wäre, und ein allgemeines Interpretationsmuster aus dem Beobachteten zu erstellen. Durch die Nähe des Forschenden zum Untersuchungsgegenstand nimmt er selbst an der sozialen Situation der Untersuchung teil und steht nicht außerhalb des Untersuchungsvorgangs, wie es bei klassisch empirischen Methoden üblich ist. Im Gegenteil zu klassischen empirischen Untersuchungsmethoden sollten durch die Nähe zum Feld zuverlässige Bilder der Untersuchungssubjekte und -objekte geschaffen werden (Mayring 2002: 81-82). Die Verwendung eines Beobachtungsleitfadens ist dabei optional. Flick betrachtet weniger strukturierte Beobachtungsbögen, die lediglich Feldnotizen über Handlungen und Situationsmerkmale beinhalten, als besser geeignete Dokumentationsinstrumente als stark strukturierte Beobachtungsbögen. Flick ist der Ansicht, dass offene Notizen dem Beobachtenden die Möglichkeit wahren, stärker an der sozialen Beobachtungssituation teilzunehmen, nicht Vorgesehenes wahrzunehmen und zu erfassen (Flick 2002: 208). Um Notizen zu systematisieren, empfiehlt Flick zusammen mit Spradley die Erfassung des sozialen Umfeldes durch neun Untersuchungsdimensionen (Spradley 1980: 78, zit. nach Flick 2002: 209): Raum: physikalischer Ort Akteur(e: beteiligte Personen Aktivitäten: Handlungen, die von den Personen ausgeführt werden Gegenstand: physikalische Dinge, die die Person umgeben Handlung: Handlungen, die von Menschen ausgeführt werden Ereignisse: Aktivitäten, die während der Beobachtung stattfinden Zeit: der Ablauf, der während der Beobachtung stattfindet Ziel: Dinge, die Personen zu erzielen versuchen Gefühle: empfundene und ausgedrückte Emotionen Während der Feldforschung wurden die Dokumentationen in Form von Feldnotizen bei den Interpretationen der Aussagen von Gesprächspartnern sowie bei der Beschreibung des Arbeitsumfeldes der cartoneros hinzugezogen. Wie von Flick angedacht, wurden die Aufzeichnungen über die Beobachtungen, wenn möglich, in die Interpretation des Gesprochenen miteinbezogen. Beobachtungen während der Gesprächssituation waren vor allem bei Gesprächen mit cartoneros hilfreich, da daraus neue Eindrücke und Daten gewonnen werden konnten, die durch das alleinige Aufzeichnen der Gespräche nicht erfasst werden hätten können. 11 3 Theorie Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden in der Literatur verschiedenste Begriffe verwendet, um den informellen Sektor als wirtschaftlichen Bereich zu definieren. Obwohl eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffe aufgekommen ist, wurde der informelle Sektor stets als die Ökonomie der Armen, als Überlebensökonomie oder als Slumökonomie beschrieben, über welche städtische Arme versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen (Köberlein 2003: 13). In der Wissenschaft herrscht seit den Anfängen in den 1970ern Einigkeit darüber, dass der informelle Sektor ein unübersehbares Phänomen darstellt, dem die Forschung verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. „Informalität“ als Differenzierungskategorie von Organisationsformen gab durch die entwicklungsparadigmatischen Phasen hindurch Anlass für zahlreiche Studien und Projekte in sämtlichen sozialwissenschaftlichen Disziplinen (vgl. Bromley 1978; Sethuraman 1981; Thomas 1992; de Soto 1989; Santos 1979; Peattie 1987). Auch heute werden noch zahlreiche Debatten über die Herkunft, die Natur, die Dynamiken und die Definition der informellen Ökonomie sowie seine Beziehungen zum formellen Sektor geführt (vgl. Hart 2006; Guha-Kasnobis et al. 2006; Mayer-Ahuja 2012; Altvater/Mahnkopf 2002). Viele theoretische Ansätze zum informellen Sektor fußten auf der Idee, diese Wirtschaft in die Weltwirtschaft zu integrieren, um die Arbeitseffizienz zu steigern, die Armut zu reduzieren und das wirtschaftliche Potenzial auszuschöpfen, das in der Informalität verborgen ist. Das modernisierungstheoretische Integrationskonzept3 wurde insbesondere von internationalen Organisationen wie der International Labor Organisation (ILO) weitgehend angenommen, die Forderungen nach einer Harmonisierung der vielfältigen Ansätze zum informellen Sektor blieben aber bis heute zumeist unerfüllt. 3 12 Laut der in den 1950er aufgekommenen Modernisierungstheorien liegen die Ursachen für die ausbleibende Entwicklung bei den sogenannten Entwicklungsländern selbst. Die Theorie geht davon aus, dass innere, wirtschaftliche Probleme den wirtschaftlichen Fortschritt verhindern und nur durch wirtschafts- und entwicklungspolitische Strategien und Maßnahmen nach westlichem Vorbild überwunden werden können. Die Modernisierungstheorie nimmt an, dass die globale Entwicklung einem kongruenten Entwicklungsmuster folgt und die ökonomischen und technologischen Ungleichheiten aus dem zeitlichen Zurückbleiben der weniger entwickelter Regionen resultiert, ökonomische und technologische Rückstände bestimmter Länder könnten mit dem zeitlichen Fortschritt aber aufgeholt werden (vgl. Rostow 1978: 365). Die Modernisierungstheorie ist der Ansicht, dass der Modernisierungsgrad eines Landes seine global-ökonomische Position bestimme und erklärt den Rückstand der Länder des Südens aus dem hohen Grad an traditionellen Organisationsformen. Sie versteht die Dichotomie zwischen dem industrialisierten und dem landwirtschaftlichen Sektor innerhalb eines Landes des Südens beispielsweise als die Hauptursache für Unterernährung (Komlosy et al. 1997: 14). 3.1 Konzepte zum informellen Sektor Am Anfang der Debatten um den informellen Sektor in den 1970ern, als sich der moderne Kapitalismus durch weltweite wirtschaftliche Transformationen zu verändern begann, wurde von der ILO eine Studie hervorgebracht, die sich mit Einkommen und Gleichberechtigung im Kontext der Arbeitsverhältnisse auseinandersetzte. In der kenianischen Studie „Employment, incomes and equity“ von der ILO aus dem Jahre 1972 wurde erstmals das Phänomen „Informalität“ als Thema diskutiert und der Ausdruck „informeller Sektor“ benutzt, um nicht geregelte und ungesicherte Arbeits- und Lebensverhältnisse zu beschreiben (Altvater/Mahnkopf 2002: 12). Zu Beginn wurde der Begriff hauptsächlich als Sammelbegriff für Überlebensstrategien und Tätigkeitsbereiche eingesetzt, die von armen (migrierten) Menschen am Rande der modernen Ökonomie angewendet, und vom formellen Arbeitsmarkt nicht absorbiert wurden (Köberlein 2003: 24). Die Grundidee vom informellen Sektor wurde dabei ursprünglich von Keith Harts (1973) anthropologischen Anschauungen zu verschiedenartigen Beschäftigungsmöglichkeiten abgeleitet. Hart differenzierte die Formen von Arbeit in informellen Einkommensmöglichkeiten, über selbstständige Beschäftigung geschaffene, von jenen der formellen Lohnarbeit. Unter formellen Einkommensmöglichkeiten verstand er Löhne und Gehälter aus öffentlichem und privatem Sektor sowie Transferleistungen wie Pensionen, Kranken- oder Arbeitslosengeld. Die informellen Einkommensmöglichkeiten unterteilte er in erlaubt und nicht erlaubt. Als erlaubte informelle Formen von Einkommensgenerierung betrachtete er Tätigkeiten aus dem primären und sekundären Sektor, landwirtschaftliche Arbeit, (kunst)handwerkliche Beschäftigungen sowie Tätigkeiten aus dem tertiären Sektor, Dienstleistungen und Kleingewerbe. Den unerlaubten Beschäftigungsmöglichkeiten rechnete er Aktivitäten im Zusammenhang mit Diebstahl, Raub oder dem organisierten Verbrechen zu (Hart 1973: 69). Zu jenem Zeitpunkt basierte Harts Konzeption von Beschäftigungsmöglichkeit auf der Trennung von wirtschaftlichen Bereichen in formell und informell, und damit auf dem Verständnis des in den 1950ern und 1960ern im Westen dominierenden modernisierungstheoretischen Entwicklungsparadigmas. Aus modernisierungstheoretischer Sicht existieren für nationale Gesellschaften moderne (formelle) und traditionelle (informelle) Organisationsformen. Gesellschaftliche Organisationsformen gelten für die Modernisierungstheorie dann als formell, wenn sie über bestimmte Eigenschaften und 13 Merkmale (industrielle Produktion, Arbeitsorganisation und sozialer Absicherung) verfügen. Die regulierten Organisationsformen des Westens, besonders die Arbeitsorganisation, stellen für die Modernisierungstheoretiker das Ziel der Entwicklung der gesamten Menschheit dar. Von der Gesellschaft ungeregelte Organisationsformen werden mit dem Modernisierungsfortschritt eines Landes eliminiert und/oder aufgesaugt. Der formelle Sektor wird als organisierter, moderner und hochproduktiver Sektor verstanden, in dem hohes Einkommen generiert wird, während der informelle als zurückgebliebener, unorganisierter Subsistenz-, Basar- und Niedrigeinkommenssektor mit niedriger Produktivität gilt (Delapina 1997: 33). Trotz der Kritik an der Gültigkeit des theoretischen Fundaments, die in den 1960er und 70er vor allem vonseiten der Dependenz- und WeltsystemtheoretikerInnen eingebracht wurde, wurde Harts Verständnis von formellen und informellen Beschäftigungsformen 1972 von der ILO in ihrem Konzept zum informellen Sektor in kaum modifizierter Form aufgegriffen und bis heute beibehalten (Bromley 1990: 336). Von der ILO wurden Harts formelle und informelle Beschäftigungszuschreibungen grundsätzlich als voneinander abgegrenzte Sektoren gegenüber gestellt und in ihren Merkmalen erweitert. Im Verständnis der ILO weist der informelle Sektor sieben Grundzüge auf (1972: 6) - leichte Zugänglichkeit - Verwendung von lokal verfügbaren Ressourcen - Familienunternehmungen - Kleinbetriebe - arbeitsintensive Produktionsmethoden und angepasster Einsatz von Technologien - Kenntnisse über die Arbeitsabläufe werden außerhalb von formellen Institutionen erworben - nicht regulierte und konkurrierende Märkte Der informelle Sektor stand damit gänzlich in Kontrast zum formellen Sektor, der nach der ILO hohe Eintrittsbarrieren aufwies, großbetrieblich und gemein- oder gesellschaftlich organisiert war, kapitalintensive Produktionsmethoden und importierte Technologien anwendete, formelle Ausbildungssysteme besaß und über geschützte und regulierte Märkte funktionierte (ILO 1972: 5-6). 14 Die Idee vom dualen Wirtschaftssystem fortführend, entwickelte Milton Santos Ende der 1970er Jahre ein Modell zur Funktionsweise der städtischen Ökonomie, welches aus zwei Kreisläufen bestand – dem unteren und dem oberen. Santos ging davon aus, dass die beiden ökonomischen Kreisläufe ihre Existenz und ihre Herkunft der technischen Modernisierung zu verdanken hatten und der untere Kreislauf in einem Abhängigkeitsverhältnis zum oberen stand. Sein Modell zeigte, dass der obere, formelle Kreislauf die gesamte Ökonomie dominierte und nach der völligen Eingliederung in den Weltmarkt strebte, während der untere informelle, kontrolliert und abhängig vom oberen, nach der Integration in die lokale Wirtschaft suchte. Die permanente Unterordnung des unteren Kreislaufes erklärte sich Santos aus der Abhängigkeit des Kreislaufes von der lokalen Nachfrage und vom Konsum. Folgerichtig ergab sich die Überlegenheit der formellen Ökonomie aus der Unabhängigkeit des oberen Kreislaufes von den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen. Unternehmen des oberen Kreislaufs konnten zu Werbemaßnahmen greifen, um Produkte zu verkaufen und expandieren zu können, Unternehmen des unteren waren auf die lokale Nachfrage angewiesen (Santos 1979: 23-24). Für lateinamerikanische Gesellschaften wurde das erste dualistische Wirtschaftsmodell im modernisierungstheoretischen Sinne von Gino Germani (1973, zit. nach Medina 2007: 5) entworfen, der die informellen Aktivitäten als marginal und vom modernen Sektor getrennt betrachtete. Sein Modell knüpfte an die Ideen von Arthur Lewis4 und anderen Modernisierungstheoretikern an und suchte nach einer graduellen Eliminierung der Marginalität durch ihre Integration in den modernen Sektor. In der lateinamerikanischen Modernisierung wurden marginale Gruppen als Hindernisse, manchmal auch als Nutznießer gesehen, die absorbiert werden sollten (ebd.: 5). Die gleichzeitige Existenz der formellen und der informellen Ökonomien stellt aus der Perspektive der ModernisierungstheoretikerInnen nicht nur ein Hindernis dar, welches im Sinne des volkswirtschaftlichen Wachstums überwunden werden müsse, sondern sei auch die wichtigste Ursache für seine Unterentwicklung. Demnach ist das Eindämmen der Unterentwicklung im Besonderen durch das sukzessive Zurückdrängen des traditionellen 4 Noch vor Santos und Germani hatte Arthur Lewis in den 1950ern ein dualistisches Interaktionsmodell zwischen dem modernen und dem traditionellen Sektor in Ländern des Südens angefertigt, in dem er der urbanen, modernen Marktwirtschaft den ruralen, land- und subsistenzwirtschaftlichen Bereich gegenüberstellte. Er ging davon aus, dass der traditionelle Sektor über ein unbegrenztes Angebot von Arbeitskräften zum Subsistenzeinkommensniveau verfügte. Die realen Lohnunterschiede zwischen dem traditionellen Sektor und dem modernen Sektor verursache Migrationsbewegungen in Richtung Stadt und damit die Integration der verstädterten Landarbeitenden in den modernen Sektor. Die Einkommensunterschiede im traditionellen und modernen Sektor verhelften dem industriellen Sektor, sich auszubreiten und die Reallöhne im Gleichgewicht zu halten, während die traditionelle Wirtschaft schließlich abnehme (Lewis 1956, zit. nach Hosseini 2012: 134). 15 Wirtschaftens, der Institutionen und Ideologien möglich. Als Heilmittel gegen die herrschende Unterentwicklung in einem Land wird die Lancierung von Kapital, westlicher Technologien, moderner Institutionen und Organisationsformen gesehen, mit denen das betreffende Land stärker in die internationale Arbeitsteilung und in das kapitalistische System integriert werden soll (Delapina 1997: 33). Auch die neoliberale Theorie5 befasst sich seit den 1980ern mit dem Konzept des informellen Sektors. Wie die Modernisierungstheorie geht sie davon aus, dass zwischen dem formellen und informellen Sektor keine innere Kohärenz besteht. Anders als das Bestreben der Modernisierungstheorie, den informellen Sektor in die formellen Arbeitsverhältnisse zu integrieren, besteht für die neoliberalen DenkerInnen keine Notwendigkeit, den informellen in den formellen Sektor zu integrieren. Die deregulierte und informelle Wirtschaft sei ihrer Ansicht nach kein Übel, das beseitigt werden müsste. Vielmehr wäre die Deregulierung der formellen Arbeitsverhältnisse erstrebenswert, damit wirtschaftliche Probleme gelöst, Lohnnebenkosten für die Unternehmen gesenkt und der Zugang zum Markt ungehindert wachsen kann. Der Neoliberalismus betrachtet die Regulation der Arbeitsverhältnisse als Blockade für die wirtschaftliche Entfaltung eines Landes und fordert im Sinne des freien Wettbewerbs den Abbau von Formalität und Sozialleistungen (Komlosy et al. 1997: 16). Der Peruaner Hernando de Soto sieht im informellen Sektor ein Echo auf ein überregulierendes Rechtssystem, das den Menschen im informellen Sektor die Vollbringung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten verwehrt. Für einen großen Teil der Weltbevölkerung ist der Zugang zu geregelten und gesicherten Arbeitsverhältnissen nahezu unmöglich, während die merkantilistischen Strukturen Unternehmen im modernen Sektor monopolitische Freiheiten zusprechen. De Soto erklärt sich das rechtliche Ungleichgewicht zwischen Unternehmer und Arbeiter mit der (Un-)Fähigkeit der betreffenden Menschen, Kapital aufzubringen. Er spricht dem informellen Sektor großes wirtschaftliches Potenzial zu, das nur ausgeschöpft werden 5 16 Institutionalisierten Regulierungen der Arbeitsverhältnisse seien, so der auf der klassischen Theorie nach John Locke, Adam Smith, Charles-Louis de Montesquieu und Steward Mill fußende Neoliberalismus, für die ungleichen Entwicklungen im Norden und im Süden verantwortlich. Neoliberale Denker meinen, dass der Markt die Fähigkeit besäße, sich selbst und alles andere gesellschaftlich-organisatorische, also politische und soziale, über Angebot und Nachfrage zu regulieren und es folglich weniger staatlicher Eingriffe in die Marktwirtschaft bedürfe. Freier Wettbewerb, liberalisierter Handel und Freihandelszonen würden zu Wohlfahrtssteigerung und Entwicklung führen. Ebenso wie die Modernisierungstheorie geht der Neoliberalismus davon aus, dass die Entwicklung eines Landes vorrangig von landesinternen Regulationen gehemmt wird. Im Neoliberalismus stellt der Markt das effizienteste Instrument zur Steuerung, Reizung und Sanktionierung des Wirtschaftssystems dar. Individuelle Handlungsspielräume sollten durch Deregulierung, Flexibilisierung und Entbindung des Marktes ausgedehnt werden (Raffer 2006: 106; (Dussel-Peters 2006: 126-129; Michalitsch 2004: 147-148). Zu Abgrenzung des Begriffes und Kritik, siehe Naomi Klein (2007: 29-30). kann, wenn Arbeits- und Unternehmensrecht vereinfacht, dezentralisiert, dereguliert und abgeschafft wird: „Die Vermögensgegenstände können weder erfasst und organisiert werden, noch kann versucht werden, einen Mehrwert zu erzielen, weil der Wert der Vermögensgegenstände nicht eindeutig festgestellt werden kann. Diese Vermögensgegenstände sind totes Kapital“ (2002: 43). Entsprechen die Unternehmungen der Menschen nicht den Maßstäben der rechtlichen Regelungen, werden sie am Rande oder außerhalb des Gesetzes realisiert. Die weit reichenden Folgen von Deregulierung wurden durch die aktuelle weltweite Finanzkrise evident. „Der Neoliberalismus ist mit seiner undifferenzierten Vorstellung, den Staat auf ein ordnungspolitisches Minimum zur Organisation des freien Wettbewerbs auf freien Märkten zu reduzieren, grandios gescheitert“, schreibt der Direktor für Globalisierung und Entwicklung bei den Vereinten Nationen in Genf, Heiner Flassbeck (2010: 168) als Kritik am neoliberalen Verständnis vom informellen Sektor. Die Weltsystemtheorie betrachtet den informellen Sektor als systemischen Reflex auf jahrhundertelange Ausbeutungsverhältnisse. Die Ausdehnung des kapitalistischen Weltsystems und die Einführung der Lohnarbeit sind nach der Weltsystemtheorie für die Ausgrenzung der Mehrheit der Weltbevölkerung aus den stabilen Arbeits- und Lebensverhältnissen verantwortlich. Sie sieht den sozialen und materiellen Wohlstand einer Bevölkerungsminderheit in der Marginalisierung der Massen begründet. Der zunehmende Wohlstand der Minderheit wird über ungleiche und ungleichmäßige Arbeitsverhältnisse generiert, indem der Mehrwert der Arbeitskraft abgeschöpft wird (Komlosy et al. 1997: 20). Die Schlechterstellung des informellen Sektors innerhalb des wirtschaftlichen Weltsystems in Form von Unter- und Nicht-Bezahlung von nicht regulierter Arbeit ist für die Reproduktion des kapitalistischen Weltsystems unerlässlich. Frei von jeglichen Regulierungen kann vom informellen Sektor der größtmögliche Mehrwert abgeschöpft werden, denn der Arbeitende wird nicht für seine Arbeitszeit, sondern für das Produkt seiner Arbeitszeit bezahlt. Die unbezahlte und die unregulierte Arbeit im informellen Sektor übt Druck auf die Lohnarbeitenden aus und macht es dem kapitalistischen Produktionssystem möglich, Löhne und Arbeitskosten niedrig zu halten. Die Weltsystem- wie auch die Subsistenztheorie gehen davon aus, dass sich das kapitalistische System darauf verstünde, die Abhängigkeit des Menschen von Waren und Kapital für sich zu nutzen, die ungeregelten und unbezahlten Arbeitsverhältnisse als Quelle billigster Arbeitskraft zu gebrauchen und die Arbeitskraft über die Unterbezahlung seiner Erzeugnisse auszubeuten (Komlosy et al. 1997: 17 21-24). Veronika Bennholdt-Thomsen und Maria Mies beschreiben die sichtbare formelle Ökonomie als die Spitze eines kapitalistisch-patriarchalen gesellschaftlichen Eisberges, die an der Weltwirtschaft gemessen etwa 20% der gesamtwirtschaftlichen Tätigkeiten beträgt. Das unsichtbare Fundament, die restlichen 80%, sind Arbeitsformen und -verhältnisse der Subsistenz- und Schöpfungsarbeit, die auf keinen tariflichen Regelungen beruhen und außerhalb Europas viel eher dem Normalzustand entsprechen als geregelte und gesicherte Lohnarbeitsverhältnisse. Bennholdt-Thomsen und Mies legen der 20-80-Relation Ausbeutungs- und Aneignungsmechanismen zugrunde, mit denen der Fortbestand des kapitalistischen Systems gesichert wird (Bennholdt-Thomsen/Mies 1997: 32). Die Ausbeutung der Arbeitenden erfolgt nicht wie bei der Lohnarbeit über ihre Arbeitskraft, sondern über die hergestellten Produkte oder erbrachten Leistungen, die am kapitalistischen Markt in verhältnismäßig kleinen Mengen und unter ihrem Wert angeboten werden (Bennholdt-Thomsen/Mies 1997: 14). Das Fehlen von universellen und institutionalisierten Regulierungen von Rechten und Pflichten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird als die Hauptursache für die Überausbeutung der Arbeitenden im informellen Sektor erkannt (Komlosy et al. 1997: 2124). Im Zusammenhang mit Ausbeutung und Marginalisierung wird von Weltsystemtheoretikern auch die allmähliche Ausgrenzung der Mehrheitsgesellschaft aus den genormten Arbeitsund Lebensverhältnissen als Voraussetzung erkannt, um den materialen und sozialen Wohlstand einer Minderheit der Weltbevölkerung zu sichern (Armin 1974: 80, zit. nach Komlosy et al. 1997: 20). In Anbetracht der globalen Rückentwicklung der formellen Lohnarbeit, der Informalisierungs-, Flexibilisierungs- und Prekarisierungstendenzen und der Konzentration des Kapitals auf eine globale Elite zeigt sich, dass ihre Kritik an den globalen Ausbeutungsverhältnissen und an der Marginalisierung der Bevölkerungsmehrheit eine begründet ist. Diese Arbeit orientiert sich daher an ihrem Blick auf die Welt und so auch auf das Verständnis von Informalität. Fazit Nach der Vorstellung der entwicklungstheoretischen Konzepte zum informellen Sektor zeigt sich, dass es viele Unterschiede und weniger Gemeinsamkeiten im Entwurf des informellen 18 Sektors gibt. Die Konzepte unterscheiden sich im Verständnis vom Staat als regulierende Kraft, von Kausalitäten und von Funktionen. Je nach Theorie wird der informelle Sektor als Raum des unbegrenzten Angebots an billigsten Arbeitskräften, als Bereich mit großem wirtschaftlichen Potenzial, das nur ausgeschöpft werden kann, wenn Arbeits- und Unternehmensrecht vereinfacht, dezentralisiert, dereguliert und abgeschafft werden, oder als ein vom System abhängiges Produkt, von welchem das kapitalistische System größtmöglichen Mehrwert abschöpfen kann. Die Modernisierungstheorie geht von einer unerlässlichen Existenz eines formellen Sektors aus und fußt auf der Annahme, dass die formelle Ökonomie die Regel und die informelle Ökonomie die Ausnahme darstellt. Rückblickend auf mehrere Dekaden modernisierungstheoretischer Entwicklungsmodelle zeigte sich, dass die Industrialisierungs- und Formalisierungsversuche in Ländern des Südens von der Festigung und Ausdehnung des traditionellen Sektors begleitet waren. Reale Lebenserfahrungen machten die Idee vom informellen Sektor als vorübergehendes Phänomen, das mit der fortschreitenden Modernisierung vom formellen Sektor verdrängt und absorbiert wird, unhaltbar (Delapina 1997: 33). Der informelle Sektor wird im neoliberalen Denken als Reaktion auf zu hohe Besteuerung, überregulierte Sozial- und Arbeitsniveaus oder zu mächtige Gewerkschaften interpretiert (Sengenberger 2010: 220; Michalitsch 2004: 147). Würden diese Hindernisse beseitigt werden, könne das wirtschaftliche Wachstum über den informellen Sektor angekurbelt und neuer Wohlstand geschaffen werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass Informalität auch in jenen Ländern hohe Ausmaße angenommen hat, wo Steuern und Sozialstandards niedrig sind und keine Gewerkschaften existieren. Als Gegenbeispiele können skandinavische Länder vorgebracht werden. Obwohl Besteuerungen und Sozialstandards in Skandinavien weltweit am höchsten und der Einfluss von Gewerkschaften am größten sind, ist die Ausdehnung informeller Aktivitäten am geringsten. Davon abgesehen, ist der Grad der gewerkschaftlichen Organisation seit Mitte der 1980er, wo Gewerkschaften ihre größte Intensität erreicht hatten, auf globaler Ebene rückläufig geworden (Sengenberger 2010: 220). Die Weltsystemtheorie hingegen betrachtet Informalität nicht als etwas, das aufzusaugen oder anzukurbeln ist. Sie erkennt ihn als Element einer ungleichen und asymmetrischen Verflechtung von Arbeitsverhältnissen, die Wertschöpfung und Wohlstand auf der einen Seite und Ausbeutung und Ausgrenzung auf der andern erzeugt. Wie der Neoliberalismus behandeln viele Theorien über das globale Wirtschaftssystem den Kapitalismus als eine Produktionsweise, in welcher der Lohn dem Kapital gegenüber steht. Diese Gegenüberstellung von Lohnarbeitenden (Proletariat) und Kapitalisten (Bourgeoisie) 19 impliziert einen Klassenantagonismus, den die Weltsystemtheorie6 als solchen infrage stellt. Wie die Dependenztheorie stützt sie sich darauf, dass die globale Arbeitsteilung keine zufällige ist, und dass die regionale und sektorale Entwicklung den Kräften der Kapitalakkumulation entsprechend erfolgt. Weltregionen und wirtschaftliche Sektoren durchlaufen die Prozesse der wirtschaftlichen Expansion, Stagnation oder Krise ungleichzeitig und ungleichmäßig und führen somit zu ungleichen Entwicklungsstufen in den miteinander verbundenen Teilen des Weltsystems (Delapina 1997: 34). Alle Konzepte zum informellen Sektor sind sich aber darin einig, dass es sich dabei um einen spezifischen Bereich menschlicher Arbeit handelt, der zur Überlebenssicherung dient, von keiner offiziellen Statistik erfasst wird, der nicht geregelt ist und nur teilweise mit den herkömmlichen Kategorien von Erwerbsarbeit verstanden werden kann (Komlosy et al. 1997: 10). Während der formelle Sektor geregelte und versteuerte Erwerbsarbeit, Ämter, Berufe und Handwerke umschließt, wird der informelle Sektor als Bereich charakterisiert, der sich sämtlichen staatlichen Regulierungs- und Besteuerungsansprüchen entzieht (Evers 1987: 355). Bei den „Informellen“ handelt es sich daher um eine Gruppe von ökonomisch aktiven Menschen, die eine Form von Beschäftigung ausübt, welche nicht oder nur teilweise den Kriterien der geregelten Erwerbsarbeit entspricht, ungeregelt und daher arbeitsrechtlich nicht geschützt ist (Komlosy et al. 1997: 10) und ihre Güter und Dienstleistungen vor allem in Großstädten produzieren. 3.1.1 Der Ansatz der urbanen Subsistenz in der informellen Ökonomie Der informelle Sektor beinhaltet über die wirtschaftlichen Verflechtungen hinaus soziale und 6 20 Die Weltsystemtheorie betrachtet den Kapitalismus als ein System der Marktwirtschaft, dessen oberstes Ziel es ist, den Profit zu maximieren. Die Entstehung des Kapitalismus erkennt sie nicht, wie etwa die klassische Ökonomie mit Adam Smith und David Ricardo im 18. Jahrhundert, sondern mit der feudalen Krise und der europäischen Expansion im 16. Jahrhundert (Wallerstein 1984: 14; 35). Seither ist das Weltsystem in geografischer und gesellschaftlichorganisatorischer Hinsicht immer weiter expandiert (Wallerstein 1976: 230). Nach der Weltsystemtheorie umschließt das kapitalistische Weltsystem heute die ganze Welt, hat sie voneinander abhängig gemacht, das Kapital konzentriert, und prägt die Organisation aller gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Weltregionen, geteilt in modernisierte Zentren, weniger entwickelte Semiperipherien und unterentwickelte Peripherien (Wallerstein 1976 : 231), werden über Prozesse der Kapitalakkumulation und des ungleichen Tausches miteinander verbunden (Wallerstein 1984: 25-28). Die Weltsystemtheorie betrachtet die gesamte in der globalen Wirtschaft existierenden Arbeitsteilung als vom Weltsystem beherrscht und erkennt in ihr eine innere Dynamik: „The 'division of labour' [stands for] the forces and relations of production of the world economy as a whole (...) The central relation of the world-systems perspective is that of core and periphery, geographically and culturally distinct regions specializing in capital-intensive (core) and laborintensive (periphery) production“ (Goldfrank 2000: 168) politische Elemente, die bei einer Gleichschaltung der beiden Begriffe unberücksichtigt bleiben würden. So betrachtet Brigitte Holzer die informelle Ökonomie als Bestandteil des informellen Sektors, der gesellschaftlich nutzbringende Tätigkeiten, Nachbarschaftshilfe, Bürgerinitiativen und zum kapitalistischen System alternative Güter- und Dienstleistungsproduktionen enthält (Holzer 1997: 118). Diese Arbeit folgt Holzers begrifflicher Unterscheidung von informellem Sektor und informeller Ökonomie. Die Differenzierung in Sektor und Ökonomie ist an dieser Stelle deshalb relevant, weil in der Literatur häufig keine eindeutige Grenzziehung zwischen den beiden Begriffen vorgenommen wird. Da es an einer einheitlichen Begriffsbestimmung mangelt, wird Informalität mit „versteckt“, „Untergrund“, „schwarz“, „Schattenwirtschaft (Illich7)“, „nicht registriert“, „nicht aufgezeichnet“, „unsichtbar“, „Schwarzarbeit“, „Unsicherheit“, „inoffiziell“ oder „cash“ gleichgesetzt, und gelegentlich mit „illegal“ und „nieder“ assoziiert (Ferman et al. 1987: 157). Evers beschreibt die informelle Ökonomie als einen Bereich der Schattenwirtschaft, in der Güter und Dienstleistungen in kleinen Einheiten marktorientiert produziert und angeboten werden (Evers 1987: 355). Mit Evers kann die informelle Ökonomie als ein Bereich begriffen werden, der von einer Schicht sozial und ökonomisch ungesicherter Menschen geprägt ist, die versuchen wirtschaftliche Nischen auszunutzen, indem sie verschiedene Produktions- und Einkommensquellen miteinander kombinieren. Ziel aller Tätigkeiten ist die Überlebens- und Reproduktionssicherung der Einzelnen (Evers et al. 1983: 281). Castells und Portes betrachten die Informalität als etwas Historisches und Relatives und gehen davon aus, dass keine Beschäftigung von Natur aus informell ist, sondern durch politische Entscheidungen und Regulierungen zu einer legalen oder nicht-legalen gemacht wird. Ähnlich wie Castells und Portes grenzt auch de Soto die informelle Ökonomie von kriminellen Aktivitäten ab. „Informell“ benennt er wirtschaftliche Tätigkeiten, die zwar extralegalen Normen folgen, aber geordnete Organisationsstrukturen aufweisen, die sich aus Gewohnheit und formellem Recht entwickelt haben (de Soto 2002: 40-44). Nach Altvater 7 Ivan Illich nahm in der Beschreibung der Subsistenzwirtschaft gar Abstand vom Begriff der Informalität. Er benannte den informeller Sektor als einen Bereich der Schattenarbeit, der nicht nur von der nicht regulierten und nicht registrierten Produktion von Waren und Dienstleistungen bestimmt wird, sondern auch von der Überausbeutung der Haus- und Heimheimat von Frauen geprägt ist. Unter „Schattenwirtschaft“ fasste er die Gesamtheit der verschwiegenen Wirtschaft, der Eigenarbeit, der Selbsthilfe, des Tauschhandels und der sozialen Reproduktion zusammen, die für die sichtbaren Wirtschaftsaktivitäten unerlässlich sind, aber von der Gesellschaft nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten verstanden werden. Schattenwirtschaft bildet demnach eine tariflich nicht geregelte Tätigkeitskategorie, die mit Gegenständen oder Gunst anstelle von Geld vergolten wird, Tauschhandel oder Schwarzhandel und alle anderen nicht versteuerten und statisch nicht erfassten Transaktionen einschließt (Illich 1995: 26-27) 21 und Mahnkopf umfasst die informelle Ökonomie auf den lokalen Markt konzentrierte Tätigkeiten auf eigene Rechnung, die per se legal sind, aber nicht in legale Produktionsprozesse eingebunden werden (Altvater/Mahnkopf 2002: 15). Innerhalb der informellen Ökonomie ist, so Chen, die Arbeitsorganisation und Produktionsweise mehrheitlich illegal, das Gut oder die Dienstleistung der Tätigkeit selbst aber grundsätzlich legal (Chen 2006: 80). Demzufolge unterscheiden sich die Tätigkeiten der informellen Ökonomie von der illegalen dadurch, dass sie nicht gesetzeswidrig und kriminell sind. Auch Portes stellt die Informalität als ökonomischen Typus nicht nur in Kontrast zur formalen und regulierten Wirtschaft, sondern grenzt ihn auch von den ökonomischen Aktivitäten des organisierten Verbrechens ab, bei der sich kriminelle Unternehmer auf die Produktion und den Handel von Gütern und Dienstleistungen spezialisieren, die sozial nicht geduldet werden. Die informelle Wirtschaft unterscheidet er vom Schwarzmarkt schließlich dadurch, dass eine Produktion von legalen Gütern und Dienstleistungen auf unregelmäßiger Produktionsbasis erfolgt (Portes 2010: 135). Kokot und Wonneberger vertreten die Ansicht, dass sich aus Mangel an ausreichend verfügbaren Lohnarbeitsplätzen wirtschaftliche Nischen öffneten, in denen sich verwandte Formen des informellen Wirtschaftens und ähnliche Handlungsstrategien im Umgang mit unsicheren Existenzbedingungen entwickelten. Waltraud Kokot und Astrid Wonneberger fassen den Umgang mit Unsicherheiten unter „urbaner Subsistenz“ zusammen und entwerfen damit ein für mehrere Hafenstädte in Lateinamerika und Europa gültiges Konzept, das wirtschaftliches Handeln in der informellen Ökonomie nicht im Kontext von FormalitätInformalität behandelt, sondern den Umgang mit Unsicherheiten ins Zentrum stellt (Kokot/Wonneberger 2006: 2). Mit Unsicherheiten meinen Kokot und Wonneberger einzelne Unsicherheitsfaktoren in der Beschäftigung, den sozialen Status der Menschen in ihrem Arbeitsumfeld und/oder die Beständigkeit ihrer Einkommensquellen. Obwohl der Umgang mit Unsicherheiten von räumlichen und sozialen Gegebenheiten abhängig ist, die unterschiedliche Praktiken und Formen für die Überlebenssicherung erfordern, stellen Kokot und Wonnenberger Merkmale fest, die alle Menschen in der urbanen Subsistenz gemein haben: keine oder nur niedrige Investitionskosten für Arbeitsgeräte und -umfeld, niedriges Einkommen und keine oder geringe Chancen zur Akkumulation von Kapital und anderen Ressourcen, learning by doing 22 durch unkonventionelle Aneignung von Kenntnissen, ein hoher Grad an Flexibilität und die Nutzung vielfacher Ressourcen, eine schwammige Trennung von Arbeit und Freizeit sowie verschiedene oder mobile Arbeitsorte. Sie gehen davon aus, dass der Alltag zum größten Teil im öffentlichen Raum stattfindet und betonen deswegen die „enge, wenn auch widersprüchliche Verflechtung mit dem öffentlichen urbanen Raum“ (Kokot/Wonneberger 2006: 2-6). Obwohl die Menschen in der urbanen Subsistenz, die Straßenhändlerinnen, AbfallsammlerInnen, Schuhputzende oder Straßenkünstler, große Teile ihres alltäglichen Lebens im öffentlichen Raum gestalten, bleiben ihre Lebens- und Organisationsweisen vor der übrigen Gesellschaft großteils verborgen. Kokot und Wonneberger verweisen auf das spezifische Wissen der urbanen Subsistenzarbeitenden über Wohn- und Arbeitsstrategien im urbanen Raum, das durch Gentrifizierung und Verdrängung zerstört und unzugänglich gemacht wird. Sie erkennen die Subsistenzökonomie als wesentliches Charakteristikum für die urbane Entwicklung in den Städten des globalen Südens, die sich über die Grenzen des Südens hinaus weiter ausbreiten wird (Kokot/Wonneberger 2006: 4). Da bis heute kein universelles Konzept zur informellen Ökonomie vorhanden ist, wurden auf nationaler Ebene unterschiedliche Mechanismen entwickelt, die den Umgang mit der informellen Ökonomie reglementierten. Während einige Länder intervenieren und versuchen, die informelle Ökonomie zu unterdrücken, wird sie in anderen Ländern mit mehr oder weniger schwachen Interventionen hingenommen oder mit Gleichgültigkeit behandelt. Für Ferman, Henry und Hoyman ist die staatliche Regulierungspolitik die Konstrukteurin der Informalität, weil über ihre Gesetzgebung das offiziell Gültige festgelegt und vom Nichtgültigen abgegrenzt wird (1987: 157). Die Diskussionen um die politische Handhabung des informellen Sektors werden von Debatten um Regulationen, Verbote, Förderungen und Einschränkungen begleitet. Andere Auseinandersetzungen mit dem informellen Sektor haben seine Ursprünge aus und Verbindungen mit dem formellen Sektor berücksichtigt, seine Beiträge zu Umweltfragen aufgegriffen und seine Bedeutung für die Migrationsbewegungen aufgezeigt, seine Funktion als Überlebensmechanismus mit dem Kleinunternehmertum in Zusammenhang gebracht oder moralische Fragen wie Kinderarbeit oder Eigentumsrechte behandelt (Köberlein 2003: 24). 23 3.1.2 Formalisierung Normen und Formalisierungsprozesse sind als historisch gewachsene Konstrukte zu verstehen. Das Verhältnis von formell und informell begann sich aufzubauen, als die Gesellschaft anfing, sich nach formellen Linien zu organisieren und Verwaltungsapparate einzurichten. Form im Sinne von förmlich, formalisiert ist eine Idee davon, was seit dem 20. Jahrhundert im sozialen Leben und in der gesellschaftlichen Organisation als universal und „normal“ gelten sollte. Hart sieht den Grund dafür in der gesellschaftlichen Identifikation mit dem Nationalstaat als dominierende Organisation zur Gestaltung gesellschaftlicher Normen und Regeln (Hart 2006: 22). Formalität sei daher nicht als eine Begebenheit zu verstehen, die seit Urzeiten die gesellschaftlichen Organisationsformen geprägt hat. Das heutige mit sozialer Sicherheit verbundene Verständnis von Formalität ist eine Eigenheit, die sich in westlichen Gesellschaften mit der einsetzenden Industrialisierung und der „freien Lohnarbeit“ im 19. Jahrhundert auszubreiten begann. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die adeligen, kommunalen und zünftischen Regulierungen von nicht-zünftischen Betrieben zurückgedrängt, die als Reaktion auf zünftische Expansions- und Produktionsbeschränkungen gegründet wurden. Der Anstieg der Manufakturbetriebe und Fabriken hatte die Umstrukturierung des Manufaktur- und Fabrikwesens zur Folge, im Zuge derer Zunftregeln umgangen bzw. aufgehoben wurden (Komlosy 1997: 67). Um die Jahrhundertwende war das Manufakturwesen so weit verbreitet, dass Lohnarbeitsverhältnisse weitgehendst gesellschaftlich normiert wurden. Mitte des 19. Jahrhunderts war die industrielle Produktion – und damit die Lohnarbeit – bereits so tief in den gesellschaftlichen Strukturen verankert, dass proto-industrielle Arbeitsgesetze erlassen wurden. Etwa 30 Jahre später, ab den 1880ern, wurden im Zuge der ersten Weltwirtschaftskrise erste staatliche Sozialgesetze eingeführt. In den 1920ern, nach der russischen Revolution erfolgte die zweite Welle staatlicher Sozialgesetzgebungen. Angetrieben vom starken Weltwirtschaftswachstum kam es in den 1960ern und 1970ern zu einer weiteren Welle von staatlichen Sozialgesetzgebungen (Komlosy 2011: 144). Aus den drei Sozialgesetzgebungswellen, die vom Westen ausgingen und auch nur dort in einer stark ausgeprägten Form existieren, resultieren jene an die Lohnarbeit gekoppelten sozialen Rechte und Sicherheiten, die heute als „normal“ betrachtet werden: geregelte Arbeitszeiten, feste Entlohnung, Kündigungsschutz, Arbeitslosen- und Kranken- und Kindergeld. In der 24 Phase der Formalisierung zwischen 1850 und 1990 etablieren sich geregelte und gesicherte Arbeitsverhältnisse in den westlichen Zentren als „formelle“ Normalarbeitsverhältnisse, die heute zwar immer noch als Norm verstanden werden, aber von anderen, flexibilierten, deregulierten, prekarisierten Beschäftigungsformen abgelöst wurden. Gesetzliche Regulierung und soziale Absicherungen als Ziel, wurden alle von der Norm abweichenden Arbeitsverhältnisse sukzessive als „informell“ kategorisiert (Komlosy 2011: 141). Hierzu ist anzumerken, dass die Entwicklung der Lohnarbeitsverhältnisse nur sehr vorsichtig auf andere Gesellschaften außerhalb Europas übertragen werden kann. Viele der globalen Arbeitsverhältnisse entwickelten sich divergent und ungleich, was mit der fortwährenden Existenz des informellen Sektors am deutlichsten gezeigt werden kann. Nach Wallerstein weitet sich das Weltsystem mit ungleicher Verteilung der Anerkennung von Staaten ökonomisch konstant aus. Die Weltökonomie brachte die Arbeitsteilung, und damit die Hierarchisierung von Beschäftigungsformen mit sich. Ländern mit höheren Kompetenzen, hoch qualifizierten Arbeitskräften und stärkerer Kapitalisierung sind höhere Positionen im System vorbehalten (Wallerstein 1976: 231). Zudem wird der in den Peripherien und Semiperipherien produzierte Mehrwert in die Zentren transferiert (Skocpol 1977: 1077). Zentren werden als relativ homogene Machtzentren betrachtet, die das kapitalistische Weltsystem wirtschaftlich, politisch und kulturell dominieren und steuern und stehen im Gegensatz zu Peripherien, die wirtschaftlich und politisch von den Zentren abhängig sind und ihre Wirtschaftsbeziehungen nach den Bedürfnissen des von den Interessen der Zentren dominierten Weltmarktes ausrichten. Semiperipherien übernehmen eine Puffer- und Ordnungsfunktion, indem sie Güter- und Kapitalströme konzentrieren und ihrerseits die Peripherie ausbeuten und damit den Protest gegen die Zentren blockieren (Skopcol 1977: 1077). Die in der westlichen Hemisphäre üblich gewordenen „normalen“ Lohnarbeitsverhältnisse, die sich zwischen den 1880er- und 1980er-Jahren entwickelt hatten, sind seit den 1980ern von permanenter Rückläufigkeit betroffen. Mit von Thatcher und Reagan vorgegebenen neoliberale Wirtschaftspolitik haben die Staaten des Nordens seither haben begonnen, ihre wohlfahrtsstaatliche Sozial- und Wirtschaftspolitik so umzustrukturieren, dass sie den Konkurrenzanforderungen des globalen Marktes folgen können. Die mit der Globalisierung verbundene internationale Arbeitsteilung schuf neue Produktionsmodelle und Wettbewerbsbedingungen und führte in den hoch industrialisierten Ländern zu einer Umorganisation ihrer Arbeitspolitik nach globalen Verhältnissen. Realisiert wurden die 25 westlichen Umstrukturierungsbestrebungen mithilfe von Deregulierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen (Komlosy 2011: 144). Ungesicherte und ungeregelte Arbeitsformen breiteten sich in Form von atypischen, flexibilisierten und prekären Arbeitsverhältnissen aus. Hirway und Charmes weisen in Anbetracht der historischen Entwicklung von Formalität und Informalität darauf hin, dass die Informalisierung der Arbeitsverhältnisse als westliches Phänomen zu betrachten ist, durch das Entwicklungsländer kaum betroffen wurden, weil normierte Lohnarbeitsplätze eher die Ausnahme als die Regel darstellen (vgl. Komlosy 2011: 135). Im Gegensatz zu Industrieländern und postsozialistischen Transformationsländern ist die Informalisierung in Ländern des Südens eine Folge von der Auflösung traditioneller, ritueller, religiöser und weniger staatlich regulierter Lebensweisen. Zudem ist sie die Konsequenz aus der Verflechtung von Formen der Subsistenzökonomie und der prekären Erwerbsökonomie. Mit der Globalisierung eröffneten sich durch die Vermischung der beiden Wirtschaftsformen neue Beschäftigungsmöglichkeiten unter prekären Bedingungen, wie etwa in Sweatshops oder in „freien Exportzonen“ in den Grenzgebieten zu Industrieländern (Kurz-Scherf 2005: 93). In Schwellenländern, so auch in Argentinien unter Menem, wurden im Zuge von Informalisierungs- und Deregulierungsprozessen häufig die Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor abgebaut, was zu einem Anstieg der Beschäftigungsrate sowohl in der Privatwirtschaft als auch in der informellen Ökonomie führte (vgl. Hirway/Charmes 2006: 8). 3.1.3 Informelle Organisations- und Sicherheitsstrukturen Wirtschaftliche Aktivitäten in der informellen Ökonomie seien, so Stark, in keinster Weise unreguliert. Sie basieren auf kulturellen Gewohnheiten und Regeln, erfolgen über soziale Beziehungen (Stark 1989: 644), sind historisch gewachsen und variabel (Hart 2006: 31). Je weiter sich die informellen Aktivitäten von der Subsistenzarbeit entfernen und je stärker ihre wirtschaftlichen Eigenschaften werden, umso wichtiger werden eigenständige Sozial- und Austauschbeziehungen, die darauf ausgerichtet sind, das Überleben der betreffenden Personen zu sichern (Stacher 1997: 165), die aber nicht eingefordert werden können und keine dauerhaften Verpflichtungen sind. Soziale Beziehungen gestalten das Zusammenleben, das Arbeitsangebot, die Arbeitsnachfrage und die wirtschaftlichen Abläufe. Sie sichern das Funktionieren der 26 informellen Ökonomie jenseits von staatlichen Regulierungen und schaffen soziale Sicherheiten. Soziale Netzwerke haben nach Stacher die Aufgabe, eine Gemeinschaft ökonomisch, politisch und kulturell zu unterstützen und beruhen auf Verwandtschaften, Nachbarschaften, Freundschaften, Religion oder Ethnie (Stacher 1997: 165). Sawyer betrachtet besonders Unternehmensgründungen, die aus clan-basierter Organisierung resultieren, als wertvolle, informelle Ressourcen. Derart erweiterte soziale Netzwerke verhelften zur Lösung von Konflikten, zur Entwicklung von Gemeinschaften und zur Selbstverwaltung (Sawyer 2006: 243). Gerade bei Großfamilien, Clans, exklusiven Clubs oder ethnisch homogenen Gruppen wird das ökonomische Handeln von Reziprozitätsbeziehungen dominiert, die die Grenzen zwischen informell und illegal verschwimmen lassen können. Aus den großfamiliären und exklusiven Beziehungen können sich mafiös organisierte Gruppen bilden, die den dauerhaft anerkannten moralischen Kodex der Gesellschaft missachten und manipulieren und eigenen Verhaltensregeln folgen, und von der Mehrheitsgesellschaft als illegal betrachtet werden. Nach Altvater und Mahnkopf entwickelt die illegale Ökonomie Formen der Einflussnahme auf die Machtstrukturen, Druckmittel und Konfliktlösungsstrategien, welche die Regeln der formellen Ökonomie für ihre Zwecke manipulieren sollte. Im Gegensatz dazu folgt die informelle Selbstorganisation nach Altvater und Mahnkopf dem dauerhaft anerkannten moralischen Kodex der Gesellschaft (Altvater/Mahnkopf 2002: 74-75). Besonders in Städten sind Gemeinschaften nach wie vor ein äußerst wichtiger Punkt, da sie nicht nur für materielle, sondern auch für psychologische Sicherheiten (besonders von MigrantInnen) sorgen. Rohregger beschreibt soziale Netzwerke als regionale Vereinigungen, die psychologische Hilfestellung geben, indem sie identitätsstiftende Leistungen erbringen und den Mitgliedern Zugehörigkeitsgefühl vermitteln (Rohregger 2006: 179). Nach Lomnitz, Bromley und Gerry bietet die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Basis für soziale Sicherheit. Arbeitsbeziehungen seien in der nicht über Rechte und Normen regulierten Wirtschaft persönlich und basierten auf klientelistischen Grundprinzipien. Informelle Tätigkeiten beruhten demnach überwiegend auf nicht-marktförmigen Merkmalen und bestehen aus vertikalen (klientelistisch, zwischen Vorarbeitern und Arbeitern, patronage) und horizontalen (gegenseitigen und vertrauensbasierenden) Beziehungen (Lomnitz 1988: 203-205; Bromley/Gerry 1979: 13). Putnam vertritt dazu die Ansicht, dass in seltenen Fällen innere Netzwerke im KollegInnenkreis existieren, die über finanzielle Hilfe hinausreichen und persönliche oder 27 politische Unterstützung bieten und vor allem in konfliktären Situationen Ersatz für die meist fehlende gewerkschaftliche Organisation schaffen könnten. Vertikale und horizontale Netzwerke beschreibt Putnam als Ressourcenflüsse in Form von Geld, Gegenständen oder Gefälligkeiten zwischen unterschiedlichen Macht- und Statusgruppen, horizontale als Ressourcenflüsse auf der gleichen Hierarchieebene zwischen unterschiedlichen Alters-, Geschlechts- oder anderen Gruppen (Putnam 1993: 173-174). Die Mehrzahl der sozialen Netzwerke besteht aus einer Mischung von vertikalen und horizontalen Beziehungen. Horizontalen Beziehungen wohnen vertrauens- und kooperationsfördernde Mechanismen inne, so Putnam. Deswegen spricht er vorrangig horizontalen Beziehungen einen hohen Anteil an sozialem Kapital zu (ebd.: 174). Je stärker die sozialen Netzwerke eines Individuums sind, umso größer sind die emotionalen Stützen. Fehlen einem Individuum soziale Beziehungen, so wird es als sozial exkludiert betrachtet. Schwache Beziehungen des Individuums sind, sofern sie als Komplement zu den starken Beziehungen dienen, optimal, weil diese es ermöglichen, auf unkonventionellem Wege an neue Informationen zu gelangen (Granovetter 1973: 1364-1367). In erweitertem Sinne bestehen, so Komlosy et al., soziale Netzwerke aus Freunden oder Verwandtschaftsangehörigen, über die Unterstützungen und Gefälligkeiten geboten werden. Zusätzlich zu der gegenseitigen Unterstützung existieren Beziehungen zu politischen und wirtschaftlichen Akteuren auf unterschiedlichen Ebenen, aus denen die beteiligten Akteure Nutzen ziehen können. Diese horizontalen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Akteuren fußen in der Regel auf klientelistischen Strukturen (Komlosy et al. 1997: 19) und zielen darauf ab, den größtmöglichen Nutzen aus der Beziehung zu ziehen. Basierend auf einer Untersuchung zum informellen Sektor in Malawi beschreibt Rohregger die nachbarschaftlichen Beziehungen als lose, kühle, komplizierte und dem Westen ähnliche Verhältnisse, die sich auf kleine Gefälligkeiten, den Austausch von Haushaltsgegenständen oder auf Gespräche beschränken (Rohregger 2006: 145). Da informellen Aktivitäten das formelle Regelwerk fehlt, werden sie häufig als völlig liberalisierter und deregulierter Markt erkannt. Die nicht marktförmige Organisation über soziale Netzwerke bewirkt aber eine Organisierung ihrer Tätigkeiten über Institutionalisierung, Solidarität und gegenseitige Hilfe, ohne die kein Ressourcenzugang erreicht werden kann. Stacher betrachtet Solidarität und Unterstützung in jenen Bereichen als besonders wichtig, in welchen staatliche Kontrolle fehle oder eine übergeordnete Macht den 28 Zugang zu beschränken versuche (Stacher 1997: 165). Obwohl soziale Beziehungen für das Funktionieren der informellen Ökonomie von besonderer Bedeutung sind, kommt auch institutionalisierten Organisationsformen und Verhaltensmustern eine wichtige Rolle zu, die für die Funktionalität der informellen Wirtschaft ebenso wichtig sind. Wie auch in der formalisierten Welt existieren in der Informalität aus gesellschaftlicher Selbstorganisation resultierende Normen, welche Verhaltens- und Funktionsanleitungen an Individuen und andere Institutionen geben. Institutionen sind Ausdruck von individuell geteilten Ansichten, die auf kollektiver Ebene eingerichtet werden, um das Verhalten der Individuen in eine gemeinschaftlich anerkannte Form zu bringen. Sowohl auf informeller als auch auf formeller Ebene existieren Einrichtungen, die das Ausmaß der gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten über die Beziehungen zu anderen Institutionen erhalten. Man denke beispielsweise an einen informellen Kredittransfer von der Verwandtschaft des Vertragspartners, hier nimmt die Verwandtschaft die Position der anderen Institution ein (Sindzingre 2006: 68). Genauso wie Gesetze und andere rechtlich bindende Vorschriften erkennt Sindzingre informelle Regeln als zwingend, mit Gewalt durchsetzbar und strafbar. Informelle Institutionen und Gewohnheiten regeln auch den Informationsverkehr und koordinieren Strafen für Regelbrüche. Formelle Konstitutionen, Gesetze oder Eigentumsrechte werden laut Sindzingre von der informellen Ökonomie besonders in Ländern des Südens mit weniger institutionalisierten Staaten ignoriert. Gemeinschaftliche Absprachen in der informellen Ökonomie betrachtet er deshalb als zwingend, weil sie ohne großen Aufwand Strukturen in unsicheren Umgebungen herstellen. Würde das Vertrauen verletzt, bedeute dies für den oder die Regelbrechende/n oftmals die Exklusion aus dem Arbeitsnetzwerk. Folglich seien informelle Institutionen Mechanismen, die ihre Reputation zu verteidigen und ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten versuchen (Sindzingre 2006: 68-69). Für Light können soziale Beziehungen und persönliche Kontakte gar effektivere Mechanismen für die Einhaltung von Regeln darstellen als der formalisierte Zwang zum gesellschaftlichen Gehorsam. Persönliche Beziehungen könnten nach Light informellen Kreditnehmern beispielsweise dazu verhelfen, die Rückzahlung der Kredite hinauszuschieben. Für Light ist die Existenz von staatlicher Regulierung und Strafe für das Funktionieren des (informellen) Wirtschaftssystems nicht zentral und liefert keine gültigen Argumente für die Dichotomisierung zwischen formell und informell. In der unregulierten, informellen Ökonomie sind soziale Netzwerke für die Verbreitung von Normen, Schlüsselverbindungen, Sozialkapital und verschiedenste Formen von Kooperationen 29 essenziell. Soziale Netzwerke bilden die Basis für zwingendes Vertrauen und für Bestrafungen von abweichendem Verhalten. Bestraft würde nach Light mit Isolation, Exklusion und Gefälligkeitsverweigerungen (Light 2004: 712). Light merkt dazu weiters an, dass gerade die engen Beziehungen zwischen GeschäftsinhaberInnen/VerkäuferInnen und KlientInnen zu hochwertigeren Austauschergebnissen führen können. Die informelle Ökonomie steht im Gegensatz zur neoklassischen Vorstellung von vielen Käufern und vielen Verkäufern, die zwar keine Verbindung zum Handel haben, diesen aber trotzdem beeinflussen können. Für die neoklassische Theorie mag, so Light, die Handelsabwicklung im informellen Sektor ineffizient und von niedrigerem Wert sein, weil der Preisdruck zu niedrig ist, aber in manchen Fällen geht aus informellen Transaktionen ein höherer Wert hervor. In der Regel sind die Transaktionskosten um ein Vielfaches geringer, die Informationen sind vollständiger und genauer als Transaktionen, die über mehrere formelle Instanzen gehen. Kurzum beinhalten informelle Aktivitäten einen bedeutenden Anteil von Geschäftspraktiken, die den kommerziellen Geschäftsabschlüssen folgen (Light 2004: 712). Aus den vorgestellten theoretischen Perspektiven auf informelle Organisations- und Sicherheitsstrukturen Mechanismen lässt sich nun folgern, dass Normen und Regeln, die auf Glaubwürdigkeit, Solidarität und Vertrauen basieren, ebenso viel mehr Aussagekraft über die Effektivität von Regeln haben als die Unterteilung in formell und informell. Sindzingre (2006: 69) merkt dazu an: „There are, however, no theoretical grounds for such an intrinsic difference of nature between both categories (…) yet all include both an organization (form) and implicit, traditional, path- dependent contents and meanings. All institutions are characterized by their forms – their definitions, names, and modes of organization – and 'contents' – their meanings, functions, relevance, and elements“. Auf diesen Vorstellungen beruhend sollten informelle von formellen Institutionen nicht über staatliche Regulation und staatliche Nichtregulation unterschieden werden, sondern über ihre institutionellen Formen, über ihren Inhalt, über ihre Glaubwürdigkeit und ihr Durchsetzungsvermögen differenziert werden (Sindzingre 2006: 71). 30 3.2 Konzepte zur Abfallwirtschaft Sowohl in der formellen als auch in der informellen Abfallsammlung8 existiert aber eine Bandbreite von verschiedenen Organisationsformen: Individuelle AbfallsammlerInnen, informelle Recyclingssysteme, halb-formelle Recyclingunternehmen, Abfallkooperativen, kommunale Sammelbetriebe und formell kommunale Abfallunternehmen. Köberlein (2003: 15) identifiziert eine Vielzahl von Akteursgruppen, die an der städtischen Abfallwirtschaft insbesondere in Ländern des Südens beteiligt sein können: 1. Abb.: Akteure in der städtischen Abfallwirtschaft in Ländern des Südens, (Köberlein 2003: 15) Die Organisationsformen der jeweiligen Akteure in der Abfallwirtschaft sind graduell oder gemischt, befinden sich zwischen formell und informell, haben unterschiedlichen Umfang, sind privat oder öffentlich, individuell oder kooperativ und von Organisationen und Regierungen unterstützt oder nicht unterstützt. Organisationen wiederum können auf lokaler, regionaler, nationaler oder internationaler Ebene operieren (Nas/Jaffe 2004: 346). 8 In der deutschsprachigen Literatur wird Müll und Abfall voneinander unterschieden. Müll sind dabei Gegenstände, die nicht mehr verwertet können und beseitigt werden müssen, Abfall hingegen ist der Teil des Mülls, der zur weiteren Verarbeitung herangezogen werden kann (Bardmann 1994: 177). Ähnliche Differenzier-ungen finden sich auch sowohl in der englischen als auch in der spanischen Sprache. Für Abfall wird im Englischen „waste“ oder „refuse“, für Müll hingegen „rubbish“ oder „garbage“. Im Spanischen bezeichnet „basura“ Müll, „residuos“ aber Abfall. Da diese Arbeit Abfall und nicht Müll zum Thema hat, werden aus Präzisionsgründen ausschließlich die sprachspezifischen Synonyme für die Bezeichnung von „Abfall“ verwendet. 31 Durch die Vereinnahmung der städtischen Abfallwirtschaft von Ingenieuren und Wirtschaftsexperten wurde sie zu einem technisierten Bestandteil gesellschaftlicher Organisation, der über die neuesten technologischen Entwicklungen nach den effizientesten Wegen zur Entsorgung und Wiederverwertung sucht. Die wichtigsten Akteure dieses konventionellen Zugangs zur Abfallwirtschaft sind die städtischen Autoritäten, unter deren Auspizien die Dienstleistungen erbracht werden. In der Sozialwissenschaft ist aber der institutionalisierte Zugang von Bedeutung, mit dem ein regulativer Rahmen zur Abfallbeseitigung geschaffen wird. Die administrativen, technischen und finanziellen Standards der Abfallwirtschaft werden von staatlichen und administrativen Einrichtungen geschaffen, die die Verantwortung für die Implementierung dieser Standards tragen. In den letzten Jahren wurden die Entwicklungen der städtischen Abfallwirtschaft von regulativen Änderungen beeinflusst. Die Privatisierung der Abfalldienstleistungen förderte die Beteiligung von privaten Abfallunternehmen, die Dezentralisierung und die gemeinschaftliche Verwaltung (Köberlein 2003: 18). Konzepte zur formellen Abfallwirtschaft Die formelle Abfallwirtschaft wird traditionellerweise aus einem technischen Blickwinkel betrachtet. Technische Konzepte zur formellen Abfallwirtschaft suchen nach einer hochtechnologisierten Sammlung, Sortierung und Wiederverwertung von einer ständig steigenden Abfallmenge (vgl. (Scharff 2010: 75). Studien über die formelle Abfallwirtschaft beschäftigen sich hauptsächlich damit, die Menge seines Aufkommens zu bemessen, sowie die Form der Deponierung und die Beschaffenheit des Abfalls festzustellen, um die Abbauund Ablagerungsmöglichkeiten effizienter zu gestalten. Der Fokus der formellen Abfallsammlung liegt daher in der Ablagerungskette und in der ökonomischen Effizienz der eingesetzten Technologien zur Abfallablagerung. Die wichtigsten Akteure in der formellen Abfallwirtschaft stellen die kommunalen Autoritäten dar, die dafür Sorge tragen, dass die Abfallsammlung und -ablagerung innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches bestmöglich funktioniert (Köberlein 2003: 18). In der sozialwissenschaftlichen Forschung zur formellen Abfallwirtschaft wird das Hauptaugenmerk auf die legalen und administrativen Aspekte der Abfallsammlung gelenkt. Die Forschenden sehen die Abfallwirtschaft in städtischen Bereichen der Länder des Südens 32 mit mehreren Problemen konfrontiert, für die Lösungsansätze bereitgestellt werden sollten: Ineffizienz der Abfallsammlung und der Transportsysteme, unkontrollierte und mangelhafte Lagertätigkeiten, zu geringe Evaluationen zu den einzelnen Teilbereichen der Abfallwirtschaft, unzureichende Aufmerksamkeit für den industriellen Abfall und schadhafte und umweltbelastende Müllanlagen (Campbell 1999: 1). Campbell und andere (Bartone/Bernstein 1993; Coffey 1999) sehen die Lösung der Probleme in der Verschärfung der institutionellen Regulierungen. Festgeschriebene Normen sollten zu einer administrativen, technischen und finanziellen Verbesserung der Standards in der Abfallwirtschaft führen. Dem institutionellen Schwerpunkt folgend, nahmen Regierungen, Organisationen und Unternehmen in der Forschung zur formellen Abfallwirtschaft Schlüsselpositionen ein, da sie für die Novellierung und Implementierung der Normen bedeutsam waren (Köberlein 2003: 18). Die Konzepte zur formellen Abfallwirtschaft wurden zudem vom Rollenwechsel verschiedener, an Privatisierungsprozesse, der Abfallwirtschaft steigende öffentliche beteiligter Partizipation, Akteure beeinflusst. Dezentralisierung und Gemeinschaftsmanagement wirkten auf Entscheidungen in der formellen Abfallwirtschaft ein und fanden dementsprechend verstärkt Aufmerksamkeit in den jüngeren Konzepten zur formellen Abfallökonomie (Köberlein 2003: 19). In den letzten Jahren wurde von der Sichtweise Abstand genommen, dass der Abfallwirtschaft lediglich die Aufgabe zukomme, die Straßen sauber zu halten und den Abfall an strategisch sorgfältig gewählten Orten abzulagern. Das Erkennen von Abfall als Sekundärrohstoff brachte alternative Konzepte hervor, die vorrangig auf die ökologischen Aspekte der Abfallwirtschaft aufmerksam machen wollen. Die neuen Konzepte zur integrierten Abfallwirtschaft orientierten sich zwar stark an institutionellen, ökonomischen und ökologischen Ideen, berücksichtigten aber auch soziale Aspekte wie den Zustand des formellen und des informellen Arbeitsmarktes, die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Beschäftigten und ethische Themen, insbesondere Kinderarbeit (Beukering et al. 1998: 3). Lardinios und Klundert (1997, zit. nach Beukering 1998: 6) betrachteten die Integration als ein Zusammenwirken der Komponenten auf mehreren Ebenen, aus dem sich eine breite Palette aus unterschiedlichen Sammel- und Behandlungsmethoden ergeben kann. Häufig wird dabei der Beteiligungsgrad aller formeller und informeller Akteure sowie der Grad des Zusammenspiels des Abfallsystems mit anderen Systemen wie der Industrie berücksichtigt. Die integrierten Abfallwirtschaftskonzepte zielen darauf ab, die größtmögliche Wiederverwertung von Abfallprodukten und die Rückgewinnung von Rohstoffen zu 33 erreichen. Beukering et al. (1998) veranschaulichen in einer Pyramide zur Abfallhierarchie die wichtigsten Bestandteile der formellen Abfallsammlung. Sie soll auf die veränderten Aufgaben der Hauptakteure, der kommunalen Regierungen und Autoritäten hinweisen. Die oberen Prinzipien der neuen Ideen zur Abfallwirtschaft sind nun Vorsorge, Wiederverwendung und Wiederverwertung, nicht mehr nur Beseitigung und Ablagerung (Beukering 1998: 6): 2. Abb.: Abfallprinzipien nach Beukering (1998: 6) Der Paradigmenwechsel in der Abfallpolitik, wie ihn Beukering et al. skizzieren, bewirkt vor allem im Norden eine Veränderung in der abfallpolitischen Regulierung hin zu einem ökologischeren Ansatz, der die Ausweitung der Recyclingmethoden impliziert und danach sucht, jedes Abfallprodukt einer produktiven Behandlung zu unterziehen, um es wieder verwerten zu können. Auf die Länder des Südens kann diese Abfallhierarchie nur eingeschränkt übertragen werden, da abfallpolitische Reformen mit hohen Kosten verbunden sind, die nicht immer aufgewendet werden können. Beukering et al. sehen die Unterschiede zwischen der Abfallwirtschaft des Südens und des Nordens in der unterschiedlichen Zusammensetzung der Abfallprodukte, in der Sammlung und der Lagerung des Abfalls, in der Rückgewinnung und des Recyclings. Im Norden ist die Zusammensetzung des Abfalls hochwertiger, weil der Konsum von der für die Industrie wertvolleren Materialien größer ist. Die schärferen Bestimmungen und die höheren finanziellen Aufwendungen für die Sammlung und Lagerung im Norden führen zu einer fast flächendeckenden Müllabfuhr. Ebenso begünstige der Einsatz von hochtechnologisierten Sortier- und Komprimiermaschinen die Rückführung von Abfallprodukten in den Industriekreislauf (Beukering 1998: 6-9). Die Konzepte zur städtischen Abfallsammlung berücksichtigen in vielen Fällen auch kulturelle, sozio-historische und religiöse Faktoren, die 34 auf die Abfallwirtschaft in bestimmten Ländern Einfluss nehmen. In manchen Konzepten werden auch soziale Aspekte wie Einstellungen und Verhalten der Abfallerzeugenden miteinbezogen. Damit sollen Erklärungen für die Zusammensetzung des Abfalls gefunden sowie die Höhe des im Abfall verborgenen Sozialkapitals untersuchen werden (Köberlein 2003: 20). Trotz der immer noch fehlenden theoretischen Verknüpfungen zwischen Abfallsammlung und informeller Ökonomie werden in diesen Ansätzen Verbindungen mit dem formellen Sektor diskutiert, die gemäß der vorherrschenden Vorstellungen von der informellen Ökonomie existieren. Konzepte zum informellen Abfallsammeln Während des 20. Jahrhunderts wurde der informellen Abfallsammlung relativ wenig Beachtung geschenkt. Im Zuge der Studien zu marginalen Gruppen ab den 1960ern, und1970ern wurden Forschende der Marginalitätstheorie auf die Abfallsammlung als eine der vielen marginalen Gruppen aufmerksam. In den 1970ern erschienen drei bedeutsame Schriften zur Abfallsammlung, die erste entstammte der Feder von Larissa Lomnitz. In ihrem Buch zur Abfallsammlung in Mexiko „Networks and Marginality “ (1977: 9) stellte sie nicht oder kaum existierende Verbindungen zwischen der informellen Abfallsammlung und dem formellen Sektor fest. Sie bezeichnete die mexikanischen AbfallsammlerInnen als „Jäger und Sammler des neuen städtischen Dschungels“ und verstand die Marginalisierten als menschliches Nebenprodukt des globalen Wirtschaftssystems, die ihr physisches Überleben mit Nebenprodukten desselben Systems sicherten (Lomnitz 1977: 9-10). Desgleichen beschreib Chris Gerry die Sammel- und Reparaturtätigkeit der Abfallsammelnden in Dakar als marginalen Rand der Produktionskette (Gerry 1979: 229). Lomnitz und Gerry entnahmen ihre Beobachtungen spezifischen Einzelfällen. Alle beide gingen von der Annahme aus, dass die Sammel- und Recyclingaktivitäten auf marginaler Basis und zum Zwecke des Selbstkonsums erfolgten, und ließen die Verbindung zwischen dem informellen und der formellen Abfallsammlung außen vor. Erste theoretisch umsichtigere Untersuchungen zur informellen Abfallarbeit wurden von Héctor Castillo und William Keyes betrieben. Castillo und Keyes nahmen von der kausalen Marginalität Abstand und lieferten tiefgehende Untersuchungen zur Abfallsammlung in Ländern des Südens. Castillo (1983) suchte die theoretischen Perspektiven auf die 35 Abfallsammlung zu erweitern und brachte über seine soziologischen Analysen die bislang umfangreichste Untersuchung zur informellen Abfallsammlung in Mexiko Stadt hervor. Ende der 1970er führte er investigative Untersuchungen durch, in der er sich als Mitarbeiter des städtischen Sammelbetriebs ausgab, um die Organisation der „Müllgesellschaft“ beobachten zu können. Er legte dabei besonderen Wert darauf, die Verbindungen zum formellen System offenzulegen, Korruptionsfälle und politische Verflechtungen aufzuklären und klientelistische Beziehungen innerhalb (zwischen den Sammelnden) und außerhalb der informellen Abfallwirtschaft aufzudecken. Castillo kam zu der Erkenntnis, dass zwischen der gewerkschaftsähnlichen Organisation der MüllsammlerInnen „La Unión“ unter der Führung von Rafael Gutiérrez Moreno, der Stadtregierung von Mexiko und der übermächtigen Regierungspartei PRI (Partido Revolucionario Institutional) enge Beziehungen bestanden, die darauf hinausliefen, dass vor allem die AbfallsammlerInnen auf Müllhalden fast gänzlich von der PRI kontrolliert wurden (Castillo 1990: 28-29). Ähnlich wie Castillo leistet auch Keyes (1974, zit. nach Medina 2007: 14) Pionierarbeit zur Abfallorganisation im philippinischen Manila. Von seiner christlichen Konfession beeinflusst wurde sein Interesse auf die städtischen AbfallsammlerInnen gelenkt, die von der repressiven Regierungspolitik angegriffen wurden. Er untersuchte in Manila wie Einschränkungen und Feindseligkeiten vonseiten der Regierung und der Autoritäten die Arbeit der AbfallsammlerInnen beeinträchtigten (ebd.: 14). Die am weitesten verbreiteten theoretischen Anschauungen der informellen Abfallsammlung sind jedoch auf Birkbeck und Sinclair zurückzuführen (Medina 2007: 14). Birkbeck untersuchte in den 1970er Jahren die Sammel- und Recyclingaktivitäten auf der Müllhalde im kolumbianischen Cali. Birkbeck bezeichnete die Müllhalde als „informelle Fabrik“, die nach demselben kapitalistischen Prinzip funktioniere wie ein formeller Industriebetrieb. Birkbeck widersetzte sich der vorherrschenden Auffassung, dass die Abfallsammlung von einer marginalisierten Gruppe am Rande der Gesellschaft betrieben wird. Er charakterisierte die AbfallsammlerInnen als selbstständig Arbeitende, die ihre Arbeitskraft ebenso wie Industriearbeitende verkauften und verwies auf ihre rational ausgerichteten Organisationsformen und die Verknüpfungen mit dem formellen Sektor: „The garbage dump-‘factory’ is but one facet of a larger industrial organization (...) Despite the fact that there are no written rules, no overseers or supervisors, and that each garbage picker works independently, there are certain internal and external factors which help to organize and regulate the work in an informal way“ (Birkbeck 1978: 1174). Er bemerkte, dass die 36 Abfallsammelnden ohne bestehende Verträge mit Recyclingunternehmen kooperieren, die wiederum nach der Minimierung von Produktionskosten streben und daher AbfallsammlerInnen in Dienst nahmen, welche zeit- und kostengünstig Materialien bereitstellten. Er stellte zudem fest, dass es Recyclingfabriken waren, welche die Preise für Abfallprodukte festsetzten. Er erkannte, dass AbfallsammlerInnen denselben Bedingungen des Kapitalismus unterworfen waren wie die restliche Gesellschaft und deswegen ebenso wie Industriearbeitende für die Fabriken arbeiten, welche ihre Arbeitskraft in Form von gesammelten Waren zwar konsumieren, aber keine formellen Bindungen mit ihnen eingehen. Über den Verkauf ihrer Produkte erhalten die SammlerInnen minimales Einkommen und verhelfen somit den Fabriken (oder wie später noch gezeigt wird: Zwischenhändlern) ihre Profitraten zu steigern (Birkbeck 1978: 1174-1177). An Birbeck's Erkenntnis über die Ausbeutungsverhältnisse ist aber aus heutiger Sicht vorzuwerfen, dass die Verhältnisse zwischen AbfallsammlerInnen und Zwischenhändler anderer Natur waren als jene zwischen Industriearbeitenden und FabrikbesitzerInnen. Die Bezahlung der AbfallarbeiterInnen nach ihre gesammelten Gegenständen verursachte keine Lohnkosten und erlaubte es dem kapitalistisch organisierten Markt, sie stärker auszubeuten als LohnarbeiterInnen, indem sie lediglich für ihr Material, nicht aber für ihren tatsächlich aufgewendeten Arbeitszeit bezahlt wurden (vgl. Bennholdt-Thomsen/Mies 1997: 14). Daniel Sicular (1992, zit. nach Medina 2007: 15) beschäftigte sich Mitte der 1980er mit den Sammel- und Recyclingaktivitäten in Indonesien. Ähnlich wie Birkbeck wählte Sicular einen marxistischen Zugang, verknüpfte ihn aber mit dependenztheoretischen Elementen. Er kritisierte Birkbecks Idee von der Abfallarbeit als Teil des kapitalistischen Produktionssystems und vertrat die Meinung, dass die Abfallsammlung kein Teil des kapitalistischen Produktionssystems sei, sondern nur unter der Einflusssphäre der kapitalistischen Produktion stehe und damit von ihr abhängig wäre. Er argumentierte, dass sowohl die Produktions- und Reziprozitätsformen der AbfallsammlerInnen, als auch ihre Überschussgewinnung und ihre sozialen Beziehungen jener der Bauern und der Wildbeuter am ähnlichsten wäre. Er meinte, dass sie für ihre Tätigkeit „natürliche“ Ressourcen verwenden, die weder viel Zeit beanspruchen noch hohe Herstellungskosten verursachen. Sicular stellte die Abfallsammlung der bäuerlichen Produktion gleich und begriff die Abfallsammler als Jäger und Sammler, die auf dieselbe ausbeuterische Weise in den Arbeitsprozess integriert werden wie Bauern und andere Subsistenzwirtschaft betreibende Menschen (Sicular 1992, zit. nach Medina 2007: 15). Untersuchungen zur informellen Abfallwirtschaft aus verschiedensten Ländern zeigen, dass 37 die Verbindungen der informellen Tätigkeit zum formellen Sektor vielfältiger und multidimensional sind, als vor allem von Siculars theoretische Perspektiven auf die Abfallsammlung angeboten werden. Vor allem in Ländern des Südens, wo die technischen und regulativen Rahmenbedingungen (noch) nicht den hochtechnologischen Standards der Industrieländer entsprechen, sorgen die AbfallsammlerInnen auf manuelle Weise für das Funktionieren des gesellschaftlichen Stoffwechselvorgangs. DiGregorio versteht das Abfallsammlen daher als einen wirtschaftlichen Prozess, bei dem aus Abfallstoffen neue Ressourcen gewonnen werden (1993: 1). Dem Industrialisierungsgrad des jeweiligen Landes entsprechend stellen AbfallsammlerInnen ihr gesammeltes Material entweder der Industrie oder den Kunsthandwerkern zur Verfügung. In Regionen mit fortgeschrittenem Entwicklungsstandard ist ersteres die am meisten verbreitete Form. Dabei wird Abfall in weiteren Verarbeitungsschritten zu neuen (Sekundär)Rohstoffen umgewandelt und dem industriellen Produktionskreislauf wieder zugeführt. Eine wesentliche Voraussetzung für die industrielle Wertschöpfung ist die Existenz von relativ breiten Mittelschichten, die über ausreichend Kaufkraft verfügen, um industriell erzeugte Güter zu konsumieren und hochwertigeren Abfall zu produzieren. Demnach ist die industrielle Produktion unmittelbar mit der Abfallentstehung verbunden. Je ausgeprägter die Konsumgewohnheiten in einer Gesellschaft sind, umso mehr Abfall wird produziert und mehr „reicher“ Abfall entsteht, umso industrieorientierter werden die Tätigkeiten der Abfallsammelnden (Keller 1998: 13). Zweiteres, die kunsthandwerkliche Wiederverwertung, tritt nach Grothues eher in Regionen auf, wo der Konsum von Industriegütern nur geringere Ausmaße angenommen hat. Untersuchungen zur informellen Abfallwirtschaft aus verschiedensten Ländern zeigen, dass die Verbindungen der informellen Tätigkeit zum formellen Sektor vielfältiger und multidimensional sind, als vor allem von Siculars theoretische Perspektiven auf die Abfallsammlung angeboten werden. Vor allem in Ländern des Südens, wo die technischen und regulativen Rahmenbedingungen (noch) nicht den hochtechnologischen Standards der Industrieländer entsprechen, sorgen die AbfallsammlerInnen auf manuelle Weise für das Funktionieren des gesellschaftlichen Stoffwechselvorgangs. DiGregorio versteht das Abfallsammlen daher als einen wirtschaftlichen Prozess, bei dem aus Abfallstoffen neue Ressourcen gewonnen werden (1993: 1). Dem Industrialisierungsgrad des jeweiligen Landes entsprechend stellen AbfallsammlerInnen ihr gesammeltes Material entweder der Industrie oder den Kunsthandwerkern zur Verfügung. In Regionen mit fortgeschrittenem Entwicklungsstandard ist ersteres die am meisten verbreitete Form. Dabei wird Abfall in 38 weiteren Verarbeitungsschritten zu neuen (Sekundär)Rohstoffen umgewandelt und dem industriellen Produktionskreislauf wieder zugeführt. Eine wesentliche Voraussetzung für die industrielle Wertschöpfung ist die Existenz von relativ breiten Mittelschichten, die über ausreichend Kaufkraft verfügen, um industriell erzeugte Güter zu konsumieren und hochwertigeren Abfall zu produzieren. Demnach ist die industrielle Produktion unmittelbar 3. Abb.: „Erweiterter Recycling-Kreislauf“, (Grothues 1990: 97) mit der Abfallentstehung verbunden. Je ausgeprägter die Konsumgewohnheiten in einer Gesellschaft sind, umso mehr Abfall wird produziert und mehr „reicher“ Abfall entsteht, umso industrieorientierter werden die Tätigkeiten der Abfallsammelnden (Keller 1998: 13). Zweiteres, die kunsthandwerkliche Wiederverwertung, tritt nach Grothues eher in Regionen auf, wo der Konsum von Industriegütern nur geringere Ausmaße angenommen hat. Abfallstoffe werden bei der kunsthandwerklichen Wiederverwertung nicht auf ihre Grundbestandteile zerlegt und zu völlig neuen Produkten weiterverarbeitet, sondern auf Basis ihres ursprünglichen Zustandes zu neuen Gütern umgeformt. Hausbau, Spielzeuge, Schmuck oder Flickwerke sind Beispiele für den handwerklichen Verwertungsprozess. Grothues nennt diese Form der Weiterverarbeitung einen „erweiterten Kreislauf “ des Recyclings, der nicht, wie in Industrieländern, linear, sondern zyklisch verläuft (Grothues 1990: 97): Unabhängig von der Tätigkeitsgruppe und der hierarchischen Position der AbfallsammlerInnen benennt DiGregorio zwei Charakteristika, die auf alle mit dem Abfallhandel verbundenen Personen zutreffen: Sie erkennen Müll als Ressource an und 39 werden – wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen – für ihre Arbeit mit dem Abfall sozial herabgewürdigt. Ersteres, so DiGregorio, wird von den informellen AbfallsammlerInnen stärker wahrgenommen, als von jenen, die formell in der Abfallwirtschaft beschäftigt sind. Zweiteres trifft auf alle Abfallarbeitenden im gleichen Maße zu (DiGregorio 1993: 1). DiGregorio geht dabei davon aus, dass die Art der Tätigkeit das gesellschaftliche Ansehen und den jeweiligen Status bestimmt. Während die formellen Abfallarbeitenden wegen ihrer geregelten Arbeitsverhältnisse und ihrer Verbindung zum Staat, zu den Autoritäten und der Technologie von der vollkommenen Stigmatisierung etwas geschützt sind, werden selbstständig Abfallsammelnde vom Staat nicht geschützt (DiGregorio 1993: 2). Die Stigmatisierung, unter der die Abfallarbeitenden wegen der informellen Arbeitsverhältnisse leiden, wird an den verschiedenen geringschätzigen Bezeichnungen für die mehr oder weniger gleichartige Tätigkeit deutlich: In Mexiko werden sie „pepenadores“ (Durchwühler) (Lomnitz 1978), in Kolumbien „buitres“ (Geier) (Birkbeck 1978), in Uruguay „hurgadores (Wühler), in Tokyo „buraku“ (Ameisen) (DiGregorio 1993) genannt. Während DiGregorio die Unterscheidung der AbfallsammlerInnen auf zwei Kategorien beschränkte, nennt Medina weitere Charakteristika, die für die Abfallsammlung typisch sind. Er versteht den Abfall nicht nur als ökonomische Ressource und Form zur sozialen Stigmatisierung, er betrachtet die Abfallarbeit als Inbegriff des informellen Sektors. Die Abfallarbeit folgt nach Medina den für den informellen Sektor klassischen Merkmalen, ist arbeitsintensiv, benötigt wenig Technologie, ist schlecht bezahlt, ungeregelt und ungesichert (Medina 2007: 64). Da sich der Verwendungszweck des Abfalls nicht eindeutig der Industrie oder dem Kunsthandwerk zuordnen lässt und oft aus Mischformen der Verwendung besteht, bietet Medina vier Unterteilungen an, mit denen er das Motiv der Abfallsammlung um zwei weitere Komponenten vergrößert: Abfallsammlung für den Eigengebrauch und für die Landwirtschaft (Medina 2007: 58-59). Abfallsammlung für den Eigenkonsum betrachtet er als die ursprüngliche Motivation für die Sammlung. Menschen beginnen demnach zu sammeln, weil sie nicht fähig sind, reguläre Arbeit zu finden und versuchen, dem Hungertod zu entkommen, neue Kleidung zu erhalten oder Materialien für den Bau und die Instandhaltung ihrer Unterkünfte zu suchen. In der Abfallsammlung für den Eigengebrauch ist weder Geld involviert, noch besteht eine direkte Verbindung zur direkten Ökonomie (Medina 2007: 58). Anfängliche Charakterisierungen der Abfallsammlung (vgl. Lomnitz, Bromley und Gerry) erkennen diese Form der Abfallsammlung auch als marginal und 40 gesellschaftlich wenig bedeutsam. Anders als Medina und andere kamen Peter Nas und Rikve Jaffe nach einer Reihe von Untersuchungen zu dem Schluss, dass die sozialen Hintergründe der AbfallsammlerInnen zu unterschiedlich sind, um sie allesamt als von der Armut und sozialer Diskriminierung Betroffene zu beschreiben, deren einzige Überlebensmöglichkeit die informelle Abfallsammlung ist. Sie stimmen vielmehr mit DiGregorio's Betrachtungsweise überein, die Gemeinsamkeiten von Abfallsammelnden auf zwei Charakteristika zu beschränken: „a recognition of waste as an resource and a varying degree of social opprobrium“ (DiGregorio 1993: 1). Weil die empirische Basis für eine universelle Charakterisierung sowie für die Verknüpfung zwischen der formellen und der informellen Abfallsammlung fehlen, schlagen die Nas und Jaffe vor, die Abfalltätigkeit über den Organisationsgrad auf vier verschiedenen Ebenen zu bestimmen. Sie sind der Ansicht, dass über die Organisationsform der Wirkungsgrad der informellen Abfallsammlung bestimmt werden kann (Nas/Jaffe 2004: 340): 1. Über die Aktivitäten der Unternehmen und Fabriken, die einerseits Abfall produzieren und ihn andererseits wieder als Rohstoff verwenden 2. Über die Aktivitäten der Mittelsmänner und Zwischenhändler, die zwischen Abfallsammler-Innen, Industrie und Käufer interagieren 3. Über die Aktivitäten der Abfallsammelnden selbst 4. Über das Ausmaß an Interventionen, die von internationalen Organisationen und /oder den lokalen Regierungen vorgenommen werden. 3.3 Arbeitsspezifische Definitionen In diesem Abschnitt werden Begriffe definiert, welche für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung sind. Cartoneros Vereinfacht ausgedrückt und ausschließlich auf die Tätigkeit reduziert, kann ein cartonero oder eine cartonera als eine Person bezeichnet werden, die auf Straßen, Plätzen oder Müllhalden nach wiederverwertbarem Abfall, Karton, Papier, Plastik, Glas, metallischen 41 Stoffen und anderem Gegenständen sucht und diese an Zwischenhändler oder Recyclingindustrie weiterverkauft, um sich damit sein Überleben sichern zu können. Mit Athos Espíndola kann der Tätigkeitsbereich in wenige Worte gefasst werden: „[L]a persona que se dedica a recolectar de las bolsas de residuos domiciliarios o basurales, trapos, papeles, botellas, vidrios y todo objeto que pueda revender, así como restos alimenticios que pueden serle de utilidad“9 (Espíndola 2002). Es gibt verschiedene Formen der Arbeitsorganisation, welche die cartoneros in “individuales” („selbstständig“) und “en cooperativas” (in Kooperativen organisierte) unterscheidet. Die Differenzierung der cartoneros nach der Arbeitsorganisation geht mit der Verwendung unterschiedlicher Termini einher: „Cartoneros individuales“ für informell, „selbstständig“ arbeitende AbfallsammlerInnen und „recuperadores urbanos“ für formell, über Kooperativen organisierte cartoneros. Paiva stellte beim Bestimmungsversuch des cartonero-Subjekts fest, dass das Abfallsammeln zwei wesentliche Ursachen zugrunde liegt: Strukturell oder konjunkturell bedingter Armut. Strukturell von der Armut betroffene cartoneros sind nach Paiva jene AbfallsammlerInnen, die bereits vor der Krise in die Unterschichten hineingeboren wurden und bereits seit jungen Jahren Abfallsammeln (Paiva 2008: 93). In Buenos Aires waren dies die früheren cirujas, die schon seit den 1970ern von der Abfallsammlung lebten. Die Entstehung und Entwicklung der cirujas wird später eindringlicher behandelt. Konjunkturell bedingte „Krisenopfer“ bestimmte sie als in Folge der wirtschaftlichen Krise verarmte SammlerInnen. Zu den durch die schlechte Konjunktur bedingten AbfallsammlerInnen zählte Paiva alle Menschen der Mittel- und Unterschicht, die wegen der Krise Arbeit, Einkommen und Existenz verloren hatten. Aus der ständigen Abgrenzung und Ausdifferenzierung der Abfallarbeitenden ist ab 2002 eine offizielle Bezeichnung hervorgegangen, mithilfe der vom cartonero-Begriff Abstand genommen werden sollte: recuperador urbano/recuperadora urbana. In der offiziellen Kommunikation wird der neue Begriff zwar eingesetzt, Öffentlichkeit, Medien und Abfallsammelnde selbst blieben bei der Verwendung des landläufigen cartonero-Begriffs (Medina 2007: 174). 9 42 „Die Person, die sich der Sammlung von Müllsäcken aus Hausmüll oder Müllhalden widmet, Tücher, Papier, Flaschen, Glas und alle anderen Objekte sowie Essensreste sammelt, die ihr von Nutzen sein können.“ (R.H.) Formalisierung Mit „Formalisierung“ kann der Prozess des formellen Institutionalisierens einer Handlungsund Denkweise verstanden werden. Das Objekt erhält dabei eine festgelegte Erscheinungs-, Darstellungs- oder Abhandlungsform, die eingehalten werden sollte. Mit der Standardisierung von Aktivitäten werden persönliche und willensgesteuerte Vorgänge zugunsten von Normen und Formen eingeschränkt. Formell institutionalisierte Normen gestalten die Spielregeln der Gesellschaft und die Beschränkungen der menschlichen Interaktionsformen. Formelle Spielregeln gestalten nach Altvater und Mahnkopf den politischen, gesellschaftlichen (Altvater/Mahnkopf 2002: oder 29). wirtschaftlichen Anstöße dafür Austausch können unter politischer, Menschen rechtlicher, mathematischer, wirtschaftlicher oder technischer Natur sein und darauf abzielen, etwas zu rationalisieren oder zu mechanisieren (vgl. Bouncken/Jones 2008: 276). Diese Regelhaftigkeit der Abläufe und Verhaltensnormen wird durch förmliche Institutionen gewährleistet, indem verbindliche Vorschriften, Rollenerwartungen, Bewertungsstandards oder sanktionierbare Verhaltensregelmäßigkeiten festgelegt werden (Altvater/Mahnkopf 2002: 29). In der Geschichte entstandene Riten und sich daraus entwickelnde Gewohnheiten sind für die Formalisierung von Abläufen von besonderer Bedeutung, weil sie Zusammengehörigkeitsgefühle erzeugen und affektive Sicherheiten geben (vgl. Bach 2004: 151; Drepper 2003: 97). Die Institutionalisierung von verbindlichen Verhaltensnormen, Rollenerwartungen und sanktionierbaren Verhaltensordnungen bewahrt vor willkürlichen Handlungen anderer Personen und des Staates. Mit der Formalisierung von Handlungs- und Denkweisen entstehen Ansprüche auf öffentliche Leistungen, die gesetzlich geregelt und einklagbar sind. Günstigstenfalls wirken sich Formalisierungen von Handlungs- und Denkmustern positiv auf eine autonome Lebensgestaltung der Einzelnen aus, geben Orientierungssicherheiten und liefern normierte Strafen für die Überschreitung formell geregelter Handlungsspielräume. Ziel der Formalisierung von Handlungs- und Denkweisen sollte sein, dass sowohl das Leben und die Arbeit der Einzelnen als auch das zwischenmenschliche Verhalten in seinen Ausmaßen berechen- und planbar wird (Altvater/Mahnkopf 2002: 39-40). Arbeits- und Lebensbedingungen 43 Arbeits- und Lebensbedingungen werden im Kontext der cartoneros im Zusammenhang mit geringen sozio-ökonomischen Sicherheiten begriffen, die Betroffene aufgrund ihrer nicht gedeckten Bedürfnisse und ihrer gesellschaftlichen Position anfällig, verwundbar und unsicher in Bezug auf Arbeit, Einkommen und Ernährung werden lassen (Altvater/Mahnkopf 2002: 29). Unsichere Arbeits- und Lebensbedingungen im urbanen öffentlichen Raum erfordern auf die verfügbaren materiellen Ressourcen und soziale Netzwerke angepasste Strategien, die dem Betroffenen verhelfen, soziale und ökonomische Verwundbarkeiten zu reduzieren und nicht zuletzt Lebens- und Arbeitsstrategien zu entwickeln, die ihm/ihr in Schock- und Stresssituationen das Überleben sichern. Nach dem Konzept der urbanen Subsistenz kann das Überleben dann gesichert werden, wenn ausreichend materielle Ressourcen und kulturelles Wissen verfügbar und zugänglich sind, welche für die Entwicklung von Lebensabsicherungsstrategien notwendig erscheinen (Kokot/Wonneberger 2006). Nachhaltig ist das Überleben dann gesichert, wenn Schock- und Stresssituationen und gröbere Einschnitte in die Lebensverhältnisse bewältigt werden können. Außerdem kann von einer gesicherten Existenz gesprochen werden, wenn die bestehenden Ressourcen beibehalten oder vermehrt werden können, ohne dass die Überlebensmöglichkeiten der nächsten Generation gefährdet werden (Chambers/Conway 1992: 6). Lebens- und Arbeitsstrategien beziehen sich daher auf die Formen des Umgangs mit Unsicherheiten, die an der Beständigkeit der Einkommensquellen, am legalen Status der von den Unsicherheiten betroffenen Akteure im öffentlichen urbanen Raum gemessen werden können (Kokot/Wonneberger 2006: 2). Welche Indikatoren auf unsichere Arbeits- und Lebensbedingungen hinweisen, werden aus dem Verständnis des Konzepts der urbanen Subsistenz nach Kokot und Wonneberger entlehnt. Nach dem Konzept der urbanen Subsistenz werden die unsicheren Lebens- und Arbeitsbedingungen dadurch ersichtlich, ob ausreichend Ressourcen verfügbar sind, die die ökonomischen Grundlagen sichern, das Einkommen den Erfordernissen zur Lebenssicherung entspricht, kulturelles Wissen über Arbeitsstrategien und -methoden zugänglich ist, Flexibilität gegeben ist und Arbeitszeit von Freizeit nicht eindeutig getrennt werden kann (Kokot/Wonneberger 2006: 3). 44 Forschungsergebnisse 4 Vom cartonero zum recuperador urbano: Formalisierung der Abfallsammlung Durch den wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch in Argentinien um 2001 entwickelten sich verschiedene Formen des sozialen Protests, die sich gegen die gesellschaftlichen Missstände zu wehren versuchten: Stadtteilversammlungen, Menschenrechtsbewegungen, Arbeitslosenbewegungen oder FabrikbesetzerInnen. Außerdem begannen zahllose cartoneros die Straßen von Buenos Aires und anderen Städten zu füllen. Zunächst werden jene politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontexte untersucht, welche für die Entstehung und die Entwicklung des Phänomens von Bedeutung. 4.1 Umfeld und Hintergründe In diesem Abschnitt werden Einflussgrößen untersucht, welche zentrale Einflüsse auf die Entstehung und Entwicklung der cartoneros gehabt haben. Bedeutende Einflussgrößen sind politik- und wirtschaftsgeschichtliche Entwicklungen des Landes und der Stadt sowie die formelle Organisation der Abfallwirtschaft von Buenos Aires. Zudem lassen sich in der Geschichte der Abfallsammlung von Buenos Aires Erklärungen für die Entwicklung der Arbeitsorganisation der cartoneros finden. 4.1.1 Entwicklungen im 20. Jahrhundert Ab den 1870ern begann in Argentinien der intensive Export von Rohstoffen. Fleisch, Getreide, Schafwolle, Häute und Mais wurden zu bevorzugten Exportprodukten, über die Argentinien bis zur ersten Weltwirtschaftskrise in den 1930ern seine Exporterlöse fast verzehnfachen und den Wohlstand im gesamten Land um ein Vielfaches steigern konnte (Boris/Tittor 2006: 9-10). Die wachsende Integration in die globale Wirtschaft, die Argentinien ab dem Ende des 19. Jahrhunderts zu erleben begann, erklärte sich zudem aus den starken Immigrationsbewegungen aus Asien und Europa gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Die vereinfachte Immigrationspolitik trieb das Wachstum der argentinischen Bevölkerungszahlen voran. Von 1869 bis 1895 verdoppelte sich die Bevölkerung des Landes von 1,8 auf vier Millionen. Zusammen mit Sao Paulo und Uruguay hatte Buenos Aires um 45 1870 bereits das Potenzial bis zur Jahrhundertwende zu einer der größten Städte der Welt zu werden (Blum 1998: 176). Die von der Weltwirtschaftskrise der 1930er hervorgerufenen Abwärtsbewegungen der argentinischen Wirtschaft konnten erst im Jahre 1943 ausgebremst werden, als Juan Domingo Perón das Amt des Regierungspräsidenten übernahm. Als Folge ruinöser Geschäfte von Landbesitzern und sich einer nicht erholenden Wirtschaftsleistung im Agrarsektor wurden notgedrungen Schutzzölle errichtet und Importrestriktionen erteilt, die vor allem den Import von europäischen Produkte einzuschränken suchten. Mit protektionistischen und regulativen Maßnahmen konnten die fehlenden Exporterlöse und Devisen kompensiert und ein Industrialisierungsschub über Handwerks- und arbeitsintensive Betriebe erreicht werden. Getragen von der importsubstituierenden Industrialisierung, dauerte der wirtschaftliche Aufwärtstrend bis Mitte der 1950er an. Perón, der unmittelbar nach dem Putsch die Leitung des Arbeitsministeriums übernommen hatte, zeigte sich zunehmend als Patron der Industriearbeitenden und der Unterschichten. Unstimmigkeiten zwischen Militär und Gewerkschaft hatten im Jahre 1946 freie Wahlen zum Ergebnis, bei denen Perón erstmals zum Präsidenten der Militärregierung gewählt wurde (KallerDietrich/Mayer 2012c). Als „erster Arbeiter Argentiniens“ versuchte Perón vor seiner Präsidentschaft als Leiter des Arbeits- und Sozialsekretariats Sympathien außerhalb des Militärs zu gewinnen, die weder Oberschicht noch traditionell Linke und Teile des Militärs guthießen. Bei ihrem Versuch, Peróns Aufstieg zum Volkshelden zu verhindern und ihn unter Arrest zu stellen, setzte eine von Gewerkschaftsverbund CGT10 organisierte Mobilisation von ArbeiterInnen ein, auf die weitere und größere Demonstrationen folgten. Es war nicht zuletzt die Demonstration der ArbeiterInnen vom Land, der Hemdlosen (descamisados), die sich im Oktober 1945 in der Innenstadt von Buenos Aires für Peróns Freilassung zusammengefunden hatten, mit der das Ausmaß seiner Popularität deutlich wurde, die Perón wegen seiner sozialen Reformvorhaben in den argentinischen Unter- und Mittelschichten erreicht hatte. Im Jahre 1946 gelang Perón schließlich der erneute Sieg der Präsidentschaftswahlen (Werz 2010: 181). Da die Agrarexporterlöse – und damit die Staatseinnahmen – ab den 1950ern dauerhaft zu 10 Die CGT sollte später zu einem der wichtigsten Instrumente der peronistischen Machtsicherung werden (Werz 2010: 182). Sie verkörperte ein simultanes Vertretungsorgan von städtischer Arbeitnehmerschaft und Industrieunternehmertum. Mithilfe der CGT sollte ein Klassenbündnis zwischen den neuen IndustrieunternehmerInnen und der städtischen Arbeitnehmerschaft sowie von anderen Fraktionen der Unter- und Mittelschichten erreicht werden. Während der ersten beiden Regierungsjahre, zwischen 1943 und 1944, verdoppelte sich die Anzahl der Mitglieder der CGT auf 1,5 Millionen. Peróns charismatische und volksnahe Ehefrau, Eva Perón, nahm in der peronistischen Arbeiterpolitik eine wesentliche Brückenfunktion zwischen Volk und Regierung ein (Kaller-Dietrich/Mayer 2012b). 46 sinken begannen, sollten die mit Perón erhöhten Sozialleistungen gekürzt werden. Dass sich die sozialen Unruhen erst ab den 1970ern ausbreiteten, war vor allem auf die Entwicklung der CGT zu einer mächtigen Institution zurückzuführen. Ihre wichtigsten Errungenschaften während den Flaute-Phasen im industriellen Sektor bis zu den 1970ern waren, dass nur geringfügig Lohnkürzungen vorgenommen wurden (Boris/Tittor 2006: 15). Als die von Perón betriebene Redistributionspolitik11 wegen der rückläufigen Staatseinnahmen zum Stillstand zu kommen drohte, machten sich die klassischen Krisenerscheinungen wie Arbeitslosigkeit und Rückgang des sozialen Wohlstands breit. Die Regierung zeigte zunehmend weniger Bereitschaft, die Interessen der ArbeiterInnen zu vertreten (Carreras 2010: 211). Ab den 1950ern stieg das Pro-Kopf-Einkommen nur mehr leicht an, Exporte und die landwirtschaftliche Produktivität stagnierten und Argentinien begann für den Weltmarkt an Bedeutung zu verlieren. Die wachsenden Unstimmigkeiten zwischen dem peronistischen Regime und der Arbeiterbewegung führten 1955 zu einem Militärputsch und zum vorübergehenden Sturz von Juan Domingo Perón (Kaller-Dietrich/Mayer 2012c). Die politischen Wechsel zwischen Diktatur und Demokratie, die in der postperonistischen Phase bis 1976 immer wieder erfolgten, waren von sinkenden Exporterlösen und stagnierenden ökonomischen Entwicklungen gekennzeichnet (Boris/Tittor 2006: 14). Die 1977 eingerichtete Militärregierung suchte die importsubstituierende Wirtschaftspolitik gegen eine exportorientierte zu ersetzen. Damit ging eine Verschlechterung der sozialen Lage einher (Boris/Tittor 2006: 18). Der inkonsequente Neoliberalismus, den die Regierung verfolgt hatte, versetzte das Land in eine schwere Krise. Das Bruttoinlandsprodukt nahm stetig ab, die Auslandsverschuldung stieg an, Investitionen wurden rückläufig, und Reallöhne sanken immer weiter, bis sie 1982 mit 37 % an einen kritischen Tiefpunkt gelangten (Beccaria 2001: 53). Obwohl die Regierung durch das Anheben der Reallöhne versuchte, den Konsum anzukurbeln und damit die Binnenwirtschaft wieder zu beleben, konnte kein anhaltendes Wirtschaftswachstum in Gang gebracht werden. Die Wahl Raúl Alfonsíns im Dezember 1983 zum Präsidenten bedeutete schließlich das Ende des Militärregimes. Neu im Amt war Alfonsín primär darum bemüht, die Staatsschulden, die während der Militärdiktatur angehäuft wurden, abzubauen. Doch die Versuche, die wirtschaftliche Entwicklung durch die Weiterführung von 11 Die Erlöse aus dem Export von landwirtschaftlichen Produkten wurden dabei in den Industrie- und Dienstleistungssektor umgelenkt (Boris/Tittor 2006: 15). 47 Importsubstitution, Sozialpakte und keynesianische Steuerungsmaßnahmen wieder zu beleben, blieben erfolglos. Die galoppierende Geldentwertung, mit der Argentinien während den gesamten 1980er Jahren zu kämpfen hatte, gipfelte 1989 in einer Hyperinflation von 4000 % (Boris/Tittor 2006: 18-24). Seitdem die konjunkturelle Entwicklung in den 1970ern ihren Zenit erreicht hatte, stieg die Arbeitslosigkeit sukzessive an, weitete sich die Armutsquote aus und verstärkte sich die sozioökonomische Polarisierung der Bevölkerung. Mit der Auseinanderentwicklung der Gesellschaftsschichten entwickelte sich gleichzeitig eine zunehmende Komplexität und innere Differenzierung der argentinischen Sozialstruktur. Zu erkennen war dies insbesondere in Buenos Aires, wo sich die Bevölkerung am stärksten konzentrierte. Die argentinische Mittelschicht, die im Vergleich zu allen anderen lateinamerikanischen Ländern besonders breit war, durchlief seit den 1970ern entscheidende Differenzierungsprozesse. Mit einer Erwerbstätigenrate von 40 % besaß Argentinien bereits in den 1940er Jahren das breiteste Mittelschichtsegment in Lateinamerika. Das Ausbreiten der städtischen Arbeiterklasse als fast homogenisierte Mittelschicht erreichte zwischen den 1950ern und den 1960ern ihren Höhepunkt. Zwischen den 1940ern und den 1980ern stieg insbesondere die Anzahl der lohnabhängigen Mittelschichten (ArbeiterInnen, Angestellte, Beamte, etc) auf 70 % an, während die selbstständigen Mittelschichten (Kleinunternehmer, Gewerbetreibende, Freiberufler, Bauern) abnahmen. Die urban-industrielle Arbeiterschaft erreichte Anfang der 1970er Jahre mengenmäßig ihre größte Ausdehnung. Unter den städtischen Lohnabhängigen betrug die Arbeitnehmerquote um 1971 bereits 74%. Zu erklären ist dies durch den Rückgang der Landwirtschaft und dem gleichzeitigen Anstieg des tertiären Sektors (Beccaria 2001: 19). Die neuen Mittelschichten definierten sich fortan vorrangig über Dienstleistungsberufe oder über den öffentlichen Sektor. Die Zuordnung einzelner Bevölkerungsteile zu einer breiten Mittelschicht wurde immer schwieriger. Diese Polarisierungsprozesse der Mittelschichten wurden seit Mitte der 1970er an verschiedenen Indikatoren ablesbar: An der wirtschaftlichen Stagnationstendenz, an der ungleich wachsenden Einkommensverteilung und an der Veränderung ihrer Konsummuster (vgl. Sommavilla 1996: 220-225). Obwohl die Politisierung der Mittelschichten keine direkten Auswirkungen auf ihre soziale Situation hatte, fand während dieser Phase der Auf- und 48 Abstiege allmählich wieder eine (Selbst) Integration der Mittelschichten in die Politik12 statt (Boris/Tittor 2006: 22-23). 1976 erreichten die Reallöhne erstmals ein Tief, welches Einschnitte in die freie Verfügbarkeit über geregelte und gesicherte Arbeitsstellen nach sich zog. Nach der Militärdiktatur konnten sich all jene Segmente der Mittelschichten zu den sozioökonomischen Gewinnern zählen, die in Banken-, Finanz-, Immobilien-, Im- und Exportsektor beschäftigt waren. Mit der Intensivierung der ausländischen Kapitalflüsse verloren die selbstständigen ArbeiterInnen in Produktion, Handel und Dienstleistung sowie die Mittelschichten im öffentlichen Sektor an gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Die Vergrößerung des Industrieproduktion Dienstleistungssektors schuf zwar neue als Gegenreaktion Arbeitsplätze, konnte auf die sinkende aber die steigende Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung nicht verhindern. Selbstständig Arbeitende, Gewerbetreibende, KleinunternehmerInnern und FreiberuflerInnen, breiteten sich wieder aus. Ab dem Ende der 1970er begann das Feld der „Arbeiten auf eigene Rechnung“ (cuenta propismo) stetig zu wachsen. Insbesondere in Buenos Aires schossen ab den 1980ern Kleinstsupermärkte, GreißlerInnen, Reparatur- und Werkstätten aus dem Boden (Beccaria 2001: 43). 4.1.2 Der Beginn des 21. Jahrhunderts: Krise, Armut und Proteste Argentinien hatte sich bis zu den 1990ern zu einem Musterschüler des Internationalen Währungsfonds (IMF) entwickelt. Als Carlos Menem 1989 das Amt des Regierungspräsidenten übernahm, radikalisierte er das argentinische Wirtschaftssystem nach neoliberalem Vorbild. Menem's Regierungsstil machten vor allem die scharfen Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen aus, mit denen der Staat schlanker werden sollte. Obwohl er durch die Verkleinerung des Staatsapparates die Anfälligkeiten für Korruption reduzieren und die Arbeitseffizienz der Beamten steigern konnte, entzog er damit Tausenden von entlassenen Staatsbeamte gleichzeitig ihre Lebensgrundlage (Vanden/Prevost 2009: 201). 12 Die argentinische Arbeiterklasse musste insbesondere seit der Militärregierung starke Rückschläge hinsichtlich ihrer Organisations- und Artikulationsmöglichkeiten hinnehmen. Dabei stand die Zerschlagung der peronistischen Gewerkschaften im Vordergrund, da ihr organisierter Widerstand ein Hindernis für ihr Vorhaben darstellte. Die Gewerkschaften wurden gewaltsam niedergeschlagen, aktive Gewerkschaftsmitglieder nach und nach bedroht und ermordet. Gewerkschaftsbefürwortern wurde letztlich ein Versammlungs- und Organisationsverbot erteilt. Darüber hinaus wurden zukunftsweisende Gesellschaftsmitglieder, Jugendliche, Intellektuelle oder Politiker verfolgt und umgebracht (Boris/Tittor 2006: 24). 49 Zu Beginn der 1990er wies Argentinien bereits eine Armutsquote von 50 %13 auf, die zusammen mit der Arbeitslosenrate von ca. 20 % , der starken Auslandsverschuldung und der Kürzung der Sozialausgaben letztlich eine der schwerwiegenden Gründe für den Zusammenbruch des Staates ausmachte (Geiger 2010: 201). In vielen europäischen Staaten besteht das BIP mindestens zur Hälfte aus Steuereinnahmen. Im Vergleich dazu betrug der Anteil der Einnahmen aus Steuern in Argentinien lediglich 20 %, die übrigen Einnahmen entstammten zu einem großen Teil aus den Exporterlösen (Jost 2003: 35). Zusätzlich zu den starken Steuerrückgängen aus Konsum- und Investitionsgütern und den sinkenden Investitionsraten zu Beginn der 1990er Jahre hinzukommend fielen auch höhere Exportkosten an, die über die Staatseinnahmen nicht mehr gedeckt werden konnten (Kronberger 2002: 6-7). Die Hauptverantwortung für die seit 1996 kontinuierlich ansteigende Verschuldung war in den Ausgaben für den öffentlichen Sektor zu finden. Hinzu kamen hohe Zinsforderungen aus dem Ausland. Der vollständige Kollaps führte zu neuen Strukturanpassungen nach Vorgabe des IWF, und damit zur Umsetzung von partiellen Entschuldungen, Umstrukturierungsmaßnahmen und Umschuldungen (Jost 2003: 59). Auch der verzweifelte Versuch, den argentinischen Peso an den US-Dollar zu koppeln, hatte folgenschwere Auswirkungen auf das wirtschaftliche Stabilisierungsstreben. Entgegen dem Ziel, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Argentiniens zu erhöhen und die Währung zu stabilisieren, endete die Konversion des überbewerteten Pesos in einer Abwertung von 75%. Ende der 1990er war die Kaufkraft der Löhne um 60% gesunken und die Investitionsraten um 40% zurückgegangen (Kaller-Dietrich/Mayer 2012d). Da nun das Geld rapide an Wert verlor, konnte auch kaum mehr mit einer Erhöhung der Staatseinnahmen gerechnet werden. Die fehlende Geldzirkulation bewegte die Bevölkerung zum Handeln, denn die konstante wirtschaftliche und politische Instabilität begann schließlich auch die soziale Situation des Landes stark zu beeinträchtigen (Sukup 2007: 96). Mit Menem gelang es zwar, die Inflation zeitweilig einzudämmen und das Wirtschaftswachstum zumindest nominell voranzutreiben. Die sozialen Probleme, die sich aus der Privatisierung und der Verkleinerung der staatlichen Strukturen ergaben, konnten aber nicht länger überdeckt werden. Jahrelange Spekulationen, Kapitalflucht und preisgünstige Privatisierungen bereiteten dem breiten Wohlstand und den 13 Das Ausmaß der gesellschaftlichen Verarmung zwischen den Jahren 1988 und 1989 war selbst für die instabilen, lateinamerikanischen Verhältnisse aufsehenerregend. Die Geschwindigkeit, mit der die Armutsquote in Argentinien nach oben schnellte, war eine jener sozioökonomischen Entwicklungen, die sogar im von Krisen geprägten Lateinamerika für Aufsehen sorgte. Anfang der 1990er lebte nahezu die Hälfte der argentinischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze (Geiger 2010: 121). Obwohl etwa in Bolivien, El Salvador, Honduras, Guatemala, Nicaragua oder Haiti weit höhere Pro-Kopf-Einkommensverluste hingenommen werden mussten, waren es in Argentinien das Tempo und das Ausmaß, mit denen sich die Verarmung in der Gesellschaft manifestierte (Sommavilla 1996: 256-257). 50 Überresten der peronistischen Wohlfahrtspolitik ein rasches Ende (Kaller-Dietrich/Mayer 2012a). Im Zuge der neoliberalen Reformen löste sich das peronistische Integrationsmodell bis zu den 1990ern fast vollständig auf. Ausgelöst von der Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse, der Arbeitslosigkeit und der Prekarisierung stellten sich Verarmungsprozesse ein, die zunächst nur den geringer qualifizierten Teil der Bevölkerung betrafen. Mit der Freisetzung der gering Qualifizierten ließ sich in der argentinischen Gesellschaft der frühen 1990er ein „neoliberaler Konsens“ erreichen (Svampa 2005: 39), mit dem der soziale Ausschluss einiger Gesellschaftsteile akzeptiert wurde. Magnani erklärte die Auflösung der breiten Mittelschicht mit der Politik der freien Marktwirtschaft, die eine gesellschaftliche Polarisierung favorisierte und dadurch Spannungen und Aggressionen in der Bevölkerung erzeugte. Die anschwellende Masse der Besitzlosen aus Mittel- und Unterschichten sah sich mit einer kleinen Minderheit konfrontiert, die sich ihr Vermögen immer noch kontinuierlich vergrößerte. Zunächst ohne Zugang zu Erwerbsarbeit und geprägt von sozialen Unsicherheiten, mussten insbesondere die Angehörigen der Unterschichten dabei zusehen, wie sich die soziale Schere innerhalb kürzester Zeit stark erweiterte. Im Oktober 2002 fielen lediglich 1,4 % aller Einkünfte auf die ärmsten zehn Prozent der argentinischen Bevölkerung, während zum selben Zeitpunkt die reichsten 10% der argentinischen Oberschicht 38 % aller Einkünfte erzielten (Magnani 2003: 26). Die argentinische Gesellschaft entwickelte sich zu einer exkludierenden Gesellschaft, die für ihren makroökonomischen Fortbestand Verarmung und Ausgrenzung verarmter Teile der Mittel- und Unterschichten in Kauf nahm (Svampa 2005: 48). Anstelle eines Prozesses der sozialen Integration fand eine „fraktionalen Deskollektivierung“ der Gesellschaft statt, bei der argentinische Mittelschichten regelrecht zerschlagen wurden. Der soziale Ausschluss und die Verarmung breiter Teile der Mittelschicht zerstörte die von der peronistischen Sozialpolitik vertretene Idee einer gemeinsamen Identität der Mittelschichten fast vollständig. Das Zusammenwirken der defizitären Entwicklungen führte im Dezember 2001 zur Ausrufung des Staatsbankrottes und damit zur ersten großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise des 21. Jahrhunderts. Mit dem „argentinazo“ zeigten sich nicht nur die sozioökonomischen Implikationen von Krisen in ihren schlimmsten Auswüchsen, es wurden auch zivilgesellschaftliche Reaktionen darauf sichtbar. Die plötzliche Verarmung, von der schließlich weite Teile der argentinischen Mittelschicht betroffen waren, rief zivilen Widerstand hervor, deren Forderungen nach dem Ende neoliberaler Politik und wirtschaftlicher Gier ein gemeinsames Credo kommunizierten: „¡Que se vayan todos!“. In 51 der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 2001 (cacerolazos) übertönte diese Parole den Lärm von Kochtöpfen, die von tausenden entmutigten und frustrierten BürgerInnen geschlagen wurden (Kaller-Dietrich/Mayer 2012d). Über die „Kochtopfdemonstrationen“ (cacerolazos) im Dezember 2001 sollte die Empörung über die zunehmenden sozialen Asymmetrien in der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht werden, die durch die jahrzehntelange Politik der modernización excluyente (Svampa 2005: 49) hervorgerufen wurden. „Die soziale Basis der cartoneros und der piqueteros bildete sich durch die Massen in Verfügbarkeit, die durch die Desartikulation des Arbeitsmarktes entstanden sind. Diese Veränderungen erlebten ebenso die Arbeiter der besetzten Fabriken, die in erster Linie von der Deindustrialisierung betroffen waren, als einen Prozess, der für die 1990er Jahre charakteristisch war. Aber die negativen Konsequenzen betrafen auch die Mittelklassen und zerstörten das Zentrum der sozialen Stratifkation. Von dort aus waren es die so genannten neuen Armen, die seit Mitte der letzten Dekade den Tausch von Gütern und Dienstleistungen in Tauschnetzwerken organisierten“, so Hector Palomino (2005: 20, zit. nach Boris/Tittor 2006: 70). Es war eine neue, soziale Schicht entstanden, in der sich nun all jene Menschen der Mittelund Unterschichten befanden, die strukturell von der Armut betroffen waren. Dieser Schicht waren all jene angehörig, die instabilen Wohn- und Arbeitssituationen gegenüberstanden oder sämtliche Möglichkeiten verloren hatten, ihre Existenz zu sichern (Svampa 2005: 48). María del Carmen Feijoó setzt diese Reduktion der argentinischen Gesellschaft mit dem Rückschritt einem vorindustriellen Gesellschaftssystem gleich, in dem „StaatsbürgerInnen der ersten und der zweiten Klasse generiert wurden“. Die Institutionalisierung der neuen Gegebenheiten verschärfte lediglich die soziale Ausdifferenzierung, besiegelte die Exklusion des benachteiligten Gesellschaftsstrangs und sprach den Reichen das alleinige Reicht auf Staatsbürgerschaft zu, anstelle die bevorstehenden Katastrophe durch sozialpolitische Reformen abzuwehren (Feijoó 2001: 10). Der Aufschrei der Zivilgesellschaft ließ verhältnismäßig lange auf sich warten. Erst in der zweiten Hälfte der 1990er, als die Folgen der neoliberalen Politik für die Bevölkerung nicht mehr beschönigt werden konnten, entwickelte sich ein Widerstandszyklus, der die vereinzelten ereignis- und gruppenzentrierten Protestaktionen abzulösen begann. Die Struktur des Protests veränderte sich den sozioökonomischen Verschlechterungen der 52 Mittelschichten entsprechend. Was zu Zeiten der Militärdiktatur über gewerkschaftliche Kämpfe ausgetragen wurde, verwandelte sich in der Krisenphase ab 2001 in eine Vielzahl von interessenvertretenden sozialen Bewegungen. Schuster und Pereyra machten in ihrem Werk über soziale Proteste in Argentinien darauf aufmerksam, dass zwischen 1983 und 1988 soziale Gegenwehr zu 75 % über gewerkschaftliche Organisationen erfolgte. Die verbleibenden 25 % verwiesen auf Proteste, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen standen. Im Jahre 1994 entfielen nur noch 60 % aller Protestaktionen auf Gewerkschaften (vgl. Sommavilla 1996: 214-216). Gewerkschaftsbewegungen verloren in der fortschreitenden Deindustrialisierung des Privatsektors gesellschaftlich allmählich an Bedeutung. Die zunehmende Korruption der „gordos“ – die sich als Gewerkschaftsbosse bereichert hatten – während knapp die Hälfte der Bevölkerung arm und arbeitslos zurückblieb, war einer der Auslöser für die vielen Massenproteste der piqueteros (Sukup 2007: 99). Mit dem Bedeutungsverlust der Gewerkschaften änderte sich schließlich auch die Protestkultur der Lohnabhängigen im öffentlichen Sektor und in den Provinzen. Die Auseinandersetzungen um Recht und Arbeit wurden zunehmend aggressiver, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen wurden zu einem wesentlichen Bestandteil von Protesten gegen Lohnausfälle und Sparmaßnahmen. Immer mehr Menschen nahmen an den punktuellen und gering organisierten Protesten teil. Mit der zunehmenden Vernetzung und Organisation der Proteste, die auch verstärkte Medienaufmerksamkeit auf sich zog, rückten die Forderungen nach sozialen Rechten immer weiter in den Mittelpunkt. Von der Politik wurde der verstärkte Protest der Bevölkerung zunächst als „natürliche“ Reaktion auf die neoliberale Wirtschaftspolitik verstanden, die sich nach deren Festigung wieder legen würde. Sämtliche Bewegungen, die im Laufe der 1990er entstanden waren, konnten als Reaktionen auf die soziale Destrukturierung interpretiert werden, die allesamt neue Formen der Subsistenzwirtschaft mit sich brachten. Die Strategien und Methoden, die von den verschiedenen Protestgruppen zur Überlebenssicherung eingesetzt wurden, unterschieden sich in der Form ihrer Organisation aber grundlegend voneinander (Boris/Tittor 2006: 70). Als Menem seinem Versprechen, Armut und Arbeitslosigkeit im Land zu bekämpfen nicht nachkam, wurden die Proteste um soziale Gerechtigkeit immer lauter (Boris/Tittor 2006: 69). Die aus dem dissidenten, nicht Menem-freundlichen Arm der CGT entstandene CTA (Central de Trabajadores Argentinos) rief bereits 1993 dazu auf, nun nicht mehr nur 53 ArbeiterInnen zu vertreten, sondern auch die rasant steigende Anzahl der Arbeitslosen und RenterInnen, deren Überleben kaum mehr gesichert werden konnte (Sukup 2007: 99). Mit dem Zerfall der Gewerkschaften traten Arbeitslosenbewegungen (MTD) auf das Feld, welche die Funktion der früheren Gewerkschaftsbewegungen in ähnlicher Weise fortführten und, wie am Beispiel der MTD Solano im Stadtteil Quilmes, oftmals sogar die Verwaltung von staatlichen Arbeitsprogrammen selbstständig übernahmen (Colectivo Situaciones 2003: 90). Über die verschiedenen Arbeitslosenbewegungen wurden Kenntnisse und Erfolge geteilt sowie soziale Netzwerke miteinander verbunden. Ihre internen sowie externen Organisationsweisen folgen keinem einheitlichen Muster und sind in vielen Fällen eher lose als eng. Die Arbeitslosenvereinigung Coodinadora de Trabajadores Desocupados Aníbal (CTD) oder die MTD, aus welchen später die Bewegung der piqueteros hervorgehen sollte, stellen wichtige Beispiele für so schlecht durchstrukturierte Organisationen dar (Colectivo Situaciones 2003: 73). Mit der Bewegung der piqueteros traten auch die städtischen Unterschichten als politische Akteure auf, die ihre sozialen Rechte ohne unmittelbaren Bezug zur peronistischen Sozialpolitik einzufordern suchten. Zwischen 2000 und 2001 weitete sich der soziale Protest auf alle größeren Städte und Provinzen aus, besonders in Buenos Aires war er nicht mehr zu übersehen. Fortan hatten die piqueteros einen festen Organisationskern vorzuweisen. Die Anzahl der besetzten Fabriken häufte sich und die öffentlichen Beschäftigten initiierten in abnehmenden Abständen Streiks von zunehmender Intensität. Nach den Demonstrationen im Dezember 2001 erschienen immer mehr Organisationen und Aktionen, die die bestehenden politischen Machtstrukturen offen infrage stellten. Den Kern dieser Protestkultur formten zweifellos die piqueteros, es gab aber viele andere Initiativen, die sich gegen die bestehenden Zustände wehrten: Stadtteilversammlungen, Menschenrechtsbewegungen wie die H.I.J.O.S oder Plaza del Mayo, die Bewegung der ArbeiterInnen oder die FabrikbesetzerInnen. Über Tauschringe (trueques) wurde solidarökonomisches Wirtschaften praktiziert, indem Güter oder Dienstleistungen gegen andere Dienstleistungen oder Güter getauscht wurden. Außerdem begannen zahllose cartoneros die Straßen von Buenos Aires und anderen Städten zu füllen. Durch die Mobilisierungen und Straßenblockaden der Arbeiterbewegungen, insbesondere jener von MTD (Colectivo Situaciones 2003: 90-93), ab der zweiten Hälfte der 1990er nahmen an der Protestaktionen nicht mehr nur die verarmten Mittelschichten, Erdölarbeiter, 54 Eisenbahner, Textilarbeiterinnen und andere, denen die Existenzgrundlagen durch die menemsche Deregulierungspolitik entzogen worden waren (Sukup 2007: 98), teil. Insbesondere die piqueteros kämpften als politische Akteure neben den bekannten Forderungen nach Arbeit und Recht auch gegen die Individualisierung der sozialen Probleme und gegen die kapitalistische Wettbewerbskultur (Colectivo Situaciones 2003: 93). Durch den politischen Zusammenbruch 2001 begegneten breite Teile der Mittel- und Unterschichten neuen Formen von politischer Partizipation und Entscheidungsfindung. Die öffentlichen Diskussionen in den Stadtteilversammlungen, bei den piqueteros und in den Fabriken verschafften von der Armut betroffenen Menschen aus allen sozialen Schichten vorübergehend Austausch, Solidarität, Beschäftigung und gemeinsame Integration in die wirtschaftlichen Produktionsbeziehungen (Boris/Tittor 2006: 72). Solange sich alle in der gleichen misslichen Lage befanden, gelang es zumindest auf einer allgemeinen Ebene, gemeinsame Forderungen und breite Solidaritätsbekundungen zu formulieren. Obwohl die Hetereogenität der neuen sozialen Akteure eine gemeinsame Organisation und Artikulation verhinderte, veranlasste die Krise breite soziale Segmente dazu, sich in existierende Formen der Subsistenzwirtschaft einzugliedern. Viele von der Armut betroffene Menschen schlossen sich den piqueteros an, um dadurch Nahrungsmittelpakete oder Unterstützungsgelder zu erhalten, gingen mit den cartoneros Abfall sammeln oder beteiligten sich an nachbarschaftlichen Tauschringen (trueques) (Palomino 2005: 22-24., zit. nach Boris/Tittor 2006: 71-72). Später, unter der Regierung von Néstor Kirchner, sollte jene soziale Heterogenität, die die argentinischen Widerstandsbewegungen auszeichnete, langsam wieder abnehmen. Seitdem Kirchner 2003 das politische Ruder übernommen hatte, begannen Wirtschaft und Arbeitsplätze wieder zu wachsen. Das rasche Wirtschaftswachstum (8,7 % im Jahre 2003) bewirkte, dass viele hoch und höher qualifizierte ArbeiterInnen der abgestiegenen Mittelschichten wieder Arbeit fanden und in ihren Alltag zurückkehrten (Boris/Tittor 2006: 72). Mit der Wiederaufnahme der Erwerbsarbeit entsolidarisierten sich breite Teile der Mittelschichten zunehmend von den sozialen Forderungen der verarmten Unterschicht. Ebenso wie sich Erwerbstätige von der zurückbleibenden Unterschicht distanzierten, nahmen sie nach und nach von den Forderungen der Menschenrechts- und der piqueteroOrganisationen Abstand. Zum einen, weil Kirchners anhaltender Populismus für viele ideologisch vertretbaren Ersatz zu bieten hatte. Zum anderen, weil starke Flügel der piquetero-Bewegungen Teil der klientelistischen Strukturen des von Kirchner praktizierten Peronismus wurden. Der regierungskritische Rest der piquetero-Bewegung setzte seine 55 Arbeit gegen Desintegration und soziale Fragmentierung zwar fort, hatte aber erheblich an Einflussgröße verloren. Den vormals starken Stadtteilversammlungen und FabrikbesetzerInnen erging es ähnlich. Einzig die cartoneros hatten kaum an kontroverspolitischer Stärke verloren (Boris/Tittor 2006: 72). 4.1.3 Vom ciruja zum cartonero Die landläufige Entstehungsgeschichte der cartoneros beginnt häufig erst in den 1990er Jahren, je mancherorts bei 2001. Bei endlosen Schlangen an Menschen vor den Restmüllcontainern von Restaurants und Supermärkten, die darauf hofften, Küchen- oder Lebensmittelabfälle erbitten zu können, um sich selbst und seine Familie weiterhin zu ernähren (vgl. Schamber 2008, vgl. Vega Martínez 2012, vgl. Paiva 2008). Was anfangs auf das Konsumieren der Abfälle von Supermärkten oder Restaurants beschränkt war, weitete sich mit der fortschreitenden Arbeitslosigkeit zur massenhaften Sammlung von Wiederverkaufbarem in Müllcontainern und -säcken auf Straßen oder Müllhalden aus. Dass die cartoneros in Buenos Aires an die um 1850 aufgekommene Tradition der quemeros und cirujas anknüpfen, wird oft in den Hintergrund gedrängt. Um das Gebiet der Müllverbrennungsanlage „La Quema“ lebten bereits Ende des 19. Jahrhunderts um die 3.000 quemeros und raneros, Sie durchsuchten den Müll nach Lumpen, Glas, Papier, Plunder und Flaschen, um ihn später an Trödler oder Sammler in der Region zu verkaufen oder Gebrauchsgegenstände daraus zu basteln. Auf diese Weise wurden damals schon viele Gegenstände wiederverwertet, die bereits als Gerümpel auf dem Müllhaufen lagen (Schamber/Suárez 2007: 27-26). Der Begriff ciruja, der etwa ab den 1930er Jahren Verwendung fand, leitete sich aus einer romantischen Analogie zum Beruf des Chirurgen ab. Cammarota vermutete, dass durch diesen Verweis dem Schaffen der „cirjuanos de la basura14“ Ästhetik verliehen werden sollte (Cammarota 1970, zit. nach Schamber 2008: 78). 1926 komponierte Alfredo Marino ein dazu passendes Volkslied, das die quemeros mit dem cirujeo des Chirurgen zusammenführte. Ein mit einem Messer hantierender Abfallsammler versuchte, die Plane eines Müllwagens aufzuschlitzen, damit sie sich öffnete und der Müll herausfallen konnte. Auf Marinos Mythos basierend blieb die ästhetisierte Idee des chirurgischen Abfallsammlers bis in die 1990er erhalten (Schamber 2008: 78). 14 „Chirurgen des Abfalls“ 56 Bis etwa zur zweiten Hälfte der 1990er blieben die Abfallsammelnden überwiegend mit den klassischen Stereotypen behaftet, mit denen AbfallsammlerInnen in anderen Ländern, Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Ägypten, Nigeria und Ghana auch heute noch zu kämpfen haben. In ihrer sozialen Randständigkeit stigmatisiert, wurden sie von der Mehrheit der bonaerensischen Stadtbevölkerung als arbeitslose Herumtreiber wahrgenommen, deren Möglichkeiten zur gesellschaftlichen (Re-)Integration erschöpft waren. Das Hantieren mit gesellschaftlich entwerteten Gegenständen, Müll, brachte sie in direkten Zusammenhang mit Ekel, Dreck und Schmutz (vgl. Santisteban 2008) und war oftmals Grund dafür, dass sie missachtet und gemieden wurden. MüllarbeiterInnen wurden sie mit anderen „dreckigen“, gesellschaftlich marginalisierten Menschen gleichgesetzt: sin techos, Penner, Vagabunden, Clochards oder Bettler, die entweder auf Straßen, unter Brücken oder in villas de emergenica lebten (Schamber 2008: 80). In den 1990ern begann sich das Bild vom ausgestoßenen ciruja allmählich zu ändern. Die überwiegende Mehrheit der AbfallsammlerInnen begann ihre Tätigkeit erst in den 1990ern, als sich eine massenhafte Verknappung der Arbeitsplätze zeigte und die Reallöhne stark zu sinken begannen. Sie durchstöberten den Müll auf den Straßen von Buenos Aires, um darin etwas zu essen oder Gebrauchsgegenstände für den Eigengebrauch oder den Verkauf zu suchen. Unter die strukturell von der Armut betroffenen cirujas mischten sich Personen der Mittelschicht, die im Zuge der Krise ihre Arbeitsplätze verloren. Eine dazu passende Erhebung im Auftrag des städtischen Programa de Recuperadores Urbanos (PRU), das vom Sekretariat für Umweltpolitik und Stadtplanung für die Registrierung der cartoneros beauftragt wurde, erhob 2002, dass über zwei Drittel der 1000 befragten cartoneros erst zwischen 2000 und 2001 mit der Abfallsammlung begonnen hatten. Außerdem zeigte die Untersuchung, dass sich sieben von zehn cartoneros in den letzten fünf Jahren vor der Abfallsammlung in formalen Arbeitsverhältnissen befanden (PRU 2002: 6). Vor dem Hintergrund der vormaligen Erwerbstätigkeit betrachtete Eduardo Anguita die cartoneros als eine von sozioökonomischen Transformationen bedingte Erscheinung, die an steigende Arbeitslosigkeit und Preissteigerung gekoppelt ist (Anguita 2003: 13-14). Wie Anguita führte Mercedes Vega Martínez die Entstehung der cartoneros hauptsächlich auf das Ansteigen der Arbeitslosenrate zurück, die bis zum Jahre 2002 eine regelrechte Masse an Verarmten hervorbrachte, denen die ökonomischen Mittel fehlten, um sich wenigstens das materielle Überleben zu sichern. Sie führte die steigende Anzahl an cartoneros ab den 1990ern auf die fehlenden Einkommensalternativen zurück: „[A]ltísimos niveles de desocupación producen que grandes fracciones sociales no tengan ni quisiera como 57 reproducir su propia vida material. No es que [hay] múltiples formas de superar la crisis”15 (Vega Martínez 2012). Die Gruppe von cirujas, die auf eine lange Sammelerfahrung zurückblicken konnte, hörte innerhalb kurzer Zeit auf als solche zu existieren. Die steigende Menge an cartoneros als Reaktion auf die einschneidende Arbeitslosigkeit machte die AbfallsammlerInnen zur homogenisierten Erscheinungen, die undifferenziert als „neue, soziale Objekte“ (Paiva 2008: 95) wahrgenommen wurden. Um die neuen AbfallsammlerInnen von den strukturellen cirujas zu unterscheiden, wurde eine neue Analysekategorie geschaffen, die vorrangig auf ihre kurzzeitige Tätigkeitsdauer verwies – „cirujas por caída“ („AbfallsammlerInnen durch sozialen Abstieg“) oder „ciruja por circunstancia“ („umstandsbedingte AbfallsammlerInnen“) (Suárez 2001, zit. nach Perelman 2007: 250). Zum „neuen, sozialen Objekt“: Die Geschichten von Noemi und Palacios Das Pärchen Noemi Preyra und Daniel Palacios, die ihren Abfall in Belgrano sammeln, repräsentieren die Geschichte vieler „neuer“ cartoneros. Für das Pärchen war das cartoneroWerden ein graduell verlaufender Prozess, der 1999 mit der Abnahme des Familieneinkommens begann. Auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten begleitete Noemi eine Nachbarin zu den Containern von Restaurants und Supermärkten, um übrige Lebensmittel zu erbitten. Als wegen zu großer Nachfrage keine Nahrungsmittel mehr ausgegeben wurden, begann sie mit einem Einkaufswagen regelmäßige Runden zu drehen und Papier und Karton zu sammeln. Zur Verstärkung der Sammelaktivität nahm sie Leandro, ihren 8-jährigen Sohn, mit (Palacios 2003, zit. nach Koehs 2007: 189-190). Ihre ökonomische Situation begann sich erneut zu verschlechtern, als auch Daniel Ende 1999 seine Stelle als Busfahrer verlor. Zuvor war er nach Arbeitsende zuhause geblieben, um auf ihre zwei weiteren Kinder aufzupassen, während Noemi arbeitete. Ihre finanzielle Lage zwang schließlich die gesamte Familie dazu, der Abfallsammlung regelmäßig nachzukommen. Bevor Daniel selbst mit dem Sammeln begann, empfand er Verachtung 15 „Enorm hohe Arbeitslosenraten haben zur Folge, dass große soziale Fraktionen nicht einmal ihr eigenes, materiales Leben reproduzieren können. Es ist nicht so, dass es viele verschiedene Formen gäbe, die Krise zu überstehen“. 58 gegenüber den „negritos de la calle“16. Heute, zehn Jahre später, betrachtet er sich als einer von „ihnen“ (Palacios 2003, zit. nach Koehs 2007: 189-190): „Es como todo, te acostumbras a todo esto como un proceso. Primero te daña moralmente, ¿no? Que contradictorio, de manejar un colectivo a agarrar un carrito. Moralmente un poco te daña y segundo es custión de adaptarte, de acostumbrarte, como yo siempre digo, mi consuelo – no es consuelo – pero sé que hay gente que está peor que yo. Y bueno, saber que lo que me está pasando a mi es una etapa que pronto se va a superar.“ (Palacios 2003, zit. nach Koehs 2007: 190)17. 2003, fünf Jahre später, fuhr die Familie immer noch jeden Abend mit dem Zug nach Belgrano, um dort den Abfall zu sammeln, der von den Nachbarn bereits getrennt und für sie aufbewahrt wurde. Mittlerweile war Daniel aber als Abgeordneter des Tren Blanco politisch aktiv geworden und nahm an Diskussionsrunden des PRU teil (Palacios 2003, zit. nach Koehs 2007: 190). 4.1.4 Die formelle Abfallwirtschaft von Buenos Aires Der Großraum von Buenos Aires besteht aus mehreren Zonen – Nord, Süd und Ost – die sich wiederum in verschieden große Kreise und Gebiete unterteilen lassen. Der Großraum umfasst die Hauptstadt (Stadt Buenos Aires, Capital Federal) und 24 Landkreise (Provinzen), die zusammen als bonaerensisches Ballungsgebiet (conurbano bonaerense) bezeichnet werden. Das Stadtgebiet von Buenos Aires umfasst 48 Stadtviertel (barrios). Einer Zensuszählung aus dem Jahre 2011 zufolge lebten von 40,1 Millionen Menschen 15,6 im Großraum und 2,9 in der Stadt Buenos Aires. Von 2001 auf 2011 ist die Einwohnerzahl im Großraum um 1,8 Millionen Menschen gestiegen, um 1,7 Millionen in den Provinzen und um 100.000 in der Stadt von Buenos Aires (INDEC 2011). Der Jungfrau der guten Lüfte, der „Virgen de Bonaria von Cagliari“, geweiht, wurde „Buen Ayre“ 1536 vom spanischen Konquistador Pedro de Mendoza auf der Fläche des heute denkmalgeschützten Stadtteils San Telmo im innerstädtischen Börsen- und Geschäftsviertel (landläufig „microcentro“) gegründet. Wegen seines Meereszugangs entwickelte sich Buenos Aires für die spanische Kolonialmacht rasch zum wichtigsten Handelszentrum Südamerikas. Als die spanischen Kolonialherren an Einfluss auf das Land verloren, wurde die Stadt unter Karl III von Spanien zu einem offenen Hafen erklärt. 1776 wurde Buenos Aires zur Hauptstadt des Vizekönigreichs Río de la Plata ernannt. 16 vgl. „Neger der Straße“ 17 „Es ist wie alles andere, man gewöhnt sich an alles. Anfangs trifft es dich moralisch, nicht? Welch Widerspruch, vom Stadtbusfahren zum Handkarrenschieben. Moralisch trifft es dich ein bisschen, danach ist es eine Anpassungsfrage, eine Frage der Gewohnheit. Als Trost sage ich mir immer – es ist eigentlich kein Trost – es gibt Menschen, denen es schlimmer geht wie mir. Und ich weiß, dass das was mir hier passiert nur eine Etappe ist, die bald überstanden ist.“ 59 Zwischen 1856 und 1866 wurde das Bahn- und Busnetz der Stadt ausgebaut. Zu jenem Zeitpunkt wurde auch mit hygienischen und städtebaulichen Vorkehrungen begonnen, um Seuchen und Krankheiten fernzuhalten. 1860 war eine Geldfieberepidemie ausgebrochen, die seines dazu beitrug, dass die Stadt 1870 nicht mehr als 270.000 Einwohner zählte (Levene 1939: 102). Bald darauf, 1880, wurde die Stadt unter dem argentinischen General Julio Argentino Roca zur Hauptstadt Argentiniens erklärt. Um die Jahrhundertwende hatte sich Buenos Aires zu einer der größten und wichtigsten Städte Lateinamerikas entwickelt. Da sich die Modernisierung des Landes vorrangig in Buenos Aires vollzog, ließ sich die Mehrheit der europäischen Zuwanderer in der Hauptstadt nieder. So überschritt Buenos Aires um die Jahrhundertwende als eine der ersten lateinamerikanischen Städte die Millionengrenze (Blum 1998: 176). Im Laufe des 20. Jahrhunderts wuchs die Stadt kontinuierlich weiter, bis sie in den 1990ern eine Urbanisierungsrate aufweisen konnte, die 83 mal höher war als jene der 1930er Jahre. Politisch ist die Stadt Buenos Aires seit 1994 getrennt von den umliegenden Provinzen organisiert. Unter der Nationalregierung von Fernando de la Rúa wurde die Stadt Buenos Aires 1996 zu einer unabhängigen Verwaltungszone („Ciudad Autónoma de Buenos Aires“) mit eigener Verfassung18 (Buenos Aires Ciudad 2012b). Buenos Aires besitzt bis heute keine eigenen Recyclinganlagen. Auf die Möglichkeit zur Wiederverwertung und zur Rückgewinnung von Rohstoffen im Zuge der Abfallsammlung und -beseitigung wurde bisher verzichtet, weil sich für die CEAMSE zu hohe Kosten für die Einrichtung und Erhaltung der Aufbereitungsanlagen ergeben hätten (Alvarez 2011: 7). Das offizielle Recycling erfolgt über die Kooperation des staatlichen Abfallunternehmens Cinturón Ecológico Área Metropolitana Sociedad del Estado (CEAMSE) mit mehreren registrierten Abfallkooperativen (= recolección differenciada). Gleichzeitig mit dem Verbot des individuellen und nicht-konzessierten Abfallsammelns (Municipalidad de la Ciudad de Buenos Aires 1977) startete die Müllverbrennungs- und Müllentsorgungsanlage CEAMSE 1977 als Zusammenschluss von der Regierung von Buenos Aires und den umliegenden Provinzen für den Großraum von Buenos Aires zuständiger Endlagerungsbetrieb. Bevor die 18 Zuvor war Buenos Aires als „Capital Federal“ nationales Hoheitsgebiet, das unter der Herrschaftsgewalt des argentinischen Staates stand. Auch in lokalen verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten waren Gerichte zuständig, die zwar lokal waren, aber von der Nation unterhalten wurden. Der Verfassungsreform im Jahre 1994 wurde auch eine Reformierung des bonaerensischen Verwaltungsrechts angeschlossen. Durch die eigene Verfassung gab sich die Stadt Buenos Aires die gleichen Rechte wie die Provinzen. Die Stadt erhielt die Gerichtshoheit bei Ordnungswidrigkeiten, lokalen Steuern, Nachbarschaftsrechten und verwaltungsrechtlichen Sachverhalten (Junge 2002: 238). 60 Anlage ihre Tätigkeit aufnahm, war es üblich, den städtischen Hausmüll in privaten Müllverbrennungen zu entsorgen. 1978 bekam die CEAMSE den alleinigen Auftrag, den gesamten Müll des Großraums zu beseitigen, zu verdichten und abzulagern (Provincia de Buenos Aires 1978). 1978 und 1979 wurden in der Stadt Buenos Aires und in der umliegenden Provinz weitere Müllhalden und Verbrennungsanlagen angelegt, in denen das Abfallsammeln verboten wurde. Daneben wurde Müll privatisiert. Sobald der Abfall vor die Tür gestellt oder in Container geworfen wurde, wurde er zum Eigentum der CEAMSE. Die CEAMSE sollte fortan das Monopol auf den Müll und die Straßenreinigung besitzen. Wegen der konstanten, finanziellen Engpässe war es der CEAMSE nicht möglich, ihren Fuhrpark soweit auszuweiten, dass sie das steigende Aufkommen an Müll abtransportieren konnte. Ohne Zutun der CEAMSE begannen immer mehr private vom Staat beauftragte Abfallunternehmen den Abfallunternehmen führte Handel zu mit einer Rohstoffen. sukzessiven Die Zunahme Privatisierung der der privaten städtischen Mülldienstleistungen, insbesondere aber des Hausmülls (Schamber 2008: 63-67). Eigene Schätzungen der CEAMSE berichten von einem Zuständigkeitsbereich, in dem sich ungefähr ein Drittel des gesamten argentinischen Müllaufkommens befindet. Die CEAMSE lagert mit ungefähr drei Millionen Tonnen (2010) jährlich den Müll von in etwa 40% der gesamten argentinischen Industrie und 13 Millionen StadtbewohnerInnen. Der firmeneigenen Website war zu entnehmen, dass das Unternehmen zwischen den Jahren 2001 und 2003 Transporteinbrüche verzeichnete, aufgrund derer in etwa 110 bis 120% weniger Müll transportiert wurden als im Jahre 2010 (CEAMSE 2012). Die großflächige Sammlung und Entsorgung von Haus-, Handels-, Verwaltungs- und Industriemüll (Hausmüllerzeuger, „generadores domicilarios“, und große Erzeuger, „generadores grandes“, „generadores comericales“, ...) erfolgt in Buenos Aires über die Kollaboration von der CEAMSE und mehreren privaten Abfallunternehmen. Zwischen 1977 und 2012 hat sich die Anzahl von drei auf sieben erhöht. Innerhalb des städtischen Bereiches werden die Sammlung und der Transport von Müll von Sammelunternehmen vollzogen, die an sechs Tagen einer Kalenderwoche mit Hausmüll gefüllte Abfallcontainer aus bestimmten Zonen der Stadt abholen. In Buenos Aires sind gegenwärtig sieben Unternehmen (CLIBA, AESA de Buenos Aires, UBASUR, NITIDA, EHU, GALU und INTEGRA) für den Transport von Müll zugelassen, unter denen die Sammelzonen der Stadt aufgeteilt wurden. Befördert wird der Müll zu mehreren Sammelstellen, die sich im Besitz des staatlich organisierten Abfallunternehmens CEAMSE befinden (CEAMSE 2012a). Von den städtischen Sammelstellen wird der Abfall zu drei in den Vierteln Colegiales, Flores und 61 Pompeya angesiedelten Transferzentren und später zu den Endlagerplätzen (rellenos sanitaros) gebracht. Im Verzeichnis der Dirección General de Politicas del Reciclado Urbano (DGPRU) befinden sich 14 registrierte Abfallkooperativen19, welche die Sammlung und Trennung von Abfall in Zusammenarbeit mit der CEAMSE betreiben. Die CEAMSE transportiert täglich mehrere Tonnen Abfall zu den Trennungsanlagen (plantas de clasificación) der Kooperativen, welche sich am Gelände der Mülldeponie Norte III befinden. Die Kooperativen El Ceibo und El Álamo haben dabei einen Sonderstatus inne, denn ihre Sortieranlagen wurden nicht am Gelände der Mülldeponie, sondern in der Nähe ihrer Standorte im Stadtzentrum von Buenos Aires eingerichtet wurde. Der Großteil der gesammelten Abfallprodukte wird zu den rellenos sanitarios der CEAMSE gebracht, wo er endgelagert wird (disposición final). Alle vier bis jetzt gegründeten Mülldeponien der CEAMSE (J.L Suárez, Villa Domínico, Punta Lara und La Matanza) befinden sich außerhalb der Stadt in angrenzenden den Provinzen (Alvarez 2011: 10; 14). Neben der monopolisierten CEAMSE existieren im Großraum Buenos Aires über 100 nicht genehmigte Mülldeponien, die auf ein mangelhaftes Entsorgungssystem zurückzuführen sind. Sie sind überwiegend in jenen Vierteln zu finden, wo entweder die Entsorgung unorganisiert ist oder Entsorgungsunternehmen ihre Transportausgaben gering halten wollen (Bierbrauer 2011: 33). 4.2 Formalisierungsprozess Nachdem die Anzahl der cartoneros so rasch gestiegen war, begannen die Medien auf sie aufmerksam zu werden. Der Kampf um die Legalisierung ihrer Arbeit und die Frage um das Arbeitsrecht der cartoneros wurden gegen Ende 2002 somit zu einem wichtigen Thema in der öffentlichen Debatte. Als der Bürgermeister von Buenos Aires Mauricio Macri die bestehende Abfallpolitik bedroht sah, setzte er auf politische Maßnahmen, mit welchen die cartoneros aus der Stadt zu vertrieben werden sollten. Die Einrichtung von mehreren über die Stadt verteilten Sortieranlagen (Centros Verdes) war dabei ein wichtiger Punkt: 19 Cooperativa Ecológica de Recicladores del Bajo Flores (CERBAF), Cooperativa Ecológica Reciclando Sueños, Cooperativa El Ceibo, Cooperativa El Álamo, Cooperativa del OESTE, Cooperativa La Esperanza, Cooperativa Los amigos del tren, Asociación El Amanecer de los Cartoneros (MTE), Cooperativa Sud, Cooperativa El Trébol, Esperanza y Futuro, Ave Fénix (Buenos Aires Ciudad 2012c) 62 „Formar cooperativas no resuelve nada (…) Los vamos a sacar de la calle (…) Tienes que darles una alternativa, como contratar a unos miles para que hagan la separación de residuos dentro de los centros de procesamiento [=centros verdes, R.H.], y no en la calle“ (Mauricio Macri, La Nación, 27. 08. 2002)20. Die Unstimmigkeiten auf Regierungsebene knüpften an jene Streitigkeiten an, die in Bezug auf die Beschäftigung schon lange stattgefunden hatten. Die Kontroversen in der Vergangenheit begründeten sich auf die verschiedenen Konzeptualisierungen der unterschiedlichen Akteure in der Abfallwirtschaft, die sowohl die Interessen, Erfahrungen als auch die Lebenswege der Sammelnden berücksichtigten. 1977, als von der Militärregierung das individuelle Sammeln von Abfall verboten wurde (Schamber 2008: 5960), wurde das Konzept zur städtischen Abfallsammlung zugunsten der beauftragten Sammlerfirmen grundlegend umgestaltet, so dass die Abfallunternehmen begannen, ihre Preise nach gesammelten Tonnen zu gestalten. Nach der neoliberalen Idee sollten alle Schranken abgebaut werden, die den freien Wettbewerb unter den Abfallunternehmen behindern. Zu Zeiten, als Abfallsammeln als eine Tätigkeit der Marginalisierten und als ökonomisch belanglose Tätigkeit angesehen wurde, versuchte man mit Verboten gegen individuelles Abfallsammeln vorzugehen. Mit der krisenbedingten Arbeitslosigkeit 2001 wurde die hohe Beteiligung sichtbar, welche die AbfallsammlerInnen an der Abfallwirtschaft hatten. Die starke öffentliche Erscheinung und der Druck von cartoneros, Kooperativen und dem peronistischen Abgeordneten Eduardo Valdés bewirkte mehrere Initiativen, Tagungen und Konferenzen21, auf denen über die Integration der cartoneros in die formelle Abfallwirtschaft diskutiert wurde. Der Anstoß für das Ley 992 wurde durch Valdés bekanntester Initiative „El trabajo no es basura“ gegeben, im Zuge derer wichtige Vertreter der Abfallwirtschaft das Ley 992 ausverhandelten. Valdés versuchte zwischen 2000 und 2002 mit mehreren, darunter auch gescheiterten, Initiativen, die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen, dass Abfallsammlung ebenso eine Form von Arbeit ist, wie jede andere auch (Koehls 2007: 200-201). 20 „Die Gründung von Kooperativen ist kein Lösungsansatz. Dies ist ein Millionengeschäft und die cartoneros nehmen darin eine kriminelle Position ein, weil sie den Müll rauben. Zudem zahlen sie weder Steuern noch kann die Tätigkeit, die sie ausüben, als human betrachtet werden. Die informellen AbfallsammlerInnen sollen nicht auf den Straßen sein. Wir werden sie von den Straßen holen. Man muss ihnen dafür eine Alternative bieten, wie zum Beispiel einige Tausend unter Vertrag zu nehmen, die die Trennung des Abfalls dann in den Verarbeitungszentren („centros verdes“) vollziehen, und nicht auf der Straße“ (R.H.). 21 „El trabajo no es basura“, „Reciclando valores“ vom Ministerio de Trabajo y Seguridad Social, Comisión Nacional para la Erradicación de Trabajo Infantil, „I Jornada de Debate Público sobre Reciclaje“ - Fundación Ciudad „Cartoneros por la vida“ - Centro Cultural Ricardo Rojas (UBA). 63 Von der Erkenntnis geleitet, dass Repression von und Gewalt gegen die zunehmende Menge von cartoneros weder das Weiterfunktionieren der formalen Abfallwirtschaft sicherzustellen vermochten, noch die soziale Situation der AbfallsammlerInnen verbessern würde, nahm die Politik von der Ausgrenzungspolitik Abstand und bemühten sich in Form umweltpolitischer Recyclingstrategien darum, ein integratives Regelwerk zu schaffen, das sowohl die recuperadores urbanos als auch die cartoneros in die städtische Abfallwirtschaft miteinbezog (vgl. Paiva 2008: 51-52). Mit dem Ley 992 sollten einige Verbesserungen an der prekären Arbeitssituation der cartoneros gemacht werden. Die wichtigste Errungenschaft dieses Erlasses war zunächst die Aufhebung des Verbots des individuellen Abfallsammlung und die Legalisierung der cartoneros individuales (Garbois 2012), ohne ihre expliziten Tätigkeitsfelder genau abzustecken. Mit der Legalisierung wurde auch angedeutet, dass die Regierung eine Zusammenarbeit des städtischen Abfallunternehmens CEAMSE mit den privaten Abfallunternehmen und den individuellen Abfallsammlern anstrebte (Reynals 2003: 47). Zusammen mit der Legalisierung im Jahre 2002 wurden Maßnahmen eingeführt, die die Arbeit erleichtern und systematisieren sollten. Mit Martin Medina können die wesentlichen legislativen Veränderungen mit dem Ley 992 in 16 Punkten zusammengefasst werden (2007: 173-174): 1. Das Abfallsammeln in der Stadt Buenos Aires wurde zu einer legalen Tätigkeit. 2. Ein neuer Ansatz zur städtischen Abfallwirtschaft wurde vorgestellt, der die Wiederwertung von Abfallprodukten vorsah. 3. Individuen, Kooperativen und andere Abfallsammelnden wurden als solchen anerkannt. 4. Die Stadt Buenos Aires erhielt den Auftrag, gemeinsam mit anderen Regierungen und Organisationen Programme auszuarbeiten, die den Abfallsammelnden Unterstützungen bieten sollten. 5. Die Ausarbeitung eines Plans zur Trennung von Abfall am Ort seiner Entstehung wurde angeordnet. 6. Ein Bildungsprogramm wurde gestartet, das über die Bedeutung des Recyclings für den Umweltschutz informieren sollte. 7. AbfallsammlerInnen können sich als solche registrieren lassen, sie erhalten damit einen offiziellen Ausweis als Abfallsammelnde und Arbeitskleidung. 8. Ein Beratungsstelle wurde eingerichtet, die Abfallsammelnde Hilfestellungen für 64 Gründungen von Kooperativen und Kleinunternehmen, Marketing und Gesundheitsschutz gibt. 9. Die Sammlung, der Verkauf und die Verwendung von Lebensmittelabfällen wurden verboten 10. Das Programa de Recuperadores Urbanos (PRU) wurde eingerichtet. 11. Registrierte AbfallsammlerInnen erhielten die Erlaubnis, Abfall vom den Straßen zu sammeln und mit Haushalten, Handelsbetrieben und Organisationen das Vorrecht auf ihren Abfall auszuhandeln. 12. AbfallsammlerInnen wurde es verboten, Abfall aus Krankenhäusern oder anderen gesundheitsgefährdend Einrichtungen zu sammeln. 13. Neben dem Hauptsitz des PRU wurden auch Bezirksbüros eingerichtet, in denen sich die cartoneros registrieren können. 14. Der Stadt Buenos Aires wurde das Recht zugesprochen, in bestimmten Bereichen der Stadt Konzessionen für die Sammlung von Abfall zu vergeben. Das Vorrecht wurde bereits ansässigen Kooperativen, Mikrounternehmen oder Individuen zugesprochen. 15. Die Bezirksbüros des PRU wurden dazu verpflichtet, das Register der AbfallsammlerInnen zu warten und ihre Aktivitäten sowie Arbeitsbereiche zu überwachen. 16. Ein Register für Kooperativen und Mikrounternehmen (Registro Permanente de Cooperatives y Pequeñas y Medianas Empresas, REPYME) wurde eingerichtet. Mit der Anerkennung der AbfallsammlerInnen und der Integration der cartoneros in die Abfallwirtschaft wurden die cartoneros offiziell zu einem Teil der bonaerensischen Abfallwirtschaft und ihr Tätigkeitsfeld öffentlich benannt. Trotz des Ley 992 zeigte sich bei der Erneuerung der Konzession zur städtischen Sauberkeit im Jahre 2003, dass kein entschiedenes Interesse zur Integration der selbstständigen AbfallsammlerInnen bestand. Die Verträge mit den Abfallunternehmen wurden verlängert. Die Abfallunternehmen blieben damit weiterhin die wichtigsten Kooperationspartner der CEAMSE. Den Abfallunternehmen wurde weiter noch die Sammlung von Abfall aus der Gastronomie und von öffentlichen Einrichtungen zuerkannt, während den cartoneros weiterhin keine präzise Regulierung ihrer Arbeit, vor allem aber keine Sicherheiten und Rechte zugesprochen wurden, wenn sie nicht Mitglied einer Kooperative waren (Reynals 2003: 47-48). Unter dem Druck verschiedener NGOs wurde 2005 schließlich ein Gesetz (Ley 1854 de 65 Gestión Integral de Residuos Sólidos Urbanos, auch Basura Cero genannt) erlassen, das mit der allgemeinen Absicht, die Mülldeponien in Buenos Aires zu verkleinern und das Umweltbewusstsein der Stadt zu vergrößern, die Abfallsammlung der cartoneros in Teilbereichen regulierte. Die zentralen Aspekte der Novellierung des Abfallgesetzes waren die Abfallvermeidung, seine bewusste Trennung und die Steigerung der Wiederverwertungsund Sammlungsaktivitäten von Abfallprodukten. Das Gesetz sah eine 1,5 Million Dollar teure Umstrukturierung der Abfallorganisation vor, die alle Bereiche des Müllzyklus, von der Entstehung, über die Sammlung, das Recycling, bis hin zur Ablagerung, betraf. Mit dem Gesetz wurde begonnen, Gruppen von Arbeitenden formalisierte Regeln vorzuschreiben. Die rechtlichen Veränderungen im Gesetz „Basura Cero“ stellten registrierte AbfallsammlerInnen in den Mittelpunkt der differenzierten Abfallsammlung und leiteten Initiativen ein, mit denen die Arbeitsbedingungen der recuperadores urbanos verbessert werden sollten. Damit wurde festgelegt, dass jeder cartonero eine Zone zugewiesen bekomme, in der er/sie arbeiten darf und staatlich finanzierte Transportmittel (Tren Blanco und Kleinlaster) eingeführt, die er/sie für den Weg vom Wohn- zum Arbeitsort und zurück benutzen konnten. Zudem wurde den recuperadores urbanos die Inklusion in die Sammelwirtschaft und das Vorrecht auf die Sortierung von Müll und Abfall zugesprochen und Kredite und Substitutionen für Abfallkooperativen und Klein- und Mittelbetriebe in der Abfallwirtschaft bereitgestellt (Cutina 2011: 108). Mit der deklarierten Integration der recuperadores urbanos in die formelle Abfallwirtschaft von Buenos Aires wurden die ersten normativen Schritte ergriffen, um die Vormachtstellung der privaten Abfallunternehmen anzugreifen. Mit dem Gesetz Basura Cero wurde ebenfalls festgelegt, dass das Sammeln und Wiederverwerten durch die cartoneros in speziellen Sortierzentren, den Centros Verdes para Recuperadores („Grüne Zentren für AbfallsammlerInnen) stattfinden sollte, während die geregelte, großräumige Sammlung den Abfallunternehmen vorbehalten blieb. Mit dem Gesetz wurde den Abfallunternehmen auch die Zulieferung zu den Centros Verdes vorgeschrieben, wo die cartoneros das angelieferte Material anhäufen, bearbeiten, trennen, lagern und später an den Rohstoffmarkt verkaufen. Das Programa de Gestión de Centros Verdes (PGCV) sollte die Umsetzung, die Sicherheit, und die Einhaltung von rechtlichen Rahmen kontrollieren. Mit dem Programm wird den Kooperativen garantiert, dass sie Centros Verdes erhalten, sie ihnen zu bestimmten Zeiten zugänglich sind. Die Kooperativen 66 sind dazu verpflichtet, einen jährlichen Arbeitsplan aufzustellen, in dem jene Ausgaben aufgelistet sind, welche von der Regierung finanziert und über einen Fonds vollständig gedeckt werden. Die Versorgung der Kooperativen mit Abfallprodukten erfolgt nach der Anzahl der ArbeiterInnen in der entsprechenden Kooperative (Ciudad Buenos Aires 2005: 21). Das Gesetz betrachtete diese Zentren als Zwischenstationen zwischen der differenzierten Sammlung und Trennung und der Wiedereingliederung des Materials in die Industrie als Sekundärrohstoff (Cutina 2011: 109). Centros Verdes waren ein wichtiges Instrument für die Einrichtung eines gemischten formalen Abfallsystems. Die Centros Verdes werden von der Stadtregierung als Einrichtungen mit reduzierten Interaktionsschritten zwischen Sammlung und Wiederverwertung verstanden. Der Weiterverkauf von Materialien an Zwischenhändler oder Verwerter wird wiederum von einer Vereinigung von recuperadores urbanos betrieben. Das Ziel der Einrichtung von Centros Verdes sollte sein, die Abfallsammlung zu regeln und die Konzentrationszentren des informellen Abfallhandels zu zerschlagen. Mit der Einrichtung von Centros Verdes suchte die Regierung die Konflikte in der Abfallwirtschaft zu reduzieren und der Sammlung ein sozialeres Profil zu geben (Ciudad Buenos Aires 2012e). Mit der Einrichtung der Centros Verdes wurden die öffentlichen Konflikte um den Abfall wie erwartet reduziert, die Durchsetzung des Errichtungsvorhabens generierte aber eine neue Form von Konflikten. StadtbewohnerInnen aus bürgerlichen Vierteln, in welchen ein solches Zentrum eingerichtet werden sollte, warfen der Idee vor, sie würde das Bild und die Lebensqualität des betroffenen Stadtviertels schädigen. Die offenen Auseinandersetzungen um die Eröffnung des ersten Zentrums führten zu einer Umgestaltung der Pläne zur integrierten Abfallwirtschaft und zur Einrichtung von nur drei Centros Verdes (Cooperativa El Ceibo, Cooperativa El Álamo und Cooperativa del Oeste y Reciclando Sueños) und einer Sortieranlage (planta de clasificación de materiales) in der Stadt von Buenos Aires (Cutina 2011: 110). Da das Basura Cero-Gesetz nur recuperadores urbanos in der integrierten Abfallwirtschaft berücksichtigte, entstanden zwischen 2005 und 2006 kontroverse Debatten über die effiziente und effektive Organisation der gesamten Abfallwirtschaft. Die Diskussionen brachten 25 Organisationen und Verbindungen aus Akademikern, Nichtregierungsorganisationen, Regierungsfunktionären, UnternehmerInnen und cartoneros (INTI, CAI, Greenpeace, AIDIS, FARN, CEAMSE, CEMA, ARS, GAIA, COPAARA, Cooperativa El Ceibo, Cooperativa CERBAF, Cooperativa El Álamo, Cooperativa Nuevos 67 Rumbos, und andere) hervor, die gemeinsam versuchten, die Abfallpolitik in partizipativer Form zu gestalten. Am 27. Mai 2007 wurde die erste Plenarsitzung von den jeweiligen Interessensgruppen abgehalten, in den sich die VertreterInnen zu sechs Subkommissionen zusammenfanden (Cutina 2011: 114). Da das Basura Cero – Gesetz die formell beauftragten Abfallunternehmer begünstigte und die vielen nicht registrierten cartoneros nicht berücksichtigte, wurden 2007 schließlich die privaten Verträge mit den beauftragten Abfallunternehmen aufgelöst und ein öffentlicher Vertrag mit den Abfallkooperativen geschlossen (Garbois 2012). Bis zum Jahr 2005 bezahlte die CEAMSE den beauftragten Abfallunternehmen nach Gewicht. Mit der Zunahme der cartoneros konnten die Abfallunternehmen immer weniger Abfallprodukte sammeln und erlitten starke Einkommenseinbußen (Bierbrauer 2011: 33). Statt die formellen-informellen Konflikte um den Abfall zu lösen, verstärkte die Politik die Konflikte durch neuen Konzessionen lediglich. Durch das steigende Interesse der Politik, intensiver Umweltpolitik zu betreiben und die Mülldeponien mengen- und flächenmäßig zu verkleinern, fürchteten profitorientierte Sammler-, Recycling- und Transportunternehmen Einbußen in ihren Wirtschaftsbilanzen (The Argentina Independent 2012). Auf dem Gesetz basierend wurden 2005 vom Ministerium für Umwelt und öffentlichen Raum mehrere laufende Programme entwickelt, welche für die Formalisierung der Arbeit der cartoneros, somit auch für ihre soziale Integration bedeutend waren. Es wurde das „Programa Integral de Logística“ (PIL) gestartet, mit welchem der Transport von Materialien und Personen zu und von den Zonen oder Kooperativen garantiert wurde. Pro Zone wurde ein Kleinlastwagen zur Verfügung gestellt. Sollten die bereitgestellten Transportmittel mit den Arbeitszeiten der in Kooperativen arbeitenden recuperadores urbanos nicht korrelieren, wurde ihnen die Möglichkeit gegeben, die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos zu benutzen. Über ein anderes Programm zur Bekämpfung von Kinderarbeit (Programa de Erradicación del Trabajo Infantil, PETI) wurden Kindergärten in den Centros Verdes eingerichtet und langfristig finanziert. Mit dem Programm (Programa de Inclusión Social Integral, PISI) wurden minimale Arbeitsstandards für alle in Kooperativen arbeitenden recuperadores urbanos festgelegt. Die staatlich finanzierten Unterstützungsleistungen umfassten über den Erhalt einer vergünstigten Sozialversicherung, eine Versicherung für Arbeitsunfälle, Arbeitsbekleidung und Arbeits- und Gesundheitsschutzvorkehrungen. Gelten sollte dies für jedes Mitglied der Kooperative, umgesetzt werden aber von den Kooperativen selbst (Ciudad Buenos Aires 2005: 20-21). 68 Gegen Ende 2006 wurde ein Plan eingeführt, der Plan der Containerisierung (Plan de contenerización), der den partizipativen Prozess fördern sollte. Mit der Aufstellung von Containern in der Stadt von Buenos Aires sollte der Abfall bereits am Ort seiner Entstehung, vor den Eingangstüren von Wohnhäusern, Geschäften, Hotels und administrativen Gebäuden, von der Stadtbevölkerung selbst sortiert werden. Mit Ende 2006 wurden ungefähr 25% der Stadt mit Containern versorgt, Ende 2009 waren es bereits 60%. Der Inhalt der Container für recycelbare Materialien wird von zuständigen Abfallunternehmen an die Centros Verdes weitergeleitet. Mit der Aufstellung der Container wurde es Sortierenden in Centros Verdes zum einen möglich, schneller Zugang zu Abfallprodukten zu erhalten. Zum anderen vereinfachte es zugleich den Zugang zu vorsortiertem Abfall in Containern (Cutina 2011: 115). 4.3 Analyse der Veränderungen von Arbeits- und Lebensverhältnisse Im folgenden Kapitel werden die Einflüsse der legislativen Veränderungen auf die Arbeitsund Lebensbedingungen der cartoneros und der recuperadores urbanos untersucht. Das Zentrum der Analyse bilden zum einen aus dem Konzept der urbanen Subsistenz erschlossene Indikatoren für die Arbeits- und Lebensverhältnisse der cartoneros: Einkommen, Zugang zum öffentlichen Raum, Abfall und Betriebsmittel, Investitionskosten und Kapitalakkumulation, Arbeitsorganisation. In der breiteren theoretischen Auseinandersetzung mit den Organisationsstrukturen der informellen Ökonomie wurden noch weitere Indikatoren identifiziert, welche nicht implizit in Kokot's und Wonneberger's Konzept zur urbanen Subsistenz vorkommen, das Indikatorenset zur Betrachtung von Arbeits- und Lebensverhältnissen aber abrunden werden: wirtschaftliche Netzwerke, Identität und politische Organisation. Die Indikatoren dienen der systematischen Bearbeitung der Veränderung der Arbeits- und Lebensbedingungen durch den Formalisierugsprozess. Systematische Bearbeitung meint die Wiederholung von drei Schritten auf jeden einzelnen Indikator: 1. Darstellung der Ausprägung des Indikators vor dem Formalisierungsprozess 2. Heranziehung der relevanten Aspekte aus dem Formalisierungsprozesses für den Indikator 3. Analyse der Veränderung der Indikatorausprägung und Interpretation Zum anderen erfolgt die Analyse über selbst erhobene Daten aus Befragungen und Beobachtung im Feld. 69 4.3.1 Einkommen Vor der Formalisierung war die Höhe des Einkommens aller cartoneros, auch jener in Kooperativen (vgl. Paiva 2008: 93), von einer Vielzahl von Faktoren abhängig (Górban 2009; Schamber/Suárez 2007: 3). Laura von Bierbrauer ermittelte in ihrer ethnografischen Untersuchung zu den cartoneros eine Reihe von Faktoren, welche das Einkommen der cartoneros beeinflussten (2011: 81): - das Ausmaß der Arbeitstage und Arbeitszeiten - Zone und Uhrzeit der Sammlung; je später die Sammlung, desto weniger wertvolle Abfälle waren noch übrig - die Anzahl der eigenen Klienten - die Höhe der Rohstoffpreise - die Auswahl des Zwischenhändlers und/oder des Lagerbetriebs - die Kosten des Transportmittels - Wetter und Jahreszeit; Schlechtwetter und Kälte behindert die SammlerInnen in ihrer Arbeit, im Sommer ist das Müllaufkommen generell geringer - Gesundheitszustand und Alter; ältere und/oder gesundheitlich beeinträchtige Menschen arbeiteten langsamer und sammelten daher weniger - Konflikte mit anderen Unternehmen, Nachbarn, ArbeitskollegInnen oder staatliche Eingriffe. Rohstoffpreise sind entscheidende Einflussfaktoren für das Ausmaß der Abfallsammlung. Die Preise der meisten Rohstoffe für die Industrie werden am Weltmarkt ermittelt und sind daher in den meisten Ländern einheitlich. Bei global wenig differenzierten Rohstoffpreisen ist in Ländern mit niedrigem Lohnniveau Recycling eine weitaus profitablere Tätigkeit als in Ländern mit hohem Lohnniveau (Porter 2002: 131). Nach der Peso-Abwertung 2001 brach in Argentinien der Import von Primärrohstoffen zusammen und die Preise für Sekundärrohstoffe aus Abfall begannen rapide zu steigen (Reynals 2003: 45). Nach Suárez entwickelte sich der Sekundärrohstoffhandel für einige wenige AbfallunternehmerInnen fortan zu einem lukrativen Geschäftsmodell. Der Kilogrammpreis für gesammeltes Papier stieg im Jahr 2001 von fünf auf 40 centavos, das Kilogramm Karton von vier auf 57 centavos, Metalle und Legierungen wie Bronze oder Aluminium wurden teilweise um bis zu 160% teurer gehandelt als vor der Krise (Suárez 2001: 10). Aus einem Blog-Eintrag einer 70 Stadtzeitung gingen Schätzungen über die Gewinnverteilung in der Abfallwirtschaft hervor. Diesen Schätzungen zurfolge beläuft sich das gesamte Abfallgeschäft seit 2001 auf ca. 500 Millionen Pesos (entspricht circa 80 Millionen Euro) pro Jahr. Die cartoneros selbst verdienten daran nur etwa 80 Millionen Pesos, also rund 13 Millionen Euro. Die verbleibenden 420 Millionen Pesos verteilten sich auf die Gesamtheit der Zwischenhandelsbetriebe (Mi Belgrano 2002). Eduardo Anguita (2003: 133) führte in seiner Analyse zur Organisation der cartoneros an, dass Zwischenhändler eine Vermittlerrolle zwischen den cartoneros und den großen Industriebetrieben einnehmen, aus der sich hoher Profit schlagen lässt. Sie kaufen das Material zu billigsten Preisen von den cartoneros ein und verkaufen es für das Doppelte oder mehr weiter. Er basiert seine Feststellungen auf dem konstanten Vergleich von Ein- und Verkaufspreisen von Materialen. 2000 betrug der Einkaufspreis für ein Kilo Papier beispielsweise zwischen fünf und sechs centavos, es für ungefähr zwölf centavos weiterverkauft wurde. Die Differenz von sechs oder sieben centavos entfiel auf den jeweiligen Zwischenhändler. Da die Zwischenhändler das Material an die Betriebe in Tonnen weiterverkaufen, ergab sich für sie schließlich ein Gewinn pro Kilogramm, der das Einkommen des cartonero um ein Vielfaches überstieg. Je größer das gehandelte Abfallvolumen der Kooperative im Allgemeinen ist, umso besser ist ihre Preisverhandlungsbasis gegenüber der Industrie. Auf seine Berechnungen basierend schätzte Anguita, dass sich die Einkommensunterschiede zwischen cartonero und Zwischenhändler um bis einem 200-faches unterscheiden können. In Sommermonaten, wenn das Geschäft weniger gut läuft, ist das Einkommen der cartoneros generell geringer als in Wintermonaten oder zu Schulbeginn, wenn der Konsum und damit die Abfallmenge höher ist. Er stellte fest, dass Zwischenhändler auch heute noch bis zu 100.000 Pesos im Monat verdienen können, während cartoneros im Durchschnitt zwischen 400 und 800 Pesos im Monat erarbeiten können (Anguita 2003: 133). In den Gesetzesnovellierungen zur integrierten Abfallwirtschaft wird das Einkommen der AbfallsammlerInnen ausschließlich im Zusammenhang mit jenen recuperadores urbanos thematisiert, die Mitglieder einer Kooperative oder zumindest als recuperadores urbanos im Verzeichnis des PRU registriert sind (vgl. Medina 2007: 173-174; vgl. Koehls 2007: 200201). Das Ley 992 gibt den recuperadores urbanos das Recht, mit Nachbarn oder großen Erzeugern Sammelprivilegien für ihre Abfallprodukte auszuhandeln. Die Konsequenz daraus ist die konstante Sicherung einer bestimmten Menge an Materialien und damit an 71 Einkommen. In Kooperativen ergeben sich für recuperadores urbanos grundsätzlich die Möglichkeiten, in Sortieranlagen/Centros Verdes oder in der Straßensammlung zu arbeiten. In Sortieranlagen und Centros Verdes werden recuperadores nach Arbeitszeit bezahlt. Die Schwankungen im Einkommen in Sortieranlagen sind laut Paiva auf die unterschiedliche Lohnpolitik der einzelnen Kooperativen zurückzuführen (Paiva 2008: 161-163). Aus eigenen Unterhaltungen mit recuperadores urbanos in den Sortieranlagen im Relleno Norte III der CEAMSE (siehe Abfallwirtschaft von Buenos Aires) ging hervor, dass das Einkommen der Sortierenden monatlich zwischen 1.200 und 1.500 Pesos beträgt. Je nach Kooperative ergeben sich für die recuperadores in der Straßensammlung auffällige Ungleichheiten. Die staatlichen Förderungen von Abfallkooperativen sollten zu höherem Einkommen der recuperadores urbanos führen, Schamber und Suárez führen aber an, dass Kooperativen ihren Straßensammelnden gegenüber häufig wie Zwischenhandelsbetriebe auftreten, nicht pauschal sondern nach Mengen verrechnen und Preise für die eingekauften Materialien niedrig halten (Schamber/Suárez 2007: 41). Wenige andere, wie Gespräche mit den Straßensammelnden der Kooperative „El Ceibo“ ergaben, bezahlen feste Tages- oder Wochensätze an ihre cartoneros und gewähren ihnen dieselben Zulagen wie den Sortierenden in den Anlagen (Lucia und Julio 2012). Es sei aber darauf verwiesen, dass diese Form von Lohnpolitik die Ausnahme darstellt und nur wenige Kooperativen betrifft (vgl. Interview mit Lampasona 2012; Paiva 2008: 159-160; Fajn 2002: 20, Interview mit Vega Martínez 2012). Sammelabsprachen waren und blieben auch zwischen den „alten“ cirujas und den Anwohnern in ihren Sammelzonen gängige Praxis und bringen ihnen daher nicht zwingend Nachteile gegenüber an Kooperativen beteiligten cartoneros. Material- und Einkommensnachteile ergeben sich für jene cartoneros, die sich weder in Kooperativen befinden, noch über längerfristige Beziehungen zu Zwischenhändlern verfügen. Einkommensvorteile für cartoneros in Kooperativen entstehen beim Weiterverkauf von Materialien an die Zwischenhandelsbetriebe oder die Industrie, da die Anzahl der Zwischenhandelsinstanzen wegen der Größenvorteile der Handelsmengen geringer ist. Die Veränderung der Kooperationsverträge (2007) hin zu einer Konzessionsvergabe für Kooperativen und Mikrounternehmen hatte erhebliche Einflüsse auf die Einkommen der Arbeitenden in einer Kooperative, da die Kooperativen ab 2007 konstanten Zugang zu Abfallprodukten hatte. 72 Als Mitglieder einer Kooperative steht den cartoneros seit 2001 freier Transport vom und zum Arbeitsort zu, womit ihr Einkommen mit einer Ausgabe weniger belastet wird. Cartoneros individuales, die nicht für Kooperativen sammeln, profitieren nicht von den Transportkostenbefreiungen und müssen je nach Transportmittel zwischen 18 und 50 für den Transportweg aufbringen (Bierbrauer 2011: 81). Für cartoneros individuales ist das Einkommen nach wie vor der Formalisierungsphase der von Laura von Bierbrauer ermittelten Faktoren abhängig (siehe Kapitelanfang). Die ökonomische Situation des Haushalts bestimmt über die Häufigkeit der Sammlung. Ist die Abfallsammlung die einzige Einnahmequelle, erfolgt die Sammlung wesentlich öfter als bei anderen cartoneros, die in weniger regelmäßigen Abständen zusätzlichen Gelegenheitsarbeiten nachgehen und das Abfallsammeln weniger häufig für die Erhaltung ihrer Existenzen benötigen. In einer Studie der IOM/UNICEF aus dem Jahre 2005 zeigt sich, dass die Wochentage – darunter vorzugsweise Freitage – die meist frequentierten Sammeltage sind (IOM/UNICEF 2005: 35). Der Grund dafür liegt in den Geschäfts- und Handelszeiten, in denen große Mengen an Verpackungsabfällen anfallen. Eigene Beobachtungen ergaben, dass vor allem in der näheren Umgebung von Handels- und Geschäftszentren zu Schließzeiten starke Konzentrationen von cartoneros anzutreffen ist. In der Regel verläuft die Sammlung von Materialien gezielt, bei erhöhtem Einkommensbedarf wird aber alles eingesammelt, das ökonomischen Wert hat. Bleiben die Rohstoffpreise für bestimmte Materialien über einen längeren Zeitraum niedrig, greifen die AbfallsammlerInnen oft zu Manipulationsstrategien, die das Gewicht oder die Qualität der Materialballen höher erscheinen lassen (Schamber 2008: 95). Besteht weniger Dringlichkeit, das gesammelte Material in Geld umzusetzen, werden die gesammelten Waren häufig zu einem günstigen Zeitpunkt – wenn die Rohstoffpreise für bestimmte Gegenstände gerade hoch sind – verkauft (Paiva 2008: 129-130). Mit der Formalisierung wurde an den bestehenden Strukturen nichts verändert. Sämtliche Sozial- und Förderleistungen für cartoneros individuales stehen in keiner direkten Verbindung mit dem Abfallsammeln (Reynals 2003: 46). Unterstützungszahlungen für cartoneros individuales betragen bis zu 1.500 Pesos im Monat und sind Teil verschiedener staatlicher und städtischer Förderprogramme für einkommensschwache Bevölkerungsmitglieder, die infolge der Krise eingerichtet wurden: Plan Trabajar (I,II,III), Planes Jefas y Jefes de Hogar, Barrios Bonaerenses (vgl. Schamber 2008: 21) 73 Eine Untersuchung der IOM und der UNICEF zu den informellen Sammelaktivitäten in Buenos Aires zeigte, dass Kinder häufig zur Arbeit mitgenommen werden, um so das Einkommen des Haushalts durch ihre Mitarbeit zu verbessern (IOM/UNICEF 2005: 35). Für Sortierende recuperadores urbanos in Kooperativen wurden seit 2005 vom Staat finanzierte Tagesstätten eingerichtet, in denen Kinder während der Arbeitszeit abgegeben werden können (Cunita 2011: 114). Zwischen 2001 und 2010 waren die Sekundärrohstoffpreise wieder leicht rückläufig, so auch die Anzahl der cartoneros. Der Rückgang der cartoneros zwischen 2001 und 2010 lässt sich aus den fallenden Preisen im Rohstoffsektor erklären, der am Preisverfall von Karton am deutlichsten abzulesen ist: Während der Kartonpreis 2003 in seinem Zenit den Preis von 30 centavos erreichte, konnte er 2011 zu nur noch sieben centavos gehandelt werden. Silvia Gómez (2009) führt den rasanten Preisverfall von Sekundärrohstoffen auf die globale Weltwirtschaftskrise zurück, im Zuge derer auch der hohe Konsum der bonaerensischen Stadtbevölkerung viele Einschnitte erlitten hatte. Um die Einkommenseinschnitte geringfügig ausgleichen zu können, versuchten vor allem die cartonero-Kooperativen, höhere Subventionen einzufordern. Aus Verhandlungen zwischen der Stadtregierung und Kooperativen wurden Zuwendungen von 200 Pesos für etwa 900 recuperadores urbanos in der Straßensammlung erreicht (Gómez 2009). 4.3.2 Investitionskosten Aus der Literatur nicht hervor, ob zum Jahre 2005 Förderprogramme für Abfallkooperativen oder Mikrounternehmen existierten. Mit dem Ley 992 wurden 2002 lediglich spezielle Sammelkonzessionen für bereits etablierte Kooperativen vergeben, die im betreffenden Stadtgebiet bereits ansässig waren. Entsprechende Hinweise darauf gingen aus dem Gespräch mit María Julia Nevarra von der Kooperative „El Ceibo“ hervor: „Antes [de la fundación de la cooperativa en 1989, Anm. RH] no teníamos nada y siempre hemos vivido en casas tomadas (…) Todo cambió en el 2001, fue en ese tiempo de quiebra con esta la inflación enorme. A nosotros nos favoreció, nos elevaron”22 (Navarro 2012). Seit 2005 22 „Bevor [die Kooperative 1989 gegründet wurde] hatten wir nichts und besetzten Häuser. (…) 2001, zu Zeiten des Bankrotts und der enormen Inflation, änderte sich alles. Die Krise begünstigte uns, sie [die Regierungen] haben uns aufgewertet“. (R.H.) 74 werden von der Stadt Buenos Aires für jene Kooperativen die Investitionskosten für die Einrichtung von Centros Verdes und Sortieranlagen übernommen, welche eine Recyclingkonzession besitzen (siehe Kapitel Formalisierungsprozess). Seit demselben Jahr werden für die Gründung von Kooperativen und Mikrounternehmen Niedrigzinskredite von der argentinischen Credicoop-Bank und Substitutionen vom staatlichen Instituto Movilizador de Fondos Cooperativas (IMFC) vergeben, mit denen betriebliche Investitionen finanziert werden können (Medina 2007: 177). Über das Programa Integral de Logística werden Kooperativen Maschinen und Lagerhallen bezahlt (vgl. Ciudad Buenos Aires 2005: 20). “Incluso nos regalaron un galpón”23, berichtete María Julia Nevarro (2012) weiter. Mikrounternehmen müssen für die Einrichtung ihres Unternehmens selbst aufkommen. Werden die Recyclingkonzessionen mit den Kooperativen aufgelöst, müssen die über Programme finanzierten Gegenstände zurückgegeben werden (vgl. Ciudad Buenos Aires 2005: 21). Die Finanzierung der Investitionskosten bleibt bis heute an die Gründung einer Kooperative gekoppelt. Recuperadores Urbanos in Kooperativen erhalten darüber hinaus von ihrer Kooperative Arbeitskleidung. Individuell arbeitende recuperadores urbanos oder cartoneros müssen für die benötigten Arbeitsutensilien selbst aufkommen. Die Kosten für die Straßensammlung bewegen sich aber in einem kostengünstigen Rahmen. Eigene Beobachtungen zu den StraßensammlerInnen zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der cartoneros weder Arbeitskleidung trägt, noch mit vielen Arbeitsgeräten ausgestattet ist. In der Regel wird ein großer, weißer Sack für die Aufbewahrung der gesammelten Materialien von mehreren cartoneros geteilt. Nur sehr selten ist dieser Sack mit einer Schiebevorrichtung versehen. Der Einsatz von Handkarren, wie er für die cirujas als typisch beschrieben wird (Schamber 2008: 92), ist im Stadtzentrum kaum zu beobachten. Häufig kommt es auch vor, dass die cartoneros Arbeitsutensilien, insbesondere Säcke und Schiebevorrichtungen, von Kooperativen oder Mülldeponien ausleihen. Aus einer Untersuchung von Anguita ging hervor, dass sich cartoneros mit der Verwendung fremder Arbeitsutensilien dazu verpflichten, ihre gesammelten Materialien an die VerleiherInnen oder an vorgegebene Abnehmer weiterzuverkaufen (Anguita 2003: 133). Die anschließende Nachbehandlung, die Trennung und Aufbewahrung des gesammelten Materials erfolgt in privaten Räumen der cartoneros und bedarf eigene Lager- und 23 „ (…) sie schenkten uns sogar eine Lagerhalle.“ (R.H.) 75 Sortierstellen. Nach Abduca geschieht dies häufig am Vorplatz des eigenen Heims, innerhalb des Wohnbereichs oder in von Freunden und Familien gemeinschaftlich genutzten Räumen (Abduca 2011: 209). 4.3.3 Arbeitsorganisation, Regeln und Normen Vor der Formalisierung folgte die Abfallorganisation ausschließlich den Normen und Regeln, die von den cirujas im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aufgestellt wurden. Für die cirujas war die Arbeit mit dem Abfall etwas Alltägliches und Selbstverständliches, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Das für die Sammlung und Trennung erforderliche Wissen wurde von der Elterngeneration übernommen und in die Haushaltsstrategien der Nachkommen integriert (Perelman 2007: 248). In einer Studie von Saravi aus dem Jahre 1992 zeigte sich, dass die Abfallsammlung vor der Krise („cirjueo“ genannt) häufig mit verschiedenen Gelegenheitsarbeiten (Straßenverkauf, Heimarbeiten, …) kombiniert wurde, welche die Arbeitsbiografie des oder der ciruja erweiterten, sie aber nicht grundlegend veränderten. Die Gelegenheitsarbeiten wurden also in den üblichen Reproduktionszyklus inkludiert. Zudem waren die Arbeitsorte der cirujas in der Regel nicht weit von ihren Wohnorten entfernt (Saravi 1994: 109, zit. nach Perelmann 2007: 248). In vielen Fällen, wie in Gesprächen mit den Mitgliedern der Kooperative El Ceibo zeigte, hatten sich Arbeitsgemeinschaften gebildet, um in anderen, häufig reicheren Stadtvierteln wertvolleren Abfall sammeln zu können. Da sich die „neuen“ cartoneros derselben Arbeitsstrategien bedienen wie die „alten“ cirujas wird die Organisationsstruktur der informellen Abfallsammlung im Kapitel im Detail besprochen (Nevarra 2012). Kooperativen Nachdem das Gesetz die Formung von Wirtschaftszusammenschlüssen sukzessive förderte und die Verträge mit privaten Abfallunternehmen nach und nach aufgelöst wurden, wurden organisatorische und finanzielle Angelegenheiten für die Gründung von Kooperativen und Mikrounternehmen einfacher. Mit der Gründung einer Kooperative entstand ein formell geregeltes Umfeld, in welchem Rechte geltend gemacht werden können und Pflichten eingehalten werden mussten. Eine Pflicht der Kooperative ist das eigenständige Aufzeichnen von Einnahmen und Ausgaben, um der Steuerpflicht nachzukommen, eine weitere die Unfallversicherung für Arbeitende. Vor der Formalisierung war die Gründung und 76 Finanzierung einer Kooperative nur mit starkem Kraftaufwand oder gar nicht möglich gewesen (Nevarra 2012). Laura von Bierbrauer erfuhr im Gespräch mit einem Mitarbeiter der CEAMSE, dass sich die Kapazitäten aller vier betriebenen Mülldeponien nahezu erschöpfen und Möglichkeit fehlen, um neue Deponien in der Umgebung von Buenos Aires zu errichten (ebd.: 34). Aus der Lagerungsproblematik resultierend, entwickelte die Regierung von Buenos Aires gemeinsam mit Provinzialregierungen in den letzten zehn Jahren alternative Entsorgungsstrategien, deren Kernidee die Vermeidung, die Reduktion und die Wiederverwertung von Abfallprodukten ist (Buenos Aires Ciudad 2012d). Die differenzierte Sammlung der Kooperativen ist einzige Beitrag öffentlicher Recyclingtätigkeiten zur gesamten Recyclingwirtschaft. Mit der Förderung von differenzierter Abfallsammlung verstärkte sich die Gründung von Kooperativen. Im Dezember 2002 wurden bereits vierzehn Abfallkooperativen gezählt, vor 2001 existierten lediglich die beiden Kooperativen „El Ceibo“ und „El Álamo“ (Paiva 2003: 190). Außer den Kooperativen „El Ceibo“ und „El Álamo“ befinden sich alle Sortieranlagen der Kooperativen auf dem Komplex der CEAMSE Deponie Norte III. Die Arbeitszeiten in den Sortieranlagen auf dem Gelände der Deponie Norte III orientieren sich an den Betriebszeiten der CEAMSE. Die Positionierung von Sortieranlagen im Umfeld der Deponie Norte III oder im Zentrum nimmt den cartoneros zudem Flexibilität und erfordert gegebenenfalls die Umsiedelung der Wohnorte in die Nähe der Anlagen. Aus den Formalisierungsmaßnahmen lässt sich schließen, dass sich ein geregeltes Verhältnis zwischen Arbeits- und Freizeit nur für jene cartoneros ergibt, die in Sortieranlagen und Centros Verdes arbeiten. In den Anlagen sortieren die recuperadores mehrere Stunden pro Tag zwischen ein und fünf Lastwagenladungen wiederverwertbaren Abfall nach Materialart und pressen ihn zu Materialballen. Die Lastwägen bedienen abwechselnd und systematisch alle in Betrieb genommenen Sortieranlagen, um sicherzustellen, dass alle Anlagen die vorgesehene Tonnenanzahl pro Tag erhalten. Die Anzahl der Ladungen sollte aus der Anzahl der an der Sortieranlage arbeitenden MitarbeiterInnen errechnet werden (Ciudad Buenos Aires 2005: 21). Bei meinem Besuch auf dem Komplex Norte III stellte sich heraus, dass die Verteilung der Ladungen nach anderen Prinzipien erfolgt. Mitarbeiter verschiedener Kooperativen beschwerten sich darüber, dass der „gute“ Abfall, mit dem sich höhere Preise erzielen lassen, stets an bestimmte Sortieranlagen geliefert werde. Mitarbeiterinnen konnten keine stichhaltigen Gründe für die ungleiche Verteilung nennen, mutmaßten aber, dass einzelne Kooperativen unerlaubte Absprachen mit den Abfallunternehmen oder der CEAMSE 77 getroffen hatten. Aus dem Programm Programa de Inclusión Social Integral (PISI) ergaben sich für cartoneros auf den Sortieranlagen zwei maßgebende Veränderungen in Arbeits- und Sozialrecht. Sie wurden unfallversichert und sollten schützende Arbeitskleidung erhalten. Obwohl über das Programm ferner die Möglichkeit geboten wird, Sortieranlagen auf Staatskosten mit Sicherheitsvorkehrungen zu versehen, unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen der SortiererInnen kaum von jenen cartoneros individuales, welche in der Deponie selbst sammeln gehen. Eigene Beobachtungen bekundeten fehlende Sicherheitsstandards, die nach Aussagen der Sortierenden gelegentlich zu Unfällen in den Anlagen führen24. Außerdem zeigte sich bei dem eigenen Besuch in den Anlagen, dass die Trennung des Abfalls in den Anlagen auf ähnliche Weise erfolgte wie in der Deponie selbst. Die SortierInnen trennen ohne jegliche Schutzkleidung und im Akkord den herbeigebrachten Müll, inmitten von Bergen von Müllsäcken. Die Sortierung findet entweder am Boden oder auf etwas erhöhten Fließbändern statt, unter welchen Säcke zur Trennung des Materials aufgestellt wurden. An Kooperativen beteiligte cartoneros in der Straßensammlung sammeln das Material in Kooperation mit einer Kooperative. Ihre Organisation erfolgt häufig nach denselben Prinzipien wie bei den cartoneros individuales. Nur in der Kooperative „El Ceibo“ sammeln die recuperadores nicht auf eigene Rechnung, sondern stehen in einem Lohnarbeitsverhältnis (vgl. Interviews mit Vega Martínez 2012 und Garbois 2012). cartoneros individuales Cartoneros individuales müssen keinen Normen folgen, können durch staatliche Organe nicht sanktioniert werden und sind in ihrer Organisation flexibel. Laut Juan Garbois (2012), dem Sprecher der Kooperative Movimiento de Trabajadores Excluidos (MTE), gibt es innerhalb der cartoneros Gruppen, die sich in ihrer Familie oder Nachbarschaft mehr oder weniger gut organisieren. Grundsätzlich existieren zwei verschiedene Organisationsformen des Abfallsammelns: auf der Straße und in Deponien. Die früheren cirujas entwickelten über die Jahre hinweg erprobte Arbeitsstrukturen und Organisationsformen, die trotz der Gründung vieler 24 Sortierende einer Kooperative berichteten von einer Arbeitskollegin, die bei der Arbeit tödlich verunglückt ist, weil sie vom etwas erhöhten Fließband stürzte, an dessen Seite sie stand und Abfall sortierte. Nach den Angaben der KollegInnen erhielten die Angehörigen über die Unfallversicherung der Kooperative Entschädigungsleistungen vom Staat. 78 Kooperativen auch heute noch gelten. Die Strecke, die cartoneros während der Straßensammlung wiederholt zurücklegen, wird als recorrido bezeichnet und bleibt so lange als ihr, wie es Abduca bezeichnet, „fragiles Eigentum“ (2011: 194), bis sie die Strecke nicht mehr regelmäßig absammeln. Die Aufteilung der Wegstrecken erfolgt durch Besetzen und Aneignen von Straßen, die noch von keinem anderen cartonero abgesammelt werden. Wenn ein cartonero nicht erscheint, um die Materialien von seinem recorrido zusammenzusammeln, gilt der Abschnitt als frei und wird von einem oder mehreren anderen cartoneros abgesammelt. Oft entscheidet sich bereits während der Anreise, ob ein recorrido an einem bestimmten Tag abgesammelt wird oder nicht. Ist der auf der Strecke sammelnde cartonero oder die sammelnde cartonera im camioneta (Kleinlastwagen) anwesend, behält er sein Vorrecht auf die entsprechenden Häuserblocks. Sind die betreffenden Personen nicht anwesend und bleiben sie auch während der Sammelaktivitäten der anderen fern, wird das Material in der Regel von anderen abgesammelt (Abduca 2011: 194-195). Eine Mitarbeiterin der Kooperative MTE merkte zur Organisation der Sammelstrecken an, dass Kämpfe um Territorien und Vorrechte im Vorfeld am Wohnort oder im camioneta stattfinden, kaum aber auf der Straße selbst (2012). Arbeitszeiten und -orte der individuales richten sich nach den Abfahrtszeiten und Ankunftsorten der Kleinlastwägen. Sowohl im Falle der Sammlung auf der Straße als auch in der Deponie müssen die Abfallprodukte nach der Sammlung von den cartoneros selbstständig sortiert werden. Da dies, so Abduca, meist nachts und/oder vormittags und zu Hause erfolgt, vermischen sich Arbeits- und Wohnorte (Abduca 2011: 195). Das 2002 vom Staat initiierte Dirección General de Politicas de Reciclado Urbano (DGPRU) ist die einzige Organisation in Argentinien, die kontinuierlich sozio-demografische Daten über die cartoneros ermittelt. Eine Erhebung aus dem Jahr 2005 zeigte, dass die Mehrheit der cartoneros nicht älter als 35 Jahre ist; etwa 20% aller Sammelnden haben die Volljährigkeit noch nicht erreicht. Weitere 30% der AbfallsammlerInnen sind zwischen 19 und 29 Jahre alt. Die verbleibenden 50 % teilen sich etwa gleichmäßig auf ältere Gruppen auf. Die Anzahl der Kinder unter 14 Jahren wurde in der betreffenden Untersuchung des DGPRU nicht erhoben (DGPRU 2006: 10). Unter Berücksichtigung der Altersgruppe der Sieben- bis 14-Jährigen führte die UNICEF in Zusammenarbeit mit der IOM im selben Jahr eine Analyse der Altersstruktur durch. Aus dieser Untersuchung ging hervor, dass die Gruppe von Kindern und Jugendlichen von sieben bis 18 Jahren sich gegenüber dem Vorjahresergebnis verdoppelt hatte (IOM/UNICEF 2005: 24). Viele cartoneros sammeln alleine, mit Bekannten oder gemeinsam mit anderen 79 Familienmitgliedern. In sammelnden Familiengruppen ist es gelegentlich üblich, dass Eltern und jugendliche Kinder den Abfall zusammentragen. Kinder üben in der Straßensammlung häufig dieselbe Tätigkeit aus wie Jugendliche und Erwachsene, sie trennen das gesammelte Material, öffnen die Müllbeutel und/oder sammeln das Material ein. In seltenen Fällen sind Kinder ausschließlich Begleitpersonen, manchmal schieben sie Handkarren oder betteln, während die Eltern sammeln (IOM/UNICEF 2005: 34-35; Gorbán 2009). Zurückgelegt wird die Strecke mit Hand- oder Pferdekarren und einem großen weißen Sack, in dem sie die Materialien sammeln. Die Mehrheit der cartoneros übt die Sammlung in Alltagskleidung aus. Viele der beobachteten cartoneros im Stadtviertel um den nationalen Kongress trugen im Sommermonat Februar kurze Kleidung und Sandalen, auch die Kinder trugen keine besondere Schutzkleidung. Juan Garbois von der Kooperative MTE25 erklärte, der unvorsichtige Umgang mit Abfall in der Straßensammlung sei mit schwindend geringen gesundheitlichen Risiken verbunden. Der Abfall wäre in diesem Stadium noch nicht entsprechend zersetzt, um Infektionen oder andere Krankheiten hervorzurufen. Erkrankungen und Infektionen wären laut Garbois nur für jene cartoneros typisch, die ihre Materialien auf Müllhalden sammeln (Garbois 2012). Die Sammlung in der Stadt unterliegt einem zweistufigen Sammlungs- und Sortierungsprozess. Die erste Sammlung findet auf dem Gehsteig oder auf Plätzen in der Nähe von Containern oder einer Ansammlung von Müllbeutel statt. Dabei bleibt der Kontakt zwischen den cartoneros und den vecinos schwach. Weder sie selbst noch die PassantInnen suchen den Blickkontakt zum jeweils anderen. Die Distanz zwischen den SammlerInnen und den vorbeigehenden FußgängerInnen beträgt im Mittel etwa 1,5 Meter. Innerhalb weniger Minuten werden mehrere Müllsäcke pro Gebäude geöffnet und durchsucht, für das Durchsuchen von fünf bis sieben Müllbeuteln werden ungefähr fünf bis zehn Minuten benötigt. Beim Öffnen der Müllbeutel findet bereits der erste Sammlungsprozess statt. Zu Beginn werden die sperrigen Gegenstände, große Plastikflaschen, große Verpackungen oder Karton herausgenommen. Danach wird nach kleineren Gegenständen, Zeitungen, Zeitschriften, Glasflaschen und anderen Objekten gesucht (Abduca 2012: 205). Die Sammlung von Materialien erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien. Gesammelt werden 25 Die Kooperative Asociación El Amanecer de los Cartoneros ist gleichzeitig auch eine politisch aktive Bewegung (Movimiento de Trabajadores Excluidos, MTE), welche zwischen den politischen Akteuren und den cartoneros vermittelt. Die Bewegung setzt sich auch für die Interessen anderer marginalisierter Beschäftigungsgruppen, StraßenverkäuferInnen, etc., ein, die sich mit ähnlichen Alltagsproblemen konfrontiert sehen wie die cartoneros (Garbois 2012). 80 Gegenstände aus Plastik, Glas, eisenhaltigem und nicht-eisenhaltigem Metall, Karton, Papier, Holz sowie organische Substanzen, die zu Kompost, Dünger oder Biogas weiterverarbeitet werden können (Perelman/Boy 2010). Welche Materialien eingesammelt werden, hängt neben den Rohstoffpreisen auch davon ab, wie häufig die Straßensammlung betrieben wird, ob sich der cartonero/die cartonera innerhalb einer Gruppe oder der Familie materialbezogen organisiert und ob in Auftrag gearbeitet wird. Selten kommt es vor, dass sich ein cartonero auf ein bestimmtes Material spezialisiert (Vega Martínez 2012). Alle gesammelten Objekte werden auf den Karren gepackt und zur jeweiligen Haltestelle gebracht, wo sie auf die Lastwägen warten, welche sie nach Hause bringen. Im Anschluss an die Sammlung wird das Material an einem bestimmten Ort (meist die eigene Wohnstätte) voneinander separiert und so lange angehäuft, bis eine für den Verkauf ausreichend hohe Menge zusammengekommen ist. Häufig wird das Material erst am nächsten Vormittag getrennt und zur Mittagszeit zu den Lagerstätten von Zwischenhändlern im selben oder in einem anderen Viertel gebracht (Abduca 2012: 205). Eine weitere Möglichkeit zum Sammeln von Abfall bietet sich auf Mülldeponien. In der Literatur wurde die Sammlung stets im Zusammenhang mit der größten Mülldeponie der CEAMSE, dem Complejo Ambiental Norte III, beschrieben. Die Deponie befindet sich im bonaerensischen Vorort José Leon Suárez, umgeben von einkommensschwachen Vierteln und villas. Pro Tag werden ungefähr 1.000 mit Müll beladene Lastwagen in diese Deponie gebracht. Die CEAMSE gestattet cartoneros täglich für eine Stunde Eintritt in die Mülldeponie, um im Abfall des gesamten Großraumes von Buenos Aires Material zu sammeln (Alvarez 2011: 5). Laut Abduca nutzen täglich zwischen 1.000 und 3.000 Personen die Gelegenheit, auf mehreren, gesamt 500 Hektar großen Mülltürmen nach verwertbarem Material zu suchen. Jeden Tag werden von der Deponie Norte III weitere Abschnitte auf verschiedenen Müllbergen aus der Stadt und der Provinz für die Sammlung freigegeben. Ohne Karren und mit mehreren Säcken ausgerüstet, wird verwertbares Material in die Säcke gestopft. Die Auswahl der zu sammelnden Materialien folgt grundsätzlich denselben Kriterien wie jene in der Straßensammlung (Abduca 2011: 210). Auf dem Komplex der CEAMSE erfolgt die erste Sortierung bereits auf dem Zufahrtsweg, nur wenige Meter vom Eingang entfernt. Oft werden mehr Gegenstände zusammengetragen als von den cartoneros weggeschafft werden kann. Von den zusammengetragenen Materialien werden die für den Rohstoffmarkt wertvollsten Gegenstände in großen Säcken geordnet und bis zum Ausgang des Geländes gebracht, wo sie auf ihre Karren verladen und 81 nach Hause gebracht werden. Die meisten cartoneros wohnen unweit von der Deponie und haben somit kurze Anfahrtswege zur Deponie. Die weitere Klassifikation zu Hause und der Verkauf an Zwischenhändler folgen dem Schema der Straßensammlung (Abduca 2011: 210). 4.3.4 Wirtschaftliche Netzwerke Aus der Interpretation der Literatur und eigenen Befragungen ging hervor, dass die wirtschaftlichen Netzwerke der cartoneros vor der Legalisierung und Förderung von Kooperativen ausschließlich auf informelle Organisationsstrukturen basierten. Cirujas sammelten den Abfall von den Produzenten ein und verkauften ihn an kleinere Zwischenhändler weiter. Von einem kleinen Zwischenhändler wurde das Material an einen größeren weiterverkauft, bis es schließlich in die Industrie gelangte. 4. Abb.: Netzwerke der cirujas/cartoneros vor der Formalisierung, eigene Darstellung In der Untersuchung des DGPRU wurde erhoben, dass im Jahr 2006 von den 5.000 Tonnen Abfall pro Tag 601,8 gesammelt und weitertransportiert wurden. 585 von den 601,8 Tonnen wurden von den cartoneros recycelt, 12,5 von der Fundación Garrahan für gezielte Wiederverwertungsprojekte und die verbleibenden 4,3 wurden über sogenanntes „differenziertes“ Recycling durch Abfallkooperativen gesammelt (DGPRU 2006: 22). Etwa 97% der gesamten Wiederverwertungsaktivitäten werden von cartoneros individuales geleistet. Rund um die cartoneros wird daher das informelle Netzwerk von ProduzentInnen und HändlerInnen für den Sammel- und Verkaufsprozess genutzt, das mit der formalisierten Recyclingwirtschaft häufig erst beim Verkauf an größere Zwischenhändler in Berührung kommt. Ethnografische Untersuchungen von Pablo Schamber (2007; 2011), Francisco 82 Suaréz (2001; 2007; 2011) und Mariano Perelman (2007) unterscheiden die Beschreibung der heutigen Arbeitsorganisation der cartoneros nicht grundlegend von jener der früheren cirujas (Abduca 2011: 201). Es liegt daher nahe, die Netzwerke von cirujas und cartoneros gemeinsam zu betrachten. ProduzentInnen Städtische Nachbarschaften (vecinos), sind die wesentlichen AbfallproduzentInnen, und damit die wichtigsten Kooperationspartner für die cartoneros. Die Beziehungen der cartoneros zu den Nachbarn sind ambivalent und entstehen beim Auf- und Ablaufen der Straßen sowie beim Zurückstellen der aussortierten Müllsäcke. Wie intensiv die Beziehungen zwischen den Nachbarn und den cartoneros sind, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, insbesondere aber von der Arbeitszone. Die Perzeption der Nachbarn variiert zwischen den verschiedenen Arbeitszonen und innerhalb der einzelnen Nachbarschaften stark, sie reicht von Mitleid bis Empörung und Entrüstung. In manchen Stadtteilen, Almagro, Caballito, Balvanera, werden die Müllsäcke aufgerissen und offen auf den Straßen oder Gehsteigen liegen gelassen. Haben die cartoneros ihre Suchaktivitäten beendet, bleiben in manchen Arbeitszonen verschmutzte Straßen zurück. In diesen Arbeitszonen besteht wenig nachbarschaftlicher Austausch zwischen vecinos und cartoneros. Neben der Straßenverschmutzung existieren viele weitere Probleme zwischen den Nachbarn und den cartoneros, die oftmals damit zusammenhängen, dass sich sowohl Nachbarn als auch cartoneros vom Gegenüber bedroht und missverstanden fühlen (Perelmann 2007: 261). In der Regel existieren zwischen vecinos und vormaligen cirujas intensivere Beziehungen als zwischen vecinos und „neuen“ cartoneros. Gründe für die Unterschiede sind in der unterschiedlichen Identitätskonstruktionen der AbfallsammlerInnen zu suchen. Abduca kam in seiner Untersuchung zum Ergebnis, dass der intensivere Kontakt der cirujas zu den vecinos für die Krise vorteilhaft war, um ihr Vorrecht auf Straßen und vecinos meistens erfolgreich gegenüber neuen cartoneros zu verteidigen (Abduca 2011: 201). Aus eigenen Beobachtungen in den „vermüllten“ Stadtteilen Balvanera und Caballito gingen Spannungen zwischen vecinos und cartoneros hervor, die vereinzelt in offenen Streitgesprächen mündeten. Andere Beobachtungen auf dem recorrido der Kooperative „El Ceibo“ ließen auf ein enges Verhältnis zwischen der cartoneros der Kooperative und den vecinos in ihrer Arbeitszone im Stadtteil Palermo schließen. An den Rundgang anschließende Gespräche mit den vecinos zeigten, dass der offene Kontakt der vormaligen cirujas mit den vecinos sowie 83 die Hervorhebung des Nutzens der Abfallsammlung für die Umwelt26 Vertrauen und Anerkennung unter den vecinos in der Arbeitszone schuf. Mit Offenheit und Seriosität schien sich die Kooperative in den 1980ern eine Sonderstellung innerhalb der cartoneros und Kooperativen geschaffen zu haben, die sie bis heute innehat. „El Ceibo“ ist das einzige Vorzeigemodell aller in Buenos Aires existierenden cartonero-Kooperativen (Paiva 2008: 161-163; Schamber 2008). NachbarInnen, mit denen Absprachen existieren, bezeichnen die cartoneros als KundInnen (clientes). Die Bezeichnung „clientes“ soll eine Geschäftsbeziehung suggerieren, in welcher Käufer und Verkäufer einander gegenüberstehen. In der Realität wird der Abfall von den vecinos lediglich zurückgehalten, nicht aber verkauft; es wird nicht Abfall gegen Geld getauscht, sondern abgeholt und mit Gefälligkeitsentsorgungen beglichen. Häufige Bitten der clientes um Gefälligkeitsentsorgungen verstärken den Druck auf die/den betreffende/n cartonero/a. Versäumt er das regelmäßige Nachkommen der Bitten seiner clientes, eröffnet sich für andere KollegInnen die Möglichkeit, seine Klienten abzuwerben. Kommt der/die Arbeitskollege/In den Bitten des vecinos nach, gewinnt er/sie diese Person oder diesen Haushalt als cliente hinzu (Schamber/Suárez 2007: 35-36). Aus einer Befragung von Mariano Perelman wurde deutlich, dass die cartoneros die Beziehungen zu den NachbarInnen bestmöglich zu gestalten suchen, damit mündliche Absprachen über alleinige Abholerlaubnisse des wiederverwertbaren Abfalls ausgehandelt werden können. In der Suche nach clientes versucht der cartonero, so Perelman, der sozialen Segregation entgegenzuarbeiten und sich in der Nachbarschaft bekannt zu machen. Zudem gaben die cartoneros Perelman gegenüber an, auf Sachspenden, Kleidung, Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände ihrer clientes zu hoffen. Aus der Befragung ließ sich ableiten, dass nur wenige cartoneros tatsächlich enge Beziehungen mit Privilegien auf Abfallprodukte mit den Nachbarn unterhalten (Perelmann 2007: 261). Zwischenhändler Andere, wichtige Kooperationspartner sind Zwischenhändler (acopiadores). Neben formalisierten Lager- und Zwischenhandelsbetrieben (Kooperativen und Mikrounternehmen) existiert eine Vielzahl informeller Zwischenhändler. Zwischenhändlern kommt die Aufgabe 26 In einem Gespräch erwähnte María Julia Nevarra, eine Begründerinnen der Kooperative, dass sie zur Gründung der Kooperative (1989) Flugzettel in der Nachbarschaft aufgehängt und verteilt hätten. Auf den Flugzetteln standen Name und Adresse der cirujas. Spätere Flugzettel beinhalteten bereits Abgabebedingungen (Öffnungszeiten, recycelbares Material, Tage und Urzeiten des recorrido, ...) (Nevarra 2012). 84 zu, Materialien von cartoneros abzukaufen und an industrielle Verwertungsunternehmen, meist im Nordosten von Buenos Aires, weiterzugeben. Bierbrauer (2011: 83) stellte im Zuge ihrer Untersuchungen zu Organisationsstrukturen der cartoneros fest, dass der Handel mit den Zwischenhändlern für cartoneros unabwendbar ist. Industrielle Verwertungsbetriebe kaufen den Abfall in großen Mengen zu, welche die cartoneros über die individuelle Straßensammlung nicht bereitstellen können. Zudem unterliegt der industrielle Ankauf von Sekundärrohstoffen gesetzlichen Richtlinien, die nur von formalisierten Unternehmen oder Kooperativen erfüllt werden können. Informelle Zwischenhändler gehen nach demselben Prinzip wie formalisierte vor, handeln aber mit kleineren Abfallmengen. Zwischen den informellen Zwischenhändlern und der Industrie operiert mindestens ein weiterer (formeller) Zwischenhandels- und Lagerbetrieb, der das Material von einem oder mehreren informellen Zwischenhändlern zukauft und anhäuft. Die Größe des Zwischenhandelsbetriebes bestimmt über die Höhe des Weiterverkaufes und schließlich über die Höhe seines Gewinns. Je größer ein Zwischenhandelsbetrieb ist, desto besser und effizienter ist seine Arbeitsorganisation und desto höher sind auch Ertrag und Produktivität (Bierbrauer 2011: 83-84). Informelle Zwischenhändler operieren vorrangig in der Nähe von den Wohngebieten der cartoneros, wo sie ihnen den gesammelten Abfall auf direktem Wege abkaufen. Nehmen die acopiadores den cartoneros ihr Material nicht ab, müssen sie sich andere Zwischenhändler suchen. Die Bezahlung des Materials erfolgt in bar. Die Höhe der Bezahlung ist vorrangig davon abhängig, an welchen Zwischenhändler die cartoneros ihre gesammelten Abfälle verkaufen. Zwischenhändler bieten unterschiedliche Preise und Leistungen an, die von verschiedenen Faktoren abhängen können. Grundsätzlich errechnen Zwischenhändler den Preis für das Material aber den aktuellen Rohstoffpreisen entsprechend. Weitere Einflussgrößen auf die Bezahlung sind die Dringlichkeit der Bezahlung sowie die Distanz zwischen der Lagestätte des cartonero und der Lagerhalle des Zwischenhändlers (Abduca 2011: 205). Zudem existieren Plätze, an denen sich an Waren interessierte Zwischenhändler verstärkt aufhalten. Beliebte Plätze für das Zusammentreffen von cartoneros und informellen Zwischenhändlern sind insbesondere vor dem Einkaufszentrum Abaso, der öffentliche Raum rund um den Bahnhof „11 de Septiembre“ im innerstädtischen Viertel Balvanera oder die Anfahrtsstraße zur CEAMSE (Abduca 2011: 200-202). Mit der Einrichtung von Centros Verdes und Sortieranlagen nach dem Ley 992 sollten Eingriffe in bestehende Organisationsstrukturen der informellen Abfallsammlung vorge85 nommen werden. Die Gesetze sahen eine differenzierte Abfallsammlung (siehe Abfallwirtschaft von Buenos Aires) über Kooperativen vor. Kooperativen sollten die Rolle der informellen Zwischenhändler übernehmen und die gesammelten Materialien an große, formelle Zwischenhändler oder direkt an die Industriebetriebe verkaufen (Paiva 2008: 150). Außerdem sollten sie größere Mengen an Abfall in ihren Sortierzentren trennen, lagern und in ein oder zwei weitere Instanzen Zwischenhandelsschritten an die Industrie weiterverkaufen (Ciudad de Buenos Aires 2012e). Sämtliche Teile der Recyclingkette der differenzierten Abfallsammlung sollten aus registrierten Unternehmen bestehen und daher von Stadt und Staat normierten Prinzipien folgen. Folgende Grafik soll die geplanten Veränderungen in der Abfallwirtschaft 5. Abb.: Netzwerke der cartoneros/recuperadores nach der Formalisierung, eigene Darstellung veranschaulichen: Kooperativen sollten die wirtschaftliche Vernetzung von AbfallsammlerInnen vereinfachen. Da aber nur fünf Prozent (knapp 1000 Personen) aller cartoneros an Kooperativen (Schamber 2008: 98; Paiva 2008: 190) beteiligt sind, sind ihre Ausmaße als wirtschaftliche Netzwerke für die Organisationsformen der Abfallsammlung von relativ geringer Bedeutung. Lampasona und Fajn führen das fehlende Interesse der cartoneros an der Teilnahme an Kooperativen hauptsächlich auf die ausbeuterische Praxis vieler Abfallkooperativen zurück. Fajn sieht das mangelhafte Interesse an Kooperativen in der hierarchischen 86 und profitorientierten Ausrichtung der neuen, mit Kirchners Förderungspolitik entstandenen Kooperativen begründet (Fajn 2002: 16-19). Die ideologische Ausrichtung der ab 2001 entstandenen Abfallkooperativen hat sich nach Fajn stark in Richtung Gewinnmaximierung verändert und von der sozial-synergetischen Idee der aus „alten cirujas“ bestehenden Kooperativen differenziert. Der große Unterschied zwischen vielen „neuen“ Kooperativen und klassischen Zwischenhandelsbetrieben besteht nach Lampasona (2012) hauptsächlich darin, dass die Kooperativen einer Gemeinschaft und nicht einzelnen Personen oder Familien gehören, ihre eigenen Entscheidungen über die Zukunft des Unternehmens treffen können. 4.3.5 Zugang zu öffentlichem Raum, Abfall und Betriebsmittel Die Verfügbarkeit von Ressourcen, Geld, Betriebsmittel, Abfall und öffentlichem Raum ist die wichtigste Komponente des Abfallsammelns. Vor der Formalisierung waren die cartoneros beim Zugang zu den Betriebsmitteln auf sich selbst gestellt. Vom Staat wurden weder Fördergelder noch Räumlichkeiten für Lagerung und Sortierung finanziert oder subventioniert. Auch der Abfall war Eigentum konzessionierter Abfallunternehmen. Das Entnehmen des Abfalls von den Müllbeuteln auf der Straße war seit den 1970ern verboten und wurde bestraft (Schamber 2008: 59-60). Cirujas wurden aus dem Stadtzentrum vertrieben, inhaftiert oder verwarnt. Gelegentlich wurde der gesammelte Abfall konfisziert, weil er als gestohlen galt. Als die Abfallsammlung in den 1990ern unüberschaubar hohe Ausmaße annahm, startete die Stadt Buenos Aires mehrere Delogierungsversuche, bei denen öffentlich Gewalt gegen die AbfallsammlerInnen angewandt (Lavaca 2008) und ihr gesammeltes Material beschlagnahmt wurde (MTE 2012). Dies löste mehrere politische Diskussionen über die öffentliche Abfallorganisation aus. Verhandlungen zwischen politischen Vertretern, sozialen Bewegungen (vgl. Kapital 21. Jahrhundert), konzessionierten Abfallunternehmen und den cartoneros selbst setzten ein, die mit der Aufhebung des nichtkonzessionierten Sammelverbots ihren Anfang fanden. Mit dem Ley 992 (2002) wurden den cartoneros Nutzungsrechte zugesprochen, die Abfallsammlung wurde legal, das Entnehmen des Abfalls wieder erlaubt und die Bewegungsfreiheit zurückgegeben. Die Eigentumsrechte blieben bislang aber bei den Abfallunternehmen (Koehls 2007: 197). Trotz der mehrfachen Gesetzesnovellierung ist die Abfuhr von Haus- und Industriemüll nach wie vor den Abfallunternehmen vorbehalten. Abfallunternehmen standen in ständigem Konflikt mit den cartoneros, da die individuelle Abfallsammlung ihre Einnahmen seit 2001 87 stark reduzierte. Abfallunternehmen wurden bis 2007 nach abgeführtem Abfallvolumen bezahlt. Die verstärkten Sammeltätigkeiten der cartoneros verringerte das Sammelvolumen der Abfallunternehmen erheblich. Die offenen Konflikte um das Vorrecht auf den Müll bewirkten Regierungsinitiativen, welche die Abfallsammlung neu regulierten sollten. Die bis 2005 bestehenden Verträge der CEAMSE mit den konzessionierten Abfallunternehmen wurden gelockert und für Kooperativen geöffnet. Seit 2007 werden konzessionierte Kooperativen mit Sortieranlagen oder Centros Verdes von den Abfallunternehmen mit Abfallladungen versorgt (siehe Formalisierungsprozess). Die Abfallunternehmen blieben weiterhin wichtige Vertragspartner, in einer etwas loseren Form nach neuem Konzept, das 2007 unter dem Programm „Ciudad Limpia“ zu laufen begann. Im Vordergrund des neuen Sammelkonzepts stand nun nicht mehr die Menge des abtransportierten Abfallvolumens, sondern die Anzahl der gesäuberten Stadtgebiete. Die Bezahlung der Abfallunternehmen nach gesäuberten Bereichen sollte zur Effektivitätssteigerung der Abfallentsorgung führen. Mit dem neuen Konzept wurde der Konflikt zwischen den Abfallunternehmen und den cartoneros weiter verschärft. Die Abfallunternehmen sahen sich mit einer Menge aufgerissener Müllbeutel konfrontiert, für deren Beseitigung sie fortan verantwortlich waren (Cunita 2012: 106). Die Regierung reagierte auf die Einwände der Abfallunternehmen mit finanziellen Anreizen für recuperadores urbanos. Bis heute wurden die Konflikte um die verunreinigten Straßen nicht gelöst (Vega Martínez 2012). Mit dem Plan zur Containerisierung werden seit 2006 im Großraum Buenos Aires Container aufgestellt, welche die Stadtbewohner zur Trennung des Hausmülls ermuntern sollten. Der Plan der Containerisierung aus dem Jahre 2006 sah für große Erzeuger, Hotels, Bürogebäude, Krankenhäuser und Industriebetriebe vor, sich als solche in einem Register einzutragen und damit die Entsorgungsart des Abfalls festzulegen. Bisher werden Abfälle von 250 Großerzeugern in die Sortieranlagen der Kooperativen transportiert oder vor Ort abgeholt (Ciudad Buenos Aires 2012f). Für die Kooperativen ergibt sich daraus ein Zugang zu wertvolleren Ressourcen als in der Straßensammlung, welche das Öffnen jedes Müllbeutels impliziert. 2001 wurde eigens für die aus dem Norden der Stadt stammenden cartoneros ein Zug, der Tren Blanco (der „Weiße Zug“), zwischen der Vorstadt José León Suárez und dem innerstädtischen Viertel Retiro eingerichtet. Der Zug verkehrte mit demontierten Sitzbänken, damit die cartoneros ihre Handkarren und Säcke mittransportieren konnten. Im Jahr 2007 88 wurde der Tren Blanco wieder eingestellt. Die Stadtregierung bekundete offiziell, im Zug und an den Bahnhöfen wären zwischen cartoneros und Stadtbewohnern zu viele Konflikte ausgefochten worden. Außerdem hätte der Betrieb des Zuges zu starken Verzögerungen anderer Züge geführt27. Die Abschaffung des Zuges fiel aber mit dem Amtsantritt des neuen konservativ-liberalen Bürgermeisters Mauricio Macri zusammen. Den Interessen der MacriGruppe28 getreu, sprach sich Macri bereits 2002 gegen die Anerkennung der Abfallsammlung als Arbeit aus und suchte die cartoneros aus dem Stadtzentrum zu verbannen: „Este es un negocio millonario y los cartoneros tienen una actitud delictiva porque se roban la basura (…) Además, no pagan impuestos y la tarea que realizan es inhumana. Los recolectores informales no pueden estar en la calle. Los vamos a sacar de la calle“29(Mauricio Macri, La Nación, 27. 08. 2002). Der Zug wurde durch Kleinlastwägen mit anderen Haltestellen ersetzt. Die Kleinlastwägen vermochten aber die fehlenden Transportkapazitäten des Zuges nicht im Geringsten auszugleichen. Viele cartoneros blieben mit ihren Abfallladungen ohne Rückfahrmöglichkeit in der Innenstadt zurück oder kamen mit großen Verzögerungen bei ihren Wohnungen an. Als Reaktion auf die fehlenden Rücktransporte legten sie in der Innenstadt nicht genehmigte Lagerstätten (galpones) an, in denen sie ihre gesammelten Abfallprodukte deponierten (Lavaca 2008). 4.3.6 Identität Das Abfallsammeln war für die cirujas eine „normale“ Arbeit, die sie seit Generationen ausübten, und die auf Gewohnheiten und Traditionen basierte. Cirujas hatten auf individueller bzw. auf Haushaltsebene Arbeitsdynamiken entwickelt, mit der sie ihren Fortbestand sichern konnten (Perelman 2007: 260). Für die vormalige ciruja und heutige Mitarbeiterin der Kooperative „El Ceibo“ Julia Nevarra ist das Abfallsammeln von Beginn an harte Arbeit gewesen: „Trabajar, trabajar, trabajar es 27 „La suspensión del tren blanco se debió a innumerables quejas de pasajeros, a problemas de mantenimiento y de demoras de todos los servicios“, äußerte sich der damalige Sprecher von der städtischen Bahngesellschaft Trenes de Buenos Aires (TBA) Gustavo Gago zur Auflösung der zentralen Errungenschaft der cartoneros (Mi Belgrano 2008) 28 Die argentinische Wirtschaftsgruppe Macri besaß bis 1997 das Abfallunternehmen Manliba. Bis 2002 blieb sie an den Abfallunternehmen Ecol S.A., Transmetro S.A., Aseo S.A., Lodimet S.A. (ex Manliba) und Saframa S.A. beteiligt. 2002 zog sie sich aus allen zurück und übergab sie der Wirtschaftsgruppe Mauro (Colon Buenos Aires 2005). 29 „Dies [die Abfallwirtschaft] ist ein Millionengeschäft, in welchem die cartoneros eine deliktische Haltung einnehmen; sie stehlen den Abfall (…) Außerdem bezahlen sie keine Steuern und verrichten eine inhumane Arbeit. Die informellen AbfallsammlerInnen können nicht auf der Straße sein. Wir werden sie von den Straßen holen.“ (R.H.) 89 lo único que hemos hecho (…)”30 (2012). María Julia begann in den 1970ern als Jugendliche Abfall zu sammeln. Die finanziellen Ressourcen der Familie reichten nicht aus, um das Überleben zu sichern. 20 Jahre arbeitete sie alleine, bis sie 1989 mit sechs KollegInnen begann, eine Kooperative im wohlhabenden Stadtviertel Palermo zu gründen: „Eramos siete mujeres fundadoras que las siete mujeres éramos cirujas individuales. Y ser individual significa andar rompiendo bolsas”31. Um den Nachbarn die Angst vor einer Abfallkooperative in ihrem Viertel zu nehmen und Vertrauen zu gewinnen, hängten sie Zettel mit ihrer Identität an Bäumen auf und klingelten an den Haustüren der Nachbarn. Mit dem steigenden Vertrauen der Etablierung der Kooperative als Abfallsammelstelle veränderte sich ihre eigene Berufszuschreibung von der ciruja hin zur recuperadora urbana: „Ahora somos unas recuperadoras socio-ambientales [= urbanas, RH]. Agarramos una logística.“32 (Nevarra 2012). Die Bezeichnung „cartonero“ lehnte Nevarra kategorisch ab. Die zur Identität der cartoneros forschende Soziologin Mercedes Vega Martínez sieht den Grund für das Überspringen der cartonero-Identität in der Darstellung des „cartonero“Subjekts als verarmten Mittelschichtsbürger, dessen letzte Überlebensmöglichkeit der Abfall ist.“[Los cirjuas] se avergonzaban de esa posición [del cartonero] porque era sucio y desvalorizado socialmente. Creo por eso la gente del Ceibo se llama a si mismo recuperadores urbanos y no cartoneros; porque eso les daba vergüenza”33 (Vega Martínez 2012). Ursachen für die verschiedenen Identitätskonstruktionen der AbfallsammlerInnen sind die verschiedenen Erwerbslaufbahnen der „alten“ cirujas und der „neuen“ cartoneros. Die alten cirujas hatten meist keine formelle Arbeitserfahrung gemacht und kannten ausschließlich prekäre und informelle Arbeitsverhältnisse (Lampasona 2012). Aus Untersuchungen von Perelman und Suárez ging hervor, dass die Gruppe der neuen AbfallsammlerInnen einen höheren Bildungsgrad aufweist und längere formale Erwerbsbiografien als FabrikarbeiterInnen, VerkäuferInnen, Angestellte, KellnerInnen, Tankwarte, PolizistInnen, Unteroffiziere, LehrerInnen, etc. vorzuweisen hatten. Viele hatten auch Gelegenheitsarbeiten im Bauwesen oder in der Landwirtschaft ausgeübt beziehungsweise ein Handwerk erlernt. 30 „Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Das ist das einzige, was wir immer gemacht haben.“ (R.H.) 31 Wir waren sieben Gründerfrauen, sieben cirujas individuales. Und indiviual zu sein bedeutete, Müllbeutel zu durchsuchen“. (R.H.) 32 „Jetzt nicht mehr, jetzt sind wir sozial-ökologische recuperadoras [urbanas], wir sind jetzt organisiert“. 33 „Sie [die cirujas] schämten sich dieser Position [=des cartonero], weil sie als schmutzig galt und sozial abgewertet wurde. Ich glaube, deshalb nennen sich die Leute von „El Ceibo“ selbst „recuperadores urbanos“ und nicht „cartonero“; es war ihnen peinlich.“ (R.H.) 90 Eine Untersuchung der IOM/UNICEF aus dem Jahre 2005 zeigte, dass etwa 25% der befragten cartoneros zuvor eine Form von abhängiger Lohnarbeit ausgeübt hatten. Weitere 40% der cartoneros arbeiteten zuvor auf eigene Rechnung im Bau- und Transportgewerbe oder übten Haus- und Heimarbeiten aus. 13% der befragten cartoneros arbeiteten im Handwerk, die übrigen 10% schlugen sich vor der regelmäßigen Sammlung mit verschiedenen anderen Gelegenheitsarbeiten durch (IOM/UNICEF 2005: 31). Mit der Entkriminalisierung der cartoneros 2002 entfachte eine länger andauernde Diskussion darüber, ob das Abfallsammeln Arbeit sei oder nicht. Die vielseitigen Argumente für die Abfallsammlung als Arbeitsform betonten allesamt den Nutzen der informellen Recyclingaktivitäten für den städtischen Umweltschutz. Auch die cartoneros sahen sich selbst eine Tätigkeit verrichten, in der sie ihren Lebensunterhalt mit einer für die Gesellschaft nützlichen Aktivität verdienen (Perelman 2007: 260). Trotz der starken Vernetzung der cartoneros mit den Arbeiterbewegungen und der militanten Befürwortung des Abgeordneten Valdés verkündete der damalige Generalstaatsanwalt Nicolás Becerra, dass Abfallsammeln weder als Erwerbsarbeit bezeichnet noch den Arbeitenden nicht derselbe Schutz gewährt werden könne, wie er allen Arbeitenden nach dem Arbeitsrecht des Artikel 14 der nationalen Konstitution34 zustehen würde. Er stützte seine Argumente darauf, dass das normative und judikative Verständnis von Arbeit nicht auf alle in der Soziologie und Anthropologie existenten Konzepte von Arbeit reagieren können. Zudem wäre es keine „spontane“ und „natürliche“ Form von Arbeit, die von manchen Gesellschaftsteilen als kriminell betrachtet werden würde. Becerra stieß mit seiner Haltung der immer größer werdenden Menge von cartoneros gegenüber auf breite Zustimmung in der Stadtregierung. Allerdings besaß das nationale Amt für Statistik und Zensus (INDEC) die Beschäftigungskategorie „cartoneros“ (Perelmann 2007: 255-256). Bevor die cartoneros mit der Abfallsammlung begannen, waren sie vecinos, die die Arbeit der cirujas verurteilten. Während der oder die AbfallsammlerIn ihre bzw. seine Tätigkeit selbst als Arbeit betrachtete, erkannten viele Nachbarn die Tätigkeit als bloße Beschäftigung, um sich dem Abhilfe gegen die Einkommenslosigkeit zu schaffen. Viele der Nachbarn verstanden das Abfallsammeln als unwürdige Tätigkeit, die sie mit Bettelei und der Ausnutzung der öffentlichen Wohlfahrt verbanden. Als sie selbst ihre Arbeitsplätze verloren, wurden sie Teil dieser Gruppe. Für die neuen AbfallsammlerInnen stellte die 34 Der Artikel 14 der Konstitution garantiert das Recht auf Arbeit mit würdevollen gleichen Arbeitsbedingungen, geregelte Arbeitszeiten und bezahlte Urlaube und Pausen, angemessene und gleiche Entlohnung für die gleiche Arbeit (Senado de la Nación Argentina o.J.) 91 Abfallsammlung einen Bruch in ihrem beruflichen Leben dar. Die Mehrheit der neuen cartoneros empfand sich als sozial verelendet und wollte nicht an die traditionelle Arbeitsethik der „Alten“ anknüpfen. Die cartoneros betrachteten das Abfallsammeln als kurzfristige Arbeitsmöglichkeit und hatten ihre eigene Identität als vorübergehende cartoneros klar definiert (Perelman 2007: 250). Die Beziehungen der neuen cartoneros zu den vecinos wichen von jenen der alten cirujas ab. Sie suchten weniger nach nachbarschaftlichen Beziehungen als die „Alten“, die mehrheitlich großes Interesse daran hatten, freundschaftliche Beziehungen zu den vecinos aufzubauen. Von der Arbeitslosigkeit betroffen, von Scham erfüllt und in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt, zeigten viele neue cartoneros wenig Interesse an engen nachbarschaftlichen Kontakten (Perelman 2007: 262). Um diese Diskrepanz zwischen „alten“ und „neuen“ AbfallsammlerInnen zu lösen, wurde von Seiten der Stadtregierung der neutrale Begriff „recuperador/a urbano/a“ eingeführt, der frei von negativen Wertzuschreibungen war. Hintergrund dieser terminologischen Veränderung ist die Akzentuierung der sozialen und ökologischen Nützlichkeit der cartoneros (Schamber/Suárez 2007: 41). Obwohl mehr als 10.000 Personen als recuperadores urbanos registriert sind (PRU 2006:3), wurde die gemeinsame Identität der recuperdores urbanos weder von den AbfallsammlerInnen selbst, noch von Öffentlichkeit und Medien angenommen (Medina 2007: 174). 4.3.7 Politische Organisation Vor der Krise lebten die cirujas in der Marginalität (vgl. Lomnitz 1977; Birkbeck 1979). Die Ausdehnung der Abfallsammlung auf mittelschichtige Gesellschaftsmitglieder veränderte die Haltung der Stadtbewohner den vormaligen cirujas gegenüber (vgl. Perelman 2007). Sie wurden in viele Stadtteilinitiativen integriert und permanent in den Medien thematisiert, da sie plötzlich einen unübersehbaren Bestandteil des öffentlichen Raumes darstellten (vgl. Colectivo Situaciones 2003: 10). Der cartonero galt plötzlich als Personifikation der verarmten Mittelschicht, als „neues soziales Objekt“, das zur neuen Identität des Landes dazugehört. Besonders in den reicheren Stadtteilen Palermo und Belgrano nahmen sich die asambleístas der stetig steigenden Anzahl der cartoneros an. Dort wurden Treffen organisiert und kleine private Fonds zur Unterstützung der cartoneros eingerichtet. In anderen Vierteln, Colegiales und Palermo Viejo, wurden Tetanusimpfungen finanziert, die bei einem regulären Preis von 50 Pesos von vielen cartoneros hätten nicht bezahlt werden konnten (Koehs 2007: 92 196). Die politische Solidarität der Arbeitslosenbewegungen gegen staatliche Unterdrückung schloss auch sie als eine Gruppe von Akteuren mit ein. Die direkte Verbindung der piqueteros zu den Abfallsammelnden bestand im Kampf um Arbeit und soziale Gerechtigkeit, den die piqueteros stellvertretend für alle Arbeits- und Existenzlosen der Mittel- und Unterschicht gegen die Obrigkeit führten. Als eigenständige politische Akteure, wie sie als piqueteros, als asambleístas oder als FabrikbesetzerInnen in Erscheinung traten, können die cartoneros aber nicht betrachtet werden (Boris/Tittor 2006: 93). Jessica Koelhs sieht die Verbindung zu politisch aktiven Akteuren als besonders wichtig, weil damit das soziale Erscheinungsbild der cartoneros aufgewertet wurde. Sie trugen maßgeblich dazu bei, dass sich das Bild vom cartonero als Verbrecher und Bettler in jenes des wegen der Krise arbeitslos gewordenen Mitbürgers umwandeln konnte. Die größer werdende Solidarität, die den cartoneros von den sozialen Bewegungen entgegen gebracht wurde, war fundamental für den Anstoß des Formalisierungsprozesses (Koehs 2007: 196). Im Zuge der Formalisierungsmaßnahmen wurden bislang noch keine direkten Maßnahmen ergriffen, um die politische Organisation der cartoneros zu fördern. Die Kooperativen vernetzten sich aber und richteten Verbände ein, mit der sie ihre Interessen der städtischen Politik gegenüber vertreten konnten. Seit 2001 existiert eine verbandsmäßige Organisation der cartoneros, SUCARA (Sindicato Único de Cartoneros de la República Argentina), die dem Gewerkschaftsdachverband CTA sehr nahe steht. Problematisch an der Interessensvertretung der cartoneros ist bislang aber noch, dass die für die Gesamtheit der cartoneros zahlenmäßig relativ unbedeutenden Kooperativen nach einer kollektiven Interessenvertretung der cartoneros streben und dabei häufig ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen (Schamber/Suárez 2007: 42). 4.4 Eigene Befragungen und Beobachtungen Im Folgenden werden jene relevanten Ergebnisse aus eigenen Befragungen und Beobachtungen dargestellt, welche im Zuge des Forschungsaufenhaltes geführt wurden. In den Interviews finden sich zahlreiche Informationen über die Entwicklung des Phänomens und die Organisation der Abfallsammlung, die in der Literatur wenig detailliert oder nicht behandelt wurden. 93 4.4.1 Interview mit Mercedes Vega Martínez und Julieta Lampasona Im Interview mit zwei Soziologinnen, Mercedes Vega Martínez und Julieta Lampasona vom sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut Gino Germani der Universität von Buenos Aires (UBA), am 25.02.2012, wurden wesentliche Aspekte zu den Beziehungen zwischen formeller und informeller Arbeit besprochen. Aus dem Gespräch ging hervor, welche Praxis in Kooperativen herrscht, welche Konkurrenzverhältnisse zwischen den cartoneros bestehen und wie komplex die Organisation der Müllabfuhr ist. Mercedes Vega Martínez machte zu Beginn des Gesprächs deutlich, dass die Krise unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene soziale Schichten hatte: „Die Krise 2001 war in jeder Hinsicht eine Krise im Endstadium. Individuell und sozial war sie brutal, mit zweistelliger, äußerst hoher Arbeitslosenrate. Das hat zur Folge, dass große soziale Fraktionen nicht mehr wussten, wie sie ihr eigenes materielles Leben reproduzieren sollten (…) Die Krise hat sich ausgebreitet und schließlich alle sozialen Fraktionen erfasst.“ Sie erklärte, dass jene sozialen Fraktionen am stärksten geschwächt wurden, die ohnehin schon am schwächsten waren. Das verbleibende symbolische Kapital verteilte sich auf die sozialen Fraktionen der Mittelschicht. Diesen Fraktionen blieben die Möglichkeiten erhalten, mit geringfügig veränderten Arbeitsbedingungen weiterzuleben. Besitzloseren Schichten blieben aber als Alternative zur Kriminalität nicht viele Möglichkeiten: „Sie wissen nicht, wie man spricht, wie man schreibt, wie man liest, sie haben nichts zu essen, … also versuchen sie die Krise irgendwie zu überstehen (…) Sie gehen mit dem letzten Element der Redistributionskette arbeiten, das es gibt – Abfall, was die Menschen wegwerfen. Das ist das letzte, was sie verwenden können.“ Sie berichtete weiter, dass das Einstiegsmotiv für viele zunächst die Suche nach Essbarem war: „Es gab endlose Schlangen von Menschen bei Abfallcontainern von Restaurants, die auf Überreste zum Essen warteten. Das breitete sich aus, wurde zur geläufigen Strategie, nicht nur bei den Restaurants“. Später wurde von den Menschen erkannt, dass es in den Containern Dinge gibt, mit denen gearbeitet werden kann, welche verkauft und zu Geld gemacht werden können. Sie nahmen andere Familienmitglieder mit, die bei der Suche nach Abfall und damit bei der Suche nach einer Reproduktionsmöglichkeit des materiellen Lebens helfen konnten. Die Anzahl der sammelnden Familienmitglieder bestimmte bei der Suche nach Überlebensfähigkeit über die Menge der gesammelten Materialien. Sie nahmen die 94 bekannten Traditionen der formellen Arbeitsverhältnisse wieder auf und gaben das Wissen über die Arbeit an ihre Kinder weiter. „Wenn die Leute zum Abfallsammeln „informelle Arbeit“ sagen, meinen sie in diesem Fall eine bestimmte Form informeller Arbeit. Sie trägt eigene Disziplinen der formellen Arbeit in sich. Sie sammeln um die gleiche Zeit, halten dieselben sozialen Beziehungen aufrecht und gehen respektvoll mit den Absprachen um, die sie mit den Leuten aus den Nachbarschaften gemacht haben. Ein Typ, der vor den Augen der Hausfrau, die täglich den Gehsteig kehrt, auf der Straße Müllbeutel zerreißt und den Inhalt offen liegen lässt, wird von ihr zurechtgewiesen. Die Frau weiß genau, dass dieser Typ jeden Abend die Straße verschmutzt. Die Frau bleibt also jeden Abend mit dem Besen versteckt draußen stehen, um den Typen, der das macht, eins überzuziehen. Das habe ich in meinem Viertel gesehen. Die Frauen warten mit dem Besen in der Hand darauf, dass die cartoneros kommen, um ihnen eine Abreibung zu verpassen, weil sie ihnen die Straße verschmutzen.“ Über solche alltäglichen Auseinandersetzungen wurden, so Vega Martínez, Absprachen zwischen cartoneros und vecinos ausgehandelt, die bis heute Gültigkeit haben. Die Absprachen sind sehr präzise und betreffen Regelungen über Grenzen von öffentlichem Raum und persönlichen Bereichen der Nachbarn. Mercedes Vega Martínez erläuterte weiter, dass mit der Destabilisierung des Landes immer mehr verarmte Menschen zu sammeln begannen. Die Anzahl der cartoneros stieg und hielt sich bis heute. Grund dafür ist die schlechte Arbeitssituation in der Stadt. Die Ausbreitung der cartoneros hatte zur Folge, dass sich die Beschäftigung mit Beginn des 21. Jahrhunderts institutionalisiert hatte. „Am Anfang hat es Angst verursacht, sehr viel Angst.“ Die hohe Anzahl an cartoneros führte zu Gegenreaktionen in der Bevölkerung, sie versuchte, die cartoneros von den Straßen verschwinden zu lassen: „Es gibt Fraktionen, die fanden und immer noch finden, dass die cartoneros Diebe des Eigentums von für die Straßenreinigung beauftragte Unternehmen sind.“ Laut Mercedes Vega Martínez ist der Staat als Institution im Zusammenhang mit der Abfallsammlung schwer zu definieren, da es verschiedene Regierungen, die Stadtregierung, die Nationalregierung und die Provinzialregierungen gibt, die den cartoneros gegenüber verschiedene Haltungen einnehmen und unterschiedliche Interessen verfolgen. „Die Stadt Buenos Aires unterstützt sie. Eigentlich versucht sie auf der einen Seite, ihnen tröpfchenweise zu helfen, sie zu entflechten. Auf der anderen Seite vergibt sie aber Konzessionen an Abfallunternehmen“. Diese Abfallunternehmen sammeln ihrerseits Gegenstände ein, die cartoneros bei ihrer Sammlung zurückgelassen haben und verkaufen diese selbst an Zwischenhändler weiter. „Es gibt also viele Interessen im Spiel. Das lässt 95 einem die Gültigkeit der bekannten Prozentzahlen noch einmal überdenken, die für die Recyclingwirtschaft existieren.“ Mercedes Vega Martínez kam im Interview auf die Heterogenität der cartoneros zu sprechen. Sie erklärte, dass es zwischen cartoneros individuales und cartoneros in Kooperativen große Unterschiede gibt, die insbesondere auf die unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse zurückzuführen sind. Die Gemeinsamkeit der verschiedenen Fraktionen lässt sich laut Mercedes Vega Martínez darauf reduzieren, dass sie allesamt im Moment eine Arbeit mit geringen Qualifikationsanforderungen ausüben. „In den Fraktionen, die ich gesehen habe, habe ich eine cartonera gesehen, die zuvor Professorin für Philosophie war. Eine andere war Näherin. Zwischen einer Professorin, einer Näherin und einem Dieb gibt es einen großen Unterschied. Daneben sammeln auch Drechsler, Maschinenbauer – alles hoch qualifizierte ArbeiterInnen.“ In der Heterogenität der Gruppe liegt begründet, dass es keine gemeinsame Identität gibt. Viele der cartoneros sagen, dass sie Abfall sammeln, bezeichnen sich aber nicht als „cartonero“ oder „cartonera“. Sie waren ihre alte Identität, indem sie ihren alten Beruf nennen. Für die „neuen“ ist der Begriff „cartonero“ ist mit schmutziger Arbeit und sozialer Abwertung verbunden. „Deswegen glaube ich, dass sich die Leute von „El Ceibo“ recuperadores urbanos nennen und nicht cartoneros, weil sie sich des Namens „cartonero“ schämen.“ Mit dem Ausbreiten der cartoneros auf den Straßen sank die Angst der Stadtbevölkerung auf der einen Seite. Auf der anderen Seite entwickelte sich das Abfallsammeln zu einem offenen Geschäftsfeld auf eigene Rechnung, in dem verschiedene cartonero-Identitäten präsent waren: „Es sammeln die cartoneros, es sammeln die recuperadores, es ist auch eine kleine Arbeit für absolut marginalisierte Fraktionen, die manchmal stehlen und manchmal sammeln“. Mit marginalisierten Fraktionen meinte sie jene cartoneros, die zuvor formelle Arbeitsverhältnisse hatten und in der ersten Generation sammelten. Jene wurden nach Mercedes Vega Martínez als „Lumpen“ bezeichnet. Daran anknüpfend machte Julieta Lampasona auf die Differenzen in der Identitätskonstruktion in Verbindung mit formeller Arbeitserfahrung aufmerksam: „Der cartonero mit formeller Arbeitserfahrung hat seine Identität in Bezug auf das Abfallsammeln ziemlich genau konstruiert. Darin gibt es aber mehr Unterschiede. Die absolute Arbeitslosigkeit und die soziale Exklusion sind gestiegen. In den 1990ern wurden Jugendliche durch jede Form von edukativer Institution marginalisiert. In dieser Hinsicht gibt es große Unterschiede in den Formen des Arbeitens zwischen den alten cartoneros und jenen, die zuvor informelle Arbeitsverhältnisse hatten. Die alten verfolgen ethische Regeln 96 und sie kannten nur prekäre und informelle Arbeitsverhältnisse. Das hat sich nun verändert. Heute ist der cartonero ein soziales Symbol, aber überhaupt nicht mit der Arbeitsethik der alten cartoneros verbunden.“ Im Zuge einer Studie über die cartoneros erkannte Julieta Lampasona zudem Veränderungen in den „alten“ und den „neuen“ Institutionalisierungsformen der cartoneros. Sie merkte an, dass die neue Form der Institutionalisierung hauptsächlich auf Legalisierung abzielte, aber keine sozialen Vergünstigungen brachte. „Es war nur, um sich auf irgendeine Weise zu organisieren, ohne die Schwarzarbeit zu formalisieren“. Subventionen, die cartoneros seit 2009 erhalten sollten, stellte sie in Frage, weil sie nicht glaubte, dass es für das Abfallsammeln Subventionen gab. Sie fügte hinzu, dass jene cartoneros, die formale Arbeitserfahrung hatten, staatliche Unterstützung für die Formalisierung der Arbeit einforderten. Sie ging darauf ein, dass die Unterschiede zwischen den individuales und den cartoneros in Kooperativen mit den Arbeitserfahrungen der jeweiligen Fraktionen zusammenhängen. Jede Fraktion beinhaltet wiederum kleinere Fraktionen, die sozial noch verwundbarer sind als die gesamte Fraktion selbst, der sie zugeordnet werden. „Generell mussten wir bei den Individuellen soziale Fraktionen sehen, die viel besitzloser waren als jene, die an Kooperativen beteiligt waren. Manche von den cartoneros, die an Kooperativen beteiligt waren, waren zuvor bei anderen Bewegungen (Stadtteilversammlungen oder anderen militanten Bewegungen) aktiv.“ Sie nannte die Kooperative „El Ceibo“ als Beispiel einer Organisation, die aufgrund von kommunalen Vorerfahrungen gegründet wurde. Sie erklärte, dass die Gründerinnen der Kooperative in den 1980ern an Hausbesetzungen beteiligt waren, in welchen sie kommunale Erfahrungen im Kampf ums Überleben gemacht haben, die anders waren als die Organisationserfahrungen der „neuen“ cartoneros. Sie meinte, dass die kollektiven Vorerfahrungen der Gründerinnen von „El Ceibo“ für das Formen einer kollektiven Identität als Abfallsammlerinnen und das Begreifen von Abfallsammeln als Arbeit entscheidend waren. Vega Martínez fügte dem an, dass die Aufgaben der Kooperativen neben des Sammelns und Ankaufens auch soziale und „natürliche“ umfassen würden, die heute weniger offensiv verfolgt werden als früher. In der Organisation der heutigen Kooperativen erkennt sie im Aushandeln von Rechten und Pflichten eine defensive Haltung. Ihrer Meinung nach existieren diese Kooperativen nur, um bestimmte Formen der Organisation für diese ArbeiterInnen umsetzen zu können und den cartoneros damit irgendeine Institution für das cartonero-Sein zu geben. „Ich würde sagen, die Kooperative „El Ceibo“ ist die einzige 97 Kooperative im eigentlichen Sinn, alle anderen sind kleine Zwischenhandelsbetriebe, die den Namen einer Kooperative tragen.“ Als weiteres positives Beispiel erwähnt sie die Kooperative in Bajo Flores, die für Nachbarn Workshops zum Abfallsammeln anbietet. Sie zeigt damit eine Präsenz im barrio, die von vielen anderen Kooperativen nicht gezeigt wird. „Sie hatten mehr interessante Dinge zu bieten als andere, die kleine Zwischenhandelsbetriebe waren.“ Sie erklärte, dass viele Kooperativen wie Zwischenhandelsbetriebe auftreten und Arbeitsbedingungen Verhandlungssache zwischen der betreffenden Kooperative und ihren cartoneros sei. Ob die Arbeitsbedingungen für den cartonero/die cartonera in einer Kooperative günstiger sind, hängt stark von der Kooperative ab. „Die Arbeitsbedingungen in Kooperativen sind für den cartonero nicht immer günstiger, als wenn er alleine mit einem Zwischenhändler verhandelt. Eine Frau kam einst zu mir und erzählte, dass sie mit einem Chef eines Abfallunternehmens verheiratet sei, der von cartoneros bedroht wurde. In Wirklichkeit war der Chef ein Hurensohn von Zwischenhändler. Ein Typ, der vom Handel mit den Materialien der cartoneros reich wurde. Er hatte ein Unternehmen gegründet, das er „Kooperative“ nannte. Er hatte zwei oder drei Angestellte, die für ihn den Handel auf der Straße betrieben. Und natürlich hatten die beiden ihn bedroht, weil er nur 20 centavos für das Kilogramm Karton bezahlte, es aber für 2,50 pesos verkaufte. Er war ein wichtiger Zwischenhändler.“ 4.4.2 Interview mit Juan Garbois Aus dem Interview mit dem Leiter Juan Garbois und der Mitarbeiterin Susana von der cartonero-Kooperative Movimiento de Trabajadores Excluidos (MTE), am 10.02.2012, gingen wichtige Informationen über staatliche Unterstützungsleistungen, Organisationsformen und die Effektivität von normativen Regulierungen hervor. Auf die Einstiegsfrage, welche Funktion die cartoneros ausübten, erklärte Susana, dass die Arbeit der cartoneros anderen mehr nützte als ihnen selbst: “Die cartoneros machen nicht mehr oder weniger, als die Aufgabe des Staates zu übernehmen, Abfall zu separieren und Recyclingprodukte bereitzustellen. Sie machen das, um Arbeit zu haben und ihren Kindern Essen zu geben. Aber sie nehmen dabei eine Rolle ein, die manchmal privaten Unternehmen hilft, ein Vermögen zu verdienen. Nicht alle Personen, die sammeln, sind in einem System, in dem es ihnen gut geht. Im System des MTE sind schon viele, aber es fehlen noch mehr.“ 98 Im Hinblick auf den Organisationsgrad der cartoneros fügte Juan Garbois Susana an, dass dies von der sozialen Organisation der cartoneros abhängig sei: “Welche Arbeitsbedingungen sie haben, hängt vom Organisationsgrad der einzelnen Gruppen ab. In Argentinien haben die meisten cartoneros keine Organisation, es sind ArbeiterInnen, die individuell arbeiten, keine Unterkunft haben und unter extrem prekären Bedingungen in Bezug auf Einkommen, Gesundheitsversorgung, Arbeit, Transport und Sicherheit leben. (…) In Buenos Aires hat sich die stärkste Organisation der cartoneros auf der ganzen Welt entwickelt. Die Entwicklung der cartonero-Organisation fußt auf dem sozialen Überlebenskampf. Er hat dazu geführt, dass das Recyclingsystem der Stadt Buenos Aires öffentlich geworden ist und ein Bund zwischen Staat und Kooperativen geschlossen wurde. Es gibt einen Vertrag, der den Staat dazu verpflichtet, bestimmte Gebäude bereitzustellen und die cartoneros dazu, bestimmte Leistungen zu erbringen.“ Er erklärte zudem, dass die gesetzlichen Regulierungen kaum etwas an den Arbeitsbedingungen der cartoneros geändert haben: „2001 war nur eine Legalisierung, nichts weiter. Von 2002 bis 2007 war eine Periode des Widerstands. Und seit 2007 wurde erreicht, dass die Verträge mit den Abfallunternehmen aufgelöst und öffentliche Verträge mit den Kooperativen geschlossen wurden. Das Gesetz aus dem Jahre 2005 bewirkte auch nicht viel. Es war ein von Greenpeace angestoßenes Gesetz, es ist theoretisch. Es ist kein Gesetz, das umgesetzt wird. Seit 2007 haben sie begonnen, Regulierungen zu machen, die die ArbeiterInnen ernsthaft schützen. Dass jeder Arbeiter/jede Arbeiterin eine eigene Zone hat, ein Transportmittel, etc.“ Er fügte hinzu, dass das Interesse des Staates nicht in der sozialen Integration von Ausgegrenzten liegt, sondern in einer Verbesserung von umweltpolitischen Maßnahmen. „Sagen wir, der ökologische Wert der Arbeit der cartoneros wird anerkannt. Deswegen bezahlt der Staat bestimmte Leistungen (…) Die Plastikindustrie, die Papierindustrie, … sie tragen nichts zur Formalisierung der cartoneros bei, sie nehmen nur die Rohstoffen an. Das müsste geändert werden. Es müsste für jede Ware, die aus recyceltem Material produziert wird, die aus dem informellen Abfallzyklus oder aus dem Zyklus von Kooperativen stammt, eine Steuer bezahlt werden. Die Industrie müsste dafür Steuern für Sozialprogramme und die Inklusion der cartoneros bezahlen“. Garbois erklärte weiter, dass der teuerste Vertrag der Stadt Buenos Aires der Vertrag zur städtischen Sauberkeit, der sich auf 1,2 Milliarden Pesos im Jahr belaufe, sei. Nach Garbois gingen von 2005 bis 2007 davon je 100 Millionen Pesos an die Abfallunternehmen für Recyclingaktivitäten. Die Unternehmen recycelten aber nicht, sondern brachten den Abfall zusammen mit dem Müll auf die Deponien im Zuständigkeitsbereich: „[D]er Vertrag war 99 ein Betrug (...) Das System bestand im Aufstellen von Containern, einen für wiederverwertbare Gegenstände, ein anderer für Müll. Derselbe Abfallwagen nahm beide Container auf einmal mit, warf alles auf den Müll und es wurde endgelagert. Es gab ein paar Lagerhallen und wenige kleine Kooperativen, die zwei oder drei Tonnen pro Tag erhielten“. Seit 2007 wurden die Recyclingverträge geändert und mit Kooperativen abgeschlossen. Zu den heutigen Kosten der Verträge äußerte er sich aber nicht. Ähnlich wie Mercedes Vega Martínez, führte Garbois das Ausbreiten der cartoneros auf die Notwendigkeit zur Überlebenssicherung und dem Anstieg der Rohstoffpreise zurück: „Nach der Abwertung 2001 ist die Anzahl der cartoneros stark gestiegen. Aus zwei Gründen: Erstens wegen der Notwendigkeit und zweitens wegen dem relativen Preis von Karton, Papier, Plastik...“ Politik, Kapital und Industrie betrachtet er als weniger bedeutend, denn “wenn die Preise für Rohstoffe hoch sind, ist es für den cartonero am attraktivsten, rauszugehen und nach Materialien zu suchen“. Der relative Preis ist stark gestiegen. Der Markt bezahlte viel für die Ware und erlaubte, Einkommen zu schaffen, das manchmal höher war als das frühere Gehalt. Mit den 60 centavos, die man 2001 für Karton bezahlte, konnte man sich 2001 viel mehr kaufen als heute. Die Inflation betraf aber nur Konsumprodukte, es gab keine große Inflation im Kartonpreis, weil sich der Kartonpreis an internationalen Preisen orientiert. Das teuerste Material, das recycelt wird ist Kupfer, danach Aluminium. Das billigste ist Zeitungs- und Zeitschriftenpapier. Dazwischen ist Karton, Papier, Plastik.“ Den Erklärungen zu Materialwert fügte er an, dass die gesammelten Materialien Eigentum des jeweiligen Sammlers/der jeweiligen Sammlerin wären, der über den Verkauf in der Regel seiner Materialien selbst bestimmen könne. „In manchen Fällen ist das nicht so, aber diese Fälle sind sehr gering. Es gab eine Zeit, da gab es Menschen, die die cartoneros dafür bezahlten, dass sie für den- oder diejenige/n sammelten. Das hat sich aufgehört.“ Einige cartoneros verkaufen an die eigene Kooperative, andere an illegale Lagerhallen. „Die Mehrheit des von den cartoneros gesammelten Materials geht an kleine, illegale Lagerhallen.“ Von der kleinen, illegalen Lagerhalle wird das Material an größere, und anschließend an die Industrie verkauft. „Die Fabrik kauft große Mengen an und verkauft diese dann an sehr große multinationale Fabriken (Smurfit, Zucamor). Es gibt verschiedene Papierfabriken, die von galpones kaufen. Die ganze Kette geht an eine wichtige Fabrik.“ 100 Garbois spricht anschließend den Kontrollmechanismus zwischen Kooperativen und staatlichen Institutionen an: „In unserer Kooperative überprüfen wir die Pflichten des Staates. Wenn sich der Staat nicht daran hält, entwickeln wir eine direkte oder legale Aktionsstrategie. Die Verpflichtungen, die die cartoneros haben, werden vom Staat sehr schlecht kontrolliert. Der Staat hat bis heute nicht viel gemacht, weil er mit der Situation nicht sehr zufrieden ist. Es gibt eine staatliche Generaldirektion für Recycling, die die Einhaltung der Verträge mit Kooperativen kontrolliert, mehr aber nicht“. Kontrolle brachte Garbois auch in Zusammenhang mit Exekutivkräften, die der Kooperative bis 2007 viele Probleme bereiteten. Diese Probleme, so Garbois, waren nicht auf die Kooperative selbst, sondern auf die Arbeitsweise der cartoneros auf der Straße zurückzuführen. Um die Probleme in den Griff zu bekommen, wurde Schmiergeld bezahlt, „damit die cartoneros arbeiten konnten. Es gab sehr viele Zusammenstöße mit der Polizei. Aber jetzt nicht mehr, weil die Organisation sehr stark ist, versucht die Probleme zu lösen. Es gibt keine große Gewalt mehr.” Spannungen zwischen cartoneros und vecinos führte er auf unterschiedliche Interessen und Perspektiven zurück: „Das Problem der Mittelschicht ist, dass die cartoneros die Straßen verunreinigen. Das Problem des villero ist es, nichts zu essen zu haben, nicht sozialversichert zu sein, keine Wohnung zu haben, weil sein Vater Alkoholiker ist.“ Dabei erkannte er aber Nachbarschaften und Familien der Mittelschicht als die wichtigste KlientInnen der cartoneros. In Verbindung mit Kontrolle und Regeln sprach er auch die in der Kooperative geltenden Regeln an, „nicht in der Straße zu rauben, keinen Kollegen zu schlagen, kein Material von großen Erzeugern zu rauben, die Uniform anzuziehen, keine Minderjährigen mitzubringen“, die einzuhalten seien. Regelbrüche würden zwar ermahnt, aber nicht sanktioniert, obwohl sie häufig vorkämen. Konflikte, welche in der Organisation auftreten, stehen, so Susana, häufig in Zusammenhang mit Hierarchie und Macht. „Wenn es nur geringe Machtunterschiede gibt, kommt es zu Problemen. Wenn einer zum Beispiel der ist, der organisiert. Oder bei der Aufteilung der Straßen; viele sammeln schon ewig in denselben Straßen. Diese Konflikte sieht man aber nicht auf der Straße. Außerdem gibt es persönliche Probleme in bestimmten barrios. Aber in der Straßensammlung werden die in der Regel nicht ausgetragen“. Susana betonte, dass die Kooperative bei ihren Mitgliedern auf das Tragen von Uniformen großen Wert lege, weil damit Seriosität und Ordnung ausgedrückt wird. „[Mit den Uniformen] wird eine minimale Ordnung hergestellt. Die Uniform wird am liebsten von älteren Personen getragen. Am Anfang war es schwer, dass gerade sie sich diese Uniformen anziehen. Jetzt 101 finden es alle cartoneros gut, weil sie damit zeigen, dass sie erstzunehmende ArbeiterInnen sind, dass sie arbeiten und ihre Arbeitszeiten einhalten.“ Garbois sprach das fast ausgeglichene Geschlechterverhältnis (50-50) an und hob hervor, dass Frauen in der Organisation der Arbeit protagonistische Positionen einnehmen. „Die Mehrheit der Organisationsdelegierten sind Frauen. Sie erfüllen eine sehr wichtige Rolle in Sachen Widerstand.“ 4.4.3 Interview mit der recuperadora María Julia Nevarra Aus den Interviews mit María Julia Nevarra, einer Mitbegründerin der Kooperative „El Ceibo“, vom 07. und vom 16.02.2012, gingen Aspekte zur Identität und zum ambivalenten Verhältnis zwischen Staat und Kooperativen hervor. Zudem gab das Interview mit María Julia zahlreiche Aufschlüsse über die Organisation der cirujas vor der Krise, und damit vor der Formalisierung der Kooperativen. Da ihre Erzählform eine narrative ist und subjektive Bedeutungen beinhaltet, die durch Paraphrasierungen verloren gehen könnten, wird von Umschreibungen des Inhalts abgesehen. „Von einem Leben unter der Brücke zur Miete einer Wohnung ist ein großer Unterschied. Früher haben wir immer in besetzten Häusern gewohnt. Wir waren sieben Gründerfrauen, die zuvor cirujas individuales waren. Und ‚indiviudal‘ zu sein bedeutete, herumzugehen und Müllsäcke zu öffnen. Jetzt sind wir recuperadores ‚socio-ambientales‘. Wir sind rumgelaufen und haben uns vorgestellt, haben Zettel mit unseren Namen in der Nachbarschaft aufgehängt. So wurden wir unter den Leuten bekannt und heute kommen sie von weit her, um uns Material zu geben. Wir haben viel geweint, um das zu bekommen, was wir heute haben. Jetzt haben wir einen Plan mit Zonen. Alles änderte sich mit der Superinflation von 2001. Uns kam das zugute, sie haben uns sogar einen galpón geschenkt. (...) Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Das ist alles, was wir dafür gemacht haben. Es gibt Leute, die nicht wollen, dass wir arbeiten. Aber, in Wahrheit haben wir vor nichts Angst. Wir haben die gleichen Subventionen, die sie an andere Kooperativen, die MTE zB., geben. Aber darüber hinaus haben wird keine Hilfe von der Regierung, wir erhalten nichts. (...) 102 Die Aktivitäten vom Staat haben unseren Lebensrhythmus nicht verändert. Er behandelt uns unfair. Früher haben sie uns Wägen mit Materialien gebracht, heute nicht mehr. Der galpón ist nur eine Kleinigkeit dessen, was früher war. Vor kurzem, im Dezember oder Jänner haben sie die Menge an Material verringert, aber uns beleidigt das nicht, weil wir immer Frauen waren, die gekämpft haben. Wir kämpfen, um zu überleben. Wir haben ein Papier mit der Stadt Buenos Aires unterschrieben. Wir möchten nicht, dass sich der Staat in das einmischt, was wir erreicht haben. Das bisschen, was wir erreicht haben, wollen wir steigern. Es fehlt immer noch viel, aber das schulden wir nicht der Regierung. Die, die uns am Leben erhalten, sind die Nachbarn. (...) Was mich betrifft, ist es eine würdevolle Arbeit. Wir geben Leuten Arbeit, die arbeiten wollen. Was wollen die Jungen sonst machen? Sie gehen raus und rauben oder nehmen Drogen, wir geben ihnen hingegen eine andere Möglichkeit. Ab 18 können sie bei uns arbeiten. (...) Cristina ist die einzige von uns, die die Volksschule abgeschlossen hatte. Ich habe mit 25 die Volksschule begonnen und mit 59 beendet. Mein Diplom hat mir Cristina verliehen. Ich hatte große Probleme mit Orthographie und Mathematik. Jetzt können sie mich nicht mehr für dumm verkaufen, jetzt habe ich die Logistik in meinem Kopf. Ich möchte, dass meine Kinder die Sekundärschule abschließen und aufs Kolleg gehen. Mit sieben Jahren habe ich zu arbeiten begonnen. (...) Es sind 1.500 Pesos Miete im Monat, und ich verdiene 300 in der Woche. [Im anderen Gespräch erzählte sie, dass sie im Monat 1.500 Pesos vom Staat erhält. Auf das Sozialprogramm, aus dem das Geld kam, wollte sie nicht eingehen.] Der Staat möchte nichts vom Recycling wissen. Das einzige, das ihn interessiert, ist die Endlagerung. (…) 'Juga Limpia' ist ein schlechtes Wort für uns. Die kommen von der Regierung und wir sind nicht an der Regierung beteiligt. Wir sind sieben Frauen, die die Kooperative gegründet haben. Die vom 'Juga Limpia' reißen selbst die Beutel auf, weil es leichter ist, an das Material zu kommen. Es gibt tausende Jugendliche, die rumlaufen und die Beutel aufreißen. (...) Wir sieben Frauen wollen von niemandem abhängig sein. Die Regierung beleidigen wir, weil sie ziemlich hohe Leute sind und wir mit der Wahrheit kommen. 103 (...) Wir haben um einen Lastwagen gekämpft. Wir leben mit etwas Geliehenem. Wir wollen etwas Eigenes, das uns gehört. Sie haben uns einen Lastwagen geliehen, der kaputt geworden ist. Wer weiß, wann sie den reparieren. Wir haben einen kleinen neuen Lastwagen, mit dem wir die ganzen Materialen transportieren. Das ist eine Schande. Sie sehen in ihre Richtung, aber nicht in die Richtung der Armen. (...) Cristina ist die Chefin. Sie ist im galpón und ich bin hier. Ich bin die Chefin der Straßensammlung. Es gibt unterschiedliche Arbeitskategorien. Die auf der Straße verdienen am wenigsten. (...) Die Nachbarn behandeln uns sehr gut. Viele haben Vertrauen, weil wir Uniformen tragen, weil wir eine seriöse Kooperative sind. Wir kennen alle Nachbarn. Wohin ich auch gehe, grüßen sie mich mit 'Hallo María Julia'; 'Hallo', kommt ein anderer Gruß. Wo sie auch sind, sie grüßen uns.“ 4.4.4 Beobachtungen Beobachtung „El Ceibo“ bei der Arbeit, 13/02/2012: Raum: Paraguay Straße im barrio Palermo, Büro der Kooperative „El Ceibo“ Akteur(e: recuperadores urbanos, Passanten, vecinos, Beobachterin Aktivitäten: Vorbereitung der Straßensammlung im Büro der Kooperative Straßensammlung der cartoneros Lucía und Julio Gegenstand: Straße, Wohnhäuser, Gehsteige, Abfallsäcke Handlung: Lucía und Julio sammeln Abfall ein, María Julía Nevarra und Beobachterin begleiten sie Ereignisse: Lucía und Julio kommen aus dem Westen der Stadt, verspäten sich um 1 Stunde, weil Transportmittel kaputt ist. María Julia bereitet vor, welche Straßen an dem Tag abgesammelt werden müssen, erklärt, welche vecinos Material zurückgehalten haben. María Julia ist ungeduldig, drängt die beiden, als sie kommen, sich schnell umzuziehen, weil die Zeiten eingehalten werden müssen. Die beiden machen sich aus, welche Straßen zuerst abgesammelt werden, machen den Handkarren mit dem Sack bereit und gehen raus. Sie läuten an den Haustüren und fragen nach Materialen. 104 Sie laden sie ein, währenddessen quatscht María Julia mit den vecinos über Alltägliches und stellt die Beobachterin vor. Die vecinos grüßen mit der Hand, sind alle freundlich und reden die cartoneros beim Vornamen an, fragen gelegentlich nach dem Befinden der cartoneros, helfen ihnen die Materialien in den Sack zu schlichten. Am Ende der Sammlung werden die Materialien vor der Kooperative stehen gelassen, Lucía und Julio werden wieder abgeholt, María Julia durchsucht den Sack noch auf Gegenstände, die sie selbst verwenden könnte. Sie findet alte Kugelschreiber und eine Plastikvase, die sie im Büro aufstellt. Danach stellt sie ihn vor der Tür bereit, damit er vom Lastwagen abgeholt werden kann. Zeit: zwischen 8:30 und 11:30 morgens Ziel: Material von den bestimmten Straßen zu sammeln Gefühle: Nachbarn und María Julia freuen sich, dass sie sich wieder einmal sehen Ungeduld beim Warten auf die SammlerInnen Ruhe und Gemütlichkeit beim Sammeln Empörung, Verwunderung und Erstaunen von María Julia, als sie das gesammelte Material auf die weggeworfenen Gegenstände hin untersucht: „¿Viste lo que tiran?“ Beobachtung in den Sortieranlagen am Areal der CEAMSE, gemeinsam mit dem Forscher Raúl Néstor Alvarez, am 14/02/2012: Raum: Vorstadt José León Suárez; Deponie der CEAMSE Norte III, verschiedene Sortieranlagen am Areal der CEAMSE, sind voneinander getrennt und in Blockform angeordnet, Tore zu den Anlagen, die an diesem Tag in Betrieb sind, sind offen. Ummauertes Gebäude der CEAMSE, ca. 1 km langer Zufahrtsweg zu den Sortieranlagen der Kooperativen. Das Areal ist umgeben von saftig grünen Hügeln, die nicht als Müllberge zu erkennen sind, Wasser an den Straßenrändern ist grün und verseucht, auch der Fluss, der durch die Vorstadt fließt. Siedlung der cartoneros vor dem Areal der CEAMSE: Straßen sind staubig, die Oberfläche besteht aus ausgetrocknetem Müll. Das Wohngebiet der cartoneros wurde oft von ihnen besetzt und durch Proteste in den eigenen Besitz gebracht. Akteur(e: recuperadores, Raúl Néstor Alvarez, Beobachterin 105 Aktivitäten: Besuch der Sortieranlage der Kooperative „Tren Blanco“, Beobachtung des Sortierens von Abfall, der von den Lastwägen der Abfallunternehmen abgeladen wird. Gegenstand: Sortieranlagen, umzäunte Bereiche der Kooperativen, Fließbänder befinden sich in Lagerhallen, wo auch das Material gelagert wird. Viele der Fließbänder sind erhöht, mit Stehflächen links und rechts, von den Stehflächen ist ein Schaft, unter dem ein Sack steht, in dem das Material eingeworfen werden sollte. Unten sind auch cartoneros, die die Säcke herumschieben, falsches Material aus den Säcken rausnehmen, Materialen in Presse geben, Ballen umwickeln. Handlung: SortiererInnen trennen den Abfall und pressen ihn in Ballen Ereignisse: Besuch der Sortieranlage der Kooperative „Tren Blanco“. Leiterin Kooperative Lidia Quinteros begrüßt uns, sagt, ich dürfe keine Fotos von den Arbeitenden machen, Anlagenfotos seien erlaubt. Abfallunternehmen bringen Haushalts- und Geschäftsmüll zu den Anlagen, laden ihn ab, wo Platz ist. Frauen und Männer stehen dort und trennen von Fließband oder direkt vom auf dem Boden abgeworfenen Müllberg aus die Sachen. Manchmal sind Fließbänder nicht in Betrieb. Raúl erklärt, dass sie kaputt seien. Lidia Quinteros beschwert sich bei Raúl darüber, dass die Aufteilung der Kipper [ca. zehn pro Tag und Anlage] unfair sei. Einige bekämen immer die „guten“, andere immer die „schlechten“ Abfälle. Abfall aus den wohlhabenden barrios sei wertvoller, weil er aus reichen Haushalten kommt. So auch die Handelsabfälle, weil viele Karton beinhalten. Raúl erklärt, dass die auf den Anlagen Arbeitenden erhalten in etwa 1.200 pesos im Monat (+1.500 extra Sozialleistungen vom Staat, als 2.700 gesamt) erhalten. Niemand trägt Schutzkleidung. Manche haben aber Handschuhe aus Stoff und manchmal auch feste Schuhe an. Lidia Quinteros und andere höher positionierte MitarbeiterInnen stehen neben der Sortieranlage und sehen den SortiererInnen zu. Raul schätzt, dass in etwa neun bis 18 Prozent vom den Abfall des gesamten Geländes auf den Anlagen recycelt werden, der Rest wird vergraben. 106 Eine andere Sortieranlage wurde während des Besuchs stillgelegt, weil auf dem Fließband am Vorabend eine Frau gestorben ist – Schädelbasisbruch. Die KollegInnen der Anlage erklärten, dass CEAMSE und die Kooperative den Verbliebenen was zahlen müssten. Raúl erklärt, dass ein Großteil der cartoneros Verwandte im Gefängnis hat, das sich daneben befindet. Er sagt, viele der SortierInnen besuchen diese oft; in der Vorstadt kommt es in fast täglichen Abständen zu Raubmorden und Raubzügen. Zeit: zwischen 8:30 und 15:30 Ziel: so viel Abfall wie möglich zu sortieren Gefühle: Stress bei den SortiererInnen der Kooperative „Tren Blanco“, wenn Lastwagen mit Material kommt, Desinteresse der SortiererInnen am Besuch üble Gerüche bei allen Anlagen Trauer und Betroffenheit bei der Kooperative „Tren Blanco“ und der anderen Kooperative wegen Todesfall Beobachtung der StraßensammlerInnen im Stadtviertel Balvadera, um den Congreso Nacional, am 06/02/2012 und am 20/02/2012: Raum: Balvadera, 3 bis 4 Straßenblöcke um den Congreso Nacional Akteur(e: recuperadores urbanos, Passanten, Beobachterin Aktivitäten: Straßensammlung der cartoneros Gegenstand: Straße, Wohnhäuser, Gehsteige, große weiße Abfallsäcke, Müllbeutel, Container Handlung: recuperadores sammeln brauchbares Material ein und geben es in Säcke Ereignisse: Alle 2,3 cuadras ein oder zwei cartoneros. Bei Bürogebäuden oder Einkaufshäusern manchmal auch drei oder vier, sortieren vor allem aus Containern vor den Bürogebäuden oder Einkaufshäusern. Großer weißer Sack bleibt stehen, cartoneros laufen hin und her und tragen die Materialien zum Sack hin. Gezielte Sammlung, nicht alles Verwertbare raus, sondern nur bestimmtes Material. Nehmen auch nicht alle Müllsäcke mit. Stellen sich entweder bei den Containern auf und breiten ihre Säcke aus, um großflächig zu trennen. In manchen Säcken waren im Vorbeigehen nur Flaschen, nur Plastik, nur Karton o.ä. zu sehen, in 107 anderen aber alles wieder viele verschiedene Materialien. Sowohl Männer als auch Frauen verschiedener Altersgruppen, die Müllsäcke und Container aufreißen und ausräumen. Auch Kinder die Karren schieben, sortieren und sammeln. Die Säcke werden teilweise verschlossen, teilweise aber offen liegen gelassen. Manche Straßenteile bleiben äußerst verschmutzt zurück. An beiden Tagen arbeiteten die beobachteten cartoneros an den gleichen Stellen und deckten dieselben ein bis drei Straßen ab. Manche tragen Arbeitstaschen mit sich. Die Passanten beachten sie nicht. Während des Beobachtungszeitraums erfolgte kein Austausch zwischen Passanten, Nachbarn oder cartoneros. Es werden keine Handschuhe getragen, manche tragen Schutzjacken und hosen. Frauen sind mit kurzen Sachen (Trägertops, kurzen Hosen) und Flip-Flops bekleidet. Es ist nicht eindeutig ersichtlich, wer welcher Kooperative angehört. Manche tragen aber T-Shirts und Hosen der Kooperative „MTE“. 108 Zeit: zwischen 16:30 und 18:00 abends Ziel: Material von den bestimmten Straßen zu sammeln Gefühle: --- 5 Diskussion der Ergebnisse Einflüsse und Entwicklung des Phänomens In der Untersuchung der Ursachen, der Einflüsse und der Entwicklung des cartoneroPhänomens, eröffnete sich ein Feld von Einflussfaktoren und Akteuren, das in der Realität um ein Vielfaches komplexer und heterogener ist, als mit der Theorie erarbeitet werden konnte. Die Abfallwirtschaft ist in Buenos Aires ein politisch sensibles Thema, das von vielen Interessen und Entwicklungen geprägt wurde und noch immer geprägt ist. Entgegen den Konzepten zu informellen AbfallsammlerInnen können die cartoneros nicht einfach als marginalisierte, unter struktureller Armut leidende Menschen betrachtet werden, welche sich als „Nebenprodukte“ (Lomnitz 1977: 9-10) des globalen Wirtschaftssystems das Überleben zu sichern versuchen (Castillo 1990: 28-29; Birkbeck 1978: 1174; Sicular 1992; Grothues 1990: 97). Sie spiegeln die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen des Landes während der letzten 20 bis 30 Jahre wider. Der cartonero wurde zu einem Symbol für das Scheitern eines wirtschaftlich und sozialpolitisch erfolgreichen Argentiniens, das im Zuge radikal-neoliberaler Reformen, Privatisierungen und Deregulierungen den Verlust des sozialen Wohlstands hinnehmen musste. Der cartonero ist das Sinnbild einer in den 1990ern Jahren einsetzenden, sozialen Verelendung und Armut, die von Politik und Gesellschaft in den 1990ern mit defensiver Haltung in Empfang genommen wurde. Der cartonero verkörpert sozialen Abstieg, verkörpert ein konjunkturelles „Krisenopfer“ (Paiva 2008: 93) und das „Lumpenproletariat“ (Vega Martínez 2012) und schürt damit die Ängste der Mittelschicht, selbst von der gesellschaftlichen Exklusion betroffen sein zu können und sich den Lebensunterhalt wie ein cartonero verdienen zu müssen. In den Interviews und der Literatur (Svampa 2005: 48; vgl. Interview Vega Martínez; vgl. Interview María Julia Nevarra) enthüllten sich viele Emotionen, die den cartoneros von der Gesellschaft zu Beginn der Krise entgegengebracht wurden: Ekel, Scham, Abstoßung, Mitleid, vor allem aber Angst, selbst dasselbe Schicksal zu erleiden wie die verarmten AbfallsammlerInnen. Erst 2001, mit einer unübersehbar großen Menge von SammlerInnen auf den Straßen, wurden sozialpolitische Maßnahmen ergriffen, welche die von der Gesellschaft ausgegrenzten Armen wieder zu integrieren suchten. Die Formalisierung der Kooperativen konnte auf Druck von der politisch organisierten 109 Öffentlichkeit angestoßen werden, nicht aber von cartoneros, die seit Jahrzehnten darum kämpften. Die vormalige ciruja María Julia Nevarra berichtete hierzu von Kämpfen mit der Stadtregierung um Geld und Subventionen, die lange erfolglos blieben. Erst mit den sozialen Bewegungen gegen Ende der 1990er änderte sich ihre Situation: „Alles änderte sich mit der Superinflation von 2001 (…) sie haben uns sogar eine Lagerhalle geschenkt.“ Die Motoren dieser Bewegungen waren von der Krise betroffene ArbeiterInnen, denen im Zuge der menemschen Wirtschafts- und Sozialpolitik die Existenzgrundlage entzogen wurde (Boris/Tittor 2006: Seite). Eine Verbindung zwischen diese ArbeiterInnen und den marginalisierten cirujas war zuvor nicht gegeben. Die vorzugsweise Gründung von Kooperativen nach der Verabschiedung des Ley 992 (2001) zeigt in diesem Zusammenhang auch, dass die politischen Forderungen der Arbeiterschaft nach sozialer Sicherheit und Ordnung eng mit Kirchners Plan zur Förderung von Kooperativen verknüpft waren. Seit 2003 wurden Kooperativen und Mikrounternehmen besonders gefördert, um durch die Krise arbeitslos gewordene Menschen der Mittelschichten wieder Möglichkeiten zu geben, wirtschaftlich und politisch (gewerkschaftlich) aktiv zu bleiben (Geiger 2011: 120). Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, warum SUCARA, die cartonero-Gewerkschaft, vor allem die Interessen der aus der Mittelschicht entstandenen Kooperativen vertritt (Schamber/Suárez 2007: 42). Julieta Lampasona stellte in ihren Untersuchungen zu cartonero-Kooperativen asymmetrische Machtverhältnisse fest, die sich nicht nur auf die Interaktion zwischen Staat und Kooperativen beschränken, sondern auch auf der Ebene der intrakooperativen Organisation zu erkennen sind. Viele Mitglieder von Kooperativen kommen aus höheren sozialen Schichten und hatten vor dem Beitritt zur Kooperativen bereits Protest- und Organisationserfahrung gesammelt. Das Interesse an der Organisation über Kooperativen konnte auf diese Erfahrungen zurückgeführt werden. Zudem führte die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass vor allem Frauen starke Protagonistinnen in der politischen Organisation von Kooperativen sind (Interview Garbois). Formen und Motive von AbfallsammlerInnen Hinter dem Begriff „cartonero“ verbirgt sich eine von Heterogenität, sozialen Differenzen und unterschiedlichen Identitäten geprägte Gruppe, deren Gemeinsamkeit vor allem darin besteht, dass sie eine Arbeit mit geringen Qualifikationsanforderungen (Vega Martínez) ausüben. So können manche von den AbfallsammlerInnen auf Erfahrungen mit kommunalen 110 Aktivitäten und auf symbolisches Kapital zurückgreifen. Cartoneros sammeln individuell, in Kooperativen oder arbeiten auf Sortieranlagen. Zum einen umfasst der Begriff „cartonero“ eine Minderheit ehemaliger cirujas, die jahrelange Sammeltradition besitzt, die das Abfallsammeln als würdevolle Arbeit erkennt, Arbeitsethiken entwickelt, nachbarschaftliche Netzwerke über Jahrzehnte hinweg aufrecht erhalten und sich das Überleben mit der Abfallarbeit langfristig gesichert hat. Cirujas sind häufig AbfallsammlerInnen der zweiten oder dritten Generation, haben das Wissen von ihrer Familie oder ihrem Bekanntenkreis übernommen und sind Teil einer festen sozialen und wirtschaftlichen Struktur. Zum anderen ist der Begriff Ausdruck für die große Mehrheit der „neuen“ cartoneros. Das Einstiegsmotiv war zunächst, Essen zu finden (Espíndola 2002), später, als erkannt wurde, dass mit Abfall Geld gemacht werden kann, begannen die Menschen Abfall zu sammeln und zu verkaufen. Viele der cartoneros haben Erfahrungen mit formellen Arbeitsverhältnissen, versuchen Elemente daraus auf das Abfallsammeln zu übertragen und sich über die formellen Arbeitserfahrungen von den „richtigen“ cirujas zu distanzieren. Viele betrachten sich als schicksalsergebene und umstandsbedingte Opfer („cirujas por caída“ oder „ciruja por circunstancia“ (Suárez 2001 zit. nach Perelman 2007: 250), schämen sich ihrer neuen Beschäftigung und halten an alten Berufsidentitäten fest. Sowohl aus der Literatur als auch aus dem Interview mit Mercedes Vega Martínez drängte sich auf, dass viele die Hoffnung auf die Rückkehr in ihren alten Beruf noch nicht aufgegeben haben: „Yo no digo que voy a ser cartonero toda mi vida35“ (Palacios 2003 zit. nach Koehs 2007: 190). Der offizielle Begriff recuperadores urbanos wird, wie sich in der Untersuchung zeigte, überwiegend herangezogen, um sich von den negativen Konnotationen zu distanzieren, die Arbeit aufzuwerten und den sozialen Nutzen der Arbeit und damit Würde und Seriosität zu betonen. Über den offiziellen Begriff hinaus werden eigene Berufsbezeichnungen, i.e. „sozio-ambiental“ (Interview María Julia Nevarra) eingesetzt, die darüber hinaus Unterschiede zu den recuperadores urbanos hervorheben sollten. Uniformen dienen dabei für cartoneros und Kooperativen als Mittel, die Seriosität und Würde der Arbeit unterstreichen. Aus den Interviews mit den Vertretern der Kooperativen wurde deutlich, welchen Stellenwert Uniformen in der Abgrenzungen der „seriösen“ AbfallsammlerInnen zu abgestiegenen Lumpenproletariern gewonnen haben. Sowohl María Julia Nevarra als auch Juan Garbois betonten die Wichtigkeit von Uniformen als Identitäts- 35 „Ich sage nicht, dass ich mein ganzes Leben lang cartonero sein werde.“ (R.H.) 111 und Differenzierungsmerkmal für ihre Kooperative. Dem entgegen zeigt sich aber aus eigenen Beobachtungen zur Straßensammlung im zentralen Stadtteil Balvadera, dass Passanten keine Unterschiede bei SammlerInnen mit und SammlerInnen ohne Uniform machen. In allen theoretischen Ansätzen zur informellen Ökonomie und zur städtischen Abfallwirtschaft wird der Staat als einheitliche Institution dargestellt. Während der Untersuchung erschloss sich aber eine Vielzahl von politischen Akteuren, die an der Aushandlung abfallpolitischer abfallpolitische Maßnahmen Entscheidungen oftmals beteiligt drei sind. Es verschiedene zeigte sich, dass Regierungen, die Nationalregierung, die Stadtregierung und die zuständige Provinzialregierung getroffen werden, keine allgemeine Gültigkeit besitzen müssen und von den Interessen der einzelnen Akteure geleitet werden. Mit Valdés (siehe Kapitel zur Abfallwirtschaft in Buenos Aires) als Abgeordneten wurde ab 2000 eine politische Figur gefunden, mit der cartoneros in die politische Agenda integriert werden konnten. Der Staat versucht seither sie zu schützen und zu fördern. Währenddessen hat die Stadtregierung mit Macri einen neoliberalen Akteur im Feld, der als Funktionär einer bedeutenden Wirtschaftsgruppe selbst in die Abfallwirtschaft involviert ist und Interessen verfolgt, die im Widerspruch zur Integration der cartoneros in die formelle Abfallwirtschaft stehen. Das pro-abfallunternehmerische Engagement Macris hatte 2007 beispielsweise bewirkt, dass das wichtigste Transportmittel der cartoneros, der Tren Blanco, abgeschafft und gegen Kleinlastwägen ausgetauscht wurde. Für die cartoneros ergaben sich daraus Transportausfälle und Zugangsbarrieren zu ihren gewohnten Sammelstrecken in den wohlhabenden Stadtvierteln von Buenos Aires. Das Feld der wirtschaftlichen Akteure zeigt sich ebenso heterogen wie jenes der Politik. Kooperativen, Abfallunternehmen und Zwischenhändler verfolgen unterschiedliche wirtschaftliche Interessen und stehen in mehr oder weniger starkem Konkurrenzverhältnis zueinander. Konzessionen haben im Konkurrenzkampf eine wichtige Schlüsselfunktion, da die städtischen Verträge zur Sauberkeit die teuersten Verträge der Stadt sind. Die Umgestaltung der Konzessionsverträge im Jahr 2007 löste zwar Abfallunternehmen als die wichtigsten Kooperationspartner der Stadt ab und ließ Kooperativen an ihre Stelle treten, schuf aber neue Konkurrenzverhältnisse zwischen den einzelnen Kooperativen. Kooperativen standen nun den Abfallunternehmen nicht mehr als Gemeinschaft gegenüber, sondern kämpften fortan in direkter Konkurrenz zueinander um den Erhalt rentablerer 112 Konzessionen. Abfallunternehmen blieben weiterhin wichtige Vertragspartner, erhielten aber keine Recyclingkonzessionen mehr. Die Mehrheit der theoretischen Ansätze geht davon aus, dass die Organisation in der informellen Ökonomie einfacher wäre als in der formellen Ökonomie, weil weniger Eintrittsund Geschäftsbarrieren (ILO 1972; Stacher 1997; Rohregger 2006) existieren. Die Literatur zeigte aber, dass organisatorische und finanzielle Angelegenheiten für Kooperativen einfacher wurden. Kooperativen gewannen mit der Formalisierung Zugang zu staatlichen Fördergeldern, zu Recyclingkonzessionen, zu permanentem Nachschub an Abfall, zu öffentlichem Raum und zu formellen, wirtschaftlichen Netzwerken. Wohingegen die informelle Abfallsammlung mit vielen Schwierigkeiten, i.e. Zugang zum Abfall, Wert des gesammelten Abfalls, Kontakte zu „guten“ Zwischenhändlern, Anzahl der sammelfähigen Familienmitglieder verbunden ist. Als Reaktion auf die hohe Anzahl von cartoneros wurde eine Reihe neuer Gesetze erlassen, die eine Vielzahl von Rechten und Pflichten für Kooperativen, aber wenige Verbesserungen für die Arbeitsbedingungen der cartoneros bereithält. Der überwiegende Teil der staatlichen Fördermaßnahmen richtet sich auf die Gründung und die Erweiterung von Kooperativen (siehe Formalisierungsprozess). Mit den Formalisierungsmaßnahmen wurde vorwiegend die Entstehung einer staatlich kontrollierbaren Instanz der Arbeitsorganisation in Form von Kooperativen und Mikrounternehmen beabsichtigt. Das Gesetz wird auf den Druck einer Zivilgesellschaft zurückgeführt, die oftmals nicht die gleichen Interessen verfolgt wie die cartoneros. Hier sei als Beispiel der Druck von Greenpeace angeführt, der für die Erlassung des Gesetzes Basura-Cero (2005) ausschlaggebend war. „Der Staat bezahlt die Leistungen, weil er den ökologischen Wert [des Recyclings] anerkennt“ (Garbois 2012). Auf den ökologischen Aspekt wurde mehrmals hingewiesen, es findet sich sogar als Ziel in den Gesetzen und Programmen zur Formalisierung. Vor dem Hintergrund betrachtet, dass Buenos Aires bereits mit Deponierungsproblemen zu kämpfen hat (siehe Abfallwirtschaft von Buenos Aires) und seine Strategien zur Abfallwirtschaft verändern muss, damit die Deponien nicht übergehen, erscheint die Formalisierung selbst als inzidente Maßnahme zur Optimierung der Umweltpolitik. Garbois beschreibt das wichtigste Gesetz (Basura Cero-Gesetz, 2005) für die Veränderung der Arbeitsbedingungen der cartoneros als ein theoretisches, das nicht umgesetzt wird. Dabei würde dieses Gesetz als erste konkrete Verbesserungen für die Patron-ArbeiterIn113 Verhältnisse (Unfallversicherung, Vorrechte auf Abfall, Festlegung von Zonen, Kindergärten) vorsehen. Erst 2007, auf verstärkten Druck von Kooperativen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, wurde begonnen, konkrete Regulierungen zum Schutze der cartoneros vorzunehmen. Aber auch die Umsetzung dieses Gesetzes erfolgt halbherzig und mit wenig staatlicher Überwachung (Cutina 2010: 115). Die Organisierung von Kooperativen durch den Staat erinnert an Christensens (2006: 37) Idee vom Staat als Zentrum gesellschaftlicher Organisation. Er erklärt, dass sich das Verständnis von formell und informell über den Grad der staatlichen Souveränität und von politischen Akteuren definiert. Über staatlich definierte Normen und Rechte sollte Formalität und damit ein gesellschaftliches Ordnungsprinzip geschaffen werden. Kooperativen werden demnach als genormte Einheiten konstruiert, die von formellen Institutionen bestimmten Abläufen und Verhaltensnormen folgen, vorgeschriebene Rollen und Standards zu erfüllen haben (Altvater/Mahnkopf 2002: 29) und für das Nichteinhalten der Normen sanktioniert werden können. Aus der Praxis der Recyclingwirtschaft zeigt sich aber, dass das formelle Kontrollsystem für Kooperativen nicht funktioniert. In der Literatur und den Befragungen wird häufig darauf hingewiesen, dass es verschiedene Kontrollinstanzen gibt, die mit der Kontrolle von Kooperativen sehr locker umgehen. Veränderungen der Arbeits- und Lebensbedingungen der cartoneros im Formalisierungsprozess Die Konzepte von der informellen Ökonomie gehen von einer scharfen Trennung von Formalität und Informalität aus. „Informalität“ wird dabei als eine Kategorie zur Differenzierung einer Organisationsform betrachtet (vgl. Bromley 1990: 336; ILO 1972: 5-6; de Soto 2002: Bennholdt-Thomsen/Mies 1997: 32; Santos 1979: 23-24; Ferman/Henry/Hoyman 1987: 157), die der formellen Ökonomie diametral gegenübersteht und eigene Regeln besitzt, die auf anderen Prinzipien basieren, als jene der formellen Ökonomie (Stark 1989: 644; Stacher 1997: 165; Altvater/Mahnkopf 2002: 74-75; Light 2004: 712). Aus der Analyse der Recyclingwirtschaft ging aber hervor, dass die Arbeitswelt der cartoneros von einem Nebeneinander formeller und informeller Elemente bestimmt wird. Sie basieren sowohl auf den von den cirujas erprobten Gewohnheiten, als auch auf Normen und Regeln, i.e. formell geregelte Zonen. Die Untersuchungsergebnisse bestätigen zwar die Bedeutung von informellen Netzwerken für an Kooperativen nicht beteiligten Individuen, sie 114 zeigen aber gleichzeitig auch, dass diese informellen Strukturen für cartoneros im formalen Umfeld ebenso relevant sind wie für informelle, nicht registrierte cartoneros. An Kooperativen nicht angeschlossene Individuen sind gänzlich von sozialen Beziehungen und Netzwerken abhängig. Wie sicher oder unsicher ihre Überlebenssicherung ist, hängt neben den Rohstoffpreisen von der Verlässlichkeit ihrer sozialen Netzwerke und von den Verhältnissen zu den vecinos oder clientes ab. Viele cartoneros haben zuverlässige KlientInnen, feste Routen und beständige KlientInnen, damit berechenbares Materialvolumen und stabilen Ressourcenzugang. Sie haben zudem Zugang zu Lagerstätten und wissen von „guten“ Zwischenhändlern und günstigen Preisen. Viele „individuales“ haben ein Netzwerk aus Familienmitgliedern um sich, das sammeln hilft, sortiert, sich um Kinder und Haushalt kümmert. Kinder und Frauen sind häufig an der Sammlung beteiligt. Die Untersuchung zeigt, dass der Genderanteil in der informellen Abfallsammlung fast ausgeglichen ist. Über langjährige Arbeitstraditionen wurden von den cirujas beispielsweise Haushaltsstrategien (Norris 1988: 300) entwickelt, mit welchen Grundanfälligkeiten für Armut und Ernährungsunsicherheit reduziert werden konnten. Einige dieser Faktoren treffen auch für cartoneros im formalen Umfeld zu. Beim Verkauf des Materials zum Beispiel, welche sie als Kooperative gesammelt haben, haben informelle Zwischenhändler immer noch einen hohen Stellenwert. Die Aushandlung der Sammelstrecken, die Anzahl der Sammeltage und die Anzahl der an der Sammlung beteiligten Familienmitglieder beruhen desgleichen auf informellen Absprachen. Gleichzeitig befinden sich die Sammelnden in formell geregelten Strukturen, müssen die Zuständigkeitsbereiche der Kooperativen berücksichtigen, müssen Uniformen tragen und Abfahrtszeiten der von der Kooperative organisierten Transportmittel berücksichtigen. Um die Beziehungen zwischen Formalität und Informalität theoretisch erklären zu können, ist es aus der unzureichenden Erklärungsfähigkeit der wirtschaftlichen Konzepte folgernd weitaus fruchtbarer, das anthropologische Konzept nach Kokot und Wonneberger (2006: 36) heranzuziehen, welches den Umgang mit existenziellen Unsicherheiten ins Zentrum seiner Analysen stellt. Die Organisation der Abfallsammlung kann über den Umgang mit unterschiedlichen Formen von Unsicherheit eingängiger erklärt werden. Die Beständigkeit ihrer Einkommensquellen und ihrer anderen Beschäftigung sowie der soziale Status der AbfallsammlerInnen bestimmen darüber, wie oft sie sammeln, wie hoch ihr Organisationsgrad ist und in welchen Arbeits- und Lebensbedingungen sie leben. Der Alltag der cartoneros in der Straßensammlung findet zu großen Teilen im öffentlichen Raum statt. 115 Diese Verflechtungen mit dem öffentlichen Raum erwiesen sich aufgrund von häufigen Konflikten der cartoneros mit den vecinos als, wie von Kokot und Wonneberger angenommen, widersprüchlich. Zudem haben sie niedrige Investitionskosten für ihre Handkarren und Säcke, sind zeitlich sehr flexibel, eignen sich das Wissen über das Sammeln über Familie, Freunde, KollegInnen an, trennen zuhause, verkaufen ihr Material an bestimmten öffentlichen Plätzen und nutzen für Sammlung und Verkauf eine Vielzahl an lokal verfügbaren Ressourcen. In den Sortieranlagen arbeitende recuperadores sind mit weniger Einkommens- und Beschäftigungsunsicherheiten konfrontiert, sie halten sich wenig im öffentlichen Raum auf, sind weder räumlich noch zeitlich flexibel, haben keinen Einfluss auf den Verkauf ihres getrennten Materials, erlernen den Umgang mit Maschinen und Geräten in der Kooperative und haben eine klare Trennung von Arbeits- und Freizeit. Wie die Untersuchung der Gesetzesnovellierungen zeigte, beschränken sich die staatlichen Formalisierungsmaßnahmen zu großen Teilen auf strukturelle Regelungen und greifen selten auf die arbeits- und sozialrechtliche Ebene über. Für die AbfallsammlerInnen bedeutete, wie sich aus Literatur und Interviews bestätigte, die Formalisierung in der Realität nicht viel mehr als die Abschaffung eines militärdiktatorischen Relikts aus den 1970er Jahren, und damit die bloße Legalisierung einer bis 2001 verbotenen Tätigkeit (Garbois; Vega Martínez; Lampasona). Die Legalisierung der AbfallsammlerInnen ist als notwendiger Schritt zu deuten, der dazu diente, gesetzliche Regelungen in der Recyclingwirtschaft überhaupt erst vornehmen zu können (Portes 2012: 135; de Soto 2002: 40-44; Evers 1983: 281). Die Legalisierung bedeutete für die cartoneros, Abfall legal im öffentlichen Raum sammeln und von der Polizei nicht mehr vertrieben werden zu dürfen. Um sie nun im öffentlichen Raum unsichtbar zu machen, werden neue und weniger offensive Methoden eingesetzt. Ein gutes Beispiel dafür stellt die Abschaffung des zentralen Transportmittels Tren Blanco dar, welche zur Folge hatte, dass viele cartoneros keine Möglichkeit mehr besaßen, in den betroffenen, wohlhabenden Stadtteilen mit für das Recycling wertvollem Abfall arbeiten zu gehen. Von der Legalisierung abgesehen, wurden keine weiteren Veränderungen an den Arbeitsbedingungen der cartoneros individuales vorgenommen. Der Großteil der Maßnahmen, welche cartoneros verhelfen können, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern und existenzielle Unsicherheiten zu reduzieren, ist an die Mitgliedschaft in Kooperativen gekoppelt. Am Papier sollte die Formalisierung an Kooperativen beteiligten recuperadores urbanos die Möglichkeit eröffnen, konstantes Einkommen zu erwirtschaften, 116 transportbefreit und unfallversichert zu sein, in einem festen Arbeitsverhältnis zu stehen (i.e. die StraßensammlerInnen der Kooperative „El Ceibo“, welche feste Arbeitszeiten haben und feste Löhne erhalten). Sie gäbe zudem die Möglichkeit, die Straßensammlung innerhalb der Zone einer Kooperative gerecht und einheitlich aufzuteilen, und damit von sozialen Spannungen hervorgerufene Konflikte unter den Sammelnden (vgl. Garbois) zu reduzieren. Viele dieser Faktoren treffen gleicherweise auf die Organisation der Arbeit in Sortieranlagen zu. Auch wenn der Großteil des Gewinns aus der Sammlung auf den Zwischenhandel entfällt, brächte die Formalisierung also viele Vorteile für cartoneros in Kooperativen. Die Umsetzung der arbeits- und sozialrechtlichen Verbesserungen für die Arbeitenden bleibt den Kooperativen aber selbst überlassen. Wie sich in der gesamten Untersuchung zeigte, ist die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben wenig konsequent und wird von den Behörden kaum kontrolliert. Fehlende Arbeitsinspektionen führen zum Missbrauch der Rechtsform und lassen damit Kooperativen zum Formalisierungsinstrument werden, welches für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der beteiligten cartoneros wenig effektiv ist (vgl. Interview mit Garbois). In der Praxis zeigt sich, dass nur ein geringer Teil der cartoneros formelle Arbeitsverhältnisse anstrebt, nur fünf Prozent (knapp 1000 Personen) der cartoneros sind Mitglieder einer Kooperative (Schamber 2008: 98; Paiva 2008: 190). Über die Gründe für die geringe Beteiligung an Kooperativen liegen keine Ergebnisse vor. Das dürftige Interesse der cartoneros an einer Mitgliedschaft in Kooperativen weist aber darauf hin, dass Mitgliedschaften weder Arbeits- oder Einkommensvorteile, noch genügend Anreize für soziale Sicherheiten bieten. Aus dem Interview mit Garbois ging hervor, dass viele Kooperativen offen lassen, ob der/die an der Kooperative beteiligte recuperador/a sein/ihr in den Zonen der Kooperative gesammeltes Material tatsächlich an die Kooperative verkauft. Da der Großteil des Materials an informelle Zwischenhändler verkauft wird (siehe Wirtschaftliche Netzwerke), scheinen nur wenige der recuperadores von der Möglichkeit Gebrauch zu machen. In der Straßensammlung dürften sich den cartoneros also bessere Einkommensmöglichkeiten bieten, wenn sie ihren Verkauf unabhängig von Kooperativen und in Kooperation mit informellen Zwischenhändlern betreiben. Zur durchaus positiv zu bewertenden freien Verfügbarkeit von Material zeigen sich in der Literatur aber auch widersprüchliche Ergebnisse. Anguita (2003: 133) weist beispielsweise darauf hin, dass in Kooperativen auch Vereinbarungen zwischen Kooperative und recuperador/a bestehen können, die Druck auf den/die recuperador/a ausüben, ihr/sein Material an die Kooperative 117 zu verkaufen, welche insbesondere zur Geltung kommen, wenn cartoneros Werkzeug von den betreffenden Kooperativen ausleihen. Die niedrigen Mitgliederzahlen in Kooperativen könnten desgleichen damit zu begründen sein, dass die attraktiven Arbeitsplätze in den Sortieranlagen mit festen Arbeitsverhältnissen nur begrenzt verfügbar sind. Ein anderer Grund für das fehlende Interesse an Abfallkooperativen könnte auch der Einschnitt in die Flexibilität und Freiheit der Arbeitsorganisation der cartoneros sein, der sich aus kooperativeninternen Organisationsregelungen (siehe Interview mit Garbois) ergibt und für cartoneros eine Veränderung von Arbeitstraditionen und -gewohnheiten bedeuten würde. Die niedrige Beteiligung von straßensammelnden cartoneros in Kooperativen gibt einen Hinweis darauf, dass die Formalisierung vorrangig für recuperadores auf Sortieranlagen nutzbringend ist. In der Praxis finden sich viele Kooperativen, die ihrer idealtypischen Funktion kaum oder gar nicht folgen, als Zwischenhändler, manchmal als gewinnorientierte Betrüger auftreten (Fajn 2002: 16-19; Interview mit Vega Martínez). Kooperativen, die ihre cartoneros mit Gleichgültigkeit behandeln oder ausbeuten, stehen einer Minderheit von Kooperativen gegenüber, die ihre recuperadores mit größtmöglicher Würde behandelt. In der Literatur und in den Interviews findet sich lediglich eine Kooperative („El Ceibo“), die als idealtypisch hervorgehoben und damit als Vorzeigemodell herangezogen wird. Die gewonnenen Eindrücke aus persönlichen Besuchen in der Kooperative spiegeln viele jener Erkenntnisse wider, die in der Literatur von anderen Forschenden bereits gewonnen wurden: Die geregelten und gerechten Arbeitsverhältnisse sowie die harmonischen Beziehungen, die zwischen Mitgliedern der Kooperative und Nachbarn herrschen. Viele der Kooperativen pflegen aber losere Bindungen zu ihren recuperadores, sorgen sich nicht um Arbeitsschutz, bezahlen niedrige Preise für das Material, bieten keine weiteren Leistungen an und haben mehr oder weniger starke/schwache Regeln für die Arbeitsorganisation. In Bezug auf Regeln konnten in den Gesprächen mit zwei Vertretenden von Kooperativen eine Arbeitsethik eruiert werden, die sich an ähnlichen Werten orientieren: die Arbeitsuniform tragen, keine Diebstähle, keine Kinderarbeit und keine offenen Auseinandersetzungen auf der Straße. Die sich ähnelnden Regelungen in diesen beiden Kooperativen sind aber nicht repräsentativ für alle Kooperativen. Es bedeutet also nicht, dass alle Kooperativen den gleichen Arbeitsethos anstreben. 118 6 Resultat Aus der gesamten Untersuchung zeigte sich, dass trotz der Permanenz der cartoneros seitens der Politik wenig Anstrengungen unternommen wurden, der Ausbeutung der cartoneros durch Kooperativen und Unternehmen entgegen zu arbeiten. Mit den Formalisierungsmaßnahmen wurde für Kooperativen und Abfallunternehmen vielmehr eine passende rechtliche Hülle für ihre ausbeuterischen Geschäfte konstruiert, als versucht, die cartoneros als Berufsgruppe zu schützen. Trotz der (bescheidenen) Verbesserung, die Gesetze und Programme zur Veränderung der Arbeits- und damit der Lebensbedingungen von cartoneros beinhalten, finden sich mangels ausreichender behördlicher Kontrolle Wege, die arbeitsrechtlichen Schutzmaßnahmen zu umgehen und die eigenen wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Wohingegen die cartoneros selbst in den Kooperativen zu wenig Anreize für die Organisation des Abfallsammelns finden, sich größtenteils weiterhin selbst organisieren und von sozialen Beziehungen und informellen Netzwerken Gebrauch machen, um die Sammlung und den Verkauf von recycelbarem Abfall zu organisieren. Obwohl sich die wirtschaftliche Lage Argentiniens bis heute wieder einigermaßen erholt hat und der Arbeitsmarkt aufnahmefähiger geworden ist, hat sich die Anzahl der cartoneros auch zehn Jahre nach der Krise kaum verringert. Eine Erhebung der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) über die Abfallwirtschaft in Lateinamerika zeichnete kürzlich folgendes Bild: Anzahl der AbfallsammlerInnen in Argentinien in auf in der auf an anderen Organisatione Sortieranla Straßensammlu Mülldeponi Orten n gen ng en 14,465 7,176 55,156 11,985 2,67 gesamt 76,985 6. Abb.: Anzahl der AbfallsammlerInnen in Buenos Aires, IDB (2010: 140), eigene Darstellung In der Statistik der IDB ließen sich keine genauen Zahlen zur Anzahl der cartoneros in Buenos Aires finden. Da der Großteil der informellen Abfallsammlung ohnedies im Großraum Buenos Aires getätigt wird (Suárez/Schamber 2011: 10), ist anzunehmen, dass sich die Statistik zu großen Teilen auf die AbfallsammlerInnen in Buenos Aires bezieht. In 119 der Literatur wird der leichte Rückgang der AbfallsammlerInnen nicht, wie anzunehmen wäre, auf die gestiegenen Arbeitsmöglichkeiten zurückgeführt, sondern im Zusammenhang mit der Entwicklung der Rohstoffpreise diskutiert (Gómez 2009; Garbois 2012). Die Zusammenführung von Rohstoffpreisen und Anzahl der cartoneros ist ein Zeichen dafür, dass es längst nicht die institutionalisierten Normen von formeller und informeller, würdevoller und würdeloser, Arbeit sind, die über die Entscheidung zum Abfallsammeln bestimmen, sondern Geld und Rentabilität. Es ist ein Zeichen dafür, wie paradox und asymmetrisch die Konstruktionen von Sicherheit, Würde und sozialem Wohlstand in der Realität sind. Denn je höher der gesellschaftliche Wohlstand und damit die Konsummöglichkeiten einer Gesellschaft sind, desto mehr Abfall wird produziert. Und je mehr Abfall produziert wird, desto mehr Möglichkeiten bieten sich für die cartoneros, recycelbare Abfälle zu sammeln und zu Geld zu machen. 120 7 Forschungsausblick Im Laufe der Untersuchung tat sich eine Reihe von Fragen auf, deren Beantwortung interessant und aufschlussreich für die weitere Erforschung des Phänomens wäre. In manchen Fällen reichten die Ergebnisse der Literatur für die Beantwortung nicht aus, in anderen Fällen hätte die Vertiefung anderer interessanter Punkte zu weit vom Thema dieser Arbeit weggeführt. Während der Untersuchung zeichnete sich ein starker Erklärungsbedarf im Hinblick auf den geringen Organisationsgrad von cartoneros in Kooperativen ab. Es wäre bedeutend, der Frage nachzugehen, warum das Interesse seitens der cartoneros so gering ist, sich in Kooperativen zu organisieren. In dieser Beziehung wäre es interessant zu erfragen, welche Motive dem geringen Organisationsgrad zugrunde liegen und welche Faktoren für die Beteiligung an Kooperativen tatsächlich ausschlaggebend sind. In diesem Zusammenhang wären Fragen nach den Gründen für die inkonsequente Umsetzung, Kontrolle und Verstärkung der staatlichen und städtischen Reformen aufschlussreich. Im Zusammenhang mit Kooperativen und politischer Organisation besteht weiterer Klärungsbedarf in Bezug auf den weiblichen Organisationsprotagonismus. Hier könnte der Frage nachgegangen werden, weshalb Frauen die stärkeren Organisationskräfte sind und welche Mechanismen dieser Tatsache zugrunde liegen. Es wäre wichtig, danach zu fragen, ob eine Verbindung zwischen der weiblichen Organisationskraft und der Abfallarbeit als Teilbereich domestizierter Arbeitsaufgaben im Sinne von gesellschaftlich institutionalisierten Arbeitsformen besteht. Es könnte beispielsweise der Frage nachgegangen werden, ob die Abfallarbeit als ein zu weiblich attribuierter Tätigkeitsbereich bewertet wird, um das politische Organisationsbestreben der Männer zu wecken und zu stärken. Hinweise auf diesen Ansatz finden sich beispielsweise in den Geschichten von Naomi und Palacios (siehe „vom ciruja zum cartonero“), die davon berichten, dass der Mann erst zu sammeln und politisch aktiv zu werden begann, als das Einkommen so niedrig war, dass das Überleben nicht mehr gesichert werden konnte. Im Rahmen der Untersuchung konnten desgleichen zu wenig Aufschlüsse darüber erlangt werden, welchen funktionalen Prinzipien das informelle Netzwerk zwischen cartonero und Zwischenhändler folgt, welche Strafen für das Verletzen von Absprachen erteilt werden und 121 welche Mechanismen der – wie aus der Untersuchung hervorgeht – durchaus guten Organisationsstruktur zugrunde liegen. In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu fragen, ob diese Prinzipien jenen theoretischen Ansätzen zu informellen Organisationsformen von Stacher, Rohregger oder Light entsprechen. 122 Bibliografie Administración Federal (2012): Monotributo: http://www.afip.gob.ar/monotributo/ [13.10.2012] Altvater, Elmar/Mahnkopf, Birgit (2002): Globalisierung der Unsicherheit. Arbeit im Schatten, schmutziges Geld und informelle Politik. Münster: Westfälisches Dampfboot Alvarez, Raúl Néstor (2011): La basura es lo mas rico que hay. Relaciones politicas en el terreno de la basura. 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Abb.: Anzahl der AbfallsammlerInnen in Buenos Aires, IDB (2010: 140), eigene Darstellung .. 119 Abkürzungsverzeichnis CEAMSE Cinturón Ecológico Área Metropolitana Sociedad del Estado CGT Confederación General del Trabajo CTA Central de Trabajadores Argentinos CTD Coodinadora de Trabajadores Desocupados Aníbal DGPRU Dirección General de Políticas de Reciclado Urbano IMF Internationalen Währungsfonds IMFC Instituto Movilizador de Fondos Cooperativas INDEC Instituto Nacional de Estadística y Censos (Argentina) IOM International Organisation for Migration MTD Movimiento de Trabajadores Desocupados MTE Kooperative Movimientos de Trabajadores Excluidos PRO Partei Propuesta Republicana PRU Programa para Recuperadores Urbanos SUCARA Sindicato Único de Cartoneros de la República Argentina UNICEF United Nations Children's Fund 138 Glossar acopiador/es Zwischenhändler asambleístas Teilnehmer von Stadtteilversammlungen barrios Stadtviertel in Buenos Aires camioneta Kleinlastwagen, Transportmittel der cartoneros cartoneros AbfallsammlerInnen in Buenos Aires centavos kleinste Geldeinheit, ähnlich dem europäischem Cent Centros Verdes Sortieranlagen von Kooperativen im Stadtzentrum cirujas Name der cartoneros vor der Krise cirujeo das Abfallsammeln zu Zeiten der cirujas cliente/s „Kunden“ der cartoneros, Stadtbewohner, die Material für bestimmte cartoneros zurückhalten diposición final Endlagerung des Abfalls galpón großer Schuppen, hier: Lagerhalle für gesammelte Materialen grandes generadores große Abfallerzeuger: Handel, Industrie, Bürotürme, Krankenhäuser,... La Quema Name der Abfalldeponie in Buenos Aires bis Mitte des 20. Jahrhunderts Norte III (Complejo) Komplex der größten Mülldeponie der CEAMSE im Norden von Buenos Aires pesos kurz für „pesos argentinos“, argentinische Währung piqueteros Bewegung der Arbeitslosen plantas de clasificación Sortieranlagen von Kooperativen auf dem Areal der Deponie Norte III quemeros Name der AbfallsammlerInnen, die früher im 19. Jahrhundert in der Abfalldeponie nach Verwertbarem suchten, abgeleitet von „quemar“ (=brennen, verbrennen) raneros Name der AbfallsammlerInnen, die früher im 19. Jahrhundert in der Abfalldeponie nach Verwertbarem suchten, abgeleitet von „rana“ (=Kröte) recolección diferenicada „differenzierte Abfallsammlung“, Zusammenarbeit der CEAMSE mit konzessionierten Abfallkooperativen 139 recorrido Wegstrecke, die der/die Abfallsammelnde in der Straßensammlung zurücklegt recuperadores urbanos offizieller Name der cartoneros und Bezeichnung jener cartoneros, die bei der Stadt als AbfallsammlerInnen registriert sind sin techos Obdachlose Tren Blanco „Weißer Zug“, extra eingerichtet für den Transport von cartoneros vecino/s StadtbewohnerInnen, NachbarInnen, Gesamtheit der privaten AbfallerzeugerInnern villa de emergencia auch: villa oder villa miseria, Armutsviertel in Buenos Aires 140 Dokumention Feldforschung Forschungsablauf: 01.02.12 02.02.12 03.02.12 06.02.12 07.02.12 10.02.12 13.02.12 14.02.12 15.02.12 16.02.12 17.02.12 18.02.12 19.02.12 20.02.12 21.02.12 25.02.12 01.03.12 03.03.12 Biblioteca Nacional de Congreso Kooperative „Eloisa Cartonera“, Gespräch mit Alejandro Mirando Araya Treffen mit María Maneiro Biblioteca CLACSO Ciencias Sociales-Biblioteca/ La Ciruja-Bücherei/ Biblioteca Gino Germani Ciencias Sociales-Biblioteca/ Economia-Biblioteca – UBA Gespräch mit Raul Nestor Kooperative „El Ceibo“, Gespräch mit Julia María Nevarra Gespräch mit Kooperative MTE, Juan Garbois Kooperative „El Ceibo“ Mülldeponie in José Leon Suarez mit Raul Nestor Filosofia y Letras-Biblioteca- UBA Biblioteca FLACSO Biblioteca de las Madres de la Plaza de Mayo Biblioteca Ciencias Sociales - UBA Gespräch mit María Maneiro, Geografia-Bibloteca - UBA Ciencias Sociales-Biblioteca - UBA Kooperative MTE, Kooperative „El Ceibo“ Gespräch mit Martínez Vega, Forscherin von Gino Germani Gespräch mit Forschergruppe von Gino Germani Abschlussgespräch mit María Maneiro Aufgenommene Gespräche: Prof. Mercedes Vega Martínez: Professorin der Soziologie an der UBA Julieta Lampasona: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Instituto Gino Germani María Julia Nevarra: Mitarbeiterin der Kooperative „El Ceibo“ Juan Garbois: Sprecher der Kooperative MTE 141 Interviewleitfaden 1. En qué condiciones trabajan los cartoneros? 2. Bajó la cantidad de cartoneros después de la crisis? 3. Qué factores influyen en el numero de cartoneros? 4. Qué se cambió para los trabajadores después la reglamentación normativa? 5. Donde hay mas necesidades para nuevas reglamentaciones? 6. Como está controlada el cumplimiento de esas reglamentaciones? 7. La cantidad de cartoneros está relacionada con sociales/políticas/económicas de las personas y/o del país? 8. Cómo es la situación de las mujeres? Hay tantas mujeres como hombres? Cuales son sus tareas? 9. Que jerarquías hay dentro de la organización del cartoneo? Hay rasas entre los compañeros? 10. De donde vienen los cartoneros? Como es la estructura de edad de cartoneros? Que ocupaciones habían tenidos antes de volverse cartoneros? 11. Quienes son los mas importantes clientes? A quién se venden las materias recuperadas? El Estado/la Cuidad las compra también? Se cambiaron los precios en relación cuando fue la crisis del 2001? 12. Cómo interactua su organización u con el Gobierno/con la Ciudad? 13. Como interactua su organización con micro-empresas o Centros Verdes? 142 Interviewauszüge Interview mit Mercedes Vega Martínez (MVM) und Julieta Lampasona (JL), Gino Germani der Universität von Buenos Aires (UBA), am 25.02.2012 RH: Qué formas de sobrevivir había durante y después de la crisis? Y por qué la basura? MVM: En realidad te puedo contestar que esas otras formas de resolver la crisis se agotaron. la crisis de 2001 fue una crisis casi terminal en todos los sentidos. particularmente y socialmente fue brutal, teniendo dos dígitos de desocupación, altísimos niveles de desocupación, eso produce que grandes fracciones sociales no tengan ni quisiera como reproducir su propia vida material. no es hay múltiples formas de balear la crisis. la gente comenzó, volvió al trueque porque no había ni quisiera dinero circulante (digo porque la crisis tiene como niveles y va avanzando y expaniéndose según … se encumbre, eso también) la crisis va expaniéndose como una ola en el agua, va cubriendo absolutamente todas las fracciones sociales. ahora las fracciones sociales mas abajo son las que mas pierden en realidad. mientras hay cierto capital simbólico digamos de el que esconda las fracciones sociales medias mas o menos pueden resolver de algunas determinadas maneras dentro de esos núcleos de esas fracciones con otras relaciones de trabajo desarrollando tipo de estresar para los cuales si ellos tienen la posibilidad digamos de alcanzar cosas en la media que cuentan como capital simbólico para hacerlo. pero las fracciones mas desposeídas no. no saben hablar, no saben escribir, no saben leer, no tienen de comer, no tienen … entonces resuelven como pueden, uno puede hacer la del delito, pero no. estas fracciones de clase media que traían tradiciones de trabajo formal, adiendo, absolutamente desapegadas de todo. van a trabajar con aquello que es lo ultimo en la cadena de redistribución que la gente tira que son los desechos. por eso van a la basura. eso es lo ultimo de los elementos de redistribución, que usan y que no tiran – van a trabajar con eso, porque no tienen otras formas de acceder a los medios de reproducción de su propia vida material y van a la basura con la intención de encontrar comida. mira lo que es en realidad lo que ellos llegan a la basura. no están pensando en encontrar cosas para trabajar y que eso va a ser un trabajo, van primero buscar de comer. entonces, hay interminables colas de personas a los contenedores de basura de los restaurantes esperando a los vestigios para ellos encontrar su comida. pero eso va generalisándose – no solamente los contenedor de los restaurantes – también en otro tipo de contenedores, o en otro tipo de basureros, de pronto descubren que ademas de comida pueden encontrar otras cosas. – materias primas que pueden ser reciclados. En este sentido recurren la basura. RH: Por favor, me explica un poco como hizo progreso el fenómeno a partir de 2002. MVM: Cuando comienzan a hurgar la basura y empiezan a encontrar que no tan solo pueden alimentarse de eso, sino también hay otros materiales que pueden ser recicables, reutilisables para otro tipo de cosas, empiezan a darse cuenta que ahí hay una posibilidad que es nueva, ahí empiezan a sumar a los otros de la estructura familiar a esa recurrido en la búsqueda de la reproducción de la vida material. a mayor cantidades de la gente que trabaja y que recoge y que hurga en la basura la mayor capacidad y cantidad de los materiales para acopiar de una u otra cosa. en este sentido comienzan acopiar, comienzan a retomar a tradiciones del trabajo formal y enseñarle a sus hijos que acompañaban al recorrido. cuando la gente dice 'trabajo informal' hay que pensar que esto es un trabajo informal muy particular porque trae las 143 disciplinas propias del trabajo formal. pasan a la misma hora, mantienen las mismas relaciones sociales, son respetuosos de los acuerdos que establecen con la gente. el tipo que va por la calles rompiendo la bolsa de basura frente a la ama de casa que limpia la vereda todas las mañanas, esta retado. La ama sabe que este tipo ensucia la vereda todos las noches. la verdad, las noches se quedaba parado con la escoba para pelearlo eso he visto en mi barrio porque vivo en un bario de casas. las mujeres esperando que vengan los cartoneros con la escoba en la mano para que les den palizas porque les ensuciaban la calle. entonces si no hay demarcación en la vereda entonces no estoy en la vereda, estoy en la calcada, debajo del cordón, si la rompe la basura y me tira la basura, no dueña, yo no le voy a romper la basura, solo quiero cargar y entonces en esas peleas cotidianas el cartonero fue estableciendo de acuerdos que ademas se cumplen al día de hoy. so acuerdos muy precisos, en donde le cartonero tiene casi diez de centímetros de por a dentro de la vereda y casi 15 centímetros de la calzada por afuera y la ama de casa lo deja transitar afuera respetuosa. tendríamos como un montón para hablar de estas cosas. Era trabajo familiar, se llevaban los chicos, se llevaban las mujeres, en el termino de muy pocos años se lleno la ciudad de b.a. de pobres. al principio producía miedo, muchísimo miedo. el numero de pobres no bajo porque tampoco subió la posibilidad de empleo. la destabilización de los noventa se mantuvo durante largo tiempo. eso llevo un proceso de institución de esa forma particular de hacer. es mas, habré una rama que era la reciclaje que no nosotros no teníamos – reciclaje de papel, vidrio. hay una cantidad importante de reciclaje que – por supuesto también – hay intereses que vinieron a confrontar luego con esos trabajadores entre comillas porque hay fracciones sociales que consideraban y siguen considerando que esos trabajadores son ladrones de la propiedad de las empresas encargadas de limpieza. el estado es difícil de definir en este sentido porque tenemos gobierno de la ciudad por un lado luego tenemos el estado nacional por el otro y luego tenemos el estado provinciales cartoneros están en todos lados y crecieron en la década de los noventa y terminaron de institucionalizarse, de conformar institución entrando 2000. la ciudad de buenos aires lo sostenía, de hecho, todo lo están tratando de gotearlos, de destrenzarlos por un lado. y por otro dan concesiones a las empresas basureras (eso lo veo yo cada mañana. salgo a la vereda y me encuentro con el tipo de la empresa de limpieza del gobierno de la ciudad de buenos aires, recogiendo los frascos y los papeles que el cartonero no llevó y la empresa lo recoge para si. pues hay muchos intereses que se pusieron en juego. eso hace que también uno le da repensar los porcentajes declarados en el reciclaje. (...) RH.: Julieta, acaba de terminar una investigación sobre las cooperativas, verdad? Cuales eran los hallazgos principales? JL: Sabíamos dentro de unos trabajos que realizamos y también de las lineas de investigación que habíamos pensado que hay grandes diferencias entre cartoneros que trabajan de manera individual incluso como máximo a través de la estructura familiar dentro de incorporar la familia en el recorrido y en el posterior acopio y experiencias mas colectivas que tenían que ver con la conformación de esta cooperativa. de alguna manera lo podíamos investigar que esas experiencias mas individuales tenían que ver con sectores aún dentro de esos sectores que son tan vulnerables de cartoneros. en general tenían que ver con fracciones sociales muchísimo mas desposeídas y aquellos que estaban incorporados en cooperativas tenían algunas de ellos una ocupación previa en otros tipos de organizaciones barriales o militancia concreta, por ejemplo la cooperativa “El Ceibo”. Había experiencias de mujeres que hayan participados en ocupaciones de casas en los años 80. tenían algún tipo de 144 participación y experiencia mas colectiva, intentando pensar justamente – experiencias de lucha para la supervivencia pero con otros de que manera que el hacer como otra. permitía también entender cartoneo como trabajo y construir la identidad colectiva. MVM: La cooperativa tiene mas allá de la recolección y del acopio otro tipo de tareas también. mas de tipo social y natural. ademas las cooperativas – a la diferencia de las cooperativas de los anos 70, que eran cooperativas mas bien ofensivas en la intencionalidad de transformar las relaciones laborales patrón – trabajador. Esas cooperativas (de hoy) de la manera absolutamente defensivas y yo lo diría solo la cooperativa el Ceibo es una cooperativa que se ha conformado como una cooperativa, todos los demás son pequeñas empresitas de acopiadores que tienen el nombre de la cooperativa nada más que para viabilidad ciertas formas de organización para esos trabajadores para darles una institución posible de esa forma particular del ser que es el cartonero. pero que incluso que 16: 38 pasaba con de intermediar en el acopio, en la venta, saqueaban el cartonero que estaba suelto de alguna manera y vendían Los de bajo flores tienen también una tradición mas de la limpieza del barrio, organizaron talleres de formación de modifico para gente del barrio incluso los que estaban cercanos. tenían cosas mucho mas interesante que otras que estaban pequeñas empresitas de acopio, de reventa. suben las pequeñas empesitas las condiciones de trabajo de los cartoneros? si. el cartonero va a ser un empleadito bajo condiciones muy particulares, por eso depende de que tipo de cooperativa estamos hablando. las condiciones de trabajo mejoran no tanto que las del cartonero suelto negociando con el acopiador. Una mujer venia con un custodio donde vivo yo y me contó que estaba casada con un empresario de la basura y que los cartoneros lo tenían amenazados. el empresario de la basura en realidad era un acopiador hijo de puta de cartoneros. el tipo se había hecho rico de acopiar los cartones, de que traían los cartoneros, y había juntado una empresa que llamaba cooperativa (no estaba dueño, estaba patrón) tenia dos o tres que lo hacían el comercio de la calle y por supuesto que tenían amenazado porque el tipo era el dueño hijo de puta. le pagaba 20 centavos el kilo de cartón, lo vendía a 2,5 pesos. no me acuerdo como le dan los porcentajes, era un acopiador importante. (...) JL: Hace dos o tres anos hubo un cambio en el gobierno por la organización de Macri. Desde 2005 – registro único, 2006 querían tratarles de absorber de manera muy barata. sin beneficios sociales, solamente un registro para recuperar, para organizar de alguna manera y no formalizar el trabajo en negro. Reciben subsidios para no romper las bolsas, pero es algo reciente. en los momentos de la investigación (entre 2001 y 2005 ) para cartoneros individuales no había ningunos. lo ubique que había era el registro de recuperadores urbanos. Ahora hay planes sociales – hay que poner en cuestión estas subsidios porque a mi me cuesta pensar que hacen subsidios para cartoneros. RH: Que cambios había para los cartoneros entre 2001 y 2005? MVM: Hubo cambios porque el gobierno dejo de ser tremendamente hostil. el los finales de los 90, principios de los 2000, de ser muy hostil, tuvo que legislar para ellos, empezando por ellos o sea ya en el 2003 (992) tuvo que legislar por ellos porque primero los metió preso, los encontrando con la basura investigaba y metía preso – luego eran tantos, empezó a no poder hacerlo – había tantas fuerzas en disecciones en la calle para meterlos presos – a esa masa 145 impresionante de pobres que salía después de las 5 de la tarde. entonces tuvo que a empezar como iba a hacer para incluir los. entonces legislo para ellos. y al mismo tiempo – para la basura, porque antes la basura las empresas cobraban por tonelaje de basura que se recogía. por lo tanto tenían derecho a decir que se lleva la basura y la roba por la parte de ganancia. derecho entre comida. el jefe de la ciudad de buenos aires era el dueño de las empresas basureras que decía que eran ladrones. Luego se le obligaba de legislar. una vez que legislo esa legislación también toco a las empresas recolectores de basura porque ya avisaron de cobrar por tonelaje al lugar de cobrar por kilo de basura que se llevaban, sino de cobrar por área limpia. esto no tiene que ver con la cantidad de la basura que se levanta sino con la cantidad de la superficial que limpian que es distinto. entonces le abría la posibilidad a los cartoneros de hacer legalmente la comida su trabajo porque le permitía de llevarse las cartones de vidrio, de plástico y todo esto. sin embargo, rápidamente estas misma empresas descubrieron que ellas también podrían hacer esto, de hecho los primeros contenedores fueron de las empresas basureras. Los primeros separadores de vidrio y papel fueron de las empresas basureras. también el gobierno en esa legislación desarrollo una campana para que los pobladores la población en general, las amas de casas, repartirán en su casas la basura orgánica de la inorgánica particularmente del material reciclable. ahora eso no funciono. sin embargo, fue desarrollando el estado nacional, políticas de inclusión. en la medida en la que el estado del gobierno de la ciudad fue descomponiéndose en el sentido del neoliberalismo hecho carne del Marci también fue transformando la política de educación. Les obliga a gastar. Vuelve a ser posible de caer preso y de ser hostigado quien no cumpla con la funciones del gobierno de la ciudad a dispuesto de le enjunta. igual no se cumple. Porque ellos no tienen fuerza real para reprimir ellos. Ha cambiado también como se ha conformado la institución. ya la gente no tiene tanto miedo por un lado. y por otro lado como cartonear se ha vuelto una empresa de casi factura. cartoneen los cartoneros, cartoneen los recolectores (los recuperadores) y también es un trabajito entre comidas posibles para ciertas fracciones absolutamente marginales que a veces roban y otras veces cartonean. estos son las que traen la tradición de trabajo formal que trajeron la primera generación de cartoneros, estos son “Lumpen”. JL: Había una diferencia muy grande entre ellos que habían tenido un auxilia laboral y experiencia laboral el marco del estado tiene estar en trabajos formales. tiene bien construido su propio identidad de la relación en eso y había mas diferencias. había crecido en el marco de la desocupación absoluta y exclusión absoluta respetan mejor el trabajo laboral. Chicos que habían tenido adolescencia entre ellos en los 90 y habían sido margino por cualquier tipo de institución educativa laboral también. en esto sentido había mucha diferencia las formas de hacer y estos cartoneros mas viejos que habían tenido relaciones laborales informales tenían esto reproducción carta ética. se movía. de diferencian mucho de estos nuevos porque no tenían experiencia de ningún tipo de experiencia laboral, solo conocían las relaciones informales y precarios. y ahora el cartonero parecía como seña social, pero absolutamente insociada de esta ética laboral mas ningún atrajo de trabajo laboral. (...) MVM: Es un grupo muy heterogéneo porque había grandes diferencias entre cartoneros asociados en cooperativas o con experiencia de trabajos mas colectivas que cartoneros individuales que a mismo tiempo cartoneros. porque es un trabajo de baja calificación ni otro modo. hay aquellos que no tenían relaciones laborales formales previas y al largo plazo. tu piensas también que esta gente va quedando en esta filiada y sin lugar dentro de el mercado formal de trabajo medio-bajo. entre los sectores yo ha encontrado como la cartonera 146 era profesora de filosofía me he encontrado con cartoneras que eran moristas (la gente que cose la ropa, costuras de ropa). entre una profesora de filosofía y una costurera y un ladrón sueldo hay una diferencia tan grande. mozos, torneros, obreros de la industria mecánica que son obreros de alta calificación cartoneando. no hay una construcción de identidad común. se avergonzaban de esa posición porque era un trabajo sucio e desvalorizado socialmente. creo por eso la gente del Ceibo se llama a si mismo recuperadores urbanos y no cartoneros porque eso le daba vergüenza. a nosotros pasaba que en el trabajo de campo preguntamos “usted que hace?” “yo cartoneo” “aha, y que es?” “y yo soy tornero” Con ese trabajo podía ver hoy esa experiencia laboral diez años atrás había financiado – “soy profesora de filosofía” “como profesora?” no, no cartonera, profesora ?” sin hacer una identidad con aquello que hacen. JL: Y eso también les da espacio de trabajo mas solido y este va a proteger en el largo plazo. cartoneros que tenían 50 años cantoneando 10 o 15 años han establecido una forma formal y formatera en la cual también han seguido ciertas formas de formación de oficios y luego tal vez durante diez años habían empezado esto que esta en 2001 sea rastra del año complejo económico y de marginalización. de una grande destrucción incluso ahora. quien es conectado con la actividad. Interview mit der Mitarbeiterin Susana (S) und Juan Garbois (JG), Kooperative Movimiento de Trabajadores Excluidos (MTE), am 10.02.2012 S: Son vendedores, algunos artesanos otros no que ponen justamente sus mantas a veces unos mantelos y venden en la calle. Al fin del año pasado hubo mucho ruido porque había prohibido entre esas actividades el trabajo en la calle. No les dejaban quedarse ahí sentados sino que una cosa ridicula. Puden darse vueltas nadamas. Lo hicieron porque los jodía, los molestaba. También pasa que entre ello siempre hay alguno que tiene un negocio o sea una persona que le paga a varias personas para que vendan sus productos y esa empresa tiene mas peso porque va a tener o le paga la policía o sea como esa genera una situación como... no se como decir lo... le dan más pelota que tiene plata y tiene poder y puede sobornar a la policía y otros que no. Todavía sigue la lucha, todavía no se termino a finar esta ley que los quiere sacar. Hoy no se que paso pero hubo una movilización y hay dos personas que los metieron presos. Cerca de 2002, 2003 muchas veces pasó que querían confiscar los materiales a los cartoneros o les cobraban coimas cuando venían con los camiones para parar y querían sacarle el camión. A poco se pude organizar para que esto no puede ser y se pude movilizar hasta la comisaría que dejan salir a los compañeros y devolver el material que les han confiscado. Era al principio. Ahora esta lucha es aprueba. S: Hacen nada más y nada menos que suplir el rol del Estado de separar los residuos y de generar reciclable. O sea ellos lo hacen por tener un trabajo y para darle a comer a sus hijos pero están cumpliendo un rol que a veces sirva una empresa privada saldría fortunas. RH: tu sabes cuanto sacan estas empresas privadas del trabajo de los cartoneros? compran los productos primos por muy poco y lo venden por mas de el doble? O donde queda el beneficio de este negocio? S: Si, hay como dos o tres instancias. Los compra un galpón que acopia el material y de ahí se vende a los empresas que utilizan el material para volverlo a cajas o... depende o papelera 147 o embalaje como un proceso mas duro, no tan fino. Y todavía queda un montón de porcentaje de la basura que los vecinos reciclan baja a la comparación de lo que podría ser reciclado. No se hace, no todas las personas que van a cartonear están dentro un sistema porque no están las condiciones dadas todavía para que se pueda reciclar la cantidad que se debería. El el sistema (MTE) están incluidos muchos trabajadores pero faltarían muchos mas. Siempre todos los años se da de discutir la aumenta de los incentivos o los sueldos de las personas que lo manejan también el tema de la aura social. RH: Subsidios para los cartoneros? S: El Estado les dio un incentivo. Es una plata fija y por trabajador. Eso es aparte de la plata que ellos hacen con su trabajo. Son mas o menos 400 pesos al mes. Por eso tienen que cumplir ellos con la presencia. Tienen un control ecológica también. Venir a trabajar y ocupar su puesto porque después hay muchas personas que quieren entrar al sistema y si no están o se mueven, vienen otras personas y ocupan el lugar. RH: Se pelean por calles? S: Si, todo el tiempo. Pero no en la calle. Hay cosas internas de organizativo. En la división de las calles esta muy claro y aparte tienen recorridos desde hace muchos años, conocen mucho a la gente. En eso se organizan bien. Bajan y cartonean en la calle. Se generan más conflictos internos dentro este sistema de trabajo. El delegado, que es una persona esta a cargo de una ruta sea un micro y que dice quien viaja o no vieja siempre hay un problema, pero en la calle no. Conflictos de hirarquia. El problema es cuando hay mínimas diferencias de poder, cuando uno es el que organiza. Pero esos conflictos no se ven en la recolección, en general digo. Después pueden entrar problemas personales del barrio y se pelean en la calle, pero por la recolección en general no. RH: Quien hace la división de las calles? Como se arreglan los sin cooperativas con los que están en cooperativas? S: Se sanciona a los trabajadores. No se los deja trabajar mas, no se suma con el incentivo. RH: Acerca del uniforme de MTE. S: Son dos piezas: la remera y el pantalón. Algunos usan una sola pieza. Lo cual no esta en todo bien, pero hay otros que no vienen con nada y los delegados no los dejan subir si no tienen uniforme. Porque si los mismos trabajadores no traen el uniforme y después desde el gobierno quieren buscar excusas para ver un barto del sistema lo pueden hacer si los trabajadores no cumplen las normas. Entonces hay que mantener un orden mínimo para que funcione todo. Pero no siempre se cumple. Hay también unos chicos adolescentes que pasan los cancheros, pero solo unos pocos. La gente mas grande lo usa. Al principio fue difícil que se pongan uniformes pero después son muy buenos porque es una manera de mostrar que son trabajadores en serio. Que están trabajando y que vienen cumpliendo sus horarios. Con los horarios se alinean con las viejas. Salen más o menos a las 5, llegan acá. Ese micro que los trajo vuelve, va buscar otros trabajadores, viene acá y después hace dos viejas de vuelta. S: Lo que recolectan los trabajadores depende de lo que los compren. Si quieres llevar 148 cartón, porque es lo mejor que se paga, haces espacio en el bolsón para cartón y no llevas tanto los otros. Pero en general recolectan todo. En general. Raras veces recolectan una sola cosa, depende a quien la venden. RH: De donde vienen a trabajar? Vienen de Gran Buenos Aires o de ciertas partes del Sur? S: La mayoría de las trabajadores de acá, del sistema de cartoneros, viene del Sur del conurbano de la Ciudad de Buenos Aires. Del barrio de la Luz y lo mas de Zamora – la gran cantidad. RH: Y del norte? S: Los del norte? Esos trabajan en el Norte. En León Suárez, por ejemplo. Y venían en un tren. Lo remplazaron por unos camiones pero no funcionaba bien. Nunca podían organizarse bien. Ahora están empezando la organización y van teniendo los uniformes. RH: En que condiciones trabajan los cartoneros? Hay algunos leyes, pagos o prestaciones sociales para su protección? JG: Depende del nivel de organización de los distintos grupos. Dentro de los trabajadores cartoneros hay grupos, pero la mayoría en la Argentina y en el mundo no tienen organización, no están organizados, son trabajadores de raíz en su actividad de manera individual sin alojamiento y en condiciones de extrema precariedad en términos de ingreso, de cobertura medica, en condiciones de trabajo, de transporte, de seguridad, etc., etc. A mayor nivel de organización mayores condiciones de trabajo hay. En la Ciudad de Buenos Aires se produce el desarrollo organizativo más fuerte de los cartoneros en el mundo. El desarrollo de la organización y la lucha social que se ha desarrollado a partir de las organizaciones de los cartoneros produce que el sistema de reciclado, del publico, de la Ciudad de Buenos Aires sea un cintura mixto estatal, cooperativo entre el Gobierno y las cooperativas de cartoneros. Hay un contrato donde el Gobierno optó a determinados edificios sociales y a los cartoneros prestan determinados servicio. Digamos se reconoce el valor ambiental del trabajo de los cartoneros y por esa razón la municipalidad paga en determinados servicios. Esos servicios en la Ciudad de Buenos Aires en el sector que está organizado en cooperativas .. a cobertura social, seguro de salud, a elementos higiene de seguridad laboral (los uniformes, etc.) La cooperativa tiene unos treinta camiones y algunos colectivos para el transporte de los compañeros. También aporte a jubilación y un complemento de ingreso es un subsidio para unos trabajadores que aporta el Estado con lo cual todos los compañeros ganan un salario mínimo. Como hablando de los compañeros que están organizados en cooperativas. Después los que están organizados en cooperativas en la Ciudad de Buenos Aires juntan el material y lo venden y digamos no tienen una forma de trabajo regular incluso a veces – antes sobre todo – tenían problemas con la policía ahora ya no más tanto. Siguen mas o menos con sus condiciones de trabajo. RH: Bajó la cantidad de los cartoneros después de la crisis? Se haya disminuida? JG: En 2001 después la desvalorización se aumentó mucho la cantidad de los cartoneros por dos motivos. Primero por la necesidad, digamos. Por el segundo por la onda de desvalorización el precio relativo del cartón, del papel, del plástico …. son commodities ... 149 en la bolsa de Chicago subió. El precio relativo de materiales primos subió mucho, entonces era una mercancía que se pagaba bien en el mercado y permitía obtener ingresos a veces superiores que el salario original. Entonces son dos razones. Después eso fueron mermando primero los lugares de trabajo y segundo porque el precio relativo bajó o sea con lo mismo que se compraba... por ejemplo si te pagan por kilo 60, 70 centavos. con esos 60 centavos en 2002 podías comprar muchas más cosas que hoy por la inflación. O sea una inflación en los productos de consumos pero no hubo una gran inflación del precio del cartón, porque el precio de cartón se dirige por precios internacionales, como las hojas por ejemplo. RH: Cuál es la jerarquía de precios? JG: El material mas caro que se recicla es el cobre, por ejemplo. El aluminio, pero los precios... digamos... el mas barato es el papel de diario o el papel de revista. Después vienen el cartón, el papel blanco, después viene el P.E.T, tanto vale como blanco. Después vienen los metales, el cobre, el aluminio, etc. RH: Que se cambió para los trabajadores después de la ultima reglamentación normativa en 2006? Y que se había cambiado antes, con las reglamentaciones anteriores? JG: Hubo varias reglamentaciones. La ultima fue en 2006. La primera fue en 2002. La ley de la Ciudad de Buenos Aires 992 de la legitimación. La importancia a esa ley es que deroga una vieja norma de la dictadura militar que prohibía la actividad. Y es simplemente una legalización del trabajo, nada más. De 2002 hasta el 2007 fue todo un periodo de resistencia ya y a partir de 2007 se logra de que se anulan los contratos privados y de que se haga este contrato publico con las cooperativas. Ahí ese contrato se manifestó en 2006, fue con la ley 1854 que tampoco dice demasiado. Digamos es una ley impulsada por Greenpeace que es una ley teórica, no es una ley que se aplique y a partir del 2007 empiezan a hacer reglamentaciones que protejan a los trabajadores en serio. Que cada trabajador tenga una zona, un medio de transporte, etc. JG: Nunca existió un sistema formal de reciclaje en la Ciudad de Buenos Aires. Existía un sistema de recolección de la basura. El contrato más caro de la Ciudad de Buenos Aires es el de la higiene urbana, el de basura. El contrato que vale aproximadamente 1200 millones Pesos por año. En la Ciudad de Buenos Aires la basura es privado, se ha privatizado entre distintas empresas. Hasta el 2007 se le pagaba a las empresas unos 100 millones de pesos para hacer reciclables. Pero no se ha nada reciclado, es un sistema fraudulento, era un fraude. Como era el sistema? Era un sistema que ha implementada a partir de la ley 1854 de Basura cero. El sistema existía en poner contenedores, uno para los materiales recicables y otro para los materiales húmedos, digamos. Que pasaba en la realidad? El mismo camión se llevaba los dos contenedores y tiraron toda la basura y lo enterraron. Había algunos galpones de reciclado y algunas cooperativas chicas que recibían dos o tres toneladas por día de materiales – muy poquito. Todo lo trabajo real lo hacían los cartoneros sin ningún beneficio. Reciclan en la Ciudad de Buenos Aires 600 toneladas por día, los cartoneros. Esos contratos son muy difíciles. No sé si son secretos pero son muy difícil a acceder. Cuando nosotros logramos a ver los contratos iniciamos unas acciones ilegales para denunciar el fraude de este y plantear que en vez de parar un sistema privado, invierten 100 millones de Pesos por un sistema privado y que por eso utilizan fondos para hacer un programa de desarrollo social para los cartoneros. RH: Porque la entierran? 150 JG: La basura tiene un componente orgánico y un componente inorgánico. Los 100 % de la basura son reciclable. Ahora lo que se recicla realmente es lo que el mercado compra. Se recicla una parte pequeña de la basura, por ejemplo el material orgánico que podría hacerse compost, no es rentable económicamente hacer eso. El cartón y el papel si son rentables, entonces. En Europa también el nivel de reciclaje tampoco son muy altos, nunca sea mas que 30 – 40 % de los residuos. Ademas no se entierre, se incinera, o se quema o se entierra. Hay algunas ambientalistas que piensan que enterrar es mas contaminante que quemar y otros piensan que quemar es mas contaminante que enterrar. Todos dicen que reciclar es mejor que quemar y enterrar, pero en ningún país del mundo se reciclan los 100 % porque para poder reciclar el 100 % el Estado tiene que subsidiar el reciclado, porque no tienen salida comercial como los productos. JG: Los cartoneros que trabajan en la calle, hacen lo que se llama “una recolección diferenciada puerta a puerta”. Mancan a la puerta y recogen material de su origen, hacen la separación de su origen. La cooperativa hace la recolección diferenciada en grande generadores. Ahora todo lo que sobra va al CEAMSE. En el CEAMSE hay unas plantas procesadoras en donde trabajan otros cartoneros. Son muy malas las plantas. La tecnología es muy básica, las condiciones de trabajo son pésimas. Lo que sobra de esas plantas va al relleno. A dentro del relleno en las montañas también trabajan cartoneros. Los chicos trabajando a dentro del basural, como se lo puede ver en las fotos de la pagina web, pasa en todo el mundo subdesarrollado, en Africa, en India, en Brasil, en todos lados pasan muchismos. No hay programas para resolver ese problema. RH: Por donde ves mas necesidades para nuevas reglamentaciones? JG: Fundamente hay algo que todavía … la necesidad sería cambiar el sistema en su conjunto digamos porque es un sistema que hace que exista gente que tenga que trabajar en condiciones inhumanas pero saqueando ese tema general, particularmente la industria papelera, el industria del plástico, el industria del cartón no aportan nada a la formalización de los cartoneros, que son los que recogen el material prima a ellos. Entonces dos cosas que tendrían que cambiar rápidamente. Primero por cada mercancía que se produzca con material reciclado cuya material prima ha venido del circuito informal o el circuito cooperativo de los cartoneros. la industria debería pagar un impuesto para los programas del desarrollo social, la inclusión de los cartoneros. Eso es un tema. Y el segundo tema es una ley de envases que haga que las empresas que ponen envases en el mercado como por ejemplo Coca Cola que pone mucha cantidad de PET o que ponen cajas etc., materiales que después van a juntar los cartoneros también pague un impuesto porque los cartoneros terminan hacer trabajo gratis para ellos. Esas dos cosas son cosas que faltan. Obviamente existen en el primero mundo. Hay leyes de envases en Europa, pero las leyes de envases en Europa terminan reglamentando el capital, no son leyes sociales. Esas son las dos principales cosas que faltan. Y falta que se puede hacer algo parecido a lo que hay en la Ciudad de Buenos Aires en todo el país. y también que existe una política para los basurales hacia lo abierto. Cuando los basurales sean abierto sirviese para que la gente salga de los peores condiciones. De todo los trabajadores cartoneros los que están en los peores condiciones son los que van a los basurales a trabajar. RH: Como es regulado el cumplimiento de los regulaciones? 151 JG: Las obligaciones que tiene el Estado los controlamos nosotros. Si el Estado no cumple, nosotros desarrollamos una estrategia de la acción directa o legales etc. Los obligaciones que tienen los cartoneros las controla el Estado muy mal. Por ejemplos las obligaciones son muy básicas, son no ensuciar al propósito o cumplir con las leyes, muy básicas. El Estado mucho no ha hecho porque no es muy contento de esta situación que hay. Todos se arquearan en la lucha. Pero hay un sistema de control. Existe una dirección general de reciclado que es un organismo estatal que esta encargado del control del cumplimiento del contrato que existe entre las cooperativas y el Estado. RH: Que factores influyen a la cantidad de los cartoneros? JG: Depende de la política, de la situación social y también del capital y de la industria. Porque a mayor cantidad de materia prima mas altos son los precios y mas atractivo es para el trabajador salir a buscar el cartón. O sea las dos variables que influyen fundamentalmente es la situación social de los trabajadores y los precios de la materia prima. RH: Como es la situación de las mujeres? Hay un equilibro? JG: Bastante parejo. 50 – 50 casi. Las mujeres tienen mucho protagonismo en la organización. La mayoría de los delegados de la organización son mujeres y cumplen un rol muy importante en la etapa de la resistencia. RH: Hacen los mismo trabajos? JG: Si, completamente. RH: Porque trabajan sin ningún protección? JG: Es difícil de explicar. Los materiales secos so son dañinos la salud. Los indices de enfermedades por contaminación nuestros son muy bajos. no hay prácticamente, no son existentes. No hay enfermedades infecciosas que se generen. En los basurales si, pero en la recolección puerta a puerta no se generan enfermedades infecciosas por el contacto con la basura. No existen, no hay ninguna. En ocho años no hubo un solo caso. Hay accidentes de transito etc., pero infecciones no hay. O sea es un problema mas estético que científico el tema de la protección. RH: Que jeriqua existe dentro de la organización de los cartoneros mismos? Y peleas? JG: La cooperativa tiene un consejo de administración directiva que se elige por voto de la totalidad de los asociados cada año. Y ademas cada grupo de sesenta compañeros tiene un delegado titulario de delegados suplente que se elige por voto de ese grupo una vez por año. Y existe también digamos un grupo que nosotros llamamos militantes activos, somos nosotros que ayudamos pero no tenemos incidencia a los acciones organizativas del movimiento, son decisiones que están en mano de las organismos de la cooperativa. O sea que lo jerarquías son esas en términos de organización interna. Delegados, comisión directivo, trabajadores – delegados – comisión directiva. También existen una adición de trabajo, chóferes, operarios y recuperadores urbanos. Esos son básicamente las divisiones que hay. Siempre hay muchos peleas internas. Una organización muy grande tiene aproximadamente 300 miembros y siempre hay muchas peleas internas por el poder dentro de la organización y también hay a veces discusiones entre distintas cooperativas y a veces 152 entre incluso los trabajadores por el material pero hasta ahora todo viene resolviendo de manera democrática. y entre compañeros, digamos. RH: Es decir que todos siguen las reglas? JG: No todos siguen las reglas. Lo normal es no seguir las reglas. Estamos hablando de compañeros que están trabajadores que han sido excluido del sistema social dominante y que no tiene un apego muy grande de normas, digamos. No estamos apegados a las normas. Entonces las normas se rompen constantemente y la organización no tiene un control de policía – no somos la policía. La organización lo que tiene que hacer es contener los compañeros y conseguir los derechos sociales. Entonces el incumplimiento de las normas dentro de las normas de la organización crea muchos problemas internos, pero la organización prefiere que existan los problemas internos a expulsar la gente porque no cumplen con las normas. La organización nunca expulsó ningún miembro. En todos sus años de su existencia nunca expulso ningún miembro aunque en muchos rompan normas. RH: Normas de que? JG: Normas de no robar en la calles, no pegarle a otro compañero, no robar materiales de los grandes generadores, usar el uniforme, no venir con menores de edad. Para nosotros es una forma de explotación y la cooperativa tiene guardería para los chicos de los trabajadores. Un montón de normas de ese tipo se rompe sistemáticamente. RH: Y no hay problemas con la policía por este desmadre que a veces..? JG: Si, la organización tuvo muchos problemas con la policía hasta el 2007. El problema de la policía no era porque la policía controlaba. La policía cobraba una coima, un chantaje para permitir a los cartoneros a trabajar. Siempre hubo mucho enfrentamiento con la policía. pero ahora no porque la organización es muy fuerte y digamos cuando algún niño o un chico joven a veces pasa que rompa algo etc., tratamos que lo devuelva y que no lo haga más y listo. No hay situaciones de violencia grandes. RH: Pero las bolsas abiertas con desechos no les molestan a los vecinos? Que no hay algunos que las abren y las cierren de nuevo y otros que no lo hacen? JG: Unas de las normas de la organización es que hay que abrir y cerrar. Y que no lo hace digamos. la mitad lo hace, la otra no. Imaginate vos si hubieses nacido en una villa miseria, un basural, sin trabajo, sin nada, que te importa ensuciar la calle de la gente tiene plata? Que te importa? Entonces a mi como militante social que me importa que a un muchacho joven no le importe que este limpia la calle. No es el problema ese, ese es un problema que tiene que ver con la banalidad de los problemas de la clase media. El problema de la clase media es que les ensucian la calle, el problema del compañero de la villa es que no tiene para comer, no tiene cobertura social, no tiene vivienda, porque su papa es alcohólico. RH: De donde vienen los cartoneros? JG: En general los de la organización vienen de Zamora o de la zona sur del conurbano de la ciudad. Pues hay otro grupo que viene del norte del conurbano, hay otro que viene de la zona este y hay un grupo que vive en las villas de la Ciudad de Buenos Aires. 153 RH: Y que es la estructura de su edad? JG: Hay un fuerte componente de pibes entre 16 y 25 años. Hay de todo pero la mas fuerte es entre 16 y 25. Hay también gente de mas 45, mas de 50, de 60, hay de todas las edades la mayoría son jóvenes. RH: Y que hacen después? JG: Eso no se sabe porque es un fenómeno nuevo de 2001/2002. Ahora no se ha visto lo que pasa, pero yo conozco a chicos que trabajan desde los 16,17 años y que van trabajando los últimos 10 años y siguen trabajando en esto. Pero no se visualiza como un trabajo indigno. O sea nosotros reivindicamos que es un trabajo digno y que es un trabajo útil para la sociedad. Y que es un trabajo que mientras tenga la protección social necesaria y que es igual que cualquiera otro trabajo. RH: Cuales ocupaciones habían tenido antes de la crisis? JG: Hay de todo. Algunos habían sido obreros, otros no todavía. Hay dos o tres generaciones de desocupados y otros habían sido delincuentes, eee hay de todo. RH: Pero la mayoría era de la clase obrera? JG: La mayoría eran trabajadores, si. RH: Quienes son las mas importantes clientes? JG: Los vecinos, la familia clase-media. RH: Y no hay dificultades con los vecinos? JG: No, no. Al principio. Pero ahora ya muy poquito. Hay buena relación pero no hay contacto. No hay conflictos, muy pocos conflictos. Algunos vecinos se paran y se lo dan directamente al cartonero, los porteros sobretodo. Hay cartoneros que tiene ya sus clientes. Y otros que abren las bolsas y hay de todo. Pero no hay problemas. La mayor parte de los vecinos (60, 70 %) no les molestan a los cartoneros. Al principio si, había unas problemas. Pero tampoco unos demasiado graves, muchas quejas. RH: A quien se venden los materiales? Se los venden también a una instancia del gobierno? JG: Los materiales son propiedad de cada trabajador. Cada uno vende a quien quiere, por lo menos en esta organización y en la mayoría de los casos. Hay algunos casos que no, pero son muy chiquitos. Hubo una época donde había gente que le pagaba a los cartoneros para juntar para el. Eso se acabó. Entonces hay algunos cartoneros que venden en la propia cooperativa, que después vende a la fabrica, hay algunos que venden en galpones ilegales. La mayoría, la mayor parte del material del circuito cartonero va a un galpón ilegal chiquitito. Es galpón chiquitito se lo vende a un galpón mas grande y ese galpón mas grande se lo vende a la fabrica. La fabrica que compra mucho volumen son fabricas muy grandes, multinacionales (Es Smurfit, Zucamor) varias fabricas de papelera que compran a los galpones que le compran a los cartoneros. Toda la cadena se va a una fabrica importante. RH: Estatales también? 154 JG: No, no, no. Todo privado. RH: Conoces que esta entre Trelles y Chacaritas. JG: Por allí hay muchos galpones privados. RH: Ilegales? JG: No, irregulares. O sea no informales, no que sean ilegales, informales. RH: Y hay algo como un carel de precios? JG: Si. Hay una cartelización de los precios. RH: Que otros estrategias de sobrevivencia había despues de la crisis? JG: A nosotros no nos gusta el termino de estrategias de sobrevivencia porque todos los trabajadores del sistema capitalista son supervivientes. Venden su fuerza de trabajo a cambio de un salario para sobrevivir. Cuando uno usa el termino supervivencia para la de la economía informal esta haciendo una distinción ficticia entre los trabajadores de la economía informal y los de la economía formal digamos. que no es la verdadera diferencia. Nosotros planteamos después de la crisis, los compañeros inventaron su propio trabajo. Perdieron su propio trabajo y estaban buscando formas de inventar su propio trabajo porque la mayor parte de los fenómenos que surgen de la crisis, los mas importantes, eran las fabricas recuperadas, el movimiento de los cartoneros, las cooperativas de micro-movimiento de todo tipo, las ferias populares, el trueque y después a 2004, 2005 algunos programas sociales que fueron consiguiendo los piqueteros, el grupo piquetero. RH: Y cuales todavia siguen viviendo? JG: Muchos. En el sector muy grande de la clase trabajadora que vive de este tipo de actividad. RH: Que influencia tiene la campaña de reciclaje en la Ciudad de Buenos Aires JG: Ninguna. Los contenedores nueves, los verdes, que hay en el micro y macrocentro. Los contenedores esos digamos la cooperativa y otra cooperativa mas tienen acceso a esos contenedores o sea los compañeros tienen acceso a esos contenedores. Con la Ameda tenemos alianza del planteo de una lucha por una sociedad sin excluidos. Ellos trabajaron sobre el tema de los clandestinos y empezamos a trabajar sobre la relación entre la exclusión social y el crimen organizado y las Mafias y la intoxicaciones de la sobreexplotación. Entonces cuando hay situaciones en donde inconviencen mucho desarrollamos una estrategia de luchar juntos. Y después también hicimos una alianza mas grande que la cooperativa de los trabajadores de la economía popular con el movimiento de las fabricas recuperadas y con los movimiento de las cooperativas de la infraestructura social. Estamos allí ayudando a los trabajadores de la vida publica, a los que venden, vendedores circulantes … lo que comunalmente se llama trabajadores informales. 155 Interview mit der recuperadora María Julia Nevarra (MJN), Kooperative „El Ceibo“, vom 07.02.2012 und vom 16.02.2012 07.02.2012 RH: Cuántos hijos tienes? MJN: Yo tengo cinco. RH: De que edad? MJN: No, ya son grandes. Tengo uno de los cinco con que estoy criando. Lo tengo de bebe, ahora tiene 17 años. Tengo la tendencia definitiva. Ahora cuando cumpla 18 el, yo me voy a cambiar mi apellido. Automáticamente mío, Va a cumplir 18 años ahora en junio. Y anoche vino tarde porque se fue a la murga. MJN: Yo terminé mi primaria a los 59 años. Pensaba todavía – no puedo pensar mas por el – tengo los chicos que lo tienen que operar otra vez. Porque me cortaron, sacaron un vaso Recuperadas …. A veces traen estas bolsas con útiles y ahí sacamos eso (zeigt auf einen Kugelschreiberhalter auf ihrem Schreibtisch) a veces no compro nada … asi cosas … porque … esto lo que había la bolsa. ahora no veo nada (in einem anderen Sack) RH: Pero no comen de la basura? MJN: No. No. RH: Porque ya vi gente que se come de la basura MJN: … y van a los supermercados y a... RH: los contenedores? MJN: No, no. a los... como se llama? … las maltonas … en lo que tiran cosas y comida y van y sacan de ahí. Hay unos que sacan a veces de la gente que RH: como se organizan? MJN: Cristina es la jefe [Frau als Chefin] en el galpón y yo soy acá. ella manda allá y yo mando acá, soy la encargada de la calle. soy la encargada de los recuperadores de la calle. RH: y como son los horarios? MJN: de las 8 a la 1. RH: Como son los pagos? MJN: semanal acá. Y en el galpón mensual, por mes. RH: Todos ganan lo mismo? MJN: No, diferentes categorías de trabajo, los de la calle ganan lo menos. Nosotros somos recuperadores socio-ambientales, que andamos con los vecinos, nos encargamos de los vecinos. Nosotros nos encargamos de acá. es decir que RH: Como se sienten en esta sociedad? como te sientes tratado? MJN: muy bien. nos tratan así. Muchos tienen confianza, porque nosotros tenemos uniformes, que somos una cooperativa seria. Conocemos a todos los vecinos. Adonde me voy, me dicen “hola, Maria Julia.” “Hola”, sale una grita. De donde están, nos saludan. MJN: Nosotros tenemos prohibido de agarrar los cosas de la calle. Salgo que este suelto que no es dentro de una bolsa, unas materiales. Si hay cajas sueltas nosotros las levantamos, pero andar abriendo bolsas no podemos. Ya lo habíamos hecho nosotros y ahora no podemos más 156 andar hurgando bolsas en la calle. A veces sí vemos sueltas las botellas, es como que las tenemos que levantar para guardar el medio-ambiente. entonces nosotros las levantamos y a nosotros nos sirve y a la vez estamos cuidando el medio ambiente. Eso es lo que pasa. Pero trabajamos de día y de noche no. Trabajamos de 8 a 1, 1:30, hasta que viene el camión. RH: Que hacen los chavos de “Juga Limpio”? MJN: Juga Limpio es mala palabra para nosotros. Es del gobierno, nosotros no pertenecemos al gobierno. Nosotras somos siete mujeres fundadoras pero nosotras no tenemos nada que ver con el gobierno. Los que andan rompiendo las bolsas cobran subsidios para que no rompan las bolsas. Los mismos lo hacen porque es más fácil de entrar. Como hay miles de chicos que andan sueltos, que andan limpiando y por allí se cruzan uno por hacer cosas rápido, rápido, rompen y dejan todo tirado. RH: Tienen estrés? MJ: Estrés para que puedan agarrar el material. 16.02.2012 MJN: Estar debajo de un puente al estar ahora alquilando una pieza es un cambio de vida. Antes no teníamos nada y siempre hemos vivido en casas tomadas. Eramos siete mujeres fundadoras que las siete mujeres éramos cirujas individuales. Y ser individual significa andar rompiendo bolsas. Ahora no, ahora somos unas recuperadoras socio-ambientales. Que es socio-ambiental? Es agarrar una logística. Con las direcciones pasar por los vecinos tocando el timbre … y … nos dan los materiales en la mano. Vamos con un carrito y un bolsón y nos ponen los materiales. Los agarramos, los ponemos en este bolsón y bueno. Antes no teníamos nada. Era cuando lo hemos iniciado recién en 1989. La gente tenia miedo de tratar con nosotros o sea no nos conocía. Hemos empezado con el cartelito en los arboles. Son así un cartel con esa tetragrido plástico de esa de coca para que no se moje. Poníamos la dirección, el teléfono y el numero de reconocimiento de cada recuperadora que pasaba. Así fuéramos conociendo de la gente incluso ahora vienen hasta de lejos dejarnos los materiales para acá para Paraguay. Acá, donde esta la oficina ahora, vivíamos antes. Acá vivía Cristina (auf eine Ecke zeigend) Vinieron y dejaran cosas. Faltaba terminar acá. Nos costó bastante lágrimas. Lloramos mucho para lograr que tenemos ahora. Ahora tenemos un mapa de las zonas. Las dividimos entre todos las logísticas por al dirección y se fueron los chicos a recuperar. Todo cambió en el 2001, fue en ese tiempo de quiebra con esta la inflación enorme. A nosotros nos favoreció, nos elevaron, incluso nos regalaron un galpón. (…) Trabajar, trabajar, trabajar es lo único que hemos hecho por eso. No hemos dado gran importancia a lo que hicieron (sie erzählte zuvor, dass im Galpon einmal Feuer gelegt wurde, bei dem alles verbrannte). Hay gente que no quiere que trabajemos. Pero la verdad, no le tenemos miedo de nada. Seguimos para adelante. Nosotros no tenemos ayuda del gobierno, ni nada. Tenemos subsidios que les dan a todos, a los del MTE, todo eso. No recibimos nada. Gracias a los vecinos que colaboran con nosotros generamos nuestro sueldo. Nos dan los materiales y traen los bolsones aca con los materiales y después se los lleva al galpón y en el galpón hacen la segunda separación para la venta. Entonces ahí se paran y con eso sale a la venta. 157 Los actividades del estado no cambiaron nuestro ritmo de vida. Al contrario. Nos trata injusto. Antes nos traían los camiones de materiales ahora no están trayendo nada. El galpón esta pelado por eso en la comparación de lo que era antes. Recién, en diciembre, enero y febrero bajan los materiales, pero a nosotros eso no nos insulta porque siempre hemos sido unas mujeres que luchan. Luchamos para sobrevivir. Lo que pasa es que tenemos firmado un papel entre el gobierno de la ciudad. eso es una cosa. Lo queremos es que no se mete el gobierno a lo que nosotros hemos logrado a ser. Lo que hemos logrado de poquito vamos elevando. Todavía nos falta pero no le debemos al gobierno. El no nos da a comer. Los que nos dan a comer son los vecinos. Y encima nos felicitan por el trabajo que hacemos. Acá vinieron dos señores grandes ya, un señor y una señora, me felicitaron y sacaron su dirección para venir acá dejar los materiales. Y entonces ellos saben que nosotros estamos acá y saben que nosotros ponemos un bolsón y vienen y traen toda las cosas para acá. y todo separado, en cada bolsa traen un plástico, incluso se fueron al colegio de armonía llevar los materiales. Pero ahora como el colegio ha cerrado quieren venir a dejar estos materiales. según yo es un trabajo digno porque damos trabajo a la gente que quiere trabajar. La verdad que hemos trabajado con chicos que tenían este problema de conducta o que estuvieron preso o trabajamos con chicos que se endrogaban. El que quiere recibir ese trabajo, puede hacerlo. pero nadie le quiere reconocer en la sociedad. Y que quieren hacer estos chicos? Salen a robar y salen a drogarse y en cambio les damos una oportunidad. Eso es una gran ayuda para los pibes para que se sepa que se sientan aceptados y que sirven para algo. Robando o drogándose pueden perder la vida. Si van a robar van a perder la vida. Ahora, menores nosotros no tenemos. De 18 por arriba pueden trabajar con nosotros. Menores lo que tienen que hacer ir al colegio terminar su clase. Tampoco dan la oportunidad a esos chicos, son discriminados por la sociedad. Y en cambio nosotros les damos la oportunidad. Aparte de Cristina era la única mujer que terminó la primaria. Mi diploma me lo dio Christina. Empecé la primaria con 25 años y la terminé con 59. Yo tenia hasta el segundo grado, no me aprobado, y después dije me voy a la nocturna a terminar la primaria. Yo tenia mucha falta de ortografía, incluso matemática. Ahora no me pueden más tomar así de tonta y ahora la logística la tengo en mi mente. Es vale mucho. Para estudiar no hay era pero la situación económica no me da, porque hay que comprar libros. Quiero que mis hijos terminen la secundaria y siguen al colegio. Antes cuando era chica no tomaba apuntes, me quedaba lejísimos. Me quedaba en la mitad del camino a jugar o a andar con la honda. Era peor que muchachos. Ahora tengo 61 años y sin embargo … a los 7 años empecé a trabajar y sabía lo que era trabajo. Pero me hice cargo yo desde estoy criando no quiero que labore mi hijo como lo laboré yo de chico. Espero que termine su colegio. Son 1500 pesos de alquiler y yo gano 300 pesos por semana. (im selben Gespräch erzählte sie, dass sie vom Staat 1500 Pesos für die Miete erhält. Auf das Sozialprogramm, aus dem das Geld kam, wollte sie nicht eingehen.) Ellos (del Estado) no quieren aprender el reciclaje. Lo único que les interesa es enterrar. No queremos enterrar los materiales secos, no queremos que entierre toda la basura. Los materiales secos los queremos para generar nuestros sueldos, eso es lo que pasa. El gobierno... que haga lo que haga. No me interesa pero lo que si quiero es que sepan valorizar 158 lo que hacemos. Como puede ser que vienen a vernos de otros países y acá en Argentina no nos tienen en cuenta. El gobierno no le interesa que hacemos. Ellos ganan una fortuna los limpiadores (de “Juga Limpio”) de la calle que son del gobierno, igual eso de AEFA, CRIBA ganan una fortuna. El trabajo que estamos haciendo nosotros queremos que sea valorizado como el trabajo que hacen ellos. No quiero cambiar nada. Eso me dio vida, me dio todo. Sin embargo, para mi Los sietes mujeres, no queremos ser dependiente de nadie. Al gobierno el insultamos porque es la gente bien alta como deshonesta y vamos con la verdad adelante. No nos ataca a nadie. Porque ellos no me dieron nada. Hemos luchado para que nos den un camión. vivimos con algo prestado. Lo que queremos es algo nuestro. Estamos bien agradecidas que se lo prestan. Pero en general queremos algo propio, no que se los presten. Porque puede ser que se rompe y gastamos más a la cosa prestada que a las cosas nuestras. Eso es lo que pasa. Nosotros queremos lo nuestro. Depender de nuestro, no que la gente nos presta, el gobierno nos presta. Nos prestaron un camión y se rompió. Quien sabe cuando vayan a arreglar. Tenemos una camioneta nueva para levantar todos los materiales que nosotros reciclamos. Es una vergüenza. Miran para el lado de ellos no para el lado del pobre. 159 Zusammenfassung Diese Arbeit beschäftigt sich mit den AbfallsammlerInnen in Argentinien. Während der wirtschaftlichen Krise, zwischen den 1990er und 2002, stieg die Anzahl jener Menschen, die sich ihren Lebensunterhalt über die Sammlung und den Verkauf von Abfall verdienten, von wenigen Tausend auf 100.000 Menschen im Stadtgebiet von Buenos Aires an. Daneben sahen sich Fertigungsbetriebe, die dem Unternehmenssterben entgehen konnten, mit rasant steigenden Rohstoffpreisen konfrontiert. Die Verflechtung der steigenden Rohstoffpreise mit dem massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen brachte eine starke, von den AbfallsammlerInnen angetriebene Recyclingwirtschaft hervor. Nachdem die Anzahl der cartoneros in Buenos Aires stark gestiegen war, wurde von Seiten der Regierung mit Gesetzen und Programmen zur Integration der informellen AbfallsammlerInnen versucht, gegen die prekären Lebensund Arbeitsbedingungen anzukämpfen. In den letzten zehn Jahren wurden mehrere Gesetze erlassen und Programme eingeführt, welche die informelle Abfallsammlung formalisieren und in die städtische Abfallwirtschaft integrieren sollten. Die vorliegende Arbeit ging den Fragen nach, welche wirtschafts- und sozialgeschichtlichen sowie politikgeschichtlichen Aspekte auf das Ausbreiten der Abfallsammlung Einfluss ausübten. Sie beschäftigte sich darüber hinaus mit dem Zusammenspiel von Formalität, Informalität und Abfallwirtschaft und versuchte zu zeigen, welche Auswirkungen der 2001 angekurbelte Formalisierungsprozess auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der cartoneros hatte. Die Untersuchung der von der Formalisierung angestoßenen Veränderung von Einkommen, Arbeitsorganisation und Zugang zum öffentlichen Raum machte deutlich, dass die bisher Formalisierungsmaßnahmen vielmehr einen passenden rechtlichen Rahmen für profitorientierte Kooperativen und Abfallunternehmen schufen, als die cartoneros als neue Berufsgruppe zu schützen. Gesetze und Programme beinhalten nur wenige verpflichtend umzusetzende Maßnahmen, die zu einer maßgeblichen Verbesserung der Arbeits- und damit der Lebensbedingungen von cartoneros führen könnten. Aufgrund fehlender behördlicher Kontrolle bleiben Kooperativen und Unternehmen Wege offen, die arbeitsrechtlichen Schutzmaßnahmen zu umgehen und die eigenen wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Im Gegensatz dazu finden die cartoneros selbst in Kooperativen zu wenig Anreize, um sie als Organisationsform zu benutzen. Sie organisieren sich größtenteils weiterhin selbst und machen von bestehenden sozialen Beziehungen und informellen Netzwerken Gebrauch, um ihren Abfall zu sammeln und damit ihr Überleben zu sichern. 160 Summary The present work takes a closer look at the scavengers – or cartonoers - in Buenos Aires, Argentina. Throughout the economic crisis in Argentina between the nineties and 2002, the number of scavengers in the city of Buenos Aires increased from a few thousand to a majority of unemployed residents who tried to cover their basic needs by collecting, sorting and, selling refuse. In addition, a number of production plants faced skyrocketing prices of raw materials. The interconnection of those two occurrences the rising of prices of raw materials and the cutback of working places produced a flourishing recycling economy. The government felt compelled to battle the enormously high number of impoverished residents. As a reply to mass impoverishment a number of laws and programs seeking to formalize and integrate informal scavenging into solid municipal waste management has been issued over the last 10 years. This work is taking into account economic, social-historical as well as political-historical aspects which have had and still have influences on the extend of scavenging in Buenos Aires. Furthermore, this work goes into the interplay between formality, informality, and solid urban waste management in greater detail. It also focusses on implications of the process of formalization of the living and working conditions of both, formalized and informal cartoneros, which started in 2001. The analysis of the transformation of income, work organization and access to the public sphere showed that most of the measures to formalize scavenging had more positive effects on refuse-cooperatives and refuse-companies than on protecting scavengers as a new occupational group. Laws and programs only comprise very few obligatory actions to significantly improve scavengers' working and living conditions. Missing control by officials keeps it very easy for profit-seeking cooperatives and enterprises to give priority to their own interests and ignore governmental regulations on improved working conditions for scavengers. On the contrary, few cartoneros find incentives for a membership in cooperatives. Most of the scavengers still organize independently and keep relying on existing social relations and informal networks to gain most out of selling raw materials to (mostly informal) middlemen. Norwithstandig government’s regulatory actions informal networks and old habits stay the most reliable components for assuring one's survival. 161 Curriculum Vitae Regina Hemetsberger, Bakk.phil Persönliche Daten Geburtsdatum: 27. August 1985 Geburtsort: Vöcklabruck Wohnort: Wien Kontakt: [email protected] Ausbildung (Auswahl) 1999 – 2005 Handelsakademie Vöcklabruck 2006 – 2010 Bakk. Publizistik und Kommunikationswissenschaft und Internationale Entwicklung, Uni Wien seit 2010 Mag.studium Publizistik und Kommunikationswissenschaft und Internationale Entwicklung, Uni Wien 2009 Studienaufenthalt in Frankreich (Lyon), Stipendium der Universität Wien (Erasmus) 2010 Studienaufenthalt in Mexiko (Stadt), Stipendium der Universtität Wien (Joint Study) 2012 Feldforschung in Buenos Aires, Stipendium der Universität Wien (KWA) Berufsrelevante Praktika im In- und Ausland (Auswahl) 2008 L&W Marcom Commuications AG Zürich 2009 – 2010 Gemeinnützige Entwicklungszusammenarbeit, Wien Mai 2011-Juli 2011 Österreichische Botschaft in Hanoi, Vietna 162